Deutscher Mondschein - 2

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Amalia--was weiß ich?! Einerlei! Es ist entschieden--er hat Sie;
er hat Sie mit allem, was an Ihnen ist, dieser heimtückische,
hinterlistige Schleicher, der Mond, der deutsche Mooond! Sie fühlen
sich in der Stimmung, ihn Ihren Freund zu nennen, die Arme nach ihm
auszustrecken, eine Träne ihm hinzuweinen, und Sie sind ohne allen
weitern Zweifel grenzenlos blamiert.“
„Ja!“ sagte ich und nichts weiter. Der Kollege aber schwieg in
melancholischem Tiefsinn eine geraume Weile, bis er von neuem auf
und fortfuhr.
„Ich war Landbote, als während des Militärkonflikts Seine Majestät
unserem Ministerpräsidenten den berühmten, symbolischen Stock
schenkte; ich stimmte selbstverständlich mit der Majorität und jetzt
--jetzt im Jahre siebenundsechzig--habe ich ein Sonett--bedenken
Sie, ein Sonett!--ein Lobsonett auf den allverehrten Herrn
Ministerpräsidenten gemacht und dasselbige im Inseratenteil der
Nationalzeitung abdrucken lassen. Verstehen Sie mich und meine
Stellung zu dem Monde, dem deutschen Monde?“
„Vollkommen!“ sagte ich nach einigem Nachdenken.
„Dann kann ich mich kurz fassen und werde es tun. Man kennt--und
der Mond weiß es--einen passabel wohlklingenden, auf E oder A
auslaufenden Namen und die Trägerin natürlich dazu; oder man sucht
sofort nach einem solchen Namen und seiner Trägerin, und daß der Mond
bereitwilligst hilft, ihn und sie zu finden, versteht sich von
selber. Kein Kuppler bietet in derartigen Fällen eilfertiger und
geschickter seine Hand. O, er leuchtet uns auf den lyrischen
Dichter, mit welchem wir uns plötzlich mehr als wahlverwandt fühlen.
O, er scheint uns auf das Blatt, auf welchem wir selber der Muse die
Cour machen. O, er greint auf uns herab, wenn wir am Ausgange des
Ball, Konzert oder Theatersaales auf sie warten. O, o, o, er
geleitet uns später auch nach Hause, wenn die Alte nichts dagegen
einzuwenden hatte, daß wir sie dahin bringen. O, o, o, o, wer
versteht es besser als er, dem Esel, dem Menschen, heimzuleuchten?
Gleichgültig ist es, aber doch eine wohl aufzuwerfende Frage, ob auch er
die Schuld davon trage, wenn der Alte eines schönen Morgens ‚Ja!‘
sagt. Sind Sie auch verheiratet, Kollege?“
Die Frage drang so abrupt auf mich ein, daß sie mich fast vom Stuhle
warf und ich mich wahrhaftig erst einen Moment durch sammeln mußte,
ehe ich sie bejahend beantworten konnte.
„Wohl! Dann wollen wir über dieses Thema kein Wort weiter verlieren.
Ist er auch an der Alliteration schuld? Sehen Sie, da ist er und
guckt ins Fenster--die Wolken, auf welche Sie mich vorhin
vertrösteten, haben auch nichts gegen ihn vermocht. Die Wiesen
liegen im weißesten Lichte--o wie schön, wie wunderbar! Lieber
Kollege, wie reizend ist doch die Welt--wie großartig in Krieg und
Frieden! Poesie trieft von oben herab und sprießt von unter herauf!
Horchen Sie--hören Sie die Musik des ewigen Meeres! Die Wogen
tanzen den unsterblichen Tanz im deutschen Mondschein, weshalb
sollten wir nicht mittanzen? Meine Seele ist im harmonischen Fließen
der Welt ein Tropfen. Kollege, lassen Sie uns hinaustreten in die
holde Natur; es ist ein Sünde, in diesem dumpfen Gemache zu sitzen,
während Erde und Wasser da draußen vor dem Pavillon im deutschen
Mondschein so außerordentlich schön daliegen; kommen Sie, trinken
Sie aus, lassen Sie...“
„Sie fürchten nicht mehr...?“
„Was sollte ich fürchten? Liebster, guter Freund, das ist es ja
eben! Er siegt uns allen ob, und in seinem Lichte gewinnen wir alle
unsere Siege.“
„Auch die Schlacht bei Königgrätz?“
„Auch diese, was man auch dagegen einzuwenden haben mag. Und
künftige große und merkwürdige Siegesschlachten ebenfalls! Ach,
welche Luft, welches Licht! Bitte, lassen Sie uns noch einmal die
Düne besteigen, noch einen Blick auf das heilige Meer zu werfen.“
„Und nachher, mitten im Mondschein stehend, werden Sie mir weiter von
Ihrer Lebensentwicklung sprechen?“
„Gern, mit Vergnügen, sofort, obgleich es meiner Meinung nach doch
eigentlich gar nicht mehr nötig ist. Sehen Sie, Bester, das Faktum
steht ebenso fürchterlich wie behaglich fest--der Mond übermannt
dann und wann den königlich preußischen Justizbeamten Löhnefinke, und
letzterer hat zu guter Letzt selber nicht die geringsten Einwendungen
gegen den ihm aufgedrängten Rausch und Taumel zu erheben. Ja, ich
habe im deutschen Mondschein auch ein deutsches Mädchen gefunden,
mich mit Einwilligung der Eltern desselben demselben verlobt und es
später geheiratet. Heute noch befinde ich mich mit Zugabe einer
achtzehnjährigen Tochter im unangefochtenen Besitz, und vielleicht
kann ich nachher beide Damen Ihnen vorstellen.“
„Also--also Sie laufen wirklich nicht allein--nicht sich selber
überlassen hier auf Sylt herum?“
„Keineswegs. Ich wohne mit Weib und Kind dort in Westerland und bin
unter ihrer Aufsicht hierher ins Bad gekommen. Was denken Sie auch?“
„Entschuldigen Sie meine törichte Frage, Kollege. Dieses ist ein so
wunderbarer Abend, ein so erfreuliches Zusammentreffen, und eine so
überinteressante Unterhaltung, daß da alles zu entschuldigen ist.“
„Beruhigen Sie sich nur; wir verstehen uns vollkommen. Auch habe ich
Sie schon tagelang, unbemerkt von Ihnen, ins Auge gefaßt; als Mensch
fielen Sie mir auf, und den Juristen erkannte ich sofort in Ihnen,
und das Schicksal ließ mich vorhin nicht ohne Absicht und vollgütige
Berechtigung Ihnen in die Arme rutschen. Wir mußten uns heute abend
gegeneinander aussprechen; es gehört mit zur Kur und ist auch zum
großen Teil eine Wirkung des Salzwassers. Aber der Mond – ich muß
Sie immer von neuem auf diesen herrlichen Mond aufmerksam machen!
Ja, ich bin in seinen Banden und werde darin bleiben müssen, bis der
Tod mich erlöst. Kollege, durch ihn und mit Beihilfe der
gegenwärtigen Zeit und der Weltlage bin ich--der Poet in meiner
Familie geworden. Fassen Sie das ganz und begreifen Sie mich ganz,
sowohl in meiner Stimmung bei unserem Begegnen am Strande wie in
meinem augenblicklichen Geisteszustand.“
Löhnefinke der Poet in seiner Familie! Ich trat mehrere Schritte
zurück. Obgleich der tolle Mensch klar wie die Insel Sylt im
deutschen Mondenschein vor mir lag, frappierte mich das Wort doch.
Es war wie der Kanonenknall, der einen auch frappiert, trotzdem daß
man mit dem Lorgnette vor den Augen beobachtete, wie der Kanonier die
Lunte anblies.
„Ich, der Erbe so unendlicher Prosa“, fuhr der Kollege fort, „ich bin
besiegt von meinem Feinde und ihm jedesmal, wenn er über den Horizont
guckt, verfallen trotz allem Gesperr und Gezappel. Ich bin Idealist
in der Politik, Dichter in der Führung meines Haushalts. Ich sehe
die Zeit kommen, wo ich mein Abrechnungsbuch in Hexametern und Ottave
Rime führen werde. Ich schwärme für Gemüt und Gemütlichkeit in den
Vorgängen der Stunde, und--Kollege, Kollege!--ich werde von meinen
Weibern--meinen Damen nicht verstanden, nicht begriffen. Das ist
es, was meine Nerven zerrüttet und mich unter ihrer, meiner Damen,
Führung hieher nach Westerland gebracht hat, und jetzt lassen Sie uns
gefälligst nach Hause gehen, es wird allmählich sehr kühl.“
Er hatte mich untergefaßt--zärtlichst; und wir wandelten Arm in Arm
über die mondbeglänzte Heide von Sylt. Nimmer war ich in meinem
Leben mit einem so poetischen preußischen Kreisrichter Hüfte an Hüfte
geschritten. Er, dieser exaltierte Kollege, deklamierte laut, immer
lauter. Er zeigte eine wahrhaft staunenerregende Belesenheit in
deutscher und fremder Lyrik. Gedichte an den Mond wechselten mit
Hymnen auf die Freiheit und Schlachtliedern gegen alle möglichen und
unmöglichen Feinde. Tropische Landschafts-- und Stimmungsbilder
wechselten mit abgerissenen Strophen aus bekannten und unbekannten
Romanzen und Balladen jeglichen historischen und unhistorischen
Inhalts. Löhnefinke war göttlich, und sein Feind, der Mond, konnte
wirklich seine Freude an ihm haben; aber mehr als einem seiner und
meiner Vorgesetzten würde er in diesem Zustande nicht nur moralische,
sondern auch physische Übelkeit erregt haben. In der Ferne nordwärts
blinzelte das wechselnde Licht des Leuchtturms von Kampen wie das
Auge eines Spötters, der seine Umgebung auf irgend etwas
außergewöhnlich Drolliges aufmerksam macht. Die Schafe auf der
Heide, über deren Tüder, das heißt Haltestricke, wir stolperten,
standen auf, sahen uns verwundert an und staunend nach.
So kamen wir dem Dorfe Westerland immer näher, jedoch bevor wir es
erreichten, wurden wir angerufen und, der äußern Erscheinung und dem
Tone nach, auf die allerlieblichste Weise aus dem Traum, Nacht und
Mondscheinwandeln in die Wirklichkeit zurückgerissen. Vom Dache
konnten wir glücklicherweise beide nicht fallen.
Wie aus den Strahlen des Mondes gebildet, stand auf einer
Bodenanschwellung der Heide eine ungemein zierliche, graziöse
Mädchengestalt vor uns, und ein ganz reizendes Mädchengesichtchen
neigte sich im Mondenscheine wahrhaftig märchenhaft hübsch uns
entgegen. Daß der Kreisrichter Löhnefinke aus Groß-Fauhlenberge ein
reizendes Gesichtchen aufzuweisen gehabt habe, kann ich nicht sagen,
aber er besaß eine biedere, gewissermaßen auch joviale Visage, und
der Enthusiasmus der letzten Stunden hatte dieselbige sogar noch sehr
verschönert: um so heftiger mußte ich mich jetzo über den Ausdruck
verwundern, mit welchem er sein süßes Töchterchen ansah. Statt noch
heiterer und noch glücklicher zu werden, fielen plötzlich seine
sämtlichen Züge schlaff auseinander, um sich sofort zu einem Gewirr
verdrießlicher Falten zusammenzuziehen.
„Da bist du endlich, Papa? Na, das muß ich sagen!“ rief die
elfenhafte Huldin uns entgegentretend.
„Ja, da bin ich endlich“, brummte der Kollege, „und hier...“
Er vollendete nicht; denn die junge Dame schnitt ihm kurz das Wort
ab:
„Wir haben lange auf dich gewartet, Papa, und die Mama ist sehr
böse auf dich!“
„So? hm!“ brummte der Kollege, und „hm!“ sagte auch ich in der Tiefe
meiner Seele.
„Komm her, Helene, wir wollen zusammen heimgehen“, sprach der Vater
des schönen Kindes begütigend; allein die Elfe im Mondschein
entgegnete noch kürzer:
„Ich danke, Papa; ich werde mit der Mama gehen. Da kommt sie schon
und wird dir sagen, wie sie auf dich gewartet hat. Mama, hier ist
der Papa endlich!“
Ei freilich, er war in der Tat hier, der Vater Löhnefinke, und er
zitierte in diesem Augenblick keine deutschen Dichter und keine
auswärtigen mehr. Aber ebenfalls durch den deutschen Mondschein kam
die Mama heran, und zwar ziemlich rasch und energisch. Ich hätte mit
Vergnügen Abschied genommen und mich empfohlen, ehe sie uns
erreichte; doch der Kollege hielt meinen Arm mit einem wahren
Landdragonergriff fest und flüsterte:
„O, ich muß Sie vorstellen, Freund. Wo wollen Sie hin? O
Kollege,erlauben Sie, daß ich Sie meiner Gattin vorstelle!“
Was konnte ich anders ausdrücken als die größte Sehnsucht, auch die
Kollegin kennenzulernen?
Zwischen den ersten Häusern der Ortschaft Westerland vorschreitend,
hatte die Würdige uns jetzt erreicht und den Arm ihrer Tochter
genommen. Mich übersah sie zu Anfang natürlich vollständig und
widmete sich einzig und allein den Angelegenheiten der Familie:
„Also endlich, Löhnefinke?! Deine alte, gewohnte
Rücksichtslosigkeit! Aber ich sage dir, Löhnefinke...“
„Aber liebe Johanna, so sieh doch! Erlaube mir, dir hier meinen
Freund und Korrespondenten...“
So wird man nicht selten als spanische Wand zwischen den Zugwind und
den Lehnstuhl des Rheumatismuskranken geschoben! Die Vorstellung
fand statt, und ich fügte mich mit der mir angebornen Bonhomie in die
mir zugeteilte Rolle. Nach etlichem höflichen Wortaustausch
schritten wir vier nun doch miteinander den biedern, niedern,
friedlichen, friesischen Hütten zu, und wenn mir bis jetzt in den
Seelenzuständen meines Kollegen ein letzter Punkt dunkel geblieben
war, so wurde derselbe mir nun auf diesem kurzen Wege vollkommen
klar.
O, wie der Mond, der deutsche Mond auf die beiden Frauen und den
königlich preußischen Kreisrichter herunterlachte! O, er weiß sich
zu rächen, der deutsche Mond! Er hat seine Mittel, er kennt seine
Mittel, und er weiß seine Mittel zu gebrauchen! Mein Freund
Löhnefinke hat vollständig recht: es ist ein Elend, die Erbschaft von
Generationen, von Jahrhunderten antreten zu müssen, ohne vorher von
der Rechtswohltat des beneficii inventarii Gebrauch machen zu dürfen.
Es ist ein Jammer, jenen bleichen, ab- und zunehmenden Gesellen erst
nicht zu beachten, dann zu verachten und endlich seinem Einflusse ohne
erklecklichen Widerstand hingegeben zu werden und sich hinzugeben!
Man muß eben ein Mann--ein deutscher Mann und Beamter sein, um das
Entsetzliche im ganzen und vollen an sich zu erleben. Frau Johanne
und Fräulein Helene Löhnefinke, ohne je die Ansprüche des Mondes an
den Menschen berücksichtigt zu haben, hatten sich ganz auf die Seite
des Mondes gestellt und rächten ebenfalls ihn an seinem Verächter.
Es war nicht abzusehen, wieweit sie den Gatten und Vater noch
hinunterbringen konnten,--tief genug hinunter hatten sie ihn bereits
gebracht.
Als ich spät am Abend wieder bei meinem Bäcker saß, rauchte ich ein
halb Dutzend Pfeifen über den Erlebnissen und Erfahrungen des Tages
und kam gegen Mitternacht zu dem Entschluß, meinem augenblicklich in
Göttingen Mathematik studierenden Jungen ein Exemplar von Jean Paul
Friedrich Richters sämtlichen Werken zu seinem nächsten Geburststage
zu schenken.
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