Der Freigeist - 4

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Henriette. Mich eifersüchtig? Auf Adrasten eifersüchtig? Ich werde,
von heute an, den Himmel um nichts inbrünstiger anflehen, als um die
Errettung aus den Händen dieses Mannes.
Juliane. Ich? eine Lobrede auf Adrasten? Ist das eine Lobrede, wenn
ich sage, daß ein Mann einen Tag nicht wie den andern aufgeräumt sein
kann? Wenn ich sage, daß Adrasten die Bitterkeit, worüber meine
Schwester klagt, nicht natürlich ist und daß sie ein zugestoßener
Verdruß bei ihm müsse erregt haben? Wenn ich sage, daß ein Mann, wie
er, der sich mit finsteren Nachdenken vielleicht nur zu sehr
beschäftiget--

Zweiter Auftritt
Adrast. Juliane. Henriette. Lisette.

Henriette. Als wenn Sie gerufen wären, Adrast! Sie verließen mich
vorhin, unhöflich genug, mitten in der Erhebung des Theophans; aber
das hindert mich nicht, daß ich Ihnen nicht die Wiederholung Ihrer
eigenen anzuhören gönnen sollte.--Sie sehen sich um? Nach Ihrer
Lobrednerin gewiß? Ich bin es nicht, wahrhaftig! ich bin es nicht;
meine Schwester ist es. Eine Betschwester, die Lobrednerin eines
Freigeistes! Was für ein Widerspruch! Entweder Ihre Bekehrung muß
vor der Türe sein, Adrast, oder meiner Schwester Verführung.
Juliane. Wie ausgelassen sie wieder auf einmal ist.
Henriette. Stehen Sie doch nicht so hölzern da!
Adrast. Ich nehme Sie zum Zeugen, schönste Juliane, wie verächtlich
sie mir begegnet.
Henriette. Komm nur, Lisette! wir wollen sie allein lassen. Adrast
braucht ohne Zweifel unsere Gegenwart weder zu seiner Danksagung, noch
zu meiner Verklagung.
Juliane. Lisette soll hierbleiben.
Henriette. Nein, sie soll nicht.
Lisette. Sie wissen wohl, ich gehöre heute Mamsell Henrietten.
Henriette. Aber bei dem allen sieh dich vor, Schwester! Wenn mir
dein Theophan aufstößt, so sollst du sehen, was geschieht. Sie dürfen
nicht denken, Adrast, daß ich dieses sage, um Sie eifersüchtig zu
machen. Ich fühle es in der Tat, daß ich anfange, Sie zu hassen.
Adrast. Es möchte Ihnen auch schwerlich gelingen, mich eifersüchtig
zu machen.
Henriette. Oh! das wäre vortrefflich, wenn Sie mir hierinne gleich
wären. Alsdann, erst alsdann würde unsre Ehe eine recht glückliche
Ehe werden. Freuen Sie sich, Adrast! wie verächtlich wollen wir
einander begegnen!--Du willst antworten, Schwester? Nun ist es Zeit.
Fort, Lisette!

Dritter Auftritt
Adrast. Juliane.

Juliane. Adrast, Sie werden Geduld mit ihr haben müssen.--Sie
verdient es aber auch; denn sie hat das beste Herz von der Welt, so
verdächtig es ihre Zunge zu machen sucht.
Adrast. Allzugütige Juliane! Sie hat das Glück, Ihre Schwester zu
sein; aber wie schlecht macht sie sich dieses Glück zunutze? Ich
entschuldige jedes Frauenzimmer, das ohne merkliche Fehler nicht hat
aufwachsen können, weil es ohne Erziehung und Beispiele hat aufwachsen
müssen; aber ein Frauenzimmer zu entschuldigen, das eine Juliane zum
Muster gehabt hat, und eine Henriette geworden ist: bis dahin langt
meine Höflichkeit nicht.--
Juliane. Sie sind aufgebracht, Adrast: wie könnten Sie billig sein?
Adrast. Ich weiß nicht, was ich jetzo bin; aber ich weiß, daß ich aus
Empfindung rede.--
Juliane. Die zu heftig ist, als daß sie lange anhalten sollte.
Adrast. So prophezeien Sie mir mein Unglück.
Juliane. Wie?--Sie vergessen, in was für Verbindung Sie mit meiner
Schwester stehen?
Adrast. Ach! Juliane, warum muß ich Ihnen sagen, daß ich kein Herz
für Ihre Schwester habe?
Juliane. Sie erschrecken mich.--
Adrast. Und ich habe Ihnen nur noch die kleinste Hälfte von dem
gesagt, was ich Ihnen sagen muß.
Juliane. So erlauben Sie, daß ich mir die größre erspare. (Sie will
fortgehen.)
Adrast. Wohin? Ich hätte Ihnen meine Veränderung entdeckt, und Sie
wollten die Gründe, die mich dazu bewogen haben, nicht anhören? Sie
wollten mich mit dem Verdachte verlassen, daß ich ein unbeständiger,
leichtsinniger Flattergeist sei?
Juliane. Sie irren sich. Nicht ich; mein Vater, meine Schwester,
haben allein auf Ihre Rechtfertigungen ein Recht.
Adrast. Allein? Ach!--
Juliane. Halten Sie mich nicht länger--
Adrast. Ich bitte nur um einen Augenblick. Der größte Verbrecher
wird gehört--
Juliane. Von seinem Richter, Adrast; und ich bin Ihr Richter nicht.
Adrast. Aber ich beschwöre Sie, es jetzt sein zu wollen. Ihr Vater,
schönste Juliane, und Ihre Schwester werden mich verdammen, und nicht
richten. Ihnen allein traue ich die Billigkeit zu, die mich beruhigen
kann.
Juliane (beiseite). Ich glaube, er beredet mich, ihn anzuhören.--Nun
wohl! so sagen Sie denn, Adrast, was Sie wider meine Schwester so
eingenommen hat?
Adrast. Sie selbst hat mich wider sich eingenommen. Sie ist zu wenig
Frauenzimmer, als daß ich sie als Frauenzimmer lieben könnte. Wenn
ihre Lineamente nicht ihr Geschlecht bestärkten, so würde man sie für
einen verkleideten wilden Jüngling halten, der zu ungeschickt wäre,
seine angenommene Rolle zu spielen. Was für ein Mundwerk! Und was
muß es für ein Geist sein, der diesen Mund in Beschäftigung erhält!
Sagen Sie nicht, daß vielleicht Mund und Geist bei ihr wenig oder
keine Verbindung miteinander haben. Desto schlimmer. Diese Unordnung,
da ein jedes von diesen zwei Stücken seinen eignen Weg hält, macht
zwar die Vergehungen einer solchen Person weniger strafbar; allein sie
vernichtet auch alles Gute, was diese Person noch etwa an sich haben
kann. Wenn ihre beißenden Spöttereien, ihre nachteiligen Anmerkungen
deswegen zu übersehen sind, weil sie es, wie man zu reden pflegt,
nicht so böse meinet; ist man nicht berechtiget, aus eben diesem
Grunde dasjenige, was sie Rühmliches und Verbindliches sagt, ebenfalls
für leere Töne anzusehen, bei welchen sie es vielleicht nicht so gut
meinet? Wie kann man eines Art zu denken beurteilen, wenn man sie
nicht aus seiner Art zu reden beurteilen soll? Und wenn der Schluß
von der Rede auf die Gesinnung in dem einen Falle nicht gelten soll,
warum soll er in dem andern gelten? Sie spricht mit dürren Worten,
daß sie mich zu hassen anfange; und ich soll glauben, daß sie mich
noch liebe? So werde ich auch glauben müssen, daß sie mich hasse,
wenn sie sagen wird, daß sie mich zu lieben anfange.
Juliane. Adrast, Sie betrachten ihre kleinen Neckereien zu strenge,
und verwechseln Falschheit mit Übereilung. Sie kann der letztern des
Tages hundertmal schuldig werden; und von der erstern doch immer
entfernt bleiben. Sie müssen es aus ihren Taten, und nicht aus ihren
Reden, erfahren lernen, daß sie im Grunde die freundschaftlichste und
zärtlichste Seele hat.
Adrast. Ach! Juliane, die Reden sind die ersten Anfänge der Taten,
ihre Elemente gleichsam. Wie kann man vermuten, daß diejenige
vorsichtig und gut handeln werde, der es nicht einmal gewöhnlich ist,
vorsichtig und gut zu reden? Ihre Zunge verschont nichts, auch
dasjenige nicht, was ihr das Heiligste von der Welt sein sollte.
Pflicht, Tugend, Anständigkeit, Religion: alles ist ihrem Spotte
ausgesetzt.--
Juliane. Stille, Adrast! Sie sollten der letzte sein, der diese
Anmerkung machte.
Adrast. Wieso?
Juliane. Wieso?--Soll ich aufrichtig reden?
Adrast. Als ob Sie anders reden könnten.--
Juliane. Wie, wenn das ganze Betragen meiner Schwester, ihr Bestreben
leichtsinniger zu scheinen, als sie ist, ihre Begierde Spöttereien zu
sagen, sich nur von einer gewissen Zeit herschrieben? Wie, wenn diese
gewisse Zeit die Zeit Ihres Hierseins wäre, Adrast?
Adrast. Was sagen Sie?
Juliane. Ich will nicht sagen, daß Sie ihr mit einem bösen Exempel
vorgegangen wären. Allein wozu verleitet uns nicht die Begierde zu
gefallen? Wenn Sie Ihre Gesinnungen auch noch weniger geäußert hätten:
--und Sie haben sie oft deutlich genug geäußert.--so würde sie
Henriette doch erraten haben. Und sobald sie dieselben erriet, so
bald war der Schluß, sich durch die Annehmung gleicher Gesinnungen bei
Ihnen beliebt zu machen, für ein lebhaftes Mädchen sehr natürlich.
Wollen Sie wohl nun so grausam sein, und ihr dasjenige als ein
Verbrechen anrechnen, wofür Sie ihr, als für eine Schmeichelei, danken
sollten?
Adrast. Ich danke niemanden, der klein genug ist, meinetwegen seinen
Charakter zu verlassen; und derjenige macht mir eine schlechte
Schmeichelei, der mich für einen Toren hält, welchem nichts als seine
Art gefalle, und der überall gern kleine Kopien und verjüngte
Abschilderungen von sich selbst sehen möchte.
Juliane. Aber auf diese Art werden Sie wenig Proselyten machen.
Adrast. Was denken Sie von mir, schönste Juliane? Ich Proselyten
machen? Rasendes Unternehmen! Wem habe ich meine Gedanken jemals
anschwatzen oder aufdringen wollen? Es sollte mir leid tun, sie unter
den Pöbel gebracht zu wissen. Wenn ich sie oft laut und mit einer
gewissen Heftigkeit verteidiget habe, so ist es in der Absicht, mich
zu rechtfertigen, nicht, andere zu überreden, geschehen. Wenn meine
Meinungen zu gemein würden, so würde ich der erste sein, der sie
verließe, und die gegenseitigen annähme.
Juliane. Sie suchen also nur das Sonderbare?
Adrast. Nein, nicht das Sonderbare, sondern bloß das Wahre; und ich
kann nicht dafür, wenn jenes, leider! eine Folge von diesem ist. Es
ist mir unmöglich zu glauben, daß die Wahrheit gemein sein könne;
ebenso unmöglich, als zu glauben, daß in der ganzen Welt auf einmal
Tag sein könne. Das, was unter der Gestalt der Wahrheit unter allen
Völkern herumschleicht, und auch von den Blödsinnigsten angenommen
wird, ist gewiß keine Wahrheit, und man darf nur getrost die Hand, sie
zu entkleiden, anlegen, so wird man den scheußlichsten Irrtum nackend
vor sich stehen sehen.
Juliane. Wie elend sind die Menschen, und wie ungerecht ihr Schöpfer,
wenn Sie recht haben, Adrast! Es muß entweder gar keine Wahrheit sein,
oder sie muß von der Beschaffenheit sein, daß sie von den meisten, ja
von allen, wenigstens im Wesentlichsten, empfunden werden kann.
Adrast. Es liegt nicht an der Wahrheit, daß sie es nicht werden kann,
sondern an den Menschen.--Wir sollen glücklich in der Welt leben; dazu
sind wir erschaffen; dazu sind wir einzig und allein erschaffen.
Sooft die Wahrheit diesem großen Endzwecke hinderlich ist, sooft ist
man verbunden, sie beiseite zu setzen; denn nur wenig Geister können
in der Wahrheit selbst ihr Glück finden. Man lasse daher dem Pöbel
seine Irrtümer; man lasse sie ihm, weil sie ein Grund seines Glückes
und die Stütze des Staates sind, in welchem er für sich Sicherheit,
Überfluß und Freude findet. Ihm die Religion nehmen, heißt ein wildes
Pferd auf der fetten Weide losbinden, das, sobald es sich frei fühlt,
lieber in unfruchtbaren Wäldern herumschweifen und Mangel leiden, als
durch einen gemächlichen Dienst alles, was es braucht, erwerben will.--
Doch nicht für den Pöbel allein, auch noch für einen andern Teil des
menschlichen Geschlechts muß man die Religion beibehalten. Für den
schönsten Teil, meine ich, dem sie eine Art von Zierde, wie dort eine
Art von Zaume ist. Das Religiöse stehet der weiblichen Bescheidenheit
sehr wohl; es gibt der Schönheit ein gewisses edles, gesetztes und
schmachtendes Ansehen--
Juliane. Halten Sie, Adrast! Sie erweisen meinem Geschlechte
ebensowenig Ehre, als der Religion. Jenes setzen Sie mit dem Pöbel in
eine Klasse, so fein auch Ihre Wendung war; und diese machen Sie aufs
höchste zu einer Art von Schminke, die das Geräte auf unsern
Nachttischen vermehren kann. Nein, Adrast! die Religion ist eine
Zierde für alle Menschen; und muß ihre wesentlichste Zierde sein. Ach!
Sie verkennen sie aus Stolze; aber aus einem falschen Stolze. Was
kann unsre Seele mit erhabenern Begriffen füllen, als die Religion?
Und worin kann die Schönheit der Seele anders bestehen, als in solchen
Begriffen? in würdigen Begriffen von Gott, von uns, von unsern
Pflichten, von unserer Bestimmung? Was kann unser Herz, diesen
Sammelplatz verderbter und unruhiger Leidenschaften, mehr reinigen,
mehr beruhigen, als eben diese Religion? Was kann uns im Elende mehr
aufrichten, als sie? Was kann uns zu wahrern Menschen, zu bessern
Bürgern, zu aufrichtigern Freunden machen, als sie?--Fast schäme ich
mich, Adrast, mit Ihnen so ernstlich zu reden. Es ist der Ton ohne
Zweifel nicht, der Ihnen an einem Frauenzimmer gefällt, ob Ihnen
gleich der entgegengesetzte ebensowenig zu gefallen scheinet. Sie
könnten alles dieses aus einem beredtern Munde, aus dem Munde des
Theophans hören.

Vierter Auftritt
Henriette. Juliane. Adrast.

Henriette (bleibt an der Szene horchend stehen). St!
Adrast. Sagen Sie mir nichts vom Theophan. Ein Wort von Ihnen hat
mehr Nachdruck, als ein stundenlanges Geplärre von ihm. Sie wundern
sich? Kann es bei der Macht, die eine Person über mich haben muß, die
ich einzig liebe, die ich anbete, anders sein?--Ja, die ich liebe.--
Das Wort ist hin! es ist gesagt! Ich bin mein Geheimnis los, bei
dessen Verschweigung ich mich ewig gequälet hätte, von dessen
Entdeckung ich aber darum nichts mehr hoffe.--Sie entfärben sich?--
Juliane. Was habe ich gehört? Adrast!--
Adrast (indem er niederfällt). Lassen Sie mich es Ihnen auf den Knien
zuschwören, daß Sie die Wahrheit gehört haben.--Ich liebe Sie,
schönste Juliane, und werde Sie ewig lieben. Nun, nun liegt mein Herz
klar und aufgedeckt vor Ihnen da. Umsonst wollte ich mich und andere
bereden, daß meine Gleichgültigkeit gegen Henrietten die Wirkung an
ihr bemerkter nachteiliger Eigenschaften sei; da sie doch nichts, als
die Wirkung einer schon gebundenen Neigung war. Ach! die
liebenswürdige Henriette hat vielleicht keinen andern Fehler, als
diesen, daß sie eine noch liebenswürdigere Schwester hat.--
Henriette. Bravo! die Szene muß ich den Theophan unterbrechen lassen.
--(Geht ab.)

Fünfter Auftritt
Juliane. Adrast.

Adrast (indem er gähling aufsteht). Wer sprach hier?
Juliane. Himmel! es war Henriettens Stimme.
Adrast. Ja, sie war es. Was für eine Neugierde! was für ein Vorwitz!
Nein, nein! ich habe nichts zu widerrufen; sie hat alle die Fehler,
die ich ihr beigelegt, und noch weit mehrere. Ich könnte sie nicht
lieben, und wenn ich auch schon vollkommen frei, vollkommen
gleichgültig gegen eine jede andere wäre.
Juliane. Was für Verdruß, Adrast, werden Sie mir zuziehen!
Adrast. Sorgen Sie nicht! Ich werde Ihnen allen diesen Verdruß durch
meine plötzliche Entfernung zu ersparen wissen.
Juliane. Durch Ihre Entfernung?
Adrast. Ja, sie ist fest beschlossen. Meine Umstände sind von der
Beschaffenheit, daß ich die Güte Lisidors mißbrauchen würde, wenn ich
länger bliebe. Und über dieses will ich lieber meinen Abschied nehmen,
als ihn bekommen.
Juliane. Sie überlegen nicht, was Sie sagen, Adrast. Von wem sollten
Sie ihn bekommen?
Adrast. Ich kenne die Väter, schönste Juliane, und kenne auch die
Theophane. Erlauben Sie, daß ich mich nicht näher erklären darf. Ach!
wenn ich mir schmeicheln könnte, daß Juliane--Ich sage nichts weiter.
Ich will mir mit keiner Unmöglichkeit schmeicheln. Nein, Juliane
kann den Adrast nicht lieben; sie muß ihn hassen.--
Juliane. Ich hasse niemanden, Adrast.--
Adrast. Sie hassen mich; denn hier ist Hassen eben das, was
Nichtlieben ist. Sie lieben den Theophan.--Ha! hier kömmt er selbst.

Sechster Auftritt
Theophan. Adrast. Juliane.

Juliane (beiseite). Was wird er sagen? was werde ich antworten?
Adrast. Ich kann mir es einbilden, auf wessen Anstiften Sie herkommen.
Aber was glaubt sie damit zu gewinnen? Mich zu verwirren? mich
wieder an sich zu ziehen?--Wie wohl läßt es Ihnen, Theophan, und Ihrem
ehrwürdigen Charakter, das Werkzeug einer weiblichen Eifersucht zu
sein! Oder kommen Sie gar, mich zur Rede zu setzen? Ich werde Ihnen
alles gestehen; ich werde noch stolz darauf sein.
Theophan. Wovon reden Sie, Adrast? Ich verstehe kein Wort.
Juliane. Erlauben Sie, daß ich mich entferne. Theophan, ich
schmeichle mir, daß Sie einige Hochachtung für mich haben; Sie werden
keine ungerechte Auslegungen machen, und wenigstens glauben, daß ich
meine Pflicht kenne, und daß sie mir zu heilig ist, sie auch nur in
Gedanken zu verletzen.
Theophan. Verziehen Sie doch.--Was sollen diese Reden? Ich verstehe
Sie so wenig, als ich den Adrast verstanden habe.
Juliane. Es ist mir lieb, daß Sie aus einer unschuldigen Kleinigkeit
nichts machen wollen. Aber lassen Sie mich--(Geht ab.)

Siebenter Auftritt
Adrast. Theophan.

Theophan. Ihre Geliebte, Adrast, schickte mich hierher: Ich würde
hier nötig sein, sagte sie. Ich eile, und bekomme lauter Rätsel zu
hören.
Adrast. Meine Geliebte?--Ei! wie fein haben Sie dieses angebracht!
Gewiß, Sie konnten Ihre Vorwürfe nicht kürzer fassen.
Theophan. Meine Vorwürfe? Was habe ich Ihnen denn vorzuwerfen?'
Adrast. Wollen Sie etwa die Bestätigung aus meinem Munde hören?
Theophan. Sagen Sie mir nur, was Sie bestätigen wollen? Ich stehe
ganz erstaunt hier.--
Adrast. Das geht zu weit. Welche kriechende Verstellung! Doch damit
sie Ihnen endlich nicht zu sauer wird, so will ich Sie mit Gewalt
zwingen, sie abzulegen.--Ja, es ist alles wahr, was Ihnen Henriette
hinterbracht hat. Sie war niederträchtig genug, uns zu behorchen.--
Ich liebe Julianen, und habe ihr meine Liebe gestanden.--
Theophan. Sie lieben Julianen?
Adrast (spöttisch). Und was das Schlimmste dabei ist, ohne den
Theophan um Erlaubnis gebeten zu haben.
Theophan. Stellen Sie sich deswegen zufrieden. Sie haben nur eine
sehr kleine Formalität übergangen.
Adrast. Ihre Gelassenheit, Theophan, ist hier nichts Besonders. Sie
glauben Ihrer Sachen gewiß zu sein.--Und ach! wenn Sie es doch
weniger wären! Wenn ich doch nur mit der geringsten
Wahrscheinlichkeit hinzusetzen könnte, daß Juliane auch mich liebe.
Was für eine Wollust sollte mir das Erschrecken sein, das sich in
Ihrem Gesichte verraten würde! Was für ein Labsal für mich, wenn ich
Sie seufzen hörte, wenn ich Sie zittern sähe! Wie würde ich mich
freuen, wenn Sie Ihre ganze Wut an mir auslassen, und mich voller
Verzweiflung, ich weiß nicht wohin, verwünschen müßten!
Theophan. So könnte Sie wohl kein Glück entzücken, wenn es nicht
durch das Unglück eines andern gewürzt würde?--Ich bedaure den Adrast!
Die Liebe muß alle ihre verderbliche Macht an ihm verschwendet haben,
weil er so unanständig reden kann.
Adrast. Wohl! an dieser Miene, an dieser Wendung erinnere ich mich,
was ich bin. Es ist wahr, ich bin Ihr Schuldner, Theophan: und gegen
seine Schuldner hat man das Recht, immer ein wenig groß zu tun;--doch
Geduld! ich hoffe es nicht lange mehr zu sein. Es hat sich noch ein
ehrlicher Mann gefunden, der mich aus dieser Verlegenheit reißen will.
Ich weiß nicht, wo er bleibt. Seinem Versprechen gemäß, hätte er
bereits mit dem Gelde hier sein sollen. Ich werde wohltun, wenn ich
ihn hole.
Theophan. Aber noch ein Wort, Adrast. Ich will Ihnen mein ganzes
Herz entdecken.--
Adrast. Diese Entdeckung würde mich nicht sehr belustigen. Ich gehe,
und bald werde ich Ihnen mit einem kühnern Gesichte unter die Augen
treten können. (Geht ab.)
Theophan (allein). Unbiegsamer Geist! Fast verzweifle ich an meinem
Unternehmen. Alles ist bei ihm umsonst. Aber was würde er gesagt
haben, wenn er mir Zeit gelassen hätte, ihn für sein Geständnis, mit
einem andern ähnlichen Geständnisse zu bezahlen?--Sie kömmt.

Achter Auftritt
Henriette. Lisette. Theophan.

Henriette. Nun? Theophan, habe ich Sie nicht zu einem artigen
Anblicke verholfen?
Theophan. Sie sind leichtfertig, schöne Henriette. Aber was meinen
Sie für einen Anblick? Kaum daß ich die Hauptsache mit Mühe und Not
begriffen habe.
Henriette. O schade!--Sie kamen also zu langsam? und Adrast lag
nicht mehr vor meiner Schwester auf den Knien?
Theophan. So hat er vor ihr auf den Knien gelegen?
Lisette. Leider für Sie alle beide!
Henriette. Und meine Schwester stand da,--ich kann es Ihnen nicht
beschreiben,--stand da, fast, als wenn sie ihn in dieser unbequemen
Stellung gerne gesehen hätte. Sie dauern mich, Theophan!--
Theophan. Soll ich Sie auch bedauren, mitleidiges Kind?
Henriette. Mich bedauren? Sie sollen mir Glück wünschen.
Lisette. Aber nein; so etwas schreit um Rache!
Theophan. Und wie meint Lisette denn, daß man sich rächen könne?
Lisette. Sie wollen sich also doch rächen?
Theophan. Vielleicht.
Lisette. Und Sie sich auch, Mamsell?
Henriette. Vielleicht.
Lisette. Gut! das sind zwei Vielleicht, womit sich etwas anfangen
läßt.
Theophan. Aber es ist noch sehr ungewiß, ob Juliane den Adrast
wiederliebt; und wenn dieses nicht ist, so würde ich zu zeitig auf
Rache denken.
Lisette. Oh! die christliche Seele! Nun überlegt sie erst, daß man
sich nicht rächen soll.
Theophan. Nicht so spöttisch, Lisette! Es würde hier von einer sehr
unschuldigen Rache die Rede sein.
Henriette. Das meine ich auch; von einer sehr unschuldigen.
Lisette. Wer leugnet das? von einer so unschuldigen, daß man sich
mit gutem Gewissen darüber beratschlagen kann. Hören Sie nur! Ihre
Rache, Herr Theophan, wäre eine männliche Rache, nicht wahr? und Ihre
Rache, Mamsell Henriette, wäre eine weibliche Rache: eine männliche
Rache--nun, und eine weibliche Rache--Ja! wie bringe ich wohl das
Ding recht gescheut herum?
Henriette. Du bist eine Närrin mitsamt deinen Geschlechtern.
Lisette. Helfen Sie mir doch ein wenig, Herr Theophan.--Was meinen
Sie dazu? Wenn zwei Personen einerlei Weg gehen müssen, nicht wahr?
so ist es gut, daß diese zwei Personen einander Gesellschaft leisten?
Theophan. Jawohl; aber vorausgesetzt, daß diese zwei Personen
einander leiden können.
Henriette. Das war der Punkt!
Lisette (beiseite). Will denn keines anbeißen? Ich muß einen andern
Zipfel fassen.--Es ist schon wahr, was Herr Theophan vorhin sagte, daß
es nämlich noch sehr ungewiß sei, ob Mamsell Juliane den Adrast liebe.
Ich setze sogar hinzu. Es ist noch sehr ungewiß, ob Herr Adrast
Mamsell Julianen wirklich liebt.
Henriette. O schweig, du unglückliche Zweiflerin. Es soll nun aber
gewiß sein!
Lisette. Die Mannspersonen bekommen dann und wann gewisse Anfälle von
einer gewissen wetterwendischen Krankheit, die aus einer gewissen
Überladung des Herzens entspringt.
Henriette. Aus einer Überladung des Herzens? Schön gegeben!
Lisette. Ich will Ihnen gleich sagen, was das heißt. So wie Leute,
die sich den Magen überladen haben, nicht eigentlich mehr wissen, was
ihnen schmeckt, und was ihnen nicht schmeckt: so geht es auch den
Leuten, die sich das Herz überladen haben. Sie wissen selbst nicht
mehr, auf welche Seite das überladene Herz hinhängt, und da trifft es
sich denn wohl, daß kleine Irrungen in der Person daraus entstehen.--
Habe ich nicht recht, Herr Theophan?
Theophan. Ich will es überlegen.
Lisette. Sie sind freilich eine weit bessere Art von Mannspersonen,
und ich halte Sie für allzu vorsichtig, als daß Sie Ihr Herz so
überladen sollten.--Aber wissen Sie wohl, was ich für einen Einfall
habe, wie wir gleichwohl hinter die Wahrheit mit dem Herrn Adrast und
der Mamsell Juliane kommen wollen?
Theophan. Nun?
Henriette. Du würdest mich neugierig machen, wenn ich nicht schon
hinter der Wahrheit wäre.--
Lisette. Wie? wenn wir einen gewissen blinden Lärm machten?
Henriette. Was ist das wieder?
Lisette. Ein blinder Lärm ist ein Lärm wohinter nichts ist; der aber
doch die Gabe hat, den Feind--zu einer gewissen Aufmerksamkeit zu
bringen.--Zum Exempel: Um zu erfahren, ob Mamsell Juliane den Adrast
liebe, müßte sich Herr Theophan in jemand anders verliebt stellen; und
um zu erfahren, ob Adrast Mamsell Julianen liebe, müßten Sie sich in
jemand anders verliebt stellen. Und da es nun nicht lassen würde,
wenn sich Herr Theophan in mich verliebt stellte, noch viel weniger,
wenn Sie sich in seinen Martin verliebt stellen wollten: so wäre, kurz
und gut, mein Rat, Sie stellten sich beide ineinander verliebt.--Ich
rede nur von Stellen; merken Sie wohl, was ich sage! nur von Stellen;
denn sonst könnte der blinde Lärm auf einmal Augen kriegen.--Nun sagen
Sie mir beide, ist der Anschlag nicht gut?
Theophan (beiseite). Wo ich nicht gehe, so wird sie noch machen, daß
ich mich werde erklären müssen.--Der Anschlag ist so schlimm nicht;
aber--
Lisette. Sie sollen sich ja nur stellen.--
Theophan. Das Stellen eben ist es, was mir dabei nicht gefällt.
Lisette. Und Sie, Mamsell?
Henriette. Ich bin auch keine Liebhaberin vom Stellen.
Lisette. Besorgen Sie beide etwa, daß Sie es zu natürlich machen
möchten?--Was stehen Sie so auf dem Sprunge, Herr Theophan? Was
stehen Sie so in Gedanken, Mamsell?
Henriette. Oh! geh; es wäre in meinem Leben das erstemal.
Theophan. Ich muß mich auf einige Augenblicke beurlauben, schönste
Henriette.--
Lisette. Es ist nicht nötig. Sie sollen mir wahrhaftig nicht
nachsagen, daß ich Sie weggeplaudert habe. Kommen Sie, Mamsell!--
Henriette. Es ist auch wahr, dein Plaudern ist manchmal recht
ärgerlich. Komm!--Theophan, soll ich sagen, daß Sie nicht lange weg
sein werden?
Theophan. Wenn ich bitten darf.--
(Henriette und Lisette geben auf der einen Seite ab. Indem Theophan
auf der andern abgeben will, begegnet ihm der Wechsler.)

Neunter Auftritt
Theophan. Der Wechsler.

Der Wechsler. Sie werden verzeihen, mein Herr. Ich möchte nur ein
Wort mit dem Herrn Adrast sprechen.
Theophan. Eben jetzt ist er ausgegangen. Wollen Sie mir es
auftragen?--
Der Wechsler. Wenn ich so frei sein darf.--Er hat eine Summe Geldes
bei mir aufnehmen wollen, die ich ihm auch anfangs versprach. Ich
habe aber nunmehr Bedenklichkeiten gefunden, und ich komme, es ihm
wieder abzusagen: das ist es alles.
Theophan. Bedenklichkeiten, mein Herr? Was für Bedenklichkeiten?
doch wohl keine von seiten des Adrast?
Der Wechsler. Warum nicht?
Theophan. Ist er kein Mann von Kredit?
Der Wechsler. Kredit, mein Herr, Sie werden wissen, was das ist. Man
kann heute Kredit haben, ohne gewiß zu sein, daß man ihn morgen haben
wird. Ich habe seine jetzigen Umstände erfahren.--
Theophan (beiseite). Ich muß mein möglichstes tun, daß diese nicht
auskommen.--Sie müssen die falschen erfahren haben.--Kennen Sie mich,
mein Herr?--
Der Wechsler. Von Person nicht; vielleicht, wenn ich Ihren Namen
hören sollte.--
Theophan. Theophan.
Der Wechsler. Ein Name, von dem ich allezeit das Beste gehört habe.
Theophan. Wenn Sie dem Herrn Adrast die verlangte Summe nicht auf
seine Unterschrift geben wollen, wollen Sie es wohl auf die meinige
tun?
Der Wechsler. Mit Vergnügen.
Theophan. Haben Sie also die Güte, mich auf meine Stube zu begleiten.
Ich will Ihnen die nötigen Versicherungen ausstellen; wobei es bloß
darauf ankommen wird, diese Bürgschaft vor dem Adrast selbst geheim zu
halten.
Der Wechsler. Vor ihm selbst?
Theophan. Allerdings; um ihm den Verdruß über Ihr Mißtrauen zu
ersparen.--
Der Wechsler. Sie müssen ein großmütiger Freund sein.
Theophan. Lassen Sie uns nicht länger verziehen.
(Gehen ab.)
(Ende des vierten Aufzuges.)


Fünfter Aufzug

Erster Auftritt
Der Wechsler, von der einen Seite, und von der andern Adrast.

Adrast (vor sich). Ich habe meinen Mann nicht finden können.--
Der Wechsler (vor sich). So lasse ich es mir gefallen.--
Adrast. Aber sieh da!--Ei! mein Herr, finde ich Sie hier? So sind
wir ohne Zweifel einander fehlgegangen?
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