Der Freigeist - 5

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Der Wechsler. Es ist mir lieb, mein Herr Adrast, daß ich Sie noch
treffe.
Adrast. Ich habe Sie in Ihrer Wohnung gesucht. Die Sache leidet
keinen Aufschub. Ich kann mich doch noch auf Sie verlassen?
Der Wechsler. Nunmehr, ja.
Adrast. Nunmehr? Was wollen Sie damit?
Der Wechsler. Nichts. Ja, Sie können sich auf mich verlassen.
Adrast. Ich will nicht hoffen, daß Sie einiges Mißtrauen gegen mich
haben?
Der Wechsler. Im geringsten nicht.
Adrast. Oder, daß man Ihnen einiges beizubringen gesucht hat?
Der Wechsler. Noch viel weniger.
Adrast. Wir haben bereits miteinander zu tun gehabt, und Sie sollen
mich auch künftig als einen ehrlichen Mann finden.
Der Wechsler. Ich bin ohne Sorgen.
Adrast. Es liegt meiner Ehre daran, diejenigen zuschanden zu machen,
die boshaft genug sind, meinen Kredit zu schmälern.
Der Wechsler. Ich finde, daß man das Gegenteil tut.
Adrast. Oh! sagen Sie das nicht. Ich weiß wohl, daß ich meine
Feinde habe--
Der Wechsler. Sie haben aber auch Ihre Freunde.--
Adrast. Aufs höchste dem Namen nach. Ich würde auszulachen sein,
wenn ich auf sie rechnen wollte.--Und glauben Sie, mein Herr, daß es
mir nicht einmal lieb ist, daß Sie, in meiner Abwesenheit, hier in
diesem Hause gewesen sind?
Der Wechsler. Und es muß Ihnen doch lieb sein.
Adrast. Es ist zwar das Haus, zu welchem ich mir nichts als Gutes
versehen sollte; aber eine gewisse Person darin, mein Herr, eine
gewisse Person--Ich weiß, ich würde es empfunden haben, wenn Sie mit
derselben gesprochen hätten.
Der Wechsler. Ich habe eigentlich mit niemanden gesprochen; diejenige
Person aber, bei welcher ich mich nach Ihnen erkundigte, hat die
größte Ergebenheit gegen Sie bezeugt.
Adrast. Ich kann es Ihnen wohl sagen, wer die Person ist, vor deren
übeln Nachrede ich mich einigermaßen fürchte. Es wird sogar gut sein,
wenn Sie es wissen, damit Sie, wenn Ihnen nachteilige Dinge von mir zu
Ohren kommen sollten, den Urheber kennen.
Der Wechsler. Ich werde nicht nötig haben, darauf zu hören.
Adrast. Aber doch--Mit einem Worte, es ist Theophan.
Der Wechsler (erstaunt). Theophan?
Adrast. Ja, Theophan. Er ist mein Feind--
Der Wechsler. Theophan Ihr Feind?
Adrast. Sie erstaunen?
Der Wechsler. Nicht ohne die größte Ursache.--
Adrast. Ohne Zweifel weil Sie glauben, daß ein Mann von seinem Stande
nicht anders, als großmütig und edel sein könne?--
Der Wechsler. Mein Herr--
Adrast. Er ist der gefährlichste Heuchler, den ich unter
seinesgleichen noch jemals gefunden habe.
Der Wechsler. Mein Herr--
Adrast. Er weiß, daß ich ihn kenne, und gibt sich daher alle Mühe,
mich zu untergraben.--
Der Wechsler. Ich bitte Sie--
Adrast. Wenn Sie etwa eine gute Meinung von ihm haben, so irren Sie
sich sehr. Vielleicht zwar, daß Sie ihn nur von der Seite seines
Vermögens kennen; und wider dieses habe ich nichts: er ist reich; aber
eben sein Reichtum schafft ihm Gelegenheit, auf die allerfeinste Art
schaden zu können.
Der Wechsler. Was sagen Sie?
Adrast. Er wendet unbeschreibliche Ränke an, mich aus diesem Hause zu
bringen; Ränke, denen er ein so unschuldiges Ansehen geben kann, daß
ich selbst darüber erstaune.
Der Wechsler. Das ist zu arg! Länger kann ich durchaus nicht
schweigen. Mein Herr, Sie hintergehen sich auf die erstaunlichste Art.
--
Adrast. Ich mich?
Der Wechsler. Theophan kann das unmöglich sein, wofür Sie ihn
ausgeben. Hören Sie alles! Ich kam hierher, mein Ihnen gegebenes
Wort wieder zurückezunehmen. Ich hatte von sicherer Hand, nicht vom
Theophan, Umstände von Ihnen erfahren, die mich dazu nötigten. Ich
fand ihn hier, und ich glaubte, es ihm ohne Schwierigkeit sagen zu
dürfen--
Adrast. Dem Theophan? Wie wird sich der Niederträchtige gekitzelt
haben!
Der Wechsler. Gekitzelt? Er hat auf das nachdrücklichste für Sie
gesprochen. Und kurz, wenn ich Ihnen mein erstes Versprechen halte,
so geschieht es bloß in Betrachtung seiner.
Adrast. In Betrachtung seiner?--Wo bin ich?
Der Wechsler. Er hat mir schriftliche Versicherungen gegeben, die ich
als eine Bürgschaft für Sie ansehen kann. Zwar hat er mir es zugleich
verboten, jemanden das geringste davon zu sagen: allein ich konnte es
unmöglich anhören, daß ein rechtschaffener Mann so unschuldig
verlästert würde. Sie können die verlangte Summe bei mir abholen
lassen, wann es Ihnen beliebt. Nur werden Sie mir den Gefallen tun
und sich nichts gegen ihn merken lassen. Er bezeugte bei dem ganzen
Handel so viel Aufrichtigkeit und Freundschaft für Sie, daß er ein
Unmensch sein müßte, wenn er die Verstellung bis dahin treiben könnte.-
-Leben Sie wohl! (Geht ab.)

Zweiter Auftritt
Adrast.--Was für ein neuer Streich!--Ich kann nicht wieder zur mir
selbst kommen!--Es ist nicht auszuhalten!--Verachtungen, Beleidigungen,
--Beleidigungen in dem Gegenstande, der ihm der liebste sein muß:--
alles ist umsonst; nichts will er fühlen. Was kann ihn so verhärten?
Die Bosheit allein, die Begierde allein, seine Rache reif werden zu
lassen.--Wen sollte dieser Mann nicht hinter das Licht führen? Ich
weiß nicht, was ich denken soll. Er dringt seine Wohltaten mit einer
Art auf--Aber verwünscht sind seine Wohltaten, und seine Art! Und
wenn auch keine Schlange unter diesen Blumen läge, so würde ich ihn
doch nicht anders als hassen können. Hassen werde ich ihn, und wenn
er mir das Leben rettete. Er hat mir das geraubt, was kostbarer ist,
als das Leben: das Herz meiner Juliane; ein Raub, den er nicht
ersetzen kann, und wenn er sich mir zu eigen schenkte. Doch er will
ihn nicht ersetzen; ich dichte ihm noch eine zu gute Meinung an.--

Dritter Auftritt
Theophan. Adrast.

Theophan. In welcher heftigen Bewegung treffe ich Sie abermals Adrast?
Adrast. Sie ist Ihr Werk.
Theophan. So muß sie eines von denen Werken sein, die wir alsdann
wider unsern Willen hervorbringen, wann wir uns am meisten nach ihrem
Gegenteile bestreben. Ich wünsche nichts, als Sie ruhig zu sehen,
damit Sie mit kaltem Blute von einer Sache mit mir reden könnten, die
uns beide nicht näher angehen kann.
Adrast. Nicht wahr, Theophan? es ist der höchste Grad der List, wenn
man alle seine Streiche so zu spielen weiß, daß die, denen man sie
spielt, selbst nicht wissen, ob und was für Vorwürfe sie uns machen
sollen?
Theophan. Ohne Zweifel.
Adrast. Wünschen Sie sich Glück: Sie haben diesen Grad erreicht.
Theophan. Was soll das wieder?
Adrast. Ich versprach Ihnen vorhin, die bewußten Wechsel zu bezahlen--
(spöttisch) Sie werden es nicht übelnehmen, es kann nunmehr nicht sein.
Ich will Ihnen, anstatt der zerrissenen, andere Wechsel schreiben.
Theophan (in eben dem Tone). Es ist wahr, ich habe sie in keiner
andern Absicht zerrissen, als neue von Ihnen zu bekommen.--
Adrast. Es mag Ihre Absicht gewesen sein, oder nicht: Sie sollen sie
haben.--Wollten Sie aber nicht etwa gern erfahren, warum ich sie
nunmehr nicht bezahlen kann?
Theophan. Nun?
Adrast. Weil ich die Bürgschaften nicht liebe.
Theophan. Die Bürgschaften?
Adrast. Ja; und weil ich Ihrer Rechten nichts geben mag, was ich aus
Ihrer Linken nehmen müßte.
Theophan (beiseite). Der Wechsler hat mir nicht reinen Mund gehalten!
Adrast. Sie verstehen mich doch?
Theophan. Ich kann es nicht mit Gewißheit sagen.
Adrast. Ich gebe mir alle Mühe, Ihnen auf keine Weise verbunden zu
sein: muß es mich also nicht verdrießen, daß Sie mich in den Verdacht
bringen, als ob ich es gleichwohl zu sein Ursache hätte?
Theophan. Ich erstaune über Ihre Geschicklichkeit, alles auf der
schlimmsten Seite zu betrachten.
Adrast. Und wie Sie gehört haben, so bin ich über die Ihrige erstaunt,
diese schlimme Seite so vortrefflich zu verbergen. Noch weiß ich
selbst nicht eigentlich, was ich davon denken soll.
Theophan. Weil Sie das Natürlichste davon nicht denken wollen.
Adrast. Dieses Natürlichste, meinen Sie vielleicht, wäre das, wenn
ich dächte, daß Sie diesen Schritt aus Großmut, aus Vorsorge für
meinen guten Namen getan hätten? Allein, mit Erlaubnis, hier wäre es
gleich das Unnatürlichste.
Theophan. Sie haben doch wohl recht. Denn wie wäre es immer möglich,
daß ein Mann von meinem Stande nur halb so menschliche Gesinnungen
haben könnte?
Adrast. Lassen Sie uns Ihren Stand einmal beiseite setzen.
Theophan. Sollten Sie das wohl können?--
Adrast. Gesetzt also, Sie wären keiner von den Leuten, die, den
Charakter der Frömmigkeit zu behaupten, ihre Leidenschaften so geheim,
als möglich, halten müssen; die anfangs aus Wohlstand heucheln lernen,
und endlich die Heuchelei als eine zweite Natur beibehalten; die nach
ihren Grundsätzen verbunden sind, sich ehrlicher Leute, welche sie die
Kinder der Welt nennen, zu entziehen, oder wenigstens aus keiner
andern Absicht Umgang mit ihnen zu pflegen, als aus der
niederträchtigen Absicht, sie auf ihre Seite zu lenken; gesetzt, Sie
wären keiner von diesen: sind Sie nicht wenigstens ein Mensch, der
Beleidigungen empfindet? Und auf einmal alles in allem zu sagen:--
Sind Sie nicht ein Liebhaber, welcher Eifersucht fühlen muß?
Theophan. Es ist mir angenehm, daß Sie endlich auf diesen Punkt
herauskommen.
Adrast. Vermuten Sie aber nur nicht, daß ich mit der geringsten
Mäßigung davon sprechen werde.
Theophan. So will ich es versuchen, desto mehrere dabei zu brauchen.
Adrast. Sie lieben Julianen, und ich--ich--was suche ich lange noch
Worte?--Ich hasse Sie wegen dieser Liebe, ob ich gleich kein Recht auf
den geliebten Gegenstand habe; und Sie, der Sie ein Recht darauf haben,
sollten mich, der ich Sie um dieses Recht beneide, nicht auch hassen?
Theophan. Gewiß, ich sollte nicht.--Aber lassen Sie uns doch das
Recht untersuchen, das Sie und ich auf Julianen haben.
Adrast. Wenn dieses Recht auf die Stärke unserer Liebe ankäme, so
würde ich es Ihnen vielleicht noch streitig machen. Es ist Ihr Glück,
daß es auf die Einwilligung eines Vaters, und auf den Gehorsam einer
Tochter ankömmt.--
Theophan. Hierauf will ich es durchaus nicht ankommen lassen. Die
Liebe allein soll Richter sein. Aber merken Sie wohl, nicht bloß
unsere, sondern vornehmlich die Liebe derjenigen, in deren Besitz Sie
mich glauben. Wenn Sie mich überführen können, daß Sie von Julianen
wiedergeliebet werden--
Adrast. So wollen Sie mir vielleicht Ihre Ansprüche abtreten?
Theophan. So muß ich.
Adrast. Wie höhnisch Sie mit mir umgehen!--Sie sind Ihrer Sachen
gewiß, und überzeugt, daß Sie bei dieser Rodomontade nichts aufs Spiel
setzen.
Theophan. Also können Sie mir es nicht sagen, ob Sie Juliane liebet?
Adrast. Wenn ich es könnte, würde ich wohl unterlassen, Sie mit
diesem Vorzuge zu peinigen?
Theophan. Stille! Sie machen sich unmenschlicher, als Sie sind.--Nun
wohl! so will ich,--ich will es Ihnen sagen, daß Sie Juliane liebt.
Adrast. Was sagen Sie?--Doch fast hätte ich über das Entzückende
dieser Versicherung vergessen, aus wessen Munde ich sie höre. Recht
so! Theophan, recht so! Man muß über seine Feinde spotten. Aber
wollen Sie, diese Spötterei vollkommen zu machen, mich nicht auch
versichern, daß Sie Julianen nicht lieben?
Theophan (verdrießlich). Es ist unmöglich, mit Ihnen ein vernünftiges
Wort zu sprechen. (Er will weggehen.)
Adrast (beiseite). Er wird zornig?--Warten Sie doch, Theophan.
Wissen Sie, daß die erste aufgebrachte Miene, die ich endlich von
Ihnen sehe, mich begierig macht, dieses vernünftige Wort zu hören?
Theophan (zornig). Und wissen Sie, daß ich endlich Ihres
schimpflichen Betragens überdrüssig bin?
Adrast (beiseite). Er macht Ernst.--
Theophan (noch zornig). Ich will mich bestreben, daß Sie den Theophan
so finden sollen, als Sie ihn sich vorstellen.
Adrast. Verziehen Sie. Ich glaube in Ihrem Trotze mehr
Aufrichtigkeit zu sehen, als ich jemals in Ihrer Freundlichkeit
gesehen habe.
Theophan. Wunderbarer Mensch! Muß man sich Ihnen gleichstellen, muß
man ebenso stolz, ebenso argwöhnisch, ebenso grob sein, als Sie, um
Ihr elendes Vertrauen zu gewinnen?
Adrast. Ich werde Ihnen diese Sprache, ihrer Neuigkeit wegen,
vergeben müssen.
Theophan. Sie soll Ihnen alt genug werden!
Adrast. Aber in der Tat--Sie machen mich vollends verwirrt. Müssen
Sie mir Dinge, worauf alle mein Wohl ankömmt, mit einem fröhlichen
Gesichte sagen? Ich bitte Sie, sagen Sie es jetzt noch einmal, was
ich vorhin für eine Spötterei aufnehmen mußte.
Theophan. Wenn ich es sage, glauben Sie nur nicht, daß es um
Ihretwillen geschieht.
Adrast. Desto mehr werde ich mich darauf verlassen.
Theophan. Aber ohne mich zu unterbrechen: das bitte ich.--
Adrast. Reden Sie nur.
Theophan. Ich will Ihnen den Schlüssel zu dem, was Sie hören sollen,
gleich voraus geben. Meine Neigung hat mich nicht weniger betrogen,
als Sie die Ihrige. Ich kenne und bewundere alle die Vollkommenheiten,
die Julianen zu einer Zierde ihres Geschlechts machen; aber--ich
liebe sie nicht.
Adrast. Sie--
Theophan. Es ist gleichviel, ob Sie es glauben oder nicht glauben.--
Ich habe mir Mühe genug gegeben, meine Hochachtung in Liebe zu
verwandeln. Aber eben bei dieser Bemühung habe ich Gelegenheit gehabt,
es oft sehr deutlich zu merken, daß sich Juliane einen ähnlichen
Zwang antut. Sie wollte mich lieben, und liebte mich nicht. Das Herz
nimmt keine Gründe an, und will in diesem, wie in andern Stücken,
seine Unabhängigkeit von dem Verstande behaupten. Man kann es
tyrannisieren, aber nicht zwingen. Und was hilft es, sich selbst zum
Märtyrer seiner Überlegungen zu machen, wenn man gewiß weiß, daß man
keine Beruhigung dabei finden kann? Ich erbarmte mich also Julianens--
oder vielmehr, ich erbarmte mich meiner selbst: ich unterdrückte meine
wachsende Neigung gegen eine andre Person nicht länger und sahe es mit
Vergnügen, daß auch Juliane zu ohnmächtig oder zu nachsehend war, der
ihrigen zu widerstehen. Diese ging auf einen Mann, der ihrer ebenso
unwürdig ist, als unwürdig er ist, einen Freund zu haben. Adrast
würde sein Glück in ihren Augen längst gewahr geworden sein, wenn
Adrast gelassen genug wäre, richtige Blicke zu tun. Er betrachtet
alles durch das gefärbte Glas seiner vorgefaßten Meinungen, und alles
obenhin; und würde wohl oft lieber seine Sinne verleugnen, als seinen
Wahn aufgeben. Weil Juliane ihn liebenswürdig fand, konnte ich mir
unmöglich einbilden, daß er so gar verderbt sei. Ich sann auf Mittel,
es beiden mit der besten Art beizubringen, daß sie mich nicht als eine
gefährliche Hinderung ansehen sollten. Ich kam nur jetzt in dieser
Absicht hieher; allein ließ mich Adrast, ohne die schimpflichsten
Abschreckungen, darauf kommen? Ich würde ihn, ohne ein weiteres Wort,
verlassen haben, wenn ich mich nicht noch derjenigen Person wegen
gezwungen hätte, der ich, von Grund meiner Seelen, alles gönne, was
sie sich selbst wünscht.--Mehr habe ich ihm nicht zu sagen. (Er will
fortgehen.)
Adrast. Wohin, Theophan?--Urteilen Sie aus meinem Stilleschweigen,
wie groß mein Erstaunen sein müsse!--Es ist eine menschliche
Schwachheit, sich dasjenige leicht überreden zu lassen, was man heftig
wünscht. Soll ich ihr nachhängen? soll ich sie unterdrücken?
Theophan. Ich will bei Ihrer Überlegung nicht gegenwärtig sein.--
Adrast. Wehe dem, der mich auf eine so grausame Art aufzuziehen denkt!
Theophan. So räche mich denn Ihre marternde Ungewißheit an Ihnen!
Adrast (beiseite). Jetzt will ich ihn fangen.--Wollen Sie mir noch
ein Wort erlauben, Theophan?--Wie können Sie über einen Menschen
zürnen, der mehr aus Erstaunen über sein Glück, als aus Mißtrauen
gegen Sie, zweifelt?--
Theophan. Adrast, ich werde mich schämen, nur einen Augenblick
gezürnt zu haben, sobald Sie vernünftig reden wollen.
Adrast. Wenn es wahr ist, daß Sie Julianen nicht lieben, wird es
nicht nötig sein, daß Sie sich dem Lisidor entdecken?
Theophan. Allerdings.
Adrast. Und Sie sind es wirklich gesonnen?
Theophan. Und zwar je eher, je lieber.
Adrast. Sie wollen dem Lisidor sagen, daß Sie Julianen nicht lieben?
Theophan. Was sonst?
Adrast. Daß Sie eine andere Person lieben?
Theophan. Vor allen Dingen; um ihm durchaus keine Ursache zu geben,
Julianen die rückgängige Verbindung zur Last zu legen.
Adrast. Wollten Sie wohl alles dieses gleich jetzo tun?
Theophan. Gleich jetzo?--
Adrast (beiseite). Nun habe ich ihn!--Ja, gleich jetzo.
Theophan. Wollten Sie aber auch wohl eben diesen Schritt tun?
Wollten auch Sie dem Lisidor wohl sagen, daß Sie Henrietten nicht
liebten?
Adrast. Ich brenne vor Verlangen.
Theophan. Und daß Sie Julianen liebten?
Adrast. Zweifeln Sie?
Theophan. Nun wohl! so kommen Sie.
Adrast (beiseite). Er will?--
Theophan. Nur geschwind!
Adrast. Überlegen Sie es recht.
Theophan. Und was soll ich denn noch überlegen?
Adrast. Noch ist es Zeit.--
Theophan. Sie halten sich selbst auf. Nur fort!--(Indem er
vorangehen will.) Sie bleiben zurück? Sie stehen in Gedanken? Sie
sehen mich mit einem Auge an, das Erstaunen verrät? Was soll das?--
Adrast (nach einer kleinen Pause). Theophan!--
Theophan. Nun?--Bin ich nicht bereit?
Adrast (gerührt). Theophan!--Sie sind doch wohl ein ehrlicher Mann.
Theophan. Wie kommen Sie jetzt darauf?
Adrast. Wie ich jetzt darauf komme? Kann ich einen stärkern Beweis
verlangen, daß Ihnen mein Glück nicht gleichgültig ist?
Theophan. Sie erkennen dieses sehr spät--aber Sie erkennen es doch
noch.--Liebster Adrast, ich muß Sie umarmen.--
Adrast. Ich schäme mich--lassen Sie mich allein; ich will ihnen bald
folgen.--
Theophan. Ich werde Sie nicht allein lassen.--Ist es möglich, daß ich
Ihren Abscheu gegen mich überwunden habe? Daß ich ihn durch eine
Aufopferung überwunden habe, die mir so wenig kostet? Ach! Adrast,
Sie wissen noch nicht, wie eigennützig ich dabei bin; ich werde
vielleicht alle Ihre Hochachtung dadurch wieder verlieren:--Ich liebe
Henrietten.
Adrast. Sie lieben Henrietten? Himmel! so können wir ja hier noch
beide glücklich sein. Warum haben wir uns nicht eher erklären müssen?
O Theophan! Theophan! ich würde Ihre ganze Aufführung mit einem
andern Auge angesehen haben. Sie würden der Bitterkeit meines
Verdachts, meiner Vorwürfe nicht ausgesetzt gewesen sein.
Theophan. Keine Entschuldigungen, Adrast! Vorurteile und eine
unglückliche Liebe sind zwei Stücke, deren eines schon hinreichet,
einen Mann zu etwas ganz anderm zu machen, als er ist.--Aber was
verweilen wir hier länger?
Adrast. Ja, Theophan, nun lassen Sie uns eilen.--Aber wenn uns
Lisidor zuwider wäre?--Wenn Juliane einen andern liebte?--
Theophan. Fassen Sie Mut. Hier kömmt Lisidor.

Vierter Auftritt
Lisidor. Theophan. Adrast.

Lisidor. Ihr seid mir feine Leute! Soll ich denn beständig mit dem
fremden Vetter allein sein?
Theophan. Wir waren gleich im Begriff zu Ihnen zu kommen.
Lisidor. Was habt ihr nun wieder zusammen gemacht? gestritten?
Glaubt mir doch nur, aus dem Streiten kömmt nichts heraus. Ihr habt
alle beide, alle beide habt ihr recht.--Zum Exempel: (zum Theophan)
Der spricht, die Vernunft ist schwach; und der (zum Adrast) spricht,
die Vernunft ist stark. Jener beweiset mit starken Gründen, daß die
Vernunft schwach ist; und dieser mit schwachen Gründen, daß sie stark
ist. Kömmt das nun nicht auf eins heraus? schwach und stark, oder,
stark und schwach: was ist denn da für ein Unterscheid?
Theophan. Erlauben Sie, wir haben jetzt weder von der Stärke, noch
von der Schwäche der Vernunft gesprochen--
Lisidor. Nun! so war es von etwas anderm, das ebensowenig zu
bedeuten hat.--Von der Freiheit etwa: Ob ein hungriger Esel, der
zwischen zwei Bündeln Heu steht, die einander vollkommen gleich sind,
das Vermögen hat, von dem ersten von dem besten zu fressen, oder, ob
der Esel so ein Esel sein muß, daß er lieber verhungert?--
Adrast. Auch daran ist nicht gedacht worden. Wir beschäftigten uns
mit einer Sache, bei der das Vornehmste nunmehr auf Sie ankömmt.
Lisidor. Auf mich?
Theophan. Auf Sie, der Sie unser ganzes Glück in Händen haben.
Lisidor. Oh! ihr werdet mir einen Gefallen tun, wenn ihr es so
geschwind, als möglich, in eure eignen Hände nehmt.--Ihr meint doch
wohl das Glück in Fischbeinröcken? Schon lange habe ich es selber
nicht mehr gern behalten wollen. Denn der Mensch ist ein Mensch, und
eine Jungfer eine Jungfer; und Glück und Glas wie bald bricht das!
Theophan. Wir werden zeitlebens nicht dankbar genug sein können, daß
Sie uns einer so nahen Verbindung gewürdiget haben. Allein es stößt
sich noch an eine sehr große Schwierigkeit.
Lisidor. Was?
Adrast. An eine Schwierigkeit, die unmöglich vorauszusehen war.
Lisidor. Nu?
Theophan und Adrast. Wir müssen Ihnen gestehen--
Lisidor. Alle beide zugleich? Was wird das sein? Ich muß euch
ordentlich vernehmen.--Was gestehen Sie, Theophan?--
Theophan. Ich muß Ihnen gestehen,--daß ich Julianen nicht liebe.
Lisidor. Nicht liebe? habe ich recht gehört?--Und was ist denn Ihr
Geständnis, Adrast?--
Adrast. Ich muß Ihnen gestehen,--daß ich Henrietten nicht liebe.
Lisidor. Nicht liebe?--Sie nicht lieben, und Sie nicht lieben; das
kann unmöglich sein! Ihr Streitköpfe, die ihr noch nie einig gewesen
seid, solltet jetzo zum ersten Male einig sein, da es darauf ankömmt,
mir den Stuhl vor die Türe zu setzen?--Ach! ihr scherzt, nun merke
ich's erst.
Adrast. Wir? scherzen?
Lisidor. Oder ihr müßt nicht klug im Kopfe sein. Ihr meine Töchter
nicht lieben? die Mädel weinen sich die Augen aus dem Kopfe.--Aber
warum denn nicht? wenn ich fragen darf. Was fehlt denn Julianen, daß
Sie sie nicht lieben können?
Theophan. Ihnen die Wahrheit zu gestehen, ich glaube, daß ihr Herz
selbst für einen andern eingenommen ist.
Adrast. Und eben dieses vermute ich mit Grunde auch von Henrietten.
Lisidor. Ho! ho! dahinter muß ich kommen.--Lisette! he! Lisette!--
Ihr seid also wohl gar eifersüchtig, und wollt nur drohen?
Theophan. Drohen? da wir Ihrer Güte jetzt am nötigsten haben?
Lisidor. He da! Lisette!

Fünfter Auftritt
Lisette. Lisidor. Theophan. Adrast.

Lisette. Hier bin ich ja schon! Was gibt's?
Lisidor. Sage, sie sollen gleich herkommen.
Lisette. Wer denn?
Lisidor. Beide! hörst du nicht?
Lisette. Meine Jungfern?
Lisidor. Fragst du noch?
Lisette. Gleich will ich sie holen. (Indem sie wieder umkehrt.)
Kann ich ihnen nicht voraus sagen, was sie hier sollen?
Lisidor. Nein!
Lisette (geht und kömmt wieder). Wenn sie mich nun aber fragen?
Lisidor. Wirst du gehen?
Lisette. Ich geh.--(Kömmt wieder.) Es ist wohl etwas Wichtiges?
Lisidor. Ich glaube, du Maulaffe, willst es eher wissen, als sie?
Lisette. Nur sachte! ich bin so neugierig nicht.

Sechster Auftritt
Lisidor. Theophan. Adrast.

Lisidor. Ihr habt mich auf einmal ganz verwirrt gemacht. Doch nur
Geduld, ich will das Ding schon wieder in seine Wege bringen. Das
wäre mir gelegen, wenn ich mir ein Paar andere Schwiegersöhne suchen
müßte! Ihr waret mir gleich so recht, und so ein Paar bekomme ich
nicht wieder zusammen, wenn ich mir sie auch bestellen ließe.
Adrast. Sie sich andre Schwiegersöhne suchen?--Was für ein Unglück
drohen Sie uns?
Lisidor. Ihr wollt doch wohl nicht die Mädel heiraten, ohne sie zu
lieben? Da bin ich auch euer Diener.
Theophan. Ohne sie zu lieben?
Adrast. Wer sagt das?
Lisidor. Was habt ihr denn sonst gesagt?
Adrast. Ich bete Julianen an.
Lisidor. Julianen?
Theophan. Ich liebe Henrietten mehr, als mich selbst.
Lisidor. Henrietten?--Uph! Wird mir doch auf einmal ganz wieder
leichte.--Ist das der Knoten? Also ist es weiter nichts, als daß sich
einer in des andern seine Liebste verliebt hat? Also wäre der ganze
Plunder mit einem Tausche gutzumachen?
Theophan. Wie gütig sind Sie, Lisidor!
Adrast. Sie erlauben uns also--
Lisidor. Was will ich tun? Es ist doch immer besser, ihr tauscht vor
der Hochzeit, als daß ihr nach der Hochzeit tauscht. Wenn es meine
Töchter zufrieden sind, ich bin es zufrieden.
Adrast. Wir schmeicheln uns, daß sie es sein werden.--Aber bei der
Liebe, Lisidor, die Sie gegen uns zeigen, kann ich unmöglich anders,
ich muß Ihnen noch ein Geständnis tun.
Lisidor. Noch eins?
Adrast. Ich würde nicht rechtschaffen handeln, wenn ich Ihnen meine
Umstände verhehlte.
Lisidor. Was für Umstände?
Adrast. Mein Vermögen ist so geschmolzen, daß ich, wenn ich alle
meine Schulden bezahle, nichts übrig behalte.
Lisidor. Oh! schweig doch davon. Habe ich schon nach deinem
Vermögen gefragt? Ich weiß so wohl, daß du ein lockrer Zeisig gewesen
bist, und alles durchgebracht hast; aber eben deswegen will ich dir
eine Tochter geben, damit du doch wieder etwas hast.--Nur stille! da
sind sie; laßt mich machen.

Siebenter Auftritt
Juliane. Henriette. Lisette. Lisidor. Theophan. Adrast.

Lisette. Hier bringe ich sie, Herr Lisidor. Wir sind höchst begierig,
zu wissen, was Sie zu befehlen haben.
Lisidor. Seht freundlich aus, Mädchens! ich will euch etwas
Fröhliches melden: Morgen soll's richtig werden. Macht euch gefaßt!
Lisette. Was soll richtig werden?
Lisidor. Für dich wird nichts mit richtig.--Lustig, Mädchens!
Hochzeit! Hochzeit!--Nu? Ihr seht ja so barmherzig aus? Was fehlt
dir, Juliane?
Juliane. Sie sollen mich allezeit gehorsam finden; aber nur diesesmal
muß ich Ihnen vorstellen, daß Sie mich übereilen würden.--Himmel!
morgen?
Lisidor. Und du, Henriette?
Henriette. Ich, lieber Herr Vater? ich werde morgen krank sein,
todsterbenskrank!
Lisidor. Verschieb es immer bis übermorgen.
Henriette. Es kann nicht sein. Adrast weiß meine Ursachen.
Adrast. Ich weiß, schönste Henriette, daß Sie mich hassen.
Theophan. Und sie, liebste Juliane, Sie wollen gehorsam sein?--Wie
nahe scheine ich meinem Glücke zu sein, und wie weit bin ich
vielleicht noch davon entfernt!--Mit was für einem Gesichte soll ich
es Ihnen sagen, daß ich der Ehre Ihrer Hand unwert bin? daß ich mir
bei aller der Hochachtung, die ich für eine so vollkommene Person
hegen muß, doch nicht getraue, dasjenige für Sie zu empfinden, was ich
nur für eine einzige Person in der Welt empfinden will.
Lisette. Das ist ja wohl gar ein Korb? Es ist nicht erlaubt, daß
auch Mannspersonen welche austeilen wollen. Hurtig also, Julianchen,
mit der Sprache heraus!
Theophan. Nur ein eitles Frauenzimmer könnte meine Erklärung
beleidigen; und ich weiß, daß Juliane über solche Schwachheiten so
weit erhaben ist,--
Juliane. Ach Theophan! ich höre es schon: Sie haben zu scharfe
Blicke in mein Herz getan.--
Adrast. Sie sind nun frei, schönste Juliane. Ich habe Ihnen kein
Bekenntnis weiter abzulegen, als das, welches ich Ihnen bereits
abgelegt habe.--Was soll ich hoffen?
Juliane. Liebster Vater!--Adrast!--Theophan!--Schwester!--
Lisette. Nun merke ich alles. Geschwind muß das die Großmama
erfahren. (Lisette läuft ab.)
Lisidor (zu Julianen). Siehst du, Mädchen, was du für Zeug angefangen
hast?
Theophan. Aber Sie, liebste Henriette, was meinen Sie hierzu? Ist
Adrast nicht ein ungetreuer Liebhaber? Ach! wenn Sie Ihre Augen auf
einen getreuern werfen wollten! Wir sprachen vorhin von Rache, von
einer unschuldigen Rache--
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