Der Freigeist - 2

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Lisette. Stille, Mamsell Henriette! nicht aus der Schule geschwatzt,
oder--
Henriette. Mädchen drohe nicht! Du weißt wohl, ich habe ein gut
Gewissen.
Lisette. Ich auch.--Doch lassen Sie uns nicht das Hundertste ins
Tausendste schwatzen.--Recht! an den Feiertag will ich gedenken! Er
war der letzte in unsrer Ordnung; denn noch den Abend kam Theophan an.
Henriette. Und also, mit Erlaubnis meiner Schwester, bist du heute
meine.
Juliane. Ohne Widerrede.
Lisette. Juchhei! Mamsellchen. Ich bin also heute Ihre: Juchhei!
Juliane. Ist das dein Lösungswort unter ihrer Fahne?
Lisette. Ohne weitre Umstände: erzählen Sie mir nunmehr Ihre
Streitigkeit.--Unterdessen lege ich mein Gesicht in richterliche
Falten.
Juliane. Streitigkeit? Eine wichtige Streitigkeit? Ihr seid beide
Schäkerinnen.--Ich will nichts mehr davon hören.
Henriette. So? Du willst keinen Richter erkennen? Ein klarer Beweis,
daß du unrecht hast.--Höre nur, Lisette! wir haben über unsre
Anbeter gezankt. Ich will die Dinger immer noch so nennen, mag doch
zuletzt daraus werden, was da will.
Lisette. Das dachte ich. Über was könnten sich zwei gute Schwestern
auch sonst zanken? Es ist freilich verdrießlich, wenn man sein
künftiges Haupt verachten hört.
Henriette. Schwude! Mädchen; du willst ganz auf die falsche Seite.
Keine hat des andern Anbeter verachtet; sondern unser Zank kam daher,
weil eine des andern Anbeter--schon wieder Anbeter!--allzusehr erhob.
Lisette. Eine neue Art Zanks! wahrhaftig, eine neue Art!
Henriette. Kannst du es anders sagen, Juliane?
Juliane. Oh! verschone mich doch damit.
Henriette. Hoffe auf kein Verschonen, wenn du nicht widerrufst.--Sage,
Lisette, hast du unsre Männerchen schon einmal gegeneinander
gehalten? Was dünkt dich? Juliane macht ihren armen Theophan
herunter, als wenn er ein kleines Ungeheuer wäre.
Juliane. Unartige Schwester! Wann habe ich dieses getan? Mußt du
aus einer flüchtigen Anmerkung, die du mir gar nicht hättest aufmutzen
sollen, solche Folgen ziehen?
Henriette. Ich seh, man muß dich böse machen, wenn du mit der Sprache
heraus sollst.--Eine flüchtige Anmerkung nennst du es? Warum
strittest du denn über ihre Gründlichkeit?
Juliane. Du hast doch närrische Ausdrücke! Fingst du nicht den
ganzen Handel selbst an? Ich glaubte, wie sehr ich dir schmeicheln
würde, wenn ich deinen Adrast den wohlgemachtesten Mann nennte, den
ich jemals gesehen hätte. Du hättest mir für meine Gesinnungen danken,
nicht aber widersprechen sollen.
Henriette. Sieh, wie wunderlich du bist! Was war mein Widerspruch
anders, als ein Dank? Und wie konnte ich mich nachdrücklicher
bedanken, als wenn ich den unverdienten Lobspruch auf deinen Theophan
zurückschob?--
Lisette. Sie hat recht!
Juliane. Nein, sie hat nicht recht. Denn eben dieses verdroß mich.
Muß sie auf einen so kindischen Fuß mit mir umgehen? Sahe sie mich
nicht dadurch für ein kleines spielendes Mädchen an, das zu ihr gesagt
hätte: Deine Puppe ist die schönste; und dem sie also, um es nicht
böse zu machen, antworten müßte: Nein, deine ist die schönste?
Lisette. Nun hat sie recht!
Henriette. Oh! geh, du bist eine artige Richterin. Hast du schon
vergessen, daß du mir heute angehörst?
Lisette. Desto schärfer eben werde ich gegen Sie sein, damit ich
nicht parteiisch lasse.
Juliane. Glaube mir nur, daß ich bessere Eigenschaften an einer
Mannsperson zu schätzen weiß, als seine Gestalt. Und es ist genug,
daß ich diese bessern Eigenschaften an dem Theophan finde. Sein Geist-
-
Henriette. Von dem ist ja nicht die Rede. Jetzt kömmt es auf den
Körper an, und dieser ist an dem Theophan schöner, du magst sagen, was
du willst. Adrast ist besser gewachsen: gut; er hat einen schönern
Fuß: ich habe nichts dawider. Aber laß uns auf das Gesicht kommen.--
Juliane. So stückweise habe ich mich nicht eingelassen.
Henriette. Das ist eben dein Fehler.--Was für ein Stolz, was für eine
Verachtung aller andern blickt nicht dem Adrast aus jeder Miene! Du
wirst es Adel nennen; aber machst du es dadurch schön? Umsonst sind
seine Gesichtszüge noch so regelmäßig: sein Eigensinn, seine Lust zum
Spotten hat eine gewisse Falte hineingebracht, die ihm in meinen Augen
recht häßlich läßt. Aber ich will sie ihm gewiß herausbringen: laß
nur die Flitterwochen erst vorbei sein.--Dein Theophan hingegen hat
das liebenswürdigste Gesicht von der Welt. Es herrscht eine
Freundlichkeit darin, die sich niemals verleugnet.--
Juliane. Sage mir doch nur nichts, was ich ebensogut bemerkt habe,
als du. Allein eben diese seine Freundlichkeit ist nicht sowohl das
Eigentum seines Gesichts, als die Folge seiner innern Ruhe. Die
Schönheit der Seele bringt auch in einen ungestalteten Körper Reize;
so wie ihre Häßlichkeit dem vortrefflichsten Baue und den schönsten
Gliedern desselben, ich weiß nicht was eindrückt, das einen
unzuerklärenden Verdruß erwecket. Wenn Adrast eben der fromme Mann
wäre, der Theophan ist; wenn seine Seele von ebenso göttlichen
Strahlen der Wahrheit, die er sich mit Gewalt zu verkennen bestrebet,
erleuchtet wäre: so würde er ein Engel unter den Menschen sein; da er
jetzt kaum ein Mensch unter den Menschen ist. Zürne nicht, Henriette,
daß ich so verächtlich von ihm rede. Wenn er in gute Hände fällt,
kann er noch alles das werden, was er jetzt nicht ist, weil er es nie
hat sein wollen. Seine Begriffe von der Ehre, von der natürlichen
Billigkeit sind vortrefflich.--
Henriette (spöttisch). Oh! du machst ihn auch gar zu sehr herunter.--
Aber im Ernste, kann ich nicht sagen, daß du mich nunmehr für das
kleine spielende Mädchen ansiehst? Ich mag ja nicht von dir
seinetwegen zufriedengestellt sein. Er ist, wie er ist, und lange gut
für mich. Du sprachst von guten Händen, in die er fallen müßte, wenn
noch was aus ihm werden sollte. Da er in meine nunmehr gefallen ist,
wird er wohl nicht anders werden. Mich nach ihm zu richten, wird mein
einziger Kunstgriff sein, uns das Leben erträglich zu machen. Nur die
verdrießlichen Gesichter muß er ablegen; und da werde ich ihm die
Gesichter deines Theophans zum Muster vorschlagen.
Juliane. Schon wieder Theophan, und seine freundlichen Gesichter?
Lisette. Stille! Mamsell--

Zweiter Auftritt
Theophan. Juliane. Henriette. Lisette.

Henriette (springt dem Theophan entgegen). Kommen Sie doch, Theophan,
kommen Sie!--Können Sie wohl glauben, daß ich Ihre Partei gegen meine
Schwester habe halten müssen? Bewundern Sie meine Uneigennützigkeit.
Ich habe Sie bis in den Himmel erhoben, da ich doch weiß, daß ich Sie
nicht bekomme, sondern daß Sie für meine Schwester bestimmt sind, die
Ihren Wert nicht kennet. Denken Sie nur, sie behauptet, daß Sie keine
so schöne Person vorstellten, als Adrast. Ich weiß nicht, wie sie das
behaupten kann. Ich sehe doch den Adrast mit den Augen einer
Verliebten an, das ist, ich mache mir ihn noch zehnmal schöner, als er
ist, und gleichwohl geben Sie ihm, meines Bedünkens, nichts nach. Sie
spricht zwar, auf der Seite des Geistes hätten Sie mehr Vorzüge; aber
was wissen wir Frauenzimmer denn vom Geiste?
Juliane. Die Schwätzerin! Sie kennen sie, Theophan: glauben Sie ihr
nicht.
Theophan. Ich ihr nicht glauben, schönste Juliane? Warum wollen Sie
mich nicht in der glücklichen Überzeugung lassen, daß Sie so
vorteilhaft von mir gesprochen haben?--Ich danke Ihnen, angenehmste
Henriette, für Ihre Verteidigung; ich danke Ihnen umsovielmehr, je
stärker ich selbst überführet bin, daß Sie eine schlechte Sache haben
verteidigen müssen. Allein--
Henriette. Oh! Theophan, von Ihnen verlange ich es nicht, daß Sie
mir recht geben sollen. Es ist eine andere gewisse Person--
Juliane. Lassen Sie dieser andern Person Gerechtigkeit widerfahren,
Theophan. Sie werden, hoffe ich, meine Gesinnungen kennen--
Theophan. Gehen Sie nicht mit mir, als mit einem Fremden um, liebste
Juliane. Brauchen Sie keine Einlenkungen; ich würde bei jeder nähern
Bestimmung verlieren.--Bei den Büchern, in einer engen staubigten
Studierstube, vergißt man des Körpers sehr leicht; und Sie wissen, der
Körper muß ebensowohl bearbeitet werden, als die Seele, wenn beide
diejenigen Vollkommenheiten erhalten sollen, deren sie fähig sind.
Adrast ist in der großen Welt erzogen worden; er hat alles, was bei
derselben beliebt macht--
Henriette. Und wenn es auch Fehler sein sollten.--
Theophan. Wenigstens habe ich diese Anmerkung nicht machen wollen.--
Aber nur Geduld! ein großer Verstand kann diesen Fehlern nicht immer
ergeben sein. Adrast wird das Kleine derselben endlich einsehen,
welches sich nur allzusehr durch das Leere verrät, das sie in unsern
Herzen zurücklassen. Ich bin seiner Umkehr so gewiß, daß ich ihn
schon im voraus darum liebe.--Wie glücklich werden Sie mit ihm leben,
glückliche Henriette!
Henriette. So edel spricht Adrast niemals von Ihnen, Theophan.--
Juliane. Abermals eine recht garstige Anmerkung, meine liebe
Schwester.--Was suchst du damit, daß du dem Theophan dieses sagst? Es
ist allezeit besser, wenn man es nicht weiß, wer von uns übel spricht.
Die Kenntnis unserer Verleumder wirkt auch in dem großmütigsten
Herzen eine Art von Entfernung gegen sie, die ihre Aussöhnung mit der
beleidigten Person nur noch schwerer macht.
Theophan. Sie entzücken mich, Juliane. Aber fürchten Sie nichts!
Eben darin soll über kurz oder lang mein Triumph bestehen, daß ich den
mich jetzt verachtenden Adrast besser von mir zu urteilen gezwungen
habe. Würde ich aber nicht diesen ganzen Triumph zernichten, wenn ich
selbst einigen Groll gegen ihn fassen wollte? Noch hat er sich nicht
die Mühe genommen, mich näher kennenzulernen. Vielleicht, daß ich ein
Mittel finde, ihn dazu zu vermögen.--Lassen Sie uns nur jetzt davon
abbrechen; und erlauben Sie, daß ich einen meiner nächsten
Blutsfreunde bei Ihnen anmelden darf, der sich ein Vergnügen daraus
gemacht hat, mich hier zu überraschen.--
Juliane. Einen Anverwandten?
Henriette. Und wer ist es?
Theophan. Araspe.
Juliane. Araspe?
Henriette. Ei! das ist ja vortrefflich! Wo ist er denn?
Theophan. Er war eben abgestiegen, und hat mir versprochen,
unverzüglich nachzufolgen.
Henriette. Weiß es der Papa schon?
Theophan. Ich glaube nicht.
Juliane. Und die Großmama?
Henriette. Komm, Schwesterchen! diese fröhliche Nachricht müssen wir
ihnen zuerst bringen.--Du bist doch nicht böse auf mich?
Juliane. Wer kann auf dich böse sein, Schmeichlerin? Komm nur!
Theophan. Erlauben Sie, daß ich ihn hier erwarte.
Henriette. Bringen Sie ihn aber nur bald. Hören Sie!

Dritter Auftritt
Theophan. Lisette.

Lisette. Ich bleibe, Herr Theophan, um Ihnen noch ein kleines großes
Kompliment zu machen. Wahrhaftig! Sie sind der glücklichste Mann von
der Welt! und wenn Herr Lisidor, glaube ich, noch zwei Töchter hätte,
so würden sie doch alle viere in Sie verliebt sein.
Theophan. Wie versteht Lisette das?
Lisette. Ich verstehe es so: daß wenn es alle viere sein würden, es
jetzt alle zwei sein müssen.
Theophan (lächelnd). Noch dunkler!
Lisette. Das sagt Ihr Lächeln nicht.--Wenn Sie aber wirklich Ihre
Verdienste selbst nicht kennen, so sind Sie nur desto liebenswerter.
Juliane liebt Sie: und das geht mit rechten Dingen zu, denn sie soll
Sie lieben. Nur schade, daß ihre Liebe so ein gar vernünftiges
Ansehen hat. Aber was soll ich zu Henrietten sagen? Gewiß sie liebt
Sie auch, und was das Verzweifeltste dabei ist, sie liebt Sie--aus
Liebe.--Wenn Sie sie doch nur alle beide auch heiraten könnten!
Theophan. Sie meint es sehr gut, Lisette!
Lisette. Ja, wahrhaftig! alsdann sollten Sie mich noch obendrein
behalten.
Theophan. Noch besser! Aber ich sehe, Lisette hat Verstand--
Lisette. Verstand? Auf das Kompliment weiß ich, leider! nichts zu
antworten. Auf ein anders: Lisette ist schön, habe ich wohl ungefähr
antworten lernen: Mein Herr, Sie scherzen. Ich weiß nicht, ob sich
diese Antwort hieher auch schickt.
Theophan. Ohne Umstände!--Lisette kann mir einen Dienst erzeigen,
wenn sie mir ihre wahre Meinung von Julianen entdeckt. Ich bin gewiß,
daß sie auch in ihren Mutmaßungen nicht weit vom Ziele treffen wird.
Es gibt gewisse Dinge, wo ein Frauenzimmerauge immer schärfer sieht,
als hundert Augen der Mannspersonen.
Lisette. Verzweifelt! diese Erfahrung können Sie wohl nimmermehr aus
Büchern haben--Aber, wenn Sie nur acht auf meine Reden gegeben hätten;
ich habe Ihnen bereits meine wahre Meinung von Julianen gesagt. Sagte
ich Ihnen nicht, daß mir ihre Liebe ein gar zu vernünftiges Ansehen zu
haben scheine? Darin liegt alles, was ich davon denke. Überlegung,
Pflicht, vorzügliche Schönheiten der Seele--Ihnen die Wahrheit zu
sagen, gegen so vortreffliche Worte, in einem weiblichen Munde, mag
ein Liebhaber immer ein wenig mißtrauisch sein. Und noch eine kleine
Beobachtung gehöret hieher: diese nämlich, daß sie mit den schönen
Worten weit sparsamer gewesen, als Herr Theophan allein im Hause war.
Theophan. Gewiß?
Lisette (nachdem sie ihn einen Augenblick angesehen). Herr Theophan!
Herr Theophan! Sie sagen dieses Gewiß mit einer Art,--mit einer Art,--
Theophan. Mit was für einer Art?
Lisette. Ja! nun ist sie wieder weg. Die Mannspersonen! die
Mannspersonen! Und wenn es auch gleich die allerfrömmsten sind--Doch
ich will mich nicht irremachen lassen. Seit Adrast im Hause ist,
wollte ich sagen, fallen zwischen dem Adrast und Julianen dann und
wann Blicke vor--
Theophan. Blicke?--Sie beunruhiget mich, Lisette.
Lisette. Und das Beunruhigen können Sie so ruhig aussprechen, so
ruhig--Ja, Blicke fallen zwischen ihnen vor; Blicke, die nicht ein
Haar anders sind, als die Blicke, die dann und wann zwischen Mamsell
Henrietten und dem vierten vorfallen--
Theophan. Was für einem vierten?
Lisette. Werden Sie nicht ungehalten. Wenn ich Sie gleich den
vierten nenne, so sind Sie eigentlich doch in aller Absicht der erste.
Theophan (die ersten Worte beiseite). Die Schlaue!--Sie beschämt mich
für meine Neubegierde, und ich habe es verdient. Nichtsdestoweniger
aber irret Sie sich, Lisette; gewaltig irret Sie sich--
Lisette. O pfui! Sie machten mir vorhin ein so artiges Kompliment,
und nunmehr gereuet es Sie auf einmal, mir es gemacht zu haben.--Ich
müßte gar nichts von dem Verstande besitzen, den Sie mir beilegten,
wenn ich mich so gar gewaltig irren sollte.--
Theophan (unruhig und zerstreut). Aber wo bleibt er denn?--
Lisette. Mein Verstand?--Wo er will.--So viel ist gewiß, daß Adrast
bei Henrietten ziemlich schlecht steht, sosehr sie sich auch nach
seiner Weise zu richten scheint. Sie kann alles leiden, nur
geringgeschätzt zu werden, kann sie nicht leiden. Sie weiß es
allzuwohl, für was uns Adrast ansieht: für nichts, als Geschöpfchen,
die aus keiner andern Absicht da sind, als den Männern ein Vergnügen
zu machen. Und das ist doch sehr nichtswürdig gedacht! Aber da kann
man sehen, in was für gottlose Irrtümer die ungläubigen Leute
verfallen.--Nu? Hören Sie mir nicht mehr zu, Herr Theophan? Wie so
zerstreut? wie so unruhig?
Theophan. Ich weiß nicht, wo mein Vetter bleibt?--
Lisette. Er wird ja wohl kommen.--
Theophan. Ich muß ihm wirklich nur wieder entgegengehn.--Adieu,
Lisette!

Vierter Auftritt
Lisette. Das heiße ich kurz abgebrochen!--Er wird doch nicht
verdrießlich geworden sein, daß ich ihm ein wenig auf den Zahn fühlte?
Das brave Männchen! Ich will nur gerne sehen, was noch daraus werden
wird. Ich gönne ihm wirklich alles Gutes, und wenn es nach mir gehen
sollte, so wüßte ich schon, was ich täte.--(Indem sie sich umsieht.)
Wer kömmt denn da den Gang hervor?--Sind die es?--Ein Paar
allerliebste Schlingel! Adrasts Johann, und Theophans Martin: die
wahren Bilder ihrer Herren, von der häßlichen Seite! Aus
Freigeisterei ist jener ein Spitzbube; und aus Frömmigkeit dieser ein
Dummkopf. Ich muß mir doch die Lust machen, sie zu behorchen. (Sie
tritt zurück.)

Fünfter Auftritt
Lisette, halb versteckt hinter einer Szene. Johann. Martin.

Johann. Was ich dir sage!
Martin. Du mußt mich für sehr dumm ansehen. Dein Herr ein Atheist?
das glaube sonst einer! Er sieht ja aus wie ich und du. Er hat Hände
und Füße; er hat das Maul in der Breite und die Nase in der Länge, wie
ein Mensch; er red't, wie ein Mensch; er ißt, wie ein Mensch:--und
soll ein Atheist sein?
Johann. Nun? sind denn die Atheisten keine Menschen?
Martin. Menschen? Ha! ha! ha! Nun höre ich, daß du selber nicht
weißt, was ein Atheist ist.
Johann. Zum Henker! du wirst es wohl besser wissen. Ei! belehre
doch deinen unwissenden Nächsten.
Martin. Hör zu!--Ein Atheist ist--eine Brut der Hölle, die sich, wie
der Teufel, tausendmal verstellen kann. Bald ist's ein listiger Fuchs,
bald ein wilder Bär;--bald ist's ein Esel, bald ein Philosoph;--bald
ist's ein Hund, bald ein unverschämter Poete. Kurz, es ist ein Untier,
das schon lebendig bei dem Satan in der Hölle brennt,--eine Pest der
Erde,--eine abscheuliche Kreatur,--ein Vieh, das dummer ist, als ein
Vieh;--ein Seelenkannibal,--ein Antichrist,--ein schreckliches
Ungeheuer--
Johann. Es hat Bocksfüße: nicht? Zwei Hörner? einen Schwanz?--
Martin. Das kann wohl sein.--Es ist ein Wechselbalg, den die Hölle
durch--durch einen unzüchtigen Beischlaf mit der Weisheit dieser Welt
erzeugt hat;--es ist--ja, sieh, das ist ein Atheist. So hat ihn unser
Pfarr abgemalt; der kennt ihn aus großen Büchern.
Johann. Einfältiger Schöps!--Sieh mich doch einmal an.
Martin. Nu?
Johann. Was siehst du an mir?
Martin. Nichts, als was ich zehnmal besser an mir sehen kann.
Johann. Findest du denn etwas Erschreckliches, etwas Abscheuliches an
mir? Bin ich nicht ein Mensch, wie du? Hast du jemals gesehen, daß
ich ein Fuchs, ein Esel, oder ein Kannibal gewesen wäre?
Martin. Den Esel laß immer weg, wenn ich dir antworten soll, wie du
gerne willst.--Aber, warum fragst du das?
Johann. Weil ich selbst ein Atheist bin; das ist, ein starker Geist,
wie es jetzt jeder ehrlicher Kerl nach der Mode sein muß. Du sprichst,
ein Atheist brenne lebendig in der Hölle. Nun! rieche einmal:
riechst du einen Brand an mir?
Martin. Drum eben bist du keiner.
Johann. Ich wäre keiner? Tue mir nicht die Schande an, daran zu
zweifeln, oder--Doch wahrhaftig, das Mitleiden verhindert mich, böse
zu werden. Du bist zu beklagen, armer Schelm!
Martin. Arm? Laß einmal sehen, wer die vergangene Woche das meiste
Trinkgeld gekriegt hat. (Er greift in die Tasche.) Du bist ein
lüderlicher Teufel, du versäufst alles--
Johann. Laß stecken! Ich rede von einer ganz andern Armut, von der
Armut des Geistes, der sich mit lauter elenden Brocken des
Aberglaubens ernähren, und mit lauter armseligen Lumpen der Dummheit
kleiden muß.--Aber so geht es euch Leuten, die ihr nicht weiter, als
höchstens vier Meilen hinter den Backofen kommt. Wenn du gereiset
wärest, wie ich--
Martin. Gereist bist du? Laß hören, wo bist du gewesen?
Johann. Ich bin gewesen--in Frankreich--
Martin. In Frankreich? Mit deinem Herrn?
Johann. Ja, mein Herr war mit.
Martin. Das ist das Land, wo die Franzosen wohnen?--So wie ich einmal
einen gesehen habe,--das war eine schnurrige Kröte! In einem
Augenblicke konnte er sich siebenmal auf dem Absatze herumdrehen, und
dazu pfeifen.
Johann. Ja, es gibt große Geister unter ihnen! Ich bin da erst recht
klug geworden.
Martin. Hast du denn auch Frankreich'sch gelernt?
Johann. Französisch, willst, du sagen:--vollkommen.
Martin. Oh! rede einmal!
Johann. Das will ich wohl tun.--Quelle heure est-il, maraut? Le père
et la mère une fille de coups de bâton. Comment coquin? Diantre
diable carogne à vous servir.
Martin. Das ist schnakisch! Und das Zeug können die Leute da
verstehen? Sag einmal, was hieß das auf deutsch?
Johann. Ja! auf deutsch! Du guter Narre, das läßt sich auf deutsch
nicht so sagen. Solche feine Gedanken können nur französisch
ausgedrückt werden.
Martin. Der Blitz!--Nu? wo bist du weiter gewesen?
Johann. Weiter? In England--
Martin. In England?--Kannst du auch Engländ'sch
Johann. Was werde ich nicht können?
Martin. Sprich doch!
Johann. Du mußt wissen, es ist eben wie das Französische. Es ist
französisch, versteh mich, auf englisch ausgesprochen. Was hörst du
dir dran ab?--Ich will dir ganz andre Dinge sagen, wenn du mir zuhören
willst. Dinge, die ihresgleichen nicht haben müssen. Zum Exempel,
auf unsern vorigen Punkt zu kommen: sei kein Narr, und glaube, daß ein
Atheist so ein schrecklich Ding ist. Ein Atheist ist nichts weiter,
als ein Mensch, der keinen Gott glaubt.--
Martin. Keinen Gott? Je! das ist ja noch viel ärger! Keinen Gott?
Was glaubt er denn?
Johann. Nichts.
Martin. Das ist wohl eine mächtige Mühe.
Johann. Ei! Mühe! Wenn auch nichts glauben eine Mühe wäre, so
glaubten ich und mein Herr gewiß alles. Wir sind geschworne Feinde
alles dessen, was Mühe macht. Der Mensch ist in der Welt, vergnügt
und lustig zu leben. Die Freude, das Lachen, das Kurtisieren, das
Saufen sind seine Pflichten. Die Mühe ist diesen Pflichten hinderlich;
also ist es auch notwendig seine Pflicht, die Mühe zu fliehen.--Sieh,
das war ein Schluß, der mehr Gründliches enthält, als die ganze Bibel.
Martin. Ich wollt's. Aber sage mir doch, was hat man denn in der
Welt ohne Mühe?
Johann. Alles was man erbt, und was man erheiratet. Mein Herr erbte
von seinem Vater und von zwei reichen Vettern keine kleinen Summen;
und ich muß ihm das Zeugnis geben, er hat sie, als ein braver Kerl,
durchgebracht. Jetzt bekömmt er ein reich Mädel, und, wenn er klug
ist, so fängt er es wieder an, wo er es gelassen hat. Seit einiger
Zeit ist er mir zwar ganz aus der Art geschlagen; und ich sehe wohl,
auch die Freigeisterei bleibt nicht klug, wenn sie auf die Freite geht.
Doch ich will ihn schon wieder in Gang bringen.--Und höre, Martin,
ich will auch dein Glück machen. Ich habe einen Einfall; aber ich
glaube nicht, daß ich ihn anders wohl von mir geben kann, als--bei
einem Glase Wein. Du klimpertst vorhin mit deinen Trinkgeldern; und
gewiß, du bist in Gefahr, keine mehr zu bekommen, wenn man nicht sieht,
daß du sie dazu anwendest, wozu sie dir gegeben werden. Zum Trinken,
guter Martin, zum Trinken: darum heißen es Trinkgelder.--
Martin. Still! Herr Johann, still!--Du bist mir so noch Revansche
schuldig. Habe ich dich nicht jenen Abend nur noch freigehalten?--
Doch, laß einmal hören! was ist denn das für ein Glück, das ich von
dir zu hoffen habe?
Johann. Höre, wenn mein Herr heiratet, so muß er noch einen Bedienten
annehmen.--Eine Kanne Wein, so sollst du bei mir den Vorzug haben. Du
versauerst doch nur bei deinem dummen Schwarzrocke. Du sollst bei
Adrasten mehr Lohn und mehr Freiheit haben; und ich will dich noch
obendrein zu einem starken Geiste machen, der es mit dem Teufel und
seiner Großmutter aufnimmt, wenn nur erst einer wäre.
Martin. Was? wenn erst einer wäre? Ho! ho! Ist es nicht genug,
daß du keinen Gott glaubst? willst du noch dazu keinen Teufel
glauben? Oh! male ihn nicht an die Wand! Er läßt sich nicht so
lange herumhudeln, wie der liebe Gott. Der liebe Gott ist gar zu gut,
und lacht über einen solchen Narren, wie du bist. Aber der Teufel--
dem läuft gleich die Laus über die Leber; und darnach sieht's nicht
gut aus.--Nein, bei dir ist kein Aushalten: ich will nur gehen.--
Johann (hält ihn zurück). Spitzbube! Spitzbube! denkst du, daß ich
deine Streiche nicht merke? Du fürchtest dich mehr für die Kanne Wein,
die du geben sollst, als für den Teufel. Halt!--Ich kann dich aber
bei dem allen unmöglich in dergleichen Aberglauben stecken lassen.
Überlege dir's nur:--Der Teufel--der Teufel--Ha! ha! ha!--Und dir
kömmt es nicht lächerlich vor? Je! so lache doch!
Martin. Wenn kein Teufel wäre, wo kämen denn die hin, die ihn
auslachen?--Darauf antworte mir einmal! den Knoten beiß mir auf!
Siehst du, daß ich auch weiß, wie man euch Leute zuschanden machen muß?
Johann. Ein neuer Irrtum! Und wie kannst du so ungläubig gegen meine
Worte sein? Es sind die Aussprüche der Weltweisheit, die Orakel der
Vernunft! Es ist bewiesen, sage ich dir, in Büchern ist es bewiesen,
daß es weder Teufel noch Hölle gibt.--Kennst du Balthasarn? Es war
ein berühmter Bäcker in Holland.
Martin. Was gehn mich die Bäcker in Holland an? Wer weiß, ob sie so
gute Brezeln backen, wie der hier an der Ecke.
Johann. Ei! das war ein gelehrter Bäcker! Seine bezauberte Welt--ha!
--das ist ein Buch! Mein Herr hat es einmal gelesen. Kurz, ich
verweise dich auf das Buch, so wie man mich darauf verwiesen hat, und
will dir nur im Vertrauen sagen: Der muß ein Ochse, ein Rindvieh, ein
altes Weib sein, der einen Teufel glauben kann. Soll ich dir's
zuschwören, daß keiner ist?--Ich will ein Hundsfott sein!
Martin. Pah! der Schwur geht wohl mit.
Johann. Nun, sieh,--ich will, ich will--auf der Stelle verblinden,
wenn ein Teufel ist.
(Lisette springt geschwinde hinter der Szene hervor, und hält ihm
rückwärts die Augen zu, indem sie dem Martin zugleich winkt.)
Martin. Das wäre noch was; aber du weißt schon, daß das nicht
geschieht.
Johann (ängstlich). Ach! Martin, ach!
Martin. Was ist's?
Johann. Martin, wie wird mir? Wie ist mir, Martin?
Martin. Nu? was hast du denn?
Johann. Seh ich--oder--ach! daß Gott--Martin! Martin! wie wird es
auf einmal so Nacht?
Martin. Nacht? Was willst du mit der Nacht?
Johann. Ach! so ist es nicht Nacht? Hülfe! Martin, Hülfe!
Martin. Was denn für Hülfe? Was fehlt dir denn?
Johann. Ach! ich bin blind, ich bin blind! Es liegt mir auf den
Augen, auf den Augen.--Ach! ich zittere am ganzen Leibe--
Martin. Blind bist du? Du wirst ja nicht?--Warte, ich will dich in
die Augen schlagen, daß das Feuer herausspringt, und du sollst bald
sehen--
Johann. Ach! ich bin gestraft, ich bin gestraft. Und du kannst
meiner noch spotten? Hülfe! Martin, Hülfe!--(Er fällt auf die Knie.)
Ich will mich gern bekehren! Ach! was bin ich für ein Bösewicht
gewesen!--
Lisette (welche plötzlich gehen läßt, und, indem sie hervorspringt,
ihm eine Ohrfeige gibt). Du Schlingel!
Martin. Ha! ha! ha!
Johann. Ach! ich komme wieder zu mir. (Indem er aufsteht.) Sie
Rabenaas, Lisette!
Lisette. Kann man euch Hundsfötter so ins Bockshorn jagen? Ha! ha!
ha!
Martin. Krank lache ich mich noch darüber. Ha! ha! ha!
Johann. Lacht nur! lacht nur!--Ihr seid wohl albern, wenn ihr denkt,
daß ich es nicht gemerkt habe.--(Beiseite.) Das Blitzmädel, was sie
mir für einen Schreck abgejagt hat! Ich muß mich wieder erholen.
(Geht langsam ab.)
Martin. Gehst du? Oh! lacht ihn doch aus! Je! lach Sie doch,
Lisettchen, lach Sie doch! Ha! ha! ha! Das hat Sie vortrefflich
gemacht; so schöne, so schöne, ich möchte Sie gleich küssen.--
Lisette. Oh! geh, geh, dummer Martin!
Martin. Komm Sie, wirklich! ich will Sie zu Weine führen. Ich will
Sie mit der Kanne Wein traktieren, um die mich der Schurke prellen
wollte. Komm Sie!
Lisette. Das fehlte mir noch. Ich will nur gehen, und meinen
Mamsells den Spaß erzählen.
Martin. Ja, und ich meinem Herrn.--Der war abgeführt! der war
abgeführt!

(Ende des zweiten Aufzuges.)


Dritter Aufzug

Erster Auftritt
Theophan. Araspe.

Araspe. Was ich Ihnen sage, mein lieber Vetter. Das Vergnügen Sie zu
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