Der letzte Zentaur - 3

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meinem besten Griechisch zu, er möge auf der Hut sein; es sei auf ihn
abgesehen. Man wolle sich, wie es scheine, tot oder lebendig seiner
Person bemächtigen und die ganze Rache der Philister an seiner
Simsonsmähne auslassen. Aber es war umsonst. Sei es, daß die Musik
meine Warnung übertäubte, oder daß der Rausch des bacchantischen
Tanzes den Trefflichen gegen jede Anwandlung von Furcht gefeit hatte,
genug, er hielt erst einen Augenblick inne, als die bewaffnete
Macht--die Denunzianten blieben weislich im Hintertreffen--am Hoftor
erschien, das dichtgedrängte Publikum erschrocken zurückwich und nun
der Anführer der Schergenbande, ein schnurrbärtiger Korporal mit
dickem Bauch, im allergröbsten Ton die Aufforderung an ihn ergehen
ließ: auf der Stelle seinen Paß oder sein Wanderbuch vorzuweisen,
widrigenfalls er nach der Fronfeste unten im Städchen gebracht und
gründlich visitiert werden würde.
Der gute Bursch verstand natürlich keine Silbe, konnte auch den
feindseligen Sinn der Worte nicht ahnen, da er aus seiner heroischen
Welt andere Begriffe von Gastfreundschaft mitgebracht hatte. Also sah
er sich mit einem drolligen Ausdruck von Ratlosigkeit nach mir um, und
erst, als ich ihm erklärt hatte, daß diese breitmäuligen Herren Jäger
seien und er das Wild, und daß man im Sinne habe, ihn in einen Stall
zu sperren, wo er bei schmalem Futter über die Wohltat der Gesetze und
die Fortschritte der Kultur nachdenken könne, ging ein verächtliches
Lächeln über sein ehrliches Gesicht. Er antwortete nur mit einem
Achselzucken, setzte sich dann, als beachte er diesen Zwischenfall
nicht im geringsten, langsam wieder in Galopp, wobei er die Hände des
Mädchens, die sich vor seiner Brust verschränkten, sanft an sich
drückte, und so, immer rascher und rascher im engen Kreise
herumsprengend, ersah er plötzlich die Gelegenheit, nahm einen kecken
Anlauf und setzte mit einem prachtvollen Sprung--ungelogen wohl zwölf
Schuh hoch und zwanzig weit--über die Köpfe der Bauern weg, daß nur
den letzten, die draußen standen, die Hüte von den Schädeln flogen.
Und während die Weiber laut aufschrien, die Gendarmen fluchten und mit
gezogenem Seitengewehr ihm nachsetzten, auch ein paar unschädliche
Pistolenkugeln ihm nachknallten, sprengte er über Wiesen und Felder
bergan, das entführte Mädchen sicher auf seinem Rücken haltend, wie
ein Löwe, der ein Lamm aus einer Schafhürde geraubt hat und es unter
dem Schreien und Drohen der nachjagenden Hirten in seine Höhle trägt.
Als es oben angekommen war, wo eine tiefe Schlucht den Abhang
durchschneidet, hielt er still und wandte sich zu seinen Verfolgern um,
die noch tief unter ihm in ohnmächtiger Wut die Steile hinaufkeuchten.
Ich konnte sein Gesicht, selbst durch mein kleines Fernrohr, nicht
mehr deutlich erkennen, sah aber, daß er sich zu dem Mädchen
zurückwandte und nun, wahrscheinlich von ihrer Angst und ihrem
kläglichen Flehen gerührt, ihre Hände losließ, so daß sie sacht von
seinem Rücken auf die Wiese niedergleiten konnte. Ihre Lage war
allerdings nicht die angenehmste. So sehr ihr die ritterliche
Huldigung des Fremden geschmeichelt hatte, und eine so traurige Figur
ihr Schatz neben ihm spielte,--eine solide Versorgung konnte sie von
diesem reitenden Ausländer nicht erwarten. Als sie daher merkte, daß
aus dem Spaß Ernst werden sollte, behielt ihre praktische Natur die
Oberhand, und sie wehrte sich entschieden gegen alle Entführungsgelüste.
Wie eine gejagte Gemse vor dem Treiber sprang sie von Stein zu Stein
den Abhang hinunter ihrem Schneider wieder in die Arme.
Der Zentaur sah ihr eine Weile nach, und meine Phantasie malte sich
deutlich den Ausdruck eines göttlichen Hohnes aus, der durch seine
Mienen blitzte und dann einer erhabenen Schwermut wich. Als die wilde
Jagd mit Toben und Kreischen ihm auf die Weite eines Steinwurfs nahe
gekommen war, winkte er noch einmal mit der Hand hinunter--einen Gruß,
den ich wohl mir allein aneignen durfte--, schwenkte dann gelassen,
mit einer fast herausfordernden Wendung seines Hinterteils, nach
rechts ab und verschwand unseren nachstarrenden Blicken in der
pfadlosen Kluft, um nie wieder aufzutauchen.
Wir hatten alle andächtig zugehört, nur Rahl schien zu schlafen,
wenigstens blinzelten seine geschlitzten Satyraugen verdächtig in den
Mondschein. Als der Erzähler jetzt schwieg, tat er einen tiefen
Seufzer und erhob sich vom Sitz, an der Wand herumtastend, wie um
seinen Hut vom Haken zu nehmen.
Accidente! wollt Ihr schon aufbrechen! sagte Genelli. Hol die Pest
alle die feigen Schlafmützen! Wir sind eben im besten Zuge--Die
Geschichte hat mir die Zunge ausgedörrt--noch einen Spitz, Herr
Schimon! Auf die Gesundheit aller revenants, die Zentauren mit
einbegriffen. Sie haben zwar keine bleibende Stätte in diesem
miserablen neunzehnten Jahrhundert und müssen sich wieder
hinausmaßregeln lassen. Aber sagt selbst: wenn man zu wählen hätte
zwischen dem Schneider, der das Glück hat und die Braut heimführt, und
jenem armen Burschen--ich wenigstens, so lange noch ein roter
Tropfen--aber corpo di Bacco! Schimon, wo bleibt mein Carlowitzer?
Der Wirt näherte sich mit ehrerbietiger, geheimnisvoller Miene, Sie
wissen, Herr Genelli, raunte er ihm zu, wenn es auf mich ankäme--aber
beim besten Willen--die Instruktionen sind erst neulich verschärft
worden, und ich habe einen Wischer bekommen, weil ich hier oben noch
eine halbe Minute nach Eins-Ah so, murmelte der alte Meister und stand
unwillig auf. Immer die ewigen Scherereien. Die Nacht ist ja noch
lang genug, und ob wir's hier oben einmal mit der Polizeistunde nicht
so genau nehmen, wem schadet's? Aber man ist ein armer Tropf, und der
selige Achilleus hat recht:
Lieber ein Tagelöhner im Licht, als König der Schatten!
Geben Sie mir die Hand, Schütz. Es ist hier so verwünscht dunkel,
oder sollte mir die Geschichte zu Kopf gestiegen sein? Wo ist der
kleine Karl, uns heimzuleuchten? Felice notte!
Damit ging er leicht auf den Arm des hageren Freundes gelehnt, voran,
ganz mit seinem alten rüstigen Schritt und aufrechter Haltung, aber
barhaupt, und so folgten ihm die andern. Der kleine Karl schwankte,
ein Kellerlämpchen hoch über seinem Kopf haltend, voran, Schimon war
der letzte und wartete an der Tür auf mich, als wolle er hinter mir
abschließen. Er tat es aber nicht, sprach auch kein Wort zu mir,
sondern sah mich nur mit einem wehmütigen Zwinkern seiner kleinen
schwarzen Augen an, als wollte er sagen: wir haben bessere Zeiten
erlebt!--Während wir durch den langen düsteren Hausgang schritten,
fiel es mir auf, daß ich keinen Fußtritt hörte. Und dann wollte auch
der Gang kein Ende nehmen, so hastig wir hindurchgingen. Ich sah noch
deutlich über die Scheitel der anderen weg Genellis graues Haupt durch
das Zwielicht ragen, von dem Lämpchen rot angeschienen. Es fiel mir
aufs Herz, daß ich ihm noch so viel zu sagen hatte, vor allem ihn
fragen wollte, wann er hier wieder zu treffen sei. Ich sputete mich,
ihm nachzukommen, und in der Tat trennten mich von ihm nur wenige
Schritte. Aber je rascher ich ging, desto unerreichbarer blieb er mir.
Endlich trat mir der kalte Schweiß auf die Stirn, der Atem stockte
mir, ich fühlte meine Füße wie von Bleigewichten an den Boden gezerrt.
--Nur ein paar Augenblicke will ich hier ausruhen, Herr Schimon! sagte
ich und sank auf eines der Fässer, die an der Wand standen.--Sagen Sie
es den Herren--sie sollen draußen auf mich warten!
Es kam keine Antwort. Statt dessen fuhr ein scharfer Luftzug durch
die offene Tür, verlöschte die Lampe des kleinen Karl und wehte mir in
das heiße Gesicht. In demselben Augenblick dröhnte es Eins vom
Frauenturm, und ich hörte eine Stimme neben mir: Das Haus wird
geschlossen. Ich muß schon bitten, Herr, daß sie sich eine andere
Schlafstelle suchen.
Erstaunt sah ich auf und starrte einem ganz unbekannten,
vierschrötigen Hausknecht ins Gesicht.
Verzeiht, guter Freund, stammelte ich, ich habe mich hier nur einen
Augenblick--die Herren sind ja auch eben erst gegangen.
Ja so, sagte er, Sie gehören zu der geschlossenen Gesellschaft, die
hier einmal in der Woche Tarock spielt. Wenn ich sie etwa nach Hause
bringen soll-Ich erhob mich rasch und trat auf die Straße hinaus.
Meine Stirn war kühl geworden, das Herz desto wärmer, und wie ich
gegen den Mondhimmel sah, an dem leichtes Gewölk in phantastischen
Streifen hinzog, summte ich leise die Worte:
Wolkenzug und Nebelflor
Erhellen sich von oben;
Luft im Laub und Wind im Rohr--
Und alles ist zerstoben.

Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes Der letzte Zentaur, von Paul Heyse.
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