Deutsche Freiheit: Ein Weckruf - 2

Total number of words is 3989
Total number of unique words is 1395
35.9 of words are in the 2000 most common words
48.4 of words are in the 5000 most common words
55.0 of words are in the 8000 most common words
Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
* * * * *
In solcher bejahenden Art liegt unmittelbar enthalten, daß uns die
Freiheit nicht eine bloße Lebensform, sondern die Eröffnung eines neuen
Inhalts ist, daß sie große Lebenstatsachen erweist, große
Weltzusammenhänge offenbart. Die religiöse Freiheit gibt uns die
Gewißheit einer unmittelbaren Verbindung mit der weltbeherrschenden
Macht der Liebe, zugleich aber zeigt sie eine schroffe Kluft zwischen
dem naturhaften und dem geistig gehobenen Menschen, die Verneinung
selbst aber gibt uns die Gewißheit einer endgültigen freudigen Bejahung;
die moralische Freiheit hebt uns über allen Mechanismus der bloßen Natur
und auch des seelischen Getriebes hinaus, aber sie zeigt uns die
Eröffnung eines neuen Lebensinhalts, der in einer Welt des persönlichen
Lebens gipfelt und uns die feste Überzeugung von einem schaffenden
Beisichselbstsein der Wirklichkeit gibt; die intellektuelle Freiheit
befreit uns von dem Reich der Gegebenheit und Gebundenheit und
erschließt uns eine von Selbsttätigkeit getragene Welt als den Kern der
Dinge; die künstlerische Freiheit offenbart uns einen unmittelbaren
Zusammenhang mit der gegenständlichen Welt und entwindet uns damit der
Herrschaft des bloßen Subjekts mit seinen schwankenden und leeren
Zuständen.
So wirken in der Freiheit große Tatsachen, große Lebensmächte,
Lebensprozesse, die hoch über den Bestrebungen und Neigungen der
Individuen liegen. Alles zusammen versetzt uns aus dem bloßen Dasein in
ein Reich des Schaffens, in eine Tatwelt; alles trägt hier insofern
einen ethischen Charakter, als es durchgängig einen Aufstieg zu einer
neuen Wirklichkeit, ja eine völlige Umwälzung vollzieht, sowie ein
Hindurchgehen durch ein entschiedenes Nein, ein Stirb und Werde
verlangt. So wird hier nicht nur der Standort des Lebens verändert,
sondern der Mensch selbst von Grund aus umgewandelt, er bildet nunmehr
nicht ein bloßes Stück einer gegebenen Welt, sondern er wird ein
Teilnehmer, ja Mitträger der ganzen Welt; so kann es mit Leibniz heißen:
»In unserem Selbstwesen steckt eine Unendlichkeit, ein Fußstapf, ein
Ebenbild der Allwissenheit und Allmacht Gottes«. So erstreckt sich hier
das Leben als geistiges über den einzelnen Punkt hinaus, der Mensch hat
nunmehr teil an der Unendlichkeit und Ewigkeit des Alls; er bedeutet
damit unvergleichlich mehr als ein bloßes Stück einer natürlichen und
gesellschaftlichen Verkettung, er bildet eine Weltnatur; was gewöhnlich
Welt heißt, das erscheint damit als eine unendliche Welt der Welten.
Damit müssen sich alle Ziele und Werte des Lebens wesentlich erhöhen,
damit müssen völlig neue Kräfte entspringen, welche dem Vermögen des
Einzelwesens weit überlegen sind.
* * * * *
Dies alles kann nicht ein Werk eines einzelnen Volkes sein, die ganze
Menschheit hat dazu gewirkt. Aber wir dürfen ohne Selbstüberhebung
sagen, daß das deutsche Volk auf der Höhe seines Vermögens diese
wesenhafte und schaffende Art des Menschen besonders kräftig und rein
herausgearbeitet hat, es hat mit besonderer Energie eine Befreiung des
Lebens nicht nach einzelnen Richtungen hin, sondern in seinem tiefsten
Grunde vollzogen, es hat den Menschen von sich selbst befreit, ihm ein
neues Grundverhältnis zum All eröffnet, es hat etwas Wertvolleres aus
ihm gemacht.
Hier erst kann eine volle geistige Freiheit entstehen, sie ist
untrennbar von einer Welt der Freiheit. Insofern enthält alles echte
deutsche Leben ein entschiedenes Bekenntnis von den letzten Gründen und
von unserer Stellung in der Welt. So verstanden aber hat das deutsche
Volk eine große Aufgabe innerhalb des Ganzen der Menschheit; andere
Völker mögen uns in anderen Richtungen übertreffen: im Reich reiner
Innerlichkeit und innerer Freiheit stehen wir einzigartig da; so würde
die Verkümmerung und Vernichtung dieses Volkes für die Menschheit einen
schweren Verlust bedeuten.
* * * * *
Die Größe der vom deutschen Wesen vollzogenen geistigen Befreiung kann
demnach keinem Zweifel unterliegen. Aber gerade wer jene Größe vollauf
würdigt, muß die Schwäche der deutschen Art im Bereich des
gesellschaftlichen Lebens schmerzlich empfinden; ein starkes
Mißverhältnis der beiden Hauptentwicklungen ist unverkennbar. Ist es
nicht bezeichnend für uns, daß die Höhepunkte des deutschen geistigen
Schaffens in trübe oder doch gespannte Zeiten fielen. Bald nach Luthers
Tod erfolgte der jähe Zusammenbruch des Schmalkaldischen Bundes im Kampf
gegen die spanische Macht, Kant verlebte mehrere Jahre unter der
russischen Militärgewalt, Goethe aber war bei aller liebenswürdigen
persönlichen Behandlung zeitweise den Franzosen politisch unterworfen.
Mochte das geistige Vermögen der Deutschen durch derartige Schicksale
nicht gebrochen werden, es war doch ein schwerer Mangel, daß unser
staatliches Leben nicht fest auf sich selber stand, daß die geistige
Größe einer entsprechenden politischen Grundlage entbehrte; so drohte
das Leben uns schroff auseinander zu fallen: einerseits war eine
überlegene Größe der reinen Innerlichkeit, das freie Schalten und Walten
über unsichtbare Welten vorhanden, andererseits aber eine abhängige und
gedrückte Lage im sichtbaren Dasein. Wir hatten daher bis zur Gegenwart
kein großes gemeinsames Leben und keine ihm entsprechende Freiheit.
Unser Leben hat zunächst nicht die Ursprünglichkeit und die Festigkeit
der Gesinnung, welche den nationalen Zusammenhang als etwas
Selbstverständliches behandelt. Ferner neigen wir in politischen Fragen
fortwährend zu einer höchst bedauerlichen Uneinigkeit, sie schädigt aufs
schwerste unsere Leistung gegenüber der Welt. Dazu kommen besondere
Schwächen unserer Art: wir leiden an Schwerfälligkeit und
Umständlichkeit, wir neigen dazu, Prinzipienfragen weit auszuspinnen,
wir sind ungeschickt, den Augenblick frisch zu ergreifen und voll zu
nutzen. Unsere vielgepriesene Gründlichkeit hat den Nachteil, uns mit
viel Ballast zu belasten; wir müssen ferner zugestehen, daß nicht nur
die einzelnen Bevölkerungsklassen, sondern auch die verschiedenen
Kulturschichten bei uns einen größeren Abstand voneinander zeigen als
bei anderen Völkern; so kann sich uns auch das nationale und politische
Leben leicht als etwas Fremdartiges, künstlich Bereitetes darstellen. In
unserem Inneren haben wir viel Kraft gesammelt, wir verstehen es aber
schwer, sie nach außen hin zu wenden. Auch in den politischen Lehren
ergeben wir uns leicht dem überwiegenden Einfluß fremder Völker, und
verkennen wir oft, was uns eigentümlich und groß ist, was uns selbst
weiterbringen kann.
* * * * *
Nehmen wir zu allem diesem die jüngsten traurigen Erfahrungen unseres
Volkes, so kann das Urteil über uns nur ungünstig lauten. Trotzdem
sollten wir nicht schlechthin von einer politischen Unfähigkeit des
deutschen Volkes reden. Es ist doch merkwürdig, daß sowohl die Holländer
als die Schweizer nach ihrer Absplitterung vom alten Reiche
ausgezeichnete politische Leistungen hervorgebracht haben; ferner aber
sind unsere einzelnen Stämme durchweg kräftig und tüchtig; es fehlt nur
eine feste Verbindung zu einem Ganzen, und das ist allerdings für die
politische Aufgabe die Hauptsache. Aber wir dürfen billigerweise auch
erwägen, daß wir mit recht vielen Hemmnissen zu kämpfen hatten, wir
besaßen eine zersplitterte und vielfach unglückliche Geschichte; wie
viel davon auf die eigene Schuld oder auf die Ungunst des Schicksals
kam, das ist schwer zu ermessen. Unsere Natur war mit manchen Mängeln
behaftet; wer aber ein Volk nicht als eine von bloßer Natur gegebene
Rasse ansieht, sondern als einen lebendigen Strom des geschichtlichen
Lebens würdigt, der braucht die Hoffnung auf die Möglichkeit eines
Aufstiegs nicht aufzugeben. Ein Volk, namentlich ein durch manche
Erfahrungen und Leiden gereiftes und geläutertes Volk, ist an erster
Stelle eine ethische Macht; es wird sich jetzt zu zeigen haben, ob wir
genügende Kraft und genügenden Mut aufbringen oder ob unser Schicksal
sich an uns durch unsere eigene Schuld erfüllt. Verbleiben wir in der
kläglichen Unentschlossenheit, die uns jetzt befallen hat, und
unterliegen wir der elenden Selbstsucht, die nur darauf denkt und sinnt,
ob die Einzelnen oder die Parteien aus dem erschütternden Schiffbruch
möglichst viele Vorteile für sich selbst ziehen, so ist uns nicht zu
helfen. Erwachen wir aber endlich aus der jetzigen Trägheit und der
überwiegenden Selbstsucht, kommen wir endlich durch das überwältigende
Unglück zum Bewußtsein unserer Tiefe und unserer Kraft, so dürfen wir
hoffen, trotz aller Hemmungen uns und unser Volk zu retten. Diese
Rettung ist für uns die alles überwiegende Sorge; nur wenn sie gelingt,
wird es möglich sein, die reichen Schätze, welche das deutsche Volk im
Laufe der Jahrhunderte, ja der Jahrtausende gesammelt hat, in vollen
Eigenbesitz zu nehmen, nur so wird es möglich sein, daß geistige und
politische Freiheit bei uns sich zusammenfinden, und das, was jene
gewirkt hat, auch dieser zugute kommt. Vor allem aber ist es notwendig,
daß die ethischen Mächte, welche in unserem Volke schlummern, vollauf
erwachen und ihre Selbständigkeit erweisen. Dann -- und nur dann --
behält Luther Recht mit dem Wort: »Wo Mut bleibt, da folgt auch die Tat
gewißlich«, dann mögen wir auch seines Wortes gedenken: »Obrigkeit
ändern und Obrigkeit bessern sind zwei Dinge«. Viel Großes und Schönes
war in uns angelegt, und wir hatten auch viele Arbeit darauf verwandt;
wir durften hoffen, daß sich unsere geistige Freiheit kräftiger in
unserem gemeinsamen Leben verkörpere, die politische Freiheit aber sich
über die bloße Tagespolitik vertiefe, beides aber miteinander die
Freiheit des ganzen Menschen fördere. Wir durften hoffen, daß das Ganze
unseres Volkes zu einer lebendigen Persönlichkeit, nicht einem bloßen
Zweckverband, wachse; wir durften hoffen, daß wir durch ein
Zusammenarbeiten geistigen Schaffens und politischer Tätigkeit einen
eigentümlichen, auch den anderen Völkern wertvollen Typus des Lebens
erzeugen würden, nicht bloß für die Gegenwart, sondern für die Kette der
Jahrhunderte; nun aber ist alles Große und Erhöhende, wenn auch nicht
verloren, so doch aufs ärgste gefährdet. Was ist nun an erster Stelle zu
tun, um dieser unerträglichen Lage zu entgehen?
* * * * *
Wir flüchteten uns an erster Stelle zu dem Gedanken der Freiheit, der
von Anfang an unser Leitstern war; er hat durch die Erfahrungen und die
Nöte der Zeit eine besondere Färbung gewonnen. Um unsere Freiheit zu
entwickeln und von hier aus die rechten Wege zu finden, bedarf es
zunächst einer Befreiung von der Enge und von dem Druck, wodurch das
übliche Parteiwesen uns hemmt und unsere Kräfte schwächt. Parteien sind
unentbehrlich, um das staatliche Leben in Fluß zu halten und seinen
Bewegungen Macht über die Menschen zu verleihen; sie sollen uns
willkommene Mittel und Hilfen sein. Zu einer Gefahr aber werden sie,
wenn sie den ganzen Menschen unter sich ziehen, wenn sie seine
Überzeugungen und, was noch schlimmer ist, seine Interessen sich
unterwerfen. Parteien muß es geben, Parteimenschen aber sind ein
Unglück. Ein solcher Parteimensch betrachtet alles nur von seinem
Standpunkt aus, er dünkt sich nicht nur klüger, sondern auch besser als
seine Gegner. Die Enge seines Gesichtskreises nimmt ihm alle
Möglichkeit eines gegenseitigen Verstehens; er vermengt ewige Werte und
bloße Augenblicksfragen; er behandelt das am meisten Problematische als
etwas Selbstverständliches und umgekehrt das Selbstverständliche als
etwas völlig Problematisches; er legt selbst in die Namen seine Affekte
hinein, indem er die eigene Sache möglichst emporhebt, die andere
möglichst herabsetzt. Die Vieldeutigkeit der Begriffe wird ihm ein
willkommener Anlaß, die eigene Fassung den anderen als unentbehrlich und
schlechthin vernünftig aufzudrängen. Wie schwankend und vieldeutig ist
heute z. B. der Begriff der Demokratie, und wie viel wird jetzt in den
des Sozialismus hineingelegt? So kann jeder Parteimann getrost seine
Netze ausbreiten, die Menschen, die sich darin fangen, sind stets in
großer Mehrzahl.
* * * * *
Dies alles war von altersher eine große Gefahr, heute aber droht es uns
ganz und gar in einen Stand der Unfreiheit zu versetzen. Es hat aber die
Unfreiheit sehr verschiedene Grade, sie ist um so größer und
selbstbewußter, je mächtiger sich eine Parteibewegung fühlt, sie wird
gemäßigter und bescheidener, wo sie in überwiegender Verteidigung
kämpft.
Bei den Aufregungen und Leidenschaften der Gegenwart erreicht das
Problem seinen höchsten Gipfel, wir werden sehen, wie sehr verschiedene
Grade der Unfreiheit daraus hervorgehen. Zunächst gilt es verschiedene
Arten der Unfreiheit zu unterscheiden; sie unterscheiden sich aber gemäß
den beiden Mächten, welche unser politisches, ja gesamtes Leben
beherrschen und zusammenhalten, das sind aber Ordnung und Freiheit.
Beide erzeugen entgegengesetzte Wirkungen, die Ordnung wird mehr
Hemmungen, die Freiheit mehr Beschleunigungen unserer Tätigkeit bringen;
wir wissen, wie auch unser körperliches Leben für sein Wohlergehen
eines richtigen Verhältnisses von Hemmungen und Beschleunigungen bedarf.
Nicht anders steht es im politischen Leben, auch bei ihm läßt sich von
gesunden und ungesunden Verhältnissen reden; wir können daran nicht
zweifeln, daß wir uns heute in einem Stande übergroßer Beschleunigung
befinden. Darnach bemißt sich aber auch der Grad der Unfreiheit bei uns.
Es gibt eine Unfreiheit der Ordnung, sie hat in früheren Zeiten drückend
genug auf uns gelastet; es gibt aber auch eine Unfreiheit, die aus der
Freiheit selbst, aus einer verkehrten und falsch angewandten Freiheit
hervorgeht; diese im Namen der Freiheit geübte Unfreiheit ist
gegenwärtig weit gefährlicher und verderblicher als die andere
Unfreiheit, sie sucht die Freiheit nicht sowohl von außen her zu
schädigen als sie von innen heraus zu zerstören. Es sind hier drei
Hauptgrade der Unfreiheit auseinander zu halten, wovon der erste der
Positiv, der zweite der Komparativ, der letzte der Superlativ der
Unfreiheit genannt werden könnte; daß dieser Superlativ noch weiter
übertroffen wird, dafür sorgen bekanntlich die extremen Gruppen.
Betrachten wir nun etwas genauer, wie sich unter den gegenwärtigen
Verhältnissen die Schädigung der Freiheit und das Überwuchern der
Unfreiheit bei uns ausnimmt.
* * * * *
Unzweifelhaft war auf deutschem Boden die politische Tätigkeit durch
mannigfache geschichtliche Tatsachen und Mächte gebunden, so durch den
Staat, der aber doch nicht bloßer Obrigkeitsstaat war, so durch die
ständische Gliederung, die aber doch nicht bloßer Eigendünkel war, so
durch die kirchlichen Überlieferungen und Einrichtungen, die aber doch
in vielen Herzen lebten, so überhaupt durch das Ganze einer vorhandenen
und eingewöhnten Lebensordnung und Weltanschauung. Es war sicherlich in
unserem Leben manches ohne einen auslangenden Grund, manches schleppte
sich mühsam durch die Zeiten, eine gründliche Revision dieses Bestandes
wurde von vielen Seiten verlangt, unser Leben bedurfte einer gewissen
Verjüngung, wir arbeiteten zu sehr mit altgewordenen Kräften und ließen
schöne Jugendjahre durch schwerfällige Einrichtungen nicht genügend
genutzt. Alles das hat manche Mißstände erzeugt, aber ist durch dieselbe
eine wesentliche Unterdrückung unserer Freiheit entstanden, lag es nicht
auch an den Einzelnen selbst, wenn sie zu wenig Mut und Kraft zu einer
freien Bewegung fanden? Gewiß sind alle künstlichen Hemmungen ein Übel,
es frägt sich aber, ob es nicht auch andere, unentbehrliche Hemmungen
gibt. Hier treibt es uns zwingend zu einem Urteil über die moralischen
Bedürfnisse und das Verhalten des menschlichen Durchschnittes; die
erfahrenen Politiker und die Anhänger von abstrakten Theorien pflegen
dabei völlig auseinander zu gehen. Jene pflegen den Menschen als
überwiegend von Selbstsucht und Begier erfüllt darzustellen, sie richten
darnach auch ihr eigenes Verhalten ein, so waren alle großen Politiker
als Praktiker entschiedene Pessimisten; jene Theoretiker dagegen
schmücken ihr Bild mit den glänzendsten Farben, natürlich nur sofern der
Betreffende ein Parteigenosse ist, denn der Gegner wird unbesehens zur
Hölle verdammt. Hat aber die politische Erfahrung recht, so wird die
Frage unvermeidlich, ob der Mensch nicht für sein eigenes Wohlergehen,
ja für seine Selbsterhaltung starker Hemmungen dringend bedarf. Alle
Erhebung über die bloße Natur kostet Mühe und Arbeit, paradiesische
Zustände sind ein gefährlicher Traum. Wenn daher eine demagogische
Denkart dem Menschen eine solche Lage vorspiegeln und ihm alles
Hemmende, alle Strenge, alle Zucht als überflüssig ausreden möchte, so
begeht sie einen Frevel am Menschen selbst, so wird sie zu einem
Zerstörer und Verderber. Aus derartigen Überzeugungen werden wir über
das, was überkommene Verhältnisse an Hemmungen enthielten, etwas anders
denken als jene Volksverführer. Prüfen wir mit unbefangenem Urteil, was
von jenen Hemmungen für die geistige Erhaltung des Menschen notwendig
war, und stellen wir dann mit genügender Klarheit und Entschiedenheit
fest, wie viel davon aus menschlicher Schuld hervorging. Sicherlich wird
dabei manches verbleiben, und es sei eine Unfreiheit dieser Art in
keiner Weise beschönigt. So viel ist aber gewiß, daß alles, was nach
dieser Richtung wirkt, heute bei weitem nicht so gefährlich ist als die
Unfreiheit, welche aus der Freiheit hervorgeht, natürlich nicht aus der
echten Freiheit, wohl aber aus der unter der bloßen Form und unter dem
Deckmantel der Freiheit verübten. So liegt hier heute die niederste
Stufe der Unfreiheit.
* * * * *
Nunmehr kommen wir zur demokratischen Unfreiheit. Zunächst verwahren wir
uns dabei gegen die Meinung, als wüßten wir die Bedeutung und das gute
Recht der Demokratie nicht zu schätzen. Wir würdigen vollauf die
Bedeutung der freien Bewegung und der freien Betätigung des Individuums,
wie sie einen Hauptzug der Neuzeit bildet, wir verkennen auch nicht den
Reichtum von Bildungen, welche auf dem Boden der Demokratie möglich
sind, -- schon Aristoteles hat uns darüber sorgfältig berichtet, -- wir
wissen auch, wie glücklich besondere Arten der Demokratie, wie z. B. die
schweizerischen, gewirkt haben. Aber hier handelt es sich zunächst um
die Demokratie, die in unseren Großstädten, vor allem in Berlin,
entstanden ist, und von diesen Berliner Demokraten können wir kein Heil
für die Freiheit erwarten. Auf den ersten Blick mag es ja scheinen, als
könne von der Freiheit keine Gefahr der Unfreiheit entstehen, in
Wahrheit kann sich die vermeintliche Freiheit in eine arge Unfreiheit
verwandeln in der Hand der Menschen und durch ein Zusammenwirken der
Verhältnisse; man möchte dabei des bekannten Wortes Rousseaus gedenken,
daß alles gut von Natur an uns kommt, alles aber unter unseren Händen
entartet. Mehr als in einer anderen Zeit erfolgt nämlich ein ungeheures
Zusammenhäufen, ein Zusammenballen ungeschiedener Massen, der Mensch
erfährt hier keinen Druck von außen her, um so mehr erfährt er ihn durch
das gesellschaftliche Zusammensein; dieses erweist sich als eine weit
überlegene Macht, der der Einzelne sich unbedingt unterwerfen muß.
Tausendfach sind die Wege und Mittel, durch welche die Gesellschaft ihre
Macht ausübt. Sie tut das vornehmlich durch die Presse, sie tut das so
unmerklich, daß der Leser gar nicht bemerkt, daß er durch sein Blatt
bestimmte Ziele und Werte aufnimmt; so denkt weniger er selbst, als daß
er seine Zeitung für sich denken läßt. Zugleich aber wirken bestimmte
Parteitendenzen, sie ziehen den Einzelnen so geschickt ins Garn, daß er
willenlos zum gehorsamen Diener einer Partei wird. Dabei pflegt bei uns
Deutschen -- vielleicht mehr als bei anderen Völkern -- eine besondere
Lebens- und Weltanschauung zusammenzugehen; es hat hier namentlich die
französische Aufklärung gewirkt, sie tat und tut es, indem sie alle
schwereren und minder angenehmen Probleme zurückschiebt, beflissen die
Größe und Würde der Menschheit predigt, dabei eine verstandesmäßige und
überwiegend naturalistisch gehaltene Denkweise entwickelt, aus einer
solchen alles verwirft, ja verketzert, was ihren Rahmen überschreitet.
Kann man bei solcher Abhängigkeit von einer auf der Höhe des
Geisteslebens längst überwundenen Denkart von geistiger Freiheit
sprechen?
Auf dem Gebiet der Lebensanschauung mag sich die Sache harmloser
ausnehmen, aber auch hier reichen die Wurzeln oft bis in das politische
Gebiet hinein. Eine besondere Gefahr für die Freiheit aber entsteht hier
aus dem Wirken der Demagogen, der Volksumschmeichler, welche sich mit
allen Mitteln um das Gefallen des Volkes bewerben und durch seine Gunst
Einfluß oder Macht zu gewinnen suchen. Das ergibt eine Denkart, die
alles Streben und Sinnen darauf richtet, den Beifall der großen Menge zu
erhalten, die sich selbst zur Unfreiheit verurteilt, aber auch
diejenigen erniedrigt, zu denen sie wirken möchte. Der bloße Mensch
beherrscht hier die Sache, das Nützliche aber das Gute und Wahre; das
ist bloßer Menschendienst, inneres Sklaventum, um es mit dürren Worten
zu sagen.
* * * * *
In verwandter Richtung wirkt zur Unfreiheit ein Mißbrauch des
Gleichheitsgedankens. Die Gleichheit finden wir weder in der Natur noch
in der Kulturarbeit mit ihrer unbegrenzten Verschiedenheit. Der Gedanke
stammt vielmehr aus dem Reiche der Ideen, zunächst von der Idee Gottes,
dann von der einer allumfassenden Vernunft, die in allen Menschen wirkt
und sie zu gleichem Recht beruft. Diese beiden Ideen sind heute dem
modernen Durchschnittsmenschen sehr verblaßt, trotzdem ist er eifrig
bedacht, in allen Verhältnissen möglichste Gleichheit durchzusetzen, ist
er geneigt, alles, was den Durchschnitt überschreitet, als ein schweres
Unrecht, beinahe wie ein persönliches Unrecht, zu behandeln. So nimmt
eine weitverbreitete Zeitströmung ohne weiteres Partei für die Jüngeren
gegen die Älteren, für die Schüler gegen den Lehrer, für den
Untergebenen gegen den Vorgesetzten, als sei alle Ordnung und alle Zucht
nur ein Ausfluß selbstherrlicher und brutaler Gesinnung, alle Ehrfurcht
ein leeres Gerede. Alle Achtung vor einer Gleichheit, welche von der
Gesinnung des ganzen Menschen getragen wird und die alle innerlich
zusammenhält, aber keine Achtung vor einer Denkart, welche die
Leistungen möglichst egalisieren möchte und neidisch allem Vorzug
auflauert! Dafür gilt Goethes Wort: »Der schlimmste Neidhart ist in der
Welt, der jeden für seinesgleichen hält«. Ein derartiges Egalisieren ist
keine Freiheit, sondern eine traurige Unfreiheit.
* * * * *
Die letzte und höchste Stufe erklimmt die Unfreiheit unter dem Schein
der Freiheit in der sozialistischen Gestaltung des Staates und des
Lebens. Auch hier müssen wir uns des Mißverständnisses erwehren, als
würdigten wir nicht die Bedeutung und das Recht der großen Probleme,
welche uns die sozialistische Bewegung mitteilt. Keine der anderen
Theorien hat so sehr die Gegensätze in sich aufgenommen und durchdacht,
welche die moderne Arbeit mit ihrer Wendung zur technischen und
fabrikmäßigen Arbeit erzeugt hat, keine hat so sehr den schroffen
Zusammenstoß von Kapital und Arbeit gewürdigt, keine hat eine so
großartige Organisation hervorgebracht, keine hat so auf dem modernen
Boden auch einen gewissen Zusammenhang der Seelen zu bewirken gestrebt.
Etwas anderes aber sind solche Probleme, etwas anderes ist die
gegenwärtige Gestaltung der politischen Verhältnisse. Hier, wo die
bisherige Oppositionsbewegung zur herrschenden Stellung gekommen ist,
und wo sie alle überkommenen Bindungen von sich abgeschüttelt hat, da
hat die Unfreiheit den höchsten Gipfel erreicht. Das System des
Sozialismus erhebt die Freiheit formal zur äußersten Höhe, sachlich
aber bedroht es sie mit einer völligen Zerstörung. Hier liegt alle
Freiheit schließlich am Gesamtwillen der Menschen; daß die einzelnen
Punkte -- von Gliedern kann man hier nicht wohl reden, da alle
Verbindung nur eine mechanische Zusammensetzung ist -- an diesem
Gesamtwillen in gleicher Weise teilnehmen, das scheint schon volle
Freiheit zu verbürgen. Aber von jenem Gesamtwillen besitzt jeder
Einzelne nur einen verschwindenden Bruchteil, und was immer er von
Freiheit hat, das hat er nur innerhalb des Ganzen und nach dem Maße des
Ganzen; damit kann er nie selbständig walten, dem kann er nicht eine
selbständige Denkweise und eigene Aufgabe entgegenstellen. Seine Partei
ist hier seine Welt, sein Lebenskreis; daß das Ganze keinen Druck gegen
den Einzelnen ausübt, und daß es selbst die höchste Vernunftinstanz
bildet, die Quelle alles Guten und Wahren bildet, das wird als
selbstverständlich vorausgesetzt; daß es das nicht ist, das mußte
kenntlich werden, sobald die sozialistische Bewegung von der Verneinung
zur Bejahung überging und nun ihr Leistungsvermögen zu erproben hatte;
nun mußte die von ihr geübte Unfreiheit aufs Schwerste empfunden werden.
* * * * *
Es entstehen hier ungeheure Bindungen durch die Allgewalt des Staates,
der alles Leben an sich rafft, durch die ausschließliche Unterwerfung
alles Lebens und Strebens durch das wirtschaftliche Ziel, durch die
Benutzung aller wirtschaftlichen und technischen Kräfte für die
erstrebte Sozialisierung. Das ergibt einen sehr begrenzten Lebenskreis,
der unendlich viel von den wertvollsten geistigen Gütern der Menschheit
unbedenklich preisgibt, und der eine Freiheit nur in dem Sinne einer
schroffen Verneinung kennt, ja es entsteht damit eine klägliche
Erniedrigung und Unfreiheit des ganzen Lebens, sofern alles Streben auf
das sinnliche Wohlergehen des Menschen gerichtet, alles Handeln wegen
der Sache, alles erhöhende Schaffen aber verworfen, zugleich alle
inneren Probleme verkannt, alle nichtmaterialistischen Ansichten wie ein
krasser Unsinn abgelehnt werden. Wenn alles das mit seiner entsetzlichen
Unfreiheit uns als ein Werk der Freiheit aufgedrängt wird, so muß das
jeden mit Zorn und Unwillen erfüllen, der Freiheit und Unfreiheit zu
unterscheiden vermag.
* * * * *
Wir sehen: die Probleme liegen ein gutes Stück tiefer als jene
sozialistische Denkweise uns vorhält; wir überzeugen uns zugleich, daß
es wichtig ist, politische und geistige Freiheit in das rechte
Verhältnis zu bringen, inneres und gesellschaftliches Leben sowohl
miteinander zu verbinden als genügend auseinander zu halten.
Das Staatsleben fordert eine eigentümliche Selbständigkeit, es muß sich
an den menschlichen Durchschnitt halten, es verlangt einen gewissen
Glauben an den Menschen, an sein Vermögen, an die Bedeutung seines Tuns;
wo eine schroff pessimistische Denkweise ihm das verwehrt, wie etwa bei
Hobbes und Schopenhauer, da kann das staatliche Leben keinen Reiz und
keinen Antrieb gewähren, da kann sich keine politische Freiheit
entwickeln, da entbehrt aber auch das geistige Leben wesentlicher Hilfen
und Forderungen. Wer dagegen mit Rousseau oder den Sozialisten den
Menschen als von Natur vortrefflich ausgestattet erklärt und alle
Übelstände auf die gesellschaftlichen Verhältnisse schiebt, der mag viel
politischen Eifer entfalten, aber er entbehrt einer Verbindung mit dem
geistigen Leben und Schaffen, er kann daher auch weder dem politischen
Leben eine Größe noch seiner Seele eine Tiefe geben.
So gilt es, auf dem Grunde einer selbständigen Geisteswelt ein
eigentümliches politisches Leben und eine politische Freiheit zu
entfalten und dabei weder einem flachen Optimismus noch einem mißmutigen
Pessimismus zu verfallen, wohl aber einen Aktivismus der Überzeugung zu
verfechten, der allen Sorgen und Nöten des menschlichen Lebens eine
feste Zuversicht und eine tapfere Gesinnung entgegensetzt. Das
entspricht dem tiefsten Grund der deutschen Art, und an diesen Grund
wollen auch wir uns halten.

Druck von Richard Hahn (H. Otto) in Leipzig.
You have read 1 text from German literature.
  • Parts
  • Deutsche Freiheit: Ein Weckruf - 1
    Total number of words is 4037
    Total number of unique words is 1387
    36.3 of words are in the 2000 most common words
    50.3 of words are in the 5000 most common words
    57.1 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Deutsche Freiheit: Ein Weckruf - 2
    Total number of words is 3989
    Total number of unique words is 1395
    35.9 of words are in the 2000 most common words
    48.4 of words are in the 5000 most common words
    55.0 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.