Der Spiegel des Cyprianus - 2

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und darauf zu dem jüngern nach der andern Seite: 'Er will's dir zeigen,
daß du auf seinem Grund und Boden reitest!' Aber dergleichen Worte
bewirkten nur, daß die Knaben sogleich von ihrem Streite abließen, ja wohl
gar von ihren Rossen sprangen und sich weinend in die Arme fielen.
Der Obrist sah scharf; er hatte es wohl bemerkt, wie die Augen der schönen
Gräfin, wenn sie den Stiefsohn mit ihrem eignen aus der Tür gehen sah, von
plötzlicher Finsternis befallen wurden, und wie dann ihre Blicke dem
Fortgehenden hastig und feindselig nachjagten.
An einem sonnigen Nachmittage stand er mit ihr in dem Würzgärtlein, wo
einst die gute Gräfin der Weisheit des Meisters Cyprianus gelauscht hatte.
Als die stolze Frau über die Ringmauer auf die unten liegenden Wälder und
Auen hinaussah, sagte er lauernd: 'Der Kuno tritt eine schöne Herrschaft
an, wenn er zu seinen eigenen Jahren kommt.' Und als sie schwieg und nur
mit finstern Augen in die Ferne starrte, setzte er hinzu: 'Euer Wolf ist
ein zartes Pflänzlein; aber der Kuno scheint fürs Regiment geboren;
langlebig und handfest schaut er aus.'
In diesem Augenblicke kamen auf der Wiese, die in der Tiefe unterhalb des
Gärtleins lag, die beiden Knaben auf ihren Rossen dahergeflogen. Sie
ritten so dicht nebeneinander, daß die braunen Locken Kunos mit den
blonden des kleinen Wolf zusammenwehten. Das Roß des letztern schüttelte
die Mähne und wieherte laut in den Sonnenschein hinaus. Da erschrak die
Mutter und stieß einen Schrei aus; aber Kuno schlang den Arm um seinen
Bruder, und indem sie vorübertrabten, warf er einen stolzen leuchtenden
Blick zu den Obenstehenden hinauf.
"Wie gefallen Euch diese Augen, schöne Gräfin?" fragte der Oberst.
Sie stutzte und streifte mit einem unsichern Blick über ihn hin.
"Wie meint Ihr das?" flüsterte sie dann.
Er aber, die Hand am Kinn, erwiderte ebenso: "Rechnet auf mich, schöne
Frau; der Oberst Hager ist Euer treuergebener Knecht."
Da raunte sie, und er sah, wie ihr Antlitz totenbleich wurde: "Die Augen
würden mir besser noch gefallen, wenn sie geschlossen wären."
"Und was gäbt Ihr drum, wenn Ihr sie in solcher Schönheit erblicken
könntet?"
Sie legte einen Augenblick ihre weiße Hand in die seine; dann warf sie die
glänzenden Locken zurück und schritt, ohne sich umzublicken, aus dem
Gärtlein.
Als eine Stunde später der kleine Kuno durch die Korridore des obem
Stockwerks streifte, sah er den Obristen in einer Fensternische stehen.
Der Knabe wollte vorüber; denn der Mann schaute so unheimlich drein. Aber
er wurde angerufen: "Wohin rennst du, Junge?"
"Nach der alten Rüstkammer", sagte Kuno, "ich wollte meine Armbrust holen."
"So gehe ich mit dir." Und der Oberst schritt neben dem Knaben her bis zu
dem entlegenen Gemache, wo noch immer mit dem schweren Bahrtuch verhangen
unter allerlei Gewaffen der Spiegel des Cyprianus stand. Als sie
eingetreten waren, schob der Oberst den Eisenriegel vor und stellte sich
mit dem Rücken gegen die Tür. Da aber der Knabe die wilden Augen des
Mannes sah, schrie er: "Hager, Hager, du willst mich töten!"
"Du kannst nicht übel raten", sagte der Oberst und griff nach ihm. Aber
der Knabe sprang unter seinen Händen fort und riß seine gespannte Armbrust
von der Wand, die er tags vorher dorthin gehangen hatte. Er schoß, und
den Eindruck seines Bolzens könnt Ihr noch heutzutage in dem schwarzen
Eichengetäfel sehen; aber den Obristen traf er nicht.
Da warf er sich in die Knie und rief: "Laß mich leben; ich schenke dir
mein kleines Nordlandsroß und auch das schöne rote Sattelzeug!"
Der finstere Mann stand mit untergeschlagenen Armen vor ihm. "Dein
Nordlandsroß", erwiderte er, "läuft mir noch lange nicht schnell genug."
"Lieber Hager, laß mich leben!" rief der Knabe wieder; "wenn ich groß bin,
will ich dir mein Schloß geben und alle schönen Wälder, die dazu gehören!"
"Die will ich bälder noch bekommen", sagte der Oberst.
Da senkte der Knabe das Haupt und rief: "So ergebe ich mich in die
Allbarmherzigkeit Gottes!"
"Das war das rechte Wort!" sagte der böse Mann. Aber der Knabe sprang
noch einmal auf und flog an den Wänden des Gemaches entlang; der Oberst
jagte ihn wie ein Wildpret. Als sie aber an den verhangenen Spiegel kamen,
verwickelte der Knabe seine Füße in dem Bahrtuch, daß er jählings zu
Boden stürzte. Da war auch der böse Mann über ihm.-In demselben
Augenblick--so wird erzählt--als dieser zum Faustschlage ausholte und der
Knabe die kleinen Hände schützend über seinem Herzen kreuzte, stand der
alte Hausmeister tief unten im hintersten Verschlage des Kellers, wo ein
Knecht mit der Abzapfung eines Fasses Ingelheimer beschäftigt war. "Hast
du nichts gehört, Casper?" rief er und setzte das Lämpchen, das er in der
Hand gehalten, auf das Faß.
Der Knecht schüttelte den Kopf. "Mir war", sagte der Alte, "als hörte ich
den Junker Kuno meinen Namen rufen."
"Ihr irrt Euch, Meister", erwiderte der Knecht; "hier unten hört sich
nichts!"
Eine Weile stand es an; da rief der Alte wieder: "Um Gott, Casper, da hat
es nochmals mich gerufen; das war ein Notschrei aus meines Junkers Kehle!"
Der Knecht fuhr in seiner Arbeit fort. "Ich höre nur den roten Wein vom
Fasse rinnen", sagte er.
Der Alte aber ließ sich nicht beruhigen; er stieg in das Schloß hinauf; er
ging von Tür zu Tür, erst in dem Erdgeschoß und dann droben in dem oberen
Stockwerk. Als er die Tür der entlegenen Rüstkammer öffnete, da leuchtete
ihm der Spiegel des Cyprianus entgegen, auf den die Abendsonne schien.
"Wessen ruchlose Hand hat denn das herabgerissen?" murrte der Alte; als er
aber das Bahrtuch vom Boden hob, sah er darunter den Leichnam des Knaben
und sah die dunkeln Locken über den geschlossenen Augenlidern liegen.
Der alte Mann stürzte in die Kniee und warf sich jammernd über ihn. Er
löste die Kleider und suchte an dem Körper seines Lieblings nach der Spur
des Todes. Aber er fand nichts als nur über dem Herzen einen dunkelroten
Flecken. Lange blieb er noch finster und grübelnd auf den Knien liegen.
Dann hüllte er den Knaben in das Bahrtuch, nahm ihn auf seine Arme und
trug ihn in das Erdgeschoß hinab nach dem Zimmer der Gräfin. Als er
eintrat, sah er die stolze Frau todbleich und zitternd vor dem Obersten
stehen, der, wie es schien, halb mit Gewalt ihre Hand erfaßt hielt.
Da legte der Alte den Leichnam zwischen die beiden auf den Boden, und fest
die Augen auf sie heftend, sprach er: "Der Erbherr Graf Kuno ist tot; Euer
Söhnlein, Frau Gräfin, ist jetzt der Erbe dieser Herrschaft."
Es mochte ein Monat nach dem Begräbnis des jungen Erbherrn sein, da lehnte
die Gräfin eines Nachmittags an dem Geländer eines kleinen Söllers, der
über der Tiefe schwebend von ihrem Zimmer den Austritt in die freie Luft
gestattete. Der kleine Wolf stand neben ihr und betrachtete eine Schar
von Vögeln, welche in den Wipfeln der von unten heraufragenden Föhren und
Eichen mit lautem Geschrei ihr Wesen trieben.
"Sieh nur!" sagte die Gräfin. "Sie beschreien den Kauz; dort sitzt er
neben dem Astloch in der Eiche." Und sie wies mit dem Finger vor sich hin.
Des Knaben Augen folgten mit Begierde. "Ich seh ihn schon, Mutter", sagte
er; "das ist der Totenvogel; er schrie vor meinem Fenster, als der arme
Kuno starb."
"Hol deine Armbrust und schieß ihn!" sagte die Mutter.
Der Knabe sprang aus dem Zimmer, die Treppen hinab und in den Stall. Dort
lag die Armbrust neben seinem kleinen Roß. Aber die Sehne war zerrissen;
er hatte sie lange nicht gebraucht; denn Kuno war nicht mehr da, der ihm
die Bolzen schnitzte und den Holzvogel auf die Stange steckte.--Da lief er
in das Schloß zurück. Er entsann sich, daß der Bruder seine Armbrust oben
in der Rüstkammer aufzuhängen pflegte. Als er dort in dem entlegenen
Teile des Schlosses angekommen war und sich mit Mühe durch die schwere
Eichentür gedrängt hatte, leuchtete ihm der Spiegel des Cyprianus mit
seinem bläulichen Schein entgegen. Die Stahlfacetten des Rahmens blitzten
im letzten Strahl der Abendsonne. Der Knabe hatte das noch nie gesehen;
denn wenn er auch einmal mit dem Bruder hierher gekommen, so war doch das
Kunstwerk stets mit dem schweren Bahrtuch verhangen gewesen. Jetzt stand
er davor und besah staunend sein eigenes Bild in diesem Glanze; er schien
die Armbrust ganz vergessen zu haben.--Es mußte indessen außer ihm selbst
noch etwas in dem Spiegel sein, das seinen ganzen Sinn gefangen nahm; denn
er kniete nieder und legte die Stirn an das Glas, um so nahe als möglich
hineinzuschauen.
Plötzlich aber griff er mit beiden Händen nach dem Herzen. Dann sprang er
mit einem Wehschrei in die Höhe. "Hilfe!" schrie er, "Hilfe!" und noch
einmal mit durchdringendem Zeter: "Hilfe!" Da hörte es die Mutter unten
auf dem Söller; und in Todesangst irrte sie von Gang zu Gang, von Tür zu
Tür. "Wolf! Wo bist du, Wolf?" rief sie; "so gib doch Antwort!" Und
endlich kam sie in die rechte Tür. Da lag ihr Kind, sich im Todeskampfe
auf dem Boden windend.
Sie warf sich über ihn. "Wolf! Wolf! Was ist geschehen?"
Der Knabe regte die verblaßten Lippen. "Es hat mir einen Schlag aufs Herz
getan", stammelte er.
"Wer, wer tat es?" flüsterte die Mutter. "Wolf, sprich nur ein einziges
Wort noch; wer hat das getan?"
Der Knabe wies mit erhobenem Finger in den Spiegel.--Und das sterbende
Kind in ihren Armen haltend, blickte sie vorgebeugt in das Glas des
Cyprianus. Aber während des Schauens trat das Entsetzen in ihr Angesicht,
und ihr lichtblaues Auge wurde steinern wie ein Diamant. Denn bei dem
Abendschein, der durch die trüben Fenster brach, sah sie im tiefsten
Grunde wie zusammengeballten Nebel die Gestalt eines Kindes; wie trauernd
kauerte es am Boden und schien zu schlafen. Sie warf einen scheuen Blick
hinter sich in das Zimmer; aber dort lag nur die Dämmerung in den Winkeln.
Wieder, als ob es sie bannte, blickte sie mit gespannten Augen in den
Spiegel, und noch immer war es dort.--Da fühlte sie den Kopf des kleinen
Wolf ihren Armen entgleiten, und in demselben Augenblicke sah sie einen
leichten Rauch gegen das Spiegelglas ziehen. Wie ein Hauch lief es
darüber hin. Dann wurde das Glas wieder klar; aber hinter demselben zog
es wie ein graues Wölkchen in die Tiefe; und jetzt plötzlich sah sie dort
im Grunde des Spiegels zwei kleine Nebelgestalten, die sich umschlungen
hielten.
Mit einem Schrei sprang die Gräfin empor; ihr Sohn lag regungslos mit
wachsbleichem Antlitz; die offenstehenden blauen Lippen verkündeten den
Tod.--Sie riß das seidene Wams von seiner Brust; da sah sie den
dunkelroten Fleck auf seinem Herzen, den sie kurz zuvor auf der Brust des
kleinen Kuno gesehen hatte. "Hager, Hager!" schrie sie--denn das
Geheimnis des Spiegels war ihr unbekannt--"das ist deine Faust! Der war
dir auch im Wege; aber noch bist du nicht der Herr im Schloß; und ich
schwör's, du sollst es nimmer werden!"
Sie ging hinab; sie suchte ihn; aber der Oberst war eben zur Jagd auf ein
benachbartes Schloß geritten und hatte auf den morgenden Tag seine
Rückkunft angesagt.
Der plötzliche Tod auch des letzten Grafensohnes verbreitete einen dumpfen
Schrecken unter dem Gesinde. Auf Treppen und Gängen standen sie und
raunten miteinander, und wenn die Gräfin nahte, stahlen sie sich scheu von
dannen. Es wurde Nacht. Der Leichnam des kleinen Wolf war hinabgetragen
und lag ausgestreckt auf seinem Bettchen in der Kammer. Aber der Gräfin
ließ es bei dem Toten keine Ruh. Im hellen Mondenschein, während alles
schlief, stieg sie hinauf nach der Rüstkammer. Dort stand sie vor dem
Spiegel, der in blauem Schimmer leuchtete, blickte mit starren Augen
hinein und wand die Hände umeinander. Dann wieder, als jage sie ein
plötzliches Grausen, stürzte sie aus dem Gemach und rannte durch die Gänge,
bis sie die Tür ihres Schlafgemachs erreicht und hinter sich ins Schloß
geworfen hatte.--So verging die Nacht.
Als am andern Morgen der Hausmeister in das Zimmer der Gräfin treten
wollte, hörte er hart und heftig drinnen reden. Er erkannte die Stimme
des Obristen, der eben zurückgekehrt war; und bald antwortete die Gräfin
in gleicher Weise. Es waren Worte tödlichen Hasses, die der Alte hörte.
Kopfschüttelnd trat er von der Tür zurück. "Das sind die Gerichte Gottes!"
sprach er und stieg ein paar Treppen höher nach der Platte des runden
Turmes hinauf; denn ihm war, als müsse er Gottes freie Luft schöpfen.
Er lehnte sich über die Brüstung und blickte in den sonnigen Morgen hinaus.
"Wie schön die Wälder grünen!" sprach er vor sich hin. "Und sie sind
alle tot! Die gute Gräfin und der Graf, mein Junker Kuno und nun auch der
kleine Wolf!"--Da hörte er unten auf dem Hofe ein Pferd aus dem Stalle
ziehen; nicht lange darauf, so donnerte der Galoppschlag über die
Zugbrücke; dann weniger hörbar draußen auf dem Wege, und drüberhin aus den
Kronen der alten Eichen, die zur Seite standen, flogen die Raben krächzend
in die Luft.
In demselben Augenblicke kam von unten herauf ein Geschrei der Weiber; und
als der Alte hinabgestiegen war, drang es von allen Seiten auf ihn ein,
die Gräfin liege erschlagen in ihrem Blute.--"Wo ist der Oberst?" fragte
der Hausmeister. "Fort ist er!" rief der Reitknecht, der vom Hofe
heraufkam, "mitsamt seinem hochbeinigen Rappen."
Rasch wurde die Verfolgung von dem Alten angeordnet; aber am andern Morgen
kamen alle auf schaumbedeckten Rossen unverrichteter Sache wieder heim.
--"So laßt uns denn die Toten begraben", sprach er, "und einen Boten
senden an den neuen Herrn dieser schönen Güter!"
"Und so geschah es", schloß die Erzählerin ihren Bericht--"die Herrschaft
kam an einen Vorfahren Eures Gemahls, welcher der Nächste war dem Blute
nach. Der alte Hausmeister soll noch lange nach seinem Antritt dort unten
in dem Torhäuschen gewohnt haben, ein treuer Wächter an der Gruft seiner
geliebten Herrschaft."
"Das ist eine entsetzliche Geschichte!" sagte die Gräfin, als die Amme
schwieg. "Aber hast du nicht gehört, wie der erste Gemahl jener
unglücklichen Frau geheißen hat?"
"Freilich", erwiderte die Alte, "ihr Witwenname steht auf dem Rahmen des
Bildes." Und hierauf nannte sie eines der ersten Adelsgeschlechter.
"Seltsam!" sagte die Gräfin, "so ist sie meine Urahne!"
Die Alte schüttelte den Kopf. "Unmöglich", sagte sie, "Ihr, Frau Gräfin,
aus dem Blut jener bösen Frau?"
"Es ist völlig gewiß, Amme; jene Tochter, die in Wien zurückblieb, wurde
die Frau eines meiner Vorfahren."--Das Gespräch wurde durch den Eintritt
des Arztes unterbrochen. Der Knabe lag nach wie vor in todähnlichem
Schlummer und erwachte auch nicht, als die Hand des Arztes an seinen
kleinen Gliedern nach der Spur des Lebens forschte.
"Nicht wahr, er wird genesen?" sagte die Gräfin, indem sie angstvoll in
das verschlossene Gesicht des Arztes blickte.
"Die Frage ist zu viel für einen Menschen", erwiderte dieser; "aber Frau
Gräfin müssen schlafen; das ist ganz notwendig." Und als sie
Gegenvorstellungen machte, fuhr er fort: "Es wird sich bis morgen mit dem
Kranken nichts ereignen, ich hafte dafür; die Amme kann die Krankenwache
halten."
Endlich war sie überredet und begab sich in ihr Schlafgemach, da der Arzt
erklärt hatte, das Haus nicht verlassen zu wollen, bis er dessen gewiß sei.
Als die Alte mit diesem allein war, fragte sie: "Seid Ihr dessen sicher,
daß Frau Gräfin ruhig schlafen mag?"
"Für die angegebene Zeit, ja.
"Und dann, Herr Doktor?"
"Dann, wenn Eure Herrschaft geschlafen hat, so mögt Ihr sie vorbereiten;
denn der Knabe muß sterben."
Die Alte blickte mit festen Augen auf den Arzt. "Ist das ganz gewiß?"
fragte sie.
"Ganz gewiß, Amme; es müßte denn ein Wunder geschehen. "-Der Arzt hatte
sich entfernt, und statt der Gräfin teilte jetzt eine junge Magd die
Krankenwache mit der Alten. Diese stützte den Kopf auf den Rand des
Bettes und betrachtete das bleiche Antlitz des kleinen Kuno, in das der
Tod schon seine scharfen Züge grub. "Ein Wunder!" murmelte sie ein paar
Mal; "ein Wunder!"
Da regte der Knabe sich auf seinem Kissen. "Ich will mit den Kindern
spielen!" flüsterte er.
Die Alte riß die Augen auf. "Mit was für Kindern?" fragte sie leise.
Und der Knabe sagte ebenso im Schlaf: "Mit den Spiegelkindern, Amme!"
Sie schrie fast auf. "Unglückskind, so hast du in den Spiegel des
Cyprianus gesehen!--Aber der soll ja in der Sakristei stehen; und die
Sakristei ist ja vermauert!" Sie sann einen Augenblick; dann sagte sie zu
dem Mädchen: "Hol mir den Vincenz, Ursel!"
Vincenz, der Reitknecht, kam.--"Bist du neulich bei dem Bau in der Kapelle
gewesen?" fragte die Alte.
"Ich bin jeden Tag dort."
"Ist die Sakristei auch eingerissen?"
"Das geschah schon vor vierzehn Tagen."
"Hast du einen Spiegel dort gesehen?"
Er besann sich. "Nun freilich, es steht dort einer im Winkel; der Rahmen
scheint von Stahl; aber der Rost hat ihn zerfressen."
Die Alte gab ihm einen großen Teppich. "Verhänge den Spiegel sorgsam!"
sagte sie; "dann laß ihn hierher ins Ziinmer tragen. Aber leise, damit
der Knabe nicht erwacht."
Vincenz ging; und bald wurde von ihm und einem Arbeiter ein hohes, mit dem
Teppich verhangenes Gerät in das Zimmer getragen.
"Ist das der Spiegel, Vincenz?" fragte die Amme; und als er es bejaht
hatte, fuhr sie fort: "Stellt ihn zu Füßen des Bettes, so daß der kleine
Kuno hineinblicken kann, sobald der Teppich fortgenommen ist."
Nachdem der Spiegel aufgestellt war und die Träger sich entfernt hatten,
setzte die Alte sich wieder an die Seite des Bettes. "Ein Wunder muß
geschehen!" sprach sie vor sich hin. Dann saß sie mit geschlossenen Augen
wie ein steinern Bild; unsichtbar aber kämpften in ihr Furcht und Hoffnung.
Sie harrte auf die Rückkunft der Gräfin; aber wie lang mußte sie noch
warten, bis der Schlaf die ganz verwachte Frau verlassen haben würde.
Da tat sich die Tür auf, und die Gräfin trat herein. "Es hat mich nicht
schlafen lassen, Amme", sagte sie; "verzeih es mir! Du bist so treu und
gut, und verständiger wohl als ich; und doch ist mir, ich dürfte das Bett
des Kindes nicht verlassen."
Die alte Frau antwortete nicht darauf. "Sagt mir noch einmal, Frau
Gräfin", sagte sie, und das Herz schlug ihr so gewaltig, daß sie die Worte
kaum herausbrachte, "seid Ihr dessen ganz gewiß, daß jene böse Frau Eure
Urahne gewesen ist?"
"Ich bin dessen ganz gewiß. Aber weshalb fragst du, Amme?"
Die Alte stand auf; und mit fester Hand riß sie den Teppich von dem
Spiegel.
Die Gräfin schrie laut auf. "Mein Kind, mein Kind! Das ist der Spiegel
des Cyprianus!"--Als sie aber einen Blick in den sanften Schein des Glases
geworfen hatte, so sah sie darin den kleinen Kuno mit offenen Augen auf
seinem Kissen liegen; sie sah ihn lächeln, und wie ein Hauch flog das Rot
der Gesundheit auf seine Wangen. Sie wandte sich um; da saß er schon
aufrecht, frisch und blühend.
"Die Kinder, die Kinder!" rief er mit heller, klingender Stimme und
streckte die Anne nach dem Spiegel aus.
"Wo sind sie?" fragte die Gräfin.
"Dort, dort!" rief die Alte. "Seht nur, sie lächeln, sie nicken, ach' und
sie haben Flügel; zwei Englein sind es!"
"Was sprecht Ihr?" sagte die Gräfin; "ich sehe sie ja nicht."
"Dort, dort!" rief wieder der kleine Kuno.--"Ach!" setzte er traurig hinzu,
"nun sind sie fortgeflogen."
Da sank die alte Amme auf den Stuhl zurück. "Unser Kuno ist gerettet!"
rief sie und brach in lautes Schluchzen aus. "Eure Liebe hat das getan
und hat den Fluch hinweggenommen von dem Werk des alten Meisters!"
Die Gräfin aber stand und blickte selig lächelnd in den Spiegel. Auf
seiner Fläche schwamm wie Duft ein Rosenwölkchen, und deutlich schimmerte
ein schlummerndes Kinderantlitz daraus hervor. "Wolf soll es heißen,
wenn's ein Knabe ist; Wolf und Kuno!" flüsterte sie leise. "Und laß uns
beten, Amme, daß sie glücklicher werden als die, so einstens ihre Namen
trugen!"
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