Deutsche Humoristen, 1. Band (von 8) - 05

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Kok, nachher hab’ ich oft gedacht, in der gloriosen, leuchtenden Stunde
hätten wir sterben sollen. Ich glaube, sie hätten alle Fahnen über uns
gesenkt und mit allem Geschütz uns nachgefeuert, als ob wir selber die
berühmtesten Generale gewesen wären.“
„Freilich wäre dieses eine großmächtige Ehre für uns gewesen“, meinte
der andere nachdenklich, „aber Sven Knudson Knäckabröd, es ist auch
so, wie es jetzo ist, recht angenehm. Hat nicht der Oberst Wangelin
vor der Front von seinem Regiment gesagt, es sei eine mächtige Ehre
für ihn, daß wir bei ihm zu Pferde stiegen? Und wir sind zu Pferde
gestiegen, Sven; du, weil du in deinen Bergen eben lange genug auf der
Kuh geritten hast; ich, weil ich vordem dem Rate zu Lindau auch als
Feuerreiter aufgewartet habe. Wir sind zu Pferde gestiegen, Korporal
Knäckabröd; -- nachdem wir lange genug im verzauberten Schlaf lagen,
sind wir endlich als junge Burschen wieder aufgewacht und aufgesessen.
Ist es nicht so? Und als es neulich über die Grenze ging, nach alter
Weise mit fliegenden Standarten, Pauken und Trompeten, haben wir uns da
nicht gefühlt wie die Jüngsten? Haben wir da nicht die Hüte geschwenkt
wie die jüngsten Jungen bei der Bagage? Daß wir heute einen roten Rock
tragen, ist mir freilich nicht so lieb, als wenn wir noch im gelb und
blauen Koller auszögen; aber es ist einerlei: vivat die Helden aus
Mitternacht! vivat der glorreiche, ewig siegreiche Karl Gustav, der
Feldmarschall Wrangel! Und eine Lust war’s doch auch, daß wir mit
einreiten durften in die Städte, nach alter Art: in Landsberg, Krossen,
Wriezen und wie sie sonsten heißen; und ein Pläsier ist es, daß wir --
wir, Korporal Sven, heute diese Wacht halten an der Havel gegen die
Brandenburger.“
„Gegen die Brandenburger“, lachte höhnisch der Korporal Sven
Knäckabröd. „Bah, wo sind sie denn, diese Brandenburger? Wirf einen
Groschen da in den Nebel hinein, so weit du kannst, und such’ ihn
nachher! So kannst du auch nach den Brandenburgern suchen, Rolf Rolfson
Kok.“
„Nein, Sven, sie sollen sich doch ziemlich brav gehalten haben am
Rhein gegen die Franzosen. Ich hab’ mich hier und da umgehört und
mancherlei vernommen; die Herren Offiziers und Politici munkeln
allerlei. Wir haben uns eigentlich diesmal das Spiel doch ein wenig zu
leicht gemacht. Der welsche Signor in der Krone war auch ein Politikus,
und was er von der Katz’ und den Mäusen gesagt hat, das ist nicht
ohne. Bruderherz, ich gäb’ viel darum, wenn dieser Kurfürst Friedrich
Wilhelm bald zu Hause wieder einsähe, und zwar mit Macht und Gewalt.
Um Kinderspiel sind wir doch den weiten Weg nicht hergekommen, und ich
sage dir, Kamerad, ich hoff’ auf den Kurfürsten wie auf eine Braut, und
ich hoffe, er bringt das doppelte unserer Armada mit, daß wir doch Ehre
davon hätten. Bruder Sven, es wär’ mir ein Ekel, wenn das Spiel bis zum
Ende zu leicht blieb, und wir gewonnen! schrieen, wie ein Lagerweib
über einen gestohlenen Unterrock.“
„Da tröst’ dich, Herzbruder Rolf; auch ich habe mich unter den
Politikern umgehört und das Meinige in Erfahrung gebracht. Auf dem
Marsche nach Hause und gegen uns sind sie; aber daß es ein weiter Weg
vom Rhein bis an die Havel ist, das haben wir ja auch gespürt. Mir
ist’s auch lieber, wir rufen Viktoria auf einem ordentlichen Felde,
als daß wir uns wie der Fuchs in den Taubenschlag geschlichen haben
sollten, und niemand vorhanden wäre, dem es am Herzen läge, uns zu
verjagen.“
„Wie geht ihr Weg eigentlich? Kannst du mir das in den Sand malen?“
„Nein, solches vermag ich nicht; aber ich zähl’ an den Fingern unsern
eigenen Marsch ab und vermeine, wir haben auch unsere Zeit gebraucht.
Sie kommen wie wir durch der Schwaben Land, auch durch des Bischofs
von Würzburg Grenzen, und nachher durch der Thüringer Berge. In der
Stadt kalkulierten sie gestern beim Landrat von Briest, sie möchten
vielleicht schon bei Erfurt stehen. Geduld’ dich noch ein paar Tage,
Kamerad Rolf; dann magst du nach deinen Pistolen sehen und das Schwert
in der Scheide lockern.“
„Das gebe der Himmel zu unserem und Schwedens Ruhm“, sprach der
Korporal Rolf Kok, und --
„Halt! Werda?“ rief in dem nämlichen Augenblick der Posten an der
niedergelassenen Brücke und warf den Karabiner schußgerecht vor.

11.
Der Nebel lag noch dicht und schwer auf Fluß und Land, der Morgen
zögerte noch immer; man sah kaum zehn Schritte weit hinaus auf die
Landstraße, die nach dem Dorfe Böhne und weiter nach Genthin, und über
Parchen nach der Elbe und der Stadt Magdeburg zu führte.
„Wacht heraus!“ schrie der Korporal Rolf aufspringend und zugleich den
nächsten seiner süß schlafenden Dragoner an der Schulter rüttelnd. Wie
ein grauer Schatten trabte ein Reiter durch den Dunst an, zwei andere
folgten, dann ein Haufen, und man vernahm das Stampfen einer größeren
Kavallerieabteilung im raschen Anmarsch.
Das kleine Häuflein der Schweden hatte sich schnell auf der Brücke in
Linie gestellt; die beiden Korporale mit dem Posten in der Front. Aber
schon parierte der vorderste der schattenhaften Reiter seinen Gaul
dicht vor den Karabinermündungen und rief:
„Versprengte vom Regiment Bülow! Haben die Brandenburger dicht auf den
Fersen! Gebt Raum, die Pferde sind abgehetzt, wir halten die Straßen
nicht länger und müssen in die Stadt!“
Es war eine alte, heisere Stimme, eine Stimme wie die der beiden alten
Korporale Sven und Rolf, welche das hervorstieß, und der Mann auf dem
wirklich schweißtriefenden, abgehetzten, schnaubenden Gaule war auch
alt und grau verwettert. Er trug einen dunkelblauen Rock über dem
Brustküraß, einen breiten, an der Seite aufgeklappten Dragonerfilz,
doch ohne Feder und Kokarde. Er trug mächtige Stulphandschuhe und
Reiterstiefel, doch keine Feldbinde, und wie seine nun allgemach auch
heranreitenden Begleiter trug er das Schwert in der Scheide.
„Schnell, schnell, Kamerad von Wangelin! Wir hängen seit dreien Tagen
in den Sätteln und halten uns kaum mehr. Es pressiert -- laßt uns
durch.“
Die beiden Korporale sahen sich zögernd an.
„Gebt die Parole, Herr!“
„Wir sind drei Tage von der Armee. Sahen die Brandenburger bei Burg
auf dem Marsche. Wie können wir euch die Parol’ vom gestrigen Abend
geben? Macht Platz, ich sag’ euch, Wachtkommandant, der Oberst Wangelin
ist mein guter Freund. Er liegt zum Wahrzeichen mit euch drüben in
Rathenow, und ich bin Leutnant im Regiment Bülow. Jetzt haltet uns
nicht länger auf!“
„Was sagt ihr dazu, Korporal Knäckabröd?“ fragte der Korporal Kok.
„So arg wird’s doch nicht pressieren!“ sagte der Korporal Sven; in
demselben Augenblick aber richtete sich der alte Blaurock im Sattel auf
und schrie krächzend:
„Also nicht? Na, dann hol’ der Teufel die Höflichkeit! Wer ist denn
hier eigentlich zu Hause? Ihr oder wir?“
Ein Faustschlag krachte nieder auf die unglückliche Nase des weiland
Kriegsgefangenen der Frau Fortunata Madlener, Wirtin zur Taube zu
Alberschwende im Bregenzerwalde, daß er besinnungslos zu Boden stürzte.
In dem nämlichen Moment stießen sämtliche Reiter ihren Pferden die
Sporen in die Flanken; zur Rechten und zur Linken flog die schwedische
Wache an der ersten Havelbrücke vor Rathenow zur Seite, oder wurde
niedergeritten.
„Der Derfflinger! der Derfflinger!“ rief einer der drei Leute, welche
sich mit dem Korporal Rolf Rolfson Kok im eiligen Laufe der zweiten
Brücke und der Stadt zu retteten und ihre Büchsen im Lauf hinter sich
abschossen.
„Der Derfflinger! der Derfflinger!“ murmelte der Korporal Kok, zu
Lindau im See das Gockele genannt, betäubt, fortgerissen, unfähig
sich zu besinnen, unfähig selbst, einen Augenblick an das Schicksal
seines guten, alten Kriegskameraden zu denken. Und es war wirklich
der Generalfeldmarschall Derfflinger, der vom Rhein her als der erste
an der Havel anlangte, das Hausrecht gebrauchte, die erste Brücke vor
Rathenow auf die eben beschriebene Weise nahm und nun vor der zweiten
Brücke, welche er natürlich aufgezogen fand, seine Dragoner absitzen
ließ und in Hast und Ungeduld über der trübe unter seinen Füßen
dahinschießenden Flut fast vergehen wollte.
Es hätte des Faustschlags des greisen Generalfeldmarschalls gar nicht
bedurft, um den armen Korporal Sven zu überzeugen, daß die Welt im
Begriff sei, unterzugehen. Nah und fern klangen die Trompeten, oder wie
der Korporal, mühsam und zwischen die Pfeiler der Zugbrücke gedrückt
sich aufrappelnd meinte, die Posaunen des jüngsten Gerichts. Immer
mächtiger wogte und dröhnte es durch den Morgennebel heran, und Zug an
Zug rasselte es über die erste Brücke und ergoß sich über den Werder
zwischen den beiden Armen des Flusses, allwo der Derfflinger, den Degen
in der Faust, Schwadron über Schwadron durch die Fluten trieb, während
von den Mauern der Stadt schon das Gewehrfeuer blitzte und krachte,
und Generalmajor Götze und Oberstleutnant Kanne bereits den Fuß in die
erstaunten Gassen setzten.
„O heiliger Olaf!“ stöhnte Sven Knudson Knäckabröd, sich das strömende
Blut von der Nase wischend und sich aus seiner geschützten Lage
dicht an der Brüstung der Brücke mit Vorsicht aufrichtend. „Träume
ich +das+, so habe ich auch so noch niemalen geträumt! Aber mit
einer solchen Nase träume da einer! Wetter, mir wächst ein Kürbis im
Gesicht, -- also das war der Derfflinger? O Rolf, Rolf, Rolf, das ist
wieder eine Geschichte, wie sie nur uns beiden passieren kann; -- o
Korporal Kok, wenn es nur dem großen Marschall Wrangel nicht eben so
ergehet wie uns zweien!“
Es hatte allen Anschein, daß das wohl der Fall sein könne. Um diese
Zeit nämlich war an dem Havelübergang, von Genthin her, ein Reiter mit
großem Gefolge von, wie es sich anließ, hohen Offizieren, die alle ihre
Pistolen auf den Sattelknopf gestützt hatten, -- mit einem mächtigen
Gefolge von Wachen, Trompeten und Standarten erschienen und hielt, nach
der Stadt hinüberhorchend. Dort hörte das Feuer allmählich auf, und
einzelne Reiter sprengten von ihr wieder zurück: die zweite Zugbrücke
mußte demnach auch genommen sein. Und einer dieser Kavaliere näherte
sich dem hohen Befehlshaber, riß den Hut ab und neigte sich bis auf die
Mähne seines Gauls:
„Kurfürstliche Durchlaucht, wir haben Rathenow, wir haben den Wangelin
und den Weg zum Rhin!“
„Der Brandenburger! der Brandenburger auch!“ ächzte der schwedische
Mann an der Brüstung zwischen dem Pfahlwerk der Brücke, und ohne die
Antwort Kurfürstlicher Durchlaucht abzuwarten, kroch er über den Rand,
rutschte die Böschung hinab, glitt in das Weidengebüsch der Havelinsel
und fand daselbst trotz Nebel, Betäubung, Aufregung und Blutverlust
noch zwei von den Dragonerpferden der Wacht-Abteilung des Korporals
Gockele, angstvoll an ihren Strängen zerrend. Im nächsten Moment schon
saß der brave Alte im Sattel des einen Tieres und jagte über den Werder
hin, links ab. Da die Passage auf Rathenow von dem Generalfeldmarschall
Derfflinger jetzt vollständig frei gemacht war, so ging der Marsch der
sechstausend, vom Rhein her zu Hause anlangenden brandenburgischen
Reiter über die Brücken. Der Werder, über welchen die Obersten Kanne
und Kannowsky zuerst an die Stadt gelangten, war wieder leer; der Nebel
hatte sich allmählich in einen feinen Regendunst verwandelt, und der
sumpfige Boden dröhnte nur wieder von dem Stampfen einiger verwundeter
Pferde, die wie Geistererscheinungen durch den grauen Dunst taumelten,
strauchelten und schossen.
Die Furt, welche die Dragoner des Derfflingers erst mit einiger
Mühe gefunden hatten, kannte der Korporal Sven, von mehreren
Rekognoszierungen aus, gut genug. Er befand sich mitten im Strom und
erreichte den Steindamm am linken Ufer, ohne sich umzusehen.
„Es ist aus, Rolf Kok! Sie haben dich mit dem Obristen tot oder
lebendig!“ rief er jammernd und jagte weiter. Unschlüssig, ob er sich
gegen Havelberg zum Feldmarschall Karl Gustav oder gegen Pritzerbe zu
dessen Stiefbruder, dem Grafen Waldemar, wenden solle, jagte er fürs
erste gradaus in die lieblichen Sümpfe und Heiden der wackern Mark
Brandenburg hinein, im Sinn und Ohr verfolgt von einem ganz andern
Klingen, als dem melodischen Läuten der Kuhglocken im Lande vor dem
Arlberg und dem ermutigenden Wort der Taubenwirtin zu Alberschwende:
„He, Korporal, sing’!“
Das waren eilige Tage, und nimmer ist in der Welt so scharf geritten
worden, wie in diesem Juni des Jahres 1675 in der Mark, sowohl vom
Kurhut Brandenburg als auch von der Krone Schweden!
Neun Tage schon hatte die kurfürstliche Kavallerie nicht abgesattelt,
und nun sprangen auf die Kunde von der Einnahme von Rathenow, im jähen
Schreck und aller Verstörung, auch die schwedischen Herren in die
Sättel. Von Havelberg brach eilends der Feldmarschall Wrangel auf;
von Brandenburg und Pritzerbe sein Stiefbruder. In aller Hast ging
der Marsch der beiden so unvorsichtig geteilten Heeresflügel, ein
spitzwinkelig Dreieck durch Bruch, Moor, Heide und Kieferwald ziehend,
auf den durch alte Schlachten berühmten Kremmerdamm zu, um eine
Vereinigung daselbst herzustellen und, was noch zu retten war, vor dem
zornigen Hausherrn zu retten, ehe Kurfürstliche Durchlaucht, die in
der Mitte der beiden Schenkel dieses Dreiecks gradaus ebenfalls einen
Strich auf Fehrbellin zogen, den ungebetenen Gästen auch da an der Tür
aufwarteten.
Drei Tage ritten sie noch, da trafen sie zusammen, und geschah die
wundervolle Schlacht, die wir leider hier nicht zu beschreiben haben:
unsere Aufgabe ist es, uns nach dem tapfern Korporal Rolf Rolfson Kok
umzutun und zu erkunden, wie es ihm zu Hause weiter erging.
Wir haben gesehen, wie auch er sich eilends aufmachte, als er die
Ankunft der Brandenburger in Erfahrung gebracht hatte. Obgleich ihn
mehr als sechzigjährige Beine trugen, so beflügelte die Vorstellung,
daß der Generalfeldmarschall Derfflinger mit seinen neunundsechzig
Jahren hinter ihm sei, seine Schritte auf den Havelbrücken nicht wenig,
und er kam richtig noch vor dem alten Herrn in der Stadt Rathenow an.
„Alarm! Alarm! Feindio! Feindio!“
Ach, der Korporal Rolf Rolfson Kok hatte leider bei seinem Ruf zu
den Waffen nicht auf den Herrn Landrat von Briest gerechnet. Der
hatte nämlich in Erwartung der Dinge, welche von Südwesten her kommen
sollten, seinen schwedischen Gästen eine große Bewillkommungsfestivität
zurecht gemacht, den Offizieren selber und mit Beihilfe eines löblichen
Magistrates zugetrunken und auch der gemeinen Soldateska durch
gemeine Bürgerschaft auf seine Kosten wacker zutrinken lassen. Die
Folge davon war, daß die Brandenburger, als sie unter dem Derfflinger
und dem Prinzen mit dem silbernen Bein, dem Prinzen von Hamburg,
eindrangen, die meisten der Helden aus Mitternacht im tiefsten Rausch
und süßesten Schlummer vorfanden und sie somit ohne viele Mühe
totschlagen konnten. Die, welche etwas bei Besinnung waren, wehrten
sich freilich tapfer genug in den Gassen und auf und an den alten,
morschen, mittelalterlichen Mauern und Toren; allein auch sie wurden
mit verhältnismäßig geringer Mühe niedergemacht oder gefangen. Von
den sechs Kompagnieen, die mit dem Obristen von Wangelin in Rathenow
eingerückt waren, rettete höchstens ein Dutzend Leute das Leben und
die Freiheit, und unter diesen vom Glück Begünstigten befand sich
gottlob auch unser guter Freund, der Korporal Rolf. Wie der Korporal
Sven an der Böschung des Haveldammes, so glitt er an Wall und Mauer
der Stadt Rathenow hinunter, fiel, von Fortuna noch einmal in Schutz
genommen, auf ein ledig Reiterpferd des Herrn Obristleutnants Kanne und
galloppierte nunmehr gleichfalls, und ebenso betäubt und schwindelnd
wie der Kamerad, in den Morgen und in die Mark Brandenburg hinein.

12.
Am siebenzehnten Juni alten und siebenundzwanzigsten neuen Stils,
nachdem am Tage vorher der Schwed’ im Zug auf Nauen gesehen worden war,
regnete es schlimm, obgleich es am folgenden glorreichen Tage, solange
die Schlacht dauerte, noch viel schlimmer regnete. Was aber die Sümpfe
zwischen der Havel und dem Rhin bei anhaltendem Regen zu bedeuten
haben, das erprobe ein jeglicher, der Lust dazu hat, selber und lobe
nachher seine Erfahrungen, wann er wieder im Trockenen sitzt!
Und von der Havel bis zum Rhin ritten bereits seit dem sechzehnten
die Streifparteien der beiden schwedischen Heeresteile und der
vorwärts drängenden Brandenburger gegeneinander und umeinander herum,
während überall das aufgeregte, wütende Landvolk mit allerhand Gewehr
und Gewaffen der Not auf den Beinen war: kurz, es war ein schwer
Durchkommen selbst für zwei alte Korporale des Königs Gustav Adolf, die
dem Überfall von Rathenow entwischten und nun die ihrigen suchten, ein
jeglicher bis jetzt noch für sich allein.
„Wenn mir heute einer sagte, daß ich einmal Hafenvogt zu Lindau im
Bodensee gewesen sei, so schlüge ich ihm die Zähne in den Hals hinein,
so wenig glaube ich dran“, brummte der Korporal Rolf Rolfson Kok,
indem er am 17. Juni am Spätnachmittag zum dritten Mal seit der letzten
Viertelstunde vor einem neuen Sumpfe vom Pferd stieg, um das Terrain
als vorsichtiger Mann zu untersuchen, bevor er sich ihm mit seinem
ermüdeten Gaul anvertraute, nachdem er wieder einmal mit Mühe einer
nachsetzenden Patrouille des Herrn Generalmajors Lüdecke entgangen
war. Ritterlich hatte er einen seiner Verfolger erlegt und dadurch
den Jagdeifer der übrigen ungemein erhöht; allein einen einzelnen
Mann zu jagen, lohnte sich heute eigentlich unter keinen Umständen,
und so hatten die kurfürstlichen Kürassiere zuletzt doch in einem
Kieferngehölze die Verfolgung aufgegeben, und der Korporal Rolf stak
naß, triefend, hungrig und durstig zwischen Sumpf und Moor und suchte
vorsichtig, wie wir gesagt haben, einen Übergang gen Nordost. Das war
keine geringe Aufgabe, und mit steigendem Verdruß tastete und platschte
er und rettete sich von neuem auf festeren Grund, bis er endlich eine
Art von Fußpfad durch das tröpfelnde Gebüsch fand und ihn behutsam
beschritt, seinen abgehetzten Gaul am Zügel hinter sich drein ziehend.
Immerfort mit sich selber redend, oder vielmehr in den Bart brummend,
tappte er zu; aber schon nach zehn Minuten hielt er horchend von neuem
an; denn plötzlich vernahm er vor sich aus dem Dickicht ein Schnauben
und Stampfen, vermischt mit lauten und halblauten Schimpfworten und
Verwünschungen, die sämtlich nicht auf dem märkischen Boden gewachsen
waren. Der Korporal Rolf stand und horchte atemlos. Derjenige,
welcher dort hinter den Rüstern, wie es schien, gleichfalls im Sumpfe
feststeckte, verwünschte sein Schicksal in schwedischer Zunge, und
nachdem der vormalige Hafenwärtel der freien Reichsstadt Lindau
nochmals die Hand hinter das Ohr gehalten hatte, schrie er:
„Vivat Schweden! Ich komme, Kamerad!“ und drang mutvoll tiefer in das
Moor ein, den kläglichen und verdrießlichen Kundgebungen nach.
Aus dem Gebüsche hatte ihm ein Gegenruf geantwortet und der erboste
Wunsch: wenn der Kamerad wirklich ein gutes schwedisches Herz habe, so
möge er eiligst kommen, es sei Not vorhanden. Der Korporal Rolf hatte
geantwortet: „Hier auch!“ war aber doch drauf losmarschiert, und wieder
nach einigem beschwerlichen Durchwinden drang er aus dem Gebüsch hervor
und hatte das Schauspiel, das er erwartete, vor sich, wie er es sich
vorgestellt hatte.
Ein großes Gestampf und Geplatsch im Moor und Röhricht, -- zerstampfte
Binsen und Gesträuche, -- ein halb versunken Roß, und darauf ein
rotlockiger, schwedischer Reitersmann, mohrenfarbig vom Sumpfwasser, --
triefend wie alles umher vom Regen, -- und dem gänzlichen Versinken in
die schlammige Tiefe nahe!
„Wenn es mein leiblicher Vater wär’, so würde ich ihn nicht in dem Kerl
erkennen!“ murrte der Korporal Rolf; dagegen erkannte der Mensch im
Röhricht den Korporal Rolf und schrie:
„Alle guten und bösen Geister -- bist du es, Rolf Rolfson Kok? O, du
himmlische Güte, kommen wir wirklich noch einmal zusammen auf dieser
niederträchtigen Welt? Ich bin es, Wachtkommandant! Kennt ihr mich
nicht? Ja, Herzbruder, meine eigene Mutter möcht’ mich wohl nach einem
solchen Ritt und in solcher Farb’ und Zerzausung nicht erkennen!“
„Sven Knäckabröd?! Sven, Sven?“ schrie der andere. „Hat dich der
Derfflinger nicht ganz und vollständig geholt? Das ist freilich bei
allem Elend das beste Abenteuer, was mir noch zu Teil werden konnte.
So schickt sich alles, und darum bin ich vorgestern von der Rathenower
Stadtmauer auf einen brandenburgischen Profossengaul gefallen, um dir
heute hier aus dem Malheur helfen zu können! Halt’ gut, noch einen
Augenblick halt’ den Kopf über dem Wasser, Sven! gleich hab’ ich dich
auf dem Trockenen, soweit es bei diesem Regen von oben und diesem
Morast von unten zu machen ist.“
Er hatte sofort nach dem Bündel Hanfstricke, welches von dem
Sattelknopf seines Vorgängers in eben diesem Sattel herabhing, und
für die Hälse der Marodeurs, Spione und sonstigen soldatischen
Übeltäter beider Heere bestimmt war, gegriffen, es heruntergerissen und
auseinandergewickelt. Mit vielem Geschick verknüpfte er die einzelnen
Stricke miteinander und hatte bereits im nächsten Augenblick dem
armen Korporal Sven Knudson Knäckabröd ein tüchtig und haltbar Seil
zugeworfen; -- nicht um ihn damit in die Ewigkeit hineinzubefördern,
sondern um ihn so sanft als möglich aus dem Sumpfe der Mark Brandenburg
hervorzuziehen. Nach einem ängstlichen und schweißtriefenden Abzappeln
von einer Viertelstunde waren beide gerettet -- der Korporal Sven wie
sein Roß -- und standen beide keuchend und schnaufend am Rande des
verräterischen, grün überwachsenen Schlammes. Selbst der Frau Fortunata
Madlener hatte Sven Knudson Knäckabröd, als er nach der Schlacht am
roten Egg unter ihrer Pflege erwachte, nicht so zärtlich die Hand
geschüttelt, wie er sie jetzt dem guten Kameraden aus der Krone zu
Lindau schüttelte.
„Und nun, Bruder Sven, wie ist dir außerdem, daß du aussiehst wie ein
Mohrenpauker bei einer Leibtrabantengarde?“ fragte der Korporal Rolf.
„Danke für die Nachfrage! Dumm, leer im Magen und jammerhaft im Sinn,
Rolf Kok. Ach, Rolf Rolfson Kok, schauderhaft verbiestert!“
„In Lindau in der Krone haben sie eine Art Würste, an welche ich jetzo
schon anderthalb Tage lang habe denken müssen. Und was den Wein vom
vorigen Herbst betreffen möchte --“ der Korporal Sven ließ ein dumpfes
Geheul vernehmen, gleich einem angeketteten Hofhund, welchem man ein
Stück Schinken von Ferne zeigt; glücklicherweise geriet der Korporal
Rolf schnell auf etwas anderes.
„Und Rathenow haben sie; und wer weiß, was sie noch alles haben. Zu
Hunderten liegen die Unsrigen vom Regiment Wangelin in den Gassen und
in den Häusern. O Sven, ich gäb’ heut’ noch mehr darum, als damals
auf der Bastion zu Lindau, wenn ich den Weg zum Wrangel fände. Bei
solchem Hunger und Durst solche Wehmütigkeit und solchen Grimm erdulden
zu müssen, das hält nicht einmal ein Mensch aus, der mit dem großen
Gustavus Adolfus auf Usedom landete und nachher alles mit durchmachte.“
„Das nächste Mal reiß’ ich nicht wieder aus, wenn die Brandenburger
mich zu Gesicht kriegen; -- ich halte Stand und lasse dem Trübsal ein
Ende machen“, ächzte Sven.
„Das beste ists; ich bin mit von der Partie, Bruder“, sprach Rolf
ebenso verzweifelt-grimmig. Im nächsten Moment horchte er wieder und
rief sodann:
„Sieh, da ist die angenehme Gelegenheit schon. Horch, da sind sie
wieder aneinander! Zu Pferde, zu Pferde und darauf los. Die Mähren
brauchen eben doch nicht länger bei Atem zu bleiben als wir. Heraus
mit den Plempen, und: Vivat ein ehrlicher schwedischer Reitertod! Was
aber das übrige anbetrifft, so wäre es mir allmählich einerlei, wer
den Weltball hinnähme, ob die Kron Schweden, oder dieser Kurfürst von
Brandenburg mit seiner verwetterten Kavallerie!“
Sie stiegen mühselig von neuem auf ihre Gäule, die auch wieder und zwar
fast menschlich seufzten. Um den verräterischen Sumpf herum ritten sie
abermals in den Kiefern- und Rüsternwald hinein, dem vernommenen Schall
des fernen Kanonendonners und der nahen Büchsenschüsse, Trompetenstöße
und Menschenstimmen nach.
„Das ist Nauen, um welches die Konstabler spielen; und jetzo weiß man
wenigstens wieder, nach welcher Richtung man die Nase zu drehen hat.
Das ist auch ein Trost; aber der andere Lärm beweist mir, daß Schweden
noch immer auf dem Rückzuge ist. Vorwärts, Bruderherz; einmal müssen
wir unsere Löffel noch in den Brei tunken!“
„Sprich mir nicht von Brei, Rolf Rolfson Kok!“ bat Sven Knäckabröd
kläglich. „Du könntest eben so gut von einem gebratenen Ochsen reden.
Das Herz wendet sich mir jedesmal, wenn ich dich von Löffel, Messer
und Gabel diskurrieren hör’, im Leibe um. Ja, vorwärts, Kamerad, und
wollt’, es würde endlich einmal wieder licht vor uns; was wir auch auf
der Landstraße finden möchten!“
Der Wunsch, welchen der Korporal Gockele vollkommen teilte, sollte
ihnen noch vor Sonnenuntergang, -- wenn man an einem solchen Regentage
von Sonnenuntergang reden konnte, -- gewährt werden. Nachdem sie noch
manche Fährlichkeit des Weges überwunden hatten, kamen sie endlich
wirklich aus dem Walde heraus, und zwar mit immer heftiger pochenden
Herzen, und das war wahrhaftig kein Wunder.
Es war ein Brausen, Schwirren, Brüllen, Rufen und Kreischen in den
Lüften, als ob sich auf der Erde Tausende und aber Tausende auf einem
engen Pfade in höchster Not drängten -- ein Brausen und Geschrei wie
von Tausenden auf dem Marsche, und zwar auf einem Rückzugsmarsche! Das
hallte von ferne unter den schweren, grauen Regenwolken her, als ob der
Himmel es nicht hören wolle und das Gewölk wie eine Wand zwischen sich
und den irdischen Jammer gelegt habe.
Näher und näher erscholl’s, je weiter die beiden Korporale vorwärts
drangen, und als sie endlich den Wald sich lichten sahen, da erblickten
sie schon zwischen den letzten Kiefernstämmen den Grund des Getöses,
und als sie hervorritten aus der Dämmerung des Gehölzes, da spielte das
große, aber schreckliche Schauspiel auf Entfernung von einigen hundert
Schritten vor ihren Augen sich ab!
In der graufahlen Beleuchtung des abendlichen Regenhimmels dehnten
sich die großen Sümpfe, das Havelland-Luch -- und durch das Luch zog
sich der schmale Damm, und auf demselben, so weit das Auge reichte,
von einem Horizont zum andern, wälzte sich der schwedische Rückzug.
Reiterei und Fußvolk, Geschütz, Bagage, Weiber und Schlachtvieh
durcheinander, im wirren grausigen Getümmel vorüber; fern im Süd’ aber
klang und donnerte das Gefecht der Nachhut. Die Brandenburger taten
dort ihr Möglichstes, den Schrecken und die Verwirrung in den Gliedern
des Feindes zu erhalten und den Kehraus nach besten Kräften vorzunehmen.
Wie zwei Bildsäulen saßen die zwei alten Kriegsgenossen des großen
Königs Gustav Adolf auf ihren Pferden und starrten auf das erstaunliche
Spektakel. Hunger, Durst und Ermüdung waren vollständig vergessen.
Für sich und an sich selber fühlten sie nichts mehr. Sie starrten --
stierten -- und dann nickten sie beide zu gleicher Zeit mit den Köpfen,
und dann -- rollten wirklich ihnen die Tränen hell aus den Augen und
verloren sich mit den ihnen ins Gesicht schlagenden Regentropfen in den
weißen Bärten -- --
„O Sven“, stöhnte endlich Rolf Kok, „sind wir darum so weit
hergekommen? Sind wir darum aus dem Schlaf auferwecket, um das zu
erleben? O Sven, o Sven, es ist aus mit uns, und ich wollte, der
Herrgott hätte uns in unserer Versprengung belassen und uns nicht das
Herz erregt durcheinander und durch den welschen Signor Tito Titinio
Raffa, oder wie er hieß, der Ruffian!“
„Ich wollt’ es auch, Rolf“, seufzte der Korporal Sven Knudson
Knäckabröd. „Auf mich und dich kommt es wohl nicht an, und was wir
darüber denken, ist auch gleichgültig: aber daß dieses dem Karl Gustav,
dem gewaltigen Konnetable Wrangel passieren muß, das ist das Elend!
Sieh, und da sind die Kürassiers von Wachtmeisters Regiment. Da sieh
nur, wie die Schufte in den Sätteln hängen und wie reitende Feldhasen
über die Schultern gucken. Und das trägt Harnisch und Schwert! Da,
da -- sieh -- da drängen sie sich gar gegenseitig von der Straße, um
nur ja die eigene Schande unversehrt in Sicherheit zu bringen! Ach
Schweden, Schweden, an manchem Sommerabende hab’ ich dich über die
Berge und den See weg gesehen, sitzend wie eine Königin in Purpur. Da
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