Der junge Gelehrte: Ein Lustspiel in drei Aufzügen - 2

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Sohnes keinen Teil. Mehr als zwölfmal habe ich ihm heute schon auf
die Post laufen müssen. Er verlangt Briefe von Berlin. Ist es meine
Schuld, daß sie nicht kommen?
Chrysander. Der wunderliche Heilige! Du bist aber nun schon so lange
um ihn; solltest du nicht sein Gemüt, seine Art zu denken ein wenig
kennen?
Anton. Ha! ha! das kömmt darauf hinaus, was wir Gelehrten die
Kenntnis der Gemüter nennen? Darin bin ich Meister; bei meiner Ehre!
Ich darf nur ein Wort mit einem reden; ich darf ihn nur ansehen: husch,
habe ich den ganzen Menschen weg! Ich weiß sogleich, ob er
vernünftig oder eigensinnig, ob er freigebig oder ein Knicker--
Chrysander. Ich glaube gar, du zeigst auf mich?
Anton. O kehren Sie sich an meine Hände nicht!--Ob er--
Chrysander. Du sollst deine Kunst gleich zeigen! Ich habe meinem
Sohne eine Heirat vorgeschlagen: nun sage einmal, wenn du ihn kennst,
was wird er tun?
Anton. Ihr Herr Sohn? Herr Damis? Verzeihen Sie mir, bei dem geht
meine Kunst, meine sonst so wohl versuchte Kunst, betteln.
Chrysander. Nu, Schurke, so geh mit und prahle nicht!
Anton. Die Gemütsart eines jungen Gelehrten kennen wollen und etwas
daraus schließen wollen, ist unmöglich; und was unmöglich ist, Herr
Chrysander--das ist unmöglich.
Chrysander. Und wieso?
Anton. Weil er gar keine hat.
Chrysander. Gar keine?
Anton. Nein, nicht gar keine; sondern alle Augenblicke eine andre.
Die Bücher und die Exempel, die er liest, sind die Winde, nach welchen
sich der Wetterhahn seiner Gedanken richtet. Nur bei dem Kapitel vom
Heiraten stehenzubleiben, weil das einmal auf dem Tapete ist, so
besinne ich mich, daß--Denn vor allen Dingen müssen Sie wissen, daß
Herr Damis nie etwas vor mir verborgen hat. Ich bin von jeher sein
Vertrauter gewesen und von jeher der, mit dem er sich immer am
liebsten abgegeben hat. Ganze Tage, ganze Nächte haben wir manchmal
auf der Universität miteinander disputiert. Und ich weiß nicht, er
muß doch so etwas an mir finden; etwa eine Eigenschaft, die er an
andern nicht findet--
Chrysander. Ich will dir sagen, was das für eine Eigenschaft ist:
deine Dummheit! Es ergötzt ihn, wenn er sieht, daß er gelehrter ist
als du. Bist du nun vollends ein Schalk und widersprichst ihm nicht
und lobst ihn ins Gesicht und bewunderst ihn--
Anton. Je verflucht! da verraten Sie mir ja meine ganze Politik! Wie
schlau ein alter Kaufmann nicht ist!
Chrysander. Aber vergiß das Hauptwerk nicht! Vom Heiraten--
Anton. Ja darüber hat er schon Teufelsgrillen im Kopfe gehabt. Zum
Exempel: ich weiß die Zeit, da er gar nicht heiraten wollte.
Chrysander. Gar nicht? so muß ich noch heiraten. Ich werde doch
meinen Namen nicht untergehen lassen? Der Bösewicht! Aber warum denn
nicht?
Anton. Darum: weil es einmal Gelehrte gegeben hat, die geglaubt haben,
der ehelose Stand sei für einen Gelehrten der schicklichste. Gott
weiß, ob diese Herren allzu geistlich oder allzu fleischlich sind
gesinnt gewesen! Als ein künftiger Hagestolz hatte er sich schon auf
verschiedene sinnreiche Entschuldigungen gefaßt gemacht.--
Chrysander. Auf Entschuldigungen? kann sich so ein ruchloser Mensch,
der dieses heilige Sakrament--Denn im Vorbeigehen zu sagen, ich bin
mit unsern Theologen gar nicht zufrieden, daß sie den Ehestand für
kein Sakrament wollen gelten lassen--der, sage ich, dieses heilige
Sakrament verachtet, kann der sich noch unterstehen, seine
Gottlosigkeit zu entschuldigen? Aber, Kerl, ich glaube, du machst mir
etwas weis; denn nur vorhin schien er ja meinen Vorschlag zu billigen.
Anton. Das ist unmöglich richtig zugegangen. Wie stellte er sich
dabei an? Lassen Sie sehen; stand er etwa da, als wenn er vor den
Kopf geschlagen wäre? sahe er etwa steif auf die Erde? legte er etwa
die Hand an die Stirne? griff er etwa nach einem Buche, als wenn er
darin lesen wollte? ließ er Sie etwa ungestört fortreden?
Chrysander. Getroffen! du malst ihn, als ob du ihn gesehen hättest.
Anton. O da sieht es windig aus! Wann er es so macht, will er haben,
daß man ihn für zerstreut halten soll. Ich kenne seine Mucken. Er
hört alsdenn alles, was man ihm sagt; allein die Leute sollen glauben,
er habe es vor vielem Nachsinnen nicht gehört. Er antwortet zuweilen
auch; wenn man ihm aber seine Antwort wieder vorlegt, so wird er
nimmermehr zugestehen, daß sie auf das gegangen sei, was man von ihm
hat wissen wollen.
Chrysander. Nun, wer noch nicht gestehen will, daß zu viel
Gelehrsamkeit den Kopf verwirre, der verdient es selber zu erfahren.
Gott sei Dank, daß ich in meiner Jugend gleich das rechte Maß zu
treffen wußte! Omne nimium vertitur in vitulum: sagen wir Lateiner
sehr spaßhaft.--Aber Gott sei dem Bösewichte gnädig, wann er auf dem
Vorsatze verharret! Wann er behauptet, es sei nicht nötig, zu
heiraten und Kinder zu zeugen, will er mir damit nicht zu verstehn
geben, es sei auch nicht nötig gewesen, daß ich ihn gezeugt habe? Der
undankbare Sohn!
Anton. Es ist wahr, kein größter Undank kann unter der Sonne sein,
als wenn ein Sohn die viele Mühe nicht erkennen will, die sein Vater
hat über sich nehmen müssen, um ihn in die Welt zu setzen.
Chrysander. Nein; gewiß, an mir soll der heilige Ehestand seinen
Verteidiger finden!
Anton. Der Wille ist gut; aber lauter solche Verteidiger würden die
Konsumtionsakzise ziemlich geringe machen.
Chrysander. Wieso?
Anton. Bedenken Sie es selbst! drei Weiber, und von der dritten kaum
einen Sohn.
Chrysander. Kaum? was willst du mit dem, kaum‘ sagen, Schlingel?
Anton. Hui, daß Sie etwas Schlimmers darunter verstehn als ich.
Chrysander. Zwar im Vertrauen, Anton: wenn die Weiber vor zwanzig
Jahren so gewesen wären, wie die Weiber jetzo sind, ich würde auf
wunderbare Gedanken geraten. Er hat gar zu wenig von mir! Doch die
Weiber vor zwanzig Jahren waren so frech noch nicht wie die jetzigen;
so treulos noch nicht, wie sie heutzutage sind; so lüstern noch nicht--
Anton. Ist das gewiß? Nun wahrhaftig, so hat man meiner Mutter
unrecht getan, die vor 33 Jahren von ihrem Manne, der mein Vater nicht
sein wollte, geschieden wurde! Doch das ist ein Punkt, woran ich
nicht gern denke. Die Grillen Ihres Herrn Sohns sind lustiger.
Chrysander. Ärgerlicher, sprich! Aber sage mir, was waren denn
seine Entschuldigungen?
Anton. Seine Entschuldigungen waren Einfälle, die auf seinem Miste
nicht gewachsen waren. Er sagte zum Exempel, solange er unter vierzig
Jahren sei und ihn jemand um die Ursache fragen würde, warum er nicht
heirate, wolle er antworten, er sei zum Heiraten noch zu jung. Wäre
er aber über vierzig Jahr, so wolle er sprechen, nunmehr sei er zum
Heiraten zu alt. Ich weiß nicht, wie der Gelehrte hieß, der auch so
soll gesagt haben.--Ein anderer Vorwand war der: er heiratete deswegen
nicht, weil er alle Tage willens wäre, ein Mönch zu werden; und würde
deswegen kein Mönch, weil er alle Tage gedächte zu heiraten.
Chrysander. Was? nun will er auch gar ein Mönch werden? Da sieht man,
wohin so ein böses Gemüt, das keine Ehrfurcht für den heiligen
Ehestand hat, verfallen kann! Das hätte ich nimmermehr in meinem
Sohne gesucht!
Anton. Sorgen Sie nicht! bei Ihrem Sohne ist alles nur ein Übergang.
Er hatte den Einfall in der Lebensbeschreibung eines Gelehrten gelesen;
er hatte Geschmack daran gefunden und sogleich beschlossen, ihn bei
Gelegenheit als den seinen anzubringen. Bald aber ward die Grille von
einer andern verjagt, so wie etwann, so wie etwann--Schade, daß ich
kein Gleichnis dazu finden kann! Kurz, sie ward verjagt. Er wollte
nunmehr heiraten, und zwar einen rechten Teufel von einer Frau.
Chrysander. Wenn doch den Einfall mehr Narren haben wollten, damit
andre ehrliche Männer mit bösen Weibern verschont blieben.
Anton. Ja, meinte er: es würde doch hübsch klingen, wenn es einmal
von ihm heißen könnte: unter die Zahl der Gelehrten, welche der Himmel
mit bösen Weibern gestraft hat, gehöret auch der berühmte Damis;
gleichwohl kann sich die gelehrte Welt nicht über ihn beklagen, daß
ihn dieses Hauskreuz nur im geringsten abgehalten hätte, ihr mit
unzählbaren gelehrten Schriften zu dienen.
Chrysander. Mit Schriften! ja, die mir am teuersten zu stehen kommen.
Was für Rechnungen habe ich nicht schon an die Buchdrucker bezahlen
müssen! Der Bösewicht!
Anton. Geduld! er hat auch erst angefangen zu schreiben! Es wird
schon besser kommen.
Chrysander. Besser? vielleicht damit man ihn endlich einmal auch
unter die zählen kann, die ihren Vater arm geschrieben haben!
Anton. Warum nicht? wenn es ihm Ehre brächte--
Chrysander. Die verdammte Ehre!
Anton. Um die tut ein junger Gelehrter alles! Wann es auch nach
seinem Tode heißen sollte: unter diejenigen Gelehrten, die zum Teufel
gefahren sind, gehört auch der berühmte Damis! was schadet das? Genug,
er heißt gelehrt; er heißt berühmt--
Chrysander. Kerl, du erschreckst mich! Aber du, der du weit älter
bist als er, kannst du ihn nicht dann und wann zurechte weisen?--
Anton. Oh, Herr Chrysander! Sie wissen wohl, daß ich keinen Gehalt
als Hofmeister bekomme. Und dazu meine Dummheit--
Chrysander. Ja, die du annimmst, um ihn desto dümmer zu machen.
Anton (beiseite). St! der kennt mich.--Aber glauben Sie, daß ihm mit
der bösen Frau ein Ernst war? Nichts weniger! Eine Stunde darauf
wollte er sich eine gelehrte Frau aussuchen.
Chrysander. Nun, das wäre doch noch etwas Kluges!
Anton. Etwas Kluges? Nach meiner unvorgreiflichen Meinung ist es
gleich der dümmste Einfall, den er hat haben können. Eine gelehrte
Frau! bedenken Sie doch! eine gelehrte Frau; eine Frau wie Ihr Herr
Sohn! Zittern und Entsetzen möchte einem ehrlichen Kerl ankommen.
Wahrhaftig! ehe ich mir eine Gelehrte aufhängen ließ'--
Chrysander. Narre, Narre! sie gehen unter andern Leuten, als du bist,
reißend weg. Wann ihrer nur viel wären, wer weiß, ob ich mir nicht
selbst eine wählte.
Anton. Kennen Sie Karlinen?
Chrysander. Karlinen? Nein.
Anton. Meinen ehemaligen Kameraden? meinen guten Freund? kennen Sie
den nicht?
Chrysander. Nein doch, nein.
Anton. Er trug ein hechtgraues Kleid mit roten Aufschlägen und auf
seiner Sonntagsmontur rote und blaue Achselbänder. Sie müssen ihn bei
mir gesehen haben. Er hatte eine etwas lange Nase. Sie war ein
Erbstück; denn er wollte aus der Geschichte wissen, daß schon sein
Ururältervater, der ehedem einem gewissen Turnier als Stallknecht
beigewohnt, eine ebenso lange gehabt habe. Sein einziger Fehler war,
daß er etwas krumme Beine hatte. Besinnen Sie sich nun?
Chrysander. Soll ich denn alle das Lumpengesindel kennen, das du
kennst? Und was willst du denn mit ihm?
Anton. Sie kennen ihn also im Ernste nicht? Oh! da kennen Sie einen
sehr großen Geist weniger. Ich will Sie zu seiner Bekanntschaft
verhelfen; ich gelte etwas bei ihm.
Chrysander. Ich glaube, du schwärmst manchmal so gut als mein Sohn.
Wie kömmst du denn auf die Possen?
Anton. Eben der Karlin, will ich sagen--Oh! es ist ärgerlich, daß Sie
ihn nicht kennen.--Eben der Karlin, sage ich, hat einmal bei einem
Herrn gedient, der eine gelehrte Frau hatte. Der verzweifelte
Vogel--er sah gut aus, und wie nun der Appetit sich nach dem Stande
nicht richtet--kurz, er mußte sie näher gekannt haben. Wo hätte er
sonst so viel Verstand her? Endlich merkte es auch sein Herr, daß er
bei der Frau in die Schule ging. Er bekam seinen Abschied, ehe er
sich's versah. Die arme Frau!
Chrysander. Ach schweig! ich mag weder deine noch meines Sohnes
Grillen länger mit anhören.
Anton. Noch eine hören Sie; und zwar die, welche zuletzt seine
Leibgrille ward: er wollte mehr als eine Frau heiraten.
Chrysander. Aber eine nach der andern.
Anton. Nein, wenigstens ein halb Dutzend auf einmal. Der Bibel, der
Obrigkeit und dem Gebrauche zum Trutze! Er las damals gleich ein
Buch--
Chrysander. Die verdammten Bücher! Kurz, ich will nicht weiter hören.
Es soll ihm schon vergehen, mehr als eine zu nehmen, wenn er nur
erst die genommen hat, die ich jetzt für ihn im Kopfe habe. Und was
meinest du wohl, Anton? quid putas? wie wir Lateiner reden; wird er's
tun?
Anton. Vielleicht; vielleicht nicht. Wenn ich wüßte, was er für ein
Buch zuletzt gelesen hätte, und wenn ich dieses Buch selbst lesen
könnte, und wenn--
Chrysander. Ich sehe schon, ich werde deine Hilfe nötig haben. Du
bist zwar ein Gauner, aber ich weiß auch, man kömmt jetzt mit
Betrügern weiter als mit ehrlichen Leuten.
Anton. Ei, Herr Chrysander, für was halten Sie mich?
Chrysander. Ohne Komplimente, Herr Anton! ich verspreche dir eine
Belohnung, die deinen Verdiensten gemäß sein soll, wenn du meinen Sohn
quovis modo, wie wir Lateiner reden, durch Wahrheiten oder durch Lügen,
durch Ernst oder durch Schraubereien, vel sic vel aliter, wie wir
Lateiner reden, Julianen zu heiraten bereden kannst.
Anton. Wen? Julianen?
Chrysander. Julianen; illam ipsam.
Anton. Unsere Mamsell Juliane? Ihr Mündel? Ihre Pflegetochter?
Chrysander. Kennst du eine andre?
Anton. Das ist unmöglich, oder das, was ich von ihr gehört habe, muß
nicht wahr sein.
Chrysander. Gehört? so? hast du etwas von ihr gehört? doch wohl
nichts Böses.
Anton. Nichts Gutes war es freilich nicht.
Chrysander. Ei! ich habe auf das Mädchen so große Stücken gehalten.
Sie wird doch nicht etwa mit einem jungen Kerl--he?
Anton. Wann es nichts mehr wäre! so ein klein Fehlerchen entschuldigt
die Mode. Aber, es ist noch etwas weit Ärgers für eine gute Jungfer,
die gerne nicht länger Jungfer sein möchte.
Chrysander. Noch etwas weit Ärgers? ich versteh dich nicht.
Anton. Und Sie sind gleichwohl ein Kaufmann?
Chrysander. Noch etwas weit Ärgers? Ich habe immer geglaubt,
Eingezogenheit und gute Sitten wären das Vornehmste--
Anton. Nicht mehr! nicht mehr! vor zwanzig Jahren wohl, wie Sie
vorher selbst weislich erinnerten.
Chrysander. Nun so erkläre dich deutlicher. Ich habe nicht Lust,
deine närrischen Gedanken zu erraten.
Anton. Und nichts ist doch leichter. Mit einem Worte: sie soll kein
Geld haben. Man hat mir gesagt, in Ansehung ihres Vaters, der Ihr
guter Freund gewesen wäre, hätten Sie Julianen, von ihrem neunten
Jahre an, zu sich genommen und aus Barmherzigkeit erzogen.
Chrysander. Da hat man dir nun wohl keine Lügen gesagt; gleichwohl
aber soll sie doch kein andrer haben als mein Sohn, wann nur er--Denn
sieh, Anton, ich muß dir das ganze Rätsel erklären.--Es liegt nur an
mir, Julianen in kurzer Zeit reich zu machen.
Anton. Ja, durch Ihr eigen Geld; und auf diese Art könnten Sie auch
mich wohl reich machen. Wollen Sie so gut sein?
Chrysander. Nein, nicht durch mein eigen Geld.--Kannst du schweigen?
Anton. Versuchen Sie es.
Chrysander. Höre also; mit Julianens Vermögen steht es so: ihr Vater
kam durch einen Prozeß, den er endlich doch mußte liegenlassen, kurz
vor seinem Tode um alle das Seine. Jetzt nun ist mir ein gewisses
Dokument in die Hände gefallen, das er lange vergebens suchte und das
dem ganzen Handel ein ander Ansehen gibt. Es kömmt nur darauf an, daß
ich so viel Geld hergebe, den Prozeß wieder anzufangen. Das Dokument
selbst habe ich bereits an meinen Advokaten nach Dresden geschickt.--
Anton. Gott sei Dank! daß Sie wieder zum Kaufmanne werden! Vorhin
hätte ich bald nicht gewußt, was ich aus Ihnen machen sollte.--Aber
Julianens Einwilligung haben Sie doch schon?
Chrysander. Oh! das gute Kind will mir, wie es spricht, in allem
gehorchen. Unterdessen hat sich doch schon Valer auf sie gespitzt.
Er hat mir vor einiger Zeit auch seine Gedanken deshalb eröffnet. Ehe
ich das Dokument bekam--
Anton. Ja, da war uns an Julianen so viel nicht gelegen. Sie machten
ihm also Hoffnung?
Chrysander. Freilich! Er ist heute von Berlin wieder zurückgekommen
und hat sich auch schon bei mir melden lassen. Ich besorge, ich
besorge--Doch wenn mein Sohn nur will--Und diesen, Anton, du
verstehest mich--Ein Narr ist auf viel Seiten zu fassen; und ein Mann
wie du kann auf viel Seiten fassen.--Du wirst sehen, daß ich
erkenntlich bin.
Anton. Und Sie, daß ich ganz zu Ihren Diensten bin, zumal wenn mich
die Erkenntlichkeit zuerst herausfordert und--


Siebenter Auftritt
Anton. Chrysander. Juliane.

Juliane. Kommen Sie doch, Herr Chrysander, kommen Sie doch hurtig
herunter. Herr Valer ist schon da, Ihnen seine Aufwartung zu machen.
Chrysander. Tut Sie doch ganz fröhlich, mein Jungferchen!
Anton (sachte zu Chrysandern). Hui! daß Valer schon den Vogel
gefangen hat.
Chrysander. Das wäre mir gelegen.

(Anton und Chrysander gehen ab.)


Achter Auftritt
Juliane. Lisette.

Lisette (guckt aus dem Kabinett). Bst! bst! bst!
Juliane. Nun, wem gilt das? Lisette? bist du's? Was machst du denn
hier?
Lisette. Ja, das werden Sie wohl nimmermehr glauben, daß ich und
Damis schon so weit miteinander gekommen sind, daß er mich verstecken
muß. Schon kann ich ihn um einen Finger wickeln! Noch eine
Unterredung wie vorhin, so habe ich ihn im Sacke.
Juliane. Und also hätte ich wohl, in allem Scherze, einen recht guten
Einfall gehabt? Wollte doch der Himmel, daß die Verbindung, die sein
Vater zwischen uns--
Lisette. Ach, sein Vater! der Schalk, der Geizhals! Jetzt habe ich
ihn kennenlernen.
Juliane. Was gibst du ihm für Titel? Seine Gütigkeit ist nur gar zu
groß. Seine Wohltaten vollkommen zu machen, trägt er mir die Hand
seines Sohnes und mit ihr sein ganzes Vermögen an. Aber wie
unglücklich bin ich dabei!--Dankbarkeit und Liebe, Liebe gegen den
Valer, und Dankbarkeit--
Lisette. Noch vor einer Minute, war ich in ebendem Irrtume. Aber
glauben Sie mir nur, ich weiß es nunmehr aus seinem Munde: nicht aus
Freundschaft für Sie, sondern aus Freundschaft für Ihr Vermögen will
er diese Verbindung treffen.
Juliane. Für mein Vermögen? du schwärmst. Was habe ich denn, das ich
nicht von ihm hätte?
Lisette. Kommen Sie, kommen Sie. Hier ist der Ort nicht, viel zu
schwatzen. Ich will Ihnen alles erzählen, was ich gehört habe.


Zweiter Aufzug


Erster Auftritt
Lisette. Valer. Juliane.

Lisette (noch innerhalb der Szene). Nur hier herein; Herr Damis ist
ausgegangen. Sie können hier schon ein Wörtchen miteinander im
Vertrauen reden.
Juliane. Ja, Valer, mein Entschluß ist gefaßt. Ich bin ihm zu viel
schuldig; er hat durch seine Wohltaten das größte Recht über mich
erhalten. Es koste mir, was es wolle; ich muß die Heirat eingehen,
weil es Chrysander verlangt. Oder soll ich etwa die Dankbarkeit der
Liebe aufopfern? Sie sind selbst tugendhaft, Valer, und Ihr Umgang
hat mich edler denken gelehrt. Mich Ihrer wert zu zeigen, muß ich
meine Pflicht, auch mit dem Verluste meines Glückes, erfüllen.
Lisette. Eine wunderbare Moral! wahrhaftig!
Valer. Aber wo bleiben Versprechung, Schwur, Treue? Ist es erlaubt,
um eine eingebildete Pflicht zu erfüllen, einer andern, die uns
wirklich verbindet, entgegen zu handeln?
Juliane. Ach, Valer, Sie wissen es besser, was zu solchen
Versprechungen gehört. Mißbrauchen Sie meine Schwäche nicht. Die
Einwilligung meines Vaters war nicht dabei.
Valer. Was für eines Vaters?--
Juliane. Desjenigen, dem ich für seine Wohltaten diese Benennung
schuldig bin. Oder halten Sie es für keine Wohltaten, der Armut und
allen ihren unseligen Folgen entrissen zu werden? Ach, Valer, ich
würde Ihr Herz nicht besitzen, hätte nicht Chrysanders Sorgfalt mich
zur Tugend und Anständigkeit bilden lassen.
Valer. Wohltaten hören auf, Wohltaten zu sein, wenn man sucht, sich
für sie bezahlt zu machen. Und was tut Chrysander anders, da er Sie,
allzu gewissenhafte Juliane, nur deswegen mit seinem Sohne verbinden
will, weil er ein Mittel sieht, Ihnen wieder zu dem größten Teile
Ihres väterlichen Vermögens zu verhelfen?
Juliane. Fußen Sie doch auf eine so wunderbare Nachricht nicht. Wer
weiß, was Lisette gehört hat?
Lisette. Nichts, als was sich vollkommen mit seiner übrigen
Aufführung reimt. Ein Mann, der seine Wohltaten schon ausposaunet,
der sie einem jeden auf den Fingern vorzurechnen weiß, sucht etwas
mehr als das bloße Gotteslohn. Und wäre es etwa die erste Träne, die
Ihnen aus Verdruß, von einem so eigennützig freigebigen Manne
abzuhängen, entfahren ist?
Valer. Lisette hat recht!--Aber ich empfinde es leider; Juliane liebt
mich nicht mehr.
Juliane. Sie liebt Sie nicht mehr? Dieser Verdacht fehlte noch,
ihren Kummer vollkommen zu machen. Wann Sie wüßten, wieviel es ihr,
gegen die Ratschläge der Liebe taub zu sein, koste; wann Sie wüßten,
Valer--ach, die mißtrauischen Mannspersonen!
Valer. Legen Sie die Furcht eines Liebhabers, dessen ganzes Glück auf
dem Spiele steht, nicht falsch aus. Sie lieben mich also noch? und
wollen sich einem andern überlassen?
Juliane. Ich will? Könnten Sie mich empfindlicher martern? Ich
will?--Sagen Sie: ich muß.
Valer. Sie müssen?--Noch ist nie ein Herz gezwungen worden als
dasjenige, dem es lieb ist, den Zwang zu seiner Entschuldigung machen
zu können--
Juliane. Ihre Vorwürfe sind so fein, so fein! daß ich Sie vor Verdruß
verlassen werde.
Valer. Bleiben Sie, Juliane; und sagen Sie mir wenigstens, was ich
dabei tun soll?
Juliane. Was ich tue; dem Schicksale nachgeben.
Valer. Ach, lassen Sie das unschuldige Schicksal aus dem Spiele!
Juliane. Das unschuldige? und ich werde also wohl die Schuldige sein?
Halten Sie mich nicht länger--
Lisette. Wann ich mich nun nicht bald dazwischenlege, so werden sie
sich vor lauter Liebe zanken.--Was Sie tun sollen, Herr Valer? eine
große Frage! Himmel und Hölle rege machen, damit die gute Jungfer
nicht muß! Den Vater auf andre Gedanken bringen; den Sohn auf Ihre
Seite ziehen.--Mit dem Sohne zwar hat es gute Wege; den überlassen Sie
nur mir. Der gute Damis! Ich bin ohne Zweifel das erste Mädchen, das
ihm schmeichelt, und hoffe dadurch auch das erste zu werden, das von
ihm geschmeichelt wird. Wahrhaftig; er ist so eitel, und ich bin so
geschickt, daß ich mich wohl noch zu seiner Frau an ihm loben wollte,
wenn der verzweifelte Vater nicht wäre!--Sehen Sie, Herr Valer, der
Einfall ist von Mamsell Julianen! Erfinden Sie nun eine Schlinge für
den Vater--
Juliane. Was sagst du, Lisette? von mir? O Valer, glauben Sie solch
rasendes Zeug nicht! Habe ich dir etwas anders befohlen, als ihm
einen schlechten Begriff von mir beizubringen?
Lisette. Ja, recht; einen schlechten von Ihnen--und wenn es möglich
wäre, einen desto bessern von mir.
Juliane. Nein, es ist mit euch nicht auszuhalten--
Valer. Erklären Sie wenigstens, liebste Juliane--
Juliane. Erklären? und was? Vielleicht, daß ich Ihnen in die Arme
rennen will und wann ich auch alle Tugenden beleidigen sollte? daß ich
mich mit einer Begierde, mit einem Eifer die Ihrige zu werden bemühen
will, die mich in Ihren Augen notwendig einmal verächtlich machen
müssen? Nein, Valer--
Lisette. Hören Sie denn nicht, daß sie uns gern freie Hand lassen
will? Sie macht es wie die schöne Aspasia--oder wie hieß die
Prinzessin in dem dicken Romane? Zwei Ritter machten auf sie Anspruch.
Schlagt euch miteinander, sagte die schöne Aspasia; wer den andern
überwindet, soll mich haben. Gleichwohl aber war sie dem Ritter in
der blauen Rüstung günstiger als dem andern--
Juliane. Ach, die Närrin, mit ihrem blauen Ritter--(Reißt sich los
und geht ab.)


Zweiter Auftritt
Lisette. Valer.

Lisette. Ha! ha! ha!
Valer. Mir ist nicht lächerlich, Lisette.
Lisette. Nicht? Ha! ha! ha!
Valer. Ich glaube, du lachst mich aus.
Lisette. Oh, so lachen Sie mit! Oder ich muß noch einmal darüber
lachen, daß Sie nicht lachen wollen. Ha! ha! ha!
Valer. Ich möchte verzweifeln! In der Ungewißheit, ob sie mich noch
liebt--
Lisette. Ungewißheit? Sind denn alle Mannspersonen so schwer zu
überreden? Werden sie denn alle zu solchen ängstlichen Zweiflern,
sobald sie die Liebe ein wenig erhitzt? Lassen Sie Ihre Grillen
fahren, Herr Valer, oder ich lache aufs neue. Spannen Sie vielmehr
Ihren Verstand an, etwas auszusinnen, um den alten Chrysander--
Valer. Chrysander traut mir nicht und kann mir nicht trauen. Er
kennt meine Neigung zu Julianen. Alle mein Zureden würde umsonst sein;
er würde den Eigennutz, die Quelle davon, gar bald entdecken. Und
wenn ich auch eine völlige Anwerbung tun wollte; was würde es helfen?
Er ist deutsch genug, mir gerade ins Gesicht zu sagen, daß ich seinem
Sohne hier nachstehen müsse, welcher wegen der Wohltaten des Vaters
das größte Recht auf Julianen habe.--Was soll ich also anfangen?
Lisette. Mit den wunderlichen Leuten, die nur überall den ebenen Weg
gehen wollen! Hören Sie, was mir eingefallen ist. Das Dokument, oder
wie der Quark heißt, ist das einzige, was Chrysandern zu dieser Heirat
Lust macht, so daß er es schon an seinen Advokaten geschickt hat. Wie
wenn man von diesem Advokaten einen Brief unterschieben könnte, in
welchem--in welchem--
Valer. In welchem er ihm die Gültigkeit des Dokuments verdächtig
macht; willst du sagen? Der Einfall ist so unrecht nicht! Aber--wenn
ihm nun einmal der Advokate ganz das Gegenteil schreibt, so ist ja
unser Betrug am Tage.
Lisette. Was für ein Einwurf! Freilich müssen Sie ihn stimmen. Es
ist von jeher gebräuchlich gewesen, daß es sich ein Liebhaber etwas
muß kosten lassen.
Valer. Wenn nun aber der Advokat ehrlich ist?
Lisette. Tun Sie doch, als ob Sie seit vier Wochen erst in der Welt
wären. Wie die Geschenke so ist der Advokat. Kommen gar keine, so
ist der niederträchtigste Betrüger der redlichste Mann. Kommen welche,
aber nur kleine, so hält das Gewissen noch so ziemlich das
Gleichgewicht. Es steigen alsdenn wohl Versuchungen bei ihm auf;
allein die kleinste Betrachtung schlägt sie wieder nieder. Kommen
aber nur recht ansehnliche, so ist gar bald der ehrlichste Advokat
nicht mehr der ehrlichste. Er legt die Ehrlichkeit mit den
geschenkten Goldstücken in den Schatz, wo jene eher zu rosten anfängt
als diese. Ich kenne die Herren!
Valer. Dein Urteil ist zu allgemein. Nicht alle Personen von
einerlei Stande sind auf einerlei Art gesinnet. Ich kenne
verschiedene alte rechtschaffene Sachwalter--
Lisette. Was wollen Sie mit Ihren alten? Es ist eben, als wenn Sie
sagten, die großen runden Aufschläge, die kleinen spitzen Knöpfe, die
erschrecklichen Halskrausen, aus welchen man Schiffssegel machen
könnte, die viereckigten breiten Schuhe, die tiefen Taschen, kurz, die
ganze Tracht, wie sich etwa Ihre Paten an Ehrentagen mögen
ausstaffiert haben, wären noch jetzt Mode, weil man noch manchmal hier
und da einige gebückte zitternde Männerchen über die Gassen so
schleichen sieht. Lassen Sie nur noch die und Ihr paar alte
rechtschaffene Advokaten sterben; die Mode und die Redlichkeit werden
einen Weg nehmen.
Valer. Man hört doch gleich, wenn das Frauenzimmer am beredtesten ist!
Lisette. Sie meinen etwa, wenn es ans Lästern geht? O wahrhaftig!
des bloßen Lästerns wegen habe ich so viel nicht geplaudert. Meine
vornehmste Absicht war, Ihnen beizubringen, wieviel überall das Geld
tun könne und was für ein vortreffliches Spiel ein Liebhaber in den
Händen hat, wenn er gegen alle freigebig ist, gegen die Gebieterin,
gegen den Advokaten und--Dero Dienerin. (Sie macht eine Verbeugung.)
Valer. Verlaß dich auf meine Erkenntlichkeit. Ich verspreche dir
eine recht ansehnliche Ausstattung, wenn wir glücklich sind--
Lisette. Ei, wie fein! Eine Ausstattung? Sie hoffen doch wohl nicht,
daß ich übrigbleiben werde?
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