Der junge Gelehrte: Ein Lustspiel in drei Aufzügen - 6

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dich? Warum soll er denn dem Alten nicht zu nahe kommen? Was habt
ihr denn wieder!
Lisette. Je, der verfluchte Brief!
Anton. Was für ein Brief?
Lisette. Den ich dir vorhin gab.
Anton. Was ist denn mit dem?
Lisette. Es ist alles umsonst; meine Mühe ist vergebens.
Anton. Wie denn so? So wahr ich lebe, ich habe ihn richtig bestellt.
Mache keine Possen und schiebe die Schuld etwa auf mich!
Lisette. Richtig übergeben ist er wohl; er tat auch schon seine
Wirkung. Aber Juliane hat uns selbst einen Strich durch die Rechnung
gemacht. Sie will es durchaus entdecken, daß es ein falscher Brief
gewesen sei, und hat es vielleicht auch schon getan.
Anton. Was zum Henker, sie selbst? Da werden wir ankommen! Siehst
du; nun ist der Sperling und die Taube weg. Und was das schlimmste ist:
da ich die Taube habe fangen wollen, so bin ich darüber mit der Nase
ins Weiche gefallen. Oder deutlicher und ohne Gleichnis mit dir zu
reden: die versprochene Belohnung bei dem Alten hab ich verloren, die
eingebildete bei Valeren entgeht mir auch, und aller Profit, den ich
dabei machen werde, ist, nebst einem gnädigen Rippenstoße, ein Pack
dich zum Teufel!--Will Sie mich alsdenn noch, Jungfer Lisette?--Oh,
Sie muß mich. Ich will Sie die Leute lehren unglücklich machen--
Lisette. Es wird mir gewiß besser gehen? Wir wandern miteinander,
und wenn wir nur einmal ein Paar sind, so magst du sehen, wie du mich
ernährest.
Anton. Ich dich ernähren? bei der teuren Zeit? Wenn ich noch könnte
mit dir herumziehen, wie der mit dem großen Tiere, das ein Horn auf
der Nase hat.
Lisette. Sorge nicht, in ein Tier mit einem Horne will ich dich bald
verwandeln. Es wird alsdenn doch wohl einerlei sein, ob du mit mir
oder ich mit dir herumziehe.
Anton. Nu wahrhaftig, mit dir weiß man doch noch, woran man ist.
--Aber, damit wir nicht eins ins andre reden, wo ist denn nun mein
Herr? Da sind endlich seine verdammten Briefe!
Lisette. Siehst du ihn?
Anton. Nein; aber wo mir recht ist, jetzt hör ich ihn.
Lisette. Laß ihn nur kommen; toll will ich ihn noch machen, zu guter
Letzt.


Vierzehnter Auftritt

Anton. Lisette. Damis (kömmt ganz tiefsinnig; Lisette schleicht
hinter ihm her und macht seine Grimassen nach).
Anton. Halt! ich will ihn noch ein wenig zappeln lassen und ihm die
Briefe nicht gleich geben. (Steckt sie ein.) Wie so tiefsinnig, Herr
Damis? was steckt Ihnen wieder im Kopfe?
Damis. Halt dein Maul!
Anton. Kurz geantwortet! Aber soll sich denn ein Bedienter nicht um
seinen Herrn bekümmern? Es wäre doch ganz billig, wann ich auch wüßte,
worauf Sie dächten. Eine blinde Henne findet auch manchmal ein
Körnchen, und vielleicht könnte ich Ihnen--
Damis. Schweig!
Anton. Die Antwort war noch kürzer. Wenn sie stufenweise so abnimmt,
so will ich einmal sehen, was übrigbleiben wird.--Was zählen Sie denn
an den Fingern? Was hat Ihnen denn der arme Nagel getan, daß Sie ihn
so zerreißen? (Er wird Lisetten gewahr.)--Und, zum Henker, was ist
denn das für ein Affe? Kömmst du von Sinnen?
Lisette. Halt dein Maul!
Anton. Um des Himmels willen geh! Wann mein Herr aus seinem Schlafe
erwacht und dich sieht--
Lisette. Schweig!
Anton. Willst du mich oder meinen Herrn zum besten haben? So sehen
Sie doch einmal hinter sich, Herr Damis!
Damis (geht einigemal tiefsinnig auf und nieder; Lisette in gleichen
Stellungen hinter ihm her; und wann er sich umwendet, schleicht sie
sich hurtig herum, daß er sie nicht gewahr wird). Meiner
Hochzeitfackel Brand Sei von mir jetzt selbst gesungen!

Anton. Ho! ho! Sie machen Verse? Komm, Lisette, nun müssen wir ihn
allein lassen. Bei solcher Gelegenheit hat er mich selbst schon, mehr
als einmal, aus der Stube gestoßen. Komm nur; er ruft uns gewiß
selbst wieder, sobald er fertig ist, und vielleicht das ganze Haus
dazu.
Lisette (indem sich Damis umwendet, bleibt sie starr vor ihm stehen
und nimmt seinen Ton an). Meiner Hochzeitfackel Brand Sei von mir
jetzt selbst gesungen!

(Damis tut, als ob er sie nicht gewahr würde, und stößt auf sie.)
Damis. Was ist das?
Lisette. Was ist das?
(Beide, als ob sie zu sich selbst kämen.)
Damis. Unwissender, niederträchtiger Kerl! habe ich dir nicht oft
genug gesagt, keine Seele in meine Stube zu lassen als aufs höchste
meinen Vater? Was will denn die hier?
Lisette. Unwissender, niederträchtiger Kerl! hast du mir es nicht oft
genug gesagt, daß ich mich aus der Stube fortmachen soll? Kannst du
dir denn aber nicht einbilden, daß die, welche im Kabinette hat sein
dürfen, auch Erlaubnis haben werde, in der Stube zu sein? Unwissender,
niederträchtiger Kerl!
Anton. Wem soll ich nun antworten?
Damis. Gleich stoße sie zur Stube hinaus!
Anton. Stoßen? mit Gewalt?
Damis. Wenn sie nicht in gutem gehen will--
Anton. Lisette, geh immer in gutem--
Lisette. Sobald es mir gelegen sein wird.
Damis. Stoß sie heraus, sag ich!
Anton. Komm, Lisette, gib mir die Hand; ich will dich ganz ehrbar
herausführen.
Lisette. Grobian, wer wird denn ein Frauenzimmer mit der bloßen Hand
führen wollen?
Anton. O ich weiß auch zu leben!--In Ermanglung eines Handschuhs
also--(er nimmt den Zipfel von der Weste)--werde ich die Ehre haben--
Damis. Ich seh wohl, ich soll mich selbst über sie machen--(Geht auf
sie los.)
Lisette. Ha! ha! ha! so weit wollte ich Sie nur gern bringen. Adieu!


Funfzehnter Auftritt
Anton. Damis.

Damis. Nun sind alle Gedanken wieder fort! Das Feuer ist verraucht;
die Einbildungskraft ist zerstreut. Der Gott, der uns begeistern muß,
hat mich verlassen--Verdammte Kreatur! was für Verdruß hat sie mir
heute nicht schon gemacht! wie spöttisch ist sie mit mir umgegangen!
Himmel! in meiner Tiefsinnigkeit mir alles so lächerlich nachzuäffen.
Anton. Sie sahen es ja aber nicht.
Damis. Ich sah es nicht?
Anton. Ja? ist's möglich? und Sie stellten sich nur so?
Damis. Schweig, Idiote!--Ich will sehen, ob ich mich wieder in die
Entzückung setzen kann--
Anton. Tun Sie das lieber nicht; die Verse können unmöglich geraten,
wobei man so finster aussieht.--Darf man aber nicht wissen, was es
werden wird? ein Abendlied oder ein Morgenlied?
Damis. Dummkopf!
Anton. Ein Bußlied?
Damis. Einfaltspinsel!
Anton. Ein Tischlied? auch nicht?--Ein Sterbelied werden Sie doch
nicht machen? So wahr ich ehrlich bin, wenn ich auch noch so ein
großer Poet wäre, das bliebe von mir ungemacht. Sterben ist der
abgeschmackteste Streich, den man sich selbst spielt. Er verdient
nicht einen Vers, geschweige ein Lied.
Damis. Ich muß Mitleiden mit deiner Unwissenheit haben. Du kennst
keine andre Arten von Gedichten, als die du im Gesangbuche gefunden
hast.
Anton. Es wird gewiß noch andre geben? So lassen Sie doch hören, was
Sie machen.
Damis. Ich mache--ein Epithalamium--
Anton. Ein Epithalamium? Potz Stern, das ist ein schwer Ding! Damit
können Sie wirklich zurechte kommen? Da gehört Kunst dazu--Aber, Herr
Damis, im Vertrauen, was ist denn das ein Epith--pitha--thlamium?
Damis. Wie kannst du es denn schwer nennen, wenn du noch nicht weißt,
was es ist?
Anton. Ei nun, das Wort ist ja schon schwer genug. Sagen Sie mir nur
ein wenig mit einem andern Namen, was es ist.
Damis. Ein Epithalamium ist ein Thalassio.
Anton. So, so! nun versteh ich's; ein Epithalamium ist ein--wie hieß
es?--
Damis. Thalassio.
Anton. Ein Thalassio; und das können Sie machen? Wenigstens werden
Sie viel Zeit dazu brauchen--Aber, hören Sie doch, wenn mich nun
jemand fragt, was ein Thalassio ist, was muß ich ihm wohl antworten?
Damis. Auch das weißt du nicht, was ein Thalassio ist?
Anton. Ich für mein Teil weiß es wohl. Ein Thalassio ist ein--wie
hieß das vorige Wort?
Damis. Epithalamium.
Anton. Ist ein Epithalamium. Und ein Epithalamium ist ein Thalassio.
Nicht wahr, ich habe es gut behalten? Aber das möchte nur andern
Leuten nicht deutlich sein, welche beide Worte nicht verstehen.
Damis. Je nun, so sage ihnen, Thalassio sei ein Hymenaeus.
Anton. Zum Henker! das heißt Leute vexieren. Ein Epithalamium ist
ein Thalassio, und ein Thalassio ist ein Hymenaeus. Und so umgekehrt,
ein Hym--Hym--Die Namen mag sonst einer merken!
Damis. Recht! recht! ich sehe doch, daß du anfängst einen Begriff von
Sachen zu bekommen.
Anton. Ich einen Begriff hiervon? so wahr ich ehrlich bin! Sie irren
sich. Der Kobold müßte mir's eingeblasen haben, wenn ich wüßte, was
die kauderwelschen Worte heißen sollen. Sagen Sie mir doch ihren
deutschen Namen; oder haben sie keinen?
Damis. Sie haben zwar einen, allein er ist lange nicht von der
Annehmlichkeit und dem Nachdrucke der griechischen oder lateinischen.
Sage einmal selbst, ob ein Hochzeitgedichte nicht viel kahler klingt
als ein Epithalamium, ein Hymenaeus, ein Thalassio.
Anton. Mir nicht; wahrhaftig mir nicht! denn jenes versteh ich und
dieses nicht. Ein Hochzeitgedichte haben Sie also machen wollen?
Warum sagten Sie das nicht gleich?--Oh! in Hochzeitgedichten habe ich.
eine Belesenheit, die erstaunend ist. Ich muß Ihnen nur sagen, wie
ich dazu gekommen bin. Mein weiland seliger Vater hatte einen
Vetter--und gewissermaßen war es also auch mein Vetter--
Damis. Was wird das für ein Gewäsche werden?
Anton. Sie wollen es nicht abwarten? Gut! Der Schade ist Ihre.
--Weiter also: Verse auf eine Hochzeit wollten Sie machen? aber auf
was denn für eine?
Damis. Welche Frage! auf meine eigne.
Anton. Sie heiraten also Julianen noch? Der Alte will es ja nicht?--
Damis. Ah der!
Anton. Es ist schon wahr; was hat sich ein Sohn um den Vater zu
bekümmern? Aber sagen Sie mir doch: schickt es sich denn, daß man auf
seine eigne Hochzeit Verse macht?
Damis. Gewöhnlich ist es freilich nicht; aber desto besser! Geister
wie ich lieben das Besondre.
Anton (beiseite). St! jetzt will ich ihm einen Streich spielen!
--(Laut.) Hören Sie nur, Herr Damis, ich werde es selbst gern sehen,
wenn Sie Julianen heiraten.
Damis. Wieso?
Anton. Ich weiß nicht, ob ich mich unterstehen darf, es Ihnen zu
sagen. Ich habe--ich habe selbst--
Damis. Nur heraus mit der Sprache!
Anton. Ich habe selbst versucht, Verse auf Ihre Hochzeit zu machen,
und deswegen wollte ich nun nicht gern, daß meine Mühe verloren wäre.
Damis. Das wird etwas Schönes sein!
Anton. Freilich! denn das ist mein Fehler; ich mache entweder etwas
Rechtes oder gar nichts.
Damis. Gib doch her! vielleicht kann ich deine Reime verbessern, daß
sie alsdenn mir und dir Ehre machen.
Anton. Hören Sie nur, ich will sie Ihnen vorlesen. (Er sucht einen
Zettel aus der Tasche.) Ganz bin ich noch nicht fertig, muß ich Ihnen
sagen. Der Anfang aber, aus dem auch allenfalls das Ende werden kann,
klingt so--Rücken Sie mir doch das Licht ein wenig näher!--Du, o edle
Fertigkeit, Zu den vorgesetzten Zwecken Tücht'ge Mittel--
Damis. Halt! du bist ein elender Stümper! Ha! ha! ha! Das du o
steht ganz vergebens. Edle Fertigkeit sagt nichts weniger, und Du, o
edle Fertigkeit nichts mehr. Deleatur ergo du o! Damit aber nicht
zwei Silben fehlen, so verstärke das Beiwort edel, nach Art der
Griechen, und sage überedel. Ich weiß zwar wohl, überedel ist ein
neues Wort; aber ich weiß auch, daß neue Wörter dasjenige sind, was
die Poesie am meisten von der Prose unterscheiden muß. Solche
Vorteilchen merke dir! Du mußt dich durchaus bestreben, etwas
Unerhörtes, etwas Ungesagtes zu sagen. Verstehst du mich, dummer
Teufel?
Anton. Ich will es hoffen.
Damis. Also heißt dein erster Vers
überedle Fertigkeit

usw. Nun lies weiter!
Anton. Zu den vorgesetzten Zwecken Tücht'ge Mittel zu entdecken Und
sich dann zur rechten Zeit Ihrer Kräfte zu bedienen, Wirst, so lange,
bis die Welt In ihr erstes Cha- Cha- Chaos fällt, Wie die Pappelbäume
grünen.

Aber, Herr Damis, können Sie mir nicht sagen, was ich hier muß gedacht
haben? Verflucht! das ist schön; ich verstehe mich selbst nicht mehr.
Das erste Cha--Chaos;--ich dächte, ich hätte das Wort noch nie in
meinen Mund genommen, so fürchterlich klingt es mir.
Damis. Zeige doch--
Anton. Warten Sie, warten Sie! ich will es Ihnen noch einmal vorlesen.
Damis. Nein, nein; weise mir nur den Zettel her.
Anton. Sie können es unmöglich lesen. Ich habe gar zu schlecht
geschrieben; kein Buchstabe steht gerade; sie hocken einer auf den
andern, als ob sie Junge hecken wollten.
Damis. O so gib her!
Anton (gibt ihm den Zettel mit Zittern). Zum Henker, es ist seine
eigne Hand!
Damis (betrachtet ihn einige Zeit). Was soll das heißen? (Steht
zornig auf.) Verfluchter Verräter, wo hast du dieses Blatt her?
Anton. Nicht so zornig; nicht so zornig!
Damis. Wo hast du es her?
Anton. Wollen Sie mich denn erwürgen?
Damis. Wo hast du das Blatt her, frag ich?
Anton. Lassen Sie nur erst nach.
Damis. Gesteh!
Anton. Aus--aus Ihrer--Westentasche.
Damis. Ungelehrte Bestie! ist das deine Treue? Das ist ein Diebstahl;
ein Plagium.
Anton. Zum Henker! des Quarks wegen mich zu einem Diebe zu machen?
Damis. Des Quarks wegen? was? den Anfang eines philosophischen
Lehrgedichts einen Quark zu nennen?
Anton. Sie sagten ja selbst, es tauge nichts.
Damis. Ja, insofern es ein Hochzeitkarmen vorstellen sollte und du
der Verfasser davon wärest. Gleich schaffe die andern Manuskripte,
die du mir sonst entwandt hast, auch herbei! Soll ich meine Arbeit in
fremden Händen sehen? Soll ich zugeben, daß sich eine häßliche Dohle
mit meinen prächtigen Pfauenfedern ausschmücke? Mach bald! oder ich
werde andre Maßregeln ergreifen.
Anton. Was wollen Sie denn? Ich habe nicht einen Buchstaben mehr von
Ihnen.
Damis. Gleich wende alle Taschen um!
Anton. Warum auch nicht? Wenn ich sie umwende, so fällt ja alles
heraus, was ich darin habe.
Damis. Mach und erzürne mich nicht!
Anton. Ich will ein Schelm sein, wenn Sie nur ein Stäubchen Papier
bei mir finden. Damit Sie aber doch Ihren Willen haben;--hier ist die
eine; da ist die andre--Was sehen Sie?--Da ist die dritte; die ist
auch leer.--Nun kommt die vierte--(Indem er sie umwendet, fallen die
Briefe heraus.)--Zum Henker, die verfluchten Briefe! die hatte ich
ganz vergessen--(Er will sie geschwind wieder aufheben.)
Damis. Gib her, gib her! was fiel da heraus? Ganz gewiß wird es
wieder etwas von mir sein.
Anton. So wahr ich lebe, es ist nichts von Ihnen. An Sie könnte es
eher noch etwas sein.
Damis. Halte mich nicht auf; ich habe mehr zu tun.
Anton. Halten Sie mich nur nicht auf. Sie wissen ja, daß ich nun
bald wieder auf die Post gehen muß. Ich weiß, es sind Briefe da.
Damis. Nun so geh, so geh! Aber durchaus zeige mir erst, was du so
eilfertig aufhobst. Ich muß es sehen.
Anton. Zum Henker! wenn das ist, so brauche ich nicht auf die Post zu
gehen.
Damis. Wieso?
Anton. Nu, nu! da haben Sie es. Ich will hurtig gehen. (Er gibt ihm
den Brief und will fortlaufen.)
Damis (indem er ihn besieht). Je, Anton, Anton! das ist ja eben der
Brief aus Berlin, welchen ich erwarte. Ich kenn ihn an der Aufschrift.
Anton. Es kann wohl sein, daß er es ist. Aber, Herr Damis, werden
Sie nur--nur nicht ungehalten. Ich hatte es, bei meiner armen Seele!
ganz vergessen--
Damis. Was hast du denn vergessen?
Anton. Daß ich den Brief, beinahe schon eine halbe Stunde, in der
Tasche trage. Mit dem verdammten Plaudern!--
Damis. Weil er nun da ist, so will ich dir den dummen Streich
verzeihen.--Aber, allerliebster Anton, was müssen hierin für
unvergleichliche, für unschätzbare Nachrichten stehen! Wie wird sich
mein Vater freuen! Was für Ehre, was für Lobsprüche!--O Anton!--ich
will dir ihn gleich vorlesen--(Bricht ihn hastig auf.)
Anton. Nur sachte, sonst zerreißen Sie ihn gar. Nun da! sagte ich's
nicht?
Damis. Es schadet nichts; er wird doch noch zu lesen sein.--Vor allen
Dingen muß ich dir sagen, was er betrifft. Du weißt, oder vielmehr du
weißt nicht, daß die Preußische Akademie auf die beste Untersuchung
der Lehre von den Monaden einen Preis gesetzt hat. Es kam mir noch
ganz spät ein, unsern Philosophen diesen Preis vor dem Maule
wegzufangen. Ich machte mich also geschwind darüber und schrieb eine
Abhandlung, die noch gleich zur rechten Zeit muß gekommen sein.--Eine
Abhandlung, Anton--ich weiß selbst nicht, wo ich sie hergenommen habe,
so gelehrt ist sie. Nun hat die Akademie vor acht Tagen ihr Urteil
über die eingeschickten Schriften bekanntgemacht, welches notwendig zu
meiner Ehre muß ausgefallen sein. Ich, ich muß den Preis haben und
kein andrer. Ich habe es einem von meinen Freunden daselbst heilig
eingebunden, mir sogleich Nachricht davon zu geben. Hier ist sie; nun
höre zu.
"Mein Herr,
"Wie nahe können Sie einem Freunde das Antworten legen! Sie drohen mir
mit dem Verluste Ihrer Liebe, wenn Sie nicht von mir die erste
Nachricht erhielten, ob Sie oder ein anderer den akademischen Preis
davongetragen hätten. Ich muß Ihnen also in aller Eil' melden, daß
Sie ihn nicht--(stotternd) bekommen haben und auch--(immer
furchtsamer) nicht haben--bekommen können.--"
Was? ich nicht? und wer denn? und warum denn nicht?--
"Erlauben Sie mir aber, daß ich als ein Freund mit Ihnen reden darf."
So rede, Verräter!
"Ich habe Ihnen unmöglich den schlimmen Dienst erweisen können, Ihre
Abhandlung zu übergeben.--"
Du hast sie also nicht übergeben, Treuloser? Himmel, was für ein
Donnerschlag!--So soll mich deine Nachlässigkeit, unwürdiger Freund,
um die verdienteste Belohnung bringen?--Wie wird er sich entschuldigen,
der Nichtswürdige?
"Wenn ich es frei gestehen soll, so scheinen Sie etwas ganz anders
getan zu haben, als die Akademie verlangt hat. Sie wollte nicht
untersucht wissen, was das Wort Monas grammatikalisch bedeute? wer es
zuerst gebraucht habe? was es bei dem Xenokrates anzeige? ob die
Monaden des Pythagoras die Atomi des Moschus gewesen? usw. Was ist
ihr an diesen kritischen Kleinigkeiten gelegen, und besonders alsdann,
wann die Hauptsache dabei aus den Augen gesetzt wird? Wie leicht
hätte man Ihren Namen mutmaßen können, und Sie würden vielleicht
Spöttereien sein ausgesetzt worden, dergleichen ich nur vor wenig
Tagen in einer gelehrten Zeitung über Sie gefunden habe.--"
Was lese ich? kann ich meinen Augen trauen? Ah, verfluchtes Papier!
verfluchte Hand, die dich schrieb! (Wirft den Brief auf die Erde und
tritt mit den Füßen darauf.)
Anton. Der arme Brief! man muß ihn doch vollends auslesen! (Hebt ihn
auf.) Das Beste kömmt vielleicht noch, Herr Damis. Wo blieben Sie?
Da, da! hören Sie nur!
"... gelehrten Zeitung gefunden habe.--Man nennt Sie ein junges
Gelehrtchen, welches überall gern glänzen möchte und dessen
Schreibesucht--"
Damis (reißt ihm den Brief aus der Hand). Verdammter Korrespondent!
--Das ist der Lohn, den dein Brief verdient! (Er zerreißt ihn.) Du
zerreißest mein Herz, und ich zerreiße deine unverschämte Neuigkeiten.
Wollte Gott, daß ich ein gleiches mit deinem Eingeweide tun könnte!
Aber--(zu Anton) du nichtswürdige, unwissende Bestie! An alledem bist
du schuld!
Anton. Ich, Herr Damis?
Damis. Ja du! wie lange hast du nicht den Brief in der Tasche
behalten?
Anton. Herr, meine Tasche kann weder schreiben noch lesen: wenn Sie
etwa denken, daß ihn die anders gemacht hat--
Damis. Schweig! Und solche Beschimpfungen kann ich überleben?--O ihr
dummen Deutschen! ja freilich, solche Werke, als die meinigen sind,
gehörig zu schätzen, dazu werden andre Genies erfordert! Ihr werdet
ewig in eurer barbarischen Finsternis bleiben und ein Spott eurer
witzigen Nachbarn sein!--Ich aber will mich an euch rächen und von nun
an aufhören, ein Deutscher zu heißen. Ich will mein undankbares
Vaterland verlassen. Vater, Anverwandte und Freunde, alle, alle
verdienen es nicht, daß ich sie länger kenne, weil sie Deutsche sind;
weil sie aus dem Volke sind, das ihre größten Geister mit Gewalt von
sich ausstößt. Ich weiß gewiß, Frankreich und Engeland werden meine
Verdienste erkennen--
Anton. Herr Damis, Herr Damis, Sie fangen an zu rasen. Ich bin nicht
sicher bei Ihnen; ich werde jemand rufen müssen.
Damis. Sie werden es schon empfinden, die dummen Deutschen, was sie
an mir verloren haben! Morgen will ich Anstalt machen, dieses
unselige Land zu verlassen--


Sechzehnter Auftritt
Chrysander. Damis. Anton.

Anton. Gott sei Dank, daß jemand kömmt!
Chrysander. Das verzweifelte Mädel, die Lisette! Und (zu Anton) du,
du Spitzbube! du sollst dein Briefträgerlohn auch bekommen, Mich so zu
hintergehen? schon gut!--Mein Sohn, ich habe mich besonnen; du hast
recht; ich kann dir Julianen nun nicht wieder nehmen. Du sollst sie
behalten.
Damis. Schon wieder Juliane? Jetzt, da ich ganz andre Dinge zu
beschließen habe--Hören Sie nur auf damit; ich mag sie nicht.
Chrysander. Es würde unrecht sein, wenn ich dir länger widerstehen
wollte. Ich lasse jedem seine Freiheit; und ich sehe wohl, Juliane
gefällt dir--
Damis. Mir? eine dumme Deutsche?
Chrysander. Sie ist ein hübsches, tugendhaftes, aufrichtiges Mädchen;
sie wird dir tausend Vergnügen machen.
Damis. Sie mögen sie loben oder schelten; mir gilt alles gleich. Ich
weiß mich nach Ihrem Willen zu richten, und dieser ist, nicht an sie
zu gedenken.
Chrysander. Nein, nein; du sollst dich über meine Härte nicht
beklagen dürfen.
Damis. Und Sie sich noch weniger über meinen Ungehorsam.
Chrysander. Ich will dir zeigen, daß du einen gütigen Vater hast, der
sich mehr nach deinem als nach seinem eignen Willen richtet.
Damis. Und ich will Ihnen zeigen, daß Sie einen Sohn haben, der Ihnen
in allen die schuldige Untertänigkeit leistet.
Chrysander. Ja, ja; nimm Julianen! Ich gebe dir meinen Segen.
Damis. Nein, nein; ich werde Sie nicht so erzürnen--
Chrysander. Aber was soll denn das Widersprechen? Dadurch erzürnst
du mich!
Damis. Ich will doch nicht glauben, daß Sie sich im Ernste schon zum
drittenmal anders besonnen haben?
Chrysander. Und warum das nicht?
Damis. Oh, dem sei nun, wie ihm wolle! Ich habe mich gleichfalls
geändert und fest entschlossen, ganz und gar nicht zu heiraten. Ich
muß auf Reisen gehen, und ich werde mich, je eher, je lieber,
davonmachen.
Chrysander. Was? du willst ohne meine Erlaubnis in die Welt laufen?
Anton. Das geht lustig! Der dritte Mann fehlt noch, und den will ich
gleich holen. Damis will Julianen nicht, vielleicht fischt sie Valer.
(Gehet ab.)


Siebzehnter Auftritt
Chrysander. Damis.

Damis. Ja, ja; in zweimal vierundzwanzig Stunden muß ich schon
unterwegens sein.
Chrysander. Aber was ist dir denn in den Kopf gekommen?
Damis. Ich bin es längst überdrüssig gewesen, länger in Deutschland
zu bleiben; in diesem nordischen Sitze der Grobheit und Dummheit; wo
es alle Elemente verwehren, klug zu sein; wo kaum alle hundert Jahr
ein Geist meinesgleichen geboren wird--
Chrysander. Hast du vergessen, daß Deutschland dein Vaterland ist?
Damis. Was Vaterland!
Chrysander. Du Bösewicht, sprich doch lieber gar: was Vater! Aber
ich will dir es zeigen: du mußt Julianen nehmen; du hast ihr dein Wort
gegeben und sie dir das ihrige.
Damis. Sie hat das ihrige zurückgenommen wie ich jetzt das meinige;
also--
Chrysander. Also!--also!--Kurz von der Sache zu reden, glaubst du,
daß ich vermögend bin, dich zu enterben, wann du mir nicht folgest?
Damis. Tun Sie, was Sie wollen. Nur, wann ich bitten darf, lassen
Sie mich jetzt allein. Ich muß vor meiner Abreise noch zwei Schriften
zustande bringen, die ich meinen Landsleuten, aus Barmherzigkeit, noch
zurücklassen will. Ich bitte nochmals, lassen Sie mich--
Chrysander. Willst du mich nicht lieber gar zur Tür hinausstoßen?


Achtzehnter Auftritt
Valer. Anton. Chrysander. Damis.

Valer. Wie, Damis? ist es wahr, daß Sie wieder zu sich selbst
gekommen sind?--daß Sie von Julianen abstehen?
Chrysander. Ach, Herr Valer, Sie könnten mir nicht ungelegener kommen.
Bestärken Sie ihn fein in seinem Trotze. So? Sie verdienten es
wohl, daß ich mich nach Ihrem Wunsche bequemte? Mich auf eine so
gottlose Art hintergehen zu wollen?--Mein Sohn, widersprich mir nicht
länger, oder--
Damis. Ihre Drohungen sind umsonst. Ich muß mich fremden Ländern
zeigen, die sowohl ein Recht auf mich haben als das Vaterland. Und
Sie verlangen doch nicht, daß ich eine Frau mit herumführen soll?
Valer. Damis hat recht, daß er auf das Reisen dringt. Nichts kann
ihm, in seinen Umständen, nützlicher sein. Lassen Sie ihm seinen
Willen, und mir lassen Sie Julianen, die Sie mir so heilig versprochen
haben.
Chrysander. Was versprochen? Betrügern braucht man sein Wort nicht
zu halten.
Valer. Ich habe es Ihnen schon beschworen, daß einzig und allein
Lisette diesen Betrug hat spielen wollen, ohne die wir von dem
Dokumente gar nichts wissen würden.--Wie glücklich, wann es nie zum
Vorschein gekommen wäre! Es ist das grausamste Glück, das Julianen
hat treffen können. Wie gern würde sie es aufopfern, wenn sie dadurch
die Freiheit über ihr Herz erhalten könnte.
Chrysander. Aufopfern? Herr Valer, bedenken Sie, was das sagen will.
Wir Handelsleute fassen einander gern bei dem Worte.
Valer. Oh, tun Sie es auch hier! Mit Freuden tritt Ihnen Juliane das
Dokument ab. Fangen Sie den Prozeß an, wenn Sie wollen; der Vorteil
davon soll ganz Ihnen gehören. Juliane hält dieses für das kleinste
Zeichen ihrer Dankbarkeit. Sie glaubt Ihnen noch weit mehr schuldig
zu sein.--
Chrysander. Nu, nu, sie ist mir immer ganz erkenntlich
vorgekommen--Aber was würden Sie denn, Valer, als ihr künft'ger Mann,
zu dieser Dankbarkeit sagen?
Valer. Denken Sie besser von mir. Ich habe Julianen geliebt, da sie
zu nichts Hoffnung hatte. Ich liebe sie auch noch, ohne die geringste
eigennützige Absicht. Und ich bitte Sie: was schenkt man denn einem
ehrlichen Manne, wenn man ihm einen schweren Prozeß schenkt?
Chrysander. Valer, ist das Ihr Ernst?
Valer. Fordern Sie noch mehr als das Dokument; mein halbes Vermögen
ist Ihre.
Chrysander. Da sei Gott vor, daß ich von Ihrem Vermögen einen Heller
haben wollte! Sie müssen mich nicht für so eigennützig ansehen.--Wir
sind gute Freunde, und es bleibt bei dem alten: Juliane ist Ihre! Und
wenn das Dokument meine soll, so ist sie um so viel mehr Ihre.
Valer. Kommen Sie, Herr Chrysander, bekräftigen Sie ihr dieses selbst!
Wie angenehm wird es ihr sein, uns beide vergnügt machen zu können.
Chrysander. Wenn das ist, Damis; so kannst du meinetwegen noch heute
die Nacht fortreisen. Ich will Gott danken, wenn ich dich Narren
wieder aus dem Hause los bin.
Damis. Gehen Sie doch nur, und lassen Sie mich allein.
Valer. Damis, und endlich muß ich Ihnen doch noch mein Glück
verdanken? Ich tue es mit der aufrichtigsten Zärtlichkeit, ob ich
schon weiß, daß ich die Ursache Ihrer Veränderung nicht bin.
Damis. Aber die wahre Ursache?--(Zu Anton.) Verfluchter Kerl, hast du
dein Maul nicht halten können?--Gehen Sie nur, Valer--
(Indem Chrysander und Valer abgeben wollen, hält Anton Valeren zurück.)
Anton (sachte). Nicht so geschwind! Wie steht es mit Lisettens
Ausstattung, Herr Valer? und mit--
Valer. Seid ohne Sorgen; ich werde mehr halten, als ich versprochen
habe.
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