Deutsche Humoristen, 1. Band (von 8) - 03

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lang genug bei uns, um zu wissen, was eine Kuh ist, und könnet wohl
einen Ochsen von einem Kalbe unterscheiden. Einen Bub kriegt ihr mit
auf den Berg: also jetzt zeiget euch als einen mit Verstand begabten
Menschen, haltet mir gute Ordnung und zeigt den Nachbarn, daß ich mir
keinen Narren in euch großgezogen habe,“ sprach die Frau Fortunata
Madlener, und Sven Knudson Knäckabröd zeigte sich wahrlich als einer,
der nicht nur mit Renntieren, Elentieren und der Luntenbüchse, sondern
auch, wie mit dem Kinderwiegen, so mit der Milch, der Butter und dem
Käse umzugehen wußte. Es hätte nun bald wenig gefehlt, daß er jetzt
ebenso berühmt wurde, wie er vordem berüchtigt war.
Nun ließ es sich freilich auf der Lorena lustiger hausen, als in der
niedrigen, dumpfigen, holzvertäfelten Stube drunten in der Taube;
vorzüglich für einen, welcher von früher Jugend an die frische
Luft gewöhnt war; und der Korporal Sven saß manch lieb langes Jahr
dort oben, und ein undankbarer, hartherziger Gesell von Grund aus
hätte er sein müssen, wenn er jetzt nicht sein Geschick allmählich
gelobt hätte. Wir wollen zwar nicht behaupten, daß gerade er vor den
anderen Sterblichen der damaligen Zeiten berufen war, jubilierenden
Herzens in die Pracht und Schönheit der Natur zu blicken, allein
er hatte doch auch seine Freude an dem, was er von seiner Tür aus
überschaute. Da hatte er zu seiner Linken den mächtigen See bis in
die fernste verschleierte Ferne; zu seiner Rechten aber, über dem Tal
von Schwarzenberg, da hob es sich empor: Giebel an Giebel, Zacken an
Zacken, Wand über Wand; und die Glocken seiner Kühe klingelten um ihn
her, und Aloysia Madlener kam, erst ein jung, leichtfüßig Kind, dann
eine hübsche Jungfer, und saß wieder bei ihm und suchte ihm jetzt die
Zeit zu vertreiben, wie er früher sie ihr vertrieben hatte.
Tagelang saß sie oft bei ihm auf der Lorena, und bald kam die Zeit,
wo der kriegerische Kuhhirt Besuche bekam, die ihm gar schön um den
Bart gingen und doch nicht seinetwegen von allen Höhen herab und aus
allen Tälern hinauf zu ihm stiegen. Eitel jung Volk besuchte ihn, die
besten Buben weit umher, und einige gab es darunter, die kamen mit der
Mette und gingen erst mit dem Abendgeläut, bis die Katz’ aus dem Sack
war, und der Fidel Unold, der reiche Sägmüllerssohn, es allen anderen
abgewonnen hatte. Da gingen denn dem Korporal Sven Knudson Knäckabröd
auch wieder einmal die Augen auf, und als er seiner Verblüffung gegen
die Frau Fortunata Luft machte, da stemmte diese auch wieder einmal die
Arme in die Hüften und sprach:
„Schwen, daß ich einen Esel am roten Egg aufgehoben habe, das wußte
ich nach den ersten drei Tagen unserer Bekanntschaft. Na, Alterle,
laßt’s gut sein, ich habe hier unten die Augen offen behalten, während
ihr da oben nur das Maul aufsperrtet und vermeintet, das ganze junge
Volksspiel gehe nur deshalb zu euch her, um eure Lügen und Heldentaten
anzuhören. In acht Wochen ist Hochzeit, und ihr seid freundlich
geladen.“
In acht Wochen war wirklich die Hochzeit der schönen Aloysia Madlener
und des glücklichen Fidel Unold, und der Korporal Knäckabröd spielte,
obgleich er ein Esel war, doch keine geringe Rolle an dem hohen Tage.
Er tanzte sogar; -- erst zu allgemeiner Bewunderung einen schwedischen
Tanz, dann unter lautem Aufkreischen der Weiber und brüllendem
Gelächter der Mannsleute einen Kroatentanz, und zuletzt zu seinem
allereigensten Vergnügen einen zierlichen Ländler mit der Brautmutter,
der Frau Fortunata Madlener; und nur verschiedene alte Weiber, die ihm
einst am roten Egg mit aufgegeigt hatten, schüttelten jetzt noch den
Kopf über ihn.
Nach den Hochzeiten pflegen die Taufen zu folgen, und so geschah es
auch hier. Gar häufig holte man ihn auch zu solchen Feierlichkeiten
von seiner Höhe herunter, und dann stiegen wiederum kleine Füße zu
ihm hinauf, und -- so gingen die Jahre vorüber und hin, und der
Korporal Sven Knudson Knäckabröd, der in seinen jungen Jahren so vieles
durchgemacht hatte mit Märschen, Stürmen, Schlachten, Hunger und
Durst, und es gar nicht besser gewußt und gewollt, der saß nun im Fett
und im Frieden und wußte und wollte nichts mehr von der Welt da draußen
vor den Bergen.

4.
„Wenn sie mich zu Hause und in Ruhe gelassen hätten, wär’s besser und
mir lieber gewesen,“ brummte der schwedische Mann an seinem Tische
auf dem Gebhardsberge unruhig auf- und abrückend. „Das Weibsvolk, das
Weibsvolk, -- gibt es wohl Frieden? Nimmer! Kann es wohl einen in
seinem Winkel sitzen lassen? Niemalen! Das muß immer herumwuseln und
zerren und zupfen und einem den Bart streicheln und einem im Notfall
mit Gift anschrillen, wie eine Million Heugaisen, bloß um seine eigene
Million Grillen durchzusetzen. Da sitze ich nun, aber wo sind sie
jetzt, meine Weibsen? Da geht es mir doch wie königlicher Majestät
mit den lappländischen Regimentern Anno Dreißig. Die sollt’ man gegen
den Feind führen?! Kaum hatt’ man sie zusamm’, so hupft’s auseinander
mit Gequak und Gegecker wie ein Sack voll Frösch’, und der Hauptmann
steht allein vor der Batterie und kann aus der Haut fahren. O potz Käs
und Kuhglocken, als die Kleinen gestern Nachmittag heraufkrabbelten
und einen Gruß brachten von Mutter und Großmutter und die Nachricht,
heute gehe es nach Hohen-Bregenz zum heiligen Gebhard, da hab’ ich
mir bei ihrer Lust gleich gedacht, daß das für mich ein sonderlich
Vergnügen werden würde. Der Tiroler ist es nicht, die Erinnerung
ist’s, was mich auf den Kopf stellt. Dem roten Egg bin ich seit einem
Menschenalter nicht nahe gekommen, und nun muß ich der Alberschwendener
Weiberstreifpartei hierher als Führer dienen! Ja, sicher wär’s besser
gewesen, wenn sie einen anderen dazu kommandiert hätten, und doch -- o,
o, es ist, es ist ein sonderlich Vergnügen. Da hielt der Wrangel! Und
dort fanden wir den Fähndrich Olafsson mit eingeschlagenem Schädel. Ja,
klingelt nur und räuchert nur; ihr klingelt und räuchert uns nicht weg!
Es war eben eine gloriose Wirtschaft, und es ist nur ein Elend, daß man
nicht einen hat, mit welchem man anstoßen könnte: trink, Bruder, die
schwedische Gloria soll leben, -- alle guten Gesellen zu Roß und zu Fuß
sollen leben, und du sollst auch leben, Bruderherz! -- Wo stecken nur
die Weibsen? Das ist doch keine Art, einen mit der alten Zeit an einem
solchen Ort alleine zu lassen! Ja, wenn ich nur die Kinder hätt’, da
könnt’ ich mich doch woran halten -- ho, ho, der rote Tiroler und der
General Wrangel, die haben nun die Oberhand über dich, Sven Knudson
Knäckabröd -- o Käs und schwer Geschütz, Sven, es ist doch eine Lust
und Annehmlichkeit, heut allhier auf Hohen-Bregenz zu sitzen und Anno
Sechsundvierzig mit dabei gewesen zu sein, als man es mit Sturm nahm;
Herrgott, die Tränen kommen einem vor Wehmütigkeit in die Augen, und
wann ich heut schwedisch reden hört’, ich glaub’, das Heimweh stieße
mir das Herz ab.“
Die „Weibsen“, welche der Korporal Sven zum heiligen Gebhard hatte
führen müssen, nämlich die Frau Fortunata, die Frau Aloysia und die
kleinen Mädchen der letzteren, hatten ihn natürlich sogleich nach
der Ankunft auf dem Pfannenberge seinem Geschick und eigenen Gaudium
überlassen. Den schwedischen Mann hatten sie immer zur Hand, aber
um den Altar des heiligen Gebhard da gab es Bekannte und Verwandte,
Freunde und Freundinnen, die man nicht immer zur Hand hatte.
„Ich vertret’ mir die Füß’,“ sagte der Korporal, „es hilft nichts, hier
festzuwachsen. Sie werden mich heute nicht als Spionen hängen, wenn ich
des Ortes Gelegenheit wieder einmal erkunde. Donner, es war doch eine
tüchtige Arbeit, damals bei dem gefrorenen Boden, Schnee und Eis, die
Artillerie den Berg hinauf zu bringen!“
Er hatte sich erhoben und reckte und dehnte sich und wandelte
schwerfällig durch das Getümmel und betrachtete von neuem und von
allen Seiten aus den Schauplatz, auf welchem er selber einst mit
der Pike in der Hand so tapfer mit agieret hatte. Er stieg um die
Ringmauern.
„Da kamen wir mit den Leitern und verloren manchen guten Mann. Da
wollten die Herren Generals zuerst Bresche legen lassen; aber wir
besannen uns eines Besseren und führten das Geschütz weiter ab. Dort
hinein kamen wir! Vivat, vivat! sieh, sieh, dort stürzt’ ich die zehn
Schuh tief hinunter auf den Kopf und dacht’, es wär’ mein Letztes;
aber ich kam doch schnell genug wieder auf die Füße und war mit unter
den ersten im Tanz! Es ist nicht zum Aushalten, -- man muß vor seinen
lieblichsten Erinnerungen Reißaus nehmen, wann es einem so ergangen
ist wie mir. Da sollt’ man ja ersticken. Die Mauern fallen einem auf
den Kopf. Ich denk’, ich nehme wirklich Reißaus und steige nieder zum
See. Solch’ groß’ Wasser hab’ ich ja auch seit dem Elend am Fallenbach
nimmer wieder in der Näh’ zu Gesicht gehabt.“
Wer des Veltliners zur Genüge trank, der weiß wohl, wie blau ihm der
Himmel werden mag. Dem braven Korporal Sven wurde mehr als eine Fiedel
auf dem Wege, welchen er jetzo ging, gestrichen; aber es klang ihm wie
der Schall von hunderten in das Ohr, und dazu viel andere Instrumente,
Pauken und Posaunen, und dann durch alles ein fernes Grummeln, gleich
schwerer Konstablerei in geordneter Feldschlacht. Alle Leute, die
ihm begegneten, freuten sich über ihn; er aber ging so gravitätisch
seines Pfades, als es sich bei der Steilheit des Berges eben tun lassen
wollte, und so kam er hinab an das Ufer des Sees und blickte mit
ernstem Kopfschütteln auf die breite Wasserfläche und wandelte langsam
am Gestade hin, bis zu der Seekapelle, allwo, wie wir bereits sagten,
die Kähne der Gäste, die über das Wasser gekommen waren, an Stricken
und Ketten lagen.
Wenn es in Bregenz und auf Hohen-Bregenz, in der Stadt und auf dem
Pfannenberg hoch, lustig und lebhaft zuging, so war es desto stiller
am Wasser um diese Zeit. Klar und ruhig lag der See da; die Enten und
Gänse ruderten und tauchten am Ufer, und fern auf der Höhe des Spiegels
schwangen sich blitzend wie silberne Punkte die weißen Seeschwalben im
Kreise, und weiße Segel stiegen über den Horizont herauf, oder tauchten
über ihn hinab, und die Stadt Lindau zur Rechten der Bucht streckte
ihre Türme und Giebel so klar in die Tiefe, wie sie dieselben in den
lichten Himmel emporhob.
Der schwedische Mann von der Lorena nahm den Hut ab, trocknete sich
die schweißtriefende Stirn und atmete tief und erleichtert; dann aber
schüttelte er mehr denn je den Kopf, nachdem er sich auf einen Stein
am Ufer gesetzt und die Hände auf die Kniee geschlagen hatte.
„Ich hätt’ auch dem nicht nahe gehen dürfen,“ murrte er nach einer
Weile. „Vom Berg aus darauf hinzusehen, hat mir nichts gemacht; aber
in der Nähe ist’s ein anderes, und schlimmer als da oben die Rudera.
Die Weibsen können es nimmermehr verantworten, daß sie mich hierher
geschleppt haben, denn wenn ich sie darhingegen nach Jönköping am
Wetternsee setzen wollt’, so würd’ ich mir wohl allerlei in die Ohren
stopfen müssen, von wegen ihres Geheuls und Heimweh. Jönköping! Da bin
ich umhergezogen mit dem großen Gustav, und nachher mit dem Banner,
dem Torstenson, dem Königsmark und dem Wrangel und hab’ nimmer an den
Wetternsee und meines Vaters Haus zu Jönköping gedacht, und heut hab’
ich selber Lust, darüber zu heulen wie ein Weib. Jetzt ist mir das
Wasser noch ärger als das Land; -- ja wahrlich, als ich mit dem großen
Gustavus Adolfus über das Meer fuhr, da hab’ ich noch nicht gewußt,
daß es doch zuletzt nur zum Kühmelken und Käsemachen ging -- o Donner
und Nordlicht, hab’ ich das nur geträumt diese langen sechsundzwanzig
Jahre, oder hab’ ich es wirklich und wahrhaftig erlebt? O ja, da möcht’
man doch auf Nimmerwiederaufgucken in den See untertauchen!“
Er war wild aufgesprungen, und dann tat er noch einen Sprung, hinab vom
Uferrande, doch nicht in das Wasser, sondern in den nächstliegenden
Kahn, den er durch die mächtige Erschütterung fast zum Sinken gebracht
hätte. Schwer fiel er auf die Bank und sah beinahe erschrocken nach
der Stadt Bregenz und dem Berge des heiligen Gebhard hinüber. Aber
niemand hatte ihm auf seine Schliche gepaßt, niemand auf seine Tat Acht
gegeben. Im nächsten Augenblick schon hatte er das Messer gezogen und
mit einem Hieb das haltende Seil zerschnitten. Er war im Rausch, als er
die Ruder ergriff, doch nicht vom roten Tiroler. Drei kräftige Schläge
führten das leichte Fahrzeug hinaus auf den jetzt im linden Südwest
sich kräuselnden See. Es gelang dem Korporal Sven Knudson Knäckabröd,
den kleinen Mast aufzurichten und -- er hatte nicht umsonst in seiner
Jugend dem Herrgott halbe Tage mit dem Fischfang auf dem Wetternsee
abgestohlen -- das Segel schiffermäßig zu entfalten und zu richten. Er
war nicht im geringsten Schuld daran; allein es war richtig, -- er war
seinen Weibsen, der Frau Fortunata, der Frau Aloysia und den kleinen
drei Schmelgen durchgegangen und befand sich bei günstigem Winde auf
der Fahrt nach des heiligen römischen Reiches freier Stadt Lindau im
See.

5.
Es war gar lieblich auf den Wassern, vorzüglich für einen, der in so
seltsamer Stimmung darüber hinfuhr, wie der schwedische Hirt von der
Lorena. Wenn es still am Ufer unter dem Fürberg war, so war’s noch viel
stiller auf der von der Nachmittagssonne beglänzten Bucht von Bregenz,
und der Korporal Sven hatte eine gute Fahrt. Er saß und hielt die Hände
vor dem Bauch gefaltet und ließ sein Schifflein gleiten vor dem Winde.
Wie jetzt das Ufer hinter ihm versank, oder die Berge sich vielmehr
heraushoben, so hob sich nun auch vor ihm das niedrigere Hügelland des
Allgäus, und vor allem wie eine Stadt aus dem Wunderschatz der Frau
Saga die freie Reichsstadt Lindau.
Die grauen Mauern, deren Grund der römische Kaiser Tiberius Claudius
Nero legte, als er hier die Rhätier und Vindelicier besiegt hatte,
lagen noch stiller da als der See. Die alten Linden nickten
freundlich-schläfrig von den Bastionen, und die grün und silbern, rot
und goldfarbig glänzenden Turmdächer von Sankt Peter und der heiligen
Dreifaltigkeit -- den Diebesturm nicht zu vergessen -- luden förmlich
behaglich wie aus der Luft, so aus dem Wasser, den braven Korporal
Sven Knudson Knäckabröd zum Näherkommen ein. In dem kleinen Hafen
lagen ruhig, nur da und dorten von einem weißen Spitzhund bewacht,
die Lädinen und Halblädinen, die Segner und Halbsegner und dazwischen
die Lustgondeln der wohlhabenden Reichsstädter, soweit sie sich nicht
zu Bregenz befanden. Nur eine Bürgerschildwacht war auf der Mauer zu
erblicken, und die schlummerte sanft auf ihre Partisane gestützt. Das
Lebendigste auf dem Wall zu Lindau im See waren um diese Stunde die
Fliegen, welche in Scharen über den erwärmten Geschützrohren summten.
Der Kahn des Schweden schoß, durch den Schatten der Lastschiffe hin,
in den Hafen hinein und an die Hafentreppe, und als der Korporal
sein Schifflein mit einem letzten Ruderschlag dort antrieb, fragte
ihn niemand um das Wohin und Woher, und das war recht gut; denn im
Augenblick hätte er vielleicht auf beides keine Antwort zu geben
gewußt. Seit dem Kolbenschlag am roten Egg war ihm nicht so verworren
zu Mute gewesen, aber trotz allem war ihm heut’ doch die Welt
behaglicher als damals, wo er sich auf dem blutigen Strohlager am
Schanktisch in der Taube zu besinnen suchte.
Doch wer auf eine solche Weise, wie er, im Hafen von Lindau anlangte,
der mochte, nachdem das Schifflein am Lande lag, wohl selbst den
Hut hin und wieder rücken um die Frage: Was nun? und wohin nun? Der
Korporal Sven stand und blickte an der nahen Stadtmauer empor und
durch den dunklen Bogen, welcher in das Innere der Stadt führte,
hindurch und rieb sich die Stirne. In dem nämlichen Augenblick aber
erschien über der Mauerbrüstung ein dicker, roter, von schneeweißem
Haar umflusterter Kopf, der sich ächzend auf zwei gewaltige Fäuste
legte und entsetzlich gähnend auf den See hinausstarrte. Dasselbige
Haupt spie verächtlich von der Mauer der freien Reichsstadt hinab; ein
nicht geringer Mund öffnete sich, und -- plötzlich -- ganz unvermutet
und von einer solchen Erscheinung auch gar nicht zu vermuten, fing
das Ding an zu singen, und zwar eine Weise, welche im Munde des
schwedischen Volkes schon seit mehr denn hundertfünfzig Jahren umging.
Und in schwedischer Zunge sang das Unding auf der Mauer heiser und
gräßlich:
„König Gustav reitet nach Dalarne
Zum Thing mit den Dalkarlen sein;
Doch Christiern liegt vor Södermalm
Und frißt gestohlene Schwein;“
und wie heulend in Verdruß, Ärger, Entrüstung und Wehmut:
„König Christiern sitzt in Stockholmschloß
Und säuft unsern Met und Wein!“
„Blitz und Donner! Alle guten Geister!“ stöhnte der Korporal Sven
Knudson Knäckabröd, versteinert nach dem Sänger aufstarrend; doch der
da oben gähnte noch einmal und scheußlicher als zuvor, und fuhr fast
noch unmelodischer fort:
„Hört alles, was ich euch biete an,
Vom Tal, ihr meine Mannen:
Wollt ihr mir folgen nach Stockholm
Und schlagen die Jüten von dannen?“
Mit beiden Händen griff der Korporal Sven Knudson Knäckabröd nach
seinem Haupte, wie im wilden Zweifel, ob er dasselbige auch noch auf
den Schultern trage; und als er es noch an Ort und Stelle fand, tat er
einen Satz und brüllte seinerseits zu dem Sänger auf der Mauer hinauf:
„Um’s Rebhuhn und um’s Eichhorn ist’s,
Sobald wir zielen, geschehn;
Und dem Blutracker Christiern,
Dem soll’s nicht besser gehn;“
und die Wirkung nach oben hinauf war nicht geringer, als die von oben
hinunter.
Auch der da oben schnellte empor und beugte sich über die Brüstung und
schrie:
„Bei der blauen Fahne Wasa’s, ist ein Spuck, ein Trold aus dem See
aufgestiegen, oder ist’s ein Landsmann? Ho Landsmann? Landsmann!“
„Ho Landsmann!“ rief der Hirte von der Lorena; aber da er einmal
im Zuge war, so brüllte er weiter, daß die Bastionen der freien
Reichsstadt Lindau wie im Schrecken widerhallten:
„Das reißt nun in meiner Seite,
Ich fühle mich so beengt;
Auch ich hab’ von den Fischen gekostet,
Die man in Dalarne fängt.“
Die Bürgerschildwacht im Lindenschatten erwachte bei den Mißtönen
aus ihrem süßen Schlummer und faßte zusammenfahrend die Pike an. Die
Mauertreppe aber herab stürzte der Hafenwärtel der freien, frommen und
biderben Reichsstadt Lindau im See, Rolf Kok, umfaßte mit beiden Armen
den Mann von der Lorena, schüttelte ihn heftig und rief:
„Kerl, in aller Welt Namen, Kerl, Kerl, wo kommst du her? wo bist du
jung geworden? wer bist du?“
„Arkebusierer Korporal Sven Knudson Knäckabröd im gelben Regiment
Oxenstierna -- versprengt im Gebirge -- dorten! Melde mich zurück,
Korporal Rolf Rolfson Kok, denn der seid ihr und kein anderer! Die
Finne da auf eurem linken Nasenflügel habe ich sechzehn Jahre lang beim
Aufmarsch in die Linie zur Rechten gehabt, und die Schmarre da habt ihr
von dem Nürnberger Malheur, Korporal Kok. Melde mich zurück, Korporal!“
„Und wir schreiben Vierundsiebenzig! Mensch, o Mensch, Mensch, du bist
der Sven, den wir hinter seinem Rücken Hahnentritt nannten, von wegen
seiner Gangart? Und das passieret einem, nachdem man sich seit Anno
Sechsundvierzig nicht mehr zu Gesicht gekriegt hat, heut hier zu Lindau
an der Hafenmauer? O Sven, wo ist die Kumpaneia? wo Hauptmann, Leutnant
und Fähndrich? wo sind die Fahnen und Trommeln? wo der Herren Generale
Gnaden? Sven Knäckabröd, wo du herkommst, weiß ich noch nicht; aber
ich, ich sitze hier seit dem Lindauer Sturm -- erst als Invalid, dann
als Bürger und Ehemann -- und als Witwer und Hafenvogt, und sie haben
mir noch nicht einmal meinen Namen gelassen: Meister Gockele nennen
sie mich! ja das Gockele nennen sie mich; und du bist Sven Knudson
Knäckabröd, und wir sind beide mit dem König herübergekommen und
standen mit bei Breitenfeld, bei Lützen und liefen mit bei Nördlingen
und zogen mit dem Wrangel gegen die Schneeberge, o Sven, Korporal Sven,
Kamerad Sven, ich heule wie ein Kind!“
„Und ich heule mit, Korporal, Kamerad Rolf“, schluchzte der andere.
„Siebenundzwanzig Jahre habe ich bei dem Vieh sitzen müssen, und
nach so großer Gloria und gewaltigen Schlachten habe ich die Kühe
gemolken und Käse gemacht, siebenundzwanzig Jahre durch. Rolf, o Rolf,
Rolfson Kok, am Fallenbach, am roten Egg haben die Weiber uns alle
totgeschlagen, nachdem wir Bregenz da drüben genommen hatten, und heut’
hat mich erst die gute alte Zeit in den Ruderibus verwirret, und
nachher hat mich der Nix über den See gelockt. Im Traum bin ich über
den See gefahren, und der Nix hat gewußt, daß ihr hier auf der Mauer
von Lindau auf mich wartet, Korporal Rolf Rolfson Kok.“
Sie hielten sich in den Armen, die beiden alten Schweden. Sie küßten
sich, und die Tränen rollten ihnen über die gelbbraunen Backen. Sie
tätschelten sich zärtlich die breiten Buckel und hatten eine Freude
aneinander wie ein Brautpaar im Maienmond. Es war aber auch keine
Kleinigkeit, was ihnen begegnete an diesem Festtage des heiligen
Bischofs Gebhard, den sie und ihre Kriegsgenossen vordem so hart mit
Geschütz und Sturmanlauf bedrängt hatten, und dessen Wiege und Burg der
eine von ihnen mit niederwerfen half.
Sie waren sehr gerührt, die beiden braven schwedischen Korporale; aber
nach der Rührung kam natürlich wieder um so heftiger der Durst, und
dessen wurden sie nunmehr mit großer Lust inne. Da faßte der Korporal
Gockele den Korporal Hahnentritt unter den Arm und sprach:
„Komm, Herzensbruder, ich weiß unsern Ort, und will dir daselbsten
etwas zeigen, so dir das Herze erfrischen soll, besser als der kühlste
Trunk aus des Kronenwirtes Keller.“
Er führte ihn in das Wirtshaus zur Krone.

6.
Wer heute zu Lindau im See, sei’s mit dem Dampfboot landet, oder mit
dem Bahnzug anpfeift, der findet die Krone noch immer an ihrer Stelle.
Einst zog sich die Stadtmauer dem Wasser entlang davor her: die Mauer
ist längst gefallen, aber das gute, alte Wirtshaus steht noch fröhlich
aufrecht.
Wer heute durch den gewölbten Torweg geht und die Treppe hinaufsteigt,
der findet auch heute noch zu Anfang eines langen, hellen, weißen
Ganges das, was der Korporal Rolf dem Korporal Sven zu höchster
Herzerfrischung weisen wollte, und mag sich ebenfalls daran erfrischen.
Da hängt nämlich von der Decke herab eine eiserne Kugel an eiserner
Kette, -- eine Bombe des Feldmarschalls Karl Gustav Wrangel, und das
Bild des Feldmarschalls hängt an der Wand daneben.
Beides gehört zu dem Hause seit dem Jahre 1647, seit dem Momente, in
welchem der Herr Feldmarschall diese Bombe in die freie Reichsstadt
Lindau hineinschoß und Grimmiges mit ihr im Sinn hatte, was sich
gottlob nicht erfüllte, denn das Untier durchschlug nur das Dach des
guten Wirtshauses und blieb, ohne weitern Schaden anzurichten, auf dem
Hausboden liegen, -- 180 Pfund schwer.
Damals hat man den unfreundlichen Gast vorsichtig aufgehoben, ihn
seiner verderblichen Füllung entledigt und ihn bei ruhiger Zeit an
besagter Kette am Gebälk aufgehängt zum ewigen Gedächtnis des Generals
Wrangel und seines groben Geschützes. Der Korporal Rolf aber hatte
vollständig Recht: im Jahre 1674 gab es keinen bessern Augentrost für
den schwedischen Mann der Wirtin zur Taube in Alberschwende, als diese
Kugel und dies Bildnis in der Krone zu Lindau.
Im Jahre 1674 sah die Krone nicht so hell und freundlich aus als heute.
Die Wände waren nicht mit Kalk getüncht und noch weniger al fresco mit
heidnischen und christlich ritterlichen mittelalterlichen Festivitäten
bemalt. Aber das Haus war schon damals gut und verdiente seinen Ruf
weit übers Allgäu hinaus, und der Hafenwärtel Rolf Kok, genannt das
Gockele, kannte das Getränk und hatte sein Kerbholz fröhlich hinter der
schwarzbraunen Eichentür der Zechstube. Fürs erste aber stellte er den
wiedergefundenen Kriegskameraden unter die Schwedenkugel, wies auf sie
hin und wies auf das Bild des Feldmarschalls und sagte:
„Da, Herzbruder, da!“
Der Hirt von der Lorena rieb sich die trüben Augen, starrte auf die
Bombe, starrte auf das Bildnis seines Generals, tat einen Sprung
und schüttelte sich, als ob er die Jahre und sein Leben unter dem
Kommando der Frau Fortunata und sein Leben auf der Lorena mit einem
Ruck abschütteln wolle. Er streckte die ausgebreiteten Arme dem
Feldmarschall und der schwedischen Kugel zu und rief aus vollem Halse:
„Vivat Gustavus Adolfus! Vivat Gustavus Wrangel! Es leben die Löwen aus
Mitternacht!“
Und er tat einen zweiten Satz und schrie zum zweiten Mal, daß die Wände
erzitterten, und ein einsamer Zecher nebenan in der Trinkstube sich von
seinem Tisch im Winkel erhob, aufstand und den Kopf aus der offenen Tür
in den Gang vorstreckte. Dem Kopfe nach folgte der übrige Mann, und das
Ganze war wohl einer Schilderung wert.
In dem alten, langen, hagern und gelben Gesichte mit dem eisgrauen,
spitzgewichsten Knebel- und Schnurrbart umfunkelten zwei kohlschwarze
Augen eine lange, scharfe Nase. Zwei lange, einknickende Beine in
engen, schwarzen Hosen und schwarzen Strümpfen trugen den mit schwarzer
Schoßweste und schwarzem Rock angetanen dünnen Leib, und als die
Kreatur den Hut abnahm und in die Luft schwang, da entblößte sie einen
ratzenkahlen, gelblichen Schädel:
„Cospetto! O Jesus Maria! Vivat Ferdinandus!“
Wie auf ein Kommandowort fuhren die beiden Korporale herum, als
ihnen so unvermutet auf ihren eigenen schwedischen Schlachtruf das
wohlbekannte Feldgeschrei und die Losung des kaiserlichen Heeres
entgegen schrillte. Und siehe, schon kam der schwarze, lange Mann, auf
sein spanisch Rohr mit dem Messingknopf gestützt, herangehinkt, fegte
in tiefer Verbeugung den Boden mit dem Hutrande und sprach höflichst:
„Bitte um Permission, Signori; -- Kriegskameraden von der andern Seit?
Groß Ehr! groß Ehr! -- -- Hab das Vergnügen, mich denen Herren zu
rekommandir. Signor Tito Titinio Raffa, Zahlmeister im Regiment zu
Pferd Strozzi. Hatt schon die Ehr vordem bei Breitenfelda, -- groß Ehr,
groß Ehr, groß Battaglia! Woll die Herren eintret und niedersitz zu
einem Trunk und freundlich Diskurs? Groß Ehr, viel Vergnügen und gut
Kameradschaft!“
Mit allem Eifer schüttelten die beiden versprengten schwedischen
Kriegsleute dem versprengten Reitersmann vom Regiment Strozzi
die dargebotene Rechte, und im nächsten Augenblick saßen sie mit
behaglichem Ächzen nieder an dem Tische, von welchem der Herr
Zahlmeister aufgestanden war, um sie zu begrüßen: die Frau Wirtin
zur Taube in Alberschwende hatte um diese Tageszeit, das heißt um
Sonnenuntergang, auf dem Gebhardsberg gut suchen und rufen nach ihrem
treuen Knecht Sven Knudson Knäckabröd aus Jönköping am Wetternsee.

7.
Die Lichter des Tages waren längst verglüht auf Gefild, Berg, Wald, Tal
und See. Die glänzenden Spitzen des Kamor, des Hohen Kasten und des
Säntis drüben in Appenzellerland hatten sich in der Nacht verloren: der
Mond sollte erst später aufgehen.
Die Lichter in den Wohnungen der Menschen waren angezündet worden, und
der Tisch der drei Helden in der Krone zu Lindau bot jetzt ein seltsam
Schauspiel dar.
Wenn der aus dem Land Tirol, der Rote, ein sauber Getränk ist,
das des Menschen Herz erhebt, so hat der Bayern Bier auch seine
löblichen Verdienste, und die drei Krieger tranken davon und hatten
davon getrunken. Die beiden wackeren Schweden saßen wie aus Granit
zurechtgehauen fest, mit den kurzen Tonpfeifen im Munde; aber der
italienische Sprachlehrer Tito Titinio Raffa, vordem Zahlmeister im
Regiment Strozzi, stand aufrecht, soviel ihm das möglich war, focht
wild mit beiden Händen in der Luft umher und beweinte gellend die
schönere Vergangenheit und das Elend der Gegenwart, ja, die schönere
Vergangenheit, deren er Genuß gehabt hatte von dem Tage an, wo sich bei
Breitenfeld nach des Schwedenkönigs Wort eine Krone und zwei Kurhüte an
einem alten Korporal rieben.
„Da ging es freilich mit Sang und Klang, mit Pauken und Posaunen herum
im deutschen Lande,“ winselte er. „Die güldenen Ketten fielen einem
aus dem Pulverdampfe um den Hals, und die güldenen Dukaten raffte man
zu Haufen vom Erdboden auf und kümmerte sich wenig drum, wie arg er
zerstampft war. Die Fackeln und Lichter brannten im Tanzsaal von einem
Jahr ins andere, -- und die Lust war immer dieselbe, ob man den Feind
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