Der junge Gelehrte: Ein Lustspiel in drei Aufzügen - 3

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Valer. Wann du das befürchtest, so verspreche ich dir den Mann darzu.
--Doch komm nur; Juliane wird ohne Zweifel auf uns warten. Wir wollen
gemeinschaftlich unsre Sachen weiter überlegen.
Lisette. Gehen Sie nur voran; ich muß noch hier verziehen, um meinem
jungen Gelehrten--
Valer. Er wird vielleicht schon unten bei dem Vater sein.
Lisette. Wir müssen uns alleine sprechen. Gehen Sie nur! Sie haben
ihn doch wohl noch nicht gesprochen?
Valer. Was wollte ich nicht darum geben, wenn ich es ganz und gar
überhoben sein könnte! Seinetwegen würde ich dieses Haus fliehen,
ärger als ein Tollhaus, wenn nicht ein angenehmerer Gegenstand--
Lisette. So gehen Sie doch, und lassen Sie den angenehmern Gegenstand
nicht länger auf sich warten.
(Valer geht ab.)


Dritter Auftritt
Anton. Lisette.

Anton. Nu? was will die! in meines Herrn Studierstube? Jetzt ging
Valer heraus; vor einer Weile Juliane; und du bist noch da? Ich
glaube gar, ihr habt eure Zusammenkünfte hier. Warte, Lisette! das
will ich meinem Herrn sagen. Ich will mich schon rächen; noch für das
Gestrige; besinnst du dich?
Lisette. Ich glaube, du keifst? Was willst du mit deinem Gestrigen?
Anton. Eine Maulschelle vergißt sich wohl bei dem leicht, der sie
gibt, aber der, dem die Zähne davon gewackelt haben, der denkt eine
Zeitlang daran. Warte nur! warte!
Lisette. Wer heißt dich, mich küssen?
Anton. Potz Stern, wie gemein würden die Maulschellen sein; wenn alle
die welche bekommen sollten, die euch küssen wollen.--Jetzt soll dich
mein Herr dafür wacker--
Lisette. Dein Herr? der wird mir nicht viel tun.
Anton. Nicht? Wievielmal hat er es nicht gesagt, daß so ein heiliger
Ort, als eine Studierstube ist, von euch unreinen Geschöpfen nicht
müsse entheiliget werden? Der Gott der Gelehrsamkeit--warte, wie
nennt er ihn?--Apollo--könne kein Weibsbild leiden. Schon der Geruch
davon wäre ihm zuwider. Er fliehe davor wie der Stößer vor den Tauben.
--Und du denkst, mein Herr würde es so mit ansehen, daß du ihm den
lieben Gott von der Stube treibest?
Lisette. Ich glaube gar, du Narre denkst, der liebe Gott sei nur bei
euch Mannspersonen? Schweig, oder--
Anton. Ja, so eine wie gestern vielleicht?
Lisette. Noch eine beßre! der Pinsel hätte gestern mehr als eine
verdient. Er kömmt zu mir; es ist finster; er will mich küssen; ich
stoße ihn zurück, er kömmt wieder; ich schlage ihn aufs Maul, es tut
ihm weh; er läßt nach; er schimpft; er geht fort--Ich möchte dir
gleich noch eine geben, wenn ich daran gedenke.
Anton. Ich hätte es also wohl abwarten sollen, wie oft du deine
Karesse hättest wiederholen wollen?
Lisette. Gesetzt, es wären noch einige gefolgt, so würden sie doch
immer schwächer und schwächer geworden sein. Vielleicht hätten sich
die letztern gar--doch so ein dummer Teufel verdient nichts.
Anton. Was hör ich? ist das dein Ernst, Lisette? Bald hätte ich Lust,
die Maulschelle zu vergessen und mich wieder mit dir zu vertragen.
Lisette. Halte es, wie du willst. Was ist mir jetzt an deiner Gunst
gelegen? Ich habe ganz ein ander Wildbret auf der Spur.
Anton. Ein anders? au weh, Lisette! Das war wieder eine Ohrfeige,
die ich so bald nicht vergessen werde! Ein anders? Ich dächte, du
hättest an einem genug, das dir selbst ins Netz gelaufen ist.
Lisette. Und drum eben ist nichts dran.--Aber sage mir, wo bleibt
dein Herr?
Anton. Danke du Gott, daß er so lange bleibt; und mache, daß du hier
fortkömmst. Wann er dich trifft, so bist du in Gefahr,
herausgeprügelt zu werden.
Lisette. Dafür laß mich sorgen! Wo ist er denn? ist er von der Post
noch nicht wieder zurück?
Anton. Woher weißt du denn, daß er auf die Post gegangen ist?
Lisette. Genug, ich weiß es. Er wollte dich erst schicken. Aber wie
kam es denn, daß er selbst ging? Ha! ha! ha! "Es ist mit dem
Schlingel nichts anzufangen." Wahrhaftig, das Lob macht mich ganz
verliebt in dich.
Anton. Wer Henker muß dir das gesagt haben?
Lisette. O niemand; sage mir nur, ist er wieder da?
Anton. Schon längst; unten ist er bei seinem Vater.
Lisette. Und was machen sie miteinander?
Anton. Was sie machen? sie zanken sich.
Lisette. Der Sohn will gewiß den Vater von seiner Geschicklichkeit
überführen?
Anton. Ohne Zweifel muß es so etwas sein. Damis ist ganz außer sich:
er läßt den Alten kein Wort aufbringen: er rechnet ihm tausend Bücher
her, die er gesehen; tausend, die er gelesen hat; andere tausend, die
er schreiben will, und hundert kleine Bücherchen, die er schon
geschrieben hat. Bald nennt er ein Dutzend Professores, die ihm sein
Lob schriftlich, mit untergedrucktem Siegel, nicht umsonst, gegeben
hätten; bald ein Dutzend Zeitungsschreiber, die eine vortreffliche
Posaune für einen jungen Gelehrten sind, wenn man ein silbernes
Mundstück darauf steckt; bald ein Dutzend Journalisten, die ihn alle
zu ihrem Mitarbeiter flehentlich erbeten haben. Der Vater sieht ganz
erstaunt; er ist um die Gesundheit seines Sohnes besorgt; er ruft
einmal über das andre: Sohn, erhitze dich doch nicht so! schone deine
Lunge! ja doch, ich glaub es! gib dich zufrieden! es war so nicht
gemeint!
Lisette. Und Damis?--
Anton. Und Damis läßt nicht nach. Endlich greift sich der Vater an;
er überschreit ihn mit Gewalt und besänftiget ihn mit einer Menge
solcher Lobsprüche, die in der Welt niemand verdient hat, verdient,
noch verdienen wird. Nun wird der Sohn wieder vernünftig, und nun--ja
nun schreiten sie zu einem andern Punkte, zu einer andern Sache,--zu--
Lisette. Wozu denn?
Anton. Gott sei Dank, mein Maul kann schweigen!
Lisette. Du willst mir es nicht sagen?
Anton. Nimmermehr! ich bin zwar sonst ein schlechter Kerl; aber wenn
es auf die Verschwiegenheit ankömmt--
Lisette. Lerne ich dich so kennen?
Anton. Ich dächte, das sollte dir lieb sein, daß ich schweigen kann;
und besonders von Heiratssachen oder was dem anhängig ist--
Lisette. Weißt du nichts mehr? O das habe ich längst gewußt.
Anton. Wie schön sie mich über den Tölpel stoßen will. Also wäre es
ja nicht nötig, daß ich dir es sagte?--
Lisette. Freilich nicht! aber mich für dein schelmisches Mißtrauen zu
rächen, weiß ich schon, was ich tun will. Du sollst es gewiß nicht
mehr wagen, gegen ein Mädchen von meiner Profession verschwiegen zu
sein! Besinnst du dich, wie du von deinem Herrn vor kurzem gesprochen
hast?
Anton. Besinnen? ein Mann, der in Geschäften sitzt, der einen Tag
lang so viel zu reden hat wie ich, soll sich der auf allen Bettel
besinnen?
Lisette. Seinen Herrn verleumden, ist etwas mehr, sollte ich meinen.
Anton. Was? verleumden?
Lisette. Ha, ha! Herr Mann, der in Geschäften sitzt, besinnen Sie
sich nun? Was haben Sie vorhin gegen seinen Vater von ihm geredt?
Anton. Das Mädel muß den Teufel haben, oder der verzweifelten Alte
hat geplaudert. Aber höre, Lisette, weißt du es gewiß, was ich gesagt
habe? Was war es denn? Laß einmal hören.
Lisette. Du sollst alles hören, wenn ich es deinem Herrn erzählen
werde.
Anton. O wahrhaftig, ich glaube, du machst Ernst daraus. Du wirst
mir doch meinen Kredit bei meinem Herrn nicht verderben wollen? Wenn
du wirklich etwas weißt, so sei keine Närrin!--Daß ihr Weibsvolk doch
niemals Spaß versteht! Ich habe dir eine Ohrfeige vergeben, und du
willst dich, einer kleinen Neckerei wegen, rächen? Ich will dir ja
alles sagen.
Lisette. Nun so sage--
Anton. Aber du sagst doch nichts?--
Lisette. Je mehr du sagen wirst, je weniger werde ich sagen.
Anton. Was wird es sonst viel sein, als daß der Vater dem Sohne
nochmals die Heirat mit Julianen vorschlug? Damis schien ganz
aufmerksam zu sein, und--weiter kann ich dir nichts sagen.
Lisette. Weiter nichts? Gut, gut, dein Herr soll alles erfahren.
Anton. Um des Himmels willen, Lisette; ich will dir es nur gestehn.
Lisette. Nun so gesteh!
Anton. Ich will dir es nur gestehen, daß ich wahrhaftig nichts mehr
gehört habe. Ich wurde eben weggeschickt. Nun weißt du wohl, wenn
man nicht zugegen ist, so kann man nicht viel hören--
Lisette. Das versteht sich. Aber was meinst du, wird Damis sich dazu
entschlossen haben?
Anton. Wenn er sich noch nicht dazu entschlossen hat, so will ich
mein Äußerstes anwenden, daß er es noch tut. Ich soll für meine Mühe
bezahlt werden, Lisette; und du weißt wohl, wenn ich bezahlt werde,
daß alsdenn auch du--
Lisette. Ja, ja, auch ich verspreche dir's; du sollst redlich bezahlt
werden!--Unterstehe dich!--
Anton. Wie?
Lisette. Habe einmal das Herz!--
Anton. Was?
Lisette. Dummkopf! meine Jungfer will deinen Damis nicht haben--
Anton. Was tut das?--
Lisette. Folglich ist mein Wille, daß er sie auch nicht bekommen soll.
Anton. Folglich, wenn sie mein Herr wird haben wollen, so wird mein
Wille sein müssen, daß er sie bekommen soll.
Lisette. Höre doch! du willst mein Mann werden und einen Willen für
dich haben? Bürschchen, das laß dir nicht einkommen! Dein Wille muß
mein Wille sein, oder--
Anton. St! potz Element! er kömmt; hörst du? er kömmt! Nun sieh ja,
wo der Zimmermann das Loch gelassen hat. Verstecke dich wenigstens;
verstecke dich! Er bringt sonst mich und dich um.
Lisette (beiseite). Halt, ich will beide betrügen!--Wo denn aber hin?
wohin? in das Kabinett?
Anton. Ja, ja, nur unterdessen hinein. Vielleicht geht er bald
wieder fort.--Und ich, ich will mich geschwind hieher setzen--(Er
setzt sich an den Tisch, nimmt ein Buch in die Hand und tut, als ob er
den Damis nicht gewahr würde.)


Vierter Auftritt
Anton. Damis.

Anton (vor sich). Ja, die Gelehrten--wie glücklich sind die Leute
nicht!--Ist mein Vater nicht ein Esel gewesen, daß er mich nicht auch
auf ihre Profession getan hat! Zum Henker, was muß es für eine Lust
sein, wenn man alles in der Welt weiß, so wie mein Herr!--Potz Stern,
die Bücher alle zu verstehn!--Wenn man nur darunter sitzt, man mag
darin lesen oder nicht, so ist man schon ein ganz andrer Mensch!--Ich
fühl's, wahrhaftig ich fühl's, der Verstand duftet mir recht daraus
entgegen.--Gewiß, er hat recht; ohne die Gelehrsamkeit ist man nichts
als eine Bestie.--Ich dumme Bestie!--(Beiseite.) Nun, wie lange wird
er mich noch schimpfen lassen?--Wir sind doch närrisch gepaaret, ich
und mein Herr!--Er gibt dem Gelehrtesten und ich dem Ungelehrtesten
nichts nach.--Ich will auch noch heute anfangen zu lesen.--Wenn ich
ein Loch von achtzig Jahren in die Welt lebe, so kann ich schon noch
ein ganzer Kerl werden.--Nur frisch angefangen! Da sind Bücher genug!
--Ich will mir das kleinste aussuchen; denn anfangs muß man sich nicht
übernehmen.--Ha! da finde ich ein allerliebstes Büchelchen.--In so
einem muß es sich mit Lust studieren lassen.--Nur frisch angefangen,
Anton!--Es wird doch gleichviel sein, ob hinten oder vorne?--Wahrhaftig,
es wäre eine Schande für meinen so erstaunlich, so erschrecklich, so
abscheulich gelehrten Herrn, wenn er länger einen so dummen Bedienten
haben sollte--
Damis (indem er sich ihm vollends nähert). Ja freilich wäre es eine
Schande für ihn.
Anton. Hilf Himmel! mein Herr--
Damis. Erschrick nur nicht! Ich habe alles gehört--
Anton. Sie haben alles gehört?--ich bitte tausendmal um Verzeihung,
wenn ich etwas Unrechtes gesprochen habe.--Ich war so eingenommen, so
eingenommen von der Schönheit der Gelehrsamkeit--verzeihen Sie mir
meinen dummen Streich--, daß ich selbst noch gelehrt werden wollte.
Damis. Schimpfe doch nicht selbst den klügsten Einfall, den du
zeitlebens gehabt hast.
Anton. Vor zwanzig Jahren möchte er klug genug gewesen sein.
Damis. Glaube mir, noch bist du zu den Wissenschaften nicht zu alt.
Wir können in unsrer Republik schon mehrere aufweisen, die sich
gleichfalls den Musen nicht eher in die Arme geworfen haben.
Anton. Nicht in die Arme allein, ich will mich ihnen in den Schoß
werfen.--Aber in welcher Stadt sind die Leute?
Damis. In welcher Stadt?
Anton. Ja; ich muß hin, sie kennenzulernen. Sie müssen mir sagen,
wie sie es angefangen haben.--
Damis. Was willst du mit der Stadt?
Anton. Sie denken etwa, ich weiß nicht, was eine Republik
ist?--Sachsen, zum Exempel--Und eine Republik hat ja mehr wie eine
Stadt? nicht?
Damis. Was für ein Idiote! Ich rede von der Republik der Gelehrten.
Was geht uns Gelehrten Sachsen, was Deutschland, was Europa an? Ein
Gelehrter, wie ich bin, ist für die ganze Welt; er ist ein Kosmopolit:
er ist eine Sonne, die den ganzen Erdball erleuchten muß--
Anton. Aber sie muß doch wo liegen, die Republik der Gelehrten.
Damis. Wo liegen? dummer Teufel! die gelehrte Republik ist überall.
Anton. Überall? und also ist sie mit der Republik der Narren an
einem Orte? Die, hat man mir gesagt, ist auch überall.
Damis. Ja freilich sind die Narren und die Klugen, die Gelehrten und
die Ungelehrten überall untermengt, und zwar so, daß die letztern
immer den größten Teil ausmachen. Du kannst es an unserm Hause sehen.
Mit wieviel Toren und Unwissenden findest du mich nicht hier umgeben?
Einige davon wissen nichts, und wissen es, daß sie nichts wissen.
Unter diese gehörst du. Sie wollten aber doch gern etwas lernen, und
deswegen sind sie noch die erträglichsten. Andre wissen nichts und
wollen auch nichts wissen; sie halten sich bei ihrer Unwissenheit für
glücklich; sie scheuen das Licht der Gelehrsamkeit--
Anton. Das Eulengeschlecht!
Damis. Noch andre aber wissen nichts und glauben doch etwas zu wissen;
sie haben nichts, gar nichts gelernt, und wollen doch den Schein
haben, als hätten sie etwas gelernt. Und diese sind die
allerunerträglichsten Narren, worunter, die Wahrheit zu bekennen, auch
mein Vater gehört.
Anton. Sie werden doch Ihren Vater, bedenken Sie doch, Ihren Vater,
nicht zu einem Erznarren machen?
Damis. Lerne distinguieren! Ich schimpfe meinen Vater nicht,
insofern er mein Vater ist, sondern insofern ich ihn als einen
betrachten kann, der den Schein der Gelehrsamkeit unverdienterweise an
sich reißen will. Insofern verdient er meinen Unwillen. Ich habe es
ihm schon oft zu verstehen gegeben, wie ärgerlich er mir ist, wenn er,
als ein Kaufmann, als ein Mann, der nichts mehr als gute und schlechte
Waren, gutes und falsches Geld kennen darf und höchstens das letzte
für das erste wegzugeben wissen soll; wenn der, sage ich, mit seinen
Schulbrocken, bei welchen ich doch noch immer etwas erinnern muß, so
prahlen will. In dieser Absicht ist er ein Narr, er mag mein Vater
sein, oder nicht.
Anton. Schade! ewig schade! daß ich das insofern und in Absicht nicht
als ein Junge gewußt habe. Mein Vater hätte mir gewiß nicht so viel
Prügel umsonst geben sollen. Er hätte sie alle richtig wiederbekommen;
nicht insofern als mein Vater, sondern insofern als einer, der mich
zuerst geschlagen hätte. Es lebe die Gelehrsamkeit!--
Damis. Halt! ich besinne mich auf einen Grundsatz des natürlichen
Rechts, der diesem Gedanken vortrefflich zustatten kömmt. Ich muß
doch den Hobbes nachsehen!--Geduld! daraus will ich gewiß eine schöne
Schrift machen!
Anton. Um zu beweisen, daß man seinen Vater wiederprügeln dürfe?--
Damis. Certo respectu allerdings. Nur muß man sich wohl in acht
nehmen, daß man, wenn man ihn schlägt, nicht den Vater, sondern den
Aggressor zu schlagen sich einbildet; denn sonst--
Anton. Aggressor? Was ist das für ein Ding?
Damis. So heißt der, welcher ausschlägt--
Anton. Ha, ha! nun versteh ich's. Zum Exempel; Ihnen, mein Herr,
stieße wieder einmal eine kleine gelehrte Raserei zu, die sich meinem
Buckel durch eine Tracht Schläge empfindlich machte: so wären Sie--wie
heißt es?--der Aggressor; und ich, ich würde berechtiget sein, mich
über den Aggressor zu erbarmen, und ihm--
Damis. Kerl, du bist toll!--
Anton. Sorgen Sie nicht; ich wollte meine Gedanken schon so zu
richten wissen, daß der Herr unterdessen beiseite geschafft würde--
Damis. Nun wahrhaftig, das wäre ein merkwürdiges Exempel, in was für
verderbliche Irrtümer man verfallen kann, wenn man nicht weiß, aus
welcher Disziplin diese oder jene Wahrheit zu entscheiden ist. Die
Prügel, die ein Bedienter von seinem Herrn bekommt, gehören nicht in
das Recht der Natur, sondern in das bürgerliche Recht. Wenn sich ein
Bedienter vermietet, so vermietet er auch seinen Buckel mit. Diesen
Grundsatz merke dir.
Anton. Aus dem bürgerlichen Rechte ist er? O das muß ein garstiges
Recht sein. Aber ich sehe es nun schon! die verzweifelte
Gelehrsamkeit, sie kann ebenso leicht zu Prügeln verhelfen als dafür
schützen. Was wollte ich nicht darum geben, wenn ich mich auf alle
ihre wächserne Nasen so gut verstünde als Sie--O Herr Damis, erbarmen
Sie sich meiner Dummheit!
Damis. Nun wohl, wenn es dein Ernst ist, so greife das Werk an. Es
erfreut mich, der Gelehrsamkeit durch mein Exempel einen Proselyten
gemacht zu haben. Ich will dich redlich mit meinem Rate und meinen
Lehren unterstützen. Bringst du es zu etwas, so verspreche ich dir,
dich in die gelehrte Welt selbst einzuführen und mit einem besondern
Werke dich ihr anzukündigen. Vielleicht ergreife ich die Gelegenheit,
etwas de Eruditis sero ad literas admissis oder de Opsimathia oder
auch de studio senili zu schreiben, und so wirst du auf einmal berühmt.
--Doch laß einmal sehen, ob ich mir von deiner Lehrbegierde viel zu
versprechen habe? Welch Buch hattest du vorhin in Händen?
Anton. Es war ein ganz kleines--
Damis. Welches denn?--
Anton. Es war so allerliebst eingebunden, mit Golde auf dem Rücken
und auf dem Schnitte. Wo legte ich's doch hin? Da! da!
Damis. Das hattest du? das?
Anton. Ja, das!
Damis. Das?
Anton. Bin ich an das unrechte gekommen? weil es so hübsch klein war--
Damis. Ich hätte dir selbst kein beßres vorschlagen können.
Anton. Das dacht' ich wohl, daß es ein schön Buch sein müsse. Würde
es wohl sonst einen so schönen Rock haben?
Damis. Es ist ein Buch, das seinesgleichen nicht hat. Ich habe es
selbst geschrieben. Siehst du?--Auctore Damide!
Anton. Sie selbst? Nu, nu, habe ich's doch immer gehört, daß man die
leiblichen Kinder besser in Kleidung hält als die Stiefkinder. Das
zeugt von der väterlichen Liebe.
Damis. Ich habe mich in diesem Buche, so zu reden, selbst übertroffen.
Sooft ich es wieder lese, sooft lerne ich auch etwas Neues daraus.
Anton. Aus Ihrem eignen Buche?
Damis. Wundert dich das?--Ach verdammt! nun erinnere ich mich erst:
mein Gott, das arme Mädchen! Sie wird doch nicht noch in dem
Kabinette stecken (Er geht darauf los.)
Anton. Um Gottes willen, wo wollen Sie hin?
Damis. Was fehlt dir? ins Kabinett. Hast du Lisetten gesehen?
Anton. Nun bin ich verloren!--Nein, Herr Damis, nein; so wahr ich
lebe, sie ist nicht drinne.
Damis. Du hast sie also sehen herausgehen? Ist sie schon lange fort?
Anton. Ich habe sie, so wahr ich ehrlich bin, nicht sehen hereingehen.
Sie ist nicht drinne; glauben Sie mir nur, sie ist nicht drinne--


Fünfter Auftritt
Lisette. Damis. Anton.

Lisette. Allerdings ist sie noch drinne--
Anton. O das Rabenaas!
Damis. So lange hat Sie sich hier versteckt gehalten? Arme Lisette!
das war mein Wille gar nicht. Sobald mein Vater aus der Stube gewesen
wäre, hätte Sie immer wieder herausgehen können.
Lisette. Ich wußte doch nicht, ob ich recht täte. Ich wollte also
lieber warten, bis mich der, der mich versteckt hatte, selbst wieder
hervorkommen hieß--
Anton. Zum Henker, von was für einem Verstecken reden die? (Sachte
zu Lisetten.) So, du feines Tierchen? hat dich mein Herr selbst schon
einmal versteckt? Nun weiß ich doch, wie ich die gestrige Ohrfeige
auslegen soll. Du Falsche!
Lisette. Schweig; sage nicht ein Wort, daß ich zuvor bei dir gewesen
bin, oder--du weißt schon--
Damis. Was schwatzt ihr denn beide da zusammen? Darf ich es nicht
hören?
Lisette. Es war nichts; ich sagte ihm bloß, er solle heruntergehen,
daß, wenn meine Jungfer nach mir fragte, er unterdessen sagen könnte,
ich sei ausgegangen. Juliane ist mißtrauisch; sie suchte mich doch
wohl hier, wenn sie mich brauchte.
Damis. Das ist vernünftig. Gleich, Anton, geh!
Anton. Das verlangst du im Ernste, Lisette?
Lisette. Freilich; fort, laß uns allein.
Damis. Wirst du bald gehen?
Anton. Bedenken Sie doch selbst, Herr Damis; wann Sie nun ihr
Geplaudre werden überdrüssig sein, und das wird gar bald geschehen,
wer soll sie Ihnen denn aus der Stube jagen helfen, wenn ich nicht
dabei bin?
Lisette. Warte, ich will dein Lästermaul--
Damis. Laß dich unbekümmert! Wann sie mir beschwerlich fällt, wird
sie schon selbst so vernünftig sein und gehen.
Anton. Aber betrachten Sie nur: ein Weibsbild in Ihrer Studierstube!
Was wird Ihr Gott sagen? Er kann ja das Ungeziefer nicht leiden.
Lisette. Endlich werde ich dich wohl zur Stube hinausschmeißen müssen?
Anton. Das wäre mir gelegen.--Die verdammten Mädel! auch bei dem
Teufel können sie sich einschmeicheln. (Geht ab.)


Sechster Auftritt
Lisette. Damis

Damis. Und wo blieben wir denn vorhin?
Lisette. Wo blieben wir? bei dem, was ich allezeit am liebsten höre
und wovon ich allezeit am liebsten rede, bei Ihrem Lobe. Wenn es nur
nicht eine so gar kitzliche Sache wäre, einen ins Gesicht zu loben!
--Ich kann Ihnen unmöglich die Marter antun.
Damis. Aber ich beteure Ihr nochmals, Lisette: es ist mir nicht um
mein Lob zu tun! Ich möchte nur gern hören, auf was für verschiedene
Art verschiedene Personen einerlei Gegenstand betrachtet haben.
Lisette. Jeder lobte dasjenige an Ihnen, was er an sich
Lobenswürdiges zu finden glaubte. Zum Exempel, der kleine dicke Mann
mit der ernsthaften Miene, der so selten lacht, der aber, wenn er
einmal zu lachen anfängt, mit dem erschütterten Bauche den ganzen
Tisch über den Haufen wirft--
Damis. Und wer ist das? Aus Ihrer Beschreibung, Lisette, kann ich es
nicht erraten--O es ist mit den Beschreibungen eine kitzliche Sache!
Es gehört nicht wenig dazu, sie so einzurichten, daß man, gleich bei
dem ersten Anblicke, das Beschriebene erkennen kann. Über nichts
aber muß ich mehr lachen, als wenn ich bei diesem und jenem großen
Philosophen, wahrhaftig bei Männern, die schon einer ganzen Sekte
ihren Namen gegeben haben, öfters Beschreibungen anstatt Erklärungen
antreffe. Das macht, die guten Herren haben mehr Einbildungskraft als
Beurteilung. Bei der Erklärung muß der Verstand in das Innere der
Dinge eindringen; bei der Beschreibung aber darf man bloß auf die
äußerlichen Merkmale, auf das--
Lisette. Wir kommen von unsrer Sache, Herr Damis. Ihr Lob--
Damis. Jawohl; fahr Sie nur fort, Lisette. Von wem wollte Sie vorhin
reden?
Lisette. Je, sollten Sie denn den kleinen Mann nicht kennen? Er
bläset immer die Backen auf--
Damis. Sie meint vielleicht den alten Ratsherrn?
Lisette. Ganz recht, aber seinen Namen--
Damis. Was liegt an dem?--
Lisette. "Ja, Herr Chrysander", sagte also der Ratsherr, an dessen
Namen nichts gelegen ist, "Ihr Herr Sohn kann einmal der beste
Ratsherr von der Welt werden, wenn er sich nur darauf applizieren will."
Es gehört ein aufgeweckter Geist dazu; den hat er: eine fixe Zunge;
die hat er: eine tiefe Einsicht in die Staatskunst; die hat er: eine
Geschicklichkeit, seine Gedanken zierlich auf das Papier zu bringen;
die hat er: eine verschlagne Aufmerksamkeit auf die geringsten
Bewegungen unruhiger Bürger; die hat er: und wenn er sie nicht hat--o
die Übung--die Übung! Ich weiß ja, wie mir es anfangs ging. Freilich
kann man die Geschicklichkeit zu einem so schweren Amte nicht gleich
mit auf die Welt bringen--
Damis. Der Narr! es ist zwar wahr, daß ich alle diese
Geschicklichkeiten besitze; allein mit der Hälfte derselben könnte ich
Geheimter Rat werden, und nicht bloß--


Siebenter Auftritt
Anton. Lisette. Damis.

Damis. Nun, was willst du schon wieder?
Anton. Mamsell Juliane weiß es nun, daß Lisette ausgegangen ist.
Fürchten Sie sich nur nicht; sie wird uns nicht überraschen--
Damis. Wer hieß dich denn wiederkommen?
Anton. Sollte ich wohl meinen Herrn allein lassen? Und dazu, es
überfiel mich auf einmal so eine Angst, so eine Bangigkeit; die Ohren
fingen mir an zu klingen und besonders das linke--Lisette! Lisette!
Lisette. Was willst du denn?
Anton (sachte zu Lisetten). Was habt ihr denn beide allein gemacht?
Was gilt's, es ging auf meine Unkosten!
Lisette. O pack dich--Ich weiß nicht, was der Narre will.
Damis. Fort, Anton! es ist die höchste Zeit; du mußt wieder auf die
Post sehen. Ich weiß auch gar nicht, wo sie so lange bleibt.--Wird's
bald?
Anton. Lisette, komm mit!
Damis. Was soll denn Lisette mit?
Anton. Und was soll sie denn bei Ihnen?
Damis. Unwissender!
Anton. Ja freilich ist es mein Unglück, daß ich es nicht weiß.
(Sachte zu Lisetten.) Rede nur wenigstens ein wenig laut, damit ich
höre, was unter euch vorgeht--Ich werde horchen--(Gehet ab.)


Achter Auftritt
Lisette. Damis.

Lisette. Lassen Sie uns ein wenig sachte reden. Sie wissen wohl, man
ist vor dem Horcher nicht sicher.
Damis. Jawohl; fahr Sie also nur sachte fort.
Lisette. Sie kennen doch wohl des Herrn Chrysanders Beichtvater?
Damis. Beichtvater? soll ich denn alle solche Handwerksgelehrte
kennen?
Lisette. Wenigstens schien er Sie sehr wohl zu kennen. "Ein guter
Prediger", fiel er der dicken Rechtsgelehrsamkeit ins Wort, "sollte
Herr Damis gewiß auch werden. Eine schöne Statur; eine starke
deutliche Stimme; ein gutes Gedächtnis; ein feiner Vortrag; eine
anständige Dreistigkeit; ein reifer Verstand, der über seine Meinungen
türkenmäßig zu halten weiß: alle diese Eigenschaften glaube ich, in
einem ziemlich hohen Grade, bei ihm bemerkt zu haben. Nur um einen
Punkt ist mir bange. Ich fürchte, ich fürchte, er ist auch ein wenig
von der Freigeisterei angesteckt."--"Ei, was Freigeisterei?" schrie
der schon halb trunkene Medikus. "Die Freigeister sind brave Leute!
Wird er deswegen keinen Kranken kurieren können? Wenn es nach mir
geht, so muß er ein Medikus werden. Griechisch kann er, und
Griechisch ist die halbe Medizin. (Indem sie allmählich wieder lauter
spricht.) Freilich das Herz, das dazu gehört, kann sich niemand geben.
Doch das kömmt von sich selbst, wenn man erst eine Weile praktiziert
hat."--"Nu", fiel ihm ein alter Kaufmann in die Rede, "so muß es mit
den Herrn Medizinern wohl sein wie mit den Scharfrichtern. Wenn die
zum ersten Male köpfen, so zittern und beben sie; je öfter sie aber
den Versuch wiederholen, desto frischer geht es."--Und auf diesen
Einfall ward eine ganze Viertelstunde gelacht; in einem fort, in einem
fort; sogar das Trinken ward darüber vergessen.


Neunter Auftritt
Lisette. Damis. Anton.

Anton. Herr, die Post wird heute vor neun Uhr nicht kommen. Ich habe
gefragt; Sie können sieh darauf verlassen.
Damis. Mußt du uns aber denn schon wieder stören, Idiote?
Anton. Es soll mir recht lieb sein, wann ich Sie nur noch zur rechten
Zeit gestört habe.
Damis. Was willst du mit deiner rechten Zeit?
Anton. Ich will mich gegen Lisetten schon deutlicher erklären. Darf
ich ihr etwas ins Ohr sagen?
Lisette. Was wirst du mir ins Ohr zu sagen haben?
Anton. Nur ein Wort. (Sachte.) Du denkst, ich habe nicht gehorcht?
Sagtest du nicht: du hättest nicht Herz genug dazu? doch wenn du nur
erst das Ding eine Weile würdest praktizierst haben--O ich habe alles
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