Der Goldene Topf - 1

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DER GOLDENE TOPF
von
E.T.A. HOFFMANN:
Mit 11 Federzeichnungen von Edmund Schaefer



[Illustration: Titelbild. Die Frauenkirche in Dresden]

Erstes bis fünftes Tausend
Verlag von Gustav Kiepenheuer Weimar 1913


ERSTE VIGILIE.

Die Unglücksfälle des Studenten Anselmus. Des Konrektors Paulmann
Sanitätsknaster und die goldgrünen Schlangen.

Am Himmelfahrtstage, Nachmittags um drei Uhr rannte ein junger Mensch in
Dresden durchs schwarze Tor und geradezu in einen Korb mit Äpfeln und
Kuchen hinein, die ein altes häßliches Weib feilbot, so daß Alles, was der
Quetschung glücklich entgangen, hinausgeschleudert wurde, und die
Straßenjungen sich lustig in die Beute teilten, die ihnen der hastige Herr
zugeworfen. Auf das Zetergeschrei, das die Alte erhob, verließen die
Gevatterinnen ihre Kuchen- und Branntweintische, umringten den jungen
Menschen und schimpften mit pöbelhaftem Ungestüm auf ihn hinein, so daß er,
vor Ärger und Scham verstummend, nur seinen kleinen nicht eben besonders
gefüllten Geldbeutel hinhielt, den die Alte begierig ergriff und schnell
einsteckte. Nun öffnete sich der festgeschlossene Kreis, aber indem der
junge Mensch hinausschoß, rief ihm die Alte nach: Ja, renne -- renne nur
zu, Satanskind -- ins Kristall bald Dein Fall -- ins Kristall! -- Die
gellende, krächzende Stimme des Weibes hatte etwas Entsetzliches, so daß
die Spaziergänger verwundert still standen, und das Lachen, das sich erst
verbreitet, mit einem Mal verstummte. -- Der Student Anselmus (niemand
anders war der junge Mensch) fühlte sich, unerachtet er des Weibes
sonderbare Worte durchaus nicht verstand, von einem unwillkürlichen Grausen
ergriffen, und er beflügelte noch mehr seine Schritte, um sich den auf ihn
gerichteten Blicken der neugierigen Menge zu entziehen. Wie er sich nun
durch das Gewühl geputzter Menschen durcharbeitete, hörte er überall
murmeln: »Der arme junge Mann -- ei! über das verdammte Weib!« -- Auf ganz
sonderbare Weise hatten die geheimnisvollen Worte der Alten dem
lächerlichen Abenteuer eine gewisse tragische Wendung gegeben, so daß man
dem vorhin ganz Unbemerkten jetzt teilnehmend nachsah. Die Frauenzimmer
verziehen dem wohlgebildeten Gesichte, dessen Ausdruck die Glut des innern
Grimms noch erhöhte, so wie dem kräftigen Wuchse des Jünglings alles
Ungeschick, so wie den ganz außer dem Gebiete aller Mode liegenden Anzug.
Sein hechtgrauer Frack war nämlich so zugeschnitten, als habe der
Schneider, der ihn gearbeitet, die moderne Form nur vom Hörensagen gekannt,
und das schwarzatlasne wohlgeschonte Unterkleid gab dem Ganzen einen
gewissen magistermäßigen Stil, dem sich nun wieder Gang und Stellung
durchaus nicht fügen wollte. -- Als der Student schon beinahe das Ende der
Allee erreicht, die nach dem Linkschen Bade führt, wollte ihm beinahe der
Atem ausgehen. Er war genötigt langsamer zu wandeln; aber kaum wagte er den
Blick in die Höhe zu richten, denn noch immer sah er die Äpfel und Kuchen
um sich tanzen, und jeder freundliche Blick dieses oder jenes Mädchens war
ihm nur der Reflex des schadenfrohen Gelächters am schwarzen Tor. So war er
bis an den Eingang des Linkschen Bades gekommen; eine Reihe festlich
gekleideter Menschen nach der andern zog herein. Musik von Blasinstrumenten
ertönte von innen, und immer lauter und lauter wurde das Gewühl der
lustigen Gäste. Die Tränen wären dem armen Studenten Anselmus beinahe in
die Augen getreten; denn auch er hatte, da der Himmelfahrtstag immer ein
besonderes Familienfest für ihn gewesen, an der Glückseligkeit des
Linkschen Paradieses teilnehmen, ja er hatte es bis zu einer halben Portion
Kaffee mit Rum und einer Bouteille Doppelbier treiben wollen, und um so
recht schlampampen zu können, mehr Geld eingesteckt, als eigentlich erlaubt
und tunlich war. Und nun hatte ihn der fatale Tritt in den Äpfelkorb um
alles gebracht, was er bei sich getragen. An Kaffee, an Doppelbier, an
Musik, an den Anblick der geputzten Mädchen -- kurz -- an alle geträumten
Genüsse war nicht zu denken; er schlich langsam vorbei und schlug endlich
den Weg an der Elbe ein, der gerade ganz einsam war. Unter einem
Holunderbaume, der aus der Mauer hervorgesprossen, fand er ein
freundliches Rasenplätzchen; da setzte er sich hin und stopfte eine Pfeife
von dem Sanitätsknaster, den ihm sein Freund, der Konrektor Paulmann,
geschenkt. -- Dicht vor ihm plätscherten und rauschten die goldgelben
Wellen des schönen Elbstroms; hinter demselben streckte das herrliche
Dresden kühn und stolz seine lichten Türme empor in den duftigen
Himmelsgrund, der sich hinabsenkte auf die blumigen Wiesen und frisch
grünenden Wälder, und aus tiefer Dämmerung gaben die zackichten Gebirge
Kunde vom fernen Böhmerland. Aber finster vor sich hinblickend blies der
Student Anselmus die Dampfwolken in die Luft, und sein Unmut wurde endlich
laut, indem er sprach: »Wahr ist es doch, ich bin zu allem möglichen Kreuz
und Elend geboren! -- Daß ich niemals Bohnenkönig geworden, daß ich im Paar
oder Unpaar immer falsch geraten, daß mein Butterbrot immer auf die fette
Seite gefallen, von allem diesen Jammer will ich gar nicht reden: aber ist
es nicht ein schreckliches Verhängnis, daß ich, als ich denn doch nun dem
Satan zum Trotz Student geworden war, ein Kümmeltürke sein und bleiben
mußte? -- Ziehe ich wohl je einen neuen Rock an, ohne gleich das erstemal
einen Talgfleck hineinzubringen, oder mir an einem übeleingeschlagenen
Nagel ein verwünschtes Loch hineinzureißen? Grüße ich wohl je einen Herrn
Hofrat oder eine Dame, ohne den Hut weit von mir zu schleudern, oder gar
auf dem glatten Boden auszugleiten und schändlich umzustülpen? Hatte ich
nicht schon in Halle jeden Markttag eine bestimmte Ausgabe von drei bis
vier Groschen für zertretene Töpfe, weil mir der Teufel in den Kopf setzt,
meinen Gang geradeaus zu nehmen, wie die Laminge? Bin ich denn ein einziges
Mal ins Kollegium, oder wo man mich sonst hinbeschieden, zu rechter Zeit
gekommen? Was half es, daß ich eine halbe Stunde vorher ausging und mich
vor die Tür hinstellte, den Drücker in der Hand? denn so wie ich mit dem
Glockenschlage aufdrücken wollte, goß mir der Satan ein Waschbecken über
den Kopf, oder ließ mich mit einem Heraustretenden zusammenrennen, daß ich
in tausend Händel verwickelt wurde und darüber Alles versäumte. -- Ach!
ach! wo seid ihr hin, ihr seligen Träume künftigen Glücks, wie ich stolz
wähnte, ich könne es wohl hier noch bis zum geheimen Sekretär bringen! Aber
hat mir mein Unstern nicht die besten Gönner verfeindet? -- Ich weiß, daß
der geheime Rat, an den ich empfohlen bin, verschnittenes Haar nicht leiden
mag; mit Mühe befestigt der Friseur einen kleinen Zopf an meinem
Hinterhaupt, aber bei der ersten Verbeugung springt die unglückselige
Schnur, und ein munterer Mops, der mich umschnüffelt, apportiert im Jubel
das Zöpfchen dem geheimen Rate. Ich springe erschrocken nach und stürze
über den Tisch, an dem er frühstückend gearbeitet hat, so daß Tassen,
Teller, Tintenfaß, Sandbüchse klirrend herabstürzen, und der Strom von
Schokolade und Tinte sich über die eben geschriebene Relation ergießt.
Herr, sind Sie des Teufels? brüllt der erzürnte geheime Rat und schiebt
mich zur Tür hinaus. -- Was hilft es, daß mir der Konrektor Paulmann
Hoffnung zu einem Schreiberdienste gemacht hat? Wird es denn mein Unstern
zulassen, der mich überall verfolgt? -- Nur noch heute! -- Ich wollte den
lieben Himmelfahrtstag recht in der Gemütlichkeit feiern, ich wollte
ordentlich was daraufgehen lassen. Ich hätte eben so gut wie jeder andre
Gast in Linkes Bade stolz rufen können: Marqueur -- eine Flasche Doppelbier
-- aber vom besten bitte ich! -- Ich hätte bis spät Abends sitzen können,
und noch dazu ganz nahe bei dieser oder jener Gesellschaft herrlich
geputzter schöner Mädchen. Ich weiß es schon, der Mut wäre mir gekommen,
ich wäre ein ganz anderer Mensch geworden; ja, ich hätte es so weit
gebracht, daß wenn diese oder jene gefragt: wie spät mag es wohl jetzt
sein? oder: was ist denn das, was sie spielen? da wäre ich mit leichtem
Anstande aufgesprungen, ohne mein Glas umzuwerfen, oder über die Bank zu
stolpern; mich in gebeugter Stellung anderthalb Schritte vorwärts bewegend,
hätte ich gesagt: Erlauben Sie, Mademoiselle, Ihnen zu dienen, es ist die
Ouvertüre aus dem Donauweibchen, oder: es wird gleich sechs Uhr schlagen.
-- Hätte mir das ein Mensch in der Welt übel deuten können? -- Nein! sage
ich, die Mädchen hätten sich so schalkhaft lächelnd angesehen, wie es wohl
zu geschehen pflegt, wenn ich mich ermutige zu zeigen, daß ich mich auch
wohl auf den leichten Weltton verstehe und mit Damen umzugehen weiß. Aber
da führt mich der Satan in den verwünschten Äpfelkorb, und nun muß ich in
der Einsamkeit meinen Sanitätsknaster -- « Hier wurde der Student Anselmus
in seinem Selbstgespräche durch ein sonderbares Rieseln und Rascheln
unterbrochen, das sich dicht neben ihm im Grase erhob, bald aber in die
Zweige und Blätter des Holunderbaumes hinaufglitt, der sich über seinem
Haupte wölbte. Bald war es, als schüttle der Abendwind die Blätter, bald
als kosten Vöglein in den Zweigen, die kleinen Fittiche im mutwilligen
Hin- und Herflattern rührend. Da fing es an zu flüstern und zu lispeln, und
es war als ertönten die Blüten wie aufgehangene Kristallglöckchen. Anselmus
horchte und horchte. Da wurde, er wußte selbst nicht wie, das Gelispel und
Geflüster und Geklingel zu leisen halbverwehten Worten:
Zwischen durch -- zwischen ein -- zwischen Zweigen, zwischen
schwellenden Blüten, schwingen, schlängeln, schlingen wir uns --
Schwesterlein -- Schwesterlein, schwinge dich im Schimmer -- schnell,
schnell herauf -- herab -- Abendsonne schießt Strahlen, zischelt
der Abendwind -- raschelt der Abendwind -- raschelt der Tau --
Blüten singen -- rühren wie Zünglein, singen wir mit Blüten und
Zweigen -- Sterne bald glänzen -- müssen herab -- zwischen durch,
zwischen ein schlängeln, schlingen, schwingen wir uns
Schwesterlein. --
So ging es fort im Sinne verwirrender Rede. Der Student Anselmus dachte:
das ist denn doch nur der Abendwind, der heute mit ordentlich
verständlichen Worten flüstert. -- Aber in dem Augenblick ertönte es über
seinem Haupte wie ein Dreiklang heller Kristallglocken; er schaute hinauf
und erblickte drei in grünem Gold erglänzende Schlänglein, die sich um die
Zweige gewickelt hatten und die Köpfchen der Abendsonne entgegenstreckten.
Da flüsterte und lispelte es von neuem in jenen Worten, und die Schlänglein
schlüpften und kosten auf und nieder durch die Blätter und Zweige; und wie
sie sich so schnell rührten, da war es als streue der Holunderbusch tausend
funkelnde Smaragde durch seine dunklen Blätter. Das ist die Abendsonne, die
so in dem Holunderbusch spielt, dachte der Student Anselmus: aber da
ertönten die Glocken wieder und Anselmus sah, wie eine Schlange ihr
Köpfchen nach ihm herabstreckte. Durch alle Glieder fuhr es ihm wie ein
elektrischer Schlag, er erbebte im Innersten -- er starrte hinauf, und ein
Paar herrliche dunkelblaue Augen blickten ihn an mit unaussprechlicher
Sehnsucht, so daß ein nie gekanntes Gefühl der höchsten Seligkeit und des
tiefsten Schmerzes seine Brust zersprengen wollte. Und wie er voll heißen
Verlangens immer in die holdseligen Augen schaute, da ertönten stärker in
lieblichen Akkorden die Kristallglocken, und die funkelnden Smaragde fielen
auf ihn herab und umspannen ihn, in tausend Flämmchen um ihn herflackernd
und spielend mit schimmernden Goldfaden. Der Holunderbusch rührte sich und
sprach: »Du lagst in meinem Schatten, mein Duft umfloß Dich, aber Du
verstandest mich nicht: der Duft ist meine Sprache, wenn ihn die Liebe
entzündet.« Der Abendwind strich vorüber und sprach: »Ich umspielte Deine
Schläfe, aber Du verstandest mich nicht: der Hauch ist meine Sprache, wenn
ihn die Liebe entzündet.« Die Sonnenstrahlen brachen durch das Gewölk und
der Schein brannte wie in Worten: »Ich umgoß Dich mit glühendem Gold, aber
Du verstandest mich nicht: Glut ist meine Sprache, wenn sie die Liebe
entzündet.«
Und immer inniger und inniger versunken in den Blick des herrlichen
Augenpaars, wurde heißer die Sehnsucht, glühender das Verlangen. Da regte
und bewegte sich alles, wie zum frohen Leben erwacht. Blumen und Blüten
dufteten um ihn her, und ihr Duft war wie herrlicher Gesang von tausend
Flötenstimmen; und was sie gesungen, trugen im Widerhall die goldenen
vorüberfliehenden Abendwolken in ferne Lande. Aber als der letzte Strahl
der Sonne schnell hinter den Bergen verschwand und nun die Dämmerung ihren
Flor über die Gegend warf, da rief, wie aus weiter Ferne, eine rauhe tiefe
Stimme:
Hei, hei! was ist das für ein Gemunkel und Geflüster da drüben? -- Hei,
hei! wer sucht mir doch den Strahl hinter den Bergen! genug gesonnt, genug
gesungen. -- Hei, hei! durch Busch und Gras -- durch Gras und Strom! --
Hei, -- hei -- Her u -- u -- u nter -- Her u -- u -- u nter!
So verschwand die Stimme wie im Murmeln eines fernen Donners, aber die
Kristallglocken zerbrachen im schneidenden Mißton. Alles war verstummt, und
Anselmus sah, wie die drei Schlangen schimmernd und blinkend durch das Gras
nach dem Strome schlüpften; rischelnd und raschelnd stürzten sie sich in
die Elbe, und über den Wogen, wo sie verschwunden, knisterte ein grünes
Feuer empor, das in schiefer Richtung nach der Stadt zu leuchtend
verdampfte.


ZWEITE VIGILIE.

Wie der Student Anselmus für betrunken und wahnwitzig gehalten wurde. --
Die Fahrt über die Elbe. -- Die Bravourarie des Kapellmeisters Graun.
Conradis Magen-Likör und das bronzierte Äpfelweib.

»Der Herr ist wohl nicht recht bei Troste«, sagte eine ehrbare Bürgersfrau,
die vom Spaziergange mit der Familie heimkehrend, still stand und mit
übereinandergeschlagenen Armen dem tollen Treiben des Studenten Anselmus
zusah. _Der_ hatte nämlich den Stamm des Holunderbaumes umfaßt und
rief unaufhörlich in die Zweige und Blätter hinein: »O nur noch einmal
blinket und leuchtet, ihr lieblichen goldnen Schlänglein, nur noch einmal
laßt eure Glockenstimmchen hören! Nur noch einmal blicket mich an, ihr
holdseligen blauen Augen, nur noch einmal, ich muß ja sonst vergehen in
Schmerz und heißer Sehnsucht!« Und dabei seufzte und ächzte er aus der
tiefsten Brust recht kläglich, und schüttelte vor Verlangen und Ungeduld
den Holunderbaum, der aber statt aller Antwort nur ganz dumpf und
unvernehmlich mit den Blättern rauschte, und so den Schmerz des Studenten
Anselmus ordentlich zu verhöhnen schien. -- »Der Herr ist wohl nicht recht
bei Troste,« sagte die Bürgersfrau, und dem Anselmus war es so, als würde
er aus einem tiefen Traum gerüttelt oder gar mit eiskaltem Wasser begossen,
um ja recht jähling zu erwachen. Nun sah er erst wieder deutlich, wo er
war, und besann sich, wie ein sonderbarer Spuk ihn geneckt und gar dazu
getrieben habe, ganz allein für sich selbst in laute Worte auszubrechen.
Bestürzt blickte er die Bürgersfrau an und griff endlich nach dem Hute, der
zur Erde gefallen, um davon zu eilen. Der Familienvater war unterdessen
auch herangekommen und hatte, nachdem er das Kleine, das er auf dem Arm
getragen, ins Gras gesetzt, auf seinen Stock sich stützend mit Verwunderung
dem Studenten zugehört und zugeschaut. Er hob jetzt Pfeife und Tabaksbeutel
auf, die der Student fallen lassen, und sprach, beides ihm hinreichend:
»Lamentier' der Herr nicht so schrecklich in der Finsternis, und vexier' Er
nicht die Leute, wenn ihm sonst nichts fehlt, als daß Er zu viel ins
Gläschen geguckt -- geh' Er fein ordentlich zu Hause und leg' Er sich aufs
Ohr!« Der Student Anselmus schämte sich sehr, er stieß ein weinerliches
Ach! aus. -- »Nun, nun«, fuhr der Bürgersmann fort, »laß es der Herr nur
gut sein, so was geschieht dem Besten, und am lieben Himmelfahrtstage kann
man wohl in der Freude seines Herzens ein Schlückchen über den Durst tun.
[Illustration: Der Student]
Das passiert auch wohl einem Manne Gottes -- der Herr ist ja doch wohl
ein Kandidat. -- Aber wenn es der Herr erlaubt, stopf' ich mir ein
Pfeifchen von seinem Tabak, meiner ist mir da droben ausgegangen.« Dies
sagte der Bürger, als der Student Anselmus schon Pfeife und Beutel
einstecken wollte, und nun reinigte der Bürger langsam und bedächtig seine
Pfeife, und fing eben so langsam an zu stopfen. Mehrere Bürgermädchen waren
dazugetreten, die sprachen heimlich mit der Frau und kicherten mit
einander, indem sie den Anselmus ansahen. Dem war es, als stände er auf
lauter spitzigen Dornen und glühenden Nadeln. So wie er nur Pfeife und
Tabaksbeutel erhalten, rannte er spornstreichs davon. Alles was er
Wunderbares gesehen, war ihm rein aus dem Gedächtnis geschwunden, und er
besann sich nur, daß er unter dem Holunderbaum allerlei tolles Zeug ganz
laut geschwatzt, was ihm denn um so entsetzlicher war, als er von jeher
einen innerlichen Abscheu gegen alle Selbstredner gehegt. Der Satan
schwatzt aus ihnen, sagte sein Rektor, und daran glaubte er auch in der
Tat. Für einen am Himmelfahrtstage betrunkenen Candidatus theologiae
gehalten zu werden, der Gedanke war ihm unerträglich. Schon wollte er in
die Pappelallee bei dem Koselschen Garten einbiegen, als eine Stimme hinter
ihm her rief: Herr Anselmus! Herr Anselmus! wo rennen Sie denn um tausend
Himmelswillen hin in solcher Hast? Der Student blieb wie in den Boden
gewurzelt stehen, denn er war überzeugt, daß nun gleich ein neues Unglück
auf ihn einbrechen werde. Die Stimme ließ sich wieder hören: Herr Anselmus,
so kommen Sie doch zurück, wir warten hier am Wasser! -- Nun vernahm der
Student erst, daß es sein Freund, der Konrektor Paulmann war, der ihn rief;
er ging zurück an die Elbe und fand den Konrektor mit seinen beiden
Töchtern, sowie den Registrator Heerbrand, wie sie eben im Begriff waren in
eine Gondel zu steigen. Der Konrektor Paulmann lud den Studenten ein, mit
ihm über die Elbe zu fahren und dann in seiner, auf der Pirnaer Vorstadt
gelegenen Wohnung Abends über bei ihm zu bleiben. Student Anselmus nahm das
recht gern an, weil er denn doch so dem bösen Verhängnis, das heute über
ihn walte, zu entrinnen glaubte. Als sie nun über den Strom fuhren, begab
es sich, daß auf dem jenseitigen Ufer bei dem Antonschen Garten ein
Feuerwerk abgebrannt wurde. Prasselnd und zischend fuhren die Raketen in
die Höhe und die leuchtenden Sterne zersprangen in den Lüften, tausend
knisternde Strahlen und Flammen um sich sprühend. Der Student Anselmus saß
in sich gekehrt bei dem rudernden Schiffer; als er nun aber im Wasser den
Widerschein der in der Luft herumsprühenden und knisternden Funken und
Flammen erblickte, da war es ihm als zögen die goldnen Schlänglein durch
die Flut. Alles, was er unter dem Holunderbaum Seltsames geschaut, trat
wieder lebendig in Sinn und Gedanken, und aufs neue ergriff ihn die
unaussprechliche Sehnsucht, das glühende Verlangen, welches dort seine
Brust in krampfhaft schmerzvollem Entzücken erschüttert. »Ach, seid ihr es
denn wieder, ihr goldenen Schlänglein, singt nur, singt! In eurem Gesange
erscheinen ja wieder die holden lieblichen dunkelblauen Augen -- ach, seid
ihr denn unter den Fluten!« -- So rief der Student Anselmus und machte
dabei eine heftige Bewegung, als wolle er sich gleich aus der Gondel in die
Flut stürzen. »Ist der Herr des Teufels?« rief der Schiffer, und erwischte
ihn beim Rockschoß. Die Mädchen, welche bei ihm gesessen, schrieen im
Schreck auf und flüchteten auf die andere Seite der Gondel! der Registrator
Heerbrand sagte dem Konrektor Paulmann etwas ins Ohr, worauf dieser
mehreres antwortete, wovon der Student Anselmus aber nur die Worte
verstand: »Dergleichen Anfälle -- noch nicht bemerkt?« -- Gleich nachher
stand auch der Konrektor Paulmann auf und setzte sich mit einer gewissen
ernsten gravitätischen Amtsmiene zu dem Studenten Anselmus, seine Hand
nehmend und sprechend: Wie ist Ihnen, Herr Anselmus? Dem Studenten Anselmus
vergingen beinahe die Sinne, denn in seinem Innern erhob sich ein toller
Zwiespalt, den er vergebens beschwichtigen wollte. Er sah nun wohl
deutlich, daß das, was er für das Leuchten der goldenen Schlänglein
gehalten, nur der Widerschein des Feuerwerks bei Antons Garten war; aber
ein nie gekanntes Gefühl, er wußte selbst nicht, ob Wonne, ob Schmerz, zog
krampfhaft seine Brust zusammen, und wenn der Schiffer nun so mit dem Ruder
ins Wasser hineinschlug, daß es wie im Zorn sich emporkräuselnd plätscherte
und rauschte, da vernahm er in dem Getöse ein heimliches Lispeln und
Flüstern: Anselmus! Anselmus! siehst Du nicht, wie wir stets vor Dir
herziehen? -- Schwesterlein blickt Dich wohl wieder an -- glaube -- glaube
-- glaube an uns! -- Und es war ihm, als säh er im Widerschein drei
grünglühende Streifen. Aber als er dann recht wehmütig ins Wasser
hineinblickte, ob nun nicht die holdseligen Augen aus der Flut
herausschauen würden, da gewahrte er wohl, daß der Schein nur von den
erleuchteten Fenstern der nahen Häuser herrührte. Schweigend saß er da und
im Innern mit sich kämpfend; aber der Konrektor Paulmann sprach noch
heftiger: Wie ist Ihnen, Herr Anselmus? Ganz kleinmütig antwortete der
Student: Ach, lieber Herr Konrektor, wenn Sie wüßten, was ich eben unter
dem Holunderbaum bei der Linkeschen Gartenmauer ganz wachend mit offnen
Augen für ganz besondere Dinge geträumt habe, ach, Sie würden mir es gar
nicht verdenken, daß ich so gleichsam abwesend -- Ei, ei, Herr Anselmus,
fiel der Konrektor Paulmann ein, ich habe Sie immer für einen soliden
jungen Mann gehalten, -- aber träumen -- mit hellen offenen Augen träumen,
und dann mit einem Mal ins Wasser springen wollen, das -- verzeihen Sie
mir, können nur Wahnwitzige oder Narren! -- Der Student Anselmus wurde ganz
betrübt über seines Freundes harte Rede; da sagte Paulmanns älteste Tochter
Veronika, ein recht hübsches blühendes Mädchen von sechzehn Jahren: Aber,
lieber Vater, es muß dem Herrn Anselmus doch was Besonderes begegnet sein,
und er glaubt vielleicht nur, daß er gewacht habe, unerachtet er unter dem
Holunderbaum wirklich geschlafen und ihm allerlei närrisches Zeug
vorgekommen, was ihm noch in Gedanken liegt. -- Und, teuerste Mademoiselle,
werter Konrektor, nahm der Registrator Heerbrand das Wort, sollte man denn
nicht auch wachend in einen gewissen träumerischen Zustand versinken
können? So ist mir in der Tat selbst einmal Nachmittags beim Kaffee in
einem solchen Hinbrüten, dem eigentlichen Moment körperlicher und geistiger
Verdauung, die Lage eines verlornen Aktenstücks wie durch Inspiration
eingefallen, und nur noch gestern tanzte auf gleiche Weise eine herrliche
große lateinische Frakturschrift vor meinen hellen offenen Augen umher.
Ach, geehrtester Registrator, erwiderte der Konrektor Paulmann, Sie haben
immer solch einen Hang zu den Poeticis gehabt, und da verfällt man leicht
in das Phantastische und Romanhafte. Aber dem Studenten Anselmus tat es
wohl, daß man sich seiner in der höchst betrübten Lage, für betrunken oder
wahnwitzig gehalten zu werden, annahm; und unerachtet es ziemlich finster
geworden, glaubte er doch zum erstenmale zu bemerken, wie Veronika recht
schöne dunkelblaue Augen habe, ohne daß ihm jedoch jenes wunderbare
Augenpaar, das er in dem Holunderbaum geschaut, in die Gedanken kam.
Überhaupt war dem Studenten Anselmus mit einem Mal nun wieder das Abenteuer
unter dem Holunderbaum ganz verschwunden; er fühlte sich so leicht und
froh, ja er trieb es wie im lustigen Übermute so weit, daß er bei dem
Heraussteigen aus der Gondel seiner Schutzrednerin Veronika die hülfreiche
Hand bot, und ohne weiteres, als sie ihren Arm in den seinigen hing, sie
mit so vieler Geschicklichkeit und so vielem Glück zu Hause führte, daß er
nur ein einziges Mal ausglitt und, da es gerade der einzige schmutzige
Fleck auf dem ganzen Wege war, Veronikas weißes Kleid nur ganz wenig
bespritzte. Dem Konrektor Paulmann entging die glückliche Änderung des
Studenten Anselmus nicht, er gewann ihn wieder lieb und bat ihn der harten
Worte wegen, die er vorhin gegen ihn fallen lassen, um Verzeihung. Ja,
fügte er hinzu, man hat wohl Beispiele, daß oft gewisse Phantasmata dem
Menschen vorkommen und ihn ordentlich ängstigen und quälen können; das ist
aber körperliche Krankheit, und es helfen Blutigel, die man, salva venia,
dem Hintern appliziert, wie ein berühmter bereits verstorbener Gelehrter
bewiesen. Der Student Anselmus wußte nun in der Tat selbst nicht, ob er
betrunken, wahnwitzig oder krank gewesen; auf jeden Fall schienen ihm aber
die Blutigel ganz unnütz, da die etwaigen Phantasmata gänzlich verschwunden
und er sich immer heiterer fühlte, je mehr es ihm gelang sich in allerlei
Artigkeiten um die hübsche Veronika zu bemühen. Es wurde wie gewöhnlich
nach der frugalen Mahlzeit Musik gemacht; der Student Anselmus mußte sich
ans Klavier setzen und Veronika ließ ihre helle klare Stimme hören. --
Werte Mademoiselle, sagte der Registrator Heerbrand, Sie haben eine Stimme
wie eine Kristallglocke! -- »Das nun wohl nicht!« fuhr es dem Studenten
heraus, er wußte selbst nicht wie, und alle sahen ihn verwundert und
betroffen an. -- »Kristallglocken tönen in Holunderbäumen wunderbar!
wunderbar!« fuhr der Student Anselmus halbleise murmelnd fort. Da legte
Veronika ihre Hand auf seine Schulter und sagte: Was sprechen Sie denn da,
Herr Anselmus? Gleich wurde der Student wieder ganz munter und fing an zu
spielen. Der Konrektor Paulmann sah ihn finster an, aber der Registrator
Heerbrand legte ein Notenblatt auf das Pult und sang zum Entzücken eine
Bravourarie vom Kapellmeister Graun. Der Student Anselmus akkompagnierte
noch manches, und ein fugiertes Duett, das er mit Veronika vortrug und das
der Konrektor Paulmann selbst komponiert, setzte alles in die fröhlichste
Stimmung. Es war ziemlich spät worden und der Registrator Heerbrand griff
nach Hut und Stock, da trat der Konrektor Paulmann geheimnisvoll zu ihm hin
und sprach: Ei, wollten Sie nicht, geehrter Registrator, dem guten Herrn
Anselmus selbst -- nun! wovon wir vorhin sprachen -- Mit tausend Freuden,
erwiderte der Registrator Heerbrand, und begann, nachdem sie sich im Kreise
gesetzt, ohne weiteres in folgender Art: »Es ist hier im Orte ein alter
wunderlicher merkwürdiger Mann, man sagt, er treibe allerlei geheime
Wissenschaften; da es nun eigentlich dergleichen gar nicht gibt, so halte
ich ihn eher für einen forschenden Antiquar, auch wohl nebenher für einen
experimentierenden Chemiker. Ich meine niemand andern als unsern geheimen
Archivarius Lindhorst. Er lebt, wie Sie wissen, einsam in seinem entlegenen
alten Hause, und wenn ihn der Dienst nicht beschäftigt, findet man ihn in
seiner Bibliothek oder in seinem chemischen Laboratorio, wo er aber
niemanden hineinläßt. Er besitzt außer vielen seltenen Büchern eine Anzahl
zum Teil arabischer, koptischer, und gar in sonderbaren Zeichen, die keiner
bekannten Sprache angehören, geschriebene Manuskripte. Diese will er auf
geschickte Weise kopieren lassen, und es bedarf dazu eines Mannes, der sich
darauf versteht mit der Feder zu zeichnen, um mit der größten Genauigkeit
und Treue alle Zeichen auf Pergament und zwar mit Tusche übertragen zu
können. Er läßt in einem besondern Zimmer seines Hauses unter seiner
Aufsicht arbeiten, bezahlt außer dem freien Tisch während der Arbeit jeden
Tag einen Speziestaler, und verspricht noch ein ansehnliches Geschenk, wenn
die Abschriften glücklich beendet. Die Zeit der Arbeit ist täglich von
zwölf bis sechs Uhr. Von drei bis vier Uhr wird geruht und gegessen. Da er
schon mit ein paar jungen Leuten vergeblich den Versuch gemacht hat, jene
Manuskripte kopieren zu lassen, so hat er sich endlich an mich gewendet,
ihm einen geschickten Zeichner zuzuweisen; da habe ich an Sie gedacht,
lieber Herr Anselmus, denn ich weiß, daß Sie sowohl sehr sauber schreiben,
als auch mit der Feder sehr zierlich und rein zeichnen. Wollen Sie daher in
dieser schlechten Zeit und bis zu Ihrer etwanigen [etwaigen] Anstellung den
Speziestaler täglich verdienen und das Geschenk obendrein, so bemühen Sie
sich morgen Punkt zwölf Uhr zu dem Herrn Archivarius, dessen Wohnung Ihnen
bekannt sein wird. Aber hüten Sie sich ja vor jedem Tintenflecken; fällt er
auf die Abschrift, so müssen Sie ohne Gnade von vorn anfangen, fällt er auf
das Original, so ist der Herr Archivarius imstande Sie zum Fenster
hinauszuwerfen, denn es ist ein zorniger Mann.« -- Der Student Anselmus war
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