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Das Stuttgarter Hutzelmännlein - 5

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   Sag, Pfaff! tust du die Bibel les'n?
   _Der Pater_: War die ganze Wuch'n drüber g'sess'n.
   _Der Narr_: Ich dacht nur, weil sie in Latein.
   _Der Pater_: Wohl! daß nit jed's Vieh stört hinein.
   _Der Narr_: Wohlan, so weißt du baß dann ich,
   Was dort geweissagt ist auf dich
   Und die Frau Mutter der Christenheit,
   Wie ihr es nämlich treibt die Zeit.
   Zum Exempel §Proverbia§
   Im dreiß'gsten, was steht allda?
   Die Eigel hat zwo Töchter schnöd:
   Bringher, Bringher, heißen alle beed;
   Die ein' hat einen Ablaßkram,
   Die ander heischet sonder Scham. --
   Ei, das hofft' ich nur auch zu nutzen.
   Pfaff, du tät'st mit, hätt's nicht sein Butzen!
  So zieht er ab mit seinem Kräben unter heftigem Schelten und Drohen des
  Mönchs. Noch aber läßt er sein Vorhaben nicht, ein Kloster zu erbauen,
  und sollen ihm die Bundschuh und die Stiefel inallweg dazu helfen.
  Sobald er wieder auf der Straßen ist, spricht er:
   Jetzt, wüßt' ich nur 's Pechfisels Haus!
   Der macht' mir ein' Trupp Münchlein draus;
   Die schicket' ich dann in die Welt,
   Zu kollektier'n ein Gottesgeld.
   Vielleicht er macht sie mir gleich beritten
   Auf Saumrößlein mit frommen Sitten:
   Sie kämen doch viel 'ringer so 'rum,
   Als wie §per pedes apostolorum§.
  Nachdem er lang vergebens überall dem kleinen Schuster nachgefragt, so
  findet er denselben von ungefähr beim Bupsinger Brünnlein sitzen, an dem
  Berg, darin seine Wohnung und Werkstatt ist, und wo er eben einen Becher
  Wassers schöpfte. Der Narr, mit großer Scheinheiligkeit, entdeckt ihm
  sein Anliegen, doch der Pechschwitzer antwortet ihm:
   Ich dient' Euch gern, mein guter Freund,
   Aber was geistliche Sachen seind,
   Laßt meine Kunst mit unverworr'n!
   Es brächt' mir eitel Haß und Zorn.
   Mein Rat ist darum: Geht zur Stund',
   Verkauft, so gut Ihr könnt, den Schund!
   Bei die Bupsinger droben, hör' ich, wär'
   Großer Mangel eine Weil schon her.
   So brauchet es kein lang Hausieren.
   Doch müßt ihr nicht Eu'r Geld verlieren;
   Woll'n sie mit dem Beutel nit schier heraus,
   Droht, es käm' ihnen der Werr ins Haus,
   Der Presser; das werden sie schon verstehn.
   Darauf der _Narr_: Ich folg' Euch, Meister, und dank' Euch schön.
  Jetzt kommt das Lustigste, das aber muß man sehen: wie nämlich Bernd
  Jobst in dem Dorf seinen Korb auf der Gasse ausschüttet, die Bauern aus
  den Häusern kommen und gleich ein groß Geriß anhebt, da jeder mit
  Geschrei sein Eigentum aussucht und alle sich untereinander als Diebe
  verraten. Sie weigern sich der Zahlung gar hartselig, bis sich der Jobst
  anstellt zu gehen und sich etwas verlauten läßt vom Werr, daß er ihn
  schicken wolle. Auf dieses ist mit eins ein jeder willig und bereit, ja
  auch der gröbst Torangel zahlt, was ihn ein neues Paar vom Krämermarkt
  nicht kostete.
  Allmittelst hat der Schäfer bei Gelegenheit dem Grafen erzählt, was
  Wunderliches der Jobst vorhabe, der Doktor aber bestätiget nach dem, wo
  er vom Pechschwitzer vernommen, und ist das Ende von dem Lied, daß Herrn
  Konrad dem Narren für diesmal Vergebung erteilt, weil ihm der Schwank
  gefallen.«
  So erzählte der Seppe. Die Meisterin hörte ihm nur so aus Gefälligkeit
  zu und insgeheim mit Gähnen. »Ja, ja,« sprach sie am Ende, »das sind mir
  einmal Sachen!« und nahm das Ränftlein in die Hand, das er von seinem
  Brot übrig gelassen. Nun, muß man wissen, hatte sie am Fenster einen
  schönen großen Vogel, der saß in seinem Ring frei da. Ihr erster Mann
  nahm ihn einmal an Zahlungsstatt von einem bösen Kunden an; es war ein
  weißer Sittich mit einem schwarzen Schnabel und auch dergleichen Füßen.
  Er sollte, hieß es, alles sprechen, wenn er das rechte Futter bekäme,
  und ob er zwar die ganze Zeit nicht sprach und sich der Schuster
  dessenthalb betrogen fand, so ward er doch der Frau Liebling.
  Derselbe schaute jetzt der Meisterin, wie sie das Restlein Brot so
  hielt, mit einem krummen Kopf begierig auf die Finger. Da sagte sie zu
  ihrem Bräutigam: »Soll es der Heinz nicht haben?« -- Der Seppe dachte
  freilich: Damit geht manches Hundert schöner Laiblein ungesehen
  zuschanden; doch gab er ihr zur Antwort: »Was mein ist, das ist Euer,
  und was Euch hin ist, soll auch mir hin sein.« -- So schnellte sie den
  Brocken ihrem Heinz hinauf; der schnappte ihn, zerbiß und schluckt' ihn
  nieder. Kaum aber war's geschehn, so hub der Sittich an zu reden und
  brachte laut und deutlich diese Worte vor:
   Gut, gut, gut -- ist des Hutzelmanns sein Brot.
   Wer einen hat umgebracht und zween, schlägt auch den dritten tot.
  Die Meisterin saß bleich, als wie die Wand, auf ihrem Stuhl, der Gesell
  aber, wähnend, sie sei darob verwundert vielmehr denn entsetzt, lachte
  und rief: »Der ist kein Narr! Er meint, wenn man es einmal recht
  verschmeckte, fräß einer leicht auf einen Sitz drei Laib!« -- Darauf die
  Frau zwar gleichermaßen groß Ergötzen an dem Tier bezeugte; doch mochte
  es ihr wind und weh inwendig sein, und als der Bräutigam, nachdem er
  lang genug von dem närrischen Vogel gered't und Scherz mit ihm
  getrieben, jetzo von andern, nötigen Dingen zu handeln begann: wie sie
  es künftighin im Haus einrichten wollten, wen von den Gesellen behalten,
  wem kündigen und so mehr, war sie mit den Gedanken unstet immer
  nebenaus; das wollten sie bei guter Zeit ausmachen, sagte sie, tat
  schläfrig, besah die Haube noch einmal und setzte sie auf vor dem
  Spiegel. -- »Puh! friert's mich in der Hauben!« rief sie zumal und
  schüttelte sich ordentlich. »Das Silber kältet so.« -- Dann sagte sie:
  »Wenn schwarze Band dran wären, mein! es wär' recht eine Armesünderhaube
  für eine fürstliche Person!« und lachte über diese ihre Rede einen
  Schochen, daß den Gesellen ein Gräusel ankam. Gleich aber war sie wieder
  recht und gut, gespräch, liebkoste den Gespons und machte ihn vergnügt,
  wie er nur je gewesen. Danach so gaben sie einander küssend gute Nacht
  und ging er, aller guten Dinge voll, auf seine Kammer.
  Den andern Morgen, es war am Sonntag, sah er den schönen Sittich nicht
  mehr sitzen in dem Ring, und die Meisterin sagte mit unholder Miene:
  »Das Schnitzbrot hat ihm schlecht getan, ich fand ihn unterm Bank da tot
  und steif und schafft' ihn mir gleich aus den Augen.«
  Das deuchte dem Gesellen doch fast fremde, auch sah er einen Blutfleck
  am Boden. Am meisten aber wunderte und kränkte ihn, daß ihm die Frau so
  schnorzig war.
  Am Nachmittag, weil seine Braut nicht heim kam von der Kirche aus,
  spazierte er mit seinen Kameraden um den Wall nach einer neuen Schenke
  gegen Söflingen. Einer von ihnen schlug ein paarmal bei ihm auf den
  Busch und stichelte auf seine Liebste; da denn ein anderer, ein loser
  Hesse, den Scherz aufnahm und sagte: »Der Fang wär' recht für einen
  Schwaben, die haben gute Mägen, Schuhnägel zu verdauen.«
  Weil nun der Seppe nicht verstand, wie das gemeint sei, blieb er mit
  seinem Nebenmann, einem ehrlichen Sindelfinger, ein wenig dahinten und
  frug ihn darum. »Das ist dir eine neue Mär?« sprach der gar trocken.
  »Deine Meisterin, sagt man, hab' in Zeit von drei Jahr ihren zween
  Männern mit Gift vergeben. Vom letzten soll es sicher sein, vom ersten
  glaubt's darum ganz Ulm. Den zweiten hat man erst verwichenes Frühjahr
  begraben. Die Richter hätten ihr das Urteil gern zum Tod gesprochen,
  konnten aber nichts machen; denn auf dem Sterbebett sagte ihr Mann, er
  habe Schuhnägel gefressen. Dergleichen fanden sich nachher auch richtig
  in dem Leib, allein man glaubt, er habe sie in Schmerzen und
  Verzweiflungswut, als er das Gift gemerkt, nur kurze Zeit vor seinem End
  geschluckt.«
  Dem Seppe verging das Gesicht. Er schritt und schwankte nur noch so wie
  auf Wollsäcken bis in die Schenke. Dort stahl er sich hinweg und ließ
  sein volles Glas dahinten.
  Abwegs in einem einsamen Pfad saß er auf einer Gartenstaffel nieder,
  seine Lebensgeister erst wieder zu sammeln. Alsdann dankte er Gott mit
  gefalteten Händen, daß er ihn noch so gnädig errettet, überlegte und kam
  bald zu dem Beschluß, gleich in der nächsten Nacht das Haus der
  schlimmen Witwe, ja Ulm selbst insgeheim zu verlassen. Er blieb dort
  sitzen auf dem gleichen Fleck, bis die Sonne hinab und es dunkel war.
  Dann ging er in die Stadt, strich, wie ein armer Sünder und Meineider,
  lang in den Straßen hin und her und suchte zuletzt, von Durst und Hunger
  angetrieben, eine abgelegene Trinkstube, wo viele Gäste zechten, ihn
  aber niemand kannte. Dort barg er sich in einem dunklen Sorgeneck bei
  einem Fenster nach den Gärten und der Donau zu.
  Er konnte, wie man spricht, von keinem Berg sein Unglück übersehen. Zu
  allem Herzleid hin nicht gar sechs Batzen im Besitz -- denn einen Rest
  Guthabens bei der Frau, wie hätte er ihn fordern mögen? -- dazu sein
  gutes Hutzelbrot verheillost, das ihm jetzt auf der Reise für
  Hungersterben hätte dienen können, und endlich Spott und Schande vor und
  hinter ihm!
  Er ging bei sich zu Rat, ob er in seine Heimat solle oder weiterziehen.
  Das eine kam ihn schier so sauer wie das andere an. Was werden deine
  Freunde sagen, wenn du schon wiederkommst, als wie der Brogel-Wenz vom
  welschen Krieg? (derselbe nämlich grüßte die Weinsteig schon wieder am
  siebenten Tag) -- so dachte er; allein die Welt, soweit es in der Fremde
  heißt, kam ihm jetzt giftig, greulich vor, so öd und traurig wie das
  Ulmer Elend, das er dort unten in den Gärten liegen sah: aus einem
  Fenster dämmerte der kleine Schein vom Licht des Siechenwärters, dabei
  vielleicht ein armer Tropf, fern von dem lieben Vaterland, jetzt seinen
  Geist aufgab. Darum, es koste, was es wolle, heim ging sein Weg, nur
  Stuttgart zu! Von keinem Menschen gedachte er Abschied zu nehmen, am
  wenigsten von ihr, deren Gestalt und Mienen er mit Grauen immer vor sich
  sah. Deshalb er auch nicht eher aus dem Wirtshaus ging, als bis er
  sicher war, ihr nicht mehr zu begegnen, und seine Mitgesellen ebenfalls
  schon schliefen. Es war schon zwölfe, und die Scharwich kam zum
  zweitenmal, den letzten Gästen abzubieten.
  Wie er nun langsam durch die leeren Gassen nach seinem Viertel lenkte,
  vernahm er oben in dem Giebel eines kleinen Hauses den Gesang von zwo
  Dirnen, deren eine, eines Kürschners Tochter, Kunigund, er wohl kannte,
  ein braves und sehr schönes Mädchen, mit welchem er im Pflug manchen
  Schleifer herumgetanzt hatte. Wär' er nicht gleich im Anfang so tief in
  die Witwe verschossen gewesen, die hätte ihm vor allen Ulmer
  Bürgerskindern wohl gefallen und er ihr auch.
  Die Dirnen plauderten, wie es ihm vorkam, finsterlings im Bett und
  sangen das Lied von dem traurigen Knaben, dem sein Schatz verstarb, das
  hatte zum Titel »Lieb in den Tod« und eine so herrliche Weise als sonst
  vielleicht kein anderes. Da sie es noch einmal von vorn anfingen, stand
  er still und horchte hinter einer Beuge Faßholz stille zu.
   Uf^am Kirchhof am Chor
   Blüeht ^a Blo-Holder-Strauß,
   Do fleugt ^a weiß Täuble,
   Vor's tag^a tuet, aus.
   Es streicht wohl ^a Gäss^ale
   Nieder und zwu^a,
   Es fliegt mer ins Fenster,
   Es kommt uf mi zu^a.
   Jetzt kenn' i mein' Schatz
   Und sei linneweiß G'wand
   Und sei silberes Ringle
   Von mir an der Hand.
   Es nickt mer en Grueß,
   Setzt se nieder am Bett,
   Frei luegt mer's ins G'sicht,
   Aber a^nrüehrt me's net.
   Drei Woch^a vor Ostr^a,
   Wann's Nachthüehle schreit,
   Do mach^a mer Hochzig,
   Mei Schatz hot mer's g'sait.
   Mer mach^a kein' Lebtag,
   Mer halt^a kein' Tanz.
   Wer goht mit zur Kirch^a?
   Wer flicht mer d^a Kranz?
  In währendem Zuhören dachte der Seppe: Die wird sich auch wohl wundern,
  wenn sie hört, ich sei bei Nacht und Nebel fort als wie ein Dieb! Und
  dachte ferner: Wenn diese Gundel deine Liebste hätte werden sollen und
  wär' dir heute gestorben, ob du jetzt übler dran wärest denn so oder
  besser? -- Er wußte in der Kürze sich selbst keinen Bescheid darauf,
  stöhnte nur tief aus der Brust und ging weiter.
  Beim Haus der Witwe angekommen, drehte er den Schlüssel in der Tür, so
  leis er konnte, um, schlich auf den Zehen an ihrer Schlafkammer vorbei,
  kam in die seinige, von den Gesellen unberufen, und packte seine Sachen
  ein, nachdem er erst die guten Kleider aus- und andere angezogen, auch
  mit herzlicher Reue des Hutzelmanns Schuhe, die es so gut mit ihm
  gemeint, unter dem Stein hervorgenommen und sie nach langer Zeit das
  erstemal wieder an die Füße getan.
  Und also schied er auf zeitlebens aus dem Haus, darin er sich vor wenig
  Stunden noch als wie in seinem Eigentum vergnüglich umgeschaut hatte. Er
  kam an das Liebfrauentor und schellte dem Wächter; der ließ ihn hinaus
  und war der einzige Mensch in ganz Ulm, welcher ihm Glück auf die Reise
  gewünscht.
  Als er so in der Nacht auf trockener Landstraße und bei gelinder Luft
  nicht völlig eine halbe Stunde weit gewandert war, so regte sich sein
  Linker allbereits mit Jucken, Treten, Hopsen und sonst viel Ungebühr. So
  rief der Seppe grimmig: »Moi^nst, di^a Gugelfu^ahr gang wieder a^n? I
  will d'r beizeit d'rfür tu^a!«, saß nieder, riß den linken ab und faßte
  auch den rechten -- da fiel ihm ein: Den könnt'st du anbehalten; mit
  _einem_ Fuß im Glück ist besser denn mit keinem! Zog also einen Stiefel
  an zum andern Schuh, probiert' es eine Strecke, und wahrlich, es tat
  gut.
  In seinem Innern aber, so arg es auch darin noch durcheinander ging, daß
  ihm das Heulen näher als das Pfeifen lag, so gab er sich doch selbst
  schon kühnlicheren Zuspruch mit Vernunft, nahm sein versehrtes Herz,
  drückt' es, gleich wie die Hausfrauen pflegen mit einem zertretenen
  Hühnlein zu tun, in sanften Händen wieder zurecht, und endlich ging sein
  Trost und letzter Schluß dahin, wie sein Vetter als sagte: »Es hat nur
  drei gute Weiber gegeben: die eine ist im Bad ersoffen, die ander' ist
  aus der Welt geloffen, die dritte sucht man noch.«
  Unweit Gerhausen kam schon allgemach der Tag; bald sah er auch
  Blaubeuren liegen, und auf den Dächern rauchte hie und da schon ein
  Kamin.
  Eine Ackerlänge vor dem Tor geschah ihm etwas unverhofft.
  Dort zog der Weg sich unter den Felsen linker Hand an einer Steile hin.
  Der Seppe dachte eben, wenn er jetzt in das Städtlein käme, ein warmes
  Frühstück täte seinem Magen wohl, und rechnete, wie weit er damit komme;
  denn sein Beutel mochte nicht viel leiden. Bei dem Bräumeister konnte er
  aber mit Ehren nicht wieder einsprechen; er meinte, die Leute möchten
  sagen: »Dem hat das Handwerksburschen-Einmaleins im Nonnenhof gefallen
  und mag ihm ganz eine kommode Rechnung sein!« Dies denkend, schritt er
  hitziger fürbaß -- mit eins aber kann er nicht weiter, und ist er mit
  dem Schuh wie angenagelt an den Boden, zieht, reißt und schnellt, zockt
  noch einmal aus Leibeskräften: da fuhr er endlich aus dem Schuh, der
  aber flog zugleich den Rain hinunter, wohl eines Hauses Höhe, in einen
  Felsenspalt.
  Gern oder ungern mußte ihm der Seppe nach. Als er nun mit Gefahr den
  Fleck erreicht, wo er ihn hatte fallen sehen, und in dem Steinriß mit
  der Hand herumsuchte, auch alsbald ihn erwischte, indem so stieß er an
  ein fremdes Ding, das zog er mit ans Licht. -- »Hoho! davon kam dir die
  Witterung!?« rief er und hielt das Bleilot in der Hand, betrachtet' es
  mit Freuden, schlupft in den Schuh und ist wie der Wind wieder oben.
  Nachdem er den Fund in den Ranzen gesteckt, der jetzo freilich das
  Zwiefache wog, ging er nicht wenig getröstet hinein in die Stadt.
  Die Leute machten erst die Läden auf und trieben das Vieh an die Tränke.
  Er kam an einem Bäckerhaus vorbei: da roch gerade so ein guter, warmer
  Dunst heraus, daß es ihn recht bei der Nase hineinzog. Er ließ sich
  einen Schnaps und keinen kleinen Ranken Brot dazu geben; das hielt dann
  wieder Leib und Seele auf etliche Stunden zusammen.
  Sofort auf seinem Weg probierte er das Lot auf alle Weise, wenn hin und
  wieder ein Metzger oder sonst ein Mensch bei ihm vorüberkam, und als er
  nur den Vorteil erst mit rechts und links weg hatte, vertrieb er sich
  die Zeit samt seinem Herzensbrast auf das anmutigste und beste.
  Auf der Höhe der Feldstätter Markung fuhr hinter ihm daher mit einem
  leeren Wagen und zween starken Ochsen ein Böhringer Bauer. Der Seppe
  wollte gern ein Stück weit von ihm mitgenommen sein und sprach ihn gar
  bescheiden und ziemlich darum an; der aber war ein grober Knollfink,
  tat, als hört' er ihn nicht. Ei, denkt mein Schuster, hörst du mich
  nicht, so hab' mich auch gesehn, und sollst mich dennoch führen! --
  verschwand wie ein Luftgeist im Rücken des Manns und setzte sich hinten
  aufs Brett. Da sprach der Bauer mit sich selbst und maulte: »Hätt' i
  viel z'tau^n wenn i di^a Kerle äll uflad^a wött -- Hott ane, Scheck! --
  di^a Scheur^aburzler do! äll Hunds-Od^am lauft o^ar d'rher. Mi^ar kommt
  ko^ar über d'Schwell und uf d^a Wag^a, mi^ar ett!« -- Das hörte der
  Gesell mit großem Ergötzen und hielt sich immer still, gleichwie der
  andre auch still ward. Nach einer Weile holt der Böhringer just aus, auf
  schwäbische Manier die Nas' zu putzen, hielt aber jäh betroffen inn',
  denn hinter ihm sprach es, als wie aus einem hohlen Faß heraus die
  Wort': »Zehn Ochsen und ein Bauer sind zwölf Stück Rindvieh.«
  Der Bauer, mit offenem Maul, schaut um, schaut über sich gen die
  Sperlachen, horcht, ruft Oha dem Gespann, steigt ab dem Wagen, guckt
  unterhalb zwischen die Räder, und da kein Mensch zu sehen war und auf
  der Ebene weit und breit kein Baum oder Grube noch sonst des Orts
  Gelegenheit danach gewesen wäre, daß sich ein Mensch verbergen mochte:
  stand ihm das Haar gen Berg, saß eilends auf und trieb die Tiere streng
  in einem Trott, was sie erlaufen mochten, bis vor seinen Ort; denn er
  vermeinte nicht anders, als der Teufel habe ihm Spitzfündiges
  aufgegeben, und wenn er den Verstand nicht dazu habe, so gehe es ihm an
  das Leben.
  Der Seppe stieg nicht bälder von dem Wagen, als bis der Bauer in seiner
  Hofrait hielt; dann wandelte er durchs Dorf, unsichtbarlich, und hatte
  mit diesem Abenteuer, die schöne Kurzweil ungerechnet, wohl eine halbe
  Meil' Weges Profit.
  Er kam ins Tal hinunter und auf Urach, er wußte nicht wie.
  Vor dem Gasthaus, demselben, wo er im Herweg übernachtet war, stiegen
  etliche reisende Herren von Adel samt ihren Knechten gerade zu Roß; er
  hörte, sie ritten auf Stuttgart. Herrn Eberhards Tochter hatte Hochzeit,
  als gestern, gehabt mit Graf Rudolf von Hohenberg; auf eben diese Zeit
  beging ihr Herr Vater, der Graf, seine silberne Hochzeit. Es dauerten
  die Lustbarkeiten noch drei Tage lang am Hof und in der Stadt: Turnier
  und andre Spiele. Das hörte der Geselle gern; er dachte: Da hat man
  deiner nicht viel acht und mögen deine Freunde glauben, du kamst des
  Lebtags wegen heim. Ihm lüstete nicht sehr danach; demungeachtet säumte
  er sich nicht auf seinem Weg, und als er sich um die drei Groschen und
  etliche Heller, so er aus allen Taschen elendiglich zusammenzwickte,
  noch einmal wacker satt gegessen und getrunken, so setzt' er seinen Stab
  gestärkt und mutig weiter. Stets einem flinken Wässerlein, der Erms,
  nachgehend, befand er sich gar bald vor Metzingen.
  Er dachte trutzig und getrost vor jedermanns Augen den Ort zu passieren,
  wo er vor einem halben Jahr den Schabernack erlitten, und war auf
  Schimpf und Glimpf gefaßt; nur wollte er zuvor den zweiten Stiefel noch
  außen vor dem Ort antun, damit er doch nicht mit Gewalt den Spott der
  Gaffer auf sich ziehe. Aber wie er sich dazu anschicken will, kommt ihm
  ein anderes dazwischen, das ließ ihm keine Zeit.
  Gleich vor dem Flecken, frei auf einem Gutstück lag eines Schönfärbers
  Haus; an dessen einer Seite hingen allerhand Stück Zeug, in Rot, Blau,
  Gelb und Grün gefärbt, auf Stangen und im Rahmen aufgezogen, davor ein
  grüner Grasplatz war. Dort nun, doch näher bei der Straße sah der Seppe
  nur einen Steinwurf weit von ihm das nasenweise Färberlein stehn, das
  Gesicht nach dem Flecken gekehrt. Das Bürschlein hatte Gähnaffen feil,
  weil seine Meistersleute nicht daheim, oder paßte es auf eine hübsche
  Dirne, sah und hörte deshalb weiter nichts.
  »Wohl bei der Heck', du Laff!« sagte der Seppe frohlockend vor sich,
  indem er risch seitab der Straße sprang. »Jetzt will ich dir den Plirum
  geigen!« -- warf seinen Ranzen links herum, lief eilig zu und stand
  unsichtbar auf dem Wasen ein Dutzend Schritte hinter dem Färber.
  Geschwind besann er sich, was er zuerst beginne, trat an das Lattenwerk,
  zog wie der Blitz einen trockenen Streif des roten Zeugs herab und
  breitete denselben glatt aufs Gras; alsdann stellte er sich in
  leibhafter Gestalt ohne Willkomm und Gruß, nicht in gutem noch bösem,
  ganz dicht vor den Färber hin. Der, seinen Feind erkennend, macht' ein
  Gesicht als wie der Esel, wenn er Teig gefressen hat, und plötzlich
  wollte er auf und davon. Der Schuster aber hatt' ihn schon gefaßt: kein
  Schraubstock zwängt ein Werkholz fester, denn unser Geselle das Büblein
  hielt bei seinen zween Armstecken. Er hieß ihn stilleschweigen, so wolle
  er ihm aus Barmherzigkeit an seinem Leib nichts tun, nahm ihn sodann
  gelinde, legt' ihn aufs eine Tuchend überzwerch, drückt' ihm die
  Ellbogen grad am Leib und wergelt ihn mit Händen geschickt im Tuch
  hinab, wie man ein Mangelholz wälzet, daß er schön glatt gewickelt war
  bis an das Kinn. Darauf band er ihm ein grünes Band, das er auch von der
  Latte gezogen, kreuzweis von unten bis hinauf und knüpft's ihm auf der
  Brust mit einer schönen Schlaufe. Nach allem diesem aber nahm und trug
  er ihn, nicht anders als ein Pfätschenkind dahingetragen wird, auf
  seinen Armen weg (in deren einem er den Wanderstock am Riemen hangen
  hatte). Weil er jedoch bei diesem ganzen Vornehmen das Lot links trug,
  und weil der Krackenzahn mehr nicht kann ungesehen machen, als das zum
  Mann gehört, so war es wunderbarlich, ja grausig, fremd und lustig
  gleichermaßen anzusehn, wie auf der breiten Straße mitten inne ein
  gesunder Knab, wie Milch und Blut, mit schwarzem Kräuselhaar, in
  Wickelkindsgestalt frei in der Luft herschwebte und schrie.
  Das Volk lief zu aus allen Gassen, ein jedes lacht' und jammerte in
  _einem_ Atem, die Weiblein schrien Mirakel und: »Hilf Gott! es ist des
  Färbers Knab, der Vite! Springt ihm denn keiner bei von euch
  Mannsnamen?« -- Doch niemand traute sich hinzu.
  Da fing der Seppe an sangweis mit heller Stimme:
   Scher^aschleifer, wetz, wetz, wetz,
   Laß dei Rädle schnurr^a!
   Stu^agart ist ^a grauße Stadt,
   Lauft ^a Gä^nsbach dur^a.
  Und als das Kind sich ungebärdigt stellte, schwang er's und flaigert's
  hin und her und sang:
   Färbersbü^able, schrei net so,
   Mach mer keine Mändl^a!
   D' Bü^asinger mit zwanzig Johr
   Trait mer en de Wendl^a,
   Heisasa! Hopsasa!
   Wi^a de kleine Kendl^a.
  Die Leute fanden ihrem Staunen, Schrecken, Dattern und Zagen nicht Worte
  noch Gebärden mehr. Eins schob und stieß und drängte nur das andere dem
  Abenteuer immer nach oder voraus. Bei dem Gemeindehaus aber schwenkte
  sich der Seppe seitwärts nach dem Kirchplatz unversehens, daß alles vor
  ihm schreiend auseinanderfuhr.
  Dort, mitten auf dem Platz sah man den Vite sänftlich an die Erde
  niederkommen. Da lag denn ein seltsamer Täufling, zornheulend, sonder
  Hilfe, derweil der Schuster flüchtig durch die Menge wischte. Weit
  draußen vor dem Ort noch hörte er das Lärmen und Brausen der Leute.
  Bei Tolfingen am Neckar spürte er anfangen in den Beinen, daß er
  verwichene Nacht in keinem Bett gewesen, jetzt fünfzehn Stunden Wegs in
  einem Strich gemacht, daneben ihn der letzte Possen auch manchen Tropfen
  Schweiß gekostet haben mag. Der Abend dämmerte schon stark, und er hatte
  noch fünf gute Stunden heim. Bei frischen Kräften hätte er Stuttgart
  nicht füglich vor Mitternacht können erlaufen, so schachmatt aber, wie
  er war, und mit vier Pfennigen Zehrgeld im Sack, schien ihm nicht
  ratsam, es nur zu probieren. Wo aber bleiben über die Nacht und doch
  kein Scheurenburzler sein? -- Halt! dacht er, dient nicht in der Stadt
  Nürtingen, nur anderthalb Stund von da, der Kilian aus Münster als
  Mühlknapp? Das ist die beste Haut von der Welt, der läßt dich nicht auf
  der Gasse liegen und borgt dir leicht ein Weniges auf den Weg. Jetzt ist
  lang Tag! -- Er tat erst einen frischen Trunk in Tolfingen, wo das
  Wasser nichts kostet, dann kaufte er sich ein Brot für seinen letzten
  Kreuzer, verzehrt' es ungesäumt und lotterte, indem es finster ward,
  gemächlich die Straße am Neckar hinauf. Mit der Letzte erschleppt' er
  sich fast nicht mehr, doch endlich erschienen die Lichter der Stadt und
  hörte er das große Wuhr ob der Brücke schon rauschen, hart neben welcher
  jenseits die vielen Werke klapperten.
  Der Müller aß eben zu Nacht mit seinen Leuten und Gesind, darunter nur
  kein Kilian zu sehen war. Man sagte dem Schuster, der sei vor einem
  Vierteljahr gewandert. Da stand der arme Schlucker mit seinem gottigen
  Glücksschuh und seinem Stiefel! wußte nicht, was er jetzt machen sollte.
  Indes hieß ihn die Müllerin ablegen und mitessen, und nach dem
  Tischgebet, dieweil der Mann leicht merken mochte, es sei ein
  ordentlicher Mensch und habe Kummer, bot er ihm an, über Nacht im
  Wartstüblein, wo die Mahlknechte rasten, auf eine der Pritschen zu
  liegen. Das ließ er sich nicht zweimal sagen und machte sich alsbald
  hinunter, ein Jung wies ihm den Weg zwischen sechs Gängen hindurch, die
  gellten ihm die Ohren im Vorbeigehn nicht schlecht aus. Zwei Stieglein
  hinunter und eins hinauf, kam er in ein gar wohnliches, vertäfertes
  Gemach und streckte sich auf so ein schmales Lager hin. Wie grausam müd
  er aber war, ein Schlaf kam nicht in seine Augen: Fenster und Boden
  zitterten in einem fort, es schellte bald da, bald dort, die Knechte
  tappten aus und ein, und die ganze Nacht brannte das Licht.
  Um eins, da ihn der Oberknecht noch wachen sah, sprach der zu ihm, wenn
  er auf Nachtruh halte, hier sei er in die unrechte Herberge geraten, das
  Schlafen in der Mühle woll' gelernt sein wie das Psalmenbeten in der
  Hölle; er soll' aufstehn, sie wollten sich selbdritt die Zeit vertreiben
  mit Trischacken -- langte die Karten vom Wandbrett herunter und stellte
  einen vollen Bierkrug auf den Tisch. Der Seppe wollte nicht, bekannte
  auch, daß er Gelds ohne sei; allein da hieß es: »Schuster! dein
  Schnappsack hat ein leidlich Gewicht, und Stein hast du keineswegs
  darin; wenn aber, so sei uns ein ehrlicher Schuldner!« So gab er endlich
  nach und nahm sein Spiel vor sich. Wetter! wie paßten gleich die Kerl da
  auf! Was er nur zog und hinwarf: allemal die besten Stiche! Jetzt wurden
  seine Sinne hell und wach zumal, er dachte: Hei, da springt ein
  Wandergeld heraus! Das erste Spiel gewonnen, das zweite desgleichen!
  Beim dritten und beim vierten zog er heimlich den Schuh aus unter dem
  Tisch, daß es nicht merklich würde, und verspielt's damit
  hintereinander, doch brachte er es vier- und sechsfach wieder ein, und
  pünktlich machte einer jedesmal die Striche auf die Tafel, daß man's
  nachher zusammenrechnen könne. Es war ihm über einen Gulden gut
  geschrieben, und als den andern endlich so die Lust verging, war es ihm
  eben recht und legte er sich noch ein Stündlein nieder. Da fiel der
  Schlaf auch bald auf ihn als wie ein Maltersack, doch ohne Letzung. Er
  war mit seinem Geist in Ulm und träumte nur von Greuel, Gift und
  peinlichem Gericht. Ein Mahljung, welcher durch das Stüblein lief,
  vernahm von ungefähr, wie er im Schlaf die Worte redete: »Fürn Galgen
  hilft kein Goller und fürs Kopfweh kein Kranz!« -- ging hin und
  hinterbracht's den Knechten; die kamen juxeshalber und standen um den
  Schlafenden, sein bitterlich Gesicht bescherzend. Auch nestelten sie ihm
  den Ranzen auf aus Fürwitz, was er Schatzwerts darin habe, zogen das
  schwere Blei heraus und lachten ob des Knaben Einfalt solchermaßen, daß
  ihnen gleich das Schiedfell hätte platzen mögen. »Tropf!« sprach der
  eine, »hast du sonst nichts gestohlen, darum springt dir der Strick
  nicht nach!« -- und packten's ihm wieder säuberlich ein.
  
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