Der Dichter Lenz und Friedericke von Sesenheim - 6

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Der Wiesen grüner Schimmer
Wird trüb wie mein Gesicht,
Sie sehn die Sonne nimmer
Und ich Friedricken nicht.
Bald geh’ ich in die Reben
Und herbste Trauben ein,
Umher ist Alles Leben,
Es sprudelt neuer Wein.
Doch in der öden Laube,
Ach, denk’ ich, wär’ Sie hier?
Ich brächt’ ihr diese Traube,
Und Sie -- was gäb’ Sie mir?

3.
Ach, bist du fort? aus welchen güldnen Träumen
Erwach’ ich jetzt zu meiner Qual!
Kein Bitten hielt dich auf, du wolltest doch nicht säumen,
Du flogst davon zum zweitenmal.
Zum zweitenmal sah ich dich Abschied nehmen,
Dein göttlich Aug’ in Thränen stehn,
Für deine Freundinnen -- des Jünglings stummes Grämen
Blieb unbemerkt, ward nicht gesehn.
O warum wandtest du die holden Blicke
Beim Abschied immer von ihm ab?
O warum ließest du ihm nichts, ihm nichts zurücke
Als die Verzweiflung und das Grab?
Wie ist die Munterkeit von ihm gewichen!
Die Sonne scheint ihm schwarz, der Boden leer,
Die Bäume blühn ihm schwarz, die Blätter sind verblichen,
Und Alles welket um ihn her.
Er läuft in Gegenden wo er mit dir gegangen,
Im krummen Bogengang, im Wald, am Bach --
Und findet dich nicht mehr -- und weinet voll Verlangen
Und voll Verzweiflung dort dir nach.
Dann in die Stadt zurück, doch die erweckt ihm Grauen,
Er findet dich nicht mehr, Vollkommenheit!
Ein andrer mag nach jenen Puppen schauen,
Ihm sind die Närrinnen verleid’t.
O laß dich doch, o laß dich doch erflehen,
Und schreib’ ihm einmal nur -- ob du ihn liebst!
Ach, oder laß ihn nie dich wiedersehen,
Wenn du ihm diesen Trost nicht giebst!
Wie? nie dich wiedersehn? -- Entsetzlicher Gedanke!
Ström’ alle deine Qual auf mich!
Ich fühl’, ich fühl’ ihn ganz -- es ist zu viel -- ich wanke --
Ich sterbe, Grausame -- für dich!

4.
Jetzt fühlt der Engel was ich fühle,
Ihr Herz gewann ich mir beim Spiele,
Und Sie ist nun von Herzen mein.
Du gabst mir, Schicksal, diese Freude,
Nun laß auch morgen sein wie heute,
Und lehr’ mich ihrer würdig sein.
Nun sitzt der Ritter an dem Ort,
Den ihr ihm nanntet, liebe Kinder,
Sein Pferd gieng langsam fort
Und seine Seele nicht geschwinder.
Da sitz’ ich nun vergnügt bei Tisch,
Und endige mein Abentheuer
Mit einem Paar gesott’ner Eier
Und einem Stück gebratnem Fisch.
Die Nacht war wahrlich ziemlich düster,
Mein Falke stolperte wie blind,
Und doch fand ich den Weg so gut als ihn der Küster
Des Sonntags früh zur Kirche find’t.
Ich komme bald, ihr goldnen Kinder,
Vergebens sperret uns der Winter
In unsre warmen Stuben ein.
Wir wollen uns zum Feuer setzen,
Und tausendfältig uns ergötzen,
Uns lieben wie die Engelein;
Wir wollen kleine Kränze winden,
Wir wollen kleine Sträußchen binden,
Wir wollen wie die Kinder sein!


[Illustration: Handschrift]


Fußnoten:
[1] Gesammelte Schriften von =J. M. R. Lenz=, herausgegeben von L.
Tieck. Berlin, bei Reimer 1828, 3 Theile. Das Trauerspiel das =leidende
Weib=, hat Tieck fälschlich unter die Lenzischen Schriften gesetzt;
es ist von =Klinger=, wie Gervinus (Neuere Geschichte der deutschen
Nationalliteratur Th. I. S. 584) nachgewiesen hat.
[2] S. Salzmann’s Nekrolog von =Moriz Engelhardt=, Morgenblatt 1812.
-- Gelegentlich stehe hier, daß Göthe während seines Aufenthaltes in
Straßburg, 1770 bis 1771 auf dem alten Fischmarkte, im Hause Nr. 80
wohnte. Die von Salzmann präsidirte Tischgesellschaft, bei den Jungfern
Lauth, kam in der Krämergasse Nr. 13 zusammen.
[3] Das Andenken des Pfarrers =Johann Jakob Brion= und seiner von Göthe
als Muster einer tüchtigen, einsichtsvollen und verständigen Hausfrau
geschilderten Gattin, Maria Magdalena, geb. Schöll, steht noch immer
in Sesenheim in Segen. Das alte Pfarrhaus ist seitdem abgerissen
worden und hat einem größern, stattlichen Wohngebäude Platz gemacht.
Die Jasminlaube, die seitdem auch verpflanzt worden ist, wird häufig
von Reisenden, namentlich von Deutschen und Engländern, aufgesucht
und geplündert. -- Göthe’s damalige Vorliebe für Ossian war auch auf
Friedericke übergegangen. Ich besitze den schon besprochenen Gesang:
„Stern der dämmernden Nacht“, welchen er für Friedericke übersetzte,
und sodann, sehr verändert, in den Werther aufnahm, von seiner Hand
geschrieben und hin und wieder verbessert. Er folgt im Anhange. Die
älteste Tochter, =Marie Salome= (bei Göthe =Olivie=), war an einen
Pfarrer Marx in Meißenheim, bei Lahr, verheirathet; bei ihr starb
=Friedericke= (November 1813) im 58. Lebensjahre. Der Bruder (=Moses=)
starb 1817 als Pfarrer zu Barr. Die jüngste Schwester, zu Göthe’s Zeit
ein kleines, munteres Mädchen, hieß =Sophie=; sie lebte eine Zeit lang
mit Friedericke im Steinthale, wo beide eine Mädchenschule leiteten;
später zog sie nach Niederbronn, wo sie im Dezember 1838 in hohem Alter
starb. Sie war bis an ihr Ende heiter und sprach von Göthe nicht anders
als mit Achtung; sie klagte ihn nie an und wußte nichts von einer
förmlichen Verlobung zwischen ihm und ihrer Schwester. Sie wurde oft
von Fremden besucht und war unter dem Namen „Täntele“ in Niederbronn
und in der Umgegend bekannt und allgemein geschätzt. Die bis dahin
ungedruckten Gedichte Göthe’s, die ich in Chamisso’s und Schwab’s
Musenalmanach 1838 einrücken ließ, hatte ich von ihr erhalten; sie sind
aber nicht eigenhändig von Göthe geschrieben.
[4] _Strobel, hist. du Gymn. de Strasb._ 1838. S. 159 u. 160.
[5] =Gervinus=, neuere Geschichte der poetischen Nationalliteratur der
Deutschen. Th. I. S. 581 u. 584.
[6] Viele Beiträge der Gesellschaft wurden in den damals in Straßburg
erscheinenden =Bürgerfreund= eingerückt, an welchem namentlich
=Blessig= thätigen Antheil hatte.
[7] Dieser in der =Erwinia= 1839, S. 6 u. ff., mitgetheilte Aufsatz
bildet die Grundlage der leider Fragment gebliebenen Novelle „Lenz“
meines verstorbenen Freundes =Georg Büchner=. Er trug sich schon in
Straßburg lange Zeit mit dem Gedanken Lenz zum Helden einer Novelle
zu machen, und ich gab ihm zu seinem Stoffe alles, was ich an
Handschriften besaß. Das Fragment ist abgedruckt im =Telegraphen= 1839,
Nummer 5 u. ff.
[8] =Kaufmann= aus Winterthur.
[9] Daß diese -- Friedericke aus Sesenheim war, geht aus den Briefen
von Lenz an Salzmann unzweifelhaft hervor.
[10] Oberlin schrieb und sagte später immer =Waldbach=; dies ist auch
der offizielle Name, den das Dörfchen trägt.
[11] Aus =Oberlin’s= Papieren gezogen und ohne Veränderungen abgedruckt.
[12] Herr Kommerzienrath =Vogel=, in Emmendingen, hatte die Güte mir
einige Notizen über Lenz’s Aufenthalt daselbst mitzutheilen; sie
beziehen sich meistens auf die Ausbrüche seines Wahnsinns, an deren
Erzählung der Leser, aus Oberlin’s Aufsatze, gewiß schon volle Genüge
hat.
[13] Schlosser.
[14] Es war ihm nämlich eine Wasserkur verordnet; namentlich das Baden
im fließenden Wasser, was er oft und gerne im Rheine that.
[15] Die Uebersetzungen aus Ossian, Band 3 u. 4, sind von ihm. Er war
auch ein eifriger Mitarbeiter am =deutschen Museum=; die Jahrgänge 1776
und 1777 enthalten viele Beiträge von ihm; auch am =deutschen Merkur=
und =Vossischen Musenalmanach=.
[16] Der erste starb als Lehrer an einem Institut in Paris. Der zweite
war Professor am Buchsweiler Gymnasium; beide waren früher Gehülfen
Basedow’s.
[17] Gesammelte Schriften von =J. M. R. Lenz=, Bd. I. S. CXX.
[18] Sesenheim.
[19] Ich weiß nicht was hier gemeint. Es liegen einige unvollständige
Blättchen bei den Briefen, welche einzelne philosophische und
theologische Betrachtungen, besonders über Leibniz, enthalten.
D. H.

[20] =Andreas Lamey=, gebürtig aus Münster, im oberen Elsaße; ein
Mann von niederer Abkunft, den aber sein Fleiß und seine Talente, so
wie seine wunderbaren Lebensschicksale, zu einem großen, wichtigen
Wirkungskreise führten. Er war ein Freund und Gehilfe =Schöpflin’s=,
leistete dem Churfürsten der baierischen Pfalz wesentliche Dienste
durch Auffindung verlorener Dokumente und starb in Mannheim, allverehrt
und allgesegnet, als Hofrath, Oberbibliothekar und beständiger Sekretar
der Gesellschaft der Wissenschaften. Der geistreiche =Luce= hat die
wunderbaren Fata Lamey’s in einer lieblichen Geschichte „die Wunder des
Fäßchens“ erzählt. S. =alsatisches Taschenbuch= auf d. J. 1807.
D. H.

[21] Spatziergang, bei Straßburg. D. H.
[22] In einem Briefe =Pfeffel’s= an meinen sel. Vater (Kolmar 13.
Dezember 1806) finde ich hierüber folgende Stelle: „Die Geschichte an
der Aar hat Luce irrig ungedruckt geglaubt. Der gute Lenz verfertigte
das Stück nach unserer Erzählung (denn er hatte damals die Schweiz
noch nicht gesehen) an einem Winterabende auf meiner Stube, und
ich erinnerte mich sogar, daß ich ihm einen Reim dazu lieferte. Er
hinterließ Luce und mir eine Abschrift des Gedichtes, das ich mit
seiner Bewilligung in den Göttinger Musenalmanach von 1777 oder 1778
einrückte; es verdiente aber mit allem Recht wieder auferweckt zu
werden.“
D. H.

[23] Mit Beibehaltung der Orthographie des Originals abgedruckt.
D. H.

[24] Das Echo. G.
[25] Göthe nahm diesen Gesang nur bis dahin in seinen Werther auf.
D. H.

[26] Ossianen. G.
[27] =Bemerkung=. Diese Gedichte, die ich 1838 schon im Musenalmanach
von Chamisso und G. Schwab mittheilte, waren im Besitze von Sophie
Brion, Friederickens jüngster Schwester; die Originalien kamen ihr
abhanden; allein sie versicherte, die Abschriften seien getreu. Außer
den hier mitgetheilten stand noch abgerissen dabei:
„Es schlägt mein Herz, geschwind zu Pferde!“
bis
„Sah schläfrig aus dem Duft hervor.“
Ebenso das bekannte
„Kleine Blumen, kleine Blätter.“
D. H.


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