Die Aufgeregten - 1

Total number of words is 4304
Total number of unique words is 1297
44.2 of words are in the 2000 most common words
58.1 of words are in the 5000 most common words
64.0 of words are in the 8000 most common words
Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
Die Aufgeregten
Politisches Drama in fünf Aufzügen
Johann Wolfgang von Goethe



Personen
Die Gräfin.
Friederike, ihre Tochter.
Karl, ihr Söhnchen.
Der Baron, ein Vetter.
Der Hofrat.
Breme von Bremenfeld, Chirurgus.
Karoline, Bremens Tochter.
Luise, Bremens Nichte.
Der Magister, Hofmeister des jungen Grafen.
Der Amtmann.
Jakob, junger Landmann und Jäger.
Martin,
Albert,
Peter, Landleute.
Georg, Bedienter der Gräfin.


Erster Aufzug

Erster Auftritt
(Ein gemeines Wohnzimmer, an der Wand zwei Bilder, eines bürgerlichen
Mannes und seiner Frau, in der Tracht, wie sie vor fünfzig oder
sechzig Jahren zu sein pflegte. Nacht.)
Luise, an einem Tisch, worauf ein Licht steht, strickend. Karoline,
in einem Großvatersessel gegenüber, schlafend.
Luise (einen eben vollendeten gestrickten Strumpf in die Höhe haltend).
Wieder ein Strumpf! Nun wollt' ich, der Onkel käme nach Hause; denn
ich habe nicht Lust, einen andern anzufangen. (Sie steht auf und geht
ans Fenster.) Er bleibt heut' ungewöhnlich lange weg, sonst kommt er
doch gegen elf Uhr, und es ist jetzt schon Mitternacht. (Sie tritt
wieder an den Tisch.) Was die französische Revolution Gutes oder Böses
stiftet, kann ich nicht beurteilen; so viel weiß ich, dass sie mir
diesen Winter einige Paar Strümpfe mehr einbringt. Die Stunden, die
ich jetzt wachen und warten muss, bis Herr Breme nach Hause kommt,
hätt' ich verschlafen, wie ich sie jetzt verstricke, und er
verplaudert sie, wie er sie sonst verschlief.
Karoline (im Schlaf redend).
Nein, nein! Mein Vater!
Luise (sich dem Sessel nähernd).
Was gibt's, liebe Muhme?--Sie antwortet nicht!--Was nur dem guten
Mädchen sein mag! Sie ist still und unruhig; des Nachts schläft sie
nicht, und jetzt, da sie vor Müdigkeit eingeschlafen ist, spricht sie
im Traum. Sollte meine Vermutung gegründet sein? Sollte der Baron in
diesen wenigen Tagen einen solchen Eindruck auf die gemacht haben, so
schnell und so stark? (Hervortretend.) Wunderst du dich, Luise, und
hast du nicht selbst erfahren, wie die Liebe wirkt, wie schnell und
wie stark!

Zweiter Auftritt
Die Vorigen. Georg.
Georg (heftig und ängstlich).
Liebes Mamsellchen, geben Sie mir geschwinde, geschwinde--
Luise.
Was denn, Georg?
Georg.
Geben Sie mir die Flasche.
Luise.
Was für eine Flasche?
Georg.
Ihr Herr Onkel sagte, Sie sollen mir die Flasche geschwinde geben; sie
steht in der Kammer, oben auf dem Brett rechter Hand.
Luise.
Da stehen viele Flaschen; was soll denn drinn sein?
Georg.
Spiritus.
Luise.
Es gib allerlei Spiritus; hat er sich nicht deutlicher erklärt? Wozu
soll's denn?
Georg.
Er sagt' es wohl, ich war aber so erschrocken. Ach, der junge Herr--
Karoline (die aus dem Schlaf auffährt).
Was gibt's?--Der Baron?
Luise.
Der junge Graf?
Georg.
Leider, der junge Graf!
Karoline.
Was ist ihm begegnet?
Georg.
Geben Sie mir den Spiritus.
Luise.
Sage nur, was dem jungen Grafen begegnet ist, so weiß ich wohl, was
der Onkel für eine Flasche braucht.
Georg.
Ach, das gute Kind! Was wird die Frau Gräfin sagen, wenn sie morgen
kommt! Wie wird sie uns ausschelten!
Karoline.
So red' Er doch!
Georg.
Er ist gefallen, mit dem Kopf vor eine Tischecke, das Gesicht ist ganz
in Blut; wer weiß, ob nicht gar das Auge gelitten hat.
Luise (indem sie einen Wachsstock anzündet und in die Kammer geht).
Nun weiß ich, was sie brauchen.
Karoline.
So spät! Wie ging das zu?
Georg.
Liebes Mamsellchen, ich dachte lange, es würde nichts Gutes werden.
Da sitzt Ihr Vater und der Hofmeister alle Abend beim alten Pfarrer
und lesen die Zeitungen und Monatsschriften, und so disputieren sie
und können nicht fertig werden, und das arme Kind muss dabei sitzen;
da druckt sich's denn in eine Ecke, wenn's spät wird, und schläft ein,
und wenn sie aufbrechen, da taumelt das Kind schlaftrunken mit, und
heute--nun sehen Sie--da schlägt's eben zwölfe--heute bleiben sie über
alle Gebühr aus, und ich sitze zu Hause und habe Licht brennen, und
dabei stehen die andern Lichter für den Hofmeister und den jungen
Herrn, und Ihr Vater und der Magister bleiben vor der Schlossbrücke
stehen und können noch nicht fertig werden--
Luise (kommt mit einem Glase zurück).
Georg (fährt fort).
Und das Kind kommt in den Saal getappt und ruft mich, und ich fahre
auf und will die Lichter anzünden, wie ich immer tue, und wie ich
schlaftrunken bin, lösche ich das Licht aus. Indessen tappt das Kind
die Treppe hinauf, und auf dem Vorsaal stehen die Stühle und Tische,
die wir morgen früh in die Zimmer verteilen wollen; das Kind weiß es
nicht, geht geradezu, stößt sich, fällt, wir hören es schreien, ich
mache Lärm, ich mache Licht, und wie wir hinaufkommen, liegt's da und
weiß kaum von sich selbst. Das ganze Gesicht ist blutig. Wenn es ein
Auge verloren hat, wenn es gefährlich wird, geh' ich morgen früh auf
und davon, eh' die Frau Gräfin ankommt; mag's verantworten, wer will!
Luise (die indessen einige Bündelchen Leinwand aus der Schublade
genommen, gibt ihm die Flasche).
Hier! Geschwind! Trage das hinüber und nimm die Läppchen dazu, ich
komme gleich selbst. Der Himmel verhüte, dass es so übel sei!
Geschwind, Georg, geschwind! (Georg ab.) Halte warmes Wasser bereit,
wenn der Onkel nach Hause kommt und Kaffee verlangt. Ich will
geschwind hinüber. Es wäre entsetzlich, wenn wir unsere gute Gräfin
so empfangen müssten. Wie empfahl sie nicht dem Magister, wie empfahl
sie nicht mir das Kind bei ihrer Abreise! Leider hab' ich sehen
müssen, dass es die Zeit über sehr versäumt worden ist. Dass man doch
gewöhnlich seine nächste Pflicht versäumt! (Ab.)

Dritter Auftritt
Karoline. Hernach der Baron.
Karoline (nachdem sie einige Mal nachdenkend auf und ab gegangen).
Er verlässt mich keinen Augenblick, auch im Traum selbst war er mir
gegenwärtig. O, wenn ich glauben könnte, dass sein Herz, seine
Absichten so redlich sind, als seine Blicke, sein Betragen reizend und
einnehmend ist! Ach, und die Art, mit der er alles zu sagen weiß, wie
edel er sich ausdrückt! Man sage, was man will, welche Vorzüge gibt
einem Menschen von edler Geburt eine standesmäßige Erziehung! Ach,
dass ich doch seinesgleichen wäre!
Der Baron (an der Türe).
Sind Sie allein, beste Karoline?
Karoline.
Herr Baron, wo kommen Sie her? Entfernen Sie sich! Wenn mein Vater
käme! Es ist nicht schön, mich so zu überfallen.
Baron.
Die Liebe, die mich hieher führt, wird auch mein Fürsprecher bei Ihnen
sein, angebetete Karoline. (Er will sie umarmen.)
Karoline.
Zurück, Herr Baron! Sie sind sehr verwegen. Wo kommen Sie her?
Baron.
Ein Geschrei weckt mich, ich springe herunter und finde, dass mein
Neffe sich eine Brausche gefallen hat. Ich finde Ihren Vater um das
Kind beschäftigt, nun kommt auch Ihre Muhme, ich sehe, dass es keine
Gefahr hat, es fällt mir ein: Karoline ist allein--und was kann mir
bei jeder Gelegenheit anders einfallen als Karoline? Die Augenblicke
sind kostbar, schönes, angenehmes Kind! Gestehen Sie mir, sagen Sie
mir, dass Sie mich lieben. (Will sie umarmen.)
Karoline.
Noch einmal, Herr Baron! Lassen Sie mich, und verlassen Sie dieses
Haus!
Baron.
Sie haben versprochen, mich so bald als möglich zu sehen, und wollen
mich nun entfernen?
Karoline.
Ich habe versprochen, morgen früh mit Sonnenaufgang in dem Garten zu
sein, mit Ihnen spazieren zu gehen, mich Ihrer Gesellschaft zu freuen.
Hieher hab' ich Sie nicht eingeladen.
Baron.
Aber die Gelegenheit--
Karoline.
Hab' ich nicht gemacht.
Baron.
Aber ich benutze sie; können Sie mir es verdenken?
Karoline.
Ich weiß nicht, was ich von Ihnen denken soll.
Baron.
Auch Sie--lassen Sie es mich frei gestehen--auch Sie erkenne ich nicht.

Karoline.
Und worin bin ich mir denn so unähnlich?
Baron.
Können Sie noch fragen?
Karoline.
Ich muss wohl, ich begreife Sie nicht.
Baron.
Ich soll reden?
Karoline.
Wenn ich Sie verstehen soll.
Baron.
Nun gut. Haben Sie nicht seit den drei Tagen, die ich Sie kenne, jede
Gelegenheit gesucht, mich zu sehen, und zu sprechen?
Karoline.
Ich leugne es nicht.
Baron.
Haben Sie mir nicht, sooft ich Sie ansah, mit Blicken geantwortet?
Und mit was für Blicken!
Karoline (verlegen).
Ich kann meine eignen Blicke nicht sehen.
Baron.
Aber fühlen, was sie bedeuten.--Haben Sie mir, wenn ich Ihnen im Tanze
die Hand drückte, die Hand nicht wieder gedrückt?
Karoline.
Ich erinnere mich's nicht.
Baron.
Sie haben ein kurzes Gedächtnis, Karoline. Als wir unter der Linde
drehten, und ich Sie zärtlich an mich schloss, damals stieß mich
Karoline nicht zurück.
Karoline.
Herr Baron, Sie haben sich falsch ausgelegt, was ein gutherziges,
unerfahrnes Mädchen--
Baron.
Liebst du mich?
Karoline.
Noch einmal, verlassen Sie mich! Morgen frühe--
Baron.
Werde ich ausschlafen.
Karoline.
Ich werde Ihnen sagen--
Baron.
Ich werde nichts hören.
Karoline.
So verlassen Sie mich.
Baron (sich entfernend).
O, es ist mir leid, dass ich gekommen bin.
Karoline (allein, nach einer Bewegung, als wenn sie ihn aufhalten
wollte).
Er geht, ich muss ihn fortschicken, ich darf ihn nicht halten. Ich
liebe ihn und muss ihn verscheuchen. Ich war unvorsichtig und bin
unglücklich. Weg sind meine Hoffnungen auf den schönen Morgen, weg
die goldnen Träume, die ich zu nähren wagte. O, wie wenig Zeit
braucht es, unser ganzes Schicksal umzukehren!

Vierter Auftritt
Karoline. Breme.
Karoline.
Lieber Vater, wie geht's? Was macht der junge Graf?
Breme.
Es ist eine starke Kontusion; doch ich hoffe, die Läsion soll nicht
gefährlich sein. Ich werde eine vortreffliche Kur machen, und der
Herr Graf wird sich künftig, sooft er sich im Spiegel besieht, bei der
Schmarre mit Achtung seines geschickten Chirurgi, seines Breme von
Bremenfeld erinnern.
Karoline.
Die arme Gräfin! Wenn sie nur nicht schon morgen käme.
Breme.
Desto besser! Und wenn sie den übeln Zustand des Patienten mit Augen
sieht, wird sie, wenn die Kur vollbracht ist, desto mehr Ehrfurcht für
meine Kunst empfinden. Standespersonen müssen auch wissen, dass sie
und ihre Kinder Menschen sind; man kann sie nicht genug empfinden
machen, wie verehrungswürdig ein Mann ist, der ihnen in ihren Nöten
beisteht, denen sie wie alle Kinder Adams unterworfen sind, besonders
ein Chirurgus. Ich sage dir, mein Kind, ein Chirurgus ist der
verehrungswürdigste Mann auf dem ganzen Erdboden. Der Theolog befreit
dich von der Sünde, die er selbst erfunden hat; der Jurist gewinnt dir
deinen Prozess und bringt deinen Gegner, der gleiches Recht hat, an
den Bettelstab; der Medikus kuriert dir eine Krankheit weg, die andere
herbei, und du kannst nie recht wissen, ob er dir genutzt oder
geschadet hat: Der Chirurgus aber befreit dich von einem reellen Übel,
das du dir selbst zugezogen hast, oder das dir zufällig und
unverschuldet über den Hals kommt; er nutzt dir, schadet keinem
Menschen, und du kannst dich unwidersprechlich überzeugen, dass seine
Kur gelungen ist.
Karoline.
Freilich auch, wenn sie nicht gelungen ist.
Breme.
Das lehrt dich den Pfuscher vom Meister unterscheiden. Freue dich,
meine Tochter, dass du einen solchen Meister zum Vater hast: Für ein
wohl denkendes Kind ist nichts ergötzlicher, als sich seiner Eltern
und Großeltern zu freuen.
Karoline (sie nachahmend).
Das tu' ich, mein Vater.
Breme (sie nachahmend).
Das tust du, mein Töchterchen, mit einem betrübten Gesichtchen und
weinerlichen Tone.--Das soll doch wohl keine Freude vorstellen?
Karoline.
Ach, mein Vater!
Breme.
Was hast du, mein Kind?
Karoline.
Ich muss es Ihnen gleich sagen.
Breme.
Was hast du?
Karoline.
Sie wissen, der Baron hat diese Tage her sehr freundlich, sehr
zärtlich mit mir getan; ich sagt' es Ihnen gleich und fragte Sie um
Rat.
Breme.
Du bist ein vortreffliches Mädchen! Wert, als eine Prinzessin, eine
Königin aufzutreten.
Karoline.
Sie rieten mir, auf meiner Hut zu sein, auf mich wohl Acht zu haben,
aber auch auf ihn; mir nichts zu vergeben, aber auch ein Glück, wenn
es mich aufsuchen sollte, nicht von mir zu stoßen. Ich habe mich
gegen ihn betragen, dass ich mir keine Vorwürfe zu machen habe; aber
er--
Breme.
Rede, mein Kind, rede!
Karoline.
O, es ist abscheulich. Wie frech, wie verwegen!--
Breme.
Wie? (Nach einer Pause.) Sage mir nichts, meine Tochter, du kennst
mich, ich bin eines hitzigen Temperaments, ein alter Soldat; ich würde
mich nicht fassen können, ich würde einen tollen Streich machen.
Karoline.
Sie können es hören, mein Vater, ohne zu zürnen; ich darf es sagen,
ohne rot zu werden. Er hat meine Freundlichkeit übel ausgelegt, er
hat sich in Ihrer Abwesenheit, nachdem Luise auf das Schloss geeilt
war, hier ins Haus geschlichen. Er war verwegen, aber ich wies ihn
zurechte. Ich trieb ihn fort, und ich darf wohl sagen: Seit diesem
Augenblick haben sich meine Gesinnungen gegen ihn geändert. Er schien
mir liebenswürdig, als er gut war, als ich glauben konnte, dass er es
gut mit mir meine; jetzt kommt er mir vor: Schlimmer als jeder andere.
Ich werde Ihnen alles, wie bisher, erzählen, alles gestehen und mich
Ihrem Rat ganz allein überlassen.
Breme.
Welch ein Mädchen! Welch ein vortreffliches Mädchen! O, ich
beneidenswerter Vater! Wartet nur, Herr Baron, wartet nur! Die Hunde
werden von der Kette loskommen und den Füchsen den Weg zum
Taubenschlag verrennen. Ich will nicht Breme heißen, nicht den Namen
Bremenfeld verdienen, wenn in kurzem nicht alles anders werden soll.
Karoline.
Erzürnt Euch nicht, mein Vater!
Breme.
Du gibst mir ein neues Leben, meine Tochter; ja, fahre fort, deinen
Stand durch deine Tugend zu zieren, gleiche in allem deiner
vortrefflichen Urgroßmutter, der seligen Burgemeisterin von Bremenfeld.
Diese würdige Frau war durch Sittsamkeit die Ehre ihres Geschlechts
und durch Verstand die Stütze ihres Gemahls. Betrachte dieses Bild
jeden Tag, jede Stunde, ahme sie nach und werde verehrungswürdig wie
sie! (Karoline sieht das Bild an und lacht.) Was lachst du, meine
Tochter?
Karoline.
Ich will meiner Urgroßmutter gern in allem Guten folgen, wenn ich mich
nur nicht anziehen soll wie sie. Ha, ha, ha! Sehn Sie nur, so oft ich
das Bild ansehe, muss ich lachen, ob ich es gleich alle Tage vor Augen
habe, ha, ha, ha! Sehn Sie nur das Häubchen, dass wie
Fledermausflügel vom Kopf los steht.
Breme.
Nun, nun! Zu ihrer Zeit lachte niemand darüber, und wer weiß, wer
über euch künftig lacht, wenn er euch gemalt sieht; denn ihr seid sehr
selten angezogen und aufgeputzt, dass ich sagen möchte, ob du gleich
meine hübsche Tochter bist: Sie gefällt mir! Gleiche dieser
vortrefflichen Frau an Tugenden und kleide dich mit besserm Geschmack,
so hab' ich nichts dagegen, vorausgesetzt, dass, wie sie sagen, der
gute Geschmack nicht teurer ist als der schlechte. Übrigens dächt'
ich, du gingst zu Bette; denn es ist spät.
Karoline.
Wollen Sie nicht noch Kaffee trinken? Das Wasser siedet, er ist
gleich gemacht.
Breme.
Setze nur alles zurechte, schütte den gemahlenen Kaffee in die Kanne,
das heiße Wasser will ich selbst darüber gießen.
Karoline.
Gute Nacht, mein Vater! (Geht ab.)
Breme.
Schlaf wohl, mein Kind.

Fünfter Auftritt
Breme allein.
Dass auch das Unglück just diese Nacht geschehen musste! Ich hatte
alles klüglich eingerichtet, meine Einteilung der Zeit als ein echter
Praktikus gemacht. Bis gegen Mitternacht hatten wir zusammen
geschwatzt, da war alles ruhig; nachher wollte ich meine Tasse Kaffee
trinken, meine bestellten Freunde sollten kommen zu der
geheimnisvollen Überlegung. Nun hat's der Henker! Alles ist in
Unruhe. Sie wachen im Schloss, dem Kinde Umschläge aufzulegen. Wer
weiß, wo sich der Baron herumdrückt, um meiner Tochter aufzupassen.
Beim Amtmann seh' ich Licht, bei dem verwünschten Kerl, den ich am
meisten scheue. Wenn wir entdeckt werden, so kann der größte,
schönste, erhabenste Gedanke, der auf mein ganzes Vaterland Einfluss
haben soll, in der Geburt erstickt werden. (Er geht ans Fenster.) Ich
höre jemand kommen; die Würfel sind geworfen, wir müssen nun die
Steine setzen; ein alter Soldat darf sich vor nichts fürchten. Bin
ich denn nicht bei dem großen unüberwindlichen Fritz in die Schule
gegangen?

Sechster Auftritt
Breme. Martin.
Breme.
Seid Ihr's, Gevatter Martin?
Martin.
Ja, lieber Gevatter Breme, das bin ich. Ich habe mich ganz stille
aufgemacht, wie die Glocke zwölfe schlug, und bin hergekommen; aber
ich habe noch Lärm gehört und hin und wider gehen, und da bin ich im
Garten einige Mal auf und ab geschlichen, bis alles ruhig war. Sagt
mir nur, was Ihr wollt, Gevatter Breme, dass wir so spät bei Euch
zusammenkommen, in der Nacht; könnten wir's denn nicht bei Tage
abmachen?
Breme.
Ihr sollt alles erfahren, nur müsst Ihr Geduld haben, bis die andern
alle beisammen sind.
Martin.
Wer soll denn noch alles kommen?
Breme.
Alle unsere guten Freunde, alle vernünftigen Leute. Außer Euch, der
Ihr Schulze von dem Ort hier seid, kommt noch Peter, der Schulze von
Rosenhahn, und Albert, der Schulze von Wiesengruben; ich hoffe, auch
Jakob wird kommen, der das hübsche Freigut besitzt. Dann sind recht
ordentliche und vernünftige Leute beisammen, die schon was ausmachen
können.
Martin.
Gevatter Breme, Ihr seid ein wunderlicher Mann; es ist Euch alles eins,
Nacht und Tag, Tag und Nacht, Sommer und Winter.
Breme.
Ja, wenn das auch nicht so wäre, könnte nichts Rechts werden. Wachen
oder Schlafen, das ist mir auch ganz gleich. Es war nach der Schlacht
bei Leuthen, wo unsere Lazarette sich in schlechtem Zustande befanden
und sich wahrhaftig noch in schlechterem Zustande befunden hätten,
wäre Breme nicht damals ein junger rüstiger Bursche gewesen. Da lagen
viele Blessierte, viele Kranke, und alle Feldscherer waren alt und
verdrossen, aber Breme ein junger tüchtiger Kerl, Tag und Nacht parat.
Ich sag' Euch, Gevatter, dass ich acht Nächte nacheinander weg
gewacht und am Tage nicht geschlafen habe. Das merkte sich aber auch
der alte Fritz, der alles wusste, was er wissen wollte. Höre Er,
Breme, sagte er einmal, als er in eigner Person das Lazarett
visitierte, höre Er, Breme, man sagt, dass Er an der Schlaflosigkeit
krank liege.--Ich merkte, wo das hinaus wollte; denn die andern
stunden alle dabei; ich fasste mich und sagte: Ihro Majestät, das ist
eine Krankheit, wie ich sie allen Ihren Dienern wünsche, und da sie
keine Mattigkeit zurücklässt, und ich den Tag auch noch brauchbar bin,
so hoffe ich, dass Seine Majestät deswegen keine Ungnade auf mich
werfen werden.
Martin.
Ei, ei! Wie nahm denn das der König auf?
Breme.
Er sah ganz ernsthaft aus, aber ich sah ihm wohl an, dass es ihm wohl
gefiel. Breme, sagte er, womit vertreibt Er sich denn die Zeit?
Da fasst' ich mir wieder ein Herz und sagte: Ich denke an das, was
Ihro Majestät getan haben und noch tun werden, und da könnt' ich
Methusalems Jahre erreichen und immer fort wachen und könnt's doch
nicht ausdenken. Da tat er, als hört' er's nicht, und ging vorbei.
Nun war's wohl acht Jahre darnach, da fasst' er mich bei der Revue
wieder ins Auge. Wacht Er noch immer, Breme? reif er. Ihro
Majestät, versetzt' ich, lassen einem ja im Frieden so wenig Ruh
als im Kriege. Sie tun immer so große Sachen, dass sich ein
gescheiter Kerl daran zuschanden denkt.
Martin.
So habt Ihr mit dem König gesprochen, Gevatter? Durfte man so mit ihm
reden?
Breme.
Freilich durfte man so und noch ganz anders; denn er wusste alles
besser. Es war ihm einer wie der andere, und der Bauer lag ihm am
mehrsten am Herzen. Ich weiß wohl, sagte er zu seinen Ministern,
wenn sie ihm das und jenes einreden wollten, die Reichen haben viele
Advokaten, aber die Dürftigen haben nur einen, und das bin ich.
Martin.
Wenn ich ihn doch nur auch gesehen hätte!
Breme.
Stille, ich höre was! Es werden unsere Freunde sein. Sieh da! Peter
und Albert.

Siebenter Auftritt
Peter. Albert. Die Vorigen.
Breme.
Willkommen!--Ist Jakob nicht bei euch?
Peter.
Wir haben uns bei den drei Linden bestellt; aber er blieb uns zu lang
aus, nun sind wir allein da.
Albert.
Was habt Ihr uns Neues zu sagen, Meister Breme? Ist was von Wetzlar
gekommen, geht der Prozess vorwärts?
Breme.
Eben weil nichts gekommen ist, und weil, wenn was gekommen wäre, es
auch nicht viel heißen würde, so wollt' ich euch eben einmal meine
Gedanken sagen: Denn ihr wisst wohl, ich nehme mich der Sachen aller,
aber nicht öffentlich, an, bis jetzt nicht öffentlich; denn ich darf's
mit der gnädigen Herrschaft nicht ganz verderben.
Peter.
Ja, wir verdürben's auch nicht gern mit ihr, wenn sie's nur halbweg
leidlich machte.
Breme.
Ich wollte euch sagen--wenn nur Jakob da wäre, dass wir alle zusammen
wären, und dass ich nichts wiederholen müsste, und wir einig würden.
Albert.
Jakob? Es ist fast besser, dass er nicht dabei ist. Ich traue ihm
nicht recht; er hat das Freigütchen, und wenn er auch wegen der Zinsen
mit uns gleiches Interesse hat, so geht ihn doch die Straße nichts an,
und er hat sich im ganzen Prozess gar zu lässig bewiesen.
Breme.
Nun, so lasst's gut sein. Setzt euch und hört mich an. (Sie setzen
sich.)
Martin.
Ich bin recht neugierig, zu hören.
Breme.
Ihr wisst, dass die Gemeinden schon vierzig Jahre lang mit der
Herrschaft einen Prozess führen, der auf langen Umwegen endlich nach
Wetzlar gelangt ist und von dort den Weg nicht zurückfinden kann. Der
Gutsherr verlangt Fronen und andere Dienste, die ihr verweigert, und
mit Recht verweigert; denn es ist ein Rezess geschlossen worden mit
dem Großvater unsers jungen Grafen--Gott erhalt' ihn!--Der sich diese
Nacht eine erschreckliche Brausche gefallen hat.
Martin.
Eine Brausche?
Peter.
Gerade diese Nacht?
Albert.
Wie ist das zugegangen?
Martin.
Das arme liebe Kind!
Breme.
Das will ich euch nachher erzählen. Nun hört mich weiter an. Nach
diesem geschlossenen Rezess überließen die Gemeinden an die Herrschaft
ein paar Fleckchen Holz, einige Wiesen, einige Triften und sonst noch
Kleinigkeiten, die euch von keiner Bedeutung waren und der Herrschaft
viel nutzten; denn man sieht, der alte Graf war ein kluger Herr, aber
auch ein guter Herr. Leben und leben lassen, war sein Spruch. Er
erließ den Gemeinden dagegen einige zu entbehrende Fronen und--
Albert.
Und das sind die, die wir noch immer leisten müssen.
Breme.
Und machte ihnen einige Konvenienzen--
Martin.
Die wir noch nicht genießen.
Breme.
Richtig, weil der Graf starb, die Herrschaft sich in Besitz dessen
setzte, was ihr zugestanden war, der Krieg einfiel, und die Untertanen
noch mehr tun mussten, als sie vorher getan hatten.
Peter.
Es ist akkurat so; so hab' ich's mehr als einmal aus des Advokaten
Munde gehört.
Breme.
Und ich weiß es besser als der Advokat, denn ich sehe weiter. Der
Sohn des Grafen, der verstorbene gnädige Herr, wurde eben um die Zeit
volljährig. Das war, bei Gott! Ein wilder böser Teufel, der wollte
nichts herausgeben und misshandelte euch ganz erbärmlich. Er war im
Besitz, der Rezess war fort und nirgends zu finden.
Albert.
Wäre nicht noch die Abschrift da, die unser verstorbener Pfarrer
gemacht hat, wir wüssten kaum etwas davon.
Breme.
Diese Abschrift ist euer Glück und euer Unglück. Diese Abschrift gilt
alles vor jedem billigen Menschen, vor Gericht gilt sie nichts.
Hättet ihr diese Abschrift nicht, so wäret ihr ungewiss in dieser
Sache. Hätte man diese Abschrift der Herrschaft nicht vorgelegt, so
wüsste man nicht, wie ungerecht sie denkt.
Martin.
Da müsst Ihr auch wieder billig sein. Die Gräfin leugnet nicht, dass
vieles für uns spricht; nur weigert sie sich, den Vergleich einzugehen,
weil sie, in Vormundschaft ihres Sohnes, sich nicht getraut, so etwas
abzuschließen.
Albert.
In Vormundschaft ihres Sohnes! Hat sie nicht den neuen Schlossflügel
bauen lassen, den er vielleicht sein Lebtage nicht bewohnt; denn er
ist nicht gern in dieser Gegend.
Peter.
Und besonders, da er nun eine Brausche gefallen hat.
Albert.
Hat sie nicht den großen Garten und die Wasserfälle anlegen lassen,
worüber ein paar Mühlen haben müssen weggekauft werden? Das getraut
sie sich alles in Vormundschaft zu tun, aber das Rechte, das Billige,
das getraut sie sich nicht.
Breme.
Albert, du bist ein wackerer Mann; so hör' ich gern reden, und ich
gestehe wohl, wenn ich von unserer gnädigen Gräfin manches Gute
genieße und deshalb mich für ihren untertänigen Diener bekenne, so
möcht' ich doch auch darin meinen König nachahmen und euer Sachwalter
sein.
Peter.
Das wäre recht schön. Macht nur, dass unser Prozess bald aus wird!
Breme.
Das kann ich nicht, das müsst ihr.
Peter.
Wie wäre denn das anzugreifen?
Breme.
Ihr guten Leute wisst nicht, dass alles in der Welt vorwärts geht,
dass heute möglich ist, was vor zehn Jahren nicht möglich war. Ihr
wisst nicht, was jetzt alles unternommen, was alles ausgeführt wird.
Martin.
O ja, wir wissen, dass in Frankreich jetzt wunderliches Zeug geschieht.
Peter.
Wunderliches und Abscheuliches!
Albert.
Wunderliches und Gutes.
Breme.
So recht, Albert, man muss das Beste wählen! Da sag' ich nun: Was
man in Güte nicht haben kann, soll man mit Gewalt nehmen.
Martin.
Sollte das gerade das beste sein?
Albert.
Ohne Zweifel.
Peter.
Ich dächte nicht.
Breme.
Ich muss euch sagen, Kinder: Jetzt oder niemals!
Albert.
Da dürft Ihr uns in Wiesengruben nicht viel vorschwatzen; dazu sind
wir fix und fertig. Unsere Leute wollten längst rebellern; ich habe
nur immer abgewehrt, weil mir Herr Breme immer sagte, es sei noch
nicht Zeit, und das ist ein gescheiter Mann, auf den ich Vertrauen
habe.
Breme.
Gratias, Gevatter, und ich sage euch: Jetzt ist es Zeit.
Albert.
Ich glaub's auch.
Peter.
Nehmt mir's nicht übel, das kann ich nicht einsehen; denn, wenn's gut
Aderlassen ist, gut Purgieren, gut Schröpfen, das steht im Kalender,
und darnach weiß ich mich zu richten; aber wenn's just gut Rebellern
sei, das, glaub' ich, ist viel schwerer zu sagen.
Breme.
Das muss unsereiner verstehen.
Albert.
Freilich versteht Ihr's.
Peter.
Aber sagt mir nur, woher's eigentlich kommt, dass Ihr's besser
versteht als andere gescheite Leute?
Breme (gravitätisch).
Erstlich, mein Freund, weil schon vom Großvater an meine Familie die
größten politischen Einsichten erwiesen. Hier dieses Bildnis zeigt
euch meinen Großvater Hermann Breme von Bremenfeld, der, wegen großer
und vorzüglicher verdienste zum Bürgermeister seiner Vaterstadt
erhoben, ihr die größten und wichtigsten Dienste geleistet hat. Dort
schwebt sein Andenken noch in Ehren und Segen, wenngleich boshafte,
pasquillantische Schauspieldichter seine großen Talente und gewisse
Eigenheiten, die er an sich haben mochte, nicht sehr glimpflich
behandelten. Seine tiefe Einsicht in die ganze politische und
militärische Lage von Europa wird ihm selbst von seinen Feinden nicht
abgesprochen.
Peter.
Es war ein hübscher Mann, er sieht recht wohlgenährt aus.
Breme.
Freilich genoss er ruhigere Tage als sein Enkel.
Martin.
Habt Ihr nicht auch das Bildnis Eures Vaters?
Breme.
Leider, nein! Doch muss ich euch sagen: Die Natur, indem sie meinen
You have read 1 text from German literature.
Next - Die Aufgeregten - 2
  • Parts
  • Die Aufgeregten - 1
    Total number of words is 4304
    Total number of unique words is 1297
    44.2 of words are in the 2000 most common words
    58.1 of words are in the 5000 most common words
    64.0 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Die Aufgeregten - 2
    Total number of words is 4224
    Total number of unique words is 1470
    43.4 of words are in the 2000 most common words
    58.2 of words are in the 5000 most common words
    64.1 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Die Aufgeregten - 3
    Total number of words is 4223
    Total number of unique words is 1362
    42.5 of words are in the 2000 most common words
    56.5 of words are in the 5000 most common words
    64.1 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Die Aufgeregten - 4
    Total number of words is 874
    Total number of unique words is 443
    53.6 of words are in the 2000 most common words
    65.0 of words are in the 5000 most common words
    69.6 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.