Der Goldene Topf - 6

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Archivarius sein und hier in Dresden mit seinen drei Töchtern wirtschaften,
die aber weiter nichts sind als kleine goldgrüne Schlänglein, die sich in
Holunderbüschen sonnen, verführerisch singen und die jungen Leute verlocken
wie die Sirenen.« -- »Herr Anselmus, Herr Anselmus!« rief der Konrektor
Paulmann, »rappelt's Ihnen im Kopfe? was um des Himmels willen schwatzen
Sie für ungewaschenes Zeug?« -- »Er hat Recht,« fiel der Registrator
Heerbrand ein, »der Kerl, der Archivarius, ist ein verfluchter Salamander,
der mit den Fingern feurige Schnippchen schlägt, die einem Löcher in den
Überrock brennen wie glühender Schwamm. -- Ja, ja, Du hast Recht,
Brüderchen Anselmus, und wer es nicht glaubt, ist mein Feind!« Und damit
schlug der Registrator Heerbrand mit der Faust auf den Tisch, daß die
Gläser klirrten. »Registrator! sind Sie rasend?« schrie der erboste
Konrektor. -- »Herr Studiosus! Herr Studiosus! was richten Sie denn nun
wieder an?« -- »Ach!« sagte der Student, »Sie sind auch weiter nichts als
ein Vogel -- ein Schuhu, der die Toupets frisiert, Herr Konrektor!« --
»Was? -- ich ein Vogel -- ein Schuhu -- ein Friseur?« -- schrie der
Konrektor voller Zorn -- »Herr, Sie sind toll -- toll!« -- »Aber die Alte
kommt ihm über den Hals,« rief der Registrator Heerbrand. -- »Ja, die Alte
ist mächtig,« fiel der Student Anselmus ein, »unerachtet sie nur von
niederer Herkunft; denn ihr Papa ist nichts als ein lumpiger Flederwisch
und ihre Mama eine schnöde Runkelrübe, aber ihre meiste Kraft verdankt sie
allerlei feindlichen Kreaturen, giftigen Kanaillen, von denen sie umgeben.«
-- »Das ist eine abscheuliche Verleumdung,« rief Veronika mit zornglühenden
Augen, »die alte Lise ist eine weise Frau und der schwarze Kater keine
feindliche Kreatur, sondern ein gebildeter junger Mann von feinen Sitten
und ihr Cousin germain.« -- »Kann der Salamander fressen, ohne sich den
Bart zu versengen und elendiglich draufzugehn?« sagte der Registrator
Heerbrand. »Nein, nein!« schrie der Student Anselmus, »nun und nimmermehr
wird er das können: und die grüne Schlange liebt mich; denn ich bin ein
kindliches Gemüt und habe Serpentinas Augen geschaut.« -- »Die wird der
Kater auskratzen,« rief Veronika. -- »Salamander -- Salamander bezwingt sie
alle -- alle,« brüllte der Konrektor Paulmann in höchster Wut; »aber bin
ich in einem Tollhause? bin ich selbst toll? -- was schwatze ich denn für
wahnwitziges Zeug? -- Ja ich bin auch toll -- auch toll!« -- Damit sprang
der Konrektor Paulmann auf, riß sich die Perücke vom Kopfe und schleuderte
sie gegen die Stubendecke, daß die gequetschten Locken ächzten und im
gänzlichen Verderben aufgelöst den Puder weit umherstäubten. Da ergriffen
der Student Anselmus und der Registrator Heerbrand die Punschterrine, die
Gläser, und warfen sie jubelnd und jauchzend an die Stubendecke, daß die
Scherben klirrend und klingend umhersprangen. »Vivat Salamander! -- pereat
-- pereat die Alte! zerbrecht den Metallspiegel, hackt dem Kater die Augen
aus! -- Vöglein -- Vöglein aus den Lüften -- Eheu -- Eheu -- Evoe
-- Salamander!« -- So schrien und brüllten die Drei wie Besessene
durcheinander. Laut weinend sprang Fränzchen davon; aber Veronika lag
winselnd vor Jammer und Schmerz auf dem Sopha. Da ging die Tür auf, alles
war plötzlich still und es trat ein kleiner Mann in einem grauen Mäntelchen
herein. Sein Gesicht hatte etwas seltsam Gravitätisches, und vorzüglich
zeichnete sich die krummgebogene Nase, auf der eine große Brille saß, vor
allen jemals gesehenen aus. Auch trug er solch eine besondere Perücke, daß
sie eher eine Federmütze zu sein schien. »Ei, schönen guten Abend!«
schnarrte das possierliche Männlein, »hier finde ich ja wohl den Studiosus
Herrn Anselmus? Gehorsamste Empfehlung vom Herrn Archivarius Lindhorst und
er habe heute vergebens auf den Herrn Anselmus gewartet; aber morgen lasse
er schönstens bitten, ja nicht die gewohnte Stunde zu versäumen.« Damit
schritt er wieder zur Tür hinaus und alle sahen nun wohl, daß das
gravitätische Männlein eigentlich ein grauer Papagei war. Der Konrektor
Paulmann und der Registrator Heerbrand schlugen eine Lache auf, die durch
das Zimmer dröhnte und dazwischen winselte und ächzte Veronika wie von
namenlosem Jammer zerrissen; aber den Studenten Anselmus durchzuckte der
Wahnsinn des innern Entsetzens und er rannte bewußtlos zur Tür hinaus durch
die Straßen. Mechanisch fand er seine Wohnung, sein Stübchen. Bald darauf
trat Veronika friedlich und freundlich zu ihm und fragte: warum er sie denn
im Rausch so geängstigt habe und er möge sich nur vor neuen Einbildungen
hüten, wenn er bei dem Archivarius Lindhorst arbeite. »Gute Nacht, gute
Nacht, mein lieber Freund,« lispelte leise Veronika und hauchte einen Kuß
auf seine Lippen. Er wollte sie mit seinen Armen umfangen, aber die
Traumgestalt war verschwunden und er erwachte heiter und gestärkt. Nun
mußte er selbst recht herzlich über die Wirkungen des Punsches lachen; aber
indem er an Veronika dachte, fühlte er sich recht von einem behaglichen
Gefühl durchdrungen.
[Illustration: Der Graue Papagei überbringt Anselmus eine Botschaft des
Achivarius Lindhorst]
Ihr allein, sprach er zu sich selbst, habe ich es zu verdanken, daß ich
von meinen albernen Grillen zurückgekommen bin. Wahrhaftig, mir ging es
nicht besser als jenem, welcher glaubte, er sei von Glas, oder dem, der die
Stube nicht verließ, aus Furcht von den Hühnern gefressen zu werden, weil
er sich einbildete, ein Gerstenkorn zu sein. Aber, sowie ich Hofrat
geworden, heirate ich ohne weiteres die Mademoiselle Paulmann und bin
glücklich. -- Als er nun mittags durch den Garten des Archivarius Lindhorst
ging, konnte er sich nicht genug wundern, wie ihm das alles sonst so
seltsam und wundervoll habe vorkommen können. Er sah nichts als gewöhnliche
Scherbenpflanzen, allerlei Geranien, Myrtenstöcke und dergleichen. Statt
der glänzenden bunten Vögel, die ihn sonst geneckt, flatterten nur einige
Sperlinge hin und her, die ein unverständliches unangenehmes Geschrei
erhoben, als sie den Anselmus gewahr wurden. Das blaue Zimmer kam ihm auch
ganz anders vor und er begriff nicht, wie ihm das grelle Blau und die
natürlichen goldnen Stämme der Palmbäume mit den unförmlichen blinkenden
Blättern nur einen Augenblick hatten gefallen können. -- Der Archivarius
sah ihn mit einem ganz eignen ironischen Lächeln an und fragte: »Nun, wie
hat Ihnen gestern der Punsch geschmeckt, werter Anselmus?« -- »Ach gewiß
hat Ihnen der Papagei,« -- erwiderte der Student Anselmus ganz beschämt;
aber er stockte: denn er dachte nun wieder daran, daß auch die Erscheinung
des Papageis wohl nur Blendwerk der befangenen Sinne gewesen. »Ei, ich war
ja selbst in der Gesellschaft,« fiel der Archivarius Lindhorst ein, »haben
Sie mich denn nicht gesehen? Aber bei dem tollen Unwesen, das Ihr triebt,
wäre ich beinahe hart beschädigt worden; denn ich saß eben in dem
Augenblicke noch in der Terrine, als der Registrator Heerbrand danach
griff, um sie gegen die Decke zu schleudern und mußte mich schnell in des
Konrektors Pfeifenkopf retirieren. Nun Adieu, Herr Anselmus! -- seien Sie
fleißig, auch für den gestrigen versäumten Tag zahle ich den Speziestaler,
da Sie bisher so wacker gearbeitet.« -- »Wie kann der Archivarius nur solch
tolles Zeug faseln!« sagte der Student Anselmus zu sich selbst und setzte
sich an den Tisch, um die Kopie des Manuskripts zu beginnen, das der
Archivarius wie gewöhnlich vor ihm ausgebreitet. Aber er sah auf der
Pergamentrolle so viele sonderbare krause Züge und Schnörkel durcheinander,
die, ohne dem Auge einen einzigen Ruhepunkt zu geben, den Blick verwirrten,
daß es ihm beinahe unmöglich schien das alles genau nachzumalen. Ja bei dem
Überblick des Ganzen schien das Pergament nur ein bunt geaderter Marmor
oder ein mit Moosen durchsprenkelter Stein. -- Er wollte dessen unerachtet
das Mögliche versuchen und tunkte getrost die Feder ein; aber die Tinte
wollte durchaus nicht fließen, er spritzte die Feder ungeduldig aus und --
o Himmel! ein großer Klecks fiel auf das ausgebreitete Original. Zischend
und brausend fuhr ein blauer Blitz aus dem Fleck und schlängelte sich
krachend durch das Zimmer bis zur Decke hinauf. Da quoll ein dicker Dampf
aus den Wänden, die Blätter fingen an zu rauschen wie vom Sturme
geschüttelt und aus ihnen schossen blinkende Basilisken im flackernden
Feuer herab, den Dampf entzündend, daß die Flammenmassen prasselnd sich um
den Anselmus wälzten. Die goldnen Stämme der Palmbäume wurden zu
Riesenschlangen, die ihre gräßlichen Häupter in schneidendem Metallklange
zusammenstießen und mit den geschuppten Leibern den Anselmus umwanden.
»Wahnsinniger! erleide nun die Strafe dafür, was Du im frechen Frevel
tatest!« -- So rief die fürchterliche Stimme des gekrönten Salamanders, der
über den Schlangen wie ein blendender Strahl in den Flammen erschien, und
nun sprühten ihre aufgesperrten Rachen Feuerkatarakte auf den Anselmus und
es war als verdichteten sich die Feuerströme um seinen Körper und würden
zur festen eiskalten Masse. Aber indem des Anselmus Glieder enger und enger
sich zusammenziehend erstarrten, vergingen ihm die Gedanken. Als er wieder
zu sich selbst kam, konnte er sich nicht regen und bewegen, er war wie von
einem glänzenden Schein umgeben, an dem er sich, wollte er nur die Hand
erheben oder sonst sich rühren, stieß. -- Ach! er saß in einer
wohlverstopften Kristallflasche auf einem Repositorium im Bibliothekzimmer
des Archivarius Lindhorst.
[Illustration: Anselmus saß in einer wohlverstopften Kristallflasche]


ZEHNTE VIGILIE

Die Leiden des Studenten Anselmus in der gläsernen Flasche. -- Glückliches
Leben der Kreuzschüler und Praktikanten. -- Die Schlacht im
Bibliothekzimmer des Archivarius Lindhorst. -- Sieg des Salamanders und
Befreiung des Studenten Anselmus.

Mit Recht darf ich zweifeln, daß Du, günstiger Leser, jemals in einer
gläsernen Flasche verschlossen gewesen sein solltest, es sei denn, daß ein
lebendiger neckhafter Traum Dich einmal mit solchem feeischen Unwesen
befangen. War das der Fall, so wirst Du das Elend des armen Studenten
Anselmus recht lebhaft fühlen. Hast Du aber auch dergleichen nie geträumt,
so schließt Dich Deine rege Phantasie mir und dem Anselmus zu Gefallen wohl
auf einige Augenblicke in das Kristall ein. -- Du bist von blendendem
Glanze dicht umflossen, alle Gegenstände ringsumher erscheinen Dir von
strahlenden Regenbogenfarben erleuchtet und umgeben -- alles zittert und
wankt und dröhnt im Schimmer -- Du schwimmst regungs- und bewegungslos wie
in einem festgefrornen Äther, der Dich einpreßt, sodaß der Geist vergebens
dem toten Körper gebietet. Immer gewichtiger und gewichtiger drückt die
zentnerschwere Last Deine Brust -- immer mehr und mehr zehrt jeder Atemzug
die Lüftchen weg, die im engen Raum noch auf- und niederwallten -- Deine
Pulsadern schwellen auf und von gräßlicher Angst durchschnitten zuckt jeder
Nerv im Todeskampfe blutend. -- Habe Mitleid, günstiger Leser, mit dem
Studenten Anselmus, den diese namenlose Marter in seinem gläsernen
Gefängnisse ergriff; aber er fühlte wohl, daß der Tod ihn nicht erlösen
könne: denn erwachte er nicht aus der tiefen Ohnmacht, in die er im Übermaß
seiner Qual versunken, als die Morgensonne in das Zimmer hell und
freundlich hineinschien und fing seine Marter nicht von neuem an? Er konnte
kein Glied regen; aber seine Gedanken schlugen an das Glas, ihn im
mißtönenden Klange betäubend und er vernahm statt der Worte, die der Geist
sonst aus dem Innern gesprochen, nur das dumpfe Brausen des Wahnsinns. --
Da schrie er auf in Verzweiflung: »O Serpentina -- Serpentina, rette mich
von dieser Höllenqual!« Und es war als umwehten ihn leise Seufzer, die
legten sich um die Flasche wie grüne durchsichtige Holunderblätter; das
Tönen hörte auf, der blendende verwirrende Schein war verschwunden und er
atmete freier. »Bin ich denn nicht an meinem Elende lediglich selbst
Schuld? ach! habe ich nicht gegen Dich selbst, holde, geliebte Serpentina
gefrevelt? habe ich nicht schnöde Zweifel gegen Dich gehegt? habe ich nicht
den Glauben verloren und mit ihm alles, alles was mich hoch beglücken
sollte? Ach Du wirst nun wohl nimmer mein werden, für mich ist der goldne
Topf verloren, ich darf seine Wunder nimmermehr schauen! Ach, nur ein
einziges Mal möcht' ich Dich sehen, Deine holde süße Stimme hören,
liebliche Serpentina!« -- So klagte der Student Anselmus von tiefem
schneidendem Schmerz ergriffen; da sagte jemand dicht neben ihm: »Ich weiß
garnicht was Sie wollen, Herr Studiosus, warum lamentieren Sie so über alle
Maßen?« -- Der Student Anselmus wurde gewahr, daß neben ihm auf demselben
Repositorium noch fünf Flaschen standen, in welchen er drei Kreuzschüler
und zwei Praktikanten erblickte. -- »Ach, meine Herren und Gefährten im
Unglück,« rief er aus, »wie ist es Ihnen denn möglich, so gelassen, ja so
vergnügt zu sein, wie ich es an Ihren heitern Mienen bemerke? Sie sitzen ja
doch eben so gut eingesperrt in gläsernen Flaschen als ich und können sich
nicht regen und bewegen, ja nicht einmal was Vernünftiges denken, ohne daß
ein Mordlärmen entsteht mit Klingen und Schallen und ohne daß es Ihnen im
Kopfe ganz schrecklich saust und braust. Aber Sie glauben gewiß nicht an
den Salamander und an die grüne Schlange!« -- Sie faseln wohl, mein Herr
Studiosus,« erwiderte ein Kreuzschüler, »nie haben wir uns besser befunden
als jetzt: denn die Speziestaler, welche wir von dem tollen Archivarius
erhalten für allerlei konfuse Abschriften, tun uns wohl; wir dürfen jetzt
keine italienischen Chöre mehr auswendig lernen, wir gehen jetzt alle Tage
zu Josephs oder sonst in andere Kneipen, lassen uns das Doppelbier wohl
schmecken, sehen auch wohl einem hübschen Mädchen in die Augen, singen wie
wirkliche Studenten: gaudeamus igitur und sind seelenvergnügt.« -- »Die
Herren haben ganz recht,« fiel ein Praktikant ein, »auch ich bin mit
Speziestalern reichlich versehen, wie hier mein teurer Kollege nebenan und
spaziere fleißig auf den Weinberg, statt bei der leidigen Aktenschreiberei
zwischen vier Wänden zu sitzen.« -- »Aber meine besten wertesten Herren,«
sagte der Student Anselmus, »spüren Sie es denn nicht, daß Sie alle samt
und sonders in gläsernen Flaschen sitzen und sich nicht regen und bewegen,
viel weniger umherspazieren können?« -- Da schlugen die Kreuzschüler und
die Praktikanten eine helle Lache auf und schrien: »Der Studiosus ist toll,
er bildet sich ein in einer gläsernen Flasche zu sitzen und steht auf der
Elbbrücke und sieht gerade hinein ins Wasser. Gehen wir nur weiter!«
-- »Ach,« seufzte der Student, »die schauten niemals die holde Serpentina,
sie wissen nicht was Freiheit und Leben in Glauben und Liebe ist! deshalb
spüren sie nicht den Druck des Gefängnisses, in das sie der Salamander
bannte, ihrer Torheit, ihres gemeinen Sinnes wegen; aber ich Unglücklicher
werde vergehen in Schmach und Elend, wenn sie, die ich so unaussprechlich
liebe, mich nicht rettet.« -- Da wehte und säuselte Serpentina's Stimme
durch das Zimmer: »Anselmus! glaube, liebe, hoffe!« -- Und jeder Laut
strahlte in das Gefängnis des Anselmus hinein und das Kristall mußte seiner
Gewalt weichen und sich ausdehnen, daß die Brust des Gefangenen sich regen
und bewegen konnte. Immer mehr verringerte sich die Qual seines Zustandes
und er merkte wohl, daß ihn Serpentina noch liebe und daß nur _sie_ es
sei, die ihm den Aufenthalt in dem Kristall erträglich mache. Er bekümmerte
sich nicht mehr um seine leichtsinnigen Unglücksgefährten, sondern richtete
Sinn und Gedanken nur auf die holde Serpentina. -- Aber plötzlich entstand
von der andern Seite her ein dumpfes widriges Gemurmel. Er konnte bald
deutlich bemerken, daß dies Gemurmel von einer alten Kaffeekanne mit
halbzerbrochenem Deckel herrührte, die ihm gegenüber auf einem kleinen
Schrank hingestellt war. Sowie er schärfer hinschaute, entwickelten sich
immer mehr die garstigen Züge eines alten verschrumpften Weibergesichts und
bald stand das Äpfelweib vom schwarzen Tor vor dem Repositorium. Die
grinste und lachte ihn an und rief mit gellender Stimme: »Ei, ei,
Kindchen! -- mußt Du nun ausharren? -- Ins Kristall nun Dein Fall! hab' ich
Dir's nicht längst vorausgesagt?« -- »Höhne und spotte nur, Du verdammtes
Hexenweib,« sagte der Student Anselmus, »Du bist Schuld an allem, aber der
Salamander wird Dich treffen, Du schnöde Runkelrübe!« -- »Ho, ho!«
erwiderte die Alte, »nur nicht so stolz! Du hast meinen Söhnlein ins
Gesicht getreten, Du hast mir die Nase verbrannt, aber doch bin ich Dir
gut, Du Schelm, weil Du sonst ein artiger Mensch warst und mein Töchterchen
ist Dir auch gut. Aus dem Kristall kommst Du aber nun einmal nicht, wenn
ich Dir nicht helfe; hinauflangen zu Dir kann ich nicht; aber meine Frau
Gevatterin, die Ratte, welche gleich über Dir auf dem Boden wohnt, die soll
das Brett entzweinagen, auf dem Du stehst, dann purzelst Du hinunter und
ich fange Dich auf in der Schürze, damit Du Dir die Nase nicht zerschlägst,
sondern fein Dein glattes Gesichtlein erhältst und ich trage Dich flugs zu
Mamsell Veronika, die mußt Du heiraten, wenn Du Hofrat geworden.« -- »Laß
ab von mir, Satansgeburt,« schrie der Student Anselmus voller Grimm, »nur
Deine höllischen Künste haben mich zu dem Frevel gereizt, den ich nun
abbüßen muß. -- Aber geduldig ertrage ich alles: denn nur hier kann ich
sein, wo die holde Serpentina mich mit Liebe und Trost umfängt! -- Hör' es
Alte und verzweifle! Trotz biete ich Deiner Macht, ich liebe ewiglich nur
Serpentina -- ich will nie Hofrat werden -- nie die Veronika schauen, die
mich durch Dich zum Bösen verlockt! -- Kann die grüne Schlange nicht mein
werden, so will ich untergehen in Sehnsucht und Schmerz! -- Hebe Dich weg
-- hebe Dich weg -- Du schnöder Wechselbalg!« -- Da lachte die Alte auf,
daß es im Zimmer gellte und rief: »So sitze denn und verderbe, aber nun
ist's Zeit ans Werk zu gehen: denn mein Geschäft hier ist noch von anderer
Art.« -- Sie warf den schwarzen Mantel ab und stand da in ekelhafter
Nacktheit, dann fuhr sie in Kreisen umher und große Folianten stürzten
herab, aus denen riß sie Pergamentblätter, und diese im künstlichen Gefüge
schnell zusammenheftend und auf den Leib ziehend, war sie bald wie in einen
seltsamen bunten Schuppenharnisch gekleidet. Feuersprühend sprang der
schwarze Kater aus dem Tintenfasse, das auf dem Schreibtische stand und
heulte der Alten entgegen, die laut aufjubelte und mit ihm durch die Tür
verschwand. Anselmus merkte, daß sie nach dem blauen Zimmer gegangen und
bald hörte er es in der Ferne zischen und brausen, die Vögel im Garten
schrien, der Papagei schnarrte: »Rette -- rette! Raub -- Raub!« -- In dem
Augenblick kam die Alte ins Zimmer zurückgesprungen, den goldenen Topf auf
dem Arm tragend und mit gräßlicher Geberde wild durch die Lüfte schreiend:
»Glück auf! -- Glück auf! -- Söhnlein -- töte die grüne Schlange! auf,
Söhnlein, auf!« -- Es war dem Anselmus als höre er ein tiefes Stöhnen, als
höre er Serpentina's Stimme. Da ergriff ihn Entsetzen und Verzweiflung.
-- Er raffte alle seine Kräfte zusammen; er stieß mit Gewalt, als sollten
Nerven und Adern zerspringen, gegen das Kristall -- ein schneidender Klang
fuhr durch das Zimmer und der Archivarius stand in der Tür in seinem
glänzenden damastnen Schlafrock; »Hei, hei! Gesindel, toller Spuk
-- Hexenwerk -- hierher -- heisa!« So schrie er. Da richteten sich die
schwarzen Haare der Alten wie Borsten empor, ihre glutroten Augen
erglänzten von höllischem Feuer und die spitzigen Zähne des weiten Rachens
zusammenbeißend, zischte sie: »frisch -- frisch 'raus -- zisch aus, zisch
aus! und lachte und meckerte höhnend und spottend und drückte den goldnen
Topf fest an sich und warf daraus Fäuste voll glänzender Erde auf den
Archivarius, aber so wie die Erde den Schlafrock berührte, wurden Blumen
daraus, die herabfielen. Da flackerten und flammten die Lilien des
Schlafrocks empor und der Archivarius schleuderte die in knisterndem Feuer
brennenden Lilien auf die Hexe, die vor Schmerz heulte; aber indem sie in
die Höhe sprang und den pergamentnen Harnisch schüttelte, verlöschten die
Lilien und zerfielen in Asche. »Frisch darauf, mein Junge!« kreischte die
Alte, da fuhr der Kater auf in die Luft und brauste fort nach der Tür über
den Archivarius; aber der graue Papagei flatterte ihm entgegen und faßte
ihn mit dem krummen Schnabel im Genick, daß rotes feuriges Blut ihm aus dem
Halse stürzte und Serpentina's Stimme rief: »Gerettet! -- gerettet!« -- Die
Alte sprang voll Wut und Verzweiflung auf den Archivarius los, sie warf den
Topf hinter sich und wollte, die langen Finger der dürren Fäuste
emporspreizend, den Archivarius umkrallen; aber dieser riß schnell den
Schlafrock herunter und schleuderte ihn der Alten entgegen. Da zischten und
sprühten und brausten blaue knisternde Flammen aus den Pergamentblättern
und die Alte wälzte sich im heulenden Jammer und trachtete immer mehr Erde
aus dem Topfe zu greifen, immer mehr Pergamentblätter aus den Büchern zu
erhaschen, um die lodernden Flammen zu ersticken; und wenn ihr es gelang
Erde oder Pergamentblätter auf sich zu stürzen, verlöschte das Feuer. Aber
nun fuhren wie aus dem Innern des Archivarius flackernde zischende Strahlen
auf die Alte. »Hei, hei! drauf und dran -- Sieg dem Salamander!« dröhnte
die Stimme des Archivarius durch das Zimmer, und hundert Blitze
schlängelten sich in feurigen Kreisen um die kreischende Alte. Sausend und
brausend fuhren in wütendem Kampfe Kater und Papagei umher; aber endlich
schlug der Papagei mit den starken Fittichen den Kater zu Boden und mit den
Krallen ihn durchspießend und festhaltend, daß er in der Todesnot gräßlich
heulte und ächzte, hackte er ihm mit dem scharfen Schnabel die glühenden
Augen aus, daß der brennende Gischt herausspritzte. -- Dicker Qualm strömte
da empor, wo die Alte zur Erde niedergestürzt unter dem Schlafrock gelegen;
ihr Geheul, ihr entsetzliches schneidendes Jammergeschrei verhallte in
weiter Ferne. Der Rauch, der sich mit durchdringendem Gestank verbreitet,
verdampfte, der Archivarius hob den Schlafrock auf und unter demselben lag
eine garstige Runkelrübe. »Verehrter Herr Archivarius, hier bringe ich den
überwundenen Feind,« sprach der Papagei, indem er den [dem] Archivarius
Lindhorst ein schwarzes Haar im Schnabel darreichte. »Sehr gut, mein
Lieber,« antwortete der Archivarius, »hier liegt auch meine überwundene
Feindin, besorgen Sie gütigst nunmehr das Übrige; noch heute erhalten Sie
als ein kleines Douceur sechs Kokosnüsse und eine neue Brille, da, wie ich
sehe, der Kater Ihnen die Gläser schändlich zerbrochen.« -- »Lebenslang der
Ihrige, verehrungswürdiger Freund und Gönner!« versetzte der Papagei sehr
vergnügt, nahm die Runkelrübe in den Schnabel und flatterte damit zum
Fenster hinaus, das ihm der Archivarius Lindhorst geöffnet.
[Illustration: Der Rauch verdampfte]
Dieser ergriff den goldenen Topf und rief stark: »Serpentina,
Serpentina!« -- Aber wie nun der Student Anselmus hoch erfreut über den
Untergang des schnöden Weibes, das ihn ins Verderben gestürzt, den
Archivarius anblickte, da war es wieder die hohe majestätische Gestalt des
Geisterfürsten, die mit unbeschreiblicher Anmut und Würde zu ihm
hinaufschaute. -- »Anselmus,« sprach der Geisterfürst, »nicht Du, sondern
nur ein feindliches Prinzip, das zerstörend in Dein Inneres zu dringen und
Dich mit Dir selbst zu entzweien trachtete, war Schuld an Deinem Unglauben.
Du hast Deine Treue bewährt, sei frei und glücklich.« Ein Blitz zuckte
durch das Innere des Anselmus, der herrliche Dreiklang der Kristallglocken
ertönte stärker und mächtiger, als er ihn je vernommen -- seine Fibern und
Nerven erbebten -- aber immer mehr anschwellend dröhnte der Akkord durch
das Zimmer, das Glas, welches den Anselmus umschlossen, zersprang und er
stürzte in die Arme der holden lieblichen Serpentina.


ELFTE VIGILIE

Des Konrektors Paulmann Unwille über die in seiner Familie ausgebrochene
Tollheit. -- Wie der Registrator Heerbrand Hofrat worden und im stärksten
Froste in Schuhen und seidenen Strümpfen einherging. -- Veronika's
Geständnisse. -- Verlobung bei der dampfenden Suppenschüssel.

Aber sagen Sie mir nur, wertester Registrator, wie uns gestern der
vermaledeite Punsch so in den Kopf steigen und zu allerlei Allotriis
treiben konnte?« -- Dies sprach der Konrektor Paulmann, indem er am andern
Morgen in das Zimmer trat, das noch voll zerbrochener Scherben lag und in
dessen Mitte die unglückliche Perücke in ihre ursprünglichen Bestandteile
aufgelöst im Punsche umherschwamm. Als der Student Anselmus zur Tür
hinausgerannt war, kreuzten und wackelten der Konrektor Paulmann und der
Registrator Heerbrand durch das Zimmer, schreiend wie Besessene und mit den
Köpfen aneinander rennend, bis Fränzchen den schwindligen Papa mit vieler
Mühe ins Bett brachte und der Registrator in höchster Ermattung aufs Sofa
sank, welches Veronika, ins Schlafzimmer flüchtend, verlassen. Der
Registrator Heerbrand hatte sein blaues Schnupftuch um den Kopf gewickelt,
sah ganz blaß und melancholisch aus und stöhnte: »Ach, werter Konrektor,
nicht der Punsch, den Mamsell Veronika köstlich bereitet, nein! -- sondern
lediglich der verdammte Student ist an all' dem Unwesen schuld. Merken Sie
denn nicht, daß er schon längst mente captus ist? Aber wissen Sie denn
nicht auch, daß der Wahnsinn ansteckt? -- Ein Narr macht viele; verzeihen
Sie, dies ist ein altes Sprichwort; vorzüglich, wenn man ein Gläschen
getrunken, da gerät man leicht in die Tollheit und manövriert unwillkürlich
nach und bricht aus in die Exercitia, die der verrückte Flügelmann
vormacht. Glauben Sie denn, Konrektor, daß mir noch ganz schwindlig ist,
wenn ich an den grauen Papagei denke?« -- »Ach was,« fiel der Konrektor
ein, »Possen! -- es war ja der alte kleine Famulus des Archivarii, der
einen grauen Mantel umgenommen und den Studenten Anselmus suchte.« -- »Es
kann sein,« versetzte der Registrator Heerbrand, »aber ich muß gestehen,
daß mir ganz miserabel zu Mute ist; die ganze Nacht über hat es so
wunderlich georgelt und gepfiffen.« -- »Das war ich«, erwiderte der
Konrektor, »denn ich schnarche stark.« -- »Nun, mag das sein,« fuhr der
Registrator fort, »aber Konrektor, Konrektor! -- nicht ohne Ursache hatte
ich gestern dafür gesorgt, uns einige Fröhlichkeit zu bereiten -- aber der
Anselmus hat mir alles verdorben. -- Sie wissen nicht -- o Konrektor,
Konrektor!« -- Der Registrator Heerbrand sprang auf, riß das Tuch vom
Kopfe, umarmte den Konrektor, drückte ihm feurig die Hand, rief noch einmal
ganz herzbrechend: »O Konrektor, Konrektor!« und rannte Hut und Stock
ergreifend schnell von dannen. »Der Anselmus soll mir nicht mehr über die
Schwelle,« sprach der Konrektor Paulmann zu sich selbst, »denn ich sehe nun
wohl, daß er mit seinem verstockten innern Wahnsinn die besten Leute um ihr
bißchen Vernunft bringt; der Registrator ist nun auch geliefert -- ich habe
mich bisher noch gehalten, aber der Teufel, der gestern im Rausch stark
anklopfte, könnte doch wohl am Ende einbrechen und sein Spiel treiben.
-- Also apage Satanas! -- fort mit dem Anselmus!« -- Veronika war ganz
tiefsinnig geworden, sie sprach kein Wort, lächelte nur zuweilen ganz
seltsam und war am liebsten allein. »Die hat Anselmus auch auf der Seele«,
sagte der Konrektor voller Bosheit, »aber es ist gut, daß er sich garnicht
sehen läßt, ich weiß, daß er sich vor mir fürchtet -- der Anselmus, deshalb
kommt er garnicht her.« Das Letzte sprach der Konrektor Paulmann ganz laut,
da stürzten der Veronika, die eben gegenwärtig, die Tränen aus den Augen
und sie seufzte: »Ach, kann denn der Anselmus herkommen? Der ist ja schon
längst in die gläserne Flasche eingesperrt.« -- »Wie? was?« rief der
Konrektor Paulmann. »Ach Gott -- ach Gott, auch sie faselt schon wie der
Registrator, es wird bald zum Ausbruch kommen. -- Ach du verdammter
abscheulicher Anselmus!« -- Er rannte gleich fort zum Doktor Eckstein, der
lächelte und sagte wieder: »Ei, ei!« -- Er verschrieb aber nichts, sondern
setzte dem wenigen, was er geäußert, noch weggehend hinzu: »Nervenzufälle!
-- wird sich geben von selbst -- in die Luft führen -- spazieren fahren
-- sich zerstreuen -- Theater -- Sonntagskind -- Schwestern von Prag --
wird sich geben!« -- »So beredt war der Doktor selten,« dachte der
Konrektor Paulmann, »ordentlich geschwätzig.« -- Mehrere Tage und Wochen
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