Der Goldene Topf - 3

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der vor ihm stehende Mann der Archivarius Lindhorst. Der gleichgültige Ton,
in dem dieser sprach, hatte im grellen Kontrast mit den wunderbaren
Erscheinungen, die er wie ein wahrhafter Nekromant hervorrief, etwas
Grauenhaftes, das durch den stechenden Blick der funkelnden Augen, die aus
den knöchernen Höhlen des magern, runzligen Gesichts wie aus einem Gehäuse
hervorstrahlten, noch erhöht wurde, und den Studenten ergriff mit Macht
dasselbe unheimliche Gefühl, welches sich seiner schon auf dem Kaffeehause
bemeisterte, als der Archivarius so viel Abenteuerliches erzählte. Nur mit
Mühe faßte er sich, und als der Archivarius nochmals fragte: nun, warum
sind Sie denn nicht zu mir gekommen? da erhielt er es über sich, alles zu
erzählen, was ihm an der Haustür begegnet. Lieber Herr Anselmus, sagte der
Archivarius, als der Student seine Erzählung geendet, lieber Herr Anselmus,
ich kenne wohl das Äpfelweib, von dem Sie zu sprechen belieben; es ist eine
fatale Kreatur, die mir allerhand Possen spielt, und daß sie sich hat
bronzieren lassen, um als Türklopfer die mir angenehmen Besuche zu
verscheuchen, das ist in der Tat sehr arg und nicht zu leiden. Wollten Sie
doch, werter Herr Anselmus, wenn Sie morgen um zwölf Uhr zu mir kommen und
wieder etwas von dem Angrinsen und Anschnarren vermerken, ihr gefälligst
etwas Weniges von diesem Likör auf die Nase tröpfeln; dann wird sich
sogleich alles geben.
[Illustration: Wie ein großer Vogel]
Und nun Adieu! lieber Herr Anselmus, ich gehe etwas rasch, deshalb will
ich Ihnen nicht zumuten, mit mir nach der Stadt zurückzukehren. Adieu! auf
Wiedersehen, morgen um zwölf Uhr. -- Der Archivarius hatte dem Studenten
Anselmus ein kleines Fläschchen mit einem goldgelben Likör gegeben und nun
schritt er rasch von dannen, so daß er in der tiefen Dämmerung, die
unterdessen eingebrochen, mehr in das Tal hinabzuschweben als zu gehen
schien. Schon war er in der Nähe des Koselschen Gartens, da setzte sich der
Wind in den weiten Überrock und trieb die Schöße auseinander, daß sie wie
ein Paar große Flügel in den Lüften flatterten und es dem Studenten
Anselmus, der verwunderungsvoll dem Archivarius nachsah, vorkam, als breite
ein großer Vogel die Fittiche aus zum raschen Fluge. -- Wie der Student nun
so in die Dämmerung hineinstarrte, da erhob sich mit krächzendem Geschrei
ein weißgrauer Geier hoch in die Lüfte und er merkte nun wohl, daß das
weiße Geflatter, das er noch immer für den davonschreitenden Archivarius
gehalten, schon eben der Geier gewesen sein müsse, unerachtet er nicht
begreifen konnte, wo denn der Archivarius mit einem Male hingeschwunden.
»Er kann aber auch selbst in Person davongeflogen sein, der Herr
Archivarius Lindhorst,« sprach der Student Anselmus zu sich selbst; »denn
ich sehe und fühle nun wohl, daß alle die fremden Gestalten aus einer
fernen wundervollen Welt, die ich sonst nur in ganz besondern merkwürdigen
Träumen schaute, jetzt in mein waches reges Leben geschritten sind und ihr
Spiel mit mir treiben. -- Dem sei aber wie ihm wolle! Du lebst und glühst
in meiner Brust, holde, liebliche Serpentina, nur Du kannst die unendliche
Sehnsucht stillen, die mein Innerstes zerreißt. Ach, wann werde ich in Dein
holdseliges Auge blicken, liebe, liebe Serpentina!« -- -- So rief der
Student Anselmus ganz laut. -- »Das ist ein schnöder unchristlicher Name,«
murmelte eine Baßstimme neben ihm, die einem heimkehrenden Spaziergänger
gehörte. Der Student Anselmus, zu rechter Zeit erinnert wo er war, eilte
raschen Schrittes von dannen, indem er bei sich selbst dachte: wäre es
nicht ein rechtes Unglück, wenn mir jetzt der Konrektor Paulmann oder der
Registrator Heerbrand begegnete! -- Aber er begegnete keinem von beiden.


FÜNFTE VIGILIE

Die Frau Hofrätin Anselmus. -- Cicero de officiis. -- Meerkatzen und
anderes Gesindel. -- Die alte Lise. -- Das Aequinoctium.

Mit dem Anselmus ist nun einmal in der Welt nichts anzufangen, sagte der
Konrektor Paulmann, alle meine guten Lehren, alle meine Ermahnungen sind
fruchtlos, er will sich ja zu gar nichts applizieren, unerachtet er die
besten Schulstudia besitzt, die denn doch die Grundlage von allem sind.
Aber der Registrator Heerbrand erwiderte schlau und geheimnisvoll lächelnd:
Lassen Sie dem Anselmus doch nur Raum und Zeit, wertester Konrektor, das
ist ein kurioses Subjekt, aber es steckt viel in ihm und wenn ich sage:
viel, so heißt das: ein geheimer Sekretär, oder wohl gar ein Hofrat. -- Hof
-- fing der Konrektor im größten Erstaunen an, das Wort blieb ihm stecken.
-- Still, still, fuhr der Registrator Heerbrand fort, ich weiß, was ich
weiß! Schon seit zwei Tagen sitzt er bei dem Archivarius Lindhorst und
kopiert, und der Archivarius sagte gestern Abend auf dem Kaffeehause zu
mir: Sie haben mir einen wackern Mann empfohlen, Verehrter; aus dem wird
was; -- und nun bedenken Sie des Archivarii Konnexionen -- still -- still
-- sprechen wir uns übers Jahr! -- Mit diesen Worten ging der Registrator
in fortwährendem schlauem Lächeln zur Tür hinaus und ließ den vor Erstaunen
und Neugier verstummten Konrektor im Stuhle festgebannt sitzen. Aber auf
Veronika hatte das Gespräch einen ganz eignen Eindruck gemacht. Habe ich's
denn nicht schon immer gewußt, dachte sie, daß der Herr Anselmus ein recht
gescheiter, liebenswürdiger junger Mann ist, aus dem noch was Großes wird?
Wenn ich nur wüßte, ob er mir wirklich gut ist! -- Aber hat er mir nicht
jenen Abend, als wir über die Elbe fuhren, zweimal die Hand gedrückt? Hat
er mich nicht im Duett angesehen mit solchen ganz sonderbaren Blicken, die
bis ins Herz drangen? Ja, ja, er ist mir wirklich gut -- und ich --
Veronika überließ sich ganz, wie junge Mädchen wohl pflegen, den süßen
Träumen von einer heitern Zukunft. Sie war Frau Hofrätin, bewohnte ein
schönes Logis in der Schloßgasse oder auf dem Neumarkt, oder auf der
Moritzstraße -- der moderne Hut, der neue türkische Schal stand ihr
vortrefflich -- sie frühstückte im eleganten Negligee im Erker, der Köchin
die nötigen Befehle für den Tag erteilend. »Aber daß Sie mir die Schüssel
nicht verdirbt, es ist des Herrn Hofrats Leibessen!« -- Vorübergehende
Elegants schielen herauf, sie hört deutlich: »Es ist doch eine göttliche
Frau, die Hofrätin, wie ihr das Spitzenhäubchen so allerliebst steht!« --
Die geheime Rätin Ypsilon schickt den Bedienten und läßt fragen, ob es der
Frau Hofrätin gefällig wäre, heute ins Linkesche Bad zu fahren? -- »Viel
Empfehlungen, es täte mir unendlich leid, ich sei schon engagiert zum Tee
bei der Präsidentin Tz.« -- Da kommt der Hofrat Anselmus, der schon früh in
Geschäften ausgegangen, zurück; er ist nach der letzten Mode gekleidet;
»wahrhaftig schon zehn,« ruft er, indem er die goldne Uhr repetieren läßt
und der jungen Frau einen Kuß gibt: »wie geht's, liebes Weibchen, weißt Du
auch, was ich für Dich habe?« fährt er schäkernd fort und zieht ein Paar
herrliche, nach der neuesten Art gefaßte Ohrringe aus der Westentasche, die
er ihr statt der sonst getragenen gewöhnlichen einhängt. »Ach, die schönen
niedlichen Ohrringe!« ruft Veronika ganz laut und springt, die Arbeit
wegwerfend, vom Stuhl auf, um in dem Spiegel die Ohrringe wirklich zu
beschauen. »Nun, was soll denn das sein?« sagte der Konrektor Paulmann,
der, eben in Cicero de officiis vertieft, beinahe das Buch fallen gelassen,
»man hat ja Anfälle wie der Anselmus.« Aber da trat der Student Anselmus,
der wider seine Gewohnheit sich mehrere Tage nicht hatte sehen lassen ins
Zimmer, zu Veronikas Schreck und Erstaunen, denn in der Tat war er in
seinem ganzen Wesen verändert. Mit einer gewissen Bestimmtheit, die ihm
sonst gar nicht eigen, sprach er von ganz andern Tendenzen seines Lebens,
die ihm klar geworden, von den herrlichen Aussichten, die sich ihm
geöffnet, die mancher aber gar nicht zu schauen vermöchte. Der Konrektor
Paulmann wurde, der geheimnisvollen Rede des Registrators Heerbrand
gedenkend, noch mehr betroffen und konnte kaum eine Silbe hervorbringen,
als der Student Anselmus, nachdem er einige Worte von dringender Arbeit bei
dem Archivarius Lindhorst fallen gelassen und der Veronika mit eleganter
Gewandtheit die Hand geküßt, schon die Treppe hinunter, auf und von dannen
war. »Das war ja schon der Hofrat,« murmelte Veronika in sich hinein, »und
er hat mir die Hand geküßt, ohne dabei auszugleiten oder mir auf den Fuß zu
treten, wie sonst! -- er hat mir einen recht zärtlichen Blick zugeworfen
-- er ist mir wohl in der Tat gut.« -- Veronika überließ sich aufs neue
jener Träumerei, indessen war es als träte immer eine feindselige Gestalt
unter die lieblichen Erscheinungen, wie sie aus dem künftigen häuslichen
Leben als Frau Hofrätin hervorgingen, und die Gestalt lachte recht höhnisch
und sprach: »das ist ja alles recht dummes ordinäres Zeug und noch dazu
erlogen, denn der Anselmus wird nimmermehr Hofrat und Dein Mann; er liebt
Dich ja nicht, unerachtet Du blaue Augen hast und einen schlanken Wuchs und
eine feine Hand.« -- Da goß sich ein Eisstrom durch Veronikas Inneres und
ein tiefes Entsetzen vernichtete die Behaglichkeit, mit der sie sich nur
noch erst im Spitzenhäubchen und den eleganten Ohrringen gesehen. Die
Tränen wären ihr beinahe aus den Augen gestürzt und sie sprach laut: »Ach,
es ist ja wahr, er liebt mich nicht und ich werde nimmermehr Frau
Hofrätin!« »Romanstreiche, Romanstreiche!« schrie der Konrektor Paulmann,
nahm Hut und Stock und eilte zornig von dannen. -- Das fehlte noch,
seufzte Veronika und ärgerte sich recht über die zwölfjährige Schwester,
welche, teilnahmslos an ihrem Rahmen sitzend, fortgestickt hatte.
Unterdessen war es beinahe drei Uhr geworden und nun gerade Zeit das Zimmer
aufzuräumen und den Kaffeetisch zu ordnen; denn die Mesdemoiselles Oster
hatten sich bei der Freundin ansagen lassen. Aber hinter jedem Schränkchen,
das Veronika wegrückte, hinter den Notenbüchern, die sie vom Klavier,
hinter jeder Tasse, hinter der Kaffeekanne, die sie aus dem Schrank nahm,
sprang jene Gestalt wie ein Alräunchen hervor und lachte höhnisch und
schlug mit den kleinen Spinnenfingern Schnippchen und schrie: er wird doch
nicht Dein Mann, er wird doch nicht Dein Mann! Und dann, wenn sie alles
stehen und liegen ließ und in die Mitte des Zimmers flüchtete, sah es mit
langer Nase riesengroß hinter dem Ofen hervor und knurrte und schnurrte: er
wird doch nicht Dein Mann! »Hörst Du denn nichts, siehst Du denn nichts,
Schwester?« rief Veronika, die vor Furcht und Zittern gar nichts mehr
anrühren mochte. Fränzchen stand ganz ernsthaft und ruhig von ihrem
Stickrahmen auf und sagte: »Was ist Dir denn heute, Schwester? Du wirfst ja
alles durcheinander, daß es klippert und klappert, ich muß Dir nur helfen.«
Aber da traten schon die muntern Mädchen in vollem Lachen herein und in dem
Augenblick wurde nun auch Veronika gewahr, daß sie den Ofenaufsatz für eine
Gestalt und das Knarren der übel verschlossenen Ofentür für die
feindseligen Worte gehalten hatte. Von einem innern Entsetzen gewaltsam
ergriffen, konnte sie sich aber nicht so schnell erholen, daß die
Freundinnen nicht ihre ungewöhnliche Spannung, die selbst ihre Blässe, ihr
verstörtes Gesicht verriet, hätten bemerken sollen. Als sie schnell
abbrechend von all dem Lustigen, das sie eben erzählen wollten, in die
Freundin drangen, was ihr denn um des Himmels willen widerfahren, mußte
Veronika eingestehen, wie sie sich ganz besondern Gedanken hingegeben und
plötzlich am hellen Tage von einer sonderbaren Gespensterfurcht, die ihr
sonst gar nicht eigen, übermannt worden. Nun erzählte sie so lebhaft, wie
aus allen Winkeln des Zimmers ein kleines graues Männchen sie geneckt und
gehöhnt habe, daß die Mesdemoiselles Oster sich schüchtern nach allen
Seiten umsahen und ihnen bald gar unheimlich und grausig zu Mute wurde. Da
trat Fränzchen mit dem dampfenden Kaffee herein, und alle drei sich
besinnend, lachten über ihre eigene Albernheit. Angelika, so hieß die
älteste Oster, war mit einem Offizier versprochen, der bei der Armee stand
und von dem die Nachrichten solange ausgeblieben, daß man an seinem Tode,
oder wenigstens an seiner schweren Verwundung kaum zweifeln konnte. Dies
hatte Angelika in die tiefste Betrübnis gestürzt, aber heute war sie
fröhlich bis zur Ausgelassenheit, worüber Veronika sich nicht wenig
wunderte und es ihr unverhohlen äußerte. »Liebes Mädchen«, sagte Angelika,
»glaubst Du denn nicht, daß ich meinen Viktor immerdar im Herzen, in Sinn
und Gedanken trage? aber eben deshalb bin ich so heiter! -- ach Gott! -- so
glücklich, so selig in meinem ganzen Gemüte! denn mein Viktor ist wohl, und
ich sehe ihn in weniger Zeit als Rittmeister, geschmückt mit den
Ehrenzeichen, die ihm seine unbegrenzte Tapferkeit erwarben, wieder. Eine
starke, aber durchaus nicht gefährliche Verwundung des rechten Arms, und
zwar durch den Säbelhieb eines feindlichen Husaren, verhindert ihn zu
schreiben, und der schnelle Wechsel seines Aufenthaltes, da er durchaus
sein Regiment nicht verlassen will, macht es auch noch immer unmöglich mir
Nachricht zu geben; aber heute Abend erhält er die bestimmte Weisung, sich
erst ganz heilen zu lassen. Er reiset morgen ab, um herzukommen, und indem
er in den Wagen steigen will, erfährt er seine Ernennung zum Rittmeister,«
-- »Aber liebe Angelika,« fiel Veronika ein, »das weißt Du jetzt schon
alles?« -- »Lache mich nicht aus, liebe Freundin,« fuhr Angelika fort,
»aber Du wirst es nicht, denn könnte nicht Dir zur Strafe gleich das kleine
graue Männchen dort hinter dem Spiegel hervorgucken? -- Genug, ich kann
mich von dem Glauben an gewisse geheimnisvolle Dinge nicht losmachen, weil
sie oft genug ganz sichtbarlich und handgreiflich, möcht' ich sagen, in
mein Leben getreten. Vorzüglich kommt es mir nun garnicht einmal so
wunderbar und unglaublich vor, als manchem andern, daß es Leute geben kann,
denen eine gewisse Sehergabe eigen, die sie durch ihnen bekannte
untrügliche Mittel in Bewegung zu setzen wissen. Es ist hier am Orte eine
alte Frau, die diese Gabe besonders besitzt. Nicht sowie andere ihres
Gelichters, prophezeit sie aus Karten, gegossenem Blei oder aus dem
Kaffeesatze, sondern nach gewissen Vorbereitungen, an denen die fragende
Person teilnimmt, erscheint in einem hellpolierten Metallspiegel ein
wunderliches Gemisch von allerlei Figuren und Gestalten, welche die Alte
deutet und aus ihnen die Antwort auf die Frage schöpft. Ich war gestern
Abend bei ihr und erhielt jene Nachrichten von meinem Viktor, an deren
Wahrheit ich nicht einen Augenblick zweifle.« -- Angelika's Erzählung warf
einen Funken in Veronika's Gemüt, der schnell den Gedanken entzündete, die
Alte über den Anselmus und über ihre Hoffnungen zu befragen. Sie erfuhr,
daß die alte [Alte] Frau Rauerin hieße, in einer entlegenen Straße vor dem
Seetor wohne, durchaus nur Dienstags, Mittwochs und Freitags von sieben Uhr
abends, dann aber die ganze Nacht hindurch bis zum Sonnen-Aufgang zu
treffen sei und es gern sehe, wenn man allein komme. -- Es war eben
Mittwoch, und Veronika beschloß, unter dem Vorwande die Osters nach Hause
zu begleiten, die Alte aufzusuchen, welches sie denn auch in der Tat
ausführte. Kaum hatte sie nämlich von den Freundinnen, die in der Neustadt
wohnten, vor der Elbbrücke Abschied genommen, als sie geflügelten Schrittes
vor das Seetor eilte und sich bald in der beschriebenen abgelegenen engen
Straße befand, an deren Ende sie das kleine rote Häuschen erblickte, in
welchem die Frau Rauerin wohnen sollte. Sie konnte sich eines gewissen
unheimlichen Gefühls, ja eines innern Erbebens nicht erwehren, als sie vor
der Haustür stand. Endlich raffte sie sich, des innern Widerstrebens
unerachtet, zusammen, und zog an der Klingel, worauf sich die Tür öffnete
und sie durch den finstern Gang nach der Treppe tappte, die zum obern Stock
führte, wie es Angelika beschrieben. »Wohnt hier nicht die Frau Rauerin?«
rief sie in den öden Hausflur hinein, als sich niemand zeigte; da erscholl
statt der Antwort ein langes klares Miau, und ein großer schwarzer Kater
schritt mit hochgekrümmtem Rücken, den Schweif in Wellenringeln hin- und
herdrehend, gravitätisch vor ihr her bis an die Stubentür, die auf ein
zweites Miau geöffnet wurde. »Ach sieh da, Töchterchen, bist Du schon hier?
komm herein -- herein!« So rief die heraustretende Gestalt, deren Anblick
Veronika an den Boden festbannte. Ein langes, hagres, in schwarze Lumpen
gehülltes Weib! indem sie sprach, wackelte das hervorragende spitze Kinn,
verzog sich das zahnlose Maul, von der knöchernen Habichtsnase beschattet,
zum grinsenden Lächeln, und leuchtende Katzenaugen flackerten Funken
werfend durch die große Brille. Aus dem bunten um den Kopf gewickelten
Tuche starrten schwarze borstige Haare hervor, aber zum Gräßlichen erhoben
das ekle Antlitz zwei große Brandflecke, die sich von der linken Backe über
die Nase wegzogen. -- Veronika's Atem stockte, und der Schrei, der der
gepreßten Brust Luft machen sollte, wurde zum tiefen Seufzer, als der Hexe
Knochenhand sie ergriff und in das Zimmer hineinzog. Drinnen regte und
bewegte sich alles, es war ein Sinne verwirrendes Quieken und Miauen und
Gekrächze und Gepiepe durcheinander. Die Alte schlug mit der Faust auf den
Tisch und schrie: Still da, ihr Gesindel! Und die Meerkatzen kletterten
winselnd auf das hohe Himmelbett, und die Meerschweinchen liefen unter den
Ofen und der Rabe flatterte auf den runden Spiegel; nur der schwarze Kater,
als gingen ihn die Scheltworte nichts an, blieb ruhig auf dem großen
Polsterstuhl sitzen, auf den er gleich nach dem Eintritt gesprungen. --
[Illustration: "Frau Rauerin"]
Sowie es still wurde, ermutigte sich Veronika; es war ihr nicht so
unheimlich als draußen auf dem Flur, ja selbst das Weib schien ihr nicht
mehr so scheußlich. Jetzt erst blickte sie im Zimmer umher. -- Allerhand
häßliche ausgestopfte Tiere hingen von der Decke herab, unbekanntes
seltsames Geräte lag durcheinander auf dem Boden, und in dem Kamin brannte
ein blaues sparsames Feuer, das nur dann und wann in gelben Funken
emporknisterte; aber dann rauschte es von oben herab, und ekelhafte
Fledermäuse wie mit verzerrten lachenden Menschengesichtern schwangen sich
hin und her, und zuweilen leckte die Flamme herauf an der rußigen Mauer,
und dann erklangen schneidende, heulende Jammertöne, daß Veronika von Angst
und Grausen ergriffen wurde. »Mit Verlaub, Mamsellchen,« sagte die Alte
schmunzelnd, erfaßte einen großen Wedel und besprengte, nachdem sie ihn in
einen kupfernen Kessel getaucht, den Kamin. Da erlosch das Feuer, und wie
von dickem Rauch erfüllt, wurde es stockfinster in der Stube, aber bald
trat die Alte, die in ein Kämmerchen gegangen, mit einem angezündeten Licht
wieder herein, und Veronika erblickte nichts mehr von den Tieren, von den
Gerätschaften, es war eine gewöhnliche ärmlich ausstaffierte Stube. Die
Alte trat ihr näher und sagte mit schnarrender Stimme: »Ich weiß wohl, was
Du bei mir willst, mein Töchterchen: was gilt es, Du möchtest erfahren, ob
Du den Anselmus heiraten wirst, wenn er Hofrat worden!« -- Veronika
erstarrte vor Staunen und Schreck, aber die Alte fuhr fort: »Du hast mir ja
alles gesagt zu Hause beim Papa, als die Kaffeekanne vor Dir stand, ich war
ja die Kaffeekanne, hast Du mich denn nicht gekannt? Töchterchen, höre! Laß
ab, laß ab, von dem Anselmus, das ist ein garstiger Mensch, der hat meinen
Söhnlein ins Gesicht getreten, meinen lieben Söhnlein, den Äpfelchen mit
den roten Backen, die, wenn sie die Leute gekauft haben, ihnen wieder aus
den Taschen in meinen Korb zurückrollen. Er hält's mit dem Alten; er hat
mir vorgestern den verdammten Auripigment ins Gesicht gegossen, daß ich
beinahe darüber erblindet, Du kannst noch die Brandflecken sehen,
Töchterchen! Laß ab von ihm, laß ab! -- Er liebt Dich nicht: denn er liebt
die goldgrüne Schlange, er wird niemals Hofrat werden, weil er sich bei den
Salamandern hat anstellen lassen, und er will die grüne Schlange heiraten,
laß ab von ihm, laß ab!« -- Veronika, die eigentlich ein festes standhaftes
Gemüt hatte und mädchenhaften Schreck bald zu überwinden wußte, trat einen
Schritt zurück und sprach mit ernsthaftem gefaßtem Ton: »Alte! ich habe
von Eurer Gabe in die Zukunft zu blicken gehört und wollte darum,
vielleicht zu neugierig und voreilig, von Euch wissen, ob wohl Anselmus,
den ich liebe und hoch schätze, jemals mein werden würde. Wollt Ihr mich
daher, statt meinen Wunsch zu erfüllen, mit Eurem tollen unsinnigen
Geschwätze necken, so tut Ihr Unrecht; denn ich habe nur gewollt, was Ihr
Andern, wie ich weiß, gewährtet. Da Ihr, wie es scheint, meine innigsten
Gedanken wisset, so wäre es Euch vielleicht ein Leichtes gewesen, mir
manches zu enthüllen, was mich jetzt quält und ängstigt, aber nach Euern
albernen Verleumdungen des guten Anselmus mag ich von Euch weiter nichts
erfahren. Gute Nacht!« -- Veronika wollte davoneilen, da fiel die Alte
weinend und jammernd auf die Knie nieder und rief das Mädchen am Kleide
festhaltend: »Veronikchen, kennst Du denn die alte Lise nicht mehr, die
Dich so oft auf den Armen getragen und gepflegt und gehätschelt?« Veronika
traute kaum ihren Augen; denn sie erkannte ihre, freilich nur durch hohes
Alter und vorzüglich durch die Brandflecke entstellte ehemalige Wärterin,
die vor mehreren Jahren aus des Konrektor Paulmann's Hause verschwand. Die
Alte sah auch nun ganz anders aus, sie hatte statt des häßlichen
buntgefleckten Tuches, eine ehrbare Haube, und statt der schwarzen Lumpen
eine großblumige Jacke an, wie sie sonst wohl gekleidet gegangen. Sie
stand vom Boden auf und fuhr, Veronika in ihre Arme nehmend, fort: es mag
Dir alles, was ich Dir gesagt, wohl recht toll vorkommen, aber es ist dem
leider so. Der Anselmus hat mir viel zu Leide getan, doch wider seinen
Willen; er ist dem Archivarius Lindhorst in die Hände gefallen, und der
will ihn mit seiner Tochter verheiraten. Der Archivarius ist mein größter
Feind, und ich könnte Dir allerlei Dinge von ihm sagen, die würdest Du aber
nicht verstehen, oder Dich doch sehr entsetzen. Er ist der weise Mann, aber
ich bin die weise Frau -- es mag darum sein! -- Ich merke nun wohl, daß Du
den Anselmus recht lieb hast, und ich will Dir mit allen Kräften beistehen,
daß Du recht glücklich werden und fein ins Ehebett kommen sollst, wie Du es
wünschest.« -- »Aber sage Sie mir um des Himmels willen, Lise!« fiel
Veronika ein -- Still, Kind -- still! unterbrach sie die Alte, ich weiß was
Du sagen willst, ich bin das worden, was ich bin, weil ich es werden mußte,
ich konnte nicht anders. Nun also! -- ich kenne das Mittel, das den
Anselmus von der törichten Liebe zur grünen Schlange heilt und ihn als den
liebenswürdigsten Hofrat in Deine Arme führt; aber Du mußt helfen! -- »Sage
es nur gerade heraus, Lise! ich will ja alles tun; denn ich liebe den
Anselmus sehr!« lispelte Veronika kaum hörbar. -- Ich kenne Dich, fuhr die
Alte fort, als ein beherztes Kind, vergebens habe ich Dich mit dem Wauwau
zum Schlaf treiben wollen: denn gerade alsdann öffnetest Du die Augen, um
den Wauwau zu sehen; Du gingst ohne Licht in die hinterste Stube und
erschrecktest oft in des Vaters Pudermantel des Nachbars Kinder. Nun also!
-- ist's Dir Ernst, durch meine Kunst den Archivarius Lindhorst und die
grüne Schlange zu überwinden, ist's Dir Ernst, den Anselmus als Hofrat
Deinen Mann zu nennen, so schleiche Dich in der künftigen Tag- und
Nachtgleiche nachts um elf Uhr aus des Vaters Hause und komme zu mir; ich
werde dann mit Dir auf den Kreuzweg gehen, der unfern das Feld
durchschneidet, wir bereiten das nötige, und alles wunderliche was Du
vielleicht erblicken wirst, soll Dich nicht anfechten. Und nun,
Töchterchen, gute, Nacht, der Papa wartet schon mit der Suppe. -- Veronika
eilte von dannen, fest stand bei ihr der Entschluß, die Nacht des
Äquinoktiums nicht zu versäumen, denn, dachte sie, die Lise hat Recht, der
Anselmus ist verstrickt in wunderliche Bande, aber ich erlöse ihn daraus
und nenne ihn mein immerdar und ewiglich, mein ist und bleibt er, der
Hofrat Anselmus.


SECHSTE VIGILIE

Der Garten des Archivarius Lindhorst nebst einigen Spottvögeln. -- Der
goldene Topf. -- Die englische Kursivschrift. -- Schnöde Hahnenfüße. -- Der
Geisterfürst.

Es kann aber auch sein, sprach der Student Anselmus zu sich selbst, daß der
superfeine starke Magenlikör, den ich bei dem Monsieur Conradi etwas
begierig genossen, alle die tollen Phantasmata geschaffen, die mich vor der
Haustür des Archivarius Lindhorst ängsteten. Deshalb bleibe ich heute ganz
nüchtern und will nun wohl allem weitern Ungemach, das mir begegnen könnte,
Trotz bieten. -- Sowie damals, als er sich zum ersten Besuch bei dem
Archivarius Lindhorst rüstete, steckte er seine Federzeichnungen und
kalligraphischen Kunstwerke, seine Tuschstangen, seine wohlgespitzten
Rabenfedern ein, und schon wollte er zur Tür hinausschreiten, als ihm das
Fläschchen mit dem gelben Likör in die Augen fiel, das er von dem
Archivarius Lindhorst erhalten. Da gingen ihm wieder all' die seltsamen
Abenteuer, welche er erlebt, mit glühenden Farben durch den Sinn, und ein
namenloses Gefühl von Wonne und Schmerz durchschnitt seine Brust.
Unwillkürlich rief er mit recht kläglicher Stimme aus: »Ach, gehe ich denn
nicht zum Archivarius, nur um Dich zu sehen, Du holde liebliche
Serpentina?« -- Es war ihm in dem Augenblick so, als könne Serpentina's
Liebe der Preis einer mühevollen gefährlichen Arbeit sein, die er
unternehmen müßte, und diese Arbeit sei keine andere, als das Kopieren der
Lindhorstischen Manuskripte. -- Daß ihm schon beim Eintritt ins Haus, oder
vielmehr noch vor demselben allerlei wunderliches begegnen könne, wie
neulich, davon war er überzeugt. Er dachte nicht mehr an Conradi's
Magenwasser, sondern steckte schnell den Likör in die Westentasche, um ganz
nach des Archivarius Vorschrift zu verfahren, wenn das bronzierte Äpfelweib
sich unterstehen sollte ihn anzugrinsen. -- Erhob sich denn nicht auch
wirklich gleich die spitze Nase; funkelten nicht die Katzenaugen aus dem
Türdrücker, als er ihn auf den Schlag zwölf Uhr ergreifen wollte? -- Da
spritzte er, ohne sich weiter zu bedenken, den Likör in das fatale Gesicht
hinein, und es glättete und plättete sich augenblicklich aus zum glänzenden
kugelrunden Türklopfer. Die Tür ging auf, die Glocken läuteten gar lieblich
durch das ganze Haus: klingling -- Jüngling -- flink -- flink -- spring
-- spring -- klingling. -- Er stieg getrost die schöne breite Treppe hinauf
und weidete sich an dem Duft des seltenen Räucherwerks, der durch das Haus
floß. Ungewiß blieb er auf dem Flur stehen, denn er wußte nicht, an welche
der vielen schönen Türen er wohl pochen sollte; da trat der Archivarius
Lindhorst in einem weiten damastenen Schlafrock heraus und rief: »Nun es
freut mich, Herr Anselmus, daß Sie endlich Wort halten, kommen Sie mir nur
nach, denn ich muß Sie ja doch wohl gleich ins Laboratorium führen.« Damit
schritt er schnell den langen Flur hinauf und öffnete eine kleine
Seitentür, die in einen Korridor führte. Anselmus schritt getrost hinter
dem Archivarius her; sie kamen aus dem Korridor in einen Saal oder vielmehr
in ein herrliches Gewächshaus, denn von beiden Seiten bis an die Decke
hinauf standen allerlei seltene wunderbare Blumen, ja große Bäume mit
sonderbar gestalteten Blättern und Blüten. Ein magisches blendendes Licht
verbreitete sich überall, ohne daß man bemerken konnte, wo es herkam, da
durchaus kein Fenster zu sehen war. So wie der Student Anselmus in die
Büsche und Bäume hineinblickte, schienen lange Gänge sich in weiter Ferne
auszudehnen. -- Im tiefen Dunkel dicker Zypressenstauden schimmerten
Marmorbecken, aus denen sich wunderliche Figuren erhoben, Kristallstrahlen
hervorspritzend, die plätschernd niederfielen in leuchtende Lilienkelche;
seltsame Stimmen rauschten und säuselten durch den Wald der wunderbaren
Gewächse, und herrliche Düfte strömten auf und nieder. Der Archivarius war
verschwunden und Anselmus erblickte nur einen riesenhaften Busch glühender
Feuerlilien vor sich. Von dem Anblick, von den süßen Düften des Feengartens
berauscht, blieb Anselmus festgezaubert stehen. Da fing es überall an zu
kichern und zu lachen und feine Stimmchen neckten und höhnten: Herr
Studiosus, Herr Studiosus! wo kommen sie denn her? warum haben Sie sich
denn so schön geputzt, Herr Anselmus? -- Wollen Sie eins mit uns plappern,
wie die Großmutter das Ei mit dem Steiß zerdrückte und der Junker einen
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