Der Freigeist - 3

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überfallen, und die Begierde bei Ihrer Verbindung gegenwärtig zu sein,
sind freilich die vornehmsten Ursachen meiner Anherkunft; nur die
einzigen sind es nicht. Ich hatte den Aufenthalt des Adrast endlich
ausgekundschaftet, und es war mir sehr lieb, auf diese Art, wie man
sagt, zwei Würfe mit einem Steine zu tun. Die Wechsel des Adrast sind
verfallen; und ich habe nicht die geringste Lust, ihm auch nur die
allerkleinste Nachsicht zu gönnen. Ich erstaune zwar, ihn, welches
ich mir nimmermehr eingebildet hätte, in dem Hause Ihres künftigen
Schwiegervaters zu finden; ihn auf eben demselben Fuße, als Sie,
Theophan, hier zu finden: aber gleichwohl,--und wenn ihn das Schicksal
auch noch näher mit mir verbinden könnte,--
Theophan. Ich bitte Sie, liebster Vetter, beteuern Sie nichts.
Araspe. Warum nicht? Sie wissen wohl, Theophan, ich bin der Mann
sonst nicht, welcher seine Schuldner auf eine grausame Art zu drücken
fähig wäre.--
Theophan. Das weiß ich, und desto eher--
Araspe. Hier wird kein Desto eher gelten. Adrast, dieser Mann, der
sich, auf eine ebenso abgeschmackte als ruchlose Art von andern
Menschen zu unterscheiden sucht, verdient, daß man ihn auch wieder von
andern Menschen unterscheide. Er muß die Vorrechte nicht genießen,
die ein ehrlicher Mann seinen elenden Nächsten sonst gern genießen
läßt. Einem spöttischen Freigeiste, welcher uns lieber das Edelste,
was wir besitzen, rauben und uns alle Hoffnung eines künftigen
glückseligern Lebens zunichte machen möchte, vergilt man noch lange
nicht Gleiches mit Gleichem, wenn man ihm das gegenwärtige Leben ein
wenig sauer macht.--Ich weiß, es ist der letzte Stoß, den ich dem
Adrast versetze; er wird seinen Kredit nicht wieder herstellen können.
Ja, ich wollte mich freuen, wenn ich sogar seine Heirat dadurch
rückgängig machen könnte. Wenn mir es nur um mein Geld zu tun wäre:
so sehen Sie wohl, daß ich diese Heirat lieber würde befördern helfen,
weil er doch wohl dadurch wieder etwas in die Hände bekommen wird.
Aber nein; und sollte ich bei dem Konkurse, welcher entstehen muß,
auch ganz und gar ledig ausgehen: so will ich ihn dennoch auf das
Äußerste bringen. Ja, wenn ich alles wohl erwäge, so glaube ich, ihm
durch diese Grausamkeit noch eine Wohltat zu erweisen. Schlechtere
Umstände werden ihn vielleicht zu ernsthaften Überlegungen bringen,
die er in seinem Wohlstande zu machen, nicht wert gehalten hat; und
vielleicht ändert sich, wie es fast immer zu geschehen pflegt, sein
Charakter mit seinem Glücke.
Theophan. Ich habe Sie ausreden lassen. Ich glaube, Sie werden so
billig sein, und mich nunmehr auch hören.
Araspe. Das werde ich.--Aber eingebildet hätte ich mir es nicht, daß
ich an meinem frommen Vetter einen Verteidiger des Adrasts finden
sollte.
Theophan. Ich bin es weniger, als es scheinet; und es kommen hier so
viel Umstände zusammen, daß ich weiter fast nichts als meine eigne
Sache führen werde. Adrast, wie ich fest überzeugt bin, ist von
derjenigen Art Freigeister, die wohl etwas Besseres zu sein verdienten.
Es ist auch sehr begreiflich, daß man in der Jugend so etwas
gleichsam wider Willen werden kann. Man ist es aber alsdann nur so
lange, bis der Verstand zu einer gewissen Reife gelangt ist, und sich
das aufwallende Geblüte abgekühlt hat. Auf diesem kritischen Punkte
steht jetzt Adrast; aber noch mit wankendem Fuße. Ein kleiner Wind,
ein Hauch kann ihn wieder herabstürzen. Das Unglück, das Sie ihm
drohen, würde ihn betäuben; er würde sich einer wütenden Verzweiflung
überlassen, und Ursache zu haben glauben, sich um die Religion nicht
zu bekümmern, deren strenge Anhänger sich kein Bedenken gemacht hätten,
ihn zugrunde zu richten.
Araspe. Das ist etwas; aber--
Theophan. Nein, für einen Mann von Ihrer Denkungsart, liebster Vetter,
muß dieses nicht nur etwas, sondern sehr viel sein. Sie haben die
Sache von dieser Seite noch nicht betrachtet; Sie haben den Adrast nur
als einen verlornen Mann angesehen, an dem man zum Überflusse noch
eine desperate Kur wagen müsse. Aus diesem Grunde ist die Heftigkeit,
mit der Sie wider ihn sprachen, zu entschuldigen. Lernen Sie ihn aber
durch mich nunmehr unparteiischer beurteilen. Er ist in seinen Reden
jetzt weit eingezogener, als man mir ihn sonst beschrieben hat. Wenn
er streitet, so spottet er nicht mehr, sondern gibt sich alle Mühe,
Gründe vorzubringen. Er fängt an, auf die Beweise, die man ihm
entgegensetzt, zu antworten, und ich habe es ganz deutlich gemerkt,
daß er sich schämt, wenn er nur halb darauf antworten kann. Freilich
sucht er diese Scham noch dann und wann unter das Verächtliche eines
Schimpfworts zu verstecken; aber nur Geduld! es ist schon viel, daß
er diese Schimpfworte niemals mehr auf die heiligen Sachen, die man
gegen ihn verteidiget, sondern bloß auf die Verteidiger fallen läßt.
Seine Verachtung der Religion löset sich allmählich in die Verachtung
derer auf, die sie lehren.
Araspe. Ist das wahr, Theophan?
Theophan. Sie werden Gelegenheit haben, sich selbst davon zu
überzeugen.--Sie werden zwar hören, daß diese seine Verachtung der
Geistlichen mich jetzt am meisten trifft; allein ich bitte Sie im
voraus, nicht empfindlicher darüber zu werden, als ich selbst bin.
Ich habe es mir fest vorgenommen, ihn nicht mit gleicher Münze zu
bezahlen; sondern ihm vielmehr seine Freundschaft abzuzwingen, es mag
auch kosten, was es will.
Araspe. Wenn Sie bei persönlichen Beleidigungen so großmütig sind--
Theophan. Stille! wir wollen es keine Großmut nennen. Es kann
Eigennutz, es kann eine Art von Ehrgeiz sein, sein Vorurteil von den
Gliedern meines Ordens durch mich zuschanden zu machen. Es sei aber,
was es wolle, so weiß ich doch, daß Sie viel zu gütig sind, mir darin
im Wege zu stehen. Adrast würde es ganz gewiß für ein abgekartetes
Spiel halten, wenn er sähe, daß mein Vetter so scharf hinter ihm drein
wäre. Seine Wut würde einzig auf mich fallen, und er würde mich
überall als einen Niederträchtigen ausschreien, der ihm, unter tausend
Versicherungen der Freundschaft, den Dolch ins Herz gestoßen habe.
Ich wollte nicht gerne, daß er die Exempel von hämtückischen Pfaffen,
wie er sie nennt, mit einigem Scheine der Wahrheit auch durch mich
vermehren könnte.
Araspe. Lieber Vetter, das wollte ich noch tausendmal weniger, als
Sie.--
Theophan. Erlauben Sie also, daß ich Ihnen einen Vorschlag tue:--oder
nein; es wird vielmehr eine Bitte sein.
Araspe. Nur ohne Umstände, Vetter. Sie wissen ja doch wohl, daß Sie
mich in Ihrer Hand haben.
Theophan. Sie sollen so gütig sein und mir die Wechsel ausliefern,
und meine Bezahlung dafür annehmen.
Araspe. Und Ihre Bezahlung dafür annehmen? Bei einem Haare hätten
Sie mich böse gemacht. Was reden Sie von Bezahlung? Wenn ich Ihnen
auch nicht gesagt hätte, daß es mir jetzt gar nicht um das Geld zu tun
wäre: so sollten Sie doch wenigstens wissen, daß das, was meine ist,
auch Ihre ist.
Theophan. Ich erkenne meinen Vetter.
Araspe. Und ich erkannte ihn fast nicht.--Mein nächster Blutsfreund,
mein einziger Erbe, sieht mich als einen Fremden an, mit dem er
handeln kann? (Indem er sein Taschenbuch herauszieht.) Hier sind die
Wechsel! Sie sind Ihre! machen Sie damit was Ihnen gefällt.
Theophan. Aber erlauben Sie, liebster Vetter: ich werde nicht so frei
damit schalten dürfen, wenn ich sie nicht auf die gehörige Art an mich
gebracht habe.
Araspe. Welches ist denn die gehörige Art unter uns, wenn es nicht
die ist, daß ich gebe, und Sie nehmen?--Doch damit ich alle Ihre
Skrupel hebe: wohl! Sie sollen einen Revers von sich stellen, daß Sie
die Summe dieser Wechsel nach meinem Tode bei der Erbschaft nicht noch
einmal fodern wollen. (Lächelnd.) Wunderlicher Vetter! sehen Sie
denn nicht, daß ich weiter nichts tue, als auf Abschlag bezahle?--
Theophan. Sie verwirren mich--
Araspe (der noch die Wechsel in Händen hat). Lassen Sie mich nur die
Wische nicht länger halten.
Theophan. Nehmen Sie unterdessen meinen Dank dafür an.
Araspe. Was für verlorne Worte! (Indem er sich umsieht.) Stecken
Sie hurtig ein; da kömmt Adrast selbst.

Zweiter Auftritt
Adrast. Theophan. Araspe.

Adrast (erstaunend). Himmel! Araspe hier?
Theophan. Adrast, ich habe das Vergnügen, Ihnen in dem Herrn Araspe
meinen Vetter vorzustellen.
Adrast. Wie? Araspe Ihr Vetter?
Araspe. Oh! wir kennen einander schon. Es ist mir angenehm, Herr
Adrast, Sie hier zu sehen.
Adrast. Ich bin bereits die ganze Stadt nach Ihnen durchgerannt. Sie
wissen, wie wir miteinander stehen, und ich wollte Ihnen die Mühe
ersparen, mich aufzusuchen.
Araspe. Es wäre nicht nötig gewesen. Wir wollen von unserer Sache
ein andermal sprechen. Theophan hat es auf sich genommen.--
Adrast. Theophan? Ha! nun ist es klar.--
Theophan. Was ist klar, Adrast? (Ruhig.)
Adrast. Ihre Falschheit, Ihre List--
Theophan (zum Araspe). Wir halten uns zu lange hier auf. Lisidor,
lieber Vetter, wird Sie mit Schmerzen erwarten. Erlauben Sie, daß ich
Sie zu ihm führe.--(Zum Adrast.) Darf ich bitten, Adrast, daß Sie
einen Augenblick hier verziehen? Ich will den Araspe nur
heraufbegleiten; ich werde gleich wieder hier sein.
Araspe. Wenn ich Ihnen raten darf, Adrast, so sein Sie gegen meinen
Vetter nicht ungerecht.--
Theophan. Er wird es nicht sein. Kommen Sie nur.
(Theophan und Araspe gehen ab.)

Dritter Auftritt
Adrast (bitter). Nein, gewiß, ich werde es auch nicht sein! Er ist
unter allen seinesgleichen, die ich noch gekannt habe, der
hassenswürdigste! Diese Gerechtigkeit will ich ihm widerfahren lassen.
Er hat den Araspe ausdrücklich meinetwegen kommen lassen: das ist
unleugbar. Es ist mir aber doch lieb, daß ich ihm nie einen redlichen
Tropfen Bluts zugetrauet, und seine süßen Reden jederzeit für das
gehalten habe, was sie sind.--

Vierter Auftritt
Adrast. Johann.

Johann. Nun? haben Sie den Araspe gefunden?
Adrast. Ja. (Noch bitter.)
Johann. Geht's gut?
Adrast. Vortrefflich.
Johann. Ich hätte es ihm auch raten wollen, daß er die geringste
Schwierigkeit gemacht hätte!--Und er hat doch schon wieder seinen
Abschied genommen?
Adrast. Verzieh nur: er wird uns gleich den unsrigen bringen.
Johann. Er den unsrigen?--Wo ist Araspe?--
Adrast. Beim Lisidor.
Johann. Araspe beim Lisidor? Araspe?
Adrast. Ja, Theophans Vetter.
Johann. Was frage ich nach des Narren Vetter? Ich meine Araspen.--
Adrast. Den meine ich auch.
Johann. Aber--
Adrast. Aber siehst du denn nicht, daß ich rasend werden möchte? Was
plagst du mich noch? Du hörst ja, daß Theophan und Araspe Vettern
sind.
Johann. Zum erstenmal in meinem Leben.--Vettern? Ei! desto besser;
unsere Wechsel bleiben also in der Freundschaft, und Ihr neuer Herr
Schwager wird dem alten Herrn Vetter schon zureden--
Adrast. Du Dummkopf!--Ja, er wird ihm zureden, mich ohne Nachsicht
unglücklich zu machen.--Bist du denn so albern, es für einen Zufall
anzusehen, daß Araspe hier ist? Siehst du denn nicht, daß es Theophan
muß erfahren haben, wie ich mit seinem Vetter stehe? daß er ihm
Nachricht von meinen Umständen gegeben hat? daß er ihn gezwungen hat,
über Hals über Kopf eine so weite Reise zu tun, um die Gelegenheit ja
nicht zu versäumen, meinen Ruin an den Tag zu bringen, und mir dadurch
die letzte Zuflucht, die Gunst des Lisidors, zu vernichten?
Johann. Verdammt! wie gehen mir die Augen auf! Sie haben recht.
Kann ich Esel denn, wenn von einem Geistlichen die Rede ist, nicht
gleich auf das Allerboshafteste fallen?--Ha! wenn ich doch die
Schwarzröcke auf einmal zu Pulver stampfen und in die Luft schießen
könnte! Was für Streiche haben sie uns nicht schon gespielt! Der
eine hat uns um manches Tausend Taler gebracht: das war der ehrwürdige
Gemahl Ihrer lieben Schwester. Der andere--
Adrast. Oh! fange nicht an, mir meine Unfälle vorzuzählen. Ich will
sie bald geendigt sehen. Alsdann will ich es doch abwarten, was mir
das Glück noch nehmen kann, wann ich nichts mehr habe.
Johann. Was es Ihnen noch nehmen kann, wann Sie nichts mehr haben?
Das will ich Ihnen gleich sagen: Mich wird es Ihnen alsdann noch
nehmen.
Adrast. Ich verstehe dich, Holunke!--
Johann. Verschwenden Sie Ihren Zorn nicht an mir. Hier kömmt der, an
welchem Sie ihn besser anwenden können.

Fünfter Auftritt
Theophan. Adrast. Johann.

Theophan. Ich bin wieder hier, Adrast. Es entfielen Ihnen vorhin
einige Worte von Falschheit und List.--
Adrast. Beschuldigungen entfallen mir niemals. Wenn ich sie
vorbringe, bringe ich sie mit Vorsatz und Überlegung vor.
Theophan. Aber eine nähere Erklärung--
Adrast. Die fodern Sie nur von sich selbst.
Johann (die ersten Worte beiseite). Hier muß ich hetzen.--Ja, ja,
Herr Theophan! es ist schon bekannt, daß Ihnen mein Herr ein Dorn in
den Augen ist.
Theophan. Adrast, haben Sie es ihm befohlen, an Ihrer Stelle zu
antworten?
Johann. So? auch meine Verteidigung wollen Sie ihm nicht gönnen?
Ich will doch sehen, wer mir verbieten soll, mich meines Herrn
anzunehmen.
Theophan. Lassen Sie es ihn doch sehen, Adrast.
Adrast. Schweig!
Johann. Ich sollte--
Adrast. Noch ein Wort! (Drohend.)
Theophan. Nunmehr darf ich die Bitte um eine nähere Erklärung doch
wohl wiederholen? Ich weiß sie mir selbst nicht zu geben.
Adrast. Erklären Sie sich denn gerne näher, Theophan?
Theophan. Mit Vergnügen, sobald es verlangt wird.
Adrast. Ei! so sagen Sie mir doch, was wollte denn Araspe, bei
Gelegenheit dessen, was Sie schon wissen, mit den Worten sagen:
Theophan hat es auf sich genommen?
Theophan. Darüber sollte sich Araspe eigentlich erklären. Doch ich
kann es an seiner Statt tun. Er wollte sagen, daß er mir Ihre Wechsel
zur Besorgung übergeben habe.
Adrast. Auf Ihr Anliegen?
Theophan. Das kann wohl sein.
Adrast. Und was haben Sie beschlossen, damit zu tun?
Theophan. Sie sind Ihnen ja noch nicht vorgewiesen worden? Können
wir etwas beschließen, ehe wir wissen, was Sie darauf tun wollen?
Adrast. Kahle Ausflucht! Ihr Vetter weiß es längst, was ich darauf
tun kann.
Theophan. Er weiß, daß Sie ihnen Genüge tun können. Und sind Sie
alsdann nicht auseinander?
Adrast. Sie spotten.
Theophan. Ich bin nicht Adrast.
Adrast. Setzen Sie aber den Fall,--und Sie können ihn sicher setzen,--
daß ich nicht imstande wäre zu bezahlen: was haben Sie alsdenn
beschlossen?
Theophan. In diesem Falle ist noch nichts beschlossen.
Adrast. Aber was dürfte beschlossen werden?
Theophan. Das kömmt auf Araspen an. Doch sollte ich meinen, daß eine
einzige Vorstellung, eine einzige höfliche Bitte bei einem Manne, wie
Araspe ist, viel ausrichten könne.
Johann. Nachdem die Ohrenbläser sind.--
Adrast. Muß ich es noch einmal sagen, daß du schweigen sollst?
Theophan. Ich würde mir ein wahres Vergnügen machen, wenn ich Ihnen
durch meine Vermittelung einen kleinen Dienst dabei erzeigen könnte.
Adrast. Und Sie meinen, daß ich Sie mit einer demütigen Miene, mit
einer kriechenden Liebkosung, mit einer niederträchtigen Schmeichelei
darum ersuchen solle? Nein, so will ich Ihre Kitzelung über mich
nicht vermehren. Wenn Sie mich mit dem ehrlichsten Gesichte
versichert hätten, Ihr möglichstes zu tun, so würden Sie in einigen
Augenblicken mit einer wehmütigen Stellung wiederkommen, und es
bedauern, daß Ihre angewandte Mühe umsonst sei? Wie würden sich Ihre
Augen an meiner Verwirrung weiden!
Theophan. Sie wollen mir also keine Gelegenheit geben, das Gegenteil
zu beweisen?--Es soll Ihnen nur ein Wort kosten.
Adrast. Nein, auch dieses Wort will ich nicht verlieren. Denn kurz,--
und hier haben Sie meine nähere Erklärung:--Araspe würde, ohne Ihr
Anstiften, nicht hiehergekommen sein. Und nun, da Sie Ihre Mine, mich
zu sprengen, so wohl angelegt hätten, sollten Sie durch ein einziges
Wort können bewogen werden, sie nicht springen zu lassen? Führen Sie
Ihr schönes Werk nur aus.
Theophan. Ich erstaune über Ihren Verdacht nicht. Ihre Gemütsart hat
mich ihn vorhersehen lassen. Aber gleichwohl ist es gewiß, daß ich
ebensowenig gewußt habe, daß Araspe Ihr Gläubiger sei, als Sie gewußt
haben, daß er mein Vetter ist.
Adrast. Es wird sich zeigen.
Theophan. Zu Ihrem Vergnügen, hoffe ich.--Heitern Sie Ihr Gesicht nur
auf, und folgen Sie mir mit zu der Gesellschaft.--
Adrast. Ich will sie nicht wieder sehen.
Theophan. Was für ein Entschluß! Ihren Freund, Ihre Geliebte--
Adrast. Wird mir wenig kosten, zu verlassen. Sorgen Sie aber nur
nicht, daß es eher geschehen soll, als bis Sie befriediget sind. Ich
will Ihren Verlust nicht, und sogleich noch das letzte Mittel
versuchen.--
Theophan. Bleiben Sie, Adrast.--Es tut mir leid, daß ich Sie nicht
gleich den Augenblick aus aller Ihrer Unruhe gerissen habe.--Lernen
Sie meinen Vetter besser kennen, (indem er die Wechsel hervorzieht)
und glauben Sie gewiß, wenn Sie schon von mir das Allernichtswürdigste
denken wollen, daß wenigstens er ein Mann ist, der Ihre Hochachtung
verdient. Er will Sie nicht anders, als mit dem sorglosesten Gesichte
sehen, und gibt Ihnen deswegen Ihre Wechsel hier zurück. (Er reicht
sie ihm dar.) Sie sollen sie selbst so lange verwahren, bis Sie ihn
nach Ihrer Bequemlichkeit deswegen befriedigen können. Er glaubt, daß
sie ihm in Ihren Händen ebenso sicher sind, als unter seinem eigenen
Schlosse. Sie haben den Ruhm eines ehrlichen Mannes, wenn Sie schon
den Ruhm eines frommen nicht haben.
Adrast (stutzig, indem er des Theophans Hand zurückstößt). Mit was
für einem neuen Fallstricke drohen Sie mir? Die Wohltaten eines
Feindes--
Theophan. Unter diesem Feinde verstehen Sie mich; was aber hat Araspe
mit Ihrem Hasse zu tun? Er ist es, nicht ich, der Ihnen diese
geringschätzige Wohltat erzeigen will; wenn anders eine armselige
Gefälligkeit diesen Namen verdient.--Was überlegen Sie noch? Hier,
Adrast! nehmen Sie Ihre Handschriften zurück!
Adrast. Ich will mich wohl dafür hüten.
Theophan. Ich bitte Sie, lassen Sie mich nicht unverrichteter Sache
zu einem Manne zurückkommen, der es mit Ihnen gewiß redlich meinet.
Er würde die Schuld seines verachteten Anerbietens auf mich schieben.
(Indem er ihm die Wechsel aufs neue darreicht, reißt sie ihm Johann
aus der Hand.)
Johann. Ha! ha! mein Herr, in wessen Händen sind die Wechsel nun?
Theophan (gelassen). In den deinigen, ohne Zweifel. Immer bewahre
sie, anstatt deines Herrn.
Adrast (geht wütend auf den Bedienten los). Infamer! es kostet dein
Leben--
Theophan. Nicht so hitzig, Adrast.
Adrast. Den Augenblick gib sie ihm zurück! (Er nimmt sie ihm weg.)
Geh mir aus den Augen!
Johann. Nun, wahrhaftig!--
Adrast. Wo du noch eine Minute verziehst--(Er stößt ihn fort.)

Sechster Auftritt
Theophan. Adrast.

Adrast. Ich muß mich schämen, Theophan; ich glaube aber nicht, daß
Sie so gar weit gehen, und mich mit meinem Bedienten vermengen werden.-
-Nehmen Sie es zurück, was man Ihnen rauben wollte.--
Theophan. Es ist in der Hand, in der es sein soll.
Adrast. Nein. Ich verachte Sie viel zu sehr, als daß ich Sie
abhalten sollte, eine niederträchtige Tat zu begehen.
Theophan. Das ist empfindlich! (Er nimmt die Wechsel zurück.)
Adrast. Es ist mir lieb, daß Sie mich nicht gezwungen, sie Ihnen vor
die Füße zu werfen. Wenn sie wieder in meine Hände zurückkommen
sollen, so werde ich anständigere Mittel dazu finden. Finde ich aber
keine, so ist es ebendas. Sie werden sich freuen, mich zugrunde zu
richten, und ich werde mich freuen, Sie von ganzem Herzen hassen zu
können.
Theophan. Es sind doch wirklich Ihre Wechsel, Adrast? (Indem er sie
aufschlägt und ihm zeigt.)
Adrast. Sie glauben etwa, daß ich sie leugnen werde?--
Theophan. Das glaube ich nicht; ich will bloß gewiß sein. (Er
zerreißt sie gleichgültig.)
Adrast. Was machen Sie, Theophan?
Theophan. Nichts. (Indem er die Stücken in die Szene wirft.) Ich
vernichte eine Nichtswürdigkeit, die einen Mann, wie Adrast ist, zu so
kleinen Reden verleiten kann.
Adrast. Aber sie gehören nicht Ihnen.--
Theophan. Sorgen Sie nicht; ich tue, was ich verantworten kann.--
Bestehet Ihr Verdacht noch? (Geht ab.)

Siebenter Auftritt
Adrast (sieht ihm einige Augenblicke nach). Was für ein Mann! Ich
habe tausend aus seinem Stande gefunden, die unter der Larve der
Heiligkeit betrogen; aber noch keinen, der es, wie dieser, unter der
Larve der Großmut, getan hätte.--Entweder er sucht mich zu beschämen,
oder zu gewinnen. Keines von beiden soll ihm gelingen. Ich habe mich,
zu gutem Glücke, auf einen hiesigen Wechsler besonnen, mit dem ich,
bei bessern Umständen, ehemals Verkehr hatte. Er wird hoffentlich
glauben, daß ich mich noch in ebendenselben befinde, und wenn das ist,
mir ohne Anstand die nötige Summe vorschießen. Ich will ihn aber
deswegen nicht zum Bocke machen, über dessen Hörner ich aus dem
Brunnen springe. Ich habe noch liegende Gründe, die ich mit Vorteil
verkaufen kann, wenn mir nur Zeit gelassen wird. Ich muß ihn
aufsuchen.--

Achter Auftritt
Henriette. Adrast.

Henriette. Wo stecken Sie denn, Adrast? Man hat schon zwanzigmal
nach Ihnen gefragt. Oh! schämen Sie sich, daß ich Sie zu einer Zeit
suchen muß, da Sie mich suchen sollten. Sie spielen den Ehemann zu
zeitig. Doch getrost! vielleicht spielen Sie dafür den Verliebten
alsdann, wann ihn andre nicht mehr spielen.
Adrast. Erlauben Sie, Mademoiselle; ich habe nur noch etwas Nötiges
außer dem Hause zu besorgen.
Henriette. Was können Sie jetzt Nötigers zu tun haben, als um mich zu
sein?
Adrast. Sie scherzen.
Henriette. Ich scherze?--Das war ein allerliebstes Kompliment!
Adrast. Ich mache nie welche.
Henriette. Was für ein mürrisches Gesicht!--Wissen Sie, daß wir uns
über diese mürrischen Gesichter zanken werden, noch ehe uns die
Trauung die Erlaubnis dazu erteilt?
Adrast. Wissen Sie, daß ein solcher Einfall in Ihrem Munde nicht eben
der artigste ist?
Henriette. Vielleicht, weil Sie glauben, daß die leichtsinnigen
Einfälle nur in Ihrem Munde wohl lassen? Unterdessen haben Sie doch
wohl kein Privilegium darüber?
Adrast. Sie machen Ihre Dinge vortrefflich. Ein Frauenzimmer, das so
fertig antworten kann, ist sehr viel wert.
Henriette. Das ist wahr; denn wir schwachen Werkzeuge wissen sonst
den Mund am allerwenigsten zu gebrauchen.
Adrast. Wollte Gott!
Henriette. Ihr treuherziges Wollte Gott! bringt mich zum Lachen, so
sehr ich auch böse sein wollte. Ich bin schon wieder gut, Adrast.
Adrast. Sie sehen noch einmal so reizend aus, wenn Sie böse sein
wollen; denn es kömmt doch selten weiter damit, als bis zur
Ernsthaftigkeit, und diese läßt Ihrem Gesichte um so viel schöner, je
fremder sie in demselben ist. Eine beständige Munterkeit, ein immer
anhaltendes Lächeln wird unschmackhaft.
Henriette (ernsthaft). Oh! mein guter Herr, wenn das Ihr Fall ist,
ich will es Ihnen schmackhaft genug machen.
Adrast. Ich wollte wünschen,--denn noch habe ich Ihnen nichts
vorzuschreiben,--
Henriette. Dieses Noch ist mein Glück. Aber was wollten Sie denn
wünschen?
Adrast. Daß Sie sich ein klein wenig mehr nach dem Exempel Ihrer
ältesten Mademoisell Schwester richten möchten. Ich verlange nicht,
daß Sie ihre ganze sittsame Art an sich nehmen sollen; wer weiß, ob
sie Ihnen so anstehen würde?--
Henriette. St! die Pfeife verrät das Holz, woraus sie geschnitten
ist. Lassen Sie doch hören, ob meine dazu stimmt?
Adrast. Ich höre.
Henriette. Es ist recht gut, daß Sie auf das Kapitel von Exempeln
gekommen sind. Ich habe Ihnen auch einen kleinen Vers daraus
vorzupredigen.
Adrast. Was für eine Art sich auszudrücken!
Henriette. Hum! Sie denken, weil Sie nichts vom Predigen halten.
Sie werden finden, daß ich eine Liebhaberin davon bin. Aber hören Sie
nur:--(In seinem vorigen Tone.) Ich wollte wünschen,--denn noch habe
ich Ihnen nichts vorzuschreiben,--
Adrast. Und werden es auch niemals haben.
Henriette. Ja so!--Streichen Sie also das weg.--Ich wollte wünschen,
daß Sie sich ein klein wenig mehr nach dem Exempel des Herrn Theophans
bilden möchten. Ich verlange nicht, daß Sie seine ganze gefällige Art
an sich nehmen sollen, weil ich nichts Unmögliches verlangen mag; aber
so etwas davon würde Sie um ein gut Teil erträglicher machen. Dieser
Theophan, der nach weit strengern Grundsätzen lebt, als die Grundsätze
eines gewissen Freigeistes sind, ist allezeit aufgeräumt und
gesprächig. Seine Tugend, und noch sonst etwas, worüber Sie aber
lachen werden, seine Frömmigkeit--Lachen Sie nicht?
Adrast. Lassen Sie sich nicht stören. Reden Sie nur weiter. Ich
will unterdessen meinen Gang verrichten, und gleich wieder hier sein.
(Geht ab.)
Henriette. Sie dürfen nicht eilen. Sie kommen, wann Sie kommen: Sie
werden mich nie wieder so treffen.--Welche Grobheit! Soll ich mich
wohl darüber erzürnen?--Ich will mich besinnen. (Geht auf der andern
Seite ab.)
(Ende des dritten Aufzuges.)


Vierter Aufzug

Erster Auftritt
Juliane. Henriette. Lisette.

Henriette. Sage was du willst; sein Betragen ist nicht zu
entschuldigen.
Juliane. Davon würde sich alsdann erst urteilen lassen, wann ich auch
seine Gründe gehört hätte. Aber, meine liebe Henriette, willst du mir
wohl eine kleine schwesterliche Ermahnung nicht übelnehmen?
Henriette. Das kann ich dir nicht voraus sagen. Wenn sie dahin
abzielen sollte, wohin ich mir einbilde--
Juliane. Ja, wenn du mit deinen Einbildungen dazu kömmst--
Henriette. Oh! ich bin mit meinen Einbildungen recht wohl zufrieden.
Ich kann ihnen nicht nachsagen, daß sie mich jemals sehr irregeführt
hätten.
Juliane. Was meinst du damit?
Henriette. Muß man denn immer etwas meinen? Du weißt ja wohl,
Henriette schwatzt gerne in den Tag hinein, und sie erstaunt allezeit
selber, wenn sie von ohngefähr ein Pünktchen trifft, welches das
Pünktchen ist, das man nicht gerne treffen lassen möchte.
Juliane. Nun höre einmal, Lisette!
Henriette. Ja, Lisette, laß uns doch hören, was das für eine
schwesterliche Ermahnung ist, die sie mir erteilen will.
Juliane. Ich dir eine Ermahnung?
Henriette. Mich deucht, du sprachst davon.
Juliane. Ich würde sehr übel tun, wenn ich dir das geringste sagen
wollte.
Henriette. Oh! ich bitte--
Juliane. Laß mich!
Henriette. Die Ermahnung, Schwesterchen!--
Juliane. Du verdienst sie nicht.
Henriette. So erteile sie mir ohne mein Verdienst.
Juliane. Du wirst mich böse machen.
Henriette. Und ich,--ich bin es schon. Aber denke nur nicht, daß ich
es über dich bin. Ich bin es über niemanden, als über den Adrast.
Und was mich unversöhnlich gegen ihn macht, ist dieses, daß meine
Schwester seinetwegen gegen mich ungerecht werden muß.
Juliane. Von welcher Schwester sprichst du?
Henriette. Von welcher?--von der, die ich gehabt habe.
Juliane. Habe ich dich jemals so empfindlich gesehen!--Du weißt es,
Lisette, was ich gesagt habe.
Lisette. Ja, das weiß ich; und es war wirklich weiter nichts, als
eine unschuldige Lobrede auf den Adrast, an der ich nur das
auszusetzen hatte, daß sie Mamsell Henrietten eifersüchtig machen
mußte.
Juliane. Eine Lobrede auf Adrasten?
Henriette. Mich eifersüchtig?
Lisette. Nicht so stürmisch!--So geht's den Leuten, die mit der
Wahrheit geradedurch wollen: sie machen es niemanden recht.
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