Der Goldene Topf - 2

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voll inniger Freude über den Antrag des Registrators Heerbrand: denn nicht
allein, daß er sauber schrieb und mit der Feder zeichnete, so war es auch
seine wahre Passion, mit mühsamem kalligraphischem Aufwande abzuschreiben;
er dankte daher seinen Gönnern in den verbindlichsten Ausdrücken und
versprach die morgende Mittagsstunde nicht zu versäumen. In der Nacht sah
der Student Anselmus nichts als blanke Speziestaler und hörte ihren
lieblichen Klang. -- Wer mag das dem Armen verargen, der um so manche
Hoffnung durch ein launisches Mißgeschick betrogen, jeden Heller zu Rate
halten und manchem Genuß, den jugendliche Lebenslust forderte, entsagen
mußte. Schon am frühen Morgen suchte er seine Bleistifte, seine
Rabenfedern, seine chinesische Tusche zusammen; denn besser, dachte er,
kann der Herr Archivarius keine Materialien erfinden. Vor allen Dingen
musterte und ordnete er seine kalligraphischen Meisterstücke und seine
Zeichnungen, um sie dem Archivarius, zum Beweis seiner Fähigkeit das
Verlangte zu erfüllen, aufzuweisen. Alles ging glücklich von statten, ein
besonderer Glücksstern schien über ihn zu walten, die Halsbinde saß gleich
beim ersten Umknüpfen wie sie sollte, keine Naht platzte, keine Masche
zerriß in den schwarzseidenen Strümpfen, der Hut fiel nicht noch einmal in
den Staub, als er schon sauber abgebürstet. -- Kurz! -- Punkt halb zwölf
Uhr stand der Student Anselmus in seinem hechtgrauen Frack und seinen
schwarzatlasnen Unterkleidern, eine Rolle Schönschriften und
Federzeichnungen in der Tasche, schon auf der Schloßgasse in Conradis Laden
und trank -- eins -- zwei Gläschen des besten Magenlikörs; denn hier,
dachte er, indem er auf die annoch leere Tasche schlug, werden bald
Speziestaler erklingen. Unerachtet des weiten Weges bis in die einsame
Straße, in der sich das uralte Haus des Archivarius Lindhorst befand, war
der Student Anselmus doch vor zwölf Uhr an der Haustür. Da stand er und
schaute den großen bronzenen Türklopfer an; aber als er nun auf den letzten
die Luft mit mächtigem Klange durchbebenden Schlag der Turmuhr an der
Kreuzkirche den Türklopfer ergreifen wollte, da verzog sich das metallene
Gesicht im ekelhaften Spiel blauglühender Lichtblicke zum grinsenden
Lächeln. Ach! es war ja das Äpfelweib vom schwarzen Tor. Die spitzigen
Zähne klappten in dem schlaffen Maule zusammen, und in dem Klappern
schnarrte es: »Du Narre -- Narre -- Narre -- warte, warte! warum warst
hinausgerannt! Narr!« -- Entsetzt taumelte der Student Anselmus zurück, er
wollte den Türpfosten ergreifen, aber seine Hand erfaßte die Klingelschnur
und zog sie an, da läutete es stärker und stärker in gellenden Mißtönen,
und durch das ganze öde Haus rief und spottete der Widerhall: Bald Dein
Fall ins Kristall! -- Den Studenten Anselmus ergriff ein Grausen, das im
krampfhaften Fieberfrost durch alle Glieder bebte. Die Klingelschnur senkte
sich hinab und wurde zur weißen durchsichtigen Riesenschlange, die umwand
und drückte ihn, fester und fester ihr Gewinde schnürend, zusammen, daß die
mürben zermalmten Glieder knackend zerbröckelten und sein Blut aus den
Adern spritzte, eindringend in den durchsichtigen Leib der Schlange und ihn
rot färbend. -- Töte mich, töte mich! wollte er schreien in der
entsetzlichen Angst, aber sein Geschrei war nur ein dumpfes Röcheln. -- Die
Schlange erhob ihr Haupt und legte die lange spitzige Zunge von glühendem
Erz auf die Brust des Anselmus, da zerriß ein schneidender Schmerz jählings
die Pulsader des Lebens und es vergingen ihm die Gedanken. -- Als er wieder
zu sich selbst kam, lag er auf seinem dürftigen Bettlein, vor ihm stand
aber der Konrektor Paulmann und sprach: Was treiben Sie denn um des Himmels
Willen für tolles Zeug, lieber Herr Anselmus!
[Illustration: Anselmus und die Schlange]


DRITTE VIGILIE.

Nachrichten von der Familie des Archivarius Lindhorst. Veronikas blaue
Augen. Der Registrator Heerbrand.

Der Geist schaute auf das Wasser, da bewegte es sich und brauste in
schäumenden Wogen und stürzte sich donnernd in die Abgründe, die ihre
schwarzen Rachen aufsperrten, es gierig zu verschlingen. Wie triumphierende
Sieger hoben die Granitfelsen ihre zackicht gekrönten Häupter empor, das
Tal schützend, bis es die Sonne in ihren mütterlichen Schoß nahm und es
umfassend mit ihren Strahlen wie mit glühenden Armen pflegte und wärmte. Da
erwachten tausend Keime, die unter dem öden Sande geschlummert, aus dem
tiefen Schlafe und streckten ihre grünen Blättlein und Halme zum Angesicht
der Mutter hinauf, und wie lächelnde Kinder in grüner Wiege, ruhten in den
Blüten und Knospen Blümlein, bis auch sie von der Mutter geweckt erwachten
und sich schmückten mit den Lichtern, die die Mutter ihnen zur Freude auf
tausendfache Weise bunt gefärbt. Aber in der Mitte des Tals war ein
schwarzer Hügel, der hob sich auf und nieder wie die Brust des Menschen,
wenn glühende Sehnsucht sie schwellt. -- Aus den Abgründen rollten die
Dünste empor, und sich zusammenballend in gewaltige Massen, strebten sie
das Angesicht der Mutter feindlich zu verhüllen; die rief aber den Sturm
herbei, der fuhr zerstäubend unter sie; und als der reine Strahl wieder den
schwarzen Hügel berührte, da brach im Übermaß des Entzückens eine herrliche
Feuerlilie hervor, die schönen Blätter wie holdselige Lippen öffnend, der
Mutter süße Küsse zu empfangen. -- Nun schritt ein glänzendes Leuchten in
das Tal! es war der Jüngling Phosphorus, den sah die Feuerlilie und flehte
von heißer, sehnsüchtiger Liebe befangen: sei doch mein ewiglich, Du
schöner Jüngling! denn ich liebe Dich und muß vergehen, wenn Du mich
verlassest. Da sprach der Jüngling Phosphorus: ich will Dein sein, Du
schöne Blume, aber dann wirst Du, wie ein entartet Kind, Vater und Mutter
verlassen, Du wirst Deine Gespielen nicht mehr kennen, Du wirst größer und
mächtiger sein wollen als alles, was sich jetzt als Deinesgleichen mit Dir
freut. Die Sehnsucht, die jetzt Dein ganzes Wesen wohltätig erwärmt, wird
in hundert Strahlen zerspaltet Dich quälen und martern; denn der Sinn wird
die Sinne gebären, und die höchste Wonne, die der Funke entzündet, den ich
in Dich hineinwerfe, ist der hoffnungslose Schmerz, in dem Du untergehst,
um aufs neue fremdartig emporzukeimen. -- Dieser Funke ist der Gedanke!
-- Ach! klagte die Lilie, kann ich denn nicht in der Glut, wie sie jetzt in
mir brennt, Dein sein? Kann ich Dich denn mehr lieben als jetzt, und kann
ich Dich denn schauen wie jetzt, wenn Du mich vernichtest? Da küßte sie der
Jüngling Phosphorus, und wie vom Lichte durchstrahlt loderte sie auf in
Flammen, aus denen ein fremdes Wesen hervorbrach, das schnell dem Tale
entfliehend im unendlichen Raume herumschwärmte, sich nicht kümmernd um die
Gespielen der Jugend und um den geliebten Jüngling. Der klagte um die
verlorne Geliebte, denn auch ihn brachte ja nur die unendliche Liebe zu der
schönen Lilie in das einsame Tal, und die Granitfelsen neigten ihre Häupter
teilnehmend vor dem Jammer des Jünglings. Aber einer öffnete seinen Schoß
und es kam ein schwarzer geflügelter Drache rauschend herausgeflattert und
sprach: meine Brüder, die Metalle schlafen da drinnen, aber ich bin stets
munter und wach und will dir helfen. Sich auf- und niederschwingend
erhaschte endlich der Drache das Wesen, das der Lilie entsprossen, trug es
auf den Hügel und umschloß es mit seinem Fittich; da war es wieder die
Lilie, aber der bleibende Gedanke zerriß ihr Innerstes und die Liebe zu dem
Jüngling Phosphorus war ein schneidender Jammer, vor dem, von giftigen
Dünsten angehaucht, die Blümlein, die sonst sich ihres Blickes gefreut,
verwelkten und starben. Der Jüngling Phosphorus legte eine glänzende
Rüstung an, die in tausendfarbigen Strahlen spielte, und kämpfte mit dem
Drachen, der mit seinem schwarzen Fittich an den Panzer schlug, daß er hell
erklang; und von dem mächtigen Klange lebten die Blümlein wieder auf und
umflatterten wie bunte Vögel den Drachen, dessen Kräfte schwanden und der
besiegt sich in der Tiefe der Erde verbarg. Die Lilie war befreit, der
Jüngling Phosphorus umschlang sie voll glühenden Verlangens himmlischer
Liebe, und im hochjubelnden Hymnus huldigten ihr die Blumen, die Vögel, ja
selbst die hohen Granitfelsen als Königin des Tals. -- Erlauben Sie, das
ist orientalischer Schwulst, werter Herr Archivarius! sagte der Registrator
Heerbrand, und wir baten denn doch, Sie sollten, wie Sie sonst wohl zu tun
pflegen, uns etwas aus Ihrem höchst merkwürdigen Leben, etwa von Ihren
Reiseabenteuern und zwar etwas Wahrhaftiges erzählen. -- Nun was denn?
erwiderte der Archivarius Lindhorst, das was ich soeben erzählt, ist das
Wahrhaftigste, was ich Euch auftischen kann, Ihr Leute, und gehört in
gewisser Art auch zu meinem Leben. Denn ich stamme eben aus jenem Tale her,
und die Feuerlilie, die zuletzt als Königin herrschte, ist meine
Ur-ur-ur-ur-Großmutter, weshalb ich denn auch eigentlich ein Prinz bin.
-- Alle brachen in ein schallendes Gelächter aus. -- Ja lacht nur recht
herzlich, fuhr der Archivarius Lindhorst fort, Euch mag wohl das, was ich
freilich nur in ganz dürftigen Zügen erzählt habe, unsinnig und toll
vorkommen, aber es ist dessen unerachtet nichts weniger als ungereimt oder
auch nur allegorisch gemeint, sondern buchstäblich wahr. Hätte ich aber
gewußt, daß Euch die herrliche Liebesgeschichte, der auch ich meine
Entstehung zu verdanken habe, so wenig gefallen würde, so hätte ich lieber
manches Neue mitgeteilt, das mir mein Bruder beim gestrigen Besuch
mitbrachte. -- »Ei, wie das? Haben Sie denn einen Bruder, Herr Archivarius?
-- Wo ist er denn -- wo lebt er denn? Auch in königlichen Diensten, oder
vielleicht ein privatisierender Gelehrter?« So fragte man von allen Seiten.
-- »Nein!« erwiderte der Archivarius, ganz kalt und gelassen eine Prise
nehmend, »er hat sich auf die schlechte Seite gelegt und ist unter die
Drachen gegangen.« -- »Wie beliebten Sie doch zu sagen, wertester
Archivarius,« nahm der Registrator Heerbrand das Wort, »unter die Drachen?«
-- »Unter die Drachen?« hallte es von allen Seiten wie ein Echo nach.
-- »Ja, unter die Drachen«, fuhr der Archivarius Lindhorst fort, eigentlich
war es Desperation. Sie wissen, meine Heren [Herren], daß mein Vater vor
ganz kurzer Zeit starb, es sind nur höchstens dreihundertfünfundachtzig
Jahre her, weshalb ich auch noch Trauer trage; der hatte mir, dem Liebling,
einen prächtigen Onyx vermacht, den durchaus mein Bruder haben wollte. Wir
zankten uns bei der Leiche des Vaters darüber auf eine ungebührliche
Weise, bis der Selige, der die Geduld verlor, aufsprang und den bösen
Bruder die Treppe hinunterwarf. Das wurmte meinen Bruder, und er ging
stehenden Fußes unter die Drachen. Jetzt hält er sich in einem
Cypressenwalde dicht bei Tunis auf, dort hat er einen berühmten mystischen
Karfunkel zu bewachen, dem ein Teufelskerl von Nekromant, der ein
Sommerlogis in Lappland bezogen, nachstellt, weshalb er denn nur auf ein
Viertelstündchen, wenn gerade der Nekromant im Garten seine Salamanderbeete
besorgt, abkommen kann, um mir in der Geschwindigkeit zu erzählen, was es
gutes Neues an den Quellen des Nils gibt.« -- Zum zweiten Male brachen die
Anwesenden in ein schallendes Gelächter aus, aber dem Studenten Anselmus
wurde ganz unheimlich zu Mute, und er konnte den Archivarius Lindhorst kaum
in die starren, ernsten Augen sehen, ohne innerlich auf eine ihm selbst
unbegreifliche Weise zu erbeben. Zumal hatte die rauhe, aber sonderbar
metallartig tönende Stimme des Archivarius Lindhorst für ihn etwas
geheimnisvoll Eindringendes, daß er Mark und Bein erzittern fühlte. Der
eigentliche Zweck, weshalb ihn der Registrator Heerbrand mit in das
Kaffeehaus genommen hatte, schien heute nicht erreichbar zu sein. Nach
jenem Vorfalle vor dem Hause des Archivarius Lindhorst war nämlich der
Student Anselmus nicht dahin zu vermögen gewesen, den Besuch zum zweiten
Male zu wagen; denn nach seiner innigsten Überzeugung hatte nur der Zufall
ihn, wo nicht vom Tode, doch von der Gefahr, wahnsinnig zu werden befreit.
Der Konrektor Paulmann war eben durch die Straße gegangen, als er ganz von
Sinnen vor der Haustür lag, und ein altes Weib, die ihren Kuchen- und
Äpfelkorb bei Seite gesetzt, um ihn beschäftigt war. Der Konrektor Paulmann
hatte sogleich eine Portechaise herbeigerufen und ihn so nach Hause
transportiert. »Man mag von mir denken, was man will«, sagte der Student
Anselmus, »man mag mich für einen Narren halten oder nicht -- genug! -- an
dem Türklopfer grinste mir das vermaledeite Gesicht der Hexe vom schwarzen
Tore entgegen; was nachher geschah, davon will ich lieber gar nicht reden;
aber wäre ich aus meiner Ohnmacht erwacht und hätte das verwünschte
Äpfelweib vor mir gesehen (denn niemand anders war doch das alte um mich
beschäftigte Weib), mich hätte augenblicklich der Schlag gerührt, oder ich
wäre wahnsinnig geworden.« Alles Zureden, alle vernünftigen Vorstellungen
des Konrektors Paulmann und des Registrators Heerbrand fruchteten gar
nichts, und selbst die blauäugige Veronika vermochte nicht, ihn aus einem
gewissen tiefsinnigen Zustande zu reißen, in den er versunken. Man hielt
ihn nun in der Tat für seelenkrank und sann auf Mittel, ihn zu zerstreuen,
worauf der Registrator Heerbrand meinte, daß nichts dazu dienlicher sein
könne als die Beschäftigung bei dem Archivarius Lindhorst, nämlich das
Nachmalen der Manuskripte. Es kam nur darauf an, den Studenten Anselmus auf
gute Art dem Archivarius Lindhorst bekannt zu machen, und da der
Registrator Heerbrand wußte, daß dieser beinahe jeden Abend ein gewisses
bekanntes Kaffeehaus besuchte, so lud er den Studenten Anselmus ein, jeden
Abend so lange auf seine, des Registrators Kosten in jenem Kaffeehause ein
Glas Bier zu trinken und eine Pfeife zu rauchen, bis er auf diese oder jene
Art dem Archivarius bekannt und mit ihm über das Geschäft des Abschreibens
der Manuskripte einig geworden, welches der Student Anselmus dankbarlichst
annahm. »Sie verdienen Gottes Lohn, werter Registrator, wenn Sie den jungen
Menschen zur Raison bringen,« sagte der Konrektor Paulmann. -- »Gottes
Lohn!« wiederholte Veronika, indem sie die Augen fromm zum Himmel erhob und
lebhaft daran dachte, wie der Student Anselmus schon jetzt ein recht
artiger junger Mann sei, auch ohne Raison! -- Als der Archivarius Lindhorst
eben mit Hut und Stock zur Tür hinausschreiten wollte, da ergriff der
Registrator Heerbrand den Studenten Anselmus rasch bei der Hand, und mit
ihm dem Archivarius den Weg vertretend, sprach er: »Geschätztester Herr
geheimer Archivarius, hier ist der Student Anselmus, der, ungemein
geschickt im Schönschreiben und Zeichnen, Ihre seltenen Manuskripte
kopieren will.« -- »Das ist mir ganz ungemein lieb,« erwiderte der
Archivarius Lindhorst rasch, warf den dreieckigen soldatischen Hut auf den
Kopf und eilte, den Registrator Heerbrand und den Studenten Anselmus bei
Seite schiebend, mit vielem Geräusch die Treppe hinab, so daß beide ganz
verblüfft dastanden und die Stubentür anguckten, die er dicht vor ihnen
zugeschlagen, daß die Angeln klirrten. »Das ist ja ein ganz wunderlicher
alter Mann,« sagte der Registrator Heerbrand, -- »Wunderlicher alter Mann,«
stotterte der Student Anselmus nach, fühlend, wie ein Eisstrom ihm durch
alle Adern fröstelte, daß er beinahe zur starren Bildsäule geworden. Aber
alle Gäste lachten und sagten: »Der Archivarius war heute einmal wieder in
seiner besonderen Laune, morgen ist er gewiß sanftmütig und spricht kein
Wort, sondern sieht in die Dampfwirbel seiner Pfeife oder liest Zeitungen;
man muß sich daran gar nicht kehren.« -- »Das ist auch wahr« dachte der
Student Anselmus, »wer wird sich an so etwas kehren! Hat der Herr
Archivarius nicht gesagt, es sei ihm ganz ungemein lieb, daß ich seine
Manuskripte kopieren wolle? -- Und warum vertrat ihm auch der Registrator
Heerbrand den Weg, als er gerade nach Hause gehen wollte? -- Nein, nein, es
ist ein lieber Mann, im Grunde genommen, der Herr geheime Archivarius
Lindhorst, und liberal erstaunlich -- nur kurios in absonderlichen
Redensarten. -- Allein was schadet das mir? -- Morgen gehe ich hin Punkt
zwölf Uhr, und setzten sich hundert bronzierte Äpfelweiber dagegen.«


VIERTE VIGILIE

Melancholie des Studenten Anselmus. -- Der smaragdene Spiegel. -- Wie
Archivarius Lindhorst als Stoßgeier davonflog und der Student Anselmus
niemandem begegnete.

Wohl darf ich geradezu Dich selbst, günstiger Leser, fragen, ob Du in
Deinem Leben nicht Stunden, ja Tage und Wochen hattest, in denen Dir all'
Dein gewöhnliches Tun und Treiben ein recht quälendes Mißbehagen erregte,
und in denen Dir, alles was Dir sonst recht wichtig und wert in Sinn und
Gedanken zu tragen vorkam, nun läppisch und nichtswürdig erschien. Du
wußtest dann selbst nicht, was Du tun und wohin Du Dich wenden solltest.
Ein dunkles Gefühl, es müsse irgendwo und zu irgend einer Zeit ein hoher,
den Kreis alles irdischen Genusses überschreitender Wunsch erfüllt werden,
den der Geist, wie ein strenggehaltenes furchtsames Kind gar nicht
auszusprechen wage, erhob Deine Brust, und in dieser Sehnsucht nach dem
unbekannten Etwas, das Dich überall, wo Du gingst und standest, wie ein
duftiger Traum mit durchsichtigen, vor dem schärferen Blick zerfließenden
Gestalten umschwebte, verstummtest Du für alles was Dich hier umgab. Du
schlichst mit trübem Blick umher wie ein hoffnungslos Liebender, und alles,
was Du die Menschen auf allerlei Weise im bunten Gewühl durcheinander
treiben sahst, erregte Dir keinen Schmerz und keine Freude, als gehörtest
Du nicht mehr dieser Welt an. Ist Dir, günstiger Leser, jemals so zu Mute
gewesen, so kennst Du selbst aus eigener Erfahrung den Zustand, in dem sich
der Student Anselmus befand. Überhaupt wünschte ich, es wäre mir schon
jetzt gelungen, Dir, geneigter Leser, den Studenten Anselmus recht lebhaft
vor Augen zu bringen. Denn in der Tat, ich habe in den Nachtwachen, die ich
dazu verwende, seine höchst sonderbare Geschichte aufzuschreiben, noch so
viel Wunderliches, das wie eine spukhafte Erscheinung das alltägliche Leben
ganz gewöhnlicher Menschen ins Blaue hinausrückte, zu erzählen, daß mir
bange ist, Du werdest am Ende weder an den Studenten Anselmus noch an den
Archivarius Lindhorst glauben, ja wohl gar einige ungerechte Zweifel gegen
den Konrektor Paulmann und den Registrator Heerbrand hegen, unerachtet
wenigstens die letztgenannten achtbaren Männer noch jetzt in Dresden
umherwandeln. Versuche es, geneigter Leser, in dem feenhaften Reiche voll
herrlicher Wunder, die die höchste Wonne, sowie das tiefste Entsetzen in
gewaltigen Schlägen hervorrufen, ja, wo die ernste Göttin ihren Schleier
lüftet, daß wir ihr Antlitz zu schauen wähnen -- aber ein Lächeln
schimmert oft aus dem ernsten Blick, und das ist der neckhafte Scherz, der
in allerlei verwirrendem Zauber mit uns spielt, so wie die Mutter oft mit
ihren liebsten Kindern tändelt -- ja, in diesem Reiche, das uns der Geist
so oft, wenigstens im Traume aufschließt, versuche es, geneigter Leser, die
bekannten Gestalten, wie sie täglich, wie man zu sagen pflegt, im gemeinen
Leben, um Dich herwandeln, wiederzuerkennen. Du wirst dann glauben, daß Dir
jenes herrliche Reich viel näher liege, als Du sonst wohl meintest, welches
ich nun eben recht herzlich wünsche, und Dir in der seltsamen Geschichte
des Studenten Anselmus anzudeuten strebe. -- Also, wie gesagt, der Student
Anselmus geriet seit jenem Abende, als er den Archivarius Lindhorst
gesehen, in ein träumerisches Hinbrüten, daß [das] ihn für jede äußere
Berührung des gewöhnlichen Lebens unempfindlich machte. Er fühlte, wie ein
unbekanntes Etwas in seinem Innersten sich regte und ihm jenen wonnevollen
Schmerz verursachte, der eben die Sehnsucht ist, welche dem Menschen ein
anderes, höheres Sein verheißt. Am liebsten war es ihm, wenn er allein
durch Wiesen und Wälder schweifen und wie losgelöst von allem, was ihn an
sein dürftiges Leben fesselte, nur im Anschauen der mannigfachen Bilder,
die aus seinem Innern stiegen, sich gleichsam selbst wiederfinden konnte.
So kam es denn, daß er einst, von einem weiten Spaziergange heimkehrend,
bei jenem merkwürdigen Holunderbusch vorüberschritt, unter dem er damals
wie von Feerei befangen, so viel Seltsames sah; er fühlte sich
wunderbarlich von dem grünen heimatlichen Rasenfleck angezogen, aber kaum
hatte er sich daselbst niedergelassen, als alles, was er damals wie in
einer himmlischen Verzückung geschaut, und das wie von einer fremden Gewalt
aus seiner Seele verdrängt worden, ihm wieder in den lebhaftesten Farben
vorschwebte, als sähe er es zum zweiten Mal. Ja, noch deutlicher als damals
war es ihm, daß die holdseligen blauen Augen der goldgrünen Schlange
angehören, die in der Mitte des Holunderbaumes sich emporwand, und daß in
den Windungen des schlanken Leibes all' die herrlichen Krystall-Glockentöne
hervorblitzen mußten, die ihn mit Wonne und Entzücken erfüllten. So wie
damals am Himmelfahrtstage, umfaßte er den Holunderbaum und rief in die
Zweige und Blätter hinein: »Ach nur noch einmal schlängle und schlinge und
winde Dich, Du holdes grünes Schlänglein, in den Zweigen, daß ich Dich
schauen mag! Nur noch einmal blicke mich an mit Deinen holdseligen Augen!
Ach ich liebe Dich ja und muß in Trauer und Schmerz vergehen, wenn Du nicht
wiederkehrst!« Alles blieb jedoch stumm und still, und wie damals rauschte
der Holunderbaum nur ganz unvernehmlich mit seinen Zweigen und Blättern.
Aber dem Studenten Anselmus war es als wisse er nun, was sich in seinem
Innern so rege und bewege, ja was seine Brust so im Schmerz einer
unendlichen Sehnsucht zerreiße. »Ist es denn etwas anderes,« sprach er,
»als daß ich Dich so ganz mit voller Seele bis zum Tode liebe, Du
herrliches goldenes Schlängelein, ja daß ich ohne Dich nicht zu leben
vermag und vergehen muß in hoffnungsloser Not, wenn ich Dich nicht
wiedersehe, Dich nicht habe wie die Geliebte meines Herzens -- aber ich
weiß es, Du wirst mein und dann alles, was herrliche Träume aus einer
andern höhern Welt mir verheißen, erfüllt sein.« -- Nun ging der Student
Anselmus jeden Abend, wenn die Sonne nur noch in die Spitzen der Bäume ihr
funkelndes Gold streute, unter den Holunderbaum und rief aus tiefer Brust
mit ganz kläglichen Tönen in die Blätter und Zweige hinein nach der holden
Geliebten, dem goldgrünen Schlänglein. Als er dieses wieder einmal nach
gewöhnlicher Weise trieb, stand plötzlich ein langer hagerer Mann in einem
weiten lichtgrauen Überrock gehüllt und rief, indem er ihn mit seinen
großen feurigen Augen anblitzte: »Hei, hei, was klagt und winselt denn da?
-- Hei, hei, das ist ja Herr Anselmus, der meine Manuskripte kopieren
will.« Der Student Anselmus erschrak nicht wenig vor der gewaltigen Stimme;
denn es war ja dieselbe, die damals am Himmelfahrtstage gerufen: Hei, hei!
was ist das für ein Gemunkel und Geflüster usw. Er konnte vor Staunen und
Schreck kein Wort herausbringen. -- »Nun, was ist Ihnen denn, Herr
Anselmus?« fuhr der Archivarius Lindhorst fort (niemand anders war der Mann
im weißgrauen Überrock), »was wollen Sie von dem Holunderbaum und warum
sind Sie denn nicht zu mir gekommen, um Ihre Arbeit anzufangen?« --
Wirklich hatte der Student Anselmus es noch nicht über sich vermocht, den
Archivarius Lindhorst wieder in seinem Hause aufzusuchen, unerachtet er
sich jenen Abend ganz dazu ermutigt; in diesem Augenblick aber, als er
seine schönen Träume und noch dazu durch dieselbe feindselige Stimme, die
schon damals ihm die Geliebte geraubt, zerrissen sah, erfaßte ihn eine Art
Verzweiflung und er brach ungestüm los: »Sie mögen mich nun für wahnsinnig
halten oder nicht, Herr Archivarius, das gilt mir ganz gleich, aber hier
auf diesem Baume erblickte ich am Himmelfahrtstage die goldgrüne Schlange
-- ach! die ewig Geliebte meiner Seele und sie sprach zu mir in herrlichen
Kristalltönen, aber Sie -- Sie, Herr Archivarius, schrieen und riefen so
schrecklich übers Wasser her.« -- »Wie das, mein Gönner?« unterbrach ihn
der Archivarius Lindhorst, indem er ganz sonderbar lächelnd eine Prise
nahm. -- Der Student Anselmus fühlte, wie seine Brust sich erleichterte,
als es ihm nur gelungen, von jenem wunderbaren Abenteuer anzufangen und es
war ihm als sei es schon ganz recht, daß er den Archivarius geradezu
beschuldigt: er sei es gewesen, der so aus der Ferne gedonnert. Er nahm
sich zusammen, sprechend: »Nun, so will ich denn alles erzählen, was mir an
dem Himmelfahrtsabende Verhängnisvolles begegnet und dann mögen Sie reden
und tun und überhaupt denken über mich was Sie wollen.« -- Er erzählte nun
wirklich die ganze wunderliche Begebenheit von dem unglücklichen Tritt in
den Äpfelkorb an, bis zum Entfliehen der drei goldgrünen Schlangen übers
Wasser und wie ihn nun die Menschen für betrunken oder wahnsinnig gehalten.
»Das alles,« schloß der Student Anselmus, »habe ich wirklich gesehen und
tief in der Brust ertönen noch im hellen Nachklange die lieblichen Stimmen,
die zu mir sprachen; es war keineswegs ein Traum und soll ich nicht vor
Liebe und Sehnsucht sterben, so muß ich an die goldgrünen Schlangen
glauben, unerachtet ich an Ihrem Lächeln, werter Herr Archivarius,
wahrnehme, daß Sie eben diese Schlangen nur für ein Erzeugnis meiner
erhitzten, überspannten Einbildungskraft halten.« -- »Mit nichten,«
erwiderte der Archivarius in der größten Ruhe und Gelassenheit, »die
goldgrünen Schlangen, die Sie, Herr Anselmus, in dem Holunderbusch gesehen,
waren nun eben meine drei Töchter, und daß Sie sich in die blauen Augen der
jüngsten, Serpentina genannt, gar sehr verliebt, das ist nun wohl klar. Ich
wußte es übrigens schon am Himmelfahrtstage und da mir zu Hause, am
Arbeitstisch sitzend, des Gemunkels und Geklingels zuviel wurde, rief ich
den losen Dirnen zu, daß es Zeit sei nach Hause zu eilen; denn die Sonne
ging schon unter und sie hatten sich genug mit Singen und Strahlentrinken
erlustigt!« -- Dem Studenten Anselmus war es als würde ihm nur etwas mit
deutlichen Worten gesagt, was er längst geahnt; und ob er gleich zu
bemerken glaubte, daß sich Holunderbusch, Mauer, Rasenboden und alle
Gegenstände rings umher leise zu drehen anfingen, so raffte er sich doch
zusammen und wollte etwas reden; aber der Archivarius ließ ihn nicht zu
Worte kommen, sondern zog schnell den Handschuh von der linken Hand, und
indem er den in wunderbaren Funken und Flammen blitzenden Stein eines
Ringes dem Studenten vor die Augen hielt, sprach er: Schauen Sie her,
werter Herr Anselmus, Sie können darüber, was Sie erblicken, eine Freude
haben. Der Student Anselmus schaute hin, und, o Wunder! Der Stein warf wie
aus einem brennenden Fokus Strahlen rings herum, und die Strahlen
verspannen sich zum hellen, leuchtenden Kristallspiegel, in dem in
mancherlei Windungen, bald einander fliehend, bald sich in einander
schlingend, die drei goldgrünen Schlänglein tanzten und hüpften. Und wenn
die schlanken in tausend Funken blitzenden Leiber sich berührten, da
erklangen herrliche Akkorde wie Kristallglocken und die mittelste streckte
wie voll Sehnsucht und Verlangen das Köpfchen zum Spiegel heraus und die
dunkelblauen Augen sprachen: Kennst Du mich denn -- glaubst Du denn an
mich, Anselmus? -- nur in dem Glauben ist Liebe -- kannst Du denn lieben?
-- O Serpentina, Serpentina! schrie der Student Anselmus in wahnsinnigem
Entzücken; aber der Archivarius Lindhorst hauchte schnell auf den Spiegel,
da fuhren in elektrischem Geknister die Strahlen in den Fokus zurück, und
an der Hand blitzte nur wieder ein kleiner Smaragd, über den der
Archivarius den Handschuh zog. Haben Sie die goldnen Schlänglein gesehen,
Herr Anselmus? fragte der Archivarius Lindhorst. Ach Gott, ja! erwiderte
der Student, und die holde liebliche Serpentina. Still! fuhr der
Archivarius Lindhorst fort, genug für heute! übrigens können Sie ja, wenn
Sie sich entschließen wollen bei mir zu arbeiten, meine Töchter oft genug
sehen, oder vielmehr, ich will Ihnen das wahrhaftige Vergnügen verschaffen,
wenn Sie sich bei der Arbeit recht brav halten, das heißt: mit der größten
Genauigkeit und Reinheit jedes Zeichen kopieren. Aber Sie kommen ja gar
nicht zu mir, unerachtet mir der Registrator Heerbrand versicherte, Sie
würden sich nächstens einfinden und ich deshalb mehrere Tage vergebens
gewartet. -- Sowie der Archivarius Lindhorst den Namen Heerbrand nannte,
war es dem Studenten Anselmus erst wieder, als stehe er wirklich mit
beiden Füßen auf der Erde und er wäre wirklich der Student Anselmus, und
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