Der Weinhüter - 6

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weißt, gib dich über alles andere zufrieden; denn mehr zu sagen,
verbietet mir mein kirchlicher Gehorsam, und würde dir auch zu nichts
frommen.
Die Spannung auf dem Gesicht des jungen Mannes ließ plötzlich nach,
und die Züge wurden nur kummervoll und hoffnungslos. Ich dank' Ihnen,
sagte er, aber es hilft mir nicht viel, denn das hab' ich schon gewußt.
Auch wenn mir's niemand gesagt hätt', meine Mutter könnt's nicht
gewesen sein. Und ich würde mich auch damit zufriedengeben, denn am
Ende, wenn meine Eltern ohne mich fertig werden können, muß ich mich
wohl auch ohne sie behelfen lernen, und hab's schon lange genug getan.
Aber das arme Weib, Hochwürden, das Tag und Nacht keine Ruh' hat,
weil sie meint, es wär' alles nur gelogen von der Mutter, weil sie
mich zu sehr gehaßt hat, und von mir, weil ich meine Schwester zu lieb
gehabt hätte--nein, Hochwürden, da hilft nichts als Brief und Siegel,
sonst fürcht' ich, sie macht's nimmer lang, denn es ist gar erbärmlich,
wie sie sich's zu Gemüte gezogen, und Sie wissen wohl, sie hat eine
schwache Stelle irgendwo in ihrem Kopf, mit der nichts anzufangen ist.
Er setzte sich wieder mit dem Ausdruck tiefer Ermüdung. Der
Hilfspriester aß und trank mechanisch, mehr um seine Verwirrung zu
verbergen, als weil ihn die Speisen gelockt hätten, von denen er
keinen Bissen schmeckte. Erzähl erst, sagte er, wie's so weit
gekommen ist. Hernach wollen wir dann schauen, was sich noch
gutmachen läßt. Wo hast du die Monate her gesteckt, daß kein Hahn
nach dir krähen konnte?
Nicht in der Kutte, hochwürdiger Herr, sagte der Bursch, und seine
Züge heiterten sich in der Erinnerung an gefährliche und listige
Abenteuer ein wenig auf. Sehen Sie, fuhr er fort, als mir die Moidi
zuerst sagte, ihre Mutter habe mich als einen Findling oder Gott weiß
woher von der Alm mit heruntergebracht, da war mir's, als käme ich
plötzlich aus glühenden Ketten und Banden los, die ich allezeit mit
mir geschleppt hatte, und die auch im Kloster droben nicht von mir
abfallen wollten. Denn nicht einmal in der heiligen Beicht' hat mir's
über die Zunge gewollt, was ich die letzten Jahre her von wegen der
Moidi ausgestanden hab', und daß ich's nicht überleben würde, wenn ein
anderer sie heimführte. Und das wußt' ich ja wohl, daß es eine
Todsünde war, wenn ich wirklich der Sohn ihrer Mutter gewesen wäre;
und doch konnt' ich's nicht von mir abtun, denn es war stärker als
mein bißchen Verstand und Religion und alles, was ich von Ihnen
gelernt und in den heiligen Büchern gelesen hatte. Als ich's aber mit
Händen greifen konnte, daß ich mich die langen Jahre unnütz abgehärmt
hatte und gar nichts Sündhaftes dabei sei, wenn ich das Mädchen lieber
als mein Leben hätte, da bin ich plötzlich ganz lustig in mir geworden
und hab' mir sogleich vorgesetzt, mein müßt sie werden, und wenn der
Kaiser selbst uns wollt' auseinanderreißen lassen. Denselben Abend
aber hab' ich mir noch nichts merken lassen, nur wie ich in meiner
Zellen gesessen bin, da hätt' ich singen und jauchzen mögen so laut,
daß man's bis nach Meran hinunter hätte hören sollen. Ich hab' aber
allerhand Sachen herzurichten gehabt, auch den Brief geschrieben an
die Rosine, und so ist die Nacht auch endlich herumgegangen. Und dann,
da es noch kaum dämmerig war, stand ich schon unten und holte das
arme Ding ab, das keine Ahnung hatte, was werden sollte. Ich tat auch
zu Anfang ganz vernünftig, bis wir ein paar Stunden weit weg waren,
redete immer von der Wallfahrt, und sie war nicht böse drüber, daß ich
sie mit mir nahm. Denn sie hätte gern noch ein Stück weiter in die
Welt hineingeschaut. Als wir aber hoch oben zwischen den Bergen waren
und sie immer neugieriger fragte, wo's denn hinginge, ließ ich sie ein
wenig niedersitzen ins Moos, trat hinter einen Felsen und kam gleich
darauf wieder hervor, aber nicht mehr als Kapuziner, sondern in der
Jacke und Hosen und allem, wie ich's getragen hatte in der Nacht, als
ich von Goyen wegfloh; denn die Sachen, die dem Franz gehörten, hatte
ich noch immer nicht wieder zurückgeschickt. Da lachte sie erst über
die Maßen und sagte, ich gefiele ihr viel besser so als in dem langen
Klosterrock, und wir aßen zusammen auf, was ich heimlich mitgenommen
hatte. Dann aber wurde sie auf einmal still, und ich mußte ihr wohl
ganz besonders vorkommen, denn sie nahm mich scharf ins Gebet, und als
ich endlich in meiner Herzensfreude damit herausplatzte, ich würde
nimmermehr in die Kutte zurückkriechen, auch gar nicht wallfahrten
gehen, sondern sie als mein Weib in die weite Welt entführen, erschrak
sie gewaltig und fing heftig an zu weinen. Ich aber gab ihr die
besten Worte und blieb ganz ruhig, damit sie nur nicht wieder einen
Anfall bekäme von ihren alten Krämpfen; und so, während ihr die Tränen
immer langsamer flossen, setzte ich ihr auseinander, daß es gar nicht
anginge, erst wieder nach Meran zu gehen und bei Pontius und Pilatus
anzufragen, ob sie auch nichts dagegen hätten. Das gäbe einen noch
viel größeren Lärm, als wenn wir gar nicht wiederkämen, und wenn wir
endlich doch einmal Heimweh nach unserm Häusel erleiden sollten und
kämen in Meran wieder zum Vorschein als Mann und Frau, so müßten's
eben alle hinnehmen, wie's wäre. Sie sollt' nur einmal an den alten
Hirzer denken und den Franz, wie die aufbegehren würden, wenn ich
plötzlich vor sie hinträte und sagte: Die Moidi ist mein, und ich geb'
sie nimmer heraus. Und die Tante Anna und der Herr Dekan und die
ganze Stadt, die uns so lang' als Bruder und Schwester gekannt hatten,
und das Geschrei und Geschreibe beim Amt und allen Teufeln! Und
zuletzt spielt' ich den besten Trumpf aus und sagte: Wenn ihr freilich
der Franz lieber wäre als ich, so möcht' sie's nur dreist sagen, es
wär' noch nicht zu spät, umzukehren und dann Abschied zu nehmen auf
Nimmerwiedersehen.
Da hielt sie's nicht länger aus und fiel mir uni den Hals und rief
unter Lachen und Weinen, daß sie keinen andern Willen hätte als den
meinigen, und hernach half sie mir selbst große Steine über die Kutte
wälzen, daß niemand sie finden und unsern Weg darnach aufspüren sollte.
Und denselben Tag sind wir noch viele Stunden weit gewandert,
seelenvergnügt und immer in der Einsamkeit, und haben manchmal
zurückgeschaut nach der Gegend, wo Meran liegen mußte, und über den
Franz unsere Schadenfreude gehabt, der nun ohne Braut nach Hause
fahren und den Spott aller Leute erdulden mußte. Ich hab' auch wohl
an Sie gedacht, Hochwürden, daß Sie mir's übelnehmen könnten, und an
meine Pate und die Rosel, die es immer gut mit mir gemeint haben.
Aber das hielt nicht lange vor. Denn wenn ich die Moidi neben mir
ansah, die ich nun herzen und küssen durfte, soviel ich wollte, und
die geduldig dazu stillhielt--nun, Sie können das freilich nicht
wissen, Hochwürden, wie's einem ist, wenn er mit seinem Schatz so
mutterseelenallein unter freiem Himmel hinwandert; aber wenn Sie es
auch einmal so gut gehabt hätten, zumal nach so langer Not, würden Sie
uns beiden die Sünde nicht so schwer anrechnen, sondern uns das
bißchen Glück wohl gönnen, das so nicht lange gedauert hat.-Er
verstummte wieder und sah traurig vor sich hin. Der Hilfspriester
schob den Teller zurück, seufzte einmal recht von Herzen auf und
schenkte das Glas wieder voll, um es seinem Beichtkind hinzureichen.
Der Bursch trank, seufzte dann ebenfalls und fuhr in seiner stillen,
eintönigen Weise fort:
Die erste Nacht haben wir auf einer Alm geschlafen, wo uns der Senner
zu essen gab, auch nicht weiter fragte, wer wir wären; denn wie es
zwischen uns stand, mochte er leicht erraten. Er hat uns auch am
andern Morgen versprochen, keiner Menschenseele zu sagen, daß er uns
in seiner Hütte beherbergt habe, und so gingen wir guten Muts weiter
im Hochgebirg und waren noch glückseliger und verliebter als den Tag
vorher. Die Gegend war mir ganz fremd, ich wußte aber, wenn wir immer
gegen Westen zu wanderten, kämen wir zuletzt in die Schweiz, und weil
sie da Freiheit haben, zu leben, wie sie wollen, und keine Polizei,
dacht' ich einstweilen da zu bleiben, hatte auch keine Furcht, daß sie
uns an der Grenze um unsern Paß fragen würden; denn wo wir gingen,
hoch unter der Schneide der Berge hin, von Sennhütte zu Sennhütte,
ist's den Herren Landjägern zu abschüssig, und wir sind auch kein
einzig Mal angehalten worden. Nun muß ich aber noch sagen, daß wir an
jenem zweiten Tag an eine Stelle kamen, wo ein steiler Grat mitten aus
den Wiesen aufsteigt, weit höher als die Muttspitz oder der Ifinger.
Da redete ich der Moidi zu, hinaufzuklettern und von da oben in die
Welt hinauszuschauen. Ich hatte aber eine Absicht dabei; denn um die
Ferner und Schneefelder war mir's gar nicht zu tun. Auf der Spitze
nämlich stand ein Kreuz, und hing auch der Herr Christus daran, ein
grobes Schnitzwerk, wie's einmal ein Senner mit dem Brotmesser
zustande gebracht haben mochte. Mir aber war's gut genug. Denn als
wir droben waren und die Moidi still und zufrieden um sich schaute,
nehm' ich sie sacht bei der Hand und knie mit ihr vor dem Kreuz hin.
Zuerst beten wir miteinander, hernach wollte sie aufstehen. Ich aber
sag': Bleib noch knien, Moidi; 's ist noch nicht zu Ende. Und da
fang' ich an und sage auf Lateinisch alles her, was notwendig ist, um
eine richtige Ehe zu schließen, und hernach zieh' ich ihren silbernen
Ring vom Finger und geb' ihr den meinigen dafür und lege meine Hand
auf ihren Kopf und ihre auf meinen, während ich den Segen spreche; ich
dacht' eben, man muß sich zu helfen wissen, und wie's eine Nottaufe
gibt, mag's ja auch einmal eine Nottrauung geben, nichts für ungut,
Hochwürden, und späterhin könnt's immer noch ordentlich und richtig
gemacht werden. Sie mochte das auch bei sich denken, denn sie ließ
mich machen, was ich wollte, und kniete andächtig vor dem Kreuz. Wie
ich nun mit meinem Latein zu Ende war, küßte ich sie von Herzen und
sagte: Nun bin ich dein Mann und du bist mein Weib, und nur der Tod
soll uns scheiden!--Sie nickte, und das Herz lachte ihr aus den Augen,
und darauf standen wir von den Knien auf und blieben noch eine Weile
droben stehen, und es war uns wundervoll zu Mut in der großen Stille
und Heimlichkeit, wie wir da mitsammen an die hundert Meilen weit auf
Länder, Städte und Flüsse hinuntersahen, und niemand war bei uns als
unser Herrgott, vor dessen Angesicht wir uns eben Treue bis in den Tod
gelobt hatten.
Sie kennen ja die Moidi, Hochwürden, und daß sie lieber lacht als
weint, auch für ihr Alter noch immer zu viel Kinderpossen im Kopf
hatte. Aber an unserm ganzen Hochzeitstag haben wir gar nicht gelacht,
auch nicht viel geredt miteinander, sondern sind so feierlich, als
wenn das ganze Gebirg nur eine große Kirche wäre, in der schönen Sonne
hingewandert, nur daß die Moidi im Gehen Blumen pflückte und mir einen
hochzeitlichen Strauß an die Jacke steckte, sich selbst aber ein
Kränzel band und an den Arm hing. Geld hatten wir auch noch und
konnten in der nächsten Hütte uns auftragen lassen, was der Senner nur
hergeben wollte. So war's eine ganz lustige Hochzeit, und weder sie
noch ich dachten mehr daran, was dahinter lag und was noch kommen
sollte.
Das fiel uns alles zuerst wieder ein, als unser Geld auf die Neige
gegangen war; es mocht' eine Woche inzwischen verstrichen sein, und
von der Schweiz waren wir noch weit, da wir keine Straße einhielten,
sondern gingen, wo es uns lustig schien. Am ersten Abend, als wir uns
mit leeren Taschen nach einem Nachtlager umsahen und wollten eben in
einen Heustadel kriechen, fiel mir ein großer Einödhof in die Augen,
und ich dacht': Da versuchst noch einmal dein Heil. Wir fanden da
auch richtig ein Unterkommen, aber aus der einen Nacht wurde ein
halbes Jahr. Denn der Hof gehörte einer Witfrau zu, die dort mit ein
paar Knechten und Mägden hauste, und den Oberknecht hatte sie eben
heiraten wollen, da hatte er sich beim Holzmachen verfallen, und die
Bäuerin trauerte um ihn wie um ihren ersten Mann. Als ich ihr nun
erzählte, ich hätte flüchtig gehen müssen, weil ich einen Welschen
erschlagen, und meine Schwester da--denn dafür gab ich sie aus, weil
die Bäuerin sich mit Eheleuten wohl nicht beladen hätte--die Moidi
also hätte mich nicht allein ziehen lassen wollen, und nun seien wir
ohne einen Kreuzer, da bot sie mir an, bei ihr in. Dienst zu treten,
und für meine Schwester gebe es auch Arbeit. Das waren wir natürlich
zufrieden, und nur die Moidi machte mir hernach Vorwürfe, daß ich sie
nicht für mein Weib anerkannt' hätt', und ich hatte Mühe, sie wieder
zu versöhnen. Also blieben wir, und der Sommer verging, und wir
hatten über nichts zu klagen. Denn daß die Bäuerin ein Auge auf mich
geworfen hatte, wie ich nach und nach merkte, und mich zum Oberknecht
machte, um mich hernach wohl auch noch weiter zu befördern, konnte ich
mir ja ruhig gefallen lassen und zur rechten Zeit noch immer nein
sagen. Aber auf einmal wurde es mit der Moidi so traurig, daß ich Tag
und Nacht keine Ruhe mehr hatte. Es war vor etwa einer Woche, da
mähte ich auf der obersten Wiese und sehe plötzlich mein Weib
heraufkommen, mit einem ganz verwilderten Gesicht. Und wie sie droben
ist, fällt sie vor mir nieder und beschwört mich mit aufgehobenen
Händen, ich sollt' sie umbringen aus Gnad' und Barmherzigkeit, sie
könne nicht leben mit der Sünde auf dem Gewissen, sie trage ein Kind
unterm Herzen, und diese Nacht sei ihre Mutter ihr im Traum erschienen
und habe ihr zugeraunt: Der Andree ist doch mein Sohn, und dein und
sein Kind wird verflucht sein in alle Ewigkeit.
Sie können sich nun denken, Hochwürden, wie ich erschrocken bin; denn
da sie steif und fest dabei blieb, ist mir's selber zuletzt ganz angst
und bange worden, weil ich keine rechten und klaren Beweise hatte, es
sei alles doch so, wie wir's bisher geglaubt, und der Traum nur eine
Einbildung gewesen. Herrgott, dacht' ich, wenn's dennoch wahr wäre!
Und es überlief mich eiskalt, und ich dachte wahrhaftig einen
Augenblick, wie ich das arme händeringende Weib vor mir auf der Erde
liegen sah: Das beste wär', du gingest mit ihr auf und davon, und wo's
recht jäh in einen Abgrund hinunterschießt, drücktet ihr die Augen ein
und spränget geradewegs in die Hölle. Hernach wurde ich freilich für
meinen Part wieder ruhig; ich überlegte alles noch einmal und blieb
zuletzt dabei: Es kann nicht sein! Aber das arme Weib war nicht damit
zu getrösten. Sie verlangte nicht mehr zu sterben, da's eine doppelte
Sünde wär' wegen des Kindes, aber nach Meran zurück, und hier müsse
sich's entscheiden. Mir selbst war's ein saurer Gedanke; ich wußte
wohl, daß es ohne Lärm hier zu Hause nicht abgehen würde. Aber da die
Moidi immer verwirrter aus den Augen schaute, zudem auch die Bäuerin
was Unrechts witterte und mir antrug, die Schwester wegzuschicken,
mich aber zu behalten, da war schon nichts anderes zu machen, als
unser Bündel zu schnüren und den harten Bußweg anzutreten.
Ich will Sie nicht damit langweilen, Hochwürden, wie jämmerlich uns
unterwegs zu Mut war, wenn wir an so manche Stelle kamen, die uns vor
sechs Monaten angelacht hatte, und wo nun das arme Weib in jedem Wind
Stimmen zu hören glaubte, die sie anklagten und verdammten. Wenn wir
Sünde getan hatten, daß wir ohne jemand zu fragen und ohne den Segen
der Kirche als Mann und Frau in die Welt gegangen waren, so haben
wir's auf dem Heimweg hundertfach abgebüßt, zumal ich selber, da ich's
für sie mitzutragen hatte. Und denken Sie nur, als wir wieder an die
Bergspitze kamen, wo ich uns im Frühling zusammengegeben hatte, war
das Kreuz verschwunden. Wahrscheinlich haben's die Stürme
hinuntergerissen. Aber der Moidi fiel es aufs Herz, wie wenn das
damals nur ein Blendwerk des Teufels gewesen wäre, der uns in die
sündhafte Ehe hätte verlocken wollen, und sie fiel mir ohnmächtig in
die Arme, und eine Stunde lang hatt' ich zu tun, sie wieder zu sich zu
bringen.-Er schwieg, und es überschauerte ihn sichtbar wie ein
Fieberfrost, in der Erinnerung an alle überstandenen Drangsale. Der
geistliche Herr war längst aufgestanden und hatte hin und her wandelnd
die Beichte mit angehört, während er in immer kürzeren Pausen aus
seinem Döschen von Birkenrinde schnupfte. Die letzte Prise hielt er
lange zwischen Daumen und Zeigefinger und stand dabei still vor einem
großen Kupferstich, die Magdalene in der Wüste darstellend, dem
einzigen Schmuck seiner kahlen vier Wände. Er getraute sich nicht,
dem Rat- und Hilfesuchenden das Gesicht zuzuwenden, denn der Fall war
so schwierig, daß er wenig Hoffnung hatte, alles glücklich
hinauszuführen.
Wo ist sie jetzt? fragte er endlich kleinlaut.
Droben in unserm Häusel auf dem Küchelberg, versetzte der Bursch. Wir
sind vor ein paar Stunden angekommen, über Dorf Tirol, und die Leute
haben uns wiedererkannt und mit Fingern auf uns gezeigt, und wie ich
allein unten durch die Lauben kam, mochten sie's schon wissen, denn
sie sind mir ausgewichen, als hätte ich eine Seuche und Pestilenz an
mir. Droben aber sitzt das arme Weib und wartet, daß ich Sie mit
heraufbringe, und wenn Sie keinen Trost für sie haben, steh' ich für
nichts. Denn es ist ein verzweifelter Geist, der ihr aus den Augen
sieht, und ihr armer Verstand hängt an einem dünnen Faden. Noch ein
Riß, so fällt er ins Bodenlose; darauf verlassen Sie sich, Hochwürden.
Drei Wochen können's weit bringen mit so einem armen Weib.
Er stand nun auch auf, als wollte er dadurch den schweigsamen
geistlichen Herrn zu einem Entschlusse treiben. Der aber blieb noch
eine ganze Zeitlang vor dem Kupferstich, obwohl er kaum einen Strich
davon an der dunklen Wand unterscheiden konnte. Erst die achte Stunde,
die es vom Turm schlug, schien ihn zu mahnen, daß Gefahr im Verzuge
sei. Er kehrte sich von der Wand ab, machte dem Andree ein Zeichen,
daß er sogleich wiederkommen würde, und stieg, das einzige Licht vom
Tisch mitnehmend, die Treppe hinab, immer tiefer und tiefer, bis der
letzte Schimmer verschwand.
Aber kein Vaterunser lang währte es, so tauchte der Lichtschein wieder
auf, und der würdige Herr erschien mit eilfertigem Keuchen und trug
eine Maßflasche, mit einem zartgelben Wein gefüllt, wie einen Säugling
im Arm, die Magd hinter ihm mit reinen Gläsern. Siehe, sagte er zu
Andree, der zerstreut und ungeduldig dareinschaute, dieses ist der
wahre Seelentrost und Mitstreiter, und ehe wir andere trösten, geziemt
es, unser eigenes Gemüt zu kräftigen. Trink, armer Sohn; du wirst ihn
noch wiederkennen. Er ist herber geworden seit den zehn Jahren, aber
reifer und gesetzter; da schau, er wirft keine Bläschen mehr.
Und mit heiterem Gesicht hielt er das reine Gold gegen das Licht, ehe
er trank, und stieß mit seinem bekümmerten Pflegling herzlich an. Ich
hoff', es soll noch gut werden, sagte er, denn schon übte die Nähe des
edlen Trunkes ihre ermutigende Wirkung. Gaudete in Domino semper,
stehet geschrieben, und darum trink, mein Sohn, und hernach wollen wir
auch der armen Büßerin ein Fläschlein füllen, denn sie wird es
brauchen können.
Nun sprachen sie kein Wort mehr zusammen, sondern der Zehnuhrmesser
ging immer auf und ab, wie ein General in seinem Zelt, der über den
Schlachtplan nachdenkt, und trank dazwischen in großen Zügen und
setzte das Glas jedesmal mit einem herzhafteren Ruck wieder auf den
Tisch. Als die große Flasche halb leer war, nahm er mit einem raschen
Griff die Geige von der Wand und fing an, immer auf und ab wandelnd,
eine schöne alte italienische Kantate zu streichen, mit vielen krausen
Fiorituren verbrämt, ein Stück, das er immer an wichtigen und
bedeutsamen Tagen zu spielen pflegte, auch des Katers Leibstück, der
mit freudigem Schnurren auf den Tisch sprang, um das Licht
herumwandelte und mit den großen grünen Augen den Andree ansah, als
wollte er ihn auffordern, ebenfalls guter Dinge zu sein. Dem aber
brannte vor Ungeduld der Boden unter den Füßen, und nur seine
Ehrfurcht und das eigene Schuldbewußtsein hielten ihn ab, den
geistlichen Herrn in seinem Konzert zu unterbrechen und daran zu
erinnern, daß die Moidi die Minuten zähle, bis er ihr Trost brächte.
Endlich aber legte der geistliche Herr die Geige weg, trocknete sich
mit dem Ärmel seines Hauskleides die Stirn und fuhr dann rasch in sein
schwarzes Gewand. Die Magd kam, goß den Rest des Terlaners in ein
Fläschchen, das Andree einstecken mußte, brachte dem Herrn seinen Hut
und leuchtete ihnen die Treppe hinunter. In der Laubengasse war es
indessen stiller geworden, nur aus den Schenken hörte man das Singen
und Lachen der welschen Maurer und Tagelöhner und hie und da Streit
und heftige Reden, und die Wächter saßen bei den offenen Buden und
rüsteten sich auf die Nacht, die kalt zu werden versprach. Als sie
auf den Platz kamen, wo die Kirche steht, blieb der Zehnuhrmesser
stehen und sagte: Geh jetzt voraus, mein Sohn; ich hab' erst noch beim
Herrn Dekan ein Geschäft, zu dem ich dich nicht mitnehmen kann. In
einer halben Stunde komm' ich nach; und sag einstweilen der Moidi, daß
ich gesagt hätt', es wird noch alles gut.
Er reichte dem Andree die Hand, die dieser ehrerbietig küßte, und
stand dann noch eine Weile unten am Pfarrhaus, ehe er sich
entschließen konnte, hinaufzugehen. Aber der Terlaner half ihm, und
nur mit einigem Herzklopfen, wegen der steilen Steintreppe, langte er
droben in der Pfarrwohnung an.
Was er dort an jenem Abend gesprochen, und was ihm geantwortet worden,
hat er niemand verraten wollen. Als er aber eine Viertelstunde später
wieder hinunterstieg, war sein Wesen sehr verwandelt, der Geist des
Terlaners von ihm gewichen und eine tiefe Niedergeschlagenheit dafür
eingetreten. Er seufzte oft, während er die rauhe Straße zum
Küchelberg hinanstieg, und als er endlich droben das Häuschen liegen
sah, ans dessen kleinen Fenstern ein schwacher Lichtschein dämmerte,
seufzte er noch stärker und wäre am liebsten wieder umgekehrt. Aber
wenn er nicht helfen konnte, wollte er die Armen wenigstens nicht
allein lassen in ihrem Unglück, und so öffnete er ohne anzuklopfen die
niedrige Tür und trat über die wohlbekannte Schwelle.
Er fand das junge Paar in der Küche, wo die Mutter gestorben war; der
Andree stand am Herd und blies eben das Feuer an, um eine Polenta zu
kochen, die Moidi saß still und teilnahmslos auf dem Bett drüben an
der Wand, den Mantel noch umgeschlagen, in welchem sie die weite
Wanderung gemacht hatte, als sei sie noch nicht zu Hause und werde
auch nirgends wieder eine Heimat finden. Als der geistliche Herr an
sie herantrat und ihr guten Abend sagte, fuhr sie zusammen, machte ein
Bewegung, als wollte sie aufstehn, sank aber wieder auf das Bett
zurück und saß in sich geschmiegt, die Hände vors Gesicht gedrückt,
ohne einen Laut von sich zu geben.
Moidi, sagte der kleine Herr, kennst du mich nicht mehr?
Sie nickte hastig vor sich hin.
Willst du mir nicht einmal ins Gesicht sehen, und hast kein Vertrauen
zu mir?
Sie antwortete nicht, aber er sah, wie ihr ganzer Leib zitterte. Er
schüttelte traurig den Kopf. Andree, sagte er, geh einstweilen in die
Kammer, ich habe mit der Moidi allein zu reden.
Der Bursch gehorchte ohne Verzug, trat aber nicht in die Kammer,
sondern ging ins Freie; es war ihm zu eng und schwül in dem Hause, wo
er so viel Leids erfahren hatte.
Nun, meine Tochter, fing der Zehnuhrmesser wieder an, nun fasse ein
Herz zu mir und höre, was ich dir sage. Ihr habt freilich Sünde getan,
und wenn es euch hart ergangen ist, so habt ihr's als eine gerechte
Zucht und Buße vom Herrn hinzunehmen. Aber so schwer ist eure Sünde
nicht, daß ihr sie nicht wieder gutmachen könnt, und was dich am
meisten ängstigt und dein Gewissen beschwert, kann ich--dem Himmel sei
Dank--von dir nehmen, indem ich sage und bezeuge: Andree ist nicht
deiner Mutter Sohn, und der Segen der Kirche darf und wird euch zu
christlichen Eheleuten machen. Also sei getrost und erhebe dein
Angesicht und betrübe mich und den Andree nicht mit deinen
Einbildungen, die das Übel nur ärger machen und dem bösen Feind
entstammen, der die Seelen verderben will.
Er erwartete, daß sie auf diese Worte ruhiger werden und endlich ein
Wort sprechen würde. Aber sie blieb unbeweglich sitzen, als gälte
alles, was er sagte, nicht ihr. Er trat noch näher zu ihr heran und
nahm ihr mit sanfter Gewalt die Hände, die kalt und feucht waren, vom
Gesicht. Da sah er, daß ihre weichen, kindlichen Züge in den kurzen
Monden schmerzlich verwandelt waren. Sie hielt die Augen fest
geschlossen, die Augenbrauen waren gespannt, wie von einem heftigen
Seelenkampf, die Lippen halb offen, und die blassen Wangen, deren
Umrisse feiner und schärfer erschienen, übergoß plötzlich eine tiefe
Röte, als der geistliche Herr ihr die Hände wegzog.
Er betrachtete sie mit tiefem Mitleiden. Sprich ein Wort, Moidi,
sagte er mit Nachdruck. Ich kann dir nicht helfen, wenn ich nicht
weiß, wo es dir fehlt. Ist es dir nicht genug, daß ich dir beteure,
der Andree ist nicht dein Bruder?
Da schüttelte sie heftig den Kopf und öffnete die Augen mit einem
starren, wilden Wesen, das ihn erschreckte. Ich weiß es besser, sagte
sie dumpf vor sich hin. Die Mutter hat mir's gesagt, ich soll mich
nicht irremachen lassen, sie hätte alle betrogen, die geistlichen
Herren und das Amt und alle. Aber den Herrgott betrügt niemand. Wie
sollt's auch anders sein? Wo ist denn seine Mutter, und warum hilft
sie ihm nicht, jetzt da er elend ist? Ich weiß es besser, uns hilft
niemand, niemand wird uns zusammengeben als der Tod, und nun geht und
laßt mich allein, was sucht Ihr hier? Ich muß nur erst das Kind-Da
stockte sie, und es schüttelte sie wieder über den ganzen Leib, und
sie schloß die Augen von neuem. Plötzlich wurde sie wieder stiller,
als sinne sie über etwas nach. Ist es wahr, sagte sie mit furchtsamem
Ton, in die Kirche soll ich mit ihm, und Ihr wollt den Segen über uns
sprechen? Ja, wenn das anginge, das wäre wohl schön. Aber ich weiß
es besser, ihr seid alle betrogen; wenn Ihr's tun wolltet und es käm'
die Stelle, ob jemand Einspruch zu tun hätte, daß der Andree und die
Moidi ein Paar werden sollen, da würdet Ihr's erleben, da würde
plötzlich die Mutter am Hochaltar stehn und lachen, daß sie Euch
betrogen hat, und Ihr könntet den Segen nicht sprechen. So wird es
kommen; ich weiß es besser!
Moidi, sagte der geistliche Herr mit fester Stimme, du bist ein
unwissendes Ding, und was du da schwatzest, ist alles eine
Vorspiegelung des bösen Feindes, um dich in noch größere Sünde zu
verstricken. Ist es dir nicht genug, wenn ich dir sage, ich weiß, wer
des Andree Mutter und Vater sind, und ich darf's nur nicht sagen, weil
es mir von denen verboten ist, denen ich Gehorsam schuldig bin?
Sie sah plötzlich groß auf zu ihm, ohne ein Wort über die Lippen zu
bringen. Aber in ihrem Gesicht lag ein so angstvolles Flehen, daß er
tief davon erschüttert wurde und sich abwenden mußte, um sich wieder
zu fassen. Da hörte er, wie sie leise höhnisch vor sich hinlachte.
Seht Ihr wohl, sagte sie, Ihr könnt mir nicht dabei ins Gesicht sehn,
es ist alles erlogen, nur damit ich wieder froh werden soll; der
Andree wird Euch darum gebeten haben, es geht ihm so zu Herzen, aber
wer kann uns helfen? Wenn Ihr wüßtet, wer seine Eltern sind, würdet
Ihr wohl zu ihnen gehn und ihnen davon sagen, daß man mit Fingern auf
die Moidi und den Andree zeigt, weil die Leute sagen, sie seien Bruder
und Schwester und hätten doch ein Kind. Aber Ihr könnt die Eltern
nicht rufen, denn wo sind sie? Die Mutter kenne ich wohl, sie hat
mir's im Traum gesagt, mich macht niemand irre, ich weiß es besser!-Da
widerstand er nicht länger. Höre mich an, sagte er und trat dicht an
ihr Bette. Ich kann deine armseligen Reden nicht mehr hören und will
dir sagen, was ich weiß, und was so wahr ist, wie daß ein barmherziger
Gott im Himmel wohnt. Aber gelobe nur erst bei deiner armen Seele,
daß du nie einem Menschen, am wenigsten dem Andree, das wiedersagen
willst, was ich dir gegen meine Pflicht und kirchlichen Gehorsam
vertrauen werde, weil dein Geist schwer verstört ist und es noch
schlimmer werden möchte, wofern ich schwiege. Willst du mir auf das
heilige Sakrament versprechen, es für dich zu behalten?
Sie nickte dreimal mit aufmerksamer Miene, in der ein schwacher
Schimmer von Hoffnung aufdämmerte. Siehe, fuhr er fort, der Andree
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