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Der Kaufmann von Venedig - 3

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  "Schlag dein Geschäft nicht von der Hand, Bassanio,
  Um meinetwillen, laß die Zeit es reifen.
  Und die Verschreibung, die der Jude hat,
  Laß sie beschweren nicht dein liebend Herz.
  Sei fröhlich, wende die Gedanken ganz
  Auf Gunstbewerbung und Bezeugungen
  Der Liebe, wie sie dort dir ziemen mögen."
  Und hier, die Augen voller Tränen, wandt er
  Sich abwärts, reichte seine Hand zurück,
  Und, als ergriff ihn wunderbare Rührung,
  Drückt' er Bassanios Hand. So schieden sie.
  Solanio.
  Ich glaub, er liebt die Welt nur seinetwegen;
  Ich bitt Euch, laßt uns gehn, ihn aufzufinden,
  Um seine Schwermut etwas zu zerstreun
  Auf ein und andre Art.
  Salarino.
  Ja, tun wir das.
  (Beide ab.)
  
  Neunte Szene
  Belmont. Ein Zimmer in Porzias Hause
  (Nerissa kommt mit einem Bedienten)
  
  Nerissa.
  Komm, hurtig, hurtig, zieh den Vorhang auf!
  Der Prinz von Arragon hat seinen Eid
  Getan und kommt sogleich zu seiner Wahl.
  (Trompentenstoß. Der Prinz von Arragon, Porzia und beider
  Gefolge.)
  Porzia.
  Schaut hin, da stehn die Kästchen, edler Prinz!
  Wenn Ihr das wählet, das mich in sich faßt,
  Soll die Vermählung gleich gefeiert werden.
  Doch fehlt Ihr, Prinz, so müßt Ihr ohne weiters
  Im Augenblick von hier Euch wegbegeben.
  Arragon.
  Drei Dinge gibt der Eid mir auf zu halten:
  Zum ersten, niemals jemand kundzutun,
  Welch Kästchen ich gewählt; sodann: verfehl ich
  Das rechte Kästchen, nie in meinem Leben
  Um eines Mädchens Hand zu werben; endlich:
  Wenn sich das Glück zu meiner Wahl nicht neigt,
  Sogleich Euch zu verlassen und zu gehn.
  Porzia.
  Auf diese Pflichten schwört ein jeder, der
  Zu wagen kommt um mein geringes Selbst.
  Arragon.
  Und so bin ich gerüstet. Glück wohlauf
  Nach Herzens Wunsch!--Gold, Silber, schlechtes Blei:
  "Wer mich erwählt, der gibt und wagt sein Alles dran."
  Du mußtest schöner aussehn, eh ich's täte.
  Was sagt das goldne Kästchen? Ha, laßt sehn!
  "Wer mich erwählt, gewinnt, was mancher Mann begehrt."
  Was mancher Mann begehrt?--Dies (mancher) meint vielleicht
  Die Torenmenge, die nach Scheine wählt,
  Nur lernend, was ein blödes Auge lehrt;
  Die nicht ins Innre dringt und wie die Schwalbe
  Im Wetter bauet an der Außenwand,
  Recht in der Kraft und Bahn des Ungefährs.
  Ich wähle nicht, was mancher Mann begehrt,
  Weil ich nicht bei gemeinen Geistern hausen,
  Noch mich zu rohen Haufen stellen will.
  Nun dann zu dir, du silbern Schatzgemach!
  Sag mir noch mal die Inschrift, die du führst:
  "Wer mich erwählt, bekommt soviel, als er verdient."
  Ja, gut gesagt: denn wer darf darauf ausgehn,
  Das Glück zu täuschen und geehrt zu sein,
  Den das Verdienst nicht stempelt? Maße keiner
  Sich einer unverdienten Würde an.
  O würden Güter, Rang und Ämter nicht
  Verderbterweis erlangt und würde Ehre
  Durch das Verdienst des Eigners rein erkauft,
  Wie mancher deckte dann sein bloßes Haupt!
  Wie mancher, der befiehlt, gehorchte dann!
  Wie viel des Pöbels würde ausgesondert
  Aus reiner Ehre Saat! und wieviel Ehre
  Gelesen aus der Spreu, dem Raub der Zeit,
  Um neu zu glänzen!--Wohl, zu meiner Wahl!
  "Wer mich erwählt, bekommt soviel, als er verdient."
  Ich halt es mit Verdienst: gebt mir dazu den Schlüssel,
  Und unverzüglich schließt mein Glück hier auf.
  Porzia.
  Zu lang geweilt für das, was Ihr da findet.
  Arragon.
  Was gibt's hier? Eines Gecken Bild, der blinzt
  Und mir 'nen Zettel reicht! Ich will ihn lesen.
  O wie so gar nicht gleichst du Porzien!
  Wie gar nicht meinem Hoffen und Verdienst!
  "Wer mich erwählt, bekommt soviel, als er verdient."
  Verdient ich nichts als einen Narrenkopf?
  Ist das mein Preis? Ist mein Verdienst nicht höher?
  Porzia.
  Fehlen und richten sind getrennte Ämter,
  Und die sich widersprechen.
  Arragon.
  Was ist hier?
   "Siebenmal im Feur geklärt
   Ward dies Silber: so bewährt
   Ist ein Sinn, den nichts betört.
   Mancher achtet Schatten wert,
   Dem ist Schattenheil beschert;
   Mancher Narr in Silber fährt,
   So auch dieser, der Euch lehrt:
   Nehmet, wen Ihr wollt, zum Weib
   Immer trägt mich Euer Leib.
   Geht und sucht Euch Zeitvertreib!"
  Mehr und mehr zum Narrn mich macht
  Jede Stunde hier verbracht.
  Mit einem Narrenkopf zum Frein
  Kam ich her und geh mit zwein.
  Herz, leb wohl! was ich versprach,
  Halt ich, trage still die Schmach.
  (Arragon mit Gefolge ab.)
  Porzia.
  So ging dem Licht die Motte nach!
  O diese weisen Narren! wenn sie wählen,
  Sind sie so klug, durch Witz es zu verfehlen.
  Nerissa.
  Die alte Sag ist keine Ketzerei.
  Daß Frein und Hängen eine Schickung sei.
  Porzia.
  Komm, zieh den Vorhang zu, Nerissa.
  (Ein Bedienter kommt.)
  Bedienter.
  Wo ist mein Fräulein?
  Porzia.
  Hier; was will mein Herr?
  Bedienter.
  An Eurem Tor ist eben abgestiegen
  Ein junger Venezianer, welcher kommt,
  Die nahe Ankunft seines Herrn zu melden,
  Von dem er stattliche Begrüßung bringt;
  Das heißt, nebst vielen artgen Worten, Gaben
  Von reichem Wert; ich sahe niemals noch
  Solch einen holden Liebesabgesandten.
  Nie kam noch im April ein Tag so süß,
  Zu zeigen, wie der Sommer köstlich nahe,
  Als dieser Bote seinem Herrn voran.
  Porzia.
  Nichts mehr, ich bitt dich; ich besorge fast,
  Daß du gleich sagen wirst, er sei dein Vetter;
  Du wendest solchen Festtagswitz an ihn.
  Komm, komm, Nerissa; denn er soll mich freun,
  Cupidos Herold, so geschickt und fein.
  Nerissa.
  Bassanio, Herr des Herzens! laß es sein.
  (Alle ab.)
  
  
  Dritter Aufzug
  
  Erste Szene
  Venedig. Eine Straße
  (Solanio und Salarino treten auf)
  
  Solanio.
  Nun, was gibt's Neues auf dem Rialto?
  Salarino.
  Ja, noch wird es nicht widersprochen, daß dem Antonio sein Schiff
  von reicher Ladung in der Meerenge gestrandet ist. Die Goodwins,
  denke ich, nennen sie die Stelle: eine sehr gefährliche Sandbank,
  wo die Gerippe von manchem stattlichen Schiff begraben liegen,
  wenn Gevatterin Fama eine Frau von Wort ist.
  Solanio.
  Ich wollte, sie wäre darin eine so lügenhafte Gevatterin, als
  jemals eine Ingwer kaute oder ihren Nachbarn weismachte, sie
  weine um den Tod ihres dritten Mannes. Aber es ist wahr--ohne
  alle Umschweife, und ohne die gerade, ebne Bahn des Gespräches zu
  kreuzen--daß der gute Antonio, der redliche Antonio--o daß ich
  eine Benennung wüßte, die gut genug wäre, seinem Namen
  Gesellschaft zu leisten!--
  Salarino.
  Wohlan, zum Schluß!
  Solanio.
  He, was sagst du?--Ja, das Ende ist, er hat ein Schiff eingebüßt.
  Salarino.
  Ich wünsche, es mag das Ende seiner Einbußen sein.
  Solanio.
  Laßt mich beizeiten Amen sagen, ehe mir der Teufel einen
  Querstrich durch mein Gebet macht; denn hier kommt er in Gestalt
  eines Juden.
  (Shylock kommt.)
  Wie steht's, Shylock? Was gibt es Neues unter den Kaufleuten?
  Shylock.
  Ihr wußtet, niemand besser, niemand besser als Ihr um meiner
  Tochter Flucht.
  Salarino.
  Das ist richtig; ich meinerseits kannte den Schneider, der ihr
  die Flügel zum Wegfliegen gemacht hat.
  Solanio.
  Und Shylock seinerseits wußte, daß der Vogel flügge war; und dann
  haben sie es alle in der Art, das Nest zu verlassen.
  Shylock.
  Sie ist verdammt dafür.
  Salarino.
  Das ist sicher, wenn der Teufel ihr Richter sein soll.
  Shylock.
  Daß mein eigen Fleisch und Blut sich so empörte!
  Solanio.
  Pfui dich an, altes Fell! bei dem Alter empört es sich?
  Shylock.
  Ich sage, meine Tochter ist mein Fleisch und Blut.
  Salarino.
  Zwischen deinem Fleisch und ihrem ist mehr Unterschied als
  zwischen Ebenholz und Elfenbein, mehr zwischen eurem Blute als
  zwischen rotem Wein und Rheinwein.--Aber sagt uns, was hört Ihr:
  hat Antonio einen Verlust zur See gehabt oder nicht?
  Shylock.
  Da hab ich einen andern schlimmen Handel: ein Bankerottierer, ein
  Verschwender, der sich kaum auf dem Rialto darf blicken lassen;
  ein Bettler, der so schmuck auf den Markt zu kommen pflegte! Er
  sehe sich vor mit seinem Schein! Er hat mich immer Wucherer
  genannt--er sehe sich vor mit seinem Schein!--er verlieh immer
  Geld aus christlicher Liebe,--er sehe sich vor mit seinem Schein!
  Salarino.
  Nun, ich bin sicher, wenn er verfällt, so wirst du sein Fleisch
  nicht nehmen: wozu wär es gut?
  Shylock.
  Fische mit zu ködern. Sättigt es sonst niemanden, so sättigt es
  doch meine Rache. Er hat mich beschimpft, mir 'ne halbe Million
  gehindert; meinen Verlust belacht, meinen Gewinn bespottet, mein
  Volk geschmäht, meinen Handel gekreuzt, meine Freunde verleitet,
  meine Feinde gehetzt. Und was hat er für Grund! Ich bin ein Jude.
  Hat nicht ein Jude Augen? Hat nicht ein Jude Hände, Gliedmaßen,
  Werkzeuge, Sinne, Neigungen, Leidenschaften? Mit derselben Speise
  genährt, mit denselben Waffen verletzt, denselben Krankheiten
  unterworfen, mit denselben Mitteln geheilt, gewärmt und gekältet
  von eben dem Winter und Sommer als ein Christ? Wenn ihr uns
  stecht, bluten wir nicht? Wenn ihr uns kitzelt, lachen wir nicht?
  Wenn ihr uns vergiftet, sterben wir nicht? Und wenn ihr uns
  beleidigt, sollen wir uns nicht rächen? Sind wir euch in allen
  Dingen ähnlich, so wollen wir's euch auch darin gleich tun. Wenn
  ein Jude einen Christen beleidigt, was ist seine Demut? Rache.
  Wenn ein Christ einen Juden beleidigt, was muß seine Geduld sein
  nach christlichem Vorbild? Nu, Rache. Die Bosheit, die ihr mich
  lehrt, die will ich ausüben, und es muß schlimm hergehen, oder
  ich will es meinen Meistern zuvortun.
  (Ein Bedienter kommt.)
  Bedienter.
  Edle Herren, Antonio, mein Herr, ist zu Hause und wünscht euch zu
  sprechen.
  Salarino.
  Wir haben ihn allenthalben gesucht.
  (Tubal kommt.)
  Solanio.
  Hier kommt ein anderer von seinem Stamm; der dritte Mann ist
  nicht aufzutreiben, der Teufel selbst müßte denn Jude werden.
  (Solanio, Salarino und Bedienter ab.)
  Shylock.
  Nun, Tubal, was bringst du Neues von Genua? Hast du meine Tochter
  gefunden?
  Tubal.
  Ich bin oft an Örter gekommen, wo ich von ihr hörte, aber ich
  kann sie nicht finden.
  Shylock.
  Ei so, so, so, so! Ein Diamant fort, kostet mich zweitausend
  Dukaten zu Frankfurt. Der Fluch ist erst jetzt auf unser Volk
  gefallen, ich hab ihn niemals gefühlt bis jetzt. Zweitausend
  Dukaten dafür! und noch mehr kostbare, kostbare Juwelen! Ich
  wollte, meine Tochter läge tot zu meinen Füßen und hätte die
  Juwelen in den Ohren! Wollte, sie läge eingesargt zu meinen
  Füßen, und die Dukaten im Sarge! Keine Nachricht von ihnen! Ei,
  daß dich!--und ich weiß noch nicht, was beim Nachsetzen
  draufgeht. Ei, du Verlust über Verlust! Der Dieb mit soviel
  davongegangen, und soviel, um den Dieb zu finden; und keine
  Genugtuung, keine Rache! Kein Unglück tut sich auf, als was mir
  auf den Hals fällt; keine Seufzer, als die ich ausstoße, keine
  Tränen, als die ich vergieße.
  Tubal.
  Ja, andre Menschen haben auch Unglück. Antonio, so hört ich in Genua--
  Shylock.
  Was, was, was? Ein Unglück? ein Unglück?
  Tubal.
  Hat eine Galeone verloren, die von Tripolis kam.
  Shylock.
  Gott sei gedankt! Gott sei gedankt! Ist es wahr? ist es wahr?
  Tubal.
  Ich sprach mit ein paar von den Matrosen, die sich aus dem
  Schiffbruch gerettet.
  Shylock.
  Ich danke dir, guter Tubal! Gute Zeitung, gute Zeitung!--Wo? in
  Genua?
  Tubal.
  Eure Tochter vertat in Genua, wie ich hörte, in (einem) Abend
  achtzig Dukaten!
  Shylock.
  Du gibst mir einen Dolchstich--ich kriege mein Gold nicht wieder
  zu sehn--Achtzig Dukaten in (einem) Strich! achtzig Dukaten!
  Tubal.
  Verschiedene von Antonios Gläubigern reisten mit mir zugleich
  nach Venedig; die beteuerten, er müsse notwendig fallieren.
  Shylock.
  Das freut mich sehr! ich will ihn peinigen, ich will ihn martern;
  das freut mich!
  Tubal.
  Einer zeigte mir einen Ring, den ihm Eure Tochter für einen Affen
  gab.
  Shylock.
  Daß sie die Pest! Du marterst mich, Tubal. Es war mein Türkis,
  ich bekam ihn von Lea, als ich noch Junggeselle war; ich hätte
  ihn nicht für einen Wald von Affen weggegeben.
  Tubal.
  Aber Antonio ist gewiß ruiniert.
  Shylock.
  Ja, das ist wahr! das ist wahr! Geh, Tubal, miete mir einen
  Amtsdiener, bestell ihn vierzehn Tage vorher. Ich will sein Herz
  haben, wenn er verfällt; denn wenn er aus Venedig weg ist, so
  kann ich Handel treiben, wie ich will. Geh, geh, Tubal, und triff
  mich bei unsrer Synagoge! geh, guter Tubal! bei unsrer Synagoge,
  Tubal!
  (Ab.)
  
  Zweite Szene
  Belmont. Ein Zimmer in Porzias Hause
  (Bassanio, Porzia, Graziano, Nerissa und Gefolge treten auf
  Die Kästchen sind aufgestellt)
  
  Porzia.
  Ich bitt Euch, wartet ein, zwei Tage noch,
  Bevor Ihr wagt; denn wählt Ihr falsch, so büße
  Ich Euren Umgang ein; darum verzieht.
  Ein Etwas sagt mir (doch es ist nicht Liebe),
  Ich möcht Euch nicht verlieren; und Ihr wißt,
  Es rät der Haß in diesem Sinne nicht.
  Allein damit Ihr recht mich deuten möchtet
  (Und doch, ein Mädchen spricht nur mit Gedanken),
  Behielt' ich gern Euch ein paar Tage hier,
  Eh Ihr für mich Euch wagt. Ich könnt Euch leiten
  Zur rechten Wahl, dann bräch ich meinen Eid;
  Das will ich nie; so könnt Ihr mich verfehlen.
  Doch wenn Ihr's tut, macht Ihr mich sündlich wünschen,
  Ich hätt ihn nur gebrochen. O der Augen,
  Die so bezaubert mich und mich geteilt!
  Halb bin ich Eur, die andre Hälfte Euer--
  Mein, wollt ich sagen; doch wenn mein, dann Euer,
  Und so ganz Euer. O die böse Zeit,
  Die Eignern ihre Rechte vorenthält!
  Und so, ob Euer schon, nicht Euer.--Trifft es,
  So sei das Glück dafür verdammt, nicht ich.
  Zu lange red ich, doch nur um die Zeit
  Zu dehnen, in die Länge sie zu ziehn,
  Die Wahl noch zu verzögern.
  Bassanio.
  Laßt mich wählen,
  Denn wie ich jetzt bin, leb ich auf der Folter.
  Porzia.
  Bassanio, auf der Folter? So bekennt,
  Was für Verrat in Eurer Liebe steckt.
  Bassanio.
  Allein der häßliche Verrat des Mißtrauns,
  Der mich am Glück der Liebe zweifeln läßt.
  So gut verbände Schnee und Feuer sich
  Zum Leben, als Verrat und meine Liebe.
  Porzia.
  Ja, doch ich sorg, Ihr redet auf der Folter,
  Wo sie, gezwungen, sagen, was man will.
  Bassanio.
  Verheißt mir Leben, so bekenn ich Wahrheit.
  Porzia.
  Nun wohl, bekennt und lebt!
  Bassanio.
  Bekennt und liebt!
  Mein ganz Bekenntnis wäre dies gewesen.
  O selge Folter, wenn der Folterer
  Mich Antwort lehrt zu meiner Lossprechung?
  Doch laßt mein Heil mich bei den Kästchen suchen.
  Porzia.
  Hinzu denn! Eins darunter schließt mich ein;
  Wenn Ihr mich liebt, so findet Ihr es aus.
  Nerissa und ihr andern steht beiseit.--
  Laßt nun Musik ertönen, weil er wählt!
  So, wenn er fehltrifft, end' er Schwanen gleich
  Hinsterbend in Musik; daß die Vergleichung
  Noch näher passe, sei mein Aug der Strom,
  Sein wäßrig Totenbett. Er kann gewinnen,
  Und was ist dann Musik? Dann ist Musik
  Wie Paukenklang, wenn sich ein treues Volk
  Dem neugekrönten Fürsten neigt; ganz so
  Wie jene süßen Tön in erster Frühe,
  Die in des Bräutigams schlummernd Ohr sich schleichen
  Und ihn zur Hochzeit laden. Jetzo geht er
  Mit minder Anstand nicht, mit weit mehr Liebe,
  Als einst Alcides, da er den Tribut
  Der Jungfrau löste, welchen Troja heulend
  Dem Seeuntier gezahlt. Ich steh als Opfer,
  Die dort von fern sind die Dardanschen Fraun
  Mit rotgeweinten Augen, ausgegangen,
  Der Tat Erfolg zu sehn.--Geh, Herkules!
  Leb du, so leb ich! mit viel stärkerm Bangen
  Seh ich den Kampf, als du ihn eingegangen.
  (Musik, während Bassanio über die Kästchen mit sich zu Rate geht.)
  (Lied)
  (Erste Stimme.) Sagt, woher stammt Liebeslust?
  Aus den Sinnen, aus der Brust?
  Ist euch ihr Lebenslauf bewußt? (Zweite Stimme.) In den Augen erst gehegt,
  Wird Liebeslust durch Schaun gepflegt;
  Stirbt das Kindchen, beigelegt
  In der Wiege, die es trägt,
  Läutet Totenglöckchen ihm;
  Ich beginne: Bim! bim! bim! (Chor.) Bim! bim! bim!
  Bassanio.
  --So ist oft äußrer Schein sich selber fremd,
  Die Welt wird immerdar durch Zier berückt.
  Im Recht, wo ist ein Handel so verderbt,
  Der nicht, geschmückt von einer holden Stimme,
  Des Bösen Schein verdeckt? Im Gottesdienst,
  Wo ist ein Irrwahn, den ein ehrbar Haupt
  Nicht heiligte, mit Sprüchen nicht belegte,
  Und bürge die Verdammlichkeit durch Schmuck?
  Kein Laster ist so blöde, das von Tugend
  Im äußern Tun nicht Zeichen an sich nähme.
  Wie manche Feige, die Gefahren stehn
  Wie Spreu dem Winde, tragen doch am Kinn
  Den Bart des Herkules und finstern Mars,
  Fließt gleich in ihren Herzen Blut wie Milch!
  Und diese leihn des Mutes Auswuchs nur,
  Um furchtbar sich zu machen. Blickt auf Schönheit,
  Ihr werdet sehn, man kauft sie nach Gewicht,
  Das hier ein Wunder der Natur bewirkt,
  Und die es tragen, um so lockrer macht.
  So diese schlänglicht krausen goldnen Locken,
  Die mit den Lüften so mutwillig hüpfen
  Auf angemaßtem Reiz: man kennt sie oft
  Als eines zweiten Kopfes Ausstattung,
  Der Schädel der sie trug, liegt in der Gruft.
  So ist denn Zier die trügerische Küste
  Von einer schlimmen See, der schöne Schleier,
  Der Indiens Schöne birgt; mit einem Wort:
  Die Scheinwahrheit, womit die schlaue Zeit
  Auch Weise fängt. Darum, du gleißend Gold,
  Des Midas harte Kost, dich will ich nicht,
  Noch dich, gemeiner, bleicher Botenläufer
  Von Mann zu Mann; doch du, du magres Blei,
  Das eher droht als irgend was verheißt,
  Dein schlichtes Ansehn spricht beredt mich an:
  Ich wähle hier, und sei es wohlgetan!
  Porzia.
  Wie jede Regung fort die Lüfte tragen!
  Als irre Zweifel, ungestüm Verzagen
  Und bange Schaur und blasse Schüchternheit.
  O Liebe, mäßge dich in deiner Seligkeit!
  Halt ein, laß deine Freuden sanfter regnen;
  Zu stark fühl ich, du mußt mich minder segnen,
  Damit ich nicht vergeh.
  Bassanio (öffnet das bleierne Kästchen).
  Was find ich hier?
  Der schönen Porzia Bildnis? Welcher Halbgott
  Kam so der Schöpfung nah? Regt sich dies Auge?
  Wie, oder schwebend auf des meinen Wölbung,
  Scheint es bewegt? Hier sind erschloßne Lippen,
  Die Nektarodem trennt: so süße Scheidung
  Muß zwischen solchen süßen Freunden sein.
  Der Maler spielte hier in ihrem Haar,
  Die Spinne wob ein Netz, der Männer Herzen
  Zu fangen wie die Mück im Spinngeweb.
  Doch ihre Augen--o wie konnt er sehn,
  Um sie zu malen? Da er eins gemalt,
  Dünkt mich, es mußt ihm seine beiden stehlen
  Und ungepaart sich lassen. Doch seht, soweit
  Die Wahrheit meines Lobes diesem Schatten
  Zu nahe tut, da es ihn unterschätzt,
  Soweit läßt diesen Schatten hinter sich
  Die Wahrheit selbst zurück.--Hier ist der Zettel,
  Der Inbegriff und Auszug meines Glücks.
   "Ihr, der nicht auf Schein gesehn:
   Wählt so recht und trefft so schön!
   Weil Euch dieses Glück geschehn,
   Wollet nicht nach anderm gehn.
   Ist Euch dies nach Wunsch getan
   Und findt Ihr Heil auf dieser Bahn,
   Müßt Ihr Eurer Liebsten nahn,
   Und sprecht mit holdem Kuß sie an."
  Ein freundlich Blatt--erlaubt, mein holdes Leben,
  (er küßt sie)
  Ich komm, auf Schein zu nehmen und zu geben,
  Wie, wer um einen Preis mit andern ringt
  Und glaubt, daß vor dem Volk sein Tun gelingt;
  Er hört den Beifall, Jubel schallt zum Himmel:
  Im Geist benebelt, staunt er--"Dies Getümmel
  Des Preises", fragt er sich, "gilt es denn mir?"
  So, dreimal holdes Fräulein, steh ich hier,
  Noch zweifelnd, ob kein Trug mein Auge blend't,
  Bis Ihr bestätigt, zeichnet, anerkennt.
  Porzia.
  Ihr seht mich, Don Bassanio, wo ich stehe,
  So wie ich bin. Obschon für mich allein
  Ich nicht ehrgeizig wär in meinem Wunsch,
  Viel besser mich zu wünschen; doch für Euch
  Wollt ich verdreifacht zwanzigmal ich selbst sein,
  Noch tausendmal so schön, zehntausendmal
  So reich.--
  Nur um in Eurer Schätzung hoch zu stehn
  Möcht ich an Gaben, Reizen, Gütern, Freunden
  Unschätzbar sein; doch meine volle Summa
  Macht etwas nur: das ist, in Bausch und Bogen,
  Ein unerzognes, ungelehrtes Mädchen,
  Darin beglückt, daß sie noch nicht zu alt
  Zum Lernen ist; noch glücklicher, daß sie
  Zum Lernen nicht zu blöde ward geboren;
  Am glücklichsten, weil sie ihr weich Gemüt
  Dem Euren überläßt, daß Ihr sie lenkt
  Als ihr Gemahl, ihr Führer und ihr König.
  Ich selbst, und was nur mein, ist Euch und Eurem
  Nun zugewandt; noch eben war ich Eigner
  Des schönen Guts hier, Herrin meiner Leute,
  Monarchin meiner selbst; und eben jetzt
  Sind Haus und Leut und ebendies "ich selbst"
  Eur eigen, Herr. Nehmt sie mit diesem Ring;
  Doch trennt Ihr Euch von ihm, verliert, verschenkt ihn,
  So prophezei es Eurer Liebe Fall,
  Und sei mein Anspruch gegen Euch zu klagen.
  Bassanio.
  Fräulein, Ihr habt der Worte mich beraubt,
  Mein Blut nur in den Adern spricht zu Euch;
  Verwirrung ist in meinen Lebensgeistern,
  Wie sie nach einer wohlgesprochnen Rede
  Von einem teuren Prinzen wohl im Kreis
  Der murmelnden zufriednen Meng erscheint,
  Wo jedes Etwas, ineinander fließend,
  Zu einem Chaos wird von nichts als Freude,
  Laut und doch sprachlos.--Doch weicht dieser Ring
  Von diesem Finger, dann weicht hier das Leben;
  O dann sagt kühn, Bassanio sei tot!
  Nerissa.
  Mein Herr und Fräulein, jetzt ist unsre Zeit,
  Die wir dabei gestanden und die Wünsche
  Gelingen sehn, zu rufen: Freud und Heil!
  Habt Freud und Heil, mein Fräulein und mein Herr!
  Graziano.
  Mein Freund Bassanio und mein wertes Fräulein,
  Ich wünsch euch, was für Freud ihr wünschen könnt;
  Denn sicher wünscht ihr keine von mir weg.
  Und wenn ihr beiderseits zu feiern denkt
  Den Austausch eurer Treue, bitt ich euch,
  Daß ich zugleich mich auch verbinden dürfe.
  Bassanio.
  Von Herzen gern, kannst du ein Weib dir schaffen.
  Graziano.
  Ich dank Euch, Herr, Ihr schafftet mir ein Weib.
  Mein Auge kann so hurtig schaun als Eures;
  Ihr saht das Fräulein, ich die Dienerin;
  Ihr liebtet und ich liebte; denn Verzug
  Steht mir nicht besser an als Euch, Bassanio.
  Eur eignes Glück hing an den Kästchen dort,
  Und so auch meines, wie es sich gefügt.
  Denn werbend hier, bis ich in Schweiß geriet,
  Und schwörend, bis mein Gaum' von Liebesschwüren
  Ganz trocken war, ward ich zuletzt--geletzt
  Durch ein Versprechen dieser Schönen hier,
  Mir Liebe zu erwidern, wenn Eur Glück
  Ihr Fräulein erst gewönne.
  Porzia.
  Ist's wahr, Nerissa?
  Nerissa.
  Ja, Fräulein, wenn Ihr Euren Beifall gebt.
  Bassanio.
  Und meint Ihr's, Graziano, recht im Ernst?
  Graziano.
  Ja, auf mein Wort.
  Bassanio.
  Ihr ehrt durch Eure Heirat unser Fest.
  Graziano.
  Wir wollen mit ihnen auf den ersten Jungen wetten um tausend Dukaten.
  Doch wer kommt hier; Lorenzo und sein Heidenkind?
  Wie? und mein alter Landsmann, Freund Salerio?
  (Lorenzo, Jessica und Salerio treten auf.)
  Bassanio.
  Lorenzo und Salerio, willkommen,
  Wofern die Jugend meines Ansehns hier
  Willkommen heißen darf. Erlaubet mir,
  Ich heiße meine Freund und Landesleute
  Willkommen, holde Porzia.
  Porzia.
  Ich mit Euch;
  Sie sind mir sehr willkommen.
  Lorenzo.
  Dank Euer Gnaden!--Was mich angeht, Herr,
  Mein Vorsatz war es nicht, Euch hier zu sehn;
  Doch da ich unterwegs Salerio traf,
  So bat er mich, daß ich's nicht weigern konnte,
  Hieher ihn zu begleiten.
  Salerio.
  Ja, ich tat's
  Und habe Grund dazu. Signor Antonio
  Empfiehlt sich Euch.
  (Gibt dem Bassanio einen Brief.)
  Bassanio.
  Eh ich den Brief erbreche,
  Sagt, wie befindet sich mein wackrer Freund?
  Salerio.
  Nicht krank, Herr, wenn er's im Gemüt nicht ist,
  Noch wohl, als im Gemüt; der Brief da wird
  Euch seinen Zustand melden.
  Graziano.
  Nerissa, muntert dort die Fremde auf,
  Heißt sie willkommen. Eure Hand, Salerio!
  Was bringt Ihr von Venedig mit? Wie geht's
  Dem königlichen Kaufmann, dem Antonio?
  Ich weiß, er wird sich unsers Glückes freun;
  Wir sind die Iasons, die das Vlies gewonnen.
  Salerio.
  O hättet Ihr das Vlies, das er verlor.
  Porzia.
  In dem Papier ist ein feindselger Inhalt,
  Es stiehlt die Farbe von Bassanios Wangen.
  Ein teurer Freund tot; nichts auf Erden sonst,
  Was eines festgesinnten Mannes Fassung
  So ganz verwandeln kann. Wie? schlimm und schlimmer?
  Erlaubt, Bassanio, ich bin halb Ihr selbst,
  Und mir gebührt die Hälfte auch von allem,
  Was dies Papier Euch bringt.
  Bassanio.
  O werte Porzia,
  Hier sind ein paar so widerwärtge Worte,
  Als je Papier bedeckten. Holdes Fräulein,
  Als ich zuerst Euch meine Liebe bot,
  Sagt ich Euch frei, mein ganzer Reichtum rinne
  In meinen Adern: ich sei Edelmann;
  Und dann sagt ich Euch wahr. Doch, teures Fräulein,
  Da ich auf nichts mich schätzte, sollt Ihr sehn,
  Wie sehr ich Prahler war. Da ich Euch sagte,
  Mein Gut sei nichts, hätt ich Euch sagen sollen,
  Es sei noch unter nichts; denn in der Tat,
  Mich selbst verband ich einem teuren Freunde,
  Den Freund verband ich seinem ärgsten Feind,
  Um mir zu helfen. Hier, Fräulein, ist ein Brief,
  Das Blatt Papier, wie meines Freundes Leib
  Und jedes Wort drauf eine offne Wunde,
  Der Lebensblut entströmt.--Doch ist es wahr,
  Salerio? Sind denn alle Unternehmen
  Ihm fehlgeschlagen? Wie, nicht eins gelang?
  Von Tripolis, von Mexiko, von England,
  Von Indien, Lissabon, der Berberei?
  Und nicht (ein) Schiff entging dem furchbarn Anstoß
  Von Armut drohnden Klippen?
  Salerio.
  Nein, nicht eins.
  Und außerdem, so scheint es, hätt er selbst
  Das bare Geld, den Juden zu bezahlen,
  Der nähm es nicht. Nie kannt ich ein Geschöpf,
  Das die Gestalt von einem Menschen trug,
  So gierig, einen Menschen zu vernichten.
  Er liegt dem Dogen früh und spät im Ohr
  Und klagt des Staats verletzte Freiheit an,
  Wenn man sein Recht ihm weigert. Zwanzig Handelsleute,
  Der Doge selber und die Senatoren
  Vom größten Ansehn reden all ihm zu;
  Doch niemand kann aus der Schikan ihn treiben
  Von Recht, verfallner Buß und seinem Schein.
  Jessica.
  Als ich noch bei ihm war, hört ich ihn schwören
  Vor seinen Landesleuten Chus und Tubal,
  Er wolle lieber des Antonio Fleisch
  Als den Betrag der Summe zwanzigmal,
  Die er ihm schuldig sei. Und, Herr, ich weiß,
  Wenn ihm nicht Recht, Gewalt und Ansehn wehrt,
  Wird es dem armen Manne schlimm ergehn.
  Porzia.
  Ist's Euch ein teurer Freund, der so in Not ist?
  Bassanio.
  Der teurste Freund, der liebevollste Mann,
  Das unermüdet willigste Gemüt
  Zu Dienstleistungen und ein Mann, an dem
  Die alte Römerehre mehr erscheint
  Als sonst an wem, der in Italien lebt.
  Porzia.
  Welch eine Summ' ist er dem Juden schuldig?
  Bassanio.
  Für mich, dreitausend Dukaten.
  Porzia.
  Wie? nicht mehr?
  Zahlt ihm sechstausend aus und tilgt den Schein,
  Doppelt sechstausend, dann verdreifacht das,
  Eh einem Freunde dieser Art ein Haar
  Gekränkt soll werden durch Bassanios Schuld.
  Erst geht mit mir zur Kirch und nennt mich Weib,
  Dann nach Venedig fort zu Eurem Freund,
  Denn nie sollt Ihr an Porzias Seite liegen
  Mit Unruh in der Brust. Gold geb ich Euch,
  Um zwanzigmal die kleine Schuld zu zahlen;
  Zahlt sie und bringt den echten Freund mit Euch.
  Nerissa und ich selbst indessen leben
  Wie Mädchen und wie Witwen. Kommt mit mir,
  Ihr sollt auf Euren Hochzeitstag von hier.
  Begrüßt die Freunde, laßt den Mut nichts trüben;
  So teur gekauft, will ich Euch teuer lieben.--
  Doch laßt mich hören Eures Freundes Brief.
  Bassanio (liest).
  "Liebster Bassanio! Meine Schiffe sind alle verunglückt, meine
  Gläubiger werden grausam, mein Glücksstand ist ganz zerrüttet,
  meine Verschreibung an den Juden ist verfallen, und da es
  unmöglich ist, daß ich lebe, wenn ich sie zahle, so sind alle
  Schulden zwischen mir und Euch berichtigt. Wenn ich Euch nur bei
  meinem Tode sehen könnte! Jedoch handelt nach Belieben; wenn Eure
  Liebe Euch nicht überredet, zu kommen, so muß es mein Brief
  nicht.
  Porzia.
  O Liebster, geht, laßt alles andre liegen!
  Bassanio.
  Ja, eilen will ich, da mir Eure Huld
  Zu gehn erlaubt; doch bis ich hier zurück,
  
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