Der kleine Herr Friedemann: Novellen - 8

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hatten und lachten, das quiekende und sich sträubende Tier hinter sich
her. Es wehrte sich während der Dauer des ganzen Weges, stemmte die
Vorderbeine gegen den Boden und blickte ängstlich fragend zu seinem
neuen Herrn empor; er jedoch zerrte schweigend und mit Energie und
gelangte glücklich durch die Stadt hinunter.
Unter der Strassenjugend des Grauen Weges entstand ein ungeheurer Lärm,
als Tobias mit dem Hunde erschien, aber er nahm ihn auf den Arm, beugte
sich über ihn und eilte verhöhnt und am Rocke gezupft durch die
Spottrufe und das Gelächter hindurch, die Treppen hinauf und in sein
Zimmer. Hier setzte er den Hund, der beständig winselte, auf den Boden,
streichelte ihn mit Wohlwollen und sagte herablassend:
»Nun, nun, Du brauchst Dich nicht vor mir zu fürchten, Du Tier; das ist
nicht nötig.«
Hierauf entnahm er einer Kommodenschieblade einen Teller mit gekochtem
Fleisch und Kartoffeln und warf dem Tiere einen Anteil davon zu, worauf
es seine Klagelaute einstellte und schmatzend und wedelnd das Mahl
verzehrte.
»Übrigens sollst Du Esau heissen,« sagte Tobias; »verstehst Du mich?
Esau. Du kannst den einfachen Klang sehr wohl behalten ...« Und indem er
vor sich auf den Boden zeigte, rief er befehlend:
»Esau!«
Der Hund, in der Erwartung vielleicht, noch mehr zu essen zu erhalten,
kam in der That herbei, und Tobias klopfte ihn beifällig auf die Seite,
indem er sagte:
»So ist es recht, mein Freund; ich darf Dich loben.«
Dann trat er ein paar Schritte zurück, wies auf den Boden und befahl
aufs neue:
»Esau!«
Und das Tier, das ganz munter geworden war, sprang wiederum herzu und
leckte den Stiefel seines Herrn.
Diese Übung wiederholte Tobias mit unermüdlicher Freude am Befehl und
dessen Ausführung wohl zwölf- bis vierzehnmal; endlich jedoch schien der
Hund ermüdet, er schien Lust zu haben, zu ruhen und zu verdauen, und
legte sich in der anmutigen und klugen Pose der Jagdhunde auf den Boden,
beide langen und feingebauten Vorderbeine dicht nebeneinander
ausgestreckt.
»Noch einmal!« sagte Tobias. »Esau!«
Aber Esau wandte den Kopf zur Seite und verharrte am Platze.
»Esau!« rief Tobias mit herrisch, erhobener Stimme; »Du hast zu kommen,
auch wenn Du müde bist!«
Aber Esau legte den Kopf auf die Pfoten und kam durchaus nicht.
»Höre,« sagte Tobias, und sein Ton war voll von leiser und furchtbarer
Drohung; »gehorche, oder Du wirst erfahren, dass es nicht klug ist, mich
zu reizen!«
Allein das Tier bewegte kaum ein wenig seinen Schwanz.
Da packte den Mindernickel ein massloser, ein unverhältnismässiger und
toller Zorn. Er ergriff seinen schwarzen Stock, hob Esau am Nackenfell
empor und hieb auf das schreiende Tierchen ein, indem er ausser sich vor
entrüsteter Wut und mit schrecklich zischender Stimme ein Mal über das
andere wiederholte:
»Wie, Du gehorchst nicht? Du wagst es, mir nicht zu gehorchen?«
Endlich warf er den Stock beiseite, setzte den winselnden Hund auf den
Boden und begann tief atmend und die Hände auf dem Rücken mit langen
Schritten vor ihm auf und ab zu schreiten, während er dann und wann
einen stolzen und zornigen Blick auf Esau warf. Nachdem er diese
Promenade eine Zeit lang fortgesetzt hatte, blieb er bei dem Tiere
stehen, das auf dem Rücken lag und die Vorderbeine flehend bewegte,
verschränkte die Arme auf der Brust und sprach mit dem entsetzlich
kalten und harten Blick und Ton, mit dem Napoleon vor die Compagnie
hintrat, die in der Schlacht ihren Adler verloren:
»Wie hast Du Dich betragen, wenn ich Dich fragen darf?«
Und der Hund, glücklich bereits über diese Annäherung, kroch noch näher
herbei, schmiegte sich gegen das Bein des Herrn und blickte mit seinen
blanken Augen bittend zu ihm empor.
Während einer guten Weile betrachtete Tobias das demütige Wesen
schweigend und von oben herab; dann jedoch, als er die rührende Wärme
des Körpers an seinem Bein verspürte, hob er Esau zu sich empor.
»Nun, ich will Erbarmen mit Dir haben,« sagte er; als aber das gute Tier
begann, ihm das Gesicht zu lecken, schlug plötzlich seine Stimmung
völlig in Rührung und Wehmut um. Er presste den Hund mit schmerzlicher
Liebe an sich, seine Augen füllten sich mit Thränen, und ohne den Satz
zu vollenden, wiederholte er mehrere Male mit erstickter Stimme:
»Sieh, Du bist ja mein einziger ... mein einziger ...« Dann bettete er
Esau mit Sorgfalt auf das Sofa, setzte sich neben ihn, stützte das Kinn
in die Hand und sah ihn mit milden und stillen Augen an.

III.
Tobias Mindernickel verliess nunmehr das Haus noch seltener als früher,
denn er verspürte keine Neigung, sich mit Esau in der Öffentlichkeit zu
zeigen. Seine ganze Aufmerksamkeit aber widmete er dem Hunde, ja, er
beschäftigte sich vom Morgen bis zum Abend mit nichts Anderem, als ihn
zu füttern, ihm die Augen auszuwischen, ihm Befehle zu erteilen, ihn zu
schelten und aufs menschlichste mit ihm zu reden. Allein die Sache war
die, dass Esau sich nicht immer zu seinem Wohlgefallen betrug. Wenn er
neben ihm auf dem Sofa lag und ihn schläfrig vor Mangel an Luft und
Freiheit, mit melancholischen Augen ansah, so war Tobias voll
Zufriedenheit; er sass in stiller und selbstgefälliger Haltung da und
streichelte mitleidig Esaus Rücken, indem er sagte:
»Siehst Du mich schmerzlich an, mein armer Freund? Ja, ja, die Welt ist
traurig, das erfährst auch Du, so jung Du bist ...«
Wenn aber das Tier, blind und toll vor Spiel- und Jagdtrieb, im Zimmer
umherfuhr, sich mit einem Pantoffel balgte, auf die Stühle sprang und
sich mit ungeheurer Munterkeit überkugelte, so verfolgte Tobias seine
Bewegungen aus der Entfernung mit einem ratlosen, missgünstigen und
unsicheren Blick und einem Lächeln, das hässlich und ärgervoll war, bis
er es endlich in unwirschem Tone zu sich rief und es anherrschte:
»Lass nun den Übermut. Es liegt kein Grund vor, umherzutanzen.«
Einmal geschah es sogar, dass Esau aus der Stube entwischte und die
Treppen hinunter auf die Strasse sprang, woselbst er alsbald begann,
eine Katze zu jagen, Pferdekot zu fressen und sich überglücklich mit den
Kindern umherzutreiben. Als aber Tobias unter dem Applaus und Gelächter
der halben Strasse mit schmerzlich verzogenem Gesichte erschien, geschah
das Traurige, dass der Hund in langen Sätzen vor seinem Herrn davonlief
... An diesem Tage prügelte Tobias ihn lange und mit Erbitterung.
Eines Tages -- der Hund gehörte ihm bereits seit einigen Wochen -- nahm
Tobias, um Esau zu füttern, ein Brotlaib aus der Kommodenschieblade und
begann mit dem grossen Messer mit Knochengriff, dessen er sich hierbei
zu bedienen pflegte, in gebückter Haltung kleine Stücke abzuschneiden
und auf den Boden fallen zu lassen. Das Tier aber, unsinnig vor Appetit
und Albernheit, sprang blindlings herzu, rannte sich das ungeschickt
gehaltene Messer unter das rechte Schulterblatt und wand sich blutend am
Boden.
Erschrocken warf Tobias alles beiseite und beugte sich über den
Verwundeten; plötzlich jedoch veränderte sich der Ausdruck seines
Gesichtes, und es ist wahr, dass ein Schimmer von Erleichterung und
Glück darüber hin ging. Behutsam trug er den wimmernden Hund auf das
Sofa, und niemand vermag auszudenken, mit welcher Hingebung er den
Kranken zu pflegen begann. Er wich während des Tages nicht von ihm, er
liess ihn zur Nacht auf seinem eigenen Lager schlafen, er wusch und
verband ihn, streichelte, tröstete und bemitleidete ihn mit
unermüdlicher Freude und Sorgfalt.
»Schmerzt es sehr?« sagte er. »Ja, ja, Du leidest bitterlich, mein armes
Tier! Aber sei still, wir müssen es ertragen« ... Sein Gesicht war
ruhig, wehmütig und glücklich bei solchen Worten.
In dem Grade jedoch, in welchem Esau zu Kräften kam, fröhlicher wurde
und genas, ward das Benehmen des Tobias unruhiger und unzufriedener. Er
befand es nunmehr für gut, sich nicht mehr um die Wunde zu bekümmern,
sondern lediglich durch Worte und Streicheln dem Hunde sein Erbarmen zu
zeigen. Allein die Heilung war weit vorgeschritten, Esau besass eine
gute Natur, er begann bereits wieder, sich im Zimmer umherzubewegen, und
eines Tages, nachdem er einen Teller mit Milch und Weissbrot
leergeschlappt hatte, sprang er völlig gesundet vom Sofa herunter, um
mit freudigem Geblaff und der alten Unbändigkeit durch die beiden Stuben
zu fahren, an der Bettdecke zu zerren, eine Kartoffel vor sich her zu
jagen und sich vor Lust zu überkugeln.
Tobias stand am Fenster, am Blumentopfe, und während eine seiner Hände,
die lang und mager aus dem ausgefransten Ärmel hervorsah, mechanisch an
dem tief in die Schläfen gestrichenen Haare drehte, hob seine Gestalt
sich schwarz und sonderbar von der grauen Mauer des Nachbarhauses ab.
Sein Gesicht war bleich und gramverzerrt, und mit einem scheelen,
verlegenen, neidischen und bösen Blick verfolgte er unbeweglich Esaus
Sprünge. Plötzlich jedoch raffte er sich auf, schritt auf ihn zu, hielt
ihn an und nahm ihn langsam in seine Arme.
»Mein armes Tier« ... begann er mit wehleidiger Stimme -- aber Esau,
ausgelassen und gar nicht geneigt, sich ferner in dieser Weise behandeln
zu lassen, schnappte munter nach der Hand, die ihn streicheln wollte,
entwand sich den Armen, sprang zu Boden, machte einen neckischen
Seitensatz, blaffte auf und rannte fröhlich davon.
Was nun geschah, war etwas so Unverständliches und Infames, dass ich
mich weigere, es ausführlich zu erzählen. Tobias Mindernickel stand mit
am Leibe herunterhängenden Armen ein wenig vorgebeugt, seine Lippen
waren zusammengepresst, und seine Augäpfel zitterten unheimlich in ihren
Höhlen. Und dann, plötzlich, mit einer Art von irrsinnigem Sprunge,
hatte er das Tier ergriffen, ein grosser, blanker Gegenstand blitzte in
seiner Hand, und mit einem Schnitt, der von der rechten Schulter bis
tief in die Brust lief, stürzte der Hund zu Boden -- er gab keinen Laut
von sich, er fiel einfach auf die Seite, blutend und bebend ...
Im nächsten Augenblicke lag er auf dem Sofa, und Tobias kniete vor ihm,
drückte ein Tuch auf die Wunde und stammelte:
»Mein armes Tier! Mein armes Tier! Wie traurig alles ist! Wie traurig
wir beide sind! Leidest Du? Ja, ja, ich weiss, Du leidest ... wie
kläglich Du da vor mir liegst! Aber ich, ich bin bei Dir! Ich tröste
Dich! Ich werde mein bestes Taschentuch« ...
Allein Esau lag da und röchelte. Seine getrübten und fragenden Augen
waren voll Verständnislosigkeit, Unschuld und Klage auf seinen Herrn,
gerichtet -- und dann streckte er ein wenig seine Beine und starb.
Tobias aber verharrte unbeweglich in seiner Stellung. Er hatte das
Gesicht auf Esaus Körper gelegt und weinte bitterlich.


Druck der Freyhoffschen Buchdruckerei in Nauen.


S. FISCHER VERLAG, BERLIN W.
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