Der Goldene Topf - 5

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bis zur höchsten Wonne stieg. Jede Not, jede kleinliche Sorge seiner
dürftigen Existenz war ihm aus Sinn und Gedanken entschwunden, und in dem
neuen Leben, das ihm wie im hellen Sonnenglanze aufgegangen, begriff er
alle Wunder einer höheren Welt, die ihn sonst mit Staunen, ja mit Grausen
erfüllt hatten. Mit dem Abschreiben ging es sehr schnell, indem es ihm
immer mehr dünkte, er schreibe nur längst gekannte Züge auf das Pergament
hin und dürfe kaum nach dem Original sehen, um alles mit der größten
Genauigkeit nachzumalen. -- Außer der Tischzeit ließ sich der Archivarius
Lindhorst nur dann und wann sehen, aber jedesmal erschien er genau in dem
Augenblick, wenn Anselmus eben die letzten Zeichen einer Handschrift
vollendet hatte, und gab ihm dann eine andere, verließ ihn aber gleich
wieder schweigend, nachdem er nur mit einem schwarzen Stäbchen die Tinte
umgerührt und die gebrauchten Federn mit neuen, schärfer gespitzten
vertauscht hatte. Eines Tages, als Anselmus mit dem Glockenschlag zwölf
bereits die Treppe hinaufgestiegen, fand er die Tür, durch die er
gewöhnlich hineingegangen, verschlossen, und der Archivarius Lindhorst
erschien in seinem wunderlichen wie mit glänzenden Blumen bestreuten
Schlafrock von der andern Seite. Er rief laut: »Heute kommen Sie nur hier
herein, werter Anselmus, denn wir müssen in das Zimmer, wo Bhogovotgita's
Meister unsrer warten.« Er schritt durch den Korridor und führte Anselmus
durch dieselben Gemächer und Säle, wie das erste Mal. Der Student Anselmus
erstaunte auf's neue über die wunderbare Herrlichkeit des Gartens, aber er
sah nun deutlich, daß manche seltsame Blüten, die an den dunklen Büschen
hingen, eigentlich in glänzenden Farben prunkende Insekten waren, die mit
den Flüglein auf und nieder schlugen und durcheinander tanzend und wirbelnd
sich mit ihren Saugrüsseln zu liebkosen schienen. Dagegen waren wieder die
rosenfarbenen und himmelblauen Vögel duftende Blumen, und der Geruch, den
sie verbreiteten, stieg aus ihren Kelchen empor in leisen lieblichen Tönen,
die sich mit dem Geplätscher der fernen Brunnen, mit dem Säuseln der hohen
Stauden und Bäume zu geheimnisvollen Akkorden einer tiefklagenden Sehnsucht
vermischten. Die Spottvögel, die ihn das erste Mal so geneckt und gehöhnt,
flatterten ihm wieder um den Kopf und schrieen mit ihren feinen Stimmchen
unaufhörlich: »Herr Studiosus, Herr Studiosus, eilen Sie nicht so -- gucken
Sie nicht so in die Wolken -- Sie könnten auf die Nase fallen. -- He, he!
Herr Studiosus -- nehmen Sie den Pudermantel um -- Gevatter Schuhu soll
Ihnen den Toupet frisieren.« So ging es fort in allerlei dummem Geschwätz,
bis Anselmus den Garten verlassen. Der Archivarius Lindhorst trat endlich
in das azurblaue Zimmer; der Porphyr mit dem goldnen Topf war verschwunden,
statt dessen stand ein mit violettem Samt behangener Tisch, auf dem die dem
Anselmus bekannten Schreibmaterialien befindlich, in der Mitte des Zimmers
und ein ebenso beschlagener Lehnstuhl stand vor demselben. »Lieber Herr
Anselmus,« sagte der Archivarius Lindhorst, »Sie haben nun schon manches
Manuskript schnell und richtig zu meiner Zufriedenheit kopiert, Sie haben
sich mein Zutrauen erworben; das Wichtigste bleibt aber noch zu tun übrig,
und das ist das Abschreiben oder vielmehr Nachmalen gewisser in besonderen
Zeichen geschriebener Werke, die ich hier in diesem Zimmer aufbewahre und
die nur an Ort und Stelle kopiert werden können. Sie werden daher künftig
hier arbeiten, aber ich muß Ihnen die größte Vorsicht und Aufmerksamkeit
empfehlen; ein falscher Strich, oder was der Himmel verhüten möge, ein
Tintenfleck auf das Original gespritzt, stürzt Sie ins Unglück.« --
Anselmus bemerkte, daß aus den goldnen Stämmen der Palmbäume kleine
smaragdgrüne Blätter herausragten; eins dieser Blätter erfaßte der
Archivarius, und Anselmus wurde gewahr, daß das Blatt eigentlich in einer
Pergamentrolle bestand, die der Archivarius aufwickelte und vor ihm auf den
Tisch breitete. Anselmus wunderte sich nicht wenig über die seltsam
verschlungenen Zeichen, und bei dem Anblick der vielen Pünktchen, Striche
und Züge und Schnörkel, die bald Pflanzen, bald Moose, bald Tiergestalten
darzustellen schienen, wollte ihm beinahe der Mut sinken, alles so genau
nachmalen zu können. Er geriet darüber in tiefe Gedanken. »Mut gefaßt,
junger Mensch!« rief der Archivarius, »hast Du bewährten Glauben und wahre
Liebe, so hilft Dir Serpentina!« Seine Stimme tönte wie klingendes Metall,
und als Anselmus in jähem Schreck aufblickte, stand der Archivarius
Lindhorst in der königlichen Gestalt vor ihm, wie er ihm bei dem ersten
Besuch im Bibliothekzimmer erschienen. Es war dem Anselmus, als müsse er
von Ehrfurcht durchdrungen auf die Knie sinken, aber da stieg der
Archivarius Lindhorst an dem Stamm eines Palmbaums in die Höhe und
verschwand in den smaragdnen Blättern. -- Der Student Anselmus begriff, daß
der Geisterfürst mit ihm gesprochen und nun in sein Studierzimmer
hinaufgestiegen, um vielleicht mit den Strahlen, die einige Planeten als
Gesandte zu ihm geschickt, Rücksprache zu halten, was nun mit ihm und der
holden Serpentina geschehen solle. -- Auch kann es sein, dachte er ferner,
daß ihn Neues von den Quellen des Nils erwartet, oder daß ein Magus aus
Lappland ihn besucht -- mir geziemt es nun, emsig an die Arbeit zu gehen.
-- Und damit fing er an die fremden Zeichen der Pergamentrolle zu
studieren. -- Die wunderbare Musik des Gartens tönte zu ihm herüber und
umgab ihn mit süßen lieblichen Düften, auch hörte er wohl die Spottvögel
kickern, doch verstand er ihre Worte nicht, was ihm auch recht lieb war.
Zuweilen war es auch als rauschten die smaragdenen Blätter der Palmbäume
und als strahlten dann die holden Kristallklänge, welche Anselmus an jenem
verhängnisvollen Himmelfahrtstage unter dem Holunderbusch hörte, durch das
Zimmer. Der Student Anselmus, wunderbar gestärkt durch dies Tönen und
Leuchten, richtete immer fester und fester Sinn und Gedanken auf die
Überschrift der Pergamentrolle, und bald fühlte er wie aus dem Innersten
heraus, daß die Zeichen nichts anders bedeuten könnten, als die Worte: Von
der Vermählung des Salamanders mit der grünen Schlange. -- Da ertönte ein
starker Dreiklang heller Kristallglocken. -- »Anselmus, lieber Anselmus,«
wehte es ihm zu aus den Blättern, und o Wunder! an dem Stamm des Palmbaums
schlängelte sich die grüne Schlange herab. -- »Serpentina! holde
Serpentina!« rief Anselmus wie im Wahnsinn des höchsten Entzückens, denn so
wie er schärfer hinblickte, da war es ja ein liebliches herrliches Mädchen,
die mit den dunkelblauen Augen, wie sie in seinem Innern lebten, voll
unaussprechlicher Sehnsucht ihn anschauend, ihm entgegenschwebte. Die
Blätter schienen sich herabzulassen und auszudehnen, überall sproßten
Stacheln aus den Stämmen, aber Serpentina wand und schlängelte sich
geschickt durch, indem sie ihr flatterndes, wie in schillernden Farben
glänzendes Gewand nach sich zog, so daß es sich dem schlanken Körper
anschmiegend nirgends hängen blieb an den hervorragenden Spitzen und
Stacheln der Palmbäume. Sie setzte sich neben dem Anselmus auf denselben
Stuhl, ihn mit dem Arm umschlingend und an sich drückend, so daß er den
Hauch, der von ihren Lippen strömte, die elektrische Wärme ihres Körpers
fühlte. »Lieber Anselmus!« fing Serpentina an, »nun bist Du bald ganz mein,
durch Deinen Glauben, durch Deine Liebe erringst Du mich, und ich bringe
Dir den goldnen Topf, der uns beide beglückt immerdar.« -- »O Du holde,
liebe Serpentina,« sagte Anselmus, »wenn ich nur Dich habe, was kümmert
mich sonst alles Übrige? Wenn Du nur mein bist, so will ich gern untergehen
in all' dem Wunderbaren und Seltsamen, was mich befängt seit dem
Augenblick, als ich Dich sah.« -- »Ich weiß wohl,« fuhr Serpentina fort,
»daß das Unbekannte und Wunderbare, womit mein Vater oft nur zum Spiel
seiner Laune Dich umfangen, Grausen und Entsetzen in Dir erregt hat, aber
jetzt soll es, wie ich hoffe, nicht wieder geschehen, denn ich bin in
diesem Augenblick nur da, um Dir, mein lieber Anselmus, alles und jedes aus
tiefem Gemüte, aus tiefer Seele haarklein zu erzählen, was Dir zu wissen
nötig, um meinen Vater ganz zu kennen und überhaupt recht deutlich
einzusehen, was es mit ihm und mit mir für eine Bewandtnis hat.« Dem
Anselmus war es, als sei er von der holden lieblichen Gestalt so ganz und
gar umschlungen und umwunden, daß er sich nur mit ihr regen und bewegen
könne, und als sei es nur der Schlag ihres Pulses, der durch seine Fibern
und Nerven zitterte; er horchte auf jedes ihrer Worte, das bis in sein
Innerstes erklang und wie ein leuchtender Strahl die Wonne des Himmels in
ihm entzündete. Er hatte den Arm um ihren schlanker als schlanken Leib
gelegt, aber der schillernde glänzende Stoff ihres Gewandes war so glatt,
so schlüpfrig, daß es ihm schien, als könne sie, sich ihm schnell
entwindend, unaufhaltsam entschlüpfen, und er erbebte bei dem Gedanken.
»Ach, verlaß mich nicht, holde Serpentina!« rief er unwillkürlich aus, »nur
Du bist mein Leben!« -- »Nicht eher heute,« sagte Serpentina, »als bis ich
alles erzählt habe, was Du in Deiner Liebe zu mir begreifen kannst. --
Wisse also, Geliebter, daß mein Vater aus dem wunderbaren Geschlecht der
Salamander abstammt, und daß ich mein Dasein seiner Liebe zur grünen
Schlange verdanke. In uralter Zeit herrschte in dem Wunderlande Atlantis
der mächtige Geisterfürst Phosphorus, dem die Elementargeister dienten.
Einst ging der Salamander, den er vor allen liebte (es war mein Vater), in
dem prächtigen Garten, den des Phosphorus Mutter mit ihren schönsten Gaben
auf das herrlichste geschmückt hatte, umher und hörte, wie eine hohe Lilie
in leisen Tönen sang: »Drücke fest die Äuglein zu, bis mein Geliebter, der
Morgenwind, Dich weckt.« Er trat hinzu; von seinem glühenden Hauch berührt,
erschloß die Lilie ihre Blätter und er erblickte der Lilie Tochter, die
grüne Schlange, welche in dem Kelch schlummerte. Da wurde der Salamander
von heißer Liebe zu der schönen Schlange ergriffen, und er raubte sie der
Lilie, deren Düfte in namenloser Klage vergebens im ganzen Garten nach der
geliebten Tochter riefen. Denn der Salamander hatte sie in das Schloß des
Phosphorus getragen und bat ihn: vermähle mich mit der Geliebten, denn sie
soll mein eigen sein immerdar. Törichter, was verlangst du! sprach der
Geisterfürst, wisse, daß einst die Lilie meine Geliebte war und mit mir
herrschte; aber der Funke, den ich in sie warf, drohte sie zu vernichten
und nur der Sieg über den schwarzen Drachen, den jetzt die Erdgeister in
Ketten gebunden halten, erhielt die Lilie, daß ihre Blätter stark genug
blieben, den Funken in sich zu schließen und zu bewahren. Aber, wenn Du die
grüne Schlange umarmst, wird Deine Glut den Körper verzehren und ein neues
Wesen schnell emporkeimend sich Dir entschwingen. Der Salamander achtete
der Warnung des Geisterfürsten nicht; voll glühenden Verlangens schloß er
die grüne Schlange in seine Arme, sie zerfiel in Asche und ein geflügeltes
Wesen aus der Asche geboren rauschte fort durch die Lüfte. Da ergriff den
Salamander der Wahnsinn der Verzweiflung und er rannte Feuer und Flammen
sprühend durch den Garten und verheerte ihn in wilder Wut, daß die
schönsten Blumen und Blüten verbrannt niedersanken und ihr Jammer die Luft
erfüllte. Der hocherzürnte Geisterfürst erfaßte im Grimm den Salamander und
sprach: Ausgeraset hat Dein Feuer -- erloschen sind Deine Flammen,
erblindet Deine Strahlen -- sinke hinab zu den Erdgeistern, die mögen Dich
necken und höhnen und gefangen halten, bis der Feuerstoff sich wieder
entzündet und mit Dir als einem neuen Wesen aus der Erde emporstrahlt.
[Illustration: Die Lilie]
Der arme Salamander sank erloschen hinab, aber da trat der alte mürrische
Erdgeist, der des Phosphorus Gärtner war, hinzu und sprach: Herr! wer
sollte mehr über den Salamander klagen als ich? Habe ich nicht all die
schönen Blumen, die er verbrannt, mit meinen schönsten Metallen geputzt?
habe ich nicht ihre Keime wacker gehegt und gepflegt und an ihnen manche
schöne Farbe verschwendet? -- und doch nehme ich mich des armen Salamanders
an, den nur die Liebe, von der Du selbst schon oft, o Herr, befangen, zur
Verzweiflung getrieben, in der er den Garten verwüstet. Erlasse ihm die zu
harte Strafe! -- Sein Feuer ist für jetzt erloschen, sprach der
Geisterfürst; in der unglücklichen Zeit, wenn die Sprache der Natur dem
entarteten Geschlecht der Menschen nicht mehr verständlich sein, wenn die
Elementargeister in ihre Regionen gebannt, nur aus weiter Ferne in dumpfen
Anklängen zu den Menschen sprechen werden, wenn dem harmonischen Kreise
entrückt, nur ein unendliches Sehnen ihm die dunkle Kunde von dem
wundervollen Reiche geben wird, das er sonst bewohnen durfte, als noch
Glaube und Liebe in seinem Gemüte wohnten, -- in dieser unglücklichen Zeit
entzündet sich der Feuerstoff des Salamanders auf's neue, doch nur zum
Menschen keimt er empor und muß, ganz eingehend in das dürftige Leben,
dessen Bedrängnisse ertragen. Aber nicht allein die Erinnerung an seinen
Urzustand soll ihm bleiben, sondern er lebt auch wieder auf in der heiligen
Harmonie mit der ganzen Natur, er versteht ihre Wunder und die Macht der
verbrüderten Geister steht ihm zu Gebote. In einem Lilienbusch findet er
dann die grüne Schlange wieder, und die Frucht seiner Vermählung mit ihr
sind drei Töchter, die den Menschen in der Gestalt der Mutter erscheinen.
Zur Frühlingszeit sollen sie sich in den dunklen Holunderbusch hängen und
ihre lieblichen Kristallstimmen ertönen lassen. Findet sich dann in der
dürftigen armseligen Zeit der innern Verstocktheit ein Jüngling, der ihren
Gesang vernimmt, ja, blickt ihn eine der Schlänglein mit ihren holdseligen
Augen an, entzündet der Blick in ihm die Ahnung des fernen wundervollen
Landes, zu dem er sich mutig emporschwingen kann, weil er die Bürde des
Gemeinen abgeworfen, keimt mit der Liebe zur Schlange in ihm der Glaube an
die Wunder der Natur, ja an seine eigene Existenz in diesen Wundern
glutvoll und lebendig auf, so wird die Schlange sein. Aber nicht eher, bis
drei Jünglinge dieser Art erfunden und mit den drei Töchtern vermählt
werden, darf der Salamander seine lästige Bürde abwerfen und zu seinen
Brüdern gehen. Erlaube, Herr, sagte der Erdgeist, daß ich diesen drei
Töchtern ein Geschenk mache, das ihr Leben mit dem gefundenen Gemahl
verherrlicht. Jede erhält von mir einen Topf vom schönsten Metall, das ich
besitze; den poliere ich mit Strahlen, die ich dem Diamant entnommen; in
seinem Glanze soll sich unser wundervolles Reich, wie es jetzt im Einklang
mit der ganzen Natur besteht, in blendendem herrlichem Widerschein
abspiegeln, aus seinem Innern aber in dem Augenblick der Vermählung eine
Feuerlilie entsprießen, deren ewige Blüte den bewährt befundenen Jüngling
süß duftend umfängt. Bald wird er dann ihre Sprache, die Wunder unseres
Reichs verstehen und selbst mit der Geliebten in Atlantis wohnen. -- Du
weißt nun wohl, lieber Anselmus, daß mein Vater eben der Salamander ist,
von dem ich Dir erzählt. Er mußte seiner höheren Natur unerachtet sich den
kleinlichsten Bedrängnissen des gemeinen Lebens unterwerfen, und daher
kommt wohl oft die schadenfrohe Laune, mit der er manche neckt. Er hat mir
oft gesagt, daß für die innere Geistesbeschaffenheit, wie sie der
Geistesfürst Phosphorus damals als Bedingnis der Vermählung mit mir und
meinen Schwestern aufgestellt, man jetzt einen Ausdruck habe, der aber nur
zu oft unschicklicher Weise gemißbraucht werde; man nenne das nämlich ein
kindliches poetisches Gemüt. -- Oft finde man dieses Gemüt bei Jünglingen,
die der hohen Einfachheit ihrer Sitten wegen und weil es ihnen ganz an der
sogenannten Weltbildung fehle, von dem Pöbel verspottet würden. Ach,
lieber Anselmus, Du verstandest ja unter dem Holunderbusch meinen Gesang
-- meinen Blick -- Du liebst die grüne Schlange, Du glaubst an mich und
willst mein sein immerdar! Die schöne Lilie wird emporblühen aus dem
goldnen Topf und wir werden vereint glücklich und selig in Atlantis wohnen!
-- Aber nicht verhehlen kann ich Dir, daß im gräßlichen Kampf mit den
Salamandern und Erdgeistern sich der schwarze Drache loswand und durch die
Lüfte davonbrauste. Phosphorus hält ihn zwar wieder in Banden, aber aus den
schwarzen Federn, die im Kampfe auf die Erde stäubten, keimten feindliche
Geister empor, die überall den Salamandern und Erdgeistern widerstreben.
Jenes Weib, das Dir so feindlich ist, lieber Anselmus, und das, wie mein
Vater recht gut weiß, nach dem Besitz des goldnen Topfes strebt, hat ihr
Dasein der Liebe einer solchen, aus dem Fittich des Drachen herabgestäubten
Feder zu einer Runkelrübe zu verdanken. Sie erkennt ihren Ursprung und ihre
Gewalt, denn in dem Stöhnen, in den Zuckungen des gefangenen Drachen werden
ihr die Geheimnisse mancher wundervollen Konstellation offenbar, und sie
bietet alle Mittel auf, von außen hinein ins Innere zu wirken, wogegen sie
mein Vater mit den Blitzen, die aus dem Innern des Salamanders
hervorschießen, bekämpft. Alle die feindlichen Prinzipe, die in schädlichen
Kräutern und giftigen Tieren wohnen, sammelt sie und erregt, sie mischend,
in günstiger Konstellation, manchen bösen Spuk, der des Menschen Sinne mit
Grauen und Entsetzen befängt und ihn der Macht jener Dämonen, die der
Drache im Kampfe unterliegend erzeugte, unterwirft. Nimm Dich vor der Alten
in acht, lieber Anselmus, sie ist Dir feind, weil Dein kindlich frommes
Gemüt schon manchen ihrer bösen Zauber vernichtet. -- Halte treu -- treu
-- an mir, bald bist Du am Ziel!« -- »O meine -- meine Serpentina!« rief
der Student Anselmus, »wie sollte ich denn nur von Dir lassen können, wie
sollte ich Dich nicht lieben ewiglich!« -- Ein Kuß brannte auf seinem
Munde, er erwachte wie aus einem tiefen Traume; Serpentina war
verschwunden, es schlug sechs Uhr, da fiel es ihm schwer aufs Herz, daß er
nicht das mindeste kopiert habe; er blickte voll Besorgnis, was der
Archivarius wohl sagen werde, auf das Blatt, und o Wunder! die Kopie des
geheimnisvollen Manuskripts war glücklich beendigt, und er glaubte,
schärfer die Züge betrachtend, Serpentina's Erzählung von ihrem Vater, dem
Liebling des Geisterfürsten Phosphorus im Wunderlande Atlantis,
abgeschrieben zu haben. Jetzt trat der Archivarius Lindhorst in seinem
weißgrauen Überrock, den Hut auf dem Kopfe, den Stock in der Hand, herein;
er sah in das von dem Anselmus beschriebene Pergament, nahm eine große
Priese und sagte lächelnd; das dacht ich wohl! Nun! hier ist der
Speziestaler, Herr Anselmus, jetzt wollen wir noch nach dem Linkeschen Bade
gehen -- nur mir nach! -- Der Archivarius schritt rasch durch den Garten,
in dem ein solcher Lärm von Singen, Pfeifen, Sprechen durcheinander war,
daß der Student Anselmus ganz betäubt wurde und dem Himmel dankte, als er
sich auf der Straße befand. Kaum waren sie einige Schritte gegangen, als
sie dem Registrator Heerbrand begegneten, der freundlich sich anschloß. Vor
dem Tore stopften sie die mitgenommenen Pfeifen; der Registrator Heerbrand
beklagte kein Feuerzeug bei sich zu tragen, da rief der Archivarius
Lindhorst ganz unwillig: »was Feuerzeug! -- hier ist Feuer, so viel Sie
wollen!« Und damit schnippte er mit den Fingern, aus denen große Funken
strömten, die die Pfeifen schnell anzündeten. »Sehen Sie das chemische
Kunststückchen,« sagte der Registrator Heerbrand, aber der Student Anselmus
dachte nicht ohne inneres Erbeben an den Salamander. -- Im Linkeschen Bade
trank der Registrator Heerbrand so viel starkes Doppelbier, daß er, sonst
ein gutmütiger stiller Mann, anfing in einem quäkenden Tenor Burschenlieder
zu singen, und jeden hitzig fragte: ob er sein Freund sei oder nicht, und
endlich von dem Studenten Anselmus zu Hause gebracht werden mußte, als der
Archivarius Lindhorst schon längst auf und davon war.


NEUNTE VIGILIE

Wie der Student Anselmus zu einiger Vernunft gelangte. -- Die
Punschgesellschaft. -- Wie der Student Anselmus den Konrektor Paulmann für
einen Schuhu hielt und dieser darob sehr erzürnte. -- Der Tintenklecks und
seine Folgen.

Alles das Seltsame und Wundervolle, welches dem Studenten Anselmus täglich
begegnet war, hatte ihn ganz dem gewöhnlichen Leben entrückt. Er sah keinen
seiner Freunde mehr und harrte jeden Morgen mit Ungeduld auf die zwölfte
Stunde, die ihm sein Paradies aufschloß. Und doch, indem sein ganzes Gemüt
der holden Serpentina und den Wundern des Feenreiches bei dem Archivarius
Lindhorst zugewandt war, mußte er zuweilen unwillkürlich an Veronika
denken, ja manchmal schien es ihm als träte sie zu ihm hin und gestehe
errötend, wie herzlich sie ihn liebe und wie sie danach trachte, ihn den
Phantomen, von denen er nur geneckt und verhöhnt werde, zu entreißen.
Zuweilen war es, als risse eine fremde, plötzlich auf ihn einbrechende
Macht ihn unwiderstehlich hin zur vergessenen Veronika, und er müsse ihr
folgen wohin sie nur wolle, als sei er festgekettet an das Mädchen. Gerade
in der Nacht darauf, als er Serpentina zum erstenmal in der Gestalt einer
wunderbar holdseligen Jungfrau geschaut, als ihm das wunderbare Geheimnis
der Vermählung des Salamanders mit der grünen Schlange offenbar worden,
trat ihm Veronika lebhafter vor die Augen als jemals. -- Ja! -- erst als er
erwachte, wurde er deutlich gewahr, daß er nur geträumt habe, da er
überzeugt gewesen, Veronika sei wirklich bei ihm und klage mit dem Ausdruck
eines tiefen Schmerzes, der sein Innerstes durchdrang, daß es ihre innige
Liebe den phantastischen Erscheinungen, die nur seine innere Zerrüttung
hervorrufe, aufopfern und noch darüber in Unglück und Verderben geraten
werde. Veronika war liebenswürdiger, als er sie je gesehen; er konnte sie
kaum aus den Gedanken bringen, und dieser Zustand verursachte ihm eine
Qual, der er bei einem Morgenspaziergang zu entrinnen hoffte. Eine geheime
magische Gewalt zog ihn vor das Pirnaer Tor und eben wollte er in eine
Nebenstraße einbiegen, als der Konrektor Paulmann hinter ihm her kommend
laut rief: »Ei, ei! -- wertester Herr Anselmus! -- Amice! -- Amice! wo um
des Himmels willen stecken Sie denn? Sie lassen sich ja gar nicht mehr
sehen -- wissen Sie wohl, daß sich Veronika recht sehnt wieder einmal eins
mit Ihnen zu singen? -- Nun kommen Sie nur, Sie wollten ja doch zu mir!«
Der Student Anselmus ging notgedrungen mit dem Konrektor. Als sie in das
Haus traten, kam ihnen Veronika sehr sauber und sorgfältig gekleidet
entgegen, so daß der Konrektor Paulmann voll Erstaunen fragte: Nun, warum
so geputzt, hat man denn Besuch erwartet? -- aber hier bringe ich den Herrn
Anselmus! -- Als der Student Anselmus sittig und artig der Veronika die
Hand küßte, fühlte er einen leisen Druck, der wie ein Glutstrom durch alle
Fibern und Nerven zuckte. Veronika war die Heiterkeit, die Anmut selbst,
und als Paulmann nach seinem Studierzimmer gegangen, wußte sie durch
allerhand Neckerei und Schalkheit den Anselmus so hinauf zu schrauben, daß
er alle Blödigkeit vergaß und sich zuletzt mit dem ausgelassenen Mädchen im
Zimmer herumjagte. Da kam ihm aber wieder einmal der Dämon des Ungeschicks
über den Hals, er stieß an den Tisch und Veronikas niedliches Nähkästchen
fiel herab. Anselmus hob es auf, der Deckel war aufgesprungen und es
blinkte ihm ein kleiner runder Metallspiegel entgegen, in den er mit ganz
eigner Lust hineinschaute. Veronika schlich sich leise hinter ihn, legte
die Hand auf seinen Arm und schaute, sich fest an ihn schmiegend, ihm über
die Schulter auch in den Spiegel. Da war es dem Anselmus, als beginne ein
Kampf in seinem Innern: -- Gedanken -- Bilder -- blitzten hervor und
vergingen wieder -- der Archivarius Lindhorst -- Serpentina -- die grüne
Schlange -- endlich wurde es ruhiger und alles Verworrene fügte und
gestaltete sich zum deutlichen Bewußtsein. Ihm wurde es nun klar, daß er
nur beständig an Veronika gedacht, ja daß die Gestalt, welche ihm gestern
in dem blauen Zimmer erschienen, auch eben Veronika gewesen, und daß die
phantastische Sage von der Vermählung des Salamanders mit der grünen
Schlange ja nur von ihm geschrieben, keineswegs aber erzählt worden sei. Er
wunderte sich selbst über seine Träumereien und schrieb sie lediglich
seinem durch die Liebe zu Veronika exaltierten Seelenzustande, sowie der
Arbeit bei dem Archivarius Lindhorst zu, in dessen Zimmern es noch überdem
so sonderbar betäubend dufte. Er mußte herzlich über die tolle Einbildung
lachen, in eine kleine Schlange verliebt zu sein und einen wohlbestallten
geheimen Archivarius für einen Salamander zu halten. »Ja, ja! -- es ist
Veronika!« rief er laut; aber indem er den Kopf umwandte, schaute er gerade
in Veronikas blaue Augen hinein, in denen Liebe und Sehnsucht strahlten.
Ein dumpfes Ach! entfloh ihren Lippen, die in dem Augenblick auf den
seinigen brannten. »O ich Glücklicher!« seufzte der entzückte Student, »was
ich gestern nur träumte, wird mir heute wirklich und in der Tat zuteil.« --
»Und willst Du mich denn wirklich heiraten, wenn Du Hofrat geworden?«
fragte Veronika. »Allerdings!« antwortete der Student Anselmus; indem
knarrte die Tür und der Konrektor Paulmann trat mit den Worten herein:
»Nun, wertester Herr Anselmus, lasse ich Sie heute nicht fort, Sie nehmen
vorlieb mit einer Suppe, und nachher bereitet uns Veronika einen köstlichen
Kaffee, den wir mit dem Registrator Heerbrand, welcher herzukommen
versprochen, genießen.« -- »Ach, bester Herr Konrektor,« erwiderte der
Student Anselmus, »wissen Sie denn nicht, daß ich zum Archivarius Lindhorst
muß, des Abschreibens wegen?« -- »Schauen Sie Amice!« sagte der Konrektor
Paulmann, indem er ihm die Taschenuhr hinhielt, welche auf halb eins wies.
Der Student Anselmus sah nun wohl ein, daß es viel zu spät sei zu dem
Archivarius Lindhorst zu wandern und fügte sich den Wünschen des Konrektors
um so lieber, als er nun die Veronika den ganzen Tag über schauen und wohl
manchen verstohlenen Blick, manchen zärtlichen Händedruck zu erhalten, ja
wohl gar einen Kuß zu erobern hoffte. So hoch verstiegen sich jetzt die
Wünsche des Studenten Anselmus, und es wurde ihm immer behaglicher zu Mute,
je mehr er sich überzeugte, daß er bald von all den phantastischen
Einbildungen befreit sein werde, die ihn wirklich ganz und gar zum
wahnwitzigen Narren hätten machen können. -- Der Registrator Heerbrand fand
sich wirklich nach Tische ein und als der Kaffee genossen und die Dämmerung
bereits eingebrochen, gab er schmunzelnd und fröhlich die Hände reibend zu
verstehen: er trage etwas mit sich, was durch Veronikas schöne Hände
gemischt und in gehörige Form gebracht, gleichsam foliiert und rubriziert,
ihnen allen an dem kühlen Oktoberabende erfreulich sein werde. »So rücken
Sie denn nur heraus mit dem geheimnisvollen Wesen, das Sie bei sich tragen,
geschätztester Registrator,« rief der Konrektor Paulmann; aber der
Registrator Heerbrand griff in die tiefe Tasche seines Matins und brachte
in drei Reprisen eine Flasche Arrak, Zitronen und Zucker zum Vorschein.
Kaum war eine halbe Stunde vergangen, so dampfte ein köstlicher Punsch auf
Paulmanns Tische. Veronika kredenzte das Getränk, und es gab allerlei
gemütliche muntere Gespräche unter den Freunden. Aber so wie dem Studenten
Anselmus der Geist des Getränkes zu Kopfe stieg, kamen auch alle Bilder des
Wunderbaren, Seltsamen, was er in kurzer Zeit erlebt, wieder zurück. Er sah
den Archivarius Lindhorst in seinem damastnen Schlafrock, der wie Phosphor
erglänzte; er sah das azurblaue Zimmer, die goldnen Palmbäume, ja es wurde
ihm wieder so zu Mute, als müsse er doch an die Serpentina glauben; es
brauste, es gärte in seinem Innern. Veronika reichte ihm ein Glas Punsch,
und indem er es faßte, berührte er leise ihre Hand. »Serpentina! Veronika!«
seufzte er in sich hinein. Er versank in tiefe Träume, aber der Registrator
Heerbrand rief ganz laut: »Ein wunderlicher alter Mann, aus dem niemand
klug wird, bleibt er doch, der Archivarius Lindhorst. -- Nun, er soll
leben! stoßen Sie an, Herr Anselmus!« -- Da fuhr der Student Anselmus auf
aus seinen Träumen und sagte, indem er mit dem Registrator Heerbrand
anstieß: »Das kommt daher, verehrungswürdiger Herr Registrator, weil der
Herr Archivarius Lindhorst eigentlich ein Salamander ist, der den Garten
des Geisterfürsten Phosphorus im Zorn verwüstete, weil ihm die grüne
Schlange davongeflogen.« -- »Wie -- was?« fragte der Konrektor Paulmann.
-- »Ja,« fuhr der Student Anselmus fort, »deshalb muß er nun königlicher
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