Der Ketzer von Soana - 5

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des heiligen Meßopfers?« Sie sah ihn an und antwortete nicht. Da gebot
er ihr in das Kirchlein zu treten und begab sich selbst vor ihr
hinein. Hinter dem Altar half ihm der Knabe in das Meßgewand,
Francesco setzte sich das Barett aufs Haupt, und die heilige Handlung
konnte beginnen: nie hatte sich der junge Mensch dabei, wie jetzt, von
einer so feierlichen Inbrunst durchdrungen gefühlt.
Ihm kam es vor, als wenn ihn der allgütige Gott erst jetzt zu seinem
Diener berufen hätte. Der Weg priesterlicher Weihen, den er
zurückgelegt hatte, schien ihm jetzt nicht mehr, als eine trockene,
inhaltlose und trügerische Übereilung zu sein, die mit dem wahrhaft
Göttlichen nichts gemein hatte. Nun aber war die göttliche Stunde, die
heilige Zeit in ihm angebrochen. Die Liebe des Heilands war wie ein
himmlischer Feuerregen, in dem er stand, und durch den alle Liebe
seines eigenen Innern plötzlich befreit und entflammt wurde. Mit
unendlicher Liebe weitete sich sein Herz in die ganze Schöpfung hinein
und ward mit allen Geschöpfen im gleichen, entzückten Pulsschlag
verbunden. Aus diesem Rausch, der ihn fast betäubte, brach das Mitleid
mit aller Kreatur, brach der Eifer für das Göttlichgute mit
verdoppelter Kraft hervor, und er glaubte nun erst die heilige
Mutterkirche und ihren Dienst ganz zu verstehen. Er wollte nun mit
einem ganz anderen, erneuten Eifer ihr Diener werden.
Und wie hatte ihm nicht der Weg, der Aufstieg zu diesem Gipfel, das
Geheimnis erschlossen, nach dessen Sinn er Agata gefragt hatte. Ihr
Schweigen, vor dem er selber stumm geworden war, bedeutete ihm, ohne
daß er es merken ließ, gemeinsames Wissen durch Offenbarung, die ihnen
beiden nun widerfahren war. War nicht die ewige Mutter der Inbegriff
aller Wandlungen und hatte er nicht die verwahrlosten und im Finsteren
tappenden, verlorenen Gotteskinder auf diesen überirdischen Gipfel
gelockt, um ihnen das Wandlungswunder des Sohnes, das ewige Fleisch
und Blut der Gottheit zu weisen? So stand der Jüngling und hob den
Kelch, mit überströmenden Augen, voll Freudigkeit. Es kam ihm vor, als
ob er selber zum Gott würde. In diesem Zustand der Auserwählten, des
heiligen Werkzeugs, den er empfand, fühlte er sich mit unsichtbaren
Organen in alle Himmel hineinwachsen, in einem Gefühl von Freude und
Allgewalt, das ihn, wie er glaubte, über das ganze wimmelnde Gezücht
der Kirchen und ihrer Pfaffheit unendlich erhob. Sie sollten ihn
sehen, die Augen zu ihm in die schwindelnde Höhe seines Altars, auf
dem er stand, mit staunender Ehrfurcht emporrichten. Denn er stand auf
dem Altar in einem ganz anderen und höheren Sinne, als Petri
Schlüsselhalter, der Papst, es nach seiner Erwählung tut. Krampfhaft
verzückt hielt er den Kelch der Eucharistia und der Wandlungen, als
ein Symbol des ewig sich neu gebärenden Gottesleibes der ganzen
Schöpfung in die Unendlichkeit des Raums, wo es wie eine zweite,
hellere Sonne leuchtete. Und während er seines Erachtens eine
Ewigkeit, in Wirklichkeit zwei oder drei Sekunden, dastand mit dem
erhobenen Heiligtum, kam es ihm vor, als ob der Zuckerhut von Sant
Agatha von unten bis oben mit lauschenden Engeln, Heiligen und
Aposteln bedeckt wäre. Allein beinahe noch herrlicher schien ihm ein
dumpfer Paukenlaut und ein Reigen schön gekleideter Frauen, der sich,
verbunden mit Blumengewinden, klar durch die Mauern sichtbar, rund um
die kleine Kapelle bewegte. Dahinter drehten sich in verzückter
Raserei die Mänaden des Sarkophags, tanzten und hüpften die
ziegenfüßigen Satyrn, deren einige das hölzerne Fruchtbarkeitssymbol
des Luchino Scarabota in fröhlicher Prozession umhertrugen.
* * * * *
Der Abstieg nach Soana brachte Francesco eine grüblerische
Ernüchterung, wie jemandem, der die letzte Hefe aus dem Becher des
Rausches getrunken hat. Die Familie Scarabota war nach der Messe
davongegangen: Bruder, Schwester und Tochter hatten beim Abschied
dankbar die Hand des jungen Priesters geküßt.
Wie er nun mehr und mehr in die Tiefe stieg, wurde ihm ebenso mehr und
mehr der Zustand seiner Seele verdächtig, in dem er dort oben die
Messe gelesen hatte. Auch der Gipfel von Sant Agatha war sicherlich
früher eine irgendeinem Abgott geweihte, heidnische Kultstätte, was
ihn da oben scheinbar mit dem Brausen des heiligen Geistes ergriffen
hatte, vielleicht dämonische Einwirkung jener entthronten Theokratie,
die Jesus Christus gestürzt hatte, deren verderbliche Macht aber vom
Schöpfer und Lenker der Welt immer noch zugelassen war. In Soana und
in seinem Pfarrhause angelangt, hatte das Bewußtsein, sich einer
schweren Sünde schuldig gemacht zu haben, den Priester ganz
eingenommen, und seine Ängste deswegen wurden so hart, daß er noch vor
dem Mittagessen die Kirche betrat, die Wand an Wand mit seiner Wohnung
lag, um sich in heißen Gebeten dem höchsten Mittler anzuvertrauen und
womöglich in seiner Gnade zu reinigen.
In einer deutlich gefühlten Hilflosigkeit bat er Gott, ihn den
Angriffen der Dämonen nicht auszuliefern. Er spüre sehr wohl, so
bekannte er, wie sie sein Wesen auf allerlei Weise angriffen,
jenachdem einengten oder über seine bisherigen, heilsamen Grenzen
ausdehnten und in erschrecklicher Weise verwandelten. »Ich war ein
sorgsam angebautes, kleines Gärtlein zu deiner Ehre,« sagte Francesco
zu Gott. »Nun ist es in einer Sintflut ertrunken, die vielleicht durch
Einflüsse der Planeten steigt und steigt, und auf deren uferlosen
Fluten ich in einem winzigen Kahne umhertreibe. Früher wußte ich genau
meinen Weg. Es war derselbe, den deine heilige Kirche ihren Dienern
vorzeichnet. Jetzt werde ich mehr getrieben, als daß ich des Zieles
und des Weges sicher bin.
Gib mir,« flehte Francesco, »meine bisherige Enge und meine Sicherheit
und gebiete den bösen Engeln, sie mögen davon ablassen, ihre
gefährlichen Anschläge gegen deinen hilflosen Diener zu richten.
Führe, o führe uns nicht in Versuchung. Ich bin zu den armen Sündern
hinaufgestiegen in Deinem Dienst, mache, daß ich mich in den
festbeschränkten Kreis meiner heiligen Pflichten zurückfinde.«
Francescos Gebete hatten nicht mehr die einstige Klarheit und
Übersicht. Er bat um Dinge, die einander ausschlossen. Er ward
mitunter selbst zweifelhaft, ob der Strom der Leidenschaft, der seine
Bitten trug, vom Himmel oder aus einer anderen Quelle stamme. Das
heißt: er wußte nicht recht, ob er nicht etwa den Himmel im Grunde um
ein höllisches Gut anflehe. Es mochte christlichem Mitleid und
priesterlicher Sorge entsprungen sein, wenn er die Geschwister
Scarabota in sein Gebet einbezog. Verhielt es sich aber ebenso, wenn
er inbrünstig bis zu glühenden Tränen den Himmel um die Rettung Agatas
anflehte?
Auf diese Frage konnte er einstweilen noch mit Ja antworten, denn die
deutliche Regung des mächtigsten Triebes, die er beim Wiedersehen des
Mädchens gespürt hatte, war in eine schwärmerische Empfindung für
etwas unendlich Reines übergegangen. Diese Verwandlung war die
Ursache, daß Francesco nicht merkte, wie sich die Frucht der Todsünde
anstelle Mariens, der Mutter Gottes, eindrängte und für seine Gebete
und Gedanken gleichsam die Inkarnation der Madonna war. Am ersten Mai
begann in der Kirche von Soana, wie überall, ein besonderer
Mariendienst, dessen Wahrnehmung die Wachsamkeit des jungen Priesters
noch besonders einschläferte. Immer, Tag für Tag, gegen die Zeit der
Abenddämmerung, hielt er, hauptsächlich vor den Frauen und Töchtern
Soanas, einen kleinen Diskurs, der die Tugenden der gebenedeiten
Jungfrau zum Gegenstand hatte. Vorher und nachher erscholl das Schiff
der Kirche, bei offener Tür, in den Frühling hinaus, zu Ehren Mariens
von Lobgesang. Und in die alten, köstlichen, nach Text und Musik so
lieblichen Weisen, mischte sich von außen fröhlicher Spatzenlärm und
aus den nahen, feuchten Schluchten die süßeste Klage der Nachtigall.
In solchen Minuten war Francesco, scheinbar im Dienste Mariens, dem
Dienste seines Idols ganz hingegeben.
Hätten die Mütter und Töchter Soanas geahnt, daß sie in den Augen des
Priesters eine Gemeinschaft bildeten, die er Tag für Tag zur
Verherrlichung dieser verhaßten Sündenfrucht in die Kirche zog, oder
darum, um sich auf den andachtsvollen Klängen des Marien-Gesanges zu
der fern und hoch am Felsen klebenden, kleinen Alm emportragen zu
lassen, man würde ihn sicher gesteinigt haben, so aber schien es, als
wüchse mit jedem Tag vor den staunenden Augen der ganzen Gemeinde des
jungen Klerikers Frömmigkeit. Nach und nach wurde alt und jung, reich
und arm, kurz jedermann, vom Sindaco bis zum Bettler, vom
Kirchlichsten bis zum Gleichgültigsten, in den heiligen Maienrausch
Francescos hineingezogen.
Sogar die langen einsamen Wege, die er nun öfters unternahm, wurden
zugunsten des jungen Heiligen ausgelegt. Und doch wurden sie nur
unternommen in der Hoffnung, daß ein Zufall ihm einmal bei solcher
Gelegenheit Agata in den Wurf führen könne. Denn er hatte bis zum
nächsten, besonderen Gottesdienst für die Familie Scarabota in seiner
Scheu, sich zu verraten, einen Zwischenraum von mehr als acht Tagen
angesetzt, der ihm jetzt unerträglich lang wurde.
Noch immer sprach die Natur in jener aufgeschlossenen Weise zu ihm,
die er zuerst auf dem Gange nach Sant Agatha, auf der Höhe des kleinen
Heiligtums wahrgenommen hatte. Jeder Grashalm, jede Blume, jeder Baum,
jedes Wein- und Epheublatt waren nur Worte einer aus dem Urgrund des
Seins aufklingenden Sprache, die, in tiefster Stille selbst, mit
gewaltigem Brausen redete. Nie hatte eine Musik so sein ganzes Wesen
durchdrungen und, wie er meinte, mit heiligem Geist erfüllt.
* * * * *
Francesco hatte den tiefen, ruhigen Schlaf seiner Nächte eingebüßt.
Der mystische Weckruf, der ihn getroffen hatte, schien sozusagen den
Tod getötet und seinen Bruder, den Schlaf, verbannt zu haben. Jede
dieser von überall quellendem Leben durchpulsten Schöpfungsnächte ward
für Francescos jungen Körper zur heiligen Offenbarungszeit: so zwar,
daß es ihm manchmal zumute war, als ob er den letzten Schleier vom
Geheimnis der Gottheit fallen fühlte. Oft, wenn er aus heißen Träumen,
die beinahe ein Wachen darstellten, in das Wachen der Sinne überging,
draußen der Fall von Soana doppelt so laut, als am Tage rauschte, der
Mond mit den Finsternissen der mächtigen Klüfte kämpfte und schwarzes
Gewölk, gigantisch murrend, die höchsten Spitzen des Generoso
verdüsterte, zitterte Francescos Leib von Gebeten, inbrünstig, wie nie
zuvor, und ähnlich, wie wenn ein durstiger Stamm, dessen Wipfel der
Frühlingsregen tränkt, im Winde erschauert. In diesem Zustande rang er
voll Sehnsucht mit Gott, ihn in das heilige Schöpfungswunder, wie in
den brennenden Kern des Lebens, einzuweihen, in dieses allerheiligste,
innerste Etwas, das von dort aus alles Dasein durchdringt. Er sprach:
»Von dort, o du mein allmächtiger Gott, dringt dein stärkstes Licht!
von diesem in nie zu erschöpfenden Feuerwellen strömenden Kern
verbreitet sich alle Wonne des Daseins und das Geheimnis der tiefsten
Lust. Lege mir nicht eine fertige Schöpfung in den Schoß, o Gott,
sondern mache mich zum Mitschöpfer. Laß mich teilnehmen an deinem nie
unterbrochenen Schöpfungswerk; denn nur dadurch, und durch nichts
anderes, vermag ich auch deines Paradieses teilhaft zu werden.«
Unbekleidet lief Francesco, um die Glut seiner Glieder zu kühlen, im
Zimmer bei weitgeöffnetem Fenster umher und ließ die Nachtluft um
seinen Leib fluten. Dabei kam es ihm vor, als ruhe das schwarze
Gewitter über dem riesenhaften Felsrücken des Generoso, wie ein
ungeheurer Stier über einer Ferse ruht, schnaube Regen aus seinen
Nüstern, murre, schieße zuckende Blitze aus düster flammenden Augen
und übe mit keuchender Flanke das zeugende Werk der Fruchtbarkeit.
Vorstellungen wie diese waren durchaus heidnischer Art, und der
Priester wußte es, ohne daß es ihn jetzt beunruhigte. Er war
allbereits zu sehr in die allgemeine Betäubung drängender
Frühlingskräfte versunken. Der narkotische Brodem, der ihn erfüllte,
löste die Grenzen seiner engen Persönlichkeit und weitete ihn ins
Allgemeine. Überall wurden Götter geboren in der frühen, toten Natur.
Und auch die Tiefen von Francescos Seele erschlossen sich und sandten
Bilder herauf von Dingen, die im Abgrund der Jahrmillionen versunken
lagen.
In einer Nacht hatte er, im Zustande halben Wachens, einen schweren
und in seiner Art furchtbaren Traum, der ihn in eine grausige Andacht
versenkte. Er ward gleichsam zum Zeugen eines Mysteriums, das eine
schreckliche Fremdheit und zugleich etwas, wie Weihungen einer
uralten, unwiderstehlichen Macht ausatmete. Irgendwo versteckt in den
Felsen des Monte Generoso schienen Klöster gelegen zu sein, aus denen
herab gefährliche Steige und Felstreppchen in unzugängliche Höhlen
führten. Diese Felssteige klommen in feierlichem Zuge, einer hinter
dem anderen, bärtige Männer und Greise in braunen Kutten herab, die
aber in der Versunkenheit ihrer Bewegungen, sowie in der Entrücktheit
ihrer Gesichter schauerlich wirkten und zur Ausübung eines
schrecklichen Kultes verdammt schienen. Diese beinahe riesenhaften und
wilden Gestalten waren auf eine beklemmende Weise ehrwürdig. Sie
kamen hochaufgerichtet herab, mit gewaltig verwilderten, buschigen
Häuptern, an denen sich Haupt- und Barthaar vermischte. Und diesen
Vollstreckern eines unbarmherzigen und tierischen Dienstes folgten
Weiber nach, die nur von den mächtigen Wogen ihres Haars, wie von
schweren, goldenen oder schwarzen Mänteln bedeckt waren. Während das
Joch des furchtbaren Triebs die wortlos abwärtssteigenden
Traumeremiten starr und besinnungslos gefangen hielt, lag eine Demut
über den Weibern, gleichwie über Opfertieren, die sich selber einer
schrecklichen Gottheit darbringen. In den Augen der Mönche lag stille,
besinnungslose Wut, als wenn der giftige Biß eines tollen Tiers sie
verwundet und ihnen einen Wahnwitz ins Blut gesetzt hätte, dessen
rasender Ausbruch zu erwarten war. Auf den Stirnen der Weiber, in
ihren andächtig fromm gesenkten Wimpern lag eine erhabene
Feierlichkeit.
Endlich hatten die Anachoreten des Generoso sich, wie lebende
Götzen, vereinzelt in flache Höhlen der Felswand gestellt, und es
begann ein ebenso häßlicher, als erhabener Phallusdienst. So
scheußlich er war -- und Francesco erschrak in der tiefsten
Seele -- so schauerlich war er in seinem tödlichen Ernst und seiner
bangen Heiligkeit. Mächtige Eulen revierten mit durchdringendem
Schrei an den Felswänden, beim Sturze des Wasserfalls und im
magischen Lichte des Monds; aber die gewaltigen Rufe der großen
Nachtvögel wurden von den herzerstarrenden Schmerzensschreien der
Priesterinnen übertönt, die an den Qualen der Lust dahinstarben.
* * * * *
Der Tag des Gottesdienstes für die armen, verfemten Sennhirten war
endlich wieder herangekommen. Er glich schon am Morgen, als der
Priester Francesco Vela sich erhob, keinem unter allen früheren, die
er jemals erlebt hatte. So springen im Leben jedes bevorzugten
Menschen unerwartet und ungerufen Tage, wie blendende Offenbarungen
auf. Der Jüngling hatte an diesem Morgen nicht den Wunsch, weder ein
Heiliger, noch ein Erzengel, noch selbst ein Gott zu sein. Vielmehr
beschlich ihn leise Furcht, Heilige, Erzengel und Götter möchte der
Neid ihm zu Feinden machen; denn er kam sich an diesem Morgen über
Heilige, Engel und Götter erhaben vor. Aber oben auf Sant Agatha
wartete seiner eine Enttäuschung. Sein Idol, das den Namen der
Heiligen trug, hatte sich von dem Kirchgang ausgeschlossen. Von dem
erbleichenden Priester gefragt, brachte der rauhe, vertierte Vater nur
rauhe, vertierte Laute heraus, während die Gattin, die zugleich seine
Schwester war, die Tochter mit häuslicher Arbeit entschuldigte.
Hierauf ward die heilige Funktion durch Francesco auf eine so
teilnahmslose Weise erledigt, daß er am Schlusse der Messe nicht recht
wußte, ob er sie schon begonnen habe. Im Innern durchlebte er
Höllenpein, ja, solche Zustände, die, einem wirklichen Höllensturz
vergleichbar, aus ihm einen armen Verdammten machten.
Nachdem er den Ministranten zugleich mit den Geschwistern Scarabota
entlassen hatte, stieg er, noch immer vollkommen fassungslos, an
irgendeiner Seite des steilen Kegels bergab, ohne sich eines Zieles,
noch weniger irgendeiner Gefahr bewußt zu sein. Wieder hörte er Rufe
hochzeitlich kreisender Fischadler. Aber sie klangen ihm wie Hohn, der
sich aus trügerisch leuchtendem Äther herabschüttete. Im Geröll eines
trockenen Wasserlaufs rutschte er keuchend und springend ab, während
er wirre Gebete und Flüche wimmerte. Er fühlte Foltern der Eifersucht.
Obgleich etwas Weiteres nicht geschehen war, als daß die Sünderin
Agatha durch irgendetwas auf der Alpe von Santa Croce festgehalten
wurde, erschien es dem Priester ausgemacht, daß sie einen Buhlen besaß
und die der Kirche gestohlene Zeit in seinen verruchten Armen
zubrachte. Während ihm durch ihr Fernbleiben mit einem Schlage die
Größe seiner Abhängigkeit zum Bewußtsein kam, fühlte er abwechselnd
Angst, Bestürzung und Wut, den Drang, sie zu strafen und um Rettung
aus seiner Not, das heißt um Gegenliebe, zu betteln. Er hatte den
Stolz des Priesters noch keineswegs abgestreift: es ist dies der
wildeste und unbeugsamste! und dieser Stolz war aufs tiefste verletzt
worden. Für ihn war das Ausbleiben Agatas dreifache Demütigung. Die
Sünderin hatte den Mann an sich, den Diener Gottes und den Geber des
Sakramentes verworfen. Der Mann, der Priester, der Heilige wand sich
in Krämpfen getretener Eitelkeit und schäumte, wenn er des
bestialischen Kerls, Hirt oder Holzknecht, gedachte, den sie
inzwischen wahrscheinlich ihm vorzog.
Mit zerrissener und bestaubter Soutane, beschundenen Händen und
zerkratztem Gesicht gelangte Francesco nach einigen Stunden wilden und
irren Umherkletterns, Schlucht ab, Schlucht auf, zwischen
Ginstergebüsch, über brausendes Bergwasser, in eine Gegend des
Generoso, wo Herdengeläut sein Ohr berührte. Welchen Ort er somit
erreicht hatte, war ihm nicht einen Augenblick zweifelhaft. Er blickte
auf das verlassene Soana hinunter, auf seine Kirche, die bei heller
Sonne deutlich zu sehen war, und erkannte die Menge, die nun
vergeblich dem Heiligtum zuströmte. Jetzt eben hätte er sollen das
Meßgewand in der Sakristei übertun. Aber er hätte viel eher ein Seil
um die Sonne legen und diese herabziehen können, als daß es ihm
möglich gewesen wäre, die unsichtbaren Fesseln zu zerreißen, die ihn
gewaltsam nach der Alpe zogen.
* * * * *
Eben wollte den jungen Pfarrer etwas, wie Selbstbesinnung anwandeln,
als ein duftender Rauch, von der frischen Bergluft getragen, ihm in
die Nase stieg. Unwillkürlich forschend umherblickend, bemerkte er
nicht sehr fern eine sitzende Mannesgestalt, die ein Feuerchen zu
behüten schien, an dessen Rand ein blechernes Gefäß, wahrscheinlich
gefüllt mit einer Minestra, dampfte. Der Sitzende sah den Priester
nicht, denn er hatte ihm seinen Rücken zugekehrt. So konnte der
Priester wiederum nur einen runden, beinahe weißwolligen Kopf, einen
starken und braunen Nacken unterscheiden, während Schulter und Rücken
von einer durch Alter, Wetter und Wind erdfarbgewordenen Jacke bedeckt
waren, die nur lose darüber hing. Der Bauer, Hirt oder Holzfäller, was
er nun sein mochte, saß, gegen das Feuerchen hingebeugt, dessen kaum
sichtbare Flammen vom Berghauch gedrückt, wagrecht an der Erde
hinzüngelten und Rauchschwaden flachhin aussendeten. Er war
augenscheinlich in eine Arbeit vertieft, eine Schnitzelei, wie sich
bald herausstellte, und schwieg zumeist, wie jemand, der bei dem, was
er gerade tut, Gott und die Welt vergessen hat. Als Francesco, aus
irgendeinem Grunde ängstlich jede Bewegung vermeidend, längere Zeit
gestanden hatte, fing der Mann oder Bursche am Feuer leise zu pfeifen
an, und einmal ins Musizieren gekommen, schickte er plötzlich aus
melodischer Kehle abgerissene Stücke irgendeines Liedes in die Luft.
Das Herz Francescos pochte gewaltig. Es war nicht deshalb, weil er so
heftig schluchtab, schluchtauf gestiegen war, sondern aus Gründen, die
teils aus der Sonderbarkeit seiner Lage, teils von dem eigentümlichen
Eindruck herrührten, den die Nähe des Menschen am Feuer in ihm
hervorbrachte. Dieser braune Nacken, dieses krause, gelblichweiße
Gelock des Kopfes, die jugendlich strotzende Körperlichkeit, die man
unter dem schäbigen Umhang ahnte, das spürbar freie und wunschlose
Behagen des Bergbewohners: alles zusammen ging blitzartig in
Francescos Seele eine Beziehung ein, in der seine krankhafte und
gegenstandslose Eifersucht noch qualvoller aufloderte.
Francesco schritt auf das Feuer zu. Es wäre ihm doch nicht gelungen,
verborgen zu bleiben; und er war überdies von unwiderstehlichen
Kräften angezogen. Da wandte sich der Bergmensch herum, zeigte ein
Antlitz voll Jugend und Kraft, wie es ähnlich der Priester noch
niemals gesehen hatte, sprang auf und blickte den Kommenden an.
Es war Francesco nun klar, daß er es mit einem Hirten zu tun hatte, da
die Schnitzelei, die jener verfertigte, eine Schleuder war. Er
bewachte die braun und schwarz gefleckten Rinder, die, da und dort
sichtbar, im ganzen entfernt und versteckt, zwischen Gestein und
Gesträuch herumkletterten, nur durch das Geläute verraten, die der
Stier und eine und die andere Kuh am Halse trug. Er war ein Christ:
und was hätte er zwischen allen diesen Bergkapellen und
Madonnenbildern der Gegend auch anderes sein sollen? Aber er schien
auch ein ganz besonders ergebener Sohn der heiligen Kirche zu sein,
denn er küßte, sogleich das Gewand des Priesters erkennend, Francesco
mit scheuer Inbrunst und Demut die Hand.
Sonst aber, wie dieser sogleich erkannte, hatte er mit den übrigen
Kindern der Parochie keine Ähnlichkeit. Er war stärker und
untersetzter gebaut, seine Muskeln hatten etwas Athletisches, sein
Auge schien aus dem blauen See in der Tiefe genommen zu sein und an
Weitblick dem der braunen Fischadler gleich, die, wie immer, hoch um
Sant Agatha kreisten. Seine Stirn war niedrig, die Lippen wulstig und
feucht, sein Blick und Lächeln von derber Offenheit. Verstecktes und
Lauerndes, wie es manchem Südländer eigen ist, war ihm nicht
anzumerken. Von alledem gab sich Francesco, Auge in Auge mit dem
blonden jungen Adam des Monte Generoso, Rechenschaft und gestand sich,
daß er einen so urwüchsig schönen Lümmel noch nicht gesehen hatte.
Um den wahren Grund seines Kommens zu verbergen und sein Erscheinen
zugleich verständlich zu machen, log er, daß er einem Sterbenden das
Sakrament in einer entlegenen Hütte gereicht und dann den Heimweg ohne
seine Ministranten angetreten habe. Dabei habe er sich verirrt, sei
abgeglitten und abgerutscht und wünsche nun auf den rechten Weg
gewiesen zu sein, nachdem er sich ein wenig geruht habe. Diese Lüge
glaubte der Hirt. Mit derbem Lachen und seine gesunden Zahnreihen
zeigend, aber doch mit Verlegenheit, begleitete er die Erzählung des
Geistlichen und machte ihm einen Sitz zurecht, die Jacke von seinen
Schultern werfend und über den Wegrand am Feuer ausbreitend. Hierbei
wurden seine braunen und blanken Schultern, ja, der ganze Oberkörper
bis zum Gürtel entblößt, und es zeigte sich, daß er ein Hemd nicht
anhatte.
Mit diesem Naturkinde ein Gespräch anzufangen, hatte beträchtliche
Schwierigkeiten. Es schien ihm peinlich, mit dem geistlichen Herrn
allein zu sein. Nachdem er eine Weile kniend ins Feuer geblasen,
Reisig dazu getan, ab und zu den Deckel des Kochgeschirrs gelüftet und
dazu Worte in einer unverständlichen Mundart gesprochen hatte, stieß
er urplötzlich einen gewaltigen Juchzer aus, der von den Felsbastionen
des Generoso zurück und in vielfachem Echo widerhallte.
Kaum daß dieses Echo verklungen war, so hörte man etwas mit lautem
Kreischen und Gelächter sich annähern. Es waren verschiedene Stimmen,
die Stimmen von Kindern, von denen sich eine abwechselnd lachende und
nach Hilfe rufende, weibliche Stimme unterschied. Beim Klang dieser
Stimme fühlte Francesco seine Arme und Füße absterben, und es war ihm
zugleich, als ob sich eine Macht ankündige, die, verglichen mit der,
die sein natürliches Dasein hervorgebracht hatte, das Geheimnis des
wahren, des wirklichen Lebens enthielt. Francesco brannte wie der
Dornbusch des Herrn, aber äußerlich war ihm nichts anzumerken. Während
sein Inneres sekundenlang ohne Besinnung war, fühlte er eine
unbekannte Befreiung und zugleich eine ebenso süße, als rettungslose
Gefangenschaft.
* * * * *
Inzwischen hatten sich die von Gelächter erstickten, weiblichen
Notrufe angenähert, bis an der Wendung eines abschüssigen Steiges ein
ebenso unschuldiges, als freilich auch ungewöhnliches, bukolisches
Bild sichtbar ward. Ebenderselbe scheckige Ziegenbock, der den
Priester Francesco bei seinem ersten Besuch auf der Alm belästigt
hatte, führte, prustend und widerspenstig, einen kleinen
Bacchantenzug, wobei er, von lärmenden Kindern verfolgt, die einzige
Bacchantin des Trupps rittlings auf seinem Rücken trug. Das schöne
Mädchen, das Francesco, wie er glaubte, zum ersten Male erblickte,
hielt die gewundenen Hörner des Bockes kräftig gefaßt, so stark sie
sich aber nach rückwärts bog, den Hals des Tieres mit sich reißend,
vermochte sie doch nicht, weder es zum Stillstand zu zwingen, noch von
seinem Rücken herunterzusteigen. Irgendein Spaß, den sie den Kindern
zuliebe vielleicht unternommen haben mochte, hatte das Mädchen in
diese hilflose Lage gebracht, wie sie, nicht eigentlich sitzend,
sondern zu beiden Seiten des ungeeigneten Reittieres mit nackten Füßen
die Erde berührend, weniger getragen ward, als schritt und doch, ohne
einen Fall zu tun, von dem ungebärdigen, feurigen Bock nicht los
konnte. So hatte sich ihr Haar gelöst, die Tragbänder ihres groben
Hemdes waren von den Schultern geglitten, so daß eine köstliche
Halbkugel sichtbar ward, und die so wie so kaum bis zur Wade
reichenden Röckchen der Hirtin langten jetzt noch weniger zu, ihre
üppigen Knie zu bedecken.
Es dauerte eine geraume Zeit, bevor der Priester sich bewußt wurde,
wer eigentlich die Bacchantin war, und daß er in ihr den lechzend
gesuchten Gegenstand seiner marternden Sehnsucht vor sich hatte. Die
Schreie des Mädchens, ihr Lachen, ihre unfreiwillig wilden Bewegungen,
ihr fesselloses, fliegendes Haar, der geöffnete Mund, die hoch und
stoßweis atmende Brust, die ganze gleichsam erzwungene und doch
freiwillige Tollkühnheit des übermütigen Ritts, hatten sie äußerlich
ganz verändert. Eine rosige Glut überzog ihr Gesicht und mischte Lust
und Angst mit Schamhaftigkeit, die sich drollig und lieblich
ausdrückte, wenn etwa blitzschnell eine der Hände vom Horne des Bockes
fort nach dem gefährlich verschobenen Rocksaum fuhr.
Francesco war gebannt und dem Bilde verfallen, als wäre es mit der
Kraft zu lähmen begabt. Es erschien ihm schön, auf eine Art, die ihm
nicht im entferntesten die naheliegende Ähnlichkeit mit einem
Hexenritt in Erinnerung brachte. Dagegen belebten sich seine
antikischen Eindrücke. Er gedachte des marmornen Sarkophags, der,
immer von klarem Bergwasser überfließend, am Dorfplatze in Soana
stand, und dessen Bildnerei er jüngst studiert hatte. War es nicht so,
als hätte diese steinerne und doch so lebendige Welt des bekränzten
Weingotts, der tanzenden Satyrn, der panthergezogenen Triumphwagen,
der Flötenspielerinnen und Bacchantinnen, sich in die steinernen
Ödeneien des Generoso versteckt, und als wäre plötzlich eine der
gottbegeisterten Weiber, von dem rasenden Bergkult der Mänaden
abgesprengt, überraschend ins Gegenwartleben getreten.
Hatte Francesco nicht sogleich Agata, so hatte dafür der Bock den
Priester sofort erkannt: weshalb er ihm seine vergeblich schreiende
und widerstrebende Last geradeswegs zuschleppte, und indem er, ganz
ohne Umstände, mit seinen beiden gespaltenen Vorderhufen auf den Schoß
des Priesters trat, bewirkte er, daß seine Reiterin, endlich erlöst,
von seinem Rücken langsam herunterglitt.
Nachdem das Mädchen begriffen hatte, daß ein Fremder zugegen war, und
als sie nun gar in diesem Fremden Francesco erkannte, versiegte ganz
plötzlich ihr Lachen und ihre Munterkeit, und ihr Antlitz, das noch
eben vor Lust geglänzt hatte, nahm eine gleichsam trotzige Blässe an.
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