Der Dichter Lenz und Friedericke von Sesenheim - 3

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angenommen und sich in stille Schwermuth verwandelt. Da aber an völlige
Genesung nicht zu denken war, und er auch für jede ernste Beschäftigung
und einen Beruf untauglich blieb, schrieben seine Freunde an seine
Familie, sie möchte ihn zu sich nehmen. Sein älterer Bruder =Karl
Heinrich Gottlieb= holte ihn daher im Sommer 1779 ab und brachte ihn in
seine Heimath. Ein Brief desselben an Salzmann lautet also:
=Erfurt=, den 3. Julius 1779.
„Ich hoffe in der gemachten und mir sehr schmeichelhaften Bekanntschaft
mit Ihnen, schon dahin gekommen zu seyn, daß Sie, wegen der bisherigen
Nichterfüllung meines Versprechens keine große Entschuldigung
erwarten, oder gar mich einer vorsätzlichen Nachlässigkeit hierin
fähig halten werden. Kurz gesagt, so war es die große Eilfertigkeit
meiner Rückreise und die beständige Gegenwart meines Bruders, die mich
bisher dieser Beruhigung beraubt haben, Ihnen die Versicherungen meiner
Hochachtung und Ergebenheit wiederholen zu können.
Ich habe meinen Bruder aus Hertingen (an den Gränzen der Schweiz und
nur drei Stunden von Basel) abholen müssen. Von jener Scene, da ich
ihn nach eilf Jahren wieder gesehen, da er stumm seine Freude blicken
ließ -- lassen Sie mich nichts sagen, weil sie nur gefühlt werden kann.
Ich fand ihn, bis auf eine unglaubliche Schüchternheit, völlig wieder
hergestellt, und auch diese verliert sich von Zeit zu Zeit. Straßburg
mußte ich mit ihm vermeiden, so leid es mir auch that. Die Reise
scheint ihm sehr zuträglich zu seyn, und ich hoffe, daß vaterländische
Luft und geschwisterliche Pflege das Letzte zu seiner völligen Genesung
beitragen werden. Er läßt sich Ihnen bestens empfehlen und hofft
nächstens selbst zu schreiben. -- Unsere Reise geht gegenwärtig, so
schleunig als möglich, nach Lübeck zu, um von dort aus noch zeitig in
die See gehen zu können.
Ueberaus angenehm würde es mir seyn, wenn ich mich einer gütigen
Antwort, unter beiliegender Adresse nach Jena, schmeicheln dürfte: der
benannte Freund wird mir selbige allemal zuzustellen wissen.
Den Herren Simon und Schweighäuser[16] bitte ich ergebenst gelegentlich
die besten Komplimente zu machen. Die Zeit ist mir dießmal zu kurz,
ihnen für die bewiesene gütige Freundschaft schriftlich Dank sagen zu
können.
Leben Sie wohl! und trauen den Versicherungen meiner aufrichtigen
Hochachtung und Ergebenheit.
=Carl Heinrich Gottlob Lenz=.“
=Lenz= starb in Moskau, nicht, wie Tieck vermuthet[17], bald nach 1780,
sondern erst den 24. Mai 1792. „Er starb,“ heißt es in der allgemeinen
Literaturzeitung (1792, Intelligenzblatt Nr. 99) „von Wenigen
betrauert, und von Keinem vermißt. Dieser unglückliche Gelehrte, den
in der Mitte der schönsten Geisteslaufbahn eine Gemüthskrankheit
aufhielt, die seine Kraft lähmte und den Flug seines Genie’s hemmte,
der demselben wenigstens eine unordentliche Richtung gab, verlebte den
besten Theil seines Lebens in nutzloser Geschäftigkeit ohne eigentliche
Bestimmung. Von Allen verkannt, gegen Mangel und Dürftigkeit kämpfend,
entfernt von allem, was ihm theuer war, verlor er doch nie das Gefühl
seines Werthes; sein Stolz wurde durch unzählige Demüthigungen noch
mehr gereizt, und artete endlich in jenen Trotz aus, der gewöhnlich
der Gefährte der edeln Armuth ist. Er lebte von Almosen, aber er
nahm nicht von Jedem Wohlthaten an, und wurde beleidigt, wenn man ihm
ungefordert Geld oder Unterstützung anbot, da doch seine Gestalt und
sein ganzes Aeußere die dringendste Aufforderung zu Wohlthätigkeit
waren. Er wurde auf Kosten eines großmüthigen russischen Edelmannes, in
dessen Hause er auch lange Zeit lebte, begraben.“


II.
Briefe von Lenz
an den Aktuar Salzmann,
aus den Jahren 1772 und 1776.

Aus Salzmann’s literarischem Nachlasse.
(Straßb. Stadtbibliothek.)

1.
=Fort-Louis=, den 3. Juni 1772.
Mein theuerster Freund!
So nenn’ ich Sie, die Sprache des Herzens will ich mit Ihnen reden,
nicht des Ceremoniels. Kurz aber wird mein Brief werden, denn sie ist
lakonisch, lakonischer als Sallustius, lakonischer als der schnellste
Gedanke eines Geistes ohne Körper. Darum hasse ich die Briefe. Die
Empfindungen einer so geläuterten Freundschaft als Sie mich kennen
gelehrt, gleichen dem geistigen Spiritus, der wenn er an die Luft
kömmt, verraucht. Ich liebe Sie -- mehr verbietet mir mein Herz zu
sagen, der plauderhafte Witz ist nie sein Dollmetscher gewesen. Ich
bin wieder in Fort-Louis, nach einigen kleinen Diversionen, die meine
kleine Existenz hier, auf dem Lande herum, gemacht hat. Ob ich mein
Herz auch spatzieren geführt -- -- --
Ich habe die guten Mädchen von Ihnen gegrüßt: sie lassen Ihnen Ihre
ganze Hochachtung und Ergebenheit versichern. Es war ein Mädchen, das
sich vorzüglich freute, daß ich so glücklich wäre, Ihre Freundschaft zu
haben. Mündlich mehr. Ich komme in der Frohnleichnamswoche zuverläßig
nach Straßburg. -- Schon wieder eine Visite -- und schon wieder eine --
Ich bin mit einigen Offiziers bekannt und diese Bekanntschaft wird mir
schon, in ihrer Entstehung lästig. Ich liebe die Einsamkeit jetzt mehr,
als jemals -- und wenn ich =Sie= nicht in Straßburg zu finden hoffte,
so würde ich mein Schicksal hassen, das mich schon wieder zwingt, in
eine lärmende Stadt zurückzukehren.
Was werden Sie von mir denken, mein theuerster Freund? Was für
Muthmaßungen -- Aber bedenken Sie, daß dieses die Jahre der
Leidenschaften und Thorheiten sind. Ich schiffe unter tausend Klippen
-- auf dem Negropont, wo man mir mit Horaz zurufen sollte
_Interfusa nitentes
Vites aequora Cycladas._
Wenn ich auf einer dieser Inseln scheitre -- wäre es ein so großes
Wunder? Und sollte mein Salzmann so strenge seyn, mich auf denselben,
als einen zweiten Robinson Crusoe, ohne Hilfe zu lassen? Ich will
es Ihnen gestehen (denn was sollte ich Ihnen nicht gestehen?), ich
fürchte mich vor Ihrem Anblick. Sie werden mir bis auf den Grund
meines Herzens sehen -- und ich werde wie ein armer Sünder vor Ihnen
stehen und seufzen, anstatt mich zu rechtfertigen. Was ist der Mensch?
Ich erinnere mich noch wohl, daß ich zu gewissen Zeiten stolz einen
gewissen G. tadelte und mich mit meiner sittsamen Weisheit innerlich
brüstete, wie ein welscher Hahn, als Sie mir etwas von seinen
Thorheiten erzählten. Der Himmel und mein Gewissen strafen mich jetzt
dafür. Nun hab’ ich Ihnen schon zu viel gesagt, als daß ich Ihnen
nicht noch mehr sagen sollte. Doch nein, ich will es bis auf unsere
Zusammenkunft versparen. Ich befürchte, die Buchstaben möchten erröthen
und das Papier anfangen zu reden. Verbergen Sie doch ja diesen Brief
vor der ganzen Welt, vor sich selber und vor mir. Ich wünschte, daß ich
Ihnen von Allem Nachricht geben könnte, ohne daß ich nöthig hätte zu
reden. Ich bin boshaft auf mich selber, ich bin melancholisch über mein
Schicksal -- ich wünschte von ganzem Herzen zu sterben.
Den Sonntag waren wir in Ses.[18]; den Montag frühe gieng ich wieder
hin und machte in Gesellschaft des guten Landpriesters und seiner
Tochter eine Reise nach Lichtenau. Wir kamen den Abend um 10 Uhr nach
S. zurück: diesen und den folgenden Tag blieb ich dort. Nun haben Sie
genug. Es ist mir, als ob ich auf einer bezauberten Insel gewesen wäre,
ich war dort ein andrer Mensch, als ich hier bin, alles was ich geredt
und gethan, hab’ ich im Traume gethan.
Heute reiset Mad. Brion, mit ihren beiden Töchtern, nach Saarbrücken,
zu ihrem Bruder, auf 14 Tage und wird vielleicht =ein Mädchen da
lassen=, das ich wünschte nie gesehen zu haben. Sie hat mir aber
bei allen Mächten der L-- geschworen, nicht da zu bleiben. Ich
bin unglücklich, bester, bester Freund! und doch bin ich auch der
glücklichste unter allen Menschen. An demselben Tage vielleicht,
da sie von Saarbrücken zurückkömmt, muß ich mit Herrn von Kleist
nach Straßburg reisen. Also einen Monat getrennt, vielleicht mehr,
vielleicht auf immer -- Und doch haben wir uns geschworen, uns nie
zu trennen. Verbrennen Sie diesen Brief -- es reut mich, daß ich
dieß einem treulosen Papier anvertrauen muß. Entziehen Sie mir Ihre
Freundschaft nicht: es wäre grausam mir sie jetzt zu entziehen, da ich
mir selbst am wenigsten genug bin, da ich mich selbst nicht leiden
kann, da ich mich umbringen möchte, wenn das nichts Böses wäre. Ich bin
nicht Schuld an allen diesen Begebenheiten: ich bin kein Verführer,
aber auch kein Verführter, ich habe mich leidend verhalten, der Himmel
ist Schuld daran, der mag sie auch zum Ende bringen. Ich werfe mich in
Ihre Arme als
Ihr melancholischer =Lenz=.
Am Rande dieses Briefes steht noch:
Haben Sie die Gütigkeit, der ganzen Tischgesellschaft meine Ergebenheit
zu versichern.
Ums Himmels, um meines Mädchens und um meinetwillen, lassen Sie doch
Alles dieß ein Geheimniß bleiben. Von mir erfährt es Niemand als mein
zweites Ich.

2.
=Fort-Louis=, den 10. Junius.
Guter Sokrates!
Schmerzhaft genug war der erste Verband, den Sie auf meine Wunde
legten. Mich auszulachen -- ich muß mitlachen, und doch fängt meine
Wunde dabei nur heftiger an zu bluten. Nur fürchte ich -- soll ich
Ihnen auch diese Furcht gestehn? Ja da sie mein Herz einmal offen
gesehen haben, so soll kein Winkel Ihnen verborgen bleiben. Ich
fürchte, es ist zu spät an eine Heilung zu denken. Es ist mir wie
Pygmalion gegangen. Ich hatte mir zu einer gewissen Absicht in meiner
Phantasie ein Mädchen geschaffen -- ich sah mich um und die gütige
Natur hatte mir mein Ideal lebendig an die Seite gestellt. Es gieng
uns Beiden wie Cäsarn: _Veni, vidi, vici_. Durch unmerkliche Grade
wuchs unsere Vertraulichkeit -- und jetzt ist sie beschworen und
unauflöslich. Aber sie ist fort, wir sind getrennt: und eben da ich
diesen Verlust am heftigsten fühle, kommen Briefe aus Straßburg und
-- Vergeben Sie mir meinen tollen Brief! Mein Verstand hat sich noch
nicht wieder eingefunden. Wollte der Himmel, ich hätte nicht nöthig,
ihn mit Vetter Orlando im Monde suchen zu lassen. Ich bin, um mich zu
zerstreuen, die Feiertage über, bei einem reichen und sehr gutmüthigen
Amtsschulz in Lichtenau zu Gast gewesen. Ich habe mich an meinem Kummer
durch eine ausschweifende Lustigkeit gerächt: aber er kehrt jetzt nur
desto heftiger zurück, wie die Dunkelheit der Nacht hinter einem Blitz.
-- Ich werde nach Straßburg kommen und mich in Ihre Kur begeben. Eins
muß ich mir von Ihnen ausbitten: schonen Sie mich nicht, aber -- lassen
Sie meine Freundin unangetastet. Den Tag nach meinem letzten Briefe
an Sie, gieng ich zu ihr: Wir haben den Abend allein in der Laube
zugebracht; die bescheidene, englischgütige Schwester unterbrach uns
nur selten und das allezeit mit einer so liebenswürdigen Schalkheit.
-- Unser Gespräch waren Sie -- ja Sie, und die freundschaftlichen
Mädchen haben fast geweint für Verlangen, Sie kennen zu lernen. Und
Sie wollten, mit gewaffneter Hand, auf sie losgehen, wie Herkules auf
seine Ungeheuer? -- Nein, Sie müssen sie kennen lernen und ihre Blicke
allein werden Sie entwaffnen. Ich habe meiner Friedericke gesagt, ich
könnte für Sie nichts geheim halten. Sie zitterte, Sie würden zu wenig
Freundschaft für eine Unbekannte haben. Machen Sie diese Furcht nicht
wahr, mein guter Sokrates! Uebrigens thun Sie was Ihnen die Weisheit
räth. Ich will mich geduldig unterwerfen. Es ist gut, daß Sie meinen
freundschaftlichen Ott nicht mit meiner Thorheit umständlich bekannt
machten. Ich verbärge mich gern vor mir selbst, nur nicht vor Ihnen.
Leben Sie wohl!
Gestern ist der Herr Landpriester bei mir zu Gast gewesen. Es ist ein
Fielding’scher Charakter. Jeder Andere würde in seiner Gesellschaft
Langeweile gefunden haben; ich habe aber mich recht sehr darin amusirt;
denn ein Auge, womit ich ihn ansah, war poetisch, das andere verliebt.
-- Er läßt sein Leben für mich und ich für seine Tochter.

3.
=Fort-Louis=, den 28. Juni.
Gütigster Herr Aktuarius!
Ich habe einen empfindlichen Verlust gehabt, Herr Kleist hat mir Ihren
und meines guten Ott’s Briefe recht sorgsam aufheben wollen und hat
sie so verwahrt, daß er sie selbst nicht mehr wieder finden kann. Ich
bin noch zu sehr von der Reise ermüdet, als daß ich Ihnen jetzt viel
Vernünftiges schreiben könnte. Denn ich habe noch fast keine Minute
gehabt, in der ich zu mir selbst hätte sagen können: nun ruhe ich.
Eigene und fremde, vernünftige und leidenschaftliche, philosophische
und poetische Sorgen und Geschäfte zertheilen mich. Mein Schlaf
selber ist so kurz und unruhig, daß ich fast sagen möchte, ich wache
des Nachts mit schlafenden Augen, so wie ich des Tages mit wachendem
Auge schlafe. In Sesenheim bin ich gewesen. Ist es Trägheit oder
Gewissensangst, die mir die Hand zu Blei macht, wenn ich Ihnen die
kleinen Scenen abschildern will, in denen ich und eine andere Person,
die einzigen Akteurs sind. Soviel versichere ich Ihnen, daß Ihre weisen
Lehren bei mir gefruchtet haben und daß meine Leidenschaft dieses Mal
sich so ziemlich vernünftig aufgeführt. Doch ist und bleibt es noch
immer Leidenschaft -- nur das nenne ich an ihr vernünftig, wenn sie
mich zu Hause geruhig meinen gewöhnlichen centrischen und exzentrischen
Geschäften nachhängen läßt, und das thut sie, das thut sie. Die beiden
guten Landnymphen lassen Sie mit einem tiefen Knicks grüßen. -- --
Mein Trauerspiel (ich muß den gebräuchlichen Namen nennen) nähert sich
mit jedem Tage der Zeitigung. Ich habe von einem Schriftsteller aus
Deutschland eine Nachricht erhalten, die ich nicht mit vielem Golde
bezahlen wollte. Er schreibt mir, mein Verleger, von dem ich, durch
ihn, ein unreifes Manuscript zurück verlangte, habe ihm gesagt, es wäre
schon an mich abgeschickt. Noch sehe ich nichts. Lieber aber ist mir
dies, als ob mir Einer einen Wechsel von 1000 Thalern zurückschenkte.
Lesen Sie dieß andere Blatt[19] in einer leeren Stunde. Unsere letzte
Unterredung und die darauf folgende schlaflose Nacht, hat diese
Gedanken veranlaßt. Schreiben Sie Ihr Urtheil drüber
Ihrem ergebensten =Lenz=.

4.
Mein theurer Sokrates!
Ich umarme Sie mit hüpfendem Herzen und heiterer Stirne, um Ihnen eine
Art von Lebewohl zu sagen, das in der That nicht viel zu bedeuten
hat. Einige Stunden näher oder ferner machen, für den Liebhaber
erschrecklich viel, für den Freund aber nichts. Der Erste ist zu
sinnlich eine körperliche Trennung zu verschmerzen, der andere aber
behält, was er hat, die geistige Gegenwart seines Freundes, und achtet
die zwei Berge oder Flüsse mehr oder weniger nicht, die zwischen ihm
und seinem Gegenstande stehen. Nur das thut mir wehe, daß ich nicht so
oft werde nach Straßburg kommen können, indessen soll es dafür jedesmal
auf desto längere Zeit geschehen. Ich denke, Sie werden mich nicht
vergessen, meinerseits sind die Bande der Freundschaft so stark, daß
sie noch hundert Stunden weiter gedehnt werden können, ohne zu reißen.
Bis in mein Vaterland hinein -- bis ins Capo de Finisterre, wenn Sie
wollen. -- In Ihrem letzten Briefe haben Sie mir Unrecht gethan.
Wie, mein liebenswürdiger Führer, ich sollte wie ein ungezähmtes Roß
allen Zaum und Zügel abstreifen, den man mir überwirft? Wofür halten
Sie mich? Ach jetzt bekomm’ ich einen ganz andern Zuchtmeister.
Entfernung, Einsamkeit, Noth und Kummer, werden mir Moralen geben, die
weit bitterer an Geschmack seyn werden, als die Ihrigen, mein sanfter
freundlicher Arzt. Wenn ich mit Ihnen zusammenkomme, werde ich Ihnen
viel, sehr viel zu erzählen haben, das ich jetzt nicht mehr der Feder
anvertrauen kann. Auftritte zu schildern, die weit rührender sind, als
alles, was ich jemals im Stande wäre zu erdichten, Auftritte, die, wenn
Sie Ihnen zugesehen haben würden, Sie selbst noch (meinen Sokrates) zu
weinen würden gemacht haben. Noch ist meine Seele krank davon. Sie sind
mein bester Freund auf dem Erdboden, Ihnen, aber auch nur Ihnen, will
ich Alles erzählen, sobald ich Sie spreche. Zeigen Sie diese Stelle
meines Briefes, nicht meinem guten Ott -- wenn er nicht noch Jüngling
wäre, wenn er die Stufe der Weisheit erstiegen hätte, würde ich über
diesen Punkt nicht gegen ihn zurückhaltend seyn.
Heute komme ich von Lichtenau, aus einer sehr vergnügten Gesellschaft,
in welcher ich vielleicht allein die Larve war. Ich will meinen Brief
an Sie zum Ende bringen, ich erwarte heute Abend noch einen Gnadenstoß.
O lassen Sie mich, mein beschwertes Herz an Ihrem Busen entladen. Es
ist mir Wollust zu denken, daß Sie nicht ungerührt bei meinem Leiden
sind, obschon es Ihnen noch unbekannt ist. Denn Trennung ist nicht die
einzige Ursache meines Schmerzens. -- Wir wollen von andern Sachen
reden.
Ich werde noch, vor meiner Abreise, einmal aus Fort-Louis an Sie
schreiben und alsdann aus Landau, sogleich nach meiner Ankunft. Mein
Studiren steht jetzt stille. Der Sturm der Leidenschaft zu heftig.
Ich wünsche mich schon fort von hier, alsdann, hoffe ich, wird er
sich wieder kümmerlich legen. In Landau will ich, so viel es mein zur
andern Natur gewordenes Lieblingsstudium erlaubt, das _Jus_ eifrig
fortsetzen. Auf den Winter denk’ ich mit Herrn von Kleist, der sich
Ihnen gehorsamst empfehlen läßt, einige Monate in Mannheim, einige in
Straßburg zuzubringen. Wo zuerst weiß ich nicht. Seyen Sie so gütig
und sagen es der Jungfer Lauthen noch nicht, daß ich von Fort-Louis
weggehe, ich will es ihr, wenn ich noch einen Posttag abgewartet,
selber schreiben. Das weibliche Herz ist ein trotzig und verzagt Ding.
Leben Sie wohl bis auf meinen nächsten Brief. Ich bin von ganzem Herzen
Ihr
Sie ewig liebender =Alcibiades=
J. M. R. L.

5.
=Fort-Louis=, den 5ten oder 6ten
August, oder 10ten 1772.
Sie bekommen heut’ einen sehr elenden Brief von mir, darum wollt’ ich
anfangs lieber gar nicht schreiben. Aber _non omnia possumus omnes_
dacht’ ich, mit Herrn Rebhuhn und geantwortet muß doch seyn. Ich komme
eben aus der Gesellschaft dreier lieben Mädchen und einer schönen,
schönen Frau und in allen solchen Gesellschaften wird das Fleisch
willig und der Geist schwach. Wie dieser Brief in Ihre Hände kommt
weiß ich noch nicht. Es soll ein Hauptmann nach Straßburg gehen, der
dorthin allerlei mitnehmen wird, unter anderm Ihren _Hobbes civem
Malmesburgiensem_, den ich mich nicht überwinden kann zu Ende zu
bringen. Es geht mir wie einem Kinde, das über ein neues Spielzeug
eines alten vergißt, das es doch so fest mit seiner kleinen Patsche
umklammert hatte, als ob es ihm erst der Tod herausreißen sollte.
Der Zustand meines Gemüthes ist wie er ist; den Haß kann man wohl
auswurzeln, aber die Liebe nie, oder es müßte ein Unkraut seyn, das nur
die äußere Gestalt der Liebe hätte. Wenn mir Einer Mittel vorschlagen
wollte, Sie nicht mehr zu lieben, glauben Sie, daß diese Mittel bei mir
kräftig seyn würden? Vergeben Sie mir mein böses Maul, ich wünschte
es allemal böser als mein Herz. Ich habe einen vortrefflichen Fund
von alten Liedern gemacht, die ich Ihnen, sobald ich nach Straßburg
komme, mittheilen werde. Wollen Sie meine letzte Uebersetzung aus
dem Plautus lesen, so fodern Sie sie unserm guten Ott ab, denn ich
glaube schwerlich, daß sie so bald in der Gesellschaft wird vorgelesen
werden. Sie haben mir keine Nachricht gegeben, wie sie mit der letztern
gegenwärtig zufrieden sind. Vernachläßigen Sie diese Pflanzschule
Ihrer Vaterstadt nicht, theurer Freund, vielleicht könnten wohlthätige
Bäume draus gezogen werden, auf welche Kindeskinder, die sich unter
ihrem Schatten freuten, dankbar schnitten: Auch dich hat Er pflanzen
helfen. Es sieht noch ziemlich wild und traurig in Ihrer Region aus
-- aber der erste Mensch ward in den Garten Eden gesetzt um ihn zu
bauen. Wollten Sie wohl einst so gütig seyn, mir, zum _aequivalent_
für _Hobbes_, noch eine glühende Kohle aufs Haupt zu sammeln und etwa
Puffendorfs _historiam juris_ schicken. Oder ein anderes juristisches
Buch, denn Jurist muß ich doch werden, wenn mir anders die Theologie
nicht verspricht mich zum Pabst von Rom zu machen. Ich halte viel auf
die Extreme und Niklaus Klimm’s _aut_ Schulmeister _aut_ Kaiser ist
eine Satire auf Ihren
Ihnen stets ergebenen
=Lenz=.
Herr von Kleist befindet sich wohl und empfiehlt sich Ihnen bestens.

6.
Mein theuerster Freund!
Auf einem Fuß, wie ein reisefertiger Kranich, steh’ ich jetzt und
schmiere Ihnen mit dem andern mein Adieu auf’s Papier. Ich glaube zum
wenigsten, daß dieß mein letzter Brief von Fort-Louis seyn wird. Ich
gehe jetzt nach Sesenheim hinaus, um den letzten Tag recht vergnügt
dort zuzubringen. Recht vergnügt -- Nicht wahr, Sie lächeln über meine
stolze platonische Sprache, mittlerweile mein Herz mit dem Ritter
Amadis (oder was weiß ich, wie der Liebhaber der Banise hieß) von
nichts als Flammen, Dolchen, Pfeilen und Wunden deklamirt. Was soll
ich sagen? Ich schäme mich meiner Empfindungen nicht, wenn sie gleich
nicht allezeit mit festem Schritt hinter der Vernunft hergehen. O! und
Salzmann bedauert mich -- sehen Sie die Schürze von Feigenblättern,
die meine gefällige Vernunft mir allezeit vor die Blöße meines Herzens
bindet. Ich habe in Sesenheim gepredigt, sollten Sie das glauben?
Den Sonnabend Nachmittags karessirt; nach Fort-Louis gegangen; das
Thor zu gefunden; zurückgegangen; den Pfarrer am Nachtessen unruhig
gefunden, daß er so viel zu thun habe; mich angeboten; bis vier Uhr in
der Laube gesessen; mich von meinen Fatiguen erholt; eingeschlafen;
den Morgen eine Bibel und eine Concordanz zur Hand genommen und um 9
Uhr vor einer zahlreichen Gemeine, vor vier artigen Mädchen, einem
Baron und einem Pfarrer gepredigt. Seh’n Sie, daß der Liebesgott auch
Kandidaten der Theologie macht, daß er bald in Alexanders Harnisch wie
eine Maus kriecht, bald in die Soutane eines Pfarrers von Wackefield,
wie ein der Liebesgelahrtheit Beflissener. Mein Text war das Gleichniß
vom Pharisäer und Zöllner und mein Thema die schädlichen Folgen des
Hochmuths. Die ganze Predigt war ein Impromptu, das gut genug ausfiel.
-- Himmel die Uhr schlägt sechs und ich sollte schon vor einer
Stunde in S. seyn. Dießmal sollen Sie mich dort entschuldigen. Ihren
_Heineccius_ nehme ich mit. Ohne Erlaubniß -- ach, mein Freund, _dura
necessitas_ läßt mich nicht erst lange fragen, ich greife zu -- aber
ich gebe auch wieder. Allein was werden Sie sagen, wenn ich Ihnen Ihren
_Tom Jones_ noch nicht zurückschicke? Ich bin schuld daran, daß ihn
mein faules Mädchen noch etwas länger behält, er soll sie für meinen
Verlust entschädigen, denn wenn man gute Gesellschaft hat, sagte sie,
so kann man nicht viel lesen. Ich habe so brav auf Ihre Güte gethan,
daß ich ihr mein Wort drauf gegeben, Sie würden es verzeihen, wenn sie
Ihnen denselben erst durch Mamsell Schell zuschickte; ja Sie würden
sogar so gütig seyn und ihr noch die zween letzten Theile alsdann dazu
leihen, wenn sie die ersten wieder gegeben. Das heißt gewagt, mein
bester Sokrates, aber Jugend ist allezeit ein Waghals, und bricht doch
nur selten den Hals; ich denke, Sie werden meine tollkühne Freundschaft
noch nicht fallen lassen: wenn sie älter wird, soll sie weiser und
vorsichtiger werden. Für Ihre Adressen in Landau danke ich Ihnen
unendlich, wer weiß, wozu sie gut sind. Ich hoffe eher nach Straßburg
zu kommen, als nach Mannheim. Ich kann nicht mehr, theuerster, bester,
würdigster Freund! ich bin schon ein Jahr über meine bestimmte Stunde
ausgeblieben. Leben Sie recht sehr glücklich; mein Großfürst heirathet
eine darmstädtische Prinzessin; leben Sie allezeit gleich heiter und
vergnügt; ich möchte gerne den Namen des Russischen _Envoyé_ an diesem
Hofe wissen; erinnern Sie sich meiner zuweilen; der Friede soll auch
schon geschlossen seyn; grüßen Sie die Lauth’sche Gesellschaft und die
Mademoiselles tausendmal; doch was berichte ich Ihnen Neuigkeiten, die
bei Ihnen schon in der Hitze werden sauer geworden seyn -- und bleiben
Sie gewogen
Ihrem verschwindenden =Alcibiades=
J. M. R. L.

7.
=Landau=, den 7. September.
So wenig Zeit mir auch übrig ist, so muß ich Ihnen doch sagen, daß
ich Sie in Landau noch eben so hoch schätze, eben so liebe, als in
Fort-Louis. Unser Marsch war angenehm genug: vor Tage zu Pferde, und
vom Mittag, bis in die Nacht gerastet. Ich möchte so durch die Welt
reisen. Weißenburg hat mir gefallen, die dortige Schweizergarnison
glich den Priestern der Cybele, so erfreute sie die Ankunft eines
deutschen Regiments. Landau kann in der That das Schlüsselloch von
Frankreich heißen, da es nur zween Thore hat, eins nach vorne, das
andere nach hinten. Unsern Ausgang segne Gott, unsern Eingang --
-- Ich wohne bei einem Herrn Schuch, der ein naher Verwandter vom
Herrn Türkheim seyn will. Seine Frau und er spielen mir alle Abende
Komödie, wobei mein Herz mehr lacht, als bei allen Farcen des Herrn
Montval und Ribou. Er ist ein gutwilliger Schwätzer, gegen seine
Frau, ein rechter Adventsesel und auch gegen die Füllen bei ihr.
Sie trägt Hosen und Zepter, eine Teintüre von Andacht und koketter
Prüderie -- in der That, meinen kleinen Plautus hinterdrein gelesen
und ich brauche kein Theater. Melden Sie mir doch, was das Ihrige
in Straßburg macht und ob dort kein deutsches zu erwarten sey. Beim
Herrn Senior, der fast die alleinige Materie des Gesprächs meiner
Wirthsleute ist (ausgenommen den gestrigen vortrefflichen Abend, wo
wir lauter Haupt- und Staatsaktionen ausmachten) bin ich noch nicht
gewesen. Der Bürgermeister Schademann soll schon seit geraumer Zeit
todt seyn. Vielleicht erlange ich die Bekanntschaft seines Sohnes,
der sehr reich seyn soll. Ein Rektor bei der hiesigen Schule, der im
Kloster einen Sohn hat, der schon Magister ist (wo mir recht ist,
hab’ ich ihn dort gesehen) soll eine gute Bibliothek haben: da muß
ich suchen unterzukommen. Seyen Sie doch so gütig und schreiben mir
in Ihrem nächsten Briefe den Namen des Churfürsten von der Pfalz; wie
auch den Charakter und die Adresse des Herrn Lamey[20], ein Name, den
ich in Straßburg oft gehört. Sie lachen -- wozu das? Nun, nun, es hat
nichts zu bedeuten, ein guter Freund hat mich um beide in einem Briefe
ersucht. Einen Nachmittagsprediger habe ich hier gehört, der keine
Pfeife Toback werth vorgebracht. Ich gieng nach Hause und las Spalding,
vom Werth der Gefühle im Christenthum. Welch ein Kontrast! Dieses Buch
müssen Sie auch lesen, mein Sokrates! es macht wenigstens Vergnügen
zu finden, daß Andere mit uns nach demselben Punkt visiren. Ich freue
mich, daß man in einem Tage von hier nach Straßburg kommen kann, wer
weiß wenn ich Sie überrasche. Fahren Sie fort mit Ihrer Gewogenheit für
mich. --
=Lenz.=

8.
=Landau=, den 18ten.
Guter Sokrates!
„Ohne mich nicht ganz glücklich“ -- Fürchten Sie sich der Sünde
nicht, einen jungen Menschen stolz zu machen, dessen Herz nach allen
Passionen offen steht und durch Zeit und Erfahrung nur noch sehr wenig
verbollwerkt ist? Da ich so tief in Ihr System geguckt, da ich weiß,
daß Ihre Religion die Glückseligkeit ist -- so konnte mir kein größeres
Kompliment gemacht werden, als, daß ich im Stande sey, mit etwas dazu
beizutragen, wenn’s auch nur so viel ist, als ein Mäuschen zum Rhein.
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