Der Heizer: Ein Fragment - 3

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Kapitän würde lauter Rumänen anstellen können, es würde überall
rumänisch gesprochen werden, und vielleicht würde dann wirklich alles
besser gehen. Kein Heizer würde mehr in der Hauptkassa schwätzen, nur
sein letztes Geschwätz würde man in ziemlich freundlicher Erinnerung
behalten, da es, wie der Senator ausdrücklich erklärt hatte, die
mittelbare Veranlassung zur Erkennung des Neffen gegeben hatte. Dieser
Neffe hatte ihm übrigens vorher öfters zu nützen gesucht und daher für
seinen Dienst bei der Wiedererkennung längst vorher einen mehr als
genügenden Dank abgestattet; dem Heizer fiel gar nicht ein, jetzt noch
etwas von ihm zu verlangen. Im übrigen, mochte er auch der Neffe des
Senators sein, ein Kapitän war er noch lange nicht, aber aus dem Munde
des Kapitäns würde schließlich das böse Wort fallen. – So wie es seiner
Meinung entsprach, versuchte auch der Heizer nicht zu Karl hinzusehen,
aber leider blieb in diesem Zimmer der Feinde kein anderer Ruheort für
seine Augen.
»Mißverstehe die Sachlage nicht,« sagte der Senator zu Karl, »es handelt
sich vielleicht um eine Sache der Gerechtigkeit, aber gleichzeitig um
eine Sache der Disziplin. Beides und ganz besonders das letztere
unterliegt hier der Beurteilung des Herrn Kapitäns.«
»So ist es,« murmelte der Heizer. Wer es merkte und verstand, lächelte
befremdet.
»Wir aber haben überdies den Herrn Kapitän in seinen Amtsgeschäften,
die sich sicher gerade bei der Ankunft in New York unglaublich häufen,
so sehr schon behindert, daß es höchste Zeit für uns ist, das Schiff zu
verlassen, um nicht zum Überfluß auch noch durch irgendwelche höchst
unnötige Einmischung diese geringfügige Zänkerei zweier Maschinisten zu
einem Ereignis zu machen. Ich begreife deine Handlungsweise, lieber
Neffe, übrigens vollkommen, aber gerade das gibt mir das Recht, dich
eilends von hier fortzuführen.«
»Ich werde sofort ein Boot für Sie flottmachen lassen,« sagte der
Kapitän, ohne zum Erstaunen Karls auch nur den kleinsten Einwand gegen
die Worte des Onkels vorzubringen, die doch zweifellos als eine
Selbstdemütigung des Onkels angesehen werden konnten. Der Oberkassier
eilte überstürzt zum Schreibtisch und telephonierte den Befehl des
Kapitäns an den Bootsmeister.
»Die Zeit drängt schon,« sagte sich Karl, »aber ohne alle zu beleidigen,
kann ich nichts tun. Ich kann doch jetzt den Onkel nicht verlassen,
nachdem er mich kaum wiedergefunden hat. Der Kapitän ist zwar höflich,
aber das ist auch alles. Bei der Disziplin hört seine Höflichkeit auf,
und der Onkel hat ihm sicher aus der Seele gesprochen. Mit Schubal will
ich nicht reden, es tut mir sogar leid, daß ich ihm die Hand gereicht
habe. Und alle anderen Leute hier sind Spreu.«
Und er ging langsam in solchen Gedanken zum Heizer, zog dessen rechte
Hand aus dem Gürtel und hielt sie spielend in der seinen. »Warum sagst
du denn nichts?« fragte er. »Warum läßt du dir alles gefallen?«
Der Heizer legte nur die Stirn in Falten, als suche er den Ausdruck für
das, was er zu sagen habe. Im übrigen sah er auf Karls und seine Hand
hinab.
»Dir ist ja unrecht geschehen, wie keinem auf dem Schiff, das weiß ich
ganz genau.« Und Karl zog seine Finger hin und her zwischen den Fingern
des Heizers, der mit glänzenden Augen ringsumher schaute, als widerfahre
ihm eine Wonne, die ihm aber niemand verübeln möge.
»Du mußt dich aber zur Wehr setzen, ja und nein sagen, sonst haben doch
die Leute keine Ahnung von der Wahrheit. Du mußt mir versprechen, daß du
mir folgen wirst, denn ich selbst, das fürchte ich mit vielem Grund,
werde dir gar nicht mehr helfen können.« Und nun weinte Karl, während er
die Hand des Heizers küßte und nahm die rissige, fast leblose Hand und
drückte sie an seine Wangen, wie einen Schatz, auf den man verzichten
muß. – Da war aber auch schon der Onkel Senator an seiner Seite und zog
ihn, wenn auch nur mit dem leichtesten Zwange, fort.
»Der Heizer scheint dich bezaubert zu haben,« sagte er und sah
verständnisinnig über Karls Kopf zum Kapitän hin. »Du hast dich
verlassen gefühlt, da hast du den Heizer gefunden und bist ihm jetzt
dankbar, das ist ja ganz löblich. Treibe das aber, schon mir zuliebe,
nicht zu weit und lerne deine Stellung begreifen.«
Vor der Türe entstand ein Lärmen, man hörte Rufe und es war sogar, als
werde jemand brutal gegen die Türe gestoßen. Ein Matrose trat ein, etwas
verwildert, und hatte eine Mädchenschürze umgebunden. »Es sind Leute
draußen,« rief er und stieß einmal mit dem Ellbogen herum, als sei er
noch im Gedränge. Endlich fand er seine Besinnung und wollte vor dem
Kapitän salutieren, da bemerkte er die Mädchenschürze, riß sie herunter,
warf sie zu Boden und rief: »Das ist ja ekelhaft, da haben sie mir eine
Mädchenschürze umgebunden.« Dann aber klappte er die Hacken zusammen und
salutierte. Jemand versuchte zu lachen, aber der Kapitän sagte streng:
»Das nenne ich eine gute Laune. Wer ist denn draußen?«
»Es sind meine Zeugen,« sagte Schubal vortretend, »ich bitte ergebenst
um Entschuldigung für ihr unpassendes Benehmen. Wenn die Leute die
Seefahrt hinter sich haben, sind sie manchmal wie toll.«
»Rufen Sie sie sofort herein!« befahl der Kapitän und gleich sich zum
Senator umwendend sagte er verbindlich, aber rasch: »Haben Sie jetzt die
Güte, verehrter Herr Senator, mit Ihrem Herrn Neffen diesem Matrosen zu
folgen, der Sie ins Boot bringen wird. Ich muß wohl nicht erst sagen,
welches Vergnügen und welche Ehre mir das persönliche Bekanntwerden mit
Ihnen, Herr Senator, bereitet hat. Ich wünsche mir nur, bald Gelegenheit
zu haben, mit Ihnen, Herr Senator, unser unterbrochenes Gespräch über
die amerikanischen Flottenverhältnisse wieder einmal aufnehmen zu können
und dann vielleicht neuerdings auf so angenehme Weise, wie heute,
unterbrochen zu werden.«
»Vorläufig genügt mir dieser eine Neffe,« sagte der Onkel lachend. »Und
nun nehmen Sie meinen besten Dank für Ihre Liebenswürdigkeit und leben
Sie wohl. Es wäre übrigens gar nicht so unmöglich, daß wir« – er drückte
Karl herzlich an sich – »bei unserer nächsten Europareise vielleicht für
längere Zeit mit Ihnen zusammenkommen könnten.«
»Es würde mich herzlich freuen,« sagte der Kapitän. Die beiden Herren
schüttelten einander die Hände, Karl konnte nur noch stumm und flüchtig
seine Hand dem Kapitän reichen, denn dieser war bereits von den
vielleicht fünfzehn Leuten in Anspruch genommen, welche unter Führung
Schubals zwar etwas betroffen, aber doch sehr laut einzogen. Der Matrose
bat den Senator, vorausgehen zu dürfen und teilte dann die Menge für ihn
und Karl, die leicht zwischen den sich verbeugenden Leuten durchkamen.
Es schien, daß diese im übrigen gutmütigen Leute den Streit Schubals mit
dem Heizer als einen Spaß auffaßten, dessen Lächerlichkeit nicht einmal
vor dem Kapitän aufhöre. Karl bemerkte unter ihnen auch das
Küchenmädchen Line, welche, ihm lustig zuzwinkernd, die vom Matrosen
hingeworfene Schürze umband, denn es war die ihrige.
Weiter dem Matrosen folgend verließen sie das Bureau und bogen in einen
kleinen Gang ein, der sie nach ein paar Schritten zu einem Türchen
brachte, von dem aus eine kurze Treppe in das Boot hinabführte, welches
für sie vorbereitet war. Die Matrosen im Boot, in das ihr Führer gleich
mit einem einzigen Satz hinuntersprang, erhoben sich und salutierten.
Der Senator gab Karl gerade eine Ermahnung zu vorsichtigem
Hinuntersteigen, als Karl noch auf der obersten Stufe in heftiges
Weinen ausbrach. Der Senator legte die rechte Hand unter Karls Kinn,
hielt ihn fest an sich gepreßt und streichelte ihn mit der linken Hand.
So gingen sie langsam Stufe für Stufe hinab und traten engverbunden ins
Boot, wo der Senator für Karl gerade sich gegenüber einen guten Platz
aussuchte. Auf ein Zeichen des Senators stießen die Matrosen vom Schiffe
ab und waren gleich in voller Arbeit. Kaum waren sie ein paar Meter vom
Schiff entfernt, machte Karl die unerwartete Entdeckung, daß sie sich
gerade auf jener Seite des Schiffes befanden, wohin die Fenster der
Hauptkassa gingen. Alle drei Fenster waren mit Zeugen Schubals besetzt,
welche freundschaftlichst grüßten und winkten, sogar der Onkel dankte,
und ein Matrose machte das Kunststück, ohne eigentlich das gleichmäßige
Rudern zu unterbrechen, eine Kußhand hinaufzuschicken. Es war wirklich,
als gebe es keinen Heizer mehr. Karl faßte den Onkel, mit dessen Knien
sich die seinen fast berührten, genauer ins Auge, und es kamen ihm
Zweifel, ob dieser Mann ihm jemals den Heizer werde ersetzen können.
Auch wich der Onkel seinem Blicke aus und sah auf die Wellen hin, von
denen ihr Boot umschwankt wurde.

[Anmerkungen zur Transkription: Dieses elektronische Buch wurde auf
Grundlage der Erstausgabe erstellt.
Nach dem Korrekturlesen auf PGDP wurde der Text mit der eigens für
diesen Zweck eingescannten Fassung aus »Franz Kafka: Die Erzählungen –
Originalfassung, Fischer Taschenbuchverlag, 8. Auflage: August 2003«
verglichen. Jene Fassung basiert auf der Kritischen Kafka-Ausgabe.
Entsprechend dieser Textvergleiche wurden folgende Korrekturen
vorgenommen:
p 05: sechszehnjährige -> sechzehnjährige
p 08: »Ja, warum haben sie -> Sie
p 21: Kofferchen -> Köfferchen
p 34: beseitegeschafft -> beiseitegeschafft
p 42: in Verzweiflung kommen wie -> kommen, wie ]

[Transcriber’s Note: This ebook has been prepared from scans of a first
edition copy.
After proofreading on PGDP had been completed, the text was compared
with another version scanned from a recent printing of »Franz Kafka: Die
Erzählungen – Originalfassung, Fischer Taschenbuchverlag, 8. Auflage:
August 2003«; which follows the critical edition of Kafka’s works. While
I kept most of the peculiarities of the first edition, I corrected the
following list of words and punctuation which I believe to be misprints:
p 05: sechszehnjährige -> sechzehnjährige
p 08: »Ja, warum haben sie -> Sie
p 21: Kofferchen -> Köfferchen
p 34: beseitegeschafft -> beiseitegeschafft
p 42: in Verzweiflung kommen wie -> kommen, wie ]
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