Der junge Gelehrte: Ein Lustspiel in drei Aufzügen - 5

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Geschicklichkeit zu überführen? Ich verstehe sieben Sprachen
vollkommen und bin erst zwanzig Jahr alt. In dem ganzen Umfange der
Geschichte und in allen mit ihr verwandten Wissenschaften bin ich ohne
gleichem--
Lisette. Und Sie sind erst zwanzig Jahr alt!
Damis. Wie stark ich in der Weltweisheit bin, bezeugt die höchste
Würde, die ich schon vor drei Jahren darin erhalten habe. Noch
unwidersprechlicher wird es die Welt jetzt aus meiner Abhandlung von
den Monaden erkennen.--Ach, die verwünschte Post!--
Lisette. Und Sie sind erst zwanzig Jahr alt!
Damis. Von meiner mehr als demosthenischen Beredsamkeit kann meine
satirische Lobrede auf den Nix der Nachwelt eine ewige Probe geben.
Lisette. Und Sie sind erst zwanzig Jahr alt!
Damis. Freilich! Auch in der Poesie darf ich meine Hand nach dem
unvergänglichsten Lorbeer ausstrecken. Gegen mich kriecht Milton, und
Haller ist gegen mich ein Schwätzer. Meine Freunde, welchen ich sonst
zum öftern meine Versuche, wie ich sie zu nennen belieben vorgelesen
habe, wollen jetzt gar nichts mehr davon hören und versichern mich
allezeit auf das aufrichtigste, daß sie schon genugsam von meiner mehr
als göttlichen Ader überzeugt wären.
Lisette. Und Sie sind erst zwanzig Jahr alt!
Damis. Kurz, ich bin ein Philolog, ein Geschichtskundiger, ein
Weltweiser, ein Redner, ein Dichter--
Lisette. Und Sie sind erst zwanzig Jahr alt! Ein Weltweiser ohne
Bart und ein Redner, der noch nicht mündig ist! schöne Raritäten!
Damis. Fort! den Augenblick aus meiner Stube!
Lisette. Den Augenblick? Ich möchte gar zu gern die schöne Ausrufung:
und Sie sind erst zwanzig Jahr alt! noch einmal anbringen. Haben Sie
nichts mehr an sich zu rühmen? O noch etwas! Wollen Sie nicht? Nun
so will ich es selbst tun. Hören Sie recht zu, Herr Damis: Sie sind
noch nicht klug und sind schon zwanzig Jahr alt!
Damis. Was? wie? (Steht zornig auf.)
Lisette. Leben Sie wohl! Leben Sie wohl!
Damis. Himmel! was muß man von den ungelehrten Bestien erdulden! Ist
es möglich von einem unwissenden Weibsbilde--


Vierter Auftritt
Chrysander. Anton. Damis.

Chrysander. Das ist ein verfluchter Brief, Anton! Ei! ei! mein Sohn,
mein Sohn, post coenam stabis, vel passus mille meabis. Du wirst doch
nicht schon wieder sitzen?
Damis. Ein andrer, der nichts zu tun hat, mag sich um dergleichen
barbarische Gesundheitsregeln bekümmern. Wichtige Beschäftigungen--
Chrysander. Was willst du von wichtigen Beschäftigungen reden?
Damis. Ich nicht, Herr Vater? Die meisten von den Büchern, die Sie
hier auf dem Tische sehen, warten teils auf meine Noten, teils auf
meine Übersetzung, teils auf meine Widerlegung, teils auf meine
Verteidigung, teils auch auf mein bloßes Urteil.
Chrysander. Laß sie warten! Jetzt--
Damis. Jetzt kann ich freilich nicht alles auf einmal verrichten.
Wann ich nur erst mit dem Wichtigsten werde zustande sein. Sie
glauben nicht, was mir hier eine gewisse Untersuchung für Nachschlagen
und Kopfbrechen kostet. Noch eine einzige Kleinigkeit fehlt mir, so
habe ich es bewiesen, daß sich Kleopatra die Schlangen an den Arm, und
nicht an die Brust, gesetzt hat--
Chrysander. Die Schlangen taugen nirgends viel. Mir wäre beinahe
jetzt auch eine in Busen gekrochen; aber noch ist es Zeit. Höre
einmal, mein Sohn; hier habe ich einen Brief bekommen, der mich--
Damis. Wie? einen Brief? einen Brief? Ach, lieber Anton! einen
Brief? Liebster Herr Vater, einen Brief? von Berlin? Lassen Sie mich
nicht länger warten; wo ist er? Nicht wahr, nunmehr werden Sie
aufhören an meiner Geschicklichkeit zu zweifeln? Wie glücklich bin
ich! Anton, weißt du es auch schon, was darin steht?
Chrysander. Was schwärmst du wieder? Der Brief ist nicht von Berlin;
er ist von meinem Advokaten aus Dresden, und nach dem, was er schreibt,
kann aus deiner Heirat mit Julianen nichts werden.
Damis. Nichtswürdiger Kerl! so bist du noch nicht wieder auf der Post
gewesen?
Anton. Ich habe es Ihnen ja gesagt, daß vor neun Uhr für mich auf der
Post nichts zu tun ist.
Damis. Ah, verberabilissime, non fur, sed trifur! Himmel! daß ich
vor Zorn sogar des Plautus Schimpfwörter brauchen muß. Wird dir denn
ein vergebner Gang gleich den Hals kosten?
Anton. Schimpften Sie mich? Weil ich es nicht verstanden habe, so
mag es hingehen.
Chrysander. Aber sage mir nur, Damis; nicht wahr, du hast doch einen
kleinen Widerwillen gegen Julianen? Wenn das ist, so will ich dich
nicht zwingen. Du mußt wissen, daß ich keiner von den Vätern bin--
Damis. Ist die Heirat schon wieder auf dem Tapete? Wann Sie doch
wegen meines Widerwillens unbesorgt sein wollten. Genug, ich heirate
sie--
Chrysander. Das heißt so viel, du wolltest dich meinetwegen zwingen?
Das will ich durchaus nicht. Wenn du gleich mein Sohn bist, so bist
du doch ein Mensch; und jeder Mensch wird frei geboren; er muß machen
können, was er will; und--kurz--ich gebe dir dein Wort wieder zurück.
Damis. Wieder zurück? und vor einigen Stunden konnte ich mich nicht
hurtig genug entschließen? Wie soll ich das verstehen?
Chrysander. Das sollst du so verstehen, daß ich es überlegt habe und
daß, weil dir Juliane nicht gefällt, sie mir auch nicht ansteht; daß
ich ihre wahren Umstände in diesem Briefe wieder gefunden habe und
daß--Du siehst es ja, daß ich den Brief nur jetzt gleich bekommen habe.
Ich weiß zwar wahrhaftig nicht, was ich davon denken soll? Die Hand
meines Advokaten ist es nicht--
(Damis setzt sich wieder an den Tisch.)
Anton. Nicht? oh! die Leutchen müssen mehr als eine Hand zu schreiben
wissen.
Chrysander. Zu geschwind ist es beinahe auch. Kaum sind es acht Tage,
daß ich ihm geschrieben habe. Sollte er das Ding in der kurzen Zeit
schon haben untersuchen können? Von wem hast du denn den Brief
bekommen, Anton?
Anton. Von Lisetten.
Chrysander. Und Lisette?
Anton. Von dem Briefträger, ohne Zweifel.
Chrysander. Aber warum bringt denn der Kerl die Briefe nicht mir
selbst?
Anton. Sie werden sich doch in den Händen, wodurch sie gehen, nicht
verändern können?
Chrysander. Man weiß nicht--Gleichwohl aber lassen sich die Gründe,
die er anführt, hören. Ich muß also wohl den sichersten Weg nehmen
und dir, mein Sohn--Aber, ich glaube gar, du hast dich wieder an den
Tisch gesetzt und studierst?
Damis. Mein Gott! ich habe zu tun, ich habe sogar viel zu tun.
Chrysander. Drum mit einem Worte, damit ich dich nicht um die Zeit
bringe: die Heirat mit Julianen war nichts als ein Gedanke, den du
wieder vergessen kannst. Wann ich es recht überlege, so hat doch
Valer das größte Recht auf sie.
Damis. Sie betrügen sich, wenn Sie glauben, daß ich nunmehr davon
abgehen werde.--Ich habe alles wohl überleget, und ich muß es Ihnen
nur mit ganz trocknen Worten sagen, daß eine böse Frau mir helfen soll,
meinen Ruhm unsterblich zu machen; oder vielmehr, daß ich eine böse
Frau, an die man nicht denken würde, wann sie keinen Gelehrten gehabt
hätte, mit mir zugleich unsterblich machen will. Der Charakter eines
solchen Eheteufels wird auf den meinigen ein gewisses Licht werfen--
Chrysander. Nun wohl, wohl; so nimm dir eine böse Frau; nur aber eine
mit Gelde, weil an einer solchen die Bosheit noch erträglich ist. Von
der Gattung war meine erste selige Frau. Um die zwanzigtausend Taler,
die ich mit ihr bekam, hätte ich des bösen Feindes Schwester heiraten
wollen--Du mußt mich nur recht verstehen: ich meine es nicht nach den
Worten.--Wann sie aber böse sein soll, deine Frau, was willst du mit
Julianen?--Höre, ich kenne eine alte Witwe, die schon vier Männer ins
Grab gezankt hat; sie hat ihr feines Auskommen: ich dächte, das wäre
deine Sache; nimm die! Ich habe dir das Maul einmal wäßrig gemacht,
ich muß dir also doch etwas darein geben. Wann es einmal eine
Xanthippe sein soll, so kannst du keine beßre finden.
Damis. Mit Ihrer Xanthippe! ich habe es Ihnen ja schon mehr als
einmal gesagt, daß Xanthippe keine böse Frau gewesen ist. Haben Sie
meine Beweisgründe schon wieder vergessen?
Chrysander. Ei was? mein Beweis ist das Abc-Buch. Wer so ein Buch
hat schreiben können, das so allgemein geworden ist, der muß es gewiß
besser verstanden haben als du. Und kurz, mir liegt daran, daß
Xanthippe eine böse Frau gewesen ist. Ich könnte mich nicht
zufriedengeben, wenn ich meine erste Frau so oft sollte gelobt haben.
Schweig also mit deinen Narrenspossen; ich mag von dir nicht besser
unterrichtet sein.
Damis. So wird uns gedankt, wenn wir die Leute aus ihren Irrtümern
helfen wollen.
Chrysander. Seit wenn ist denn das Ei klüger als die Henne? he? Herr
Doktor, vergeß Er nicht, daß ich Vater bin und daß es auf den Vater
ankömmt, wenn der Sohn heiraten soll. Ich will an Julianen nicht mehr
gedacht wissen--
Damis. Und warum nicht?
Chrysander. Soll ich meinem einzigen Sohne ein armes Mädchen
aufhängen? Du bist nicht wert, daß ich für dich so besorgt bin. Du
weißt ja, daß sie nichts im Vermögen hat.
Damis. Hatte sie vorhin, da ich sie heiraten sollte, mehr als jetzt?
Chrysander. Das verstehst du nicht. Ich wußte wohl, was ich vorhin
tat: aber ich weiß auch, was ich jetzt tue.
Damis. Gut, desto besser ist es, wann sie kein Geld hat. Man wird
mir also nicht nachreden können, die böse Frau des Geldes wegen
genommen zu haben; man wird es zugestehen müssen, daß ich keine andere
Absicht gehabt als die, mich in den Tugenden zu üben, die bei
Erduldung eines solchen Weibes nötig sind.
Chrysander. Eines solchen Weibes! Wer hat dir denn gesagt, daß
Juliane eine böse Frau werden wird?
Damis. Wenn ich nicht, wie wir Gelehrten zu reden pflegen, a priori
davon überführt wäre, so würde ich es schon daraus schließen können,
weil Sie daran zweifeln.
Chrysander. Fein naseweis, mein Sohn! fein naseweis! Ich habe
Julianen auferzogen; sie hat viel Wohltaten bei mir genossen; ich habe
ihr alles Gute beigebracht: wer von ihr Übels spricht, der spricht es
zugleich von mir. Was? ich sollte nicht ein Frauenzimmer zu ziehen
wissen? Ich sollte ein Mädchen, das unter meiner Aufsicht groß
geworden ist, nicht so weit gebracht haben, daß es einmal eine
rechtschaffne wackre Frau würde? Reich habe ich sie freilich nicht
machen können; ich bin der Wohltat selbst noch benötigt. Aber daß ich
sie nicht tugendhaft, nicht verständig gemacht hätte, das kann mir nur
einer nachreden, der so dumm ist als du, mein Sohn. Nimm mir es nicht
übel, daß ich mit der Sprache herausrücke. Du bist so ein
eingemachter Narre, so ein Stockfisch--nimm mir's nicht übel, mein
Sohn--so ein überstudierter Pickelhering--aber nimm mir's nicht übel--
Damis (beiseite). Bald sollte ich glauben, daß sein erster Handel mit
eingesalznen Fischen gewesen sei.--Schon gut, Herr Vater; von
Julianens Tugend will ich nichts sagen; die Tugend ist oft eine Art
von Dummheit. Aber was ihren Verstand anbelangt, von dem werden Sie
mir erlauben, daß ich ihn noch immer in Zweifel ziehe. Ich bin nun
schon eine ziemliche Zeit wieder hier; ich habe mir auch manchmal die
Mühe genommen, ein paar Worte mit ihr zu sprechen: hat sie aber wohl
jemals an meine Gelehrsamkeit gedacht? Ich mag nicht gelobt sein; so
eitel bin ich nicht; nur muß man den Leuten ihr Recht widerfahren
lassen--


Fünfter Auftritt
Chrysander. Damis. Valer.

Chrysander. Gut, gut, Herr Valer, Sie kommen gleich zur rechten
Stunde.
Damis. Was will der unerträgliche Mensch wieder?
Valer. Ich komme, Abschied von Ihnen beiden zu nehmen--
Chrysander. Abschied? so zeitig? warum denn?
Valer. Ich glaube nicht, daß Sie im Ernste fragen.
Chrysander. Gott weiß es, Herr Valer; in dem allerernstlichstem
Ernste. Ich lasse Sie wahrhaftig nicht.
Valer. Um mich noch empfindlicher zu martern? Sie wissen, wie lieb
mir die Person allezeit gewesen ist, die Sie mir heute entreißen.
Doch das Unglück wäre klein, wenn es mich nur allein träfe. Sie
wollen noch dazu diese geliebte Person mit einem verbinden, der sie
ebenso sehr haßt, als ich sie verehre? Meine ganze Seele ist voller
Verzweiflung, und von nun an werde ich weder hier noch irgendswo in
der Welt wieder ruhig werden. Ich gehe, um mich--
Chrysander. Nicht gehen, Herr Valer, nicht gehen! Dem Übel ist
vielleicht noch abzuhelfen.
Valer. Abzuhelfen? Sie beschimpfen mich, wenn Sie glauben, daß ich
jemals diesen Streich überwinden werde. Er würde für ein minder
zärtliches Herz, als das meinige ist, tödlich sein.
Damis. Was für ein Gewäsche! (Setzt sich an seinen Tisch.)
Valer. Wie glücklich sind Sie, Damis! Lernen Sie wenigstens Ihr
Glück erkennen; es ist der geringste Dank, den Sie dem Himmel schuldig
sind. Juliane wird die Ihrige--
Chrysander. Ei, wer sagt denn das? Sie soll noch zeitig genug die
Ihrige werden, Herr Valer, nur Geduld!
Valer. Halten Sie inne mit Ihren kalten Verspottungen--
Chrysander. Verspottungen? Sie müssen mich schlecht kennen. Was ich
sage, das sag ich. Ich habe die Sache nun besser überlegt; ich sehe,
Juliane schickt sich für meinen Sohn nicht und er sich noch viel
weniger für Julianen. Sie lieben sie; Sie haben längst bei mir um sie
angehalten; wer am ersten kömmt, der muß am ersten mahlen. Ich habe
eben mit meinem Sohne davon geredt--Sie kennen ihn ja--
Valer. Himmel, was hör ich? Ist es möglich? welche glückliche
Veränderung! Erlauben Sie, daß ich Sie tausendmal umfange. Soll ich
also doch noch glücklich sein? O Chrysander! o Damis!
Chrysander. Reden Sie mit ihm und setzen Sie ihm den Kopf ein wenig
zurechte. Ich will zu Julianen gehen und ihr meinen veränderten
Entschluß hinterbringen. Sie wird mir es doch nicht übelnehmen?
Valer. Übel? Sie werden ihr das Leben wiedergeben, so wie Sie es
mir wiedergegeben haben.
Chrysander. Ei, kann ich das? (Geht ab.)


Sechster Auftritt
Damis. Valer. Anton.

Valer. Und in welchem Tone soll ich nun mit Ihnen reden, liebster
Freund? Das erneuerte Versprechen Ihres Vaters berechtigte mich, Sie
ganz und gar zu übergehen. Ich habe gewonnen, sobald Chrysander
Julianen zu zwingen aufhört. Doch wie angenehm soll es mir sein, wann
ich ihren Besitz zum Teil auch Ihnen werde verdanken können.
Damis. Anton!
Anton (kömmt). Was soll der? ist Ihnen die Post wieder eingefallen?
Damis. Gleich geh! sie muß notwendig da sein.
Anton. Aber ich sage Ihnen, daß sie bei so übeln Wetter vor zehn Uhr
nicht kommen kann.
Damis. Gibst du abermals eine Stunde zu? Kurz, geh! und kömmst du
leer wieder, so sieh dich vor!
Anton. Wenn ich diese Nacht nicht sanft schlafe, so glaube ich
zeitlebens nicht mehr, daß die Müdigkeit etwas dazu helfen kann.
(Gehet ab.)


Siebenter Auftritt
Damis. Valer.

Valer. So? anstatt zu antworten, reden Sie mit dem Bedienten?
Damis. Verzeihen Sie, Valer; Sie haben also mit mir gesprochen? Ich
habe den Kopf so voll; es ist mir unmöglich, auf alles zu hören.
Valer. Und Sie wollen sich auch bei mir verstellen? Ich weiß die
Zeit noch sehr wohl, da ich in ebendem wunderbaren Wahne stand, es
ließe gelehrt, so zerstreut als möglich und auf nichts als auf sein
Buch aufmerksam zu tun. Doch glauben Sie nur, der muß sehr einfältig
sein, den Sie mit diesen Gaukeleien hintergehen wollen.
Damis. Und Sie müssen noch einfältiger sein, daß Sie glauben können,
ein jeder Kopf sei so gedankenleer als der Ihrige. Und verdient denn
Ihr Geschwätz, daß ich darauf höre? Sie haben ja gewonnen, sobald
Chrysander Julianen zu zwingen aufhört; Sie sind ja berechtiget, mich
zu übergehen--
Valer. Das muß doch eine besondere Art der Zerstreuung sein, in
welcher man des andern Reden gleichwohl so genau höret, daß man sie
von Wort zu Wort wiederholen kann.
Damis. Ihre Spötterei ist sehr trocken. (Sieht wieder auf sein Buch.)
Valer. Doch aber zu empfinden?--Was für eine Marter ist es, mit einem
Menschen von Ihrer Art zu tun zu haben? Es gibt deren wenige--
Damis. Das sollte ich selbst glauben.
Valer. Es würden sich aber mehrere finden, wenn selbst--
Damis. Ganz recht; wenn die wahre Gelehrsamkeit nicht so schwer zu
erlangen, die natürliche Fähigkeit dazu gemeiner und ein unermüdeter
Fleiß nicht so etwas Beschwerliches wären--
Valer. Ha! ha! ha!
Damis. Das Lachen eines wahren Idioten!
Valer. Sie reden von Ihrer Gelehrsamkeit, und ich, mit Vergebung,
wollte von Ihrer Torheit reden. Hierin, meinte ich, würden Sie
mehrere Ihresgleichen finden, wenn selbst diese Torheit ihren Sklaven
nicht zur Last werden müßte.
Damis. Verdienen Sie also, daß ich Ihnen antworte? (Sieht wieder in
sein Buch.)
Valer. Und verdienen Sie wohl, daß ich noch Freundes genug bin, mit
Ihnen ohne Verstellung zu reden? Glauben Sie mir, Sie werden Ihre
Torheiten bei mehreren Verstande bereuen--
Damis. Bei mehreren Verstande? (Spöttisch.)
Valer. Werden Sie darüber ungehalten? Das ist wunderbar! Ihr Körper
kann, Ihren Jahren nach, noch nicht ausgewachsen haben, und Sie
glauben, daß Ihre Seele gleichwohl schon zu ihrer möglichen
Vollkommenheit gelanget sei? Ich würde den für meinen Feind halten,
welcher mir den Vorzug, täglich zu mehrerm Verstande zu kommen,
streitig machen wollte.
Damis. Sie!
Valer. Sie werden so spöttisch, mein Herr Nebenbuhler--Doch da ist
sie selbst! (Läuft ihr entgegen.) Ah, Juliane--


Achter Auftritt
Juliane. Damis. Valer.

Juliane. Ach, Valer, welche glückliche Veränderung!--
Damis (indem er sich auf dem Stuhle umwendet). Die Ehre, Sie hier zu
sehen, Mademoiselle, habe ich ohne Zweifel einem Irrtume zu danken?
Sie glauben vielleicht, in Ihr Schlafzimmer zu kommen--
Juliane. Dieser Irrtum wäre unvergeblich! Nein! mein Herr, es
geschieht auf Befehl Ihres Herrn Vaters, daß ich diesen heiligen Ort
betrete. Ich komme, Ihnen einen Kauf aufzusagen und mich bei Ihrer
Muse zu entschuldigen, daß ich beinahe in die Gefahr gekommen wäre,
ihr einen so liebenswürdigen Geist abspenstig zu machen.
Valer. O wie entzückt bin ich, schönste Juliane, Sie auf einmal
wieder in Ihrer Heiterkeit zu sehen.
Damis. Wenn ich das Gewäsche eines Frauenzimmers recht verstehe, so
kommen Sie, ein Paktum aufzuheben, welches doch alle Requisita hat,
die zu einem unumstößlichen Pakto erfordert werden.
Juliane. Und wann ich das Galimathias eines jungen Gelehrten
verstehen darf, so haben Sie es getroffen.
Damis. Mein Vater ist ein Idiote. Kömmt es denn nur auf ihn oder auf
Sie, Mademoiselle, an, einen Vertrag, der an meinem Teil fest bestehet,
ungültig zu machen?--Es wird sich alles zeigen; nur wollte ich bitten,
mich jetzt ungestört zu lassen--(Wendet sich wieder an den Tisch.)
Valer. Was für ein Bezeigen! hat man jemals einem Frauenzimmer, auf
dessen Besitz man Anspruch macht, so begegnet?
Damis. Und ist man jemals einem beschäftigten Gelehrten so überlästig
gewesen? Diese verdrießliche Gesellschaft loszuwerden, muß ich nur
selbst meine vier Wände verlassen. (Geht ab.)


Neunter Auftritt
Valer. Juliane.

Juliane. Und wir lachen ihm nicht nach?
Valer. Nein, Juliane; eine bessere Freude mag uns jetzt erfüllen; und
beinahe gehört eine Art von Grausamkeit dazu, sich über einen so
kläglichen Toren lustig zu machen. Wie soll ich Ihnen die Regungen
meines Herzens beschreiben, jetzt, da man ihm alle seine
Glückseligkeit wiedergegeben hat? Ich beschwöre Sie, Juliane, wann
Sie mich lieben, so verlassen Sie noch heute mit mir dieses
gefährliche Haus. Setzen Sie sich nicht länger der Ungestümigkeit
eines veränderlichen Alten, der Raserei eines jungen Pedanten und der
Schwäche Ihrer eignen allzu zärtlichen Denkungsart aus. Sie sind mir
in einem Tage genommen und wiedergegeben worden; lassen Sie ihn den
ersten und den letzten sein, der so grausam mit uns spielen darf!
Juliane. Fassen Sie sich, Valer. Wir wollen lieber nichts tun, was
uns einige Vorwürfe von Chrysandern zuziehen könnte. Sie sehen, er
ist auf dem besten Wege, und ich liebe ihn ebensosehr, als ich den
Damis verachte. Durch das Mißtrauen, wodurch ich mich auf einmal
seiner Vorsorge entzöge, würde ich ihm für seine Wohltaten schlecht
danken--
Valer. Noch immer reden Sie von Wohltaten? Ich werde nicht eher
ruhig, als bis ich Sie von diesen gefährlichen Banden befreiet habe.
Erlauben Sie mir, daß ich sie sogleich gänzlich vernichte und dem
alten Eigennützigen--
Juliane. Nennen Sie ihn anders, Valer; er ist das nicht; und schon
seine Veränderung zeigt es, daß Lisette falsch gehört oder uns
hintergangen hat. Zwar weiß ich nicht, wem ich diese Veränderung
zuschreiben soll--(Nachsinnend.)
Valer. Warum auf einmal so in Gedanken? Die Ursache, die ihn bewogen
hat, mag sein, welche es will; ich weiß doch gewiß, daß es eine Fügung
des Himmels ist.
Juliane. Des Himmels oder Lisettens. Auf einmal fällt mir ein, was
Sie mir von einem Briefe gesagt haben. Sollte wohl Lisettens allzu
große Dienstfertigkeit--
Valer. Welche Einbildung, liebste Juliane! Sie weiß es ja, daß Ihre
Tugend in diesen kleinen Betrug nicht willigen wollen.
Juliane. Gleichwohl, je mehr ich nachdenke--
Valer. Wenn es nun auch wäre, wollten Sie denn deswegen--
Juliane. Wann es nun auch wäre? wie?


Zehnter Auftritt
Lisette. Valer. Juliane.

Juliane. Du kömmst als gerufen, Lisette.
Lisette. Nun, gehen meine Sachen nicht vortrefflich? Wollen Sie es
nicht unten mit anhören, wie sich Damis und Chrysander zanken? "Du
sollst sie nicht bekommen; ich muß sie bekommen: ich bin Vater; Sie
haben mir sie versprochen: ich habe mich anders besonnen; ich aber
nicht: so muß es noch geschehen; das ist unmöglich: unmöglich oder
nicht; kurz, ich geh nicht ab, ich will es Ihnen aus Büchern beweisen,
daß Sie mir Wort halten müssen: du kannst mit deinen Büchern an den
Galgen gehen."--Was wiederhole ich viel ihre närrische Reden? Der
Vater hat recht; er handelt klug: er würde aber gewiß nicht so klug
handeln, wenn ich nicht vorher so klug gewesen wäre.
Juliane. Wie verstehst du das, Lisette?
Lisette. Ich lobe mich nicht gerne selbst. Kurz, meine liebe Mamsell,
Ihr Schutzengel, der bin ich!
Juliane. Der bist du? und wie denn?
Lisette. Dadurch, daß ich einen Betrüger mit seiner Münze bezahlt
habe. Der alte häßliche--
Juliane. Und also hast du Chrysandern betrogen?
Lisette. Ei, sagen Sie doch das nicht; einen Betrüger betrügt man
nicht, sondern den hintergeht man nur. Hintergangen hab ich ihn.
Valer. Und wie?
Lisette. Schlecht genug, daß Sie es schon wieder vergessen haben.
Ich sollte meinen, erkenntlich zu sein, brauche man ein besser
Gedächtnis.
Juliane. Du hast ihm also wohl gar den falschen Brief untergeschoben?
Lisette. Behüte Gott! ich habe ihn bloß durch einen erdichteten Brief
auf andere Gedanken zu bringen gesucht; und das ist mir gelungen.
Juliane. Das hast du getan? Und ich sollte mein Glück einer
Betrügerin zu danken haben? Es mag mir gehen, wie es will; Chrysander
soll es den Augenblick erfahren--
Lisette. Was soll denn das heißen? Ist das mein Dank?
Valer. Besinnen Sie sich, Juliane; verziehen Sie!
Juliane. Unmöglich, Valer; lassen Sie mich. (Juliane geht ab.)


Eilfter Auftritt
Valer. Lisette.

Valer. Himmel, nun ist alles wieder aus!
Lisette. So mag sie es haben! Gift und Galle möchte ich speien, so
toll bin ich! Für meinen guten Willen mich eine Betrügerin zu heißen?
Ich hoffte, sie würde mir vor Freuden um den Hals fallen.--Wie wird
der Alte auf mich losziehen! Er jagt mich und Sie zum Hause heraus.
Was wollen Sie nun anfangen?
Valer. Ja, was soll ich nun anfangen, Lisette?
Lisette. Ich glaube, Sie antworten mir mit meiner eignen Frage? Das
ist bequem. Mein guter Rat hat ein Ende. Ich will mich bald wieder
in so etwas mengen!
Valer. Zu was für einer ungelegnen Zeit kamst du aber auch, Lisette?
Ich hatte dir es gesagt, daß Juliane in diesen Streich nicht willigen
wollte. Hättest du nicht noch einige Zeit schweigen können?
Lisette. Konnte ich denn vermuten, daß sie so übertrieben eigensinnig
sein würde? Sie können sich leicht einbilden, wie es mit unsereiner
ist: ich hätte nicht wieviel nehmen und es gegen sie länger verbergen
wollen, wem sie ihr Glück zu danken habe. Die Freude ist schwatzhaft,
und--Ach, ich möchte gleich--


Zwölfter Auftritt
Anton. Valer. Lisette.

Anton (mit Briefen in der Hand). Ha! ha! haltet ihr wieder Konferenz!
Wenn es mein Herr wüßte, daß in seiner eignen Stube die schlimmsten
Anschläge wider ihn geschmiedet werden, er würde dich, Lisette--Aber,
wie steht ihr denn da beisammen? Herr Valer scheint betrübt: du bist
erhitzt, erhitzt wie ein Zinshahn. Habt ihr euch geschlagen, oder
habt ihr euch sonst eine Motion gemacht? Ei, ei, Lisette!
höre--(sachte zu Lisetten) du hast dich doch der Ausstattung wegen mit
ihm nicht überworfen? Hat er sein Wort etwa zurückgezogen? Das wäre
ein verfluchter Streich. (Laut.) Nein, nein, Herr Valer, was man
verspricht, das muß man halten. Sie hat Ihnen redlich gedienet und
ich auch. Zum Henker! glauben Sie denn, daß es einmal einer ehrlichen
Seele keine Gewissensbisse verursachen muß, wenn sie ihre Herrschaft
für null und nichts betrogen hat? Ich lasse mich nicht vexieren; und
meine Forderung wenigstens--Hol' mich dieser und jener! ich nehm einen
Advokaten an, einen rechten Bullenbeißer von einem Advokaten, der
Ihnen gewiß so viel soll zu schaffen machen--
Lisette. Ach Narre, schweig!
Valer. Was will er denn? Mit wem sprichst du denn?
Anton. Potz Stern! mit unserm Schuldmanne sprech ich. Das können Sie
ja wohl am Tone hören.
Valer. Wer ist denn dein Schuldmann?
Anton. Kommt es nun da heraus, daß Sie die Schuld leugnen wollen?
Hören Sie: mein Advokat bringt Sie zum Schwur--
Valer. Lisette, weißt denn du, was er will?
Lisette. Der Schwärmer! ich brauchte ihn vorhin zu Überbringung des
Briefes und versprach ihm, wenn die Sache gut ausfallen sollte, eine
Belohnung von Ihnen.
Valer. Weiter ist es nichts?
Anton. Ich dächte doch, das wäre genug. Und wie hält es denn mit
Lisettens Ausstattung? Ich muß mich um ihr Vermögen so gut als um das
meinige bekümmern, weil es doch meine werden soll.
Valer. Seid unbesorgt; wenn ich mein Glück mache, so will ich das
eurige gewiß nicht vergessen.
Anton. Gesetzt aber, Sie machten es nicht? Und was versprochen ist,
ist doch versprochen.
Valer. Auch alsdenn will ich euern Eifer nicht unbelohnt lassen.
Anton. Ach, das sind Komplimente, Komplimente!
Lisette. So hör einmal auf!
Anton. Bist du nicht eine Närrin; ich rede ja für dich mit.
Lisette. Es ist aber ganz unnötig.
Anton. Unnötig? habt ihr euch denn nicht gezankt?
Lisette. Warum nicht gar?
Anton. Hat er sein Versprechen nicht zurückgezogen?
Lisette. Nein doch.
Anton. O so verzeihen Sie mir, Herr Valer. Die Galle kann einem
ehrlichen Manne leicht überlaufen. Ich bin ein wenig hitzig, zumal in
Geldsachen. Fürchten Sie sich für den Advokaten nur nicht--
Valer. Und ich kann in einer so marternden Ungewißheit hier noch
verziehen? Ich muß sie sprechen; vielleicht hat sie es noch nicht
getan--
Lisette. Hat sie es aber getan, so kommen Sie dem Alten ja nicht zu
nahe!
Valer. Ich habe von dem ganzen Handel nichts gewußt.
Lisette. Desto schlimmer alsdenn für mich. Gehen Sie nur.


Dreizehnter Auftritt
Anton. Lisette.

Anton. Desto schlimmer für dich? Was ist denn desto schlimmer für
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