Die Aufgeregten - 2

Total number of words is 4224
Total number of unique words is 1470
43.4 of words are in the 2000 most common words
58.2 of words are in the 5000 most common words
64.1 of words are in the 8000 most common words
Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
Vater Jost Breme von Bremenfeld hervorbrachte, hielt ihre Kräfte
zusammen, um euren Freund mit solchen Gaben auszurüsten, durch die er
euch nützlich zu werden wünscht. Doch behüte der Himmel, dass ich
mich über meine Vorfahren erheben sollte; es wird uns jetzt viel
leichter gemacht, und wir können mit geringern natürlichen Vorzügen
eine große Rolle spielen.
Martin.
Nicht zu bescheiden, Gevatter!
Breme.
Es ist lautre Wahrheit. Sind nicht jetzt der Zeitungen, der
Monatsschriften, der fliegenden Blätter so viel, aus denen wir uns
unterrichten, an denen wir unsern Verstand üben können! Hätte mein
seliger Großvater nur den tausendsten Teil dieser Hilfsmittel gehabt,
er wäre ein ganz anderer Mann geworden. Doch, Kinder, was rede ich
von mir! Die Zeit vergeht, und ich fürchte, der Tag bricht an. Der
Hahn macht uns aufmerksam, dass wir uns kurz fassen sollen. Habt ihr
Mut?
Albert.
An mir und den Meinigen soll's nicht fehlen.
Peter.
Unter den Meinigen findet sich wohl einer, der sich an die Spitze
stellt; ich verbitte mir den Auftrag.
Martin.
Seit den paar letzten Predigten, die der Magister hielt, weil der alte
Pfarrer so krank liegt, ist das ganze große Dorf hier in Bewegung.
Breme.
Gut! So kann was werden. Ich habe ausgerechnet, dass wir über
sechshundert Mann stellen können. Wollt ihr, so ist in der nächsten
Nacht alles getan.
Martin.
In der nächsten Nacht?
Breme.
Es soll nicht wieder Mitternacht werden, und ihr sollt wieder haben
alles, was euch gebührt, und mehr dazu.
Peter.
So geschwind? Wie wäre das möglich?
Albert.
Geschwind oder gar nicht.
Breme.
Die Gräfin kommt heute an, sie darf sich kaum besinnen. Rückt nur bei
einbrechender Nacht vor das Schloss und fordert eure Rechte, fordert
eine neue Ausfertigung des alten Reverses, macht euch noch einige
kleine Bedingungen, die ich euch schon angeben will, lasst sie
unterschreiben, lasst sie schwören, und so ist alles getan.
Peter.
Vor einer solchen Gewalttätigkeit zittern mir Arm' und Beine.
Albert.
Narr! Wer Gewalt braucht, darf nicht zittern.
Martin.
Wie leicht können sie uns aber ein Regiment Dragoner über den Hals
ziehen. So arg dürfen wir's doch nicht machen. Das Militär, der
Fürst, die Regierung würden uns schön zusammenarbeiten.
Breme.
Gerade umgekehrt. Das ist's eben, worauf ich fuße. Der Fürst ist
unterrichtet, wie sehr das Volk bedruckt sei. Er hat sich über die
Unbilligkeit des Adels, über die Langweiligkeit der Prozesse, über die
Schikane der Gerichtshalter und Advokaten oft genug deutlich und stark
erklärt, so dass man voraussetzen kann: Er wird nicht zurück, wenn man
sich Recht verschafft, da er es selbst zu tun gehindert ist.
Peter.
Sollte das gewiss sein?
Albert.
Es wird im ganzen Lande davon gesprochen.
Peter.
Da wäre noch allenfalls was zu wagen.
Breme.
Wie ihr zu Werke gehen müsst, wie vor allen Dingen der abscheuliche
Gerichtshalter beiseite muss, und auf wen noch mehr genau zu sehen ist,
das sollt ihr alles noch vor Abend erfahren. Bereitet eure Sachen
vor, regt eure Leute an und seid mir um Sechse beim Herrenbrunnen.
Dass Jakob nicht kommt, macht ihn verdächtig; ja, es ist besser, dass
er nicht gekommen ist. Gebt auf ihn acht, dass er uns wenigstens
nicht schade; an dem Vorteil, den wir uns erwerben, wird er schon
teilnehmen wollen. Es wird Tag; lebt wohl und bedenkt nur, dass, was
geschehen soll, schon geschehen ist. Die Gräfin kommt eben erst von
Paris zurück, wo sie das alles gesehn und gehört hat, was wir mit so
vieler Verwunderung lesen; vielleicht bringt sie schon selbst mildere
Gesinnungen mit, wenn sie gelernt hat, was Menschen, die zu sehr
gedruckt werden, endlich für ihre Rechte tun können und müssen.
Martin.
Lebt wohl, Gevatter, lebt wohl! Punkt Sechse bin ich am Herrenbrunnen.

Albert.
Ihr seid ein tüchtiger Mann! Lebt wohl.
Peter.
Ich will Euch recht loben, wenn's gut abläuft.
Martin.
Wir wissen nicht, wie wir's Euch danken sollen.
Breme (mit Würde).
Ihr habt Gelegenheit genug, mich zu verbinden. Das kleine Kapital zum
Exempel von zweihundert Talern, das ich der Kirche schuldig bin,
erlasst ihr mir ja wohl.
Martin.
Das soll uns nicht reuen.
Albert.
Unsere Gemeine ist wohlhabend und wird auch gern was für Euch tun.
Breme.
Das wird sich finden. Das schöne Fleck, das Gemeindegut war und das
der Gerichtshalter zum Garten einzäunen und umarbeiten lassen, das
nehmt ihr wieder in Besitz und überlasst mir's.
Albert.
Das wollen wir nicht ansehen, das ist schon verschmerzt.
Peter.
Wir wollen auch nicht zurückbleiben.
Breme.
Ihr habt selbst einen hübschen Sohn und schönes Gut; dem könnt' ich
meine Tochter geben. Ich bin nicht stolz, glaubt mir, ich bin nicht
stolz. Ich will Euch gern meinen Schwäher heißen.
Peter.
Das Mamsellchen ist hübsch genug; nur ist sie schon zu vornehm erzogen.

Breme.
Nicht vornehm, aber gescheit. Sie wird sich in jeden Stand zu finden
wissen. Doch darüber lässt sich noch vieles reden. Lebt jetzt wohl,
meine Freunde, lebt wohl!
Alle.
So lebt denn wohl!


Zweiter Aufzug

Erster Auftritt
(Vorzimmer der Gräfin. Sowohl im Fond als an den Seiten hängen adlige
Familienbilder in mannigfaltigen geistlichen und weltlichen Kostümen.)
Der Amtmann tritt herein, und indem er sich umsieht, ob niemand da ist,
kommt Luise von der andern Seite.
Amtmann.
Guten Morgen, Demoiselle! Sind Ihro Exzellenz zu sprechen? Kann ich
meine untertänigste Devotion zu Füßen legen?
Luise.
Verziehen Sie einigen Augenblick, Herr Amtmann. Die Frau Gräfin wird
gleich herauskommen. Die Beschwerlichkeiten der Reise und das
Schrecken bei der Ankunft haben einige Ruhe nötig gemacht.
Amtmann.
Ich bedaure von ganzem Herzen! Nach einer so langen Abwesenheit, nach
einer so beschwerlichen Reise ihren einzig geliebten Sohn in einem so
schrecklichen Zustande zu finden! Ich muss gestehen, es schaudert
mich, wenn ich nur daran denke. Ihro Exzellenz waren wohl sehr
alteriert?
Luise.
Sie können sich leicht vorstellen, was eine zärtliche sorgsame Mutter
empfinden musste, als sie ausstieg, ins Haus trat und da die
Verwirrung fand, nach ihrem Sohne fragte und aus ihrem Stocken und
Stottern leicht schließen konnte, dass ihm ein Unglück begegnet sei.
Amtmann.
Ich bedaure von Herzen. Was finden Sie an?
Luise.
Wir mussten nur geschwind alles erzählen, damit sie nicht etwas
Schlimmeres besorgte; wir mussten sie zu dem Kinde führen, das mit
verbundenem Kopf und blutigen Kleidern dalag. Wir hatten nur für
Umschläge gesorgt und ihn nicht ausziehen können.
Amtmann.
Es muss ein schrecklicher Anblick gewesen sein.
Luise.
Sie blickte hin, tat einen lauten Schrei und fiel mir ohnmächtig in
die Arme. Sie war untröstlich, als sie wieder zu sich kam, und wir
hatten alle Mühe, sie zu überführen, dass das Kind sich nur eine
starke Beule gefallen, dass es aus der Nase blutet, und dass keine
Gefahr sei.
Amtmann.
Ich möchte' es mit dem Hofmeister nicht teilen, der das gute Kind so
vernachlässigt.
Luise.
Ich wunderte mich über die Gelassenheit der Gräfin, besonders da er
den Vorfall leichter behandelte, als es ihm in dem Augenblick geziemte.

Amtmann.
Sie ist gar zu gnädig, gar zu nachsichtig.
Luise.
Aber sie kennt ihre Leute und merkt sich alles. Sie weiß, wer ihr
redlich und treu dient; sie weiß, wer nur dem Schein nach ihr
untertäniger Knecht ist. Sie kennt die Nachlässigen so gut als die
Falschen, die Unklugen sowohl als die Bösartigen.
Amtmann.
Sie sagen nicht zu viel; es ist eine vortreffliche Dame, aber
ebendeswegen! Der Hofmeister verdiente doch, dass sie ihn geradezu
wegschickte.
Luise.
In allem, was das Schicksal des Menschen betrifft, geht sie langsam zu
Werke, wie es einem Großen geziemt. Es ist nichts schrecklicher als
Macht und Übereilung.
Amtmann.
Aber Macht und Schwäche sind auch ein trauriges Paar.
Luise.
Sie werden der gnädigen Gräfin nicht nachsagen, dass sie schwach sei.
Amtmann.
Behüte Gott, dass ein solcher Gedanke einem alten treuen Diener
einfallen sollte! Aber es ist denn doch erlaubt, zum Vorteil seiner
gnädigen Herrschaft zu wünschen, dass man manchmal mit mehr Strenge
gegen Leute zu Werke gehe, die mit Strenge behandelt sein wollen.
Luise.
Die Frau Gräfin! (Luise tritt ab.)

Zweiter Auftritt
Die Gräfin im Negligé. Der Amtmann.
Amtmann.
Euer Exzellenz haben zwar auf eine angenehme Weise, doch unvermutet
Ihre Dienerschaft überrascht, und wir bedauern nur, dass Dieselben bei
Ihrer Ankunft durch einen so traurigen Anblick erschreckt worden. Wir
hatten alle Anstalten zu Dero Empfang gemacht: Das Tannenreisig zu
einer Ehrenpforte liegt wirklich schon im Hofe; die sämtlichen
Gemeinden wollten reihenweise an dem Wege stehen und Hochdieselben mit
einem lauten Vivat empfangen, und jeder freute sich schon, bei einer
so feierlichen Gelegenheit seinen Festtagsrock anzuziehen und sich und
seine Kinder zu putzen.
Gräfin.
Es ist mir lieb, dass die guten Leute sich nicht zu beiden Seiten des
Wegs gestellt haben; ich hätte ihnen unmöglich ein freundlich Gesicht
machen können und Ihnen am wenigsten, Herr Amtmann!
Amtmann.
Wie so? Wodurch haben wir Euer Exzellenz Ungnade verdient?
Gräfin.
Ich kann nicht leugnen, ich war sehr verdrießlich, als ich gestern auf
den abscheulichen Weg kam, der gerade da anfängt, wo meine Besitzungen
angehen. Die große Reise hab' ich fast auf lauter guten Wegen
vollbracht, und eben, da ich wieder in das Meinige zurückkomme, find'
ich sie nicht nur schlechter wie vorm Jahr, sondern so abscheulich,
dass sie alle Übel einer schlechten Chaussee verbinden. Bald tief
ausgefahren Löcher, in die der Wagen umzustürzen droht, aus denen die
Pferde mit aller Gewalt ihn kaum herausreißen, bald Steine ohne
Ordnung übereinander geworfen, dass man eine Viertelstunde lang selbst
in dem bequemsten Wagen aufs unerträglichste zusammengeschüttelt wird.
Es sollte mich wundern, wenn nichts daran beschädigt wäre.
Amtmann.
Euer Exzellenz werden mich nicht ungehört verdammen; nur mein eifriges
Bestreben, von Euer Exzellenz Gerechtsamen nicht das mindeste zu
vergeben, ist Ursache an diesem üblen Zustande des Wegs.
Gräfin.
Ich verstehe.--
Amtmann.
Sie erlauben, Ihrer tiefen Einsicht nur anheim zu stellen, wie wenig
es mir hätte ziemen wollen, den widerspenstigen Bauern auch nur ein
Haarbreit nachzugeben. Sie sind schuldig, die Wege zu bessern, und da
Euer Exzellenz Chaussee befehlen, sind sie auch schuldig, die Chaussee
zu machen.
Gräfin.
Einige Gemeinden waren ja willig.
Amtmann.
Das ist eben das Unglück. Sie fuhren die Steine an; als aber die
übrigen, widerspenstigen sich weigerten und auch jene widerspenstig
machten, blieben die Steine liegen und wurden nach und nach, teils aus
Notwendigkeit, teils aus Mutwillen, in die Gleise geworfen, und da ist
nun der Weg freilich ein bisschen holprig geworden.
Gräfin.
Sie nennen das ein wenig holprig?
Amtmann.
Verzeihen Euer Exzellenz, wenn ich sogar sage, dass ich diesen Weg
öfters mit vieler Zufriedenheit zurücklege. Es ist ein vortreffliches
Mittel gegen die Hypochondrie, sich dergestalt zusammenschütteln zu
lassen.
Gräfin.
Das, gesteh' ich, ist eine eigne Kurmethode.
Amtmann.
Und freilich, da nun eben wegen dieses Streites, welcher vor dem
Kaiserlichen Reichskammergericht auf das eifrigste betrieben wird,
seit einem Jahr an keine Wegebesserung zu denken gewesen, und überdies
die Holzfuhren stark gehen, in diesen letzten Tagen auch anhaltendes
Regenwetter eingefallen, so möchte denn freilich jemanden, der gute
Chausseen gewohnt ist, unsere Straße gewissermaßen impraktikable
vorkommen.
Gräfin.
Gewissermaßen? Ich dächte ganz und gar.
Amtmann.
Euer Exzellenz beleiben zu scherzen. Man kommt doch noch immer fort--
Gräfin.
Wenn man nicht liegen bleibt. Und doch hab' ich an der Meile sechs
Stunden zugebracht.
Amtmann.
Ich, vor einigen Tagen, noch länger. Zweimal wurd' ich glücklich
herausgewunden, das dritte Mal brach ein Rad, und ich musste mich noch
nur so hereinschleppen lassen. Aber bei allen diesen Unfällen war ich
getrost und gutes Muts; denn ich bedachte, dass Euer Exzellenz und
Ihres Herrn Sohnes Gerechtsame salviert sind. Aufrichtig gestanden,
ich wollte auf solchen Wegen lieber von hier nach Paris fahren, als
nur einen Fingerbreit nachgeben, wenn die Rechte und Befugnisse meiner
gnädigen Herrschaft bestritten werden. Ich wollte daher, Euer
Exzellenz dächten auch so, und Sie würden gewiss diesen Weg nicht mit
so viel Unzufriedenheit zurückgelegt haben.
Gräfin.
Ich muss sagen, darin bin ich anderer Meinung, und gehörten diese
Besitztümer mir eigen, müsste ich mich nicht bloß als Verwalterin
ansehen, so würde ich über manche Bedenklichkeit hinausgehen, ich
würde mein Herz hören, das mir Billigkeit gebietet, und meinen
Verstand, der mich einen wahren Vorteil von einem scheinbaren
unterscheiden lehrt. Ich würde großmütig sein, wie es dem gar wohl
ansteht, der Macht hat. Ich würde mich hüten, unter dem Scheine des
Rechts auf Forderungen zu beharren, die ich durchzusetzen kaum
wünschen müsste, und die, indem ich Widerstand finde, mir auf
lebenslang den völligen Genuss eines Besitzes rauben, den ich auf
billige Weise verbessern könnte. Ein leidlicher Vergleich und der
unmittelbare Gebrauch sind besser als eine wohl gegründete Rechtssache,
die mir Verdruss macht, und von der ich nicht einmal den Vorteil für
meine Nachkommen einsehe.
Amtmann.
Euer Exzellenz erlauben, dass ich darin der entgegen gesetzten Meinung
sein darf. Ein Prozess ist eine so reizende Sache, dass, wenn ich
reich wäre, ich eher einige kaufen würde, um nicht ganz ohne dieses
Vergnügen zu leben. (Amtmann tritt ab.)
Gräfin.
Es scheint, dass er seine Lust an unsern Besitztümern büßen will.

Dritter Auftritt
Gräfin. Magister.
Magister.
Darf ich fragen, gnädige Gräfin, wie sie sich befinden?
Gräfin.
Wie Sie denken können, nach der Alteration, die mich bei meinem
Eintritt überfiel.
Magister.
Es tat mir herzlich Leid; doch, hoff' ich, soll es von keinen Folgen
sein. Überhaupt aber kann Ihnen schwerlich der Aufenthalt hier so
bald angenehm werden, wenn Sie ihn mit dem vergleichen, den Sie vor
kurzem genossen haben.
Gräfin.
Es hat auch große Reize, wieder zu Hause bei den Seinigen zu wohnen.
Magister.
Wie oftmals hab' ich Sie um das Glück beneidet, gegenwärtig zu sein,
als die größten Handlungen geschahen, die je die Welt gesehen hat,
Zeuge zu sein des seligen Taumels, der eine große Nation in dem
Augenblick ergriff, als sie sich zum ersten Mal frei und von den
Ketten entbunden fühlte, die sie so lange getragen hatte, dass diese
schwere fremde Last gleichsam ein Glied ihres elenden, kranken Körpers
geworden.
Gräfin.
Ich habe wunderbare Begebenheiten gesehen, aber wenig Erfreuliches.
Magister.
Wenngleich nicht für die Sinne, doch für den Geist. Wer aus großen
Absichten fehl greift, handelt immer lobenswürdiger, als wer dasjenige
tut, was nur kleinen Absichten gemäß ist. Man kann auf dem rechten
Wege irren und auf dem falschen recht gehen-- --

Vierter Auftritt
Die Vorigen. Luise.
(Durch die Ankunft dieses vorzüglichen Frauenzimmers wird die
Lebhaftigkeit des Gesprächs erst gemildert und sodann die Unterredung
von dem Gegenstande gänzlich abgelenkt. Der Magister, der nun weiter
kein Interesse findet, entfernt sich, und das Gespräch unter den
beiden Frauenzimmern setzt sich fort, wie folgt.)
Gräfin.
Was macht mein Sohn? Ich war eben im Begriff, zu ihm zu gehen.
Luise.
Er schläft recht ruhig, und ich hoffe, er wird bald wieder
herumspringen und in kurzer Zeit keine Spur der Beschädigung mehr
übrig sein.
Gräfin.
Das Wetter ist gar zu übel, sonst ging' ich in den Garten. Ich bin
recht neugierig, zu sehen, wie alles gewachsen ist, und wie der
Wasserfall, wie die Brücke und die Felsenkluft sich jetzt ausnehmen.
Luise.
Es ist alles vortrefflich gewachsen; die Wildnisse, die Sie angelegt
haben, scheinen natürlich zu sein; sie bezaubern jeden, der sie zum
ersten Mal sieht, und auch mir geben sie noch immer in einer stillen
Stunde einen angenehmen Aufenthalt. Doch muss ich gestehen, dass ich
in der Baumschule unter den fruchtbaren bäumen lieber bin. Der
Gedanke des Nutzens führt mich aus mir selbst heraus und gibt mir eine
Fröhlichkeit, die ich sonst nicht empfinde. Ich kann säen, pfropfen,
okulieren; und wenngleich mein Auge keine malerische Wirkung empfindet,
so ist mir doch der Gedanke von Früchten höchst reizend, die einmal
und wohl bald jemanden erquicken werden.
Gräfin.
Ich schätze Ihre guten häuslichen Gesinnungen.
Luise.
Die einzigen, die sich für den Stand schicken, der ans Notwendige zu
denken hat, dem wenig Willkür erlaubt ist.
Gräfin.
Haben Sie den Antrag überlegt, den ich Ihnen in meinem letzten Briefe
tat? Können Sie sich entschließen, meiner Tochter Ihre Zeit zu widmen,
als Freundin, als Gesellschafterin mit ihr zu leben?
Luise.
Ich habe kein Bedenken, gnädige Gräfin.
Gräfin.
Ich hatte viel Bedenken, Ihnen den Antrag zu tun. Die wilde und
unbändige Gemütsart meiner Tochter macht ihren Umgang unangenehm und
oft sehr verdrießlich. So leicht mein Sohn zu behandeln ist, so
schwer ist es meine Tochter.
Luise.
Dagegen ist ihr edles Herz, ihre Art, zu handeln, aller Achtung wert.
Sie ist heftig, aber bald zu besänftigen, unbillig, aber gerecht,
stolz, aber menschlich.
Gräfin.
Hierin ist sie ihrem Vater--
Luise.
Äußerst ähnlich. Auf eine sehr sonderbare Weise scheint die Natur in
der Tochter den rauen Vater, in dem Sohne die zärtliche Mutter wieder
hervorgebracht zu haben.
Gräfin.
Versuchen Sie, Luise, dieses wilde, aber edle, Feuer zu dämpfen. Sie
besitzen alle Tugenden, die ihr fehlen. In Ihrer Nähe, durch Ihr
Beispiel wird sie gereizt werden, sich nach einem Muster zu bilden,
das so liebenswürdig ist.
Luise.
Sie beschämen mich, gnädige Gräfin. Ich kenne an mir keine Tugend als
die, dass ich mich bisher in mein Schicksal zu finden wusste, und
selbst diese hat kein Verdienst mehr, seitdem Sie, gnädige Gräfin, so
viel getan haben, um es zu erleichtern. Sie tun jetzt noch mehr, da
Sie mich näher an sich heranziehen. Nach dem Tode meines Vaters und
dem Umsturz meiner Familie habe ich vieles entbehren lernen, nur nicht
gesitteten und verständigen Umgang.
Gräfin.
Bei Ihrem Onkel müssen Sie von dieser Seite viel ausstehen.
Luise.
Es ist ein guter Mann; aber seine Einbildung macht ihn oft höchst
albern, besonders seit der letzten Zeit, da jeder ein Recht zu haben
glaubt, nicht nur über die großen Welthändel zu reden, sondern auch
darin mitzuwirken.
Gräfin.
Es geht ihm wie sehr vielen.
Luise.
Ich habe manchmal meine Bemerkungen im stillen darüber gemacht. Wer
die Menschen nicht kennte, würde sie jetzt leicht kennen lernen. So
viele nehmen sich der Sache der Freiheit, der allgemeinen Gleichheit
an, nur um für sich eine Ausnahme zu machen, nur um zu wirken, es sei,
auf welche Art es wolle.
Gräfin.
Sie hätten nichts mehr erfahren können, und wenn Sie mit mir in Paris
gewesen wären.

Fünfter Auftritt
Friederike. Der Baron. Die Vorigen.
Friederike.
Hier, liebe Mutter, ein Hase und zwei Feldhühner! Ich habe die drei
Stücke geschossen, der Vetter hat immer gepudelt.
Gräfin.
Du siehst wild aus, Friederike; wie du durchnässt bist!
Friederike (das Wasser vom Hute abschwingend).
Der erste glückliche Morgen, den ich seit langer Zeit gehabt habe.
Baron.
Sie jagt mich nun schon vier Stunden im Felde herum.
Friederike.
Es war eine rechte Lust. Gleich nach Tische wollen wir wieder hinaus.

Gräfin.
Wenn du's so heftig treibst, wirst du es blad überdrüssig werden.
Friedericke.
Geben Sie mir das Zeugnis, liebe Mama! Wie oft hab' ich mich aus
Paris wieder nach unsern Revieren gesehnt. Die Opern, die Schauspiele,
die Gesellschaften, die Gastereien, die Spaziergänge, was ist das
alles gegen einen einzigen vergnügten Tag auf der Jagd, unter freiem
Himmel, auf unsern Bergen, wo wir eingeboren und eingewohnt sind.--Wir
müssen ehesten tags hetzen, Vetter.
Baron.
Sie werden noch warten müssen, die Frucht ist noch nicht aus dem Felde.

Friederike.
Was will das viel schaden? Es ist fast von gar keiner Bedeutung.
Sobald es ein bisschen auftrocknet, wollen wir hetzen.
Gräfin.
Geh, zieh dich um! Ich vermute, dass wir zu Tische noch einen Gast
haben, der sich nur kreuz Zeit bei uns aufhalten kann.
Baron.
Wird der Hofrat kommen?
Gräfin.
Er versprach mir, heute wenigstens auf ein Stündchen einzusprechen.
Er geht auf Kommission.
Baron.
Es sind einige Unruhen im Lande.
Gräfin.
Es wird nichts zu bedeuten haben, wenn man sich nur vernünftig gegen
die Menschen beträgt und ihnen ihren wahren Vorteil zeigt.
Friederike.
Unruhen? Wer will Unruhen anfangen?
Baron.
Missvergnügte Bauern, die von ihren Herrschaften gedruckt werden, und
die leicht Anführer finden.
Friederike.
Die muss man auf den Kopf schießen. (Sie macht Bewegungen mit der
Flinte.) Sehen Sie, gnädige Mama, wie mir der Magister die Flinte
verwahrlost hat! Ich wollte sie doch mitnehmen, und da Sie es nicht
erlaubten, wollte ich sie dem Jäger aufzuheben geben. Da bat mich der
Graurock so inständig, sie ihm zu lassen: Sie sei so leicht, sagt' er,
so bequem, er wolle sie so gut halten, er wolle so oft auf die Jagd
gehen. Ich ward ihm wirklich gut, weil er so oft auf die Jagd gehen
wollte, und nun, sehen Sie, find' ich sie heute in der Gesindestube
hinterm Ofen. Wie das aussieht! Sie wird in meinem Leben nicht
wieder rein.
Baron.
Er hatte die Zeit her mehr zu tun; er arbeitet mit an der allgemeinen
Gleichheit, und da hält er wahrscheinlich die Hasen auch mit für
seinesgleichen und scheut sich, ihnen was zuleide zu tun.
Gräfin.
Zieht euch an, Kinder, damit wir nicht zu warten brauchen. Sobald der
Hofrat kommt, wollen wir essen. (Ab.)
Friederike (ihre Flinte besehend).
Ich habe die französische Revolution schon so oft verwünscht, und
jetzt tu' ich's doppelt und dreifach. Wie kann mir nun der Schaden
ersetzt werden, dass meine Flinte rostig ist?


Dritter Aufzug

Erster Auftritt
(Saal im Schlosse.)
Gräfin. Hofrat.
Gräfin.
Ich geb' es Ihnen recht aufs Gewissen, teurer Freund. Denken Sie nach,
wie wir diesem unangenehmen Prozesse ein Ende machen. Ihre große
Kenntnis der Gesetze, Ihr Verstand und Ihre Menschlichkeit helfen
gewiss ein Mittel finden, wie wir aus dieser widerlichen Sache
scheiden können. Ich habe es sonst leichter genommen, wenn man
unrecht hatte und im Besitz war: Je nun, dacht' ich, es geht ja
wohl so hin, und wer hat, ist am besten dran. Seitdem ich aber
bemerkt habe, wie sich Unbilligkeit von Geschlecht zu Geschlecht so
leicht aufhäuft, wie großmütige Handlungen meistenteils nur persönlich
sind, und der Eigennutz allein gleichsam erblich wird; seitdem ich mit
Augen gesehen habe, dass die menschliche Natur auf einen unglaublichen
Grad gedrückt und erniedrigt, aber nicht unterdrückt und vernichtet
werden kann: So habe ich mir fest vorgenommen, jede einzelne Handlung,
die mir unbillig scheint, selbst streng zu vermeiden und unter den
Meinigen, in Gesellschaft, bei Hofe, in der Stadt über solche
Handlungen meine Meinung laut zu sagen. Zu keiner Ungerechtigkeit
will ich mehr schweigen, keine Kleinheit unter einem großen Scheine
ertragen, und wenn ich auch unter dem verhassten Namen einer
Demokratin verschrien werden sollte.
Hofrat.
Es ist schön, gnädige Gräfin, und ich freue mich, Sie wieder zu finden,
wie ich Abschied von Ihnen genommen, und noch ausgebildeter. Sie
waren eine Schülerin der großen Männer, die uns durch ihre Schriften
in Freiheit gesetzt haben, und nun finde ich in Ihnen einen Zögling
der großen Begebenheiten, die uns einen lebendigen Begriff geben von
allem, was der wohl denkende Staatsbürger wünschen und verabscheuen
muss. Es ziemt Ihnen, Ihrem eigenen Stande Widerpart zu halten. Ein
jeder kann nur seinen eignen Stand beurteilen und tadeln. Aller Tadel
heraufwärts oder hinabwärts ist mit Nebenbegriffen und Kleinigkeiten
vermischt, man kann nur durch seinesgleichen gerichtet werden. Aber
ebendeswegen, weil ich ein Bürger bin, der es zu bleiben denkt, der
das große Gewicht des höheren Standes im Staate anerkennt und zu
schätzen Ursache hat, bin ich auch unversöhnlich gegen die kleinlichen
neidischen Neckereien, gegen den blinden Hass, der nur aus eigner
Selbstigkeit erzeugt wird, prätentios Prätentionen bekämpft, sich über
Formalitäten formalisiert und, ohne selbst Realität zu haben, da nur
Schein sieht, wo er Glück und Folge sehen könnte. Wahrlich! Wenn
alle Vorzüge gelten sollen, Gesundheit, Schönheit, Jugend, Reichtum,
Verstand, Talente, Klima, warum soll der Vorzug nicht auch irgendeine
Art von Gültigkeit haben, dass ich von einer Reihe tapferer, bekannter,
ehrenvoller Väter entsprungen bin! Das will ich sagen da, wo ich
eine Stimme habe, und wenn man mir auch den verhassten Namen eines
Aristokraten zueignete.
(Hier findet sich eine Lücke, welche wir durch Erzählung ausfüllen.
Der trockne Ernst dieser Szene wird dadurch gemildert, dass der Hofrat
seine Neigung zu Luisen bekennt, indem er sich bereit zeigt, ihr seine
Hand zu geben. Ihre frühern Verhältnisse, vor dem Umsturz, den
Luisens Familie erlitt, kommen zur Sprache, sowie die stillen
Bemühungen des vorzüglichen Mannes, sich und zugleich Luisen eine
Existenz zu verschaffen.
Eine Szene zwischen der Gräfin, Luisen und dem Hofrat gibt Gelegenheit,
drei schöne Charaktere näher kennen zu lernen und uns für das, was
wir in den nächsten Auftritten erdulden sollen, vorläufig einigermaßen
zu entschädigen. Denn nun versammelt sich um den Teetisch, wo Luise
einschenkt, nach und nach das ganze Personal des Stücks, so dass
zuletzt auch die Bauern eingeführt werden. Da man sich nun nicht
enthalten kann, von Politik zu sprechen, so tut der Baron, welcher
Leichtsinn, Frevel und Spott nicht verbergen kann, den Vorschlag,
sogleich eine Nationalversammlung vorzustellen. Der Hofrat wird zum
Präsidenten erwählt, und die Charaktere der Mitspielenden, wie man sie
schon kennt, entwickeln sich freier und heftiger. Die Gräfin, das
Söhnchen mit verbundenem Kopfe neben sich, stellt die Fürstin vor,
deren Ansehen geschmälert werden soll und die aus eigenen liberalen
Gesinnungen nachzugeben geneigt ist. Der Hofrat, verständig und
gemäßigt, sucht ein Gleichgewicht zu erhalten, ein Bemühen, das jeden
Augenblick schwieriger wird. Der Baron spielt die Rolle des Edelmanns,
der von seinem Stande abfällt und zum Volke übergeht. Durch seine
schelmische Verstellung werden die andern gelockt, ihr Innerstes
hervorzukehren. Auch Herzensangelegenheiten mischen sich mit ins
spiel. Der Baron verfehlt nicht, Karolinen die schmeichelhaftesten
Sachen zu sagen, die sie zu ihren schönsten Gunsten auslegen kann. An
der Heftigkeit, womit Jakob die Gerechtsame des gräflichen Hauses
verteidigt, lässt sich eine stille, unbewusste Neigung zu der jungen
Gräfin nicht verkennen. Luise sieht in allem diesen nur die
Erschütterung des häuslichen Glücks, dem sie sich so nahe glaubt, und
wenn die Bauern mitunter schwerfällig werden, so erheitert Bremenfeld
die Szene durch seinen Dünkel, durch Geschichtchen und guten Humor.
Der Magister, wie wir ihn schon kennen, überschreitet vollkommen die
Grenze, und da der Baron immerfort hetzt, läuft es endlich auf
Persönlichkeiten hinaus, und als nun vollends die Brausche des
Erbgrafen als unbedeutend, ja lächerlich behandelt wird, so bricht die
You have read 1 text from German literature.
Next - Die Aufgeregten - 3
  • Parts
  • Die Aufgeregten - 1
    Total number of words is 4304
    Total number of unique words is 1297
    44.2 of words are in the 2000 most common words
    58.1 of words are in the 5000 most common words
    64.0 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Die Aufgeregten - 2
    Total number of words is 4224
    Total number of unique words is 1470
    43.4 of words are in the 2000 most common words
    58.2 of words are in the 5000 most common words
    64.1 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Die Aufgeregten - 3
    Total number of words is 4223
    Total number of unique words is 1362
    42.5 of words are in the 2000 most common words
    56.5 of words are in the 5000 most common words
    64.1 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Die Aufgeregten - 4
    Total number of words is 874
    Total number of unique words is 443
    53.6 of words are in the 2000 most common words
    65.0 of words are in the 5000 most common words
    69.6 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.