Deutschland. Ein Wintermärchen - 1

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Heinrich Heine
Deutschland. Ein Wintermärchen


VORWORT
Das nachstehende Gedicht schrieb ich im diesjährigen Monat Januar zu
Paris, und die freie Luft des Ortes wehete in manche Strophe weit
schärfer hinein, als mir eigentlich lieb war. Ich unterließ nicht,
schon gleich zu mildern und auszuscheiden, was mit dem deutschen Klima
unverträglich schien. Nichtsdestoweniger, als ich das Manuskript im
Monat März an meinen Verleger nach Hamburg schickte, wurden mir noch
mannigfache Bedenklichkeiten in Erwägung gestellt. Ich mußte mich dem
fatalen Geschäfte des Umarbeitens nochmals unterziehen, und da mag es
wohl geschehen sein, daß die ernsten Töne mehr als nötig abgedämpft
oder von den Schellen des Humors gar zu heiter überklingelt wurden.
Einigen nackten Gedanken habe ich im hastigen Unmut ihre Feigenblätter
wieder abgerissen, und zimperlich spröde Ohren habe ich vielleicht
verletzt. Es ist mir leid, aber ich tröste mich mit dem Bewußtsein,
daß größere Autoren sich ähnliche Vergehen zuschulden kommen ließen.
Des Aristophanes will ich zu solcher Beschönigung gar nicht erwähnen,
denn der war ein blinder Heide, und sein Publikum zu Athen hatte zwar
eine klassische Erziehung genossen, wußte aber wenig von Sittlichkeit.
Auf Cervantes und Molière könnte ich mich schon viel besser berufen;
und ersterer schrieb für den hohen Adel beider Kastilien, letzterer
für den großen König und den großen Hof von Versailles! Ach, ich
vergesse, daß wir in einer sehr bürgerlichen Zeit leben, und ich sehe
leider voraus, daß viele Töchter gebildeter Stände an der Spree, wo
nicht gar an der Alster, über mein armes Gedicht die mehr oder minder
gebogenen Näschen rümpfen werden! Was ich aber mit noch größerem
Leidwesen voraussehe, das ist das Zetern jener Pharisäer der
Nationalität, die jetzt mit den Antipathien der Regierungen Hand in
Hand gehen, auch die volle Liebe und Hochachtung der Zensur genießen
und in der Tagespresse den Ton angeben können, wo es gilt, jene
Gegner zu befehden, die auch zugleich die Gegner ihrer allerhöchsten
Herrschaften sind. Wir sind im Herzen gewappnet gegen das Mißfallen
dieser heldenmütigen Lakaien in schwarzrotgoldner Livree. Ich höre
schon ihre Bierstimmen: »Du lästerst sogar unsere Farben, Verächter
des Vaterlands, Freund der Franzosen, denen du den freien Rhein
abtreten willst!« Beruhigt euch. Ich werde eure Farben achten und
ehren, wenn sie es verdienen, wenn sie nicht mehr eine müßige oder
knechtische Spielerei sind. Pflanzt die schwarzrotgoldne Fahne auf
die Höhe des deutschen Gedankens, macht sie zur Standarte des freien
Menschtums, und ich will mein bestes Herzblut für sie hingeben.
Beruhigt euch, ich liebe das Vaterland ebensosehr wie ihr. Wegen
dieser Liebe habe ich dreizehn Lebensjahre im Exile verlebt, und
wegen ebendieser Liebe kehre ich wieder zurück ins Exil, vielleicht
für immer, jedenfalls ohne zu flennen oder eine schiefmäulige
Duldergrimasse zu schneiden. Ich bin der Freund der Franzosen, wie
ich der Freund aller Menschen bin, wenn sie vernünftig und gut sind,
und weil ich selber nicht so dumm oder so schlecht bin, als daß ich
wünschen sollte, daß meine Deutschen und die Franzosen, die beiden
auserwählten Völker der Humanität, sich die Hälse brächen zum Besten
von England und Rußland und zur Schadenfreude aller Junker und Pfaffen
dieses Erdballs. Seid ruhig, ich werde den Rhein nimmermehr den
Franzosen abtreten, schon aus dem ganz einfachen Grunde: weil mir der
Rhein gehört. Ja, mir gehört er, durch unveräußerliches Geburtsrecht,
ich bin des freien Rheins noch weit freierer Sohn, an seinem Ufer
stand meine Wiege, und ich sehe gar nicht ein, warum der Rhein
irgendeinem andern gehören soll als den Landeskindern. Elsaß und
Lothringen kann ich freilich dem deutschen Reiche nicht so leicht
einverleiben, wie ihr es tut, denn die Leute in jenen Landen hängen
fest an Frankreich wegen der Rechte, die sie durch die französische
Staatsumwälzung gewonnen, wegen jener Gleichheitsgesetze und freien
Institutionen, die dem bürgerlichen Gemüte sehr angenehm sind, aber
dem Magen der großen Menge dennoch vieles zu wünschen übriglassen.
Indessen, die Elsasser und Lothringer werden sich wieder an
Deutschland anschließen, wenn wir das vollenden, was die Franzosen
begonnen haben, wenn wir diese überflügeln in der Tat, wie wir es
schon getan im Gedanken, wenn wir uns bis zu den letzten Folgerungen
desselben emporschwingen, wenn wir die Dienstbarkeit bis in ihrem
letzten Schlupfwinkel, dem Himmel, zerstören, wenn wir den Gott, der
auf Erden im Menschen wohnt, aus seiner Erniedrigung retten, wenn wir
die Erlöser Gottes werden, wenn wir das arme, glückenterbte Volk und
den verhöhnten Genius und die geschändete Schönheit wieder in ihre
Würde einsetzen, wie unsere großen Meister gesagt und gesungen und wie
wir es wollen, wir, die Jünger - ja, nicht bloß Elsaß und Lothringen,
sondern ganz Frankreich wird uns alsdann zufallen, ganz Europa, die
ganze Welt - die ganze Welt wird deutsch werden! Von dieser Sendung
und Universalherrschaft Deutschlands träume ich oft, wenn ich unter
Eichen wandle. Das ist _mein_ Patriotismus.
Ich werde in einem nächsten Buche auf dieses Thema zurückkommen, mit
letzter Entschlossenheit, mit strenger Rücksichtslosigkeit, jedenfalls
mit Loyalität. Den entschiedensten Widerspruch werde ich zu achten
wissen, wenn er aus einer Überzeugung hervorgeht. Selbst der rohesten
Feindseligkeit will ich alsdann geduldig verzeihen; ich will sogar der
Dummheit Rede stehen, wenn sie nur ehrlich gemeint ist. Meine ganze
schweigende Verachtung widme ich hingegen dem gesinnungslosen Wichte,
der aus leidiger Scheelsucht oder unsauberer Privatgiftigkeit meinen
guten Leumund in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen sucht und
dabei die Maske des Patriotismus, wo nicht gar die der Religion und
der Moral, benutzt. Der anarchische Zustand der deutschen politischen
und literarischen Zeitungsblätterwelt ward in solcher Beziehung
zuweilen mit einem Talente ausgebeutet, das ich schier bewundern
mußte. Wahrhaftig, Schufterle ist nicht tot, er lebt noch immer und
steht seit Jahren an der Spitze einer wohlorganisierten Bande von
literarischen Strauchdieben, die in den böhmischen Wäldern unserer
Tagespresse ihr Wesen treiben, hinter jedem Busch, hinter jedem Blatt,
versteckt liegen und dem leisesten Pfiff ihres würdigen Hauptmanns
gehorchen.
Noch ein Wort. Das »Wintermärchen« bildet den Schluß der »Neuen
Gedichte«, die in diesem Augenblick bei Hoffmann und Campe erscheinen.
Um den Einzeldruck veranstalten zu können, mußte mein Verleger das
Gedicht den überwachenden Behörden zu besonderer Sorgfalt überliefern,
und neue Varianten und Ausmerzungen sind das Ergebnis dieser höheren
Kritik.
Hamburg, den 17. September 1844 Heinrich Heine


CAPUT I
Im traurigen Monat November war's,
Die Tage wurden trüber,
Der Wind riß von den Bäumen das Laub,
Da reist ich nach Deutschland hinüber.
Und als ich an die Grenze kam,
Da fühlt ich ein stärkeres Klopfen
In meiner Brust, ich glaube sogar
Die Augen begunnen zu tropfen.
Und als ich die deutsche Sprache vernahm,
Da ward mir seltsam zumute;
Ich meinte nicht anders, als ob das Herz
Recht angenehm verblute.
Ein kleines Harfenmädchen sang.
Sie sang mit wahrem Gefühle
Und falscher Stimme, doch ward ich sehr
Gerühret von ihrem Spiele.
Sie sang von Liebe und Liebesgram,
Aufopfrung und Wiederfinden
Dort oben, in jener besseren Welt,
Wo alle Leiden schwinden.
Sie sang vom irdischen Jammertal,
Von Freuden, die bald zerronnen,
Vom Jenseits, wo die Seele schwelgt
Verklärt in ew'gen Wonnen.
Sie sang das alte Entsagungslied,
Das Eiapopeia vom Himmel,
Womit man einlullt, wenn es greint,
Das Volk, den großen Lümmel.
Ich kenne die Weise, ich kenne den Text,
Ich kenn auch die Herren Verfasser;
Ich weiß, sie tranken heimlich Wein
Und predigten öffentlich Wasser.
Ein neues Lied, ein besseres Lied,
O Freunde, will ich euch dichten!
Wir wollen hier auf Erden schon
Das Himmelreich errichten.
Wir wollen auf Erden glücklich sein,
Und wollen nicht mehr darben;
Verschlemmen soll nicht der faule Bauch,
Was fleißige Hände erwarben.
Es wächst hienieden Brot genug
Für alle Menschenkinder,
Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust,
Und Zuckererbsen nicht minder.
Ja, Zuckererbsen für jedermann,
Sobald die Schoten platzen!
Den Himmel überlassen wir
Den Engeln und den Spatzen.
Und wachsen uns Flügel nach dem Tod,
So wollen wir euch besuchen
Dort oben, und wir, wir essen mit euch
Die seligsten Torten und Kuchen.
Ein neues Lied, ein besseres Lied!
Es klingt wie Flöten und Geigen!
Das Miserere ist vorbei,
Die Sterbeglocken schweigen.
Die Jungfer Europa ist verlobt
Mit dem schönen Geniusse
Der Freiheit, sie liegen einander im Arm,
Sie schwelgen im ersten Kusse.
Und fehlt der Pfaffensegen dabei,
Die Ehe wird gültig nicht minder -
Es lebe Bräutigam und Braut,
Und ihre zukünftigen Kinder!
Ein Hochzeitkarmen ist mein Lied,
Das bessere, das neue!
In meiner Seele gehen auf
Die Sterne der höchsten Weihe -
Begeisterte Sterne, sie lodern wild,
Zerfließen in Flammenbächen -
Ich fühle mich wunderbar erstarkt,
Ich könnte Eichen zerbrechen!
Seit ich auf deutsche Erde trat,
Durchströmen mich Zaubersäfte -
Der Riese hat wieder die Mutter berührt,
Und es wuchsen ihm neu die Kräfte.

CAPUT II
Während die Kleine von Himmelslust
Getrillert und musizieret,
Ward von den preußischen Douaniers
Mein Koffer visitieret.
Beschnüffelten alles, kramten herum
In Hemden, Hosen, Schnupftüchern;
Sie suchten nach Spitzen, nach Bijouterien,
Auch nach verbotenen Büchern.
Ihr Toren, die ihr im Koffer sucht!
Hier werdet ihr nichts entdecken!
Die Konterbande, die mit mir reist,
Die hab ich im Kopfe stecken.
Hier hab ich Spitzen, die feiner sind
Als die von Brüssel und Mecheln,
Und pack ich einst meine Spitzen aus,
Sie werden euch sticheln und hecheln.
Im Kopfe trage ich Bijouterien,
Der Zukunft Krondiamanten,
Die Tempelkleinodien des neuen Gotts,
Des großen Unbekannten.
Und viele Bücher trag ich im Kopf!
Ich darf es euch versichern,
Mein Kopf ist ein zwitscherndes Vogelnest
Von konfiszierlichen Büchern.
Glaubt mir, in Satans Bibliothek
Kann es nicht schlimmere geben;
Sie sind gefährlicher noch als die
Von Hoffmann von Fallersleben! -
Ein Passagier, der neben mir stand,
Bemerkte mir, ich hätte
Jetzt vor mir den preußischen Zollverein,
Die große Douanenkette.
»Der Zollverein« - bemerkte er -
»Wird unser Volkstum begründen,
Er wird das zersplitterte Vaterland
Zu einem Ganzen verbinden.
Er gibt die äußere Einheit uns,
Die sogenannt materielle;
Die geistige Einheit gibt uns die Zensur,
Die wahrhaft ideelle -
Sie gibt die innere Einheit uns,
Die Einheit im Denken und Sinnen;
Ein einiges Deutschland tut uns not,
Einig nach außen und innen.«

CAPUT III
Zu Aachen, im alten Dome, liegt
Carolus Magnus begraben.
(Man muß ihn nicht verwechseln mit Karl
Mayer, der lebt in Schwaben.)
Ich möchte nicht tot und begraben sein
Als Kaiser zu Aachen im Dome;
Weit lieber lebt' ich als kleinster Poet
Zu Stukkert am Neckarstrome.
Zu Aachen langweilen sich auf der Straß'
Die Hunde, sie flehn untertänig:
»Gib uns einen Fußtritt, o Fremdling, das wird
Vielleicht uns zerstreuen ein wenig.«
Ich bin in diesem langweil'gen Nest
Ein Stündchen herumgeschlendert.
Sah wieder preußisches Militär,
Hat sich nicht sehr verändert.
Es sind die grauen Mäntel noch
Mit dem hohen, roten Kragen -
(Das Rot bedeutet Franzosenblut,
Sang Körner in früheren Tagen.)
Noch immer das hölzern pedantische Volk,
Noch immer ein rechter Winkel
In jeder Bewegung, und im Gesicht
Der eingefrorene Dünkel.
Sie stelzen noch immer so steif herum,
So kerzengerade geschniegelt,
Als hätten sie verschluckt den Stock,
Womit man sie einst geprügelt.
Ja, ganz verschwand die Fuchtel nie,
Sie tragen sie jetzt im Innern;
Das trauliche Du wird immer noch
An das alte Er erinnern.
Der lange Schnurrbart ist eigentlich nur
Des Zopftums neuere Phase:
Der Zopf, der ehmals hinten hing,
Der hängt jetzt unter der Nase.
Nicht übel gefiel mir das neue Kostüm
Der Reuter, das muß ich loben,
Besonders die Pickelhaube, den Helm
Mit der stählernen Spitze nach oben.
Das ist so rittertümlich und mahnt
An der Vorzeit holde Romantik,
An die Burgfrau Johanna von Montfaucon,
An den Freiherrn Fouqué, Uhland, Tieck.
Das mahnt an das Mittelalter so schön,
An Edelknechte und Knappen,
Die in dem Herzen getragen die Treu
Und auf dem Hintern ein Wappen.
Das mahnt an Kreuzzug und Turnei,
An Minne und frommes Dienen,
An die ungedruckte Glaubenszeit,
Wo noch keine Zeitung erschienen.
Ja, ja, der Helm gefällt mir, er zeugt
Vom allerhöchsten Witze!
Ein königlicher Einfall war's!
Es fehlt nicht die Pointe, die Spitze!
Nur fürcht ich, wenn ein Gewitter entsteht,
Zieht leicht so eine Spitze
Herab auf euer romantisches Haupt
Des Himmels modernste Blitze! - -
Zu Aachen, auf dem Posthausschild,
Sah ich den Vogel wieder,
Der mir so tief verhaßt! Voll Gift
Schaute er auf mich nieder.
Du häßlicher Vogel, wirst du einst
Mir in die Hände fallen,
So rupfe ich dir die Federn aus
Und hacke dir ab die Krallen.
Du sollst mir dann, in luft'ger Höh',
Auf einer Stange sitzen,
Und ich rufe zum lustigen Schießen herbei
Die rheinischen Vogelschützen.
Wer mir den Vogel herunterschießt,
Mit Zepter und Krone belehn ich
Den wackern Mann! Wir blasen Tusch
Und rufen: »Es lebe der König!«

CAPUT IV
Zu Köllen kam ich spätabends an,
Da hörte ich rauschen den Rheinfluß,
Da fächelte mich schon deutsche Luft,
Da fühlt ich ihren Einfluß -
Auf meinen Appetit. Ich aß
Dort Eierkuchen mit Schinken,
Und da er sehr gesalzen war,
Mußt ich auch Rheinwein trinken.
Der Rheinwein glänzt noch immer wie Gold
Im grünen Römerglase,
Und trinkst du etwelche Schoppen zuviel,
So steigt er dir in die Nase.
In die Nase steigt ein Prickeln so süß,
Man kann sich vor Wonne nicht lassen!
Es trieb mich hinaus in die dämmernde Nacht,
In die widerhallenden Gassen.
Die steinernen Häuser schauten mich an,
Als wollten sie mir berichten
Legenden aus altverschollener Zeit,
Der heil'gen Stadt Köllen Geschichten.
Ja, hier hat einst die Klerisei
Ihr frommes Wesen getrieben,
Hier haben die Dunkelmänner geherrscht,
Die Ulrich von Hutten beschrieben.
Der Cancan des Mittelalters ward hier
Getanzt von Nonnen und Mönchen;
Hier schrieb Hochstraaten, der Menzel von Köln,
Die gift'gen Denunziatiönchen.
Die Flamme des Scheiterhaufens hat hier
Bücher und Menschen verschlungen;
Die Glocken wurden geläutet dabei
Und Kyrie eleison gesungen.
Dummheit und Bosheit buhlten hier
Gleich Hunden auf freier Gasse;
Die Enkelbrut erkennt man noch heut
An ihrem Glaubenshasse. -
Doch siehe! dort im Mondenschein
Den kolossalen Gesellen!
Er ragt verteufelt schwarz empor,
Das ist der Dom von Köllen.
Er sollte des Geistes Bastille sein,
Und die listigen Römlinge dachten:
In diesem Riesenkerker wird
Die deutsche Vernunft verschmachten!
Da kam der Luther, und er hat
Sein großes »Halt!« gesprochen -
Seit jenem Tage blieb der Bau
Des Domes unterbrochen.
Er ward nicht vollendet - und das ist gut.
Denn eben die Nichtvollendung
Macht ihn zum Denkmal von Deutschlands Kraft
Und protestantischer Sendung.
Ihr armen Schelme vom Domverein,
Ihr wollt mit schwachen Händen
Fortsetzen das unterbrochene Werk,
Und die alte Zwingburg vollenden!
O törichter Wahn! Vergebens wird
Geschüttelt der Klingelbeutel,
Gebettelt bei Ketzern und Juden sogar;
Ist alles fruchtlos und eitel.
Vergebens wird der große Franz Liszt
Zum Besten des Doms musizieren,
Und ein talentvoller König wird
Vergebens deklamieren!
Er wird nicht vollendet, der Kölner Dom,
Obgleich die Narren in Schwaben
Zu seinem Fortbau ein ganzes Schiff
Voll Steine gesendet haben.
Er wird nicht vollendet, trotz allem Geschrei
Der Raben und der Eulen,
Die, altertümlich gesinnt, so gern
In hohen Kirchtürmen weilen.
Ja, kommen wird die Zeit sogar,
Wo man, statt ihn zu vollenden,
Die inneren Räume zu einem Stall
Für Pferde wird verwenden.
»Und wird der Dom ein Pferdestall,
Was sollen wir dann beginnen
Mit den Heil'gen Drei Kön'gen, die da ruhn
Im Tabernakel da drinnen?«
So höre ich fragen. Doch brauchen wir uns
In unserer Zeit zu genieren?
Die Heil'gen Drei Kön'ge aus Morgenland,
Sie können woanders logieren.
Folgt meinem Rat und steckt sie hinein
In jene drei Körbe von Eisen,
Die hoch zu Münster hängen am Turm,
Der Sankt Lamberti geheißen.
Der Schneiderkönig saß darin
Mit seinen beiden Räten,
Wir aber benutzen die Körbe jetzt
Für andre Majestäten.
Zur Rechten soll Herr Balthasar,
Zur Linken Herr Melchior schweben,
In der Mitte Herr Gaspar - Gott weiß, wie einst
Die drei gehaust im Leben!
Die Heil'ge Allianz des Morgenlands,
Die jetzt kanonisieret,
Sie hat vielleicht nicht immer schön
Und fromm sich aufgeführet.
Der Balthasar und der Melchior,
Das waren vielleicht zwei Gäuche,
Die in der Not eine Konstitution
Versprochen ihrem Reiche,
Und später nicht Wort gehalten - Es hat
Herr Gaspar, der König der Mohren,
Vielleicht mit schwarzem Undank sogar
Belohnt sein Volk, die Toren!

CAPUT V
Und als ich an die Rheinbrück' kam,
Wohl an die Hafenschanze,
Da sah ich fließen den Vater Rhein
Im stillen Mondenglanze.
»Sei mir gegrüßt, mein Vater Rhein,
Wie ist es dir ergangen?
Ich habe oft an dich gedacht
Mit Sehnsucht und Verlangen.«
So sprach ich, da hört ich im Wasser tief
Gar seltsam grämliche Töne,
Wie Hüsteln eines alten Manns,
Ein Brümmeln und weiches Gestöhne:
»Willkommen, mein Junge, das ist mir lieb,
Daß du mich nicht vergessen;
Seit dreizehn Jahren sah ich dich nicht,
Mir ging es schlecht unterdessen.
Zu Biberich hab ich Steine verschluckt,
Wahrhaftig, sie schmeckten nicht lecker!
Doch schwerer liegen im Magen mir
Die Verse von Niklas Becker.
Er hat mich besungen, als ob ich noch
Die reinste Jungfer wäre,
Die sich von niemand rauben läßt
Das Kränzlein ihrer Ehre.
Wenn ich es höre, das dumme Lied,
Dann möcht ich mir zerraufen
Den weißen Bart, ich möchte fürwahr
Mich in mir selbst ersaufen!
Daß ich keine reine Jungfer bin,
Die Franzosen wissen es besser,
Sie haben mit meinem Wasser so oft
Vermischt ihr Siegergewässer.
Das dumme Lied und der dumme Kerl!
Er hat mich schmählich blamieret,
Gewissermaßen hat er mich auch
Politisch kompromittieret.
Denn kehren jetzt die Franzosen zurück,
So muß ich vor ihnen erröten,
Ich, der um ihre Rückkehr so oft
Mit Tränen zum Himmel gebeten.
Ich habe sie immer so liebgehabt,
Die lieben kleinen Französchen -
Singen und springen sie noch wie sonst?
Tragen noch weiße Höschen?
Ich möchte sie gerne wiedersehn,
Doch fürcht ich die Persiflage,
Von wegen des verwünschten Lieds,
Von wegen der Blamage.
Der Alfred de Musset, der Gassenbub',
Der kommt an ihrer Spitze
Vielleicht als Tambour, und trommelt mir vor
All seine schlechten Witze.«
So klagte der arme Vater Rhein,
Konnt sich nicht zufriedengeben.
Ich sprach zu ihm manch tröstendes Wort,
Um ihm das Herz zu heben:
»O fürchte nicht, mein Vater Rhein,
Den spöttelnden Scherz der Franzosen;
Sie sind die alten Franzosen nicht mehr,
Auch tragen sie andere Hosen.
Die Hosen sind rot und nicht mehr weiß,
Sie haben auch andere Knöpfe,
Sie singen nicht mehr, sie springen nicht mehr,
Sie senken nachdenklich die Köpfe.
Sie philosophieren und sprechen jetzt
Von Kant, von Fichte und Hegel,
Sie rauchen Tabak, sie trinken Bier,
Und manche schieben auch Kegel.
Sie werden Philister ganz wie wir,
Und treiben es endlich noch ärger;
Sie sind keine Voltairianer mehr,
Sie werden Hengstenberger.
Der Alfred de Musset, das ist wahr,
Ist noch ein Gassenjunge;
Doch fürchte nichts, wir fesseln ihm
Die schändliche Spötterzunge.
Und trommelt er dir einen schlechten Witz,
So pfeifen wir ihm einen schlimmern,
Wir pfeifen ihm vor, was ihm passiert
Bei schönen Frauenzimmern.
Gib dich zufrieden, Vater Rhein,
Denk nicht an schlechte Lieder,
Ein besseres Lied vernimmst du bald -
Leb wohl, wir sehen uns wieder.«

CAPUT VI
Den Paganini begleitete stets
Ein Spiritus familiaris,
Manchmal als Hund, manchmal in Gestalt
Des seligen Georg Harrys.
Napoleon sah einen roten Mann
Vor jedem wicht'gen Ereignis.
Sokrates hatte seinen Dämon,
Das war kein Hirnerzeugnis.
Ich selbst, wenn ich am Schreibtisch saß
Des Nachts, hab ich gesehen
Zuweilen einen vermummten Gast
Unheimlich hinter mir stehen.
Unter dem Mantel hielt er etwas
Verborgen, das seltsam blinkte,
Wenn es zum Vorschein kam, und ein Beil,
Ein Richtbeil, zu sein mir dünkte.
Er schien von untersetzter Statur,
Die Augen wie zwei Sterne;
Er störte mich im Schreiben nie,
Blieb ruhig stehn in der Ferne.
Seit Jahren hatte ich nicht gesehn
Den sonderbaren Gesellen,
Da fand ich ihn plötzlich wieder hier
In der stillen Mondnacht zu Köllen.
Ich schlenderte sinnend die Straßen entlang,
Da sah ich ihn hinter mir gehen,
Als ob er mein Schatten wäre, und stand
Ich still, so blieb er stehen.
Blieb stehen, als wartete er auf was,
Und förderte ich die Schritte,
Dann folgte er wieder. So kamen wir
Bis auf des Domplatz' Mitte.
Es ward mir unleidlich, ich drehte mich um
Und sprach: »Jetzt steh mir Rede,
Was folgst du mir auf Weg und Steg
Hier in der nächtlichen Öde?
Ich treffe dich immer in der Stund',
Wo Weltgefühle sprießen
In meiner Brust und durch das Hirn
Die Geistesblitze schießen.
Du siehst mich an so stier und fest -
Steh Rede: Was verhüllst du
Hier unter dem Mantel, das heimlich blinkt?
Wer bist du und was willst du?«
Doch jener erwiderte trockenen Tons,
Sogar ein bißchen phlegmatisch:
»Ich bitte dich, exorziere mich nicht,
Und werde nur nicht emphatisch!
Ich bin kein Gespenst der Vergangenheit,
Kein grabentstiegener Strohwisch,
Und von Rhetorik bin ich kein Freund,
Bin auch nicht sehr philosophisch.
Ich bin von praktischer Natur,
Und immer schweigsam und ruhig.
Doch wisse: was du ersonnen im Geist,
Das führ ich aus, das tu ich.
Und gehn auch Jahre drüber hin,
Ich raste nicht, bis ich verwandle
In Wirklichkeit, was du gedacht;
Du denkst, und ich, ich handle.
Du bist der Richter, der Büttel bin ich,
Und mit dem Gehorsam des Knechtes
Vollstreck' ich das Urteil, das du gefällt,
Und sei es ein ungerechtes.
Dem Konsul trug man ein Beil voran
Zu Rom, in alten Tagen.
Auch du hast deinen Liktor, doch wird
Das Beil dir nachgetragen.
Ich bin dein Liktor, und ich geh
Beständig mit dem blanken
Richtbeile hinter dir - ich bin
Die Tat von deinem Gedanken.«

CAPUT VII
Ich ging nach Haus und schlief, als ob
Die Engel gewiegt mich hätten.
Man ruht in deutschen Betten so weich,
Denn das sind Federbetten.
Wie sehnt ich mich oft nach der Süßigkeit
Des vaterländischen Pfühles,
Wenn ich auf harten Matratzen lag,
In der schlaflosen Nacht des Exiles!
Man schläft sehr gut und träumt auch gut
In unseren Federbetten.
Hier fühlt die deutsche Seele sich frei
Von allen Erdenketten.
Sie fühlt sich frei und schwingt sich empor
Zu den höchsten Himmelsräumen.
O deutsche Seele, wie stolz ist dein Flug
In deinen nächtlichen Träumen!
Die Götter erbleichen, wenn du nahst!
Du hast auf deinen Wegen
Gar manches Sternlein ausgeputzt
Mit deinen Flügelschlägen!
Franzosen und Russen gehört das Land,
Das Meer gehört den Briten,
Wir aber besitzen im Luftreich des Traums
Die Herrschaft unbestritten.
Hier üben wir die Hegemonie,
Hier sind wir unzerstückelt;
Die andern Völker haben sich
Auf platter Erde entwickelt. - -
Und als ich einschlief, da träumte mir,
Ich schlenderte wieder im hellen
Mondschein die hallenden Straßen entlang,
In dem altertümlichen Köllen.
Und hinter mir ging wieder einher
Mein schwarzer, vermummter Begleiter.
Ich war so müde, mir brachen die Knie,
Doch immer gingen wir weiter.
Wir gingen weiter. Mein Herz in der Brust
War klaffend aufgeschnitten,
Und aus der Herzenswunde hervor
Die roten Tropfen glitten.
Ich tauchte manchmal die Finger hinein,
Und manchmal ist es geschehen,
Daß ich die Haustürpfosten bestrich
Mit dem Blut im Vorübergehen.
Und jedesmal, wenn ich ein Haus
Bezeichnet in solcher Weise,
Ein Sterbeglöckchen erscholl fernher,
Wehmütig wimmernd und leise.
Am Himmel aber erblich der Mond,
Er wurde immer trüber;
Gleich schwarzen Rossen jagten an ihm
Die wilden Wolken vorüber.
Und immer ging hinter mir einher
Mit seinem verborgenen Beile
Die dunkle Gestalt - so wanderten wir
Wohl eine gute Weile.
Wir gehen und gehen, bis wir zuletzt
Wieder zum Domplatz gelangen;
Weit offen standen die Pforten dort,
Wir sind hineingegangen.
Es herrschte im ungeheuren Raum
Nur Tod und Nacht und Schweigen;
Es brannten Ampeln hie und da,
Um die Dunkelheit recht zu zeigen.
Ich wandelte lange den Pfeilern entlang
Und hörte nur die Tritte
Von meinem Begleiter, er folgte mir
Auch hier bei jedem Schritte.
Wir kamen endlich zu einem Ort,
Wo funkelnde Kerzenhelle
Und blitzendes Gold und Edelstein;
Das war die Drei-Königs-Kapelle.
Die Heil'gen Drei Könige jedoch,
Die sonst so still dort lagen,
O Wunder! sie saßen aufrecht jetzt
Auf ihren Sarkophagen.
Drei Totengerippe, phantastisch geputzt,
Mit Kronen auf den elenden
Vergilbten Schädeln, sie trugen auch
Das Zepter in knöchernen Händen.
Wie Hampelmänner bewegten sie
Die längstverstorbenen Knochen;
Die haben nach Moder und zugleich
Nach Weihrauchduft gerochen.
Der eine bewegte sogar den Mund
Und hielt eine Rede, sehr lange;
Er setzte mir auseinander, warum
Er meinen Respekt verlange.
Zuerst weil er ein Toter sei,
Und zweitens weil er ein König,
Und drittens weil er ein Heil'ger sei -
Das alles rührte mich wenig.
Ich gab ihm zur Antwort lachenden Muts:
»Vergebens ist deine Bemühung!
Ich sehe, daß du der Vergangenheit
Gehörst in jeder Beziehung.
Fort! fort von hier! im tiefen Grab
Ist eure natürliche Stelle.
Das Leben nimmt jetzt in Beschlag
Die Schätze dieser Kapelle.
Der Zukunft fröhliche Kavallerie
Soll hier im Dome hausen,
Und weicht ihr nicht willig, so brauch ich Gewalt
Und laß euch mit Kolben lausen!«
So sprach ich, und ich drehte mich um,
Da sah ich furchtbar blinken
Des stummen Begleiters furchtbares Beil -
Und er verstand mein Winken.
Er nahte sich, und mit dem Beil
Zerschmetterte er die armen
Skelette des Aberglaubens, er schlug
Sie nieder ohn' Erbarmen.
Es dröhnte der Hiebe Widerhall
Aus allen Gewölben, entsetzlich! -
Blutströme schossen aus meiner Brust,
Und ich erwachte plötzlich.

CAPUT VIII
Von Köllen bis Hagen kostet die Post
Fünf Taler sechs Groschen preußisch.
Die Diligence war leider besetzt,
Und ich kam in die offene Beichais'.
Ein Spätherbstmorgen, feucht und grau,
Im Schlamme keuchte der Wagen;
Doch trotz des schlechten Wetters und Wegs
Durchströmte mich süßes Behagen.
Das ist ja meine Heimatluft!
Die glühende Wange empfand es!
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