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Das Stuttgarter Hutzelmännlein - 3

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  Inwährend diesem argen Lärm nun hörte man die Fürstin in ihrem
  Ohnmachtschlaf so innig lachen, wie sie damals im Traum getan, wo sie
  den Abt sah springen. Der Koch vernahm es noch von weitem, und ob er's
  schon auf sich zog und mit Grund, erkannte er doch gern daraus, daß es
  nicht weiter Not mehr habe mit der Frau.
  Bald kam mit guter Zeitung auch die Jutte heim, die Kleider, den Rock
  und das Leibchen im Arm, welche die schöne Lau zum letztenmal heut' am
  Leibe gehabt. Von ihren Kammerjungfern, die sie am Topf in Beisein des
  Mädchens empfingen, erfuhr sie gleich zu ihrem großen Trost, der König
  sei noch nicht gekommen, doch mög' es nicht mehr lang' anstehn; die
  große Wasserstraße sei schon angefüllt. Dies nämlich war ein breiter,
  hoher Felsenweg, tief unterhalb den menschlichen Wohnstätten, schön grad
  und eben mitten durch den Berg gezogen, zwo Meilen lang von da bis an
  die Donau, wo des alten Nixen Schwester ihren Fürstensitz hatte.
  Derselben waren viele Flüsse, Bäche, Quellen dieses Gaues dienstbar; die
  schwellten, wenn das Aufgebot an sie erging, besagte Straße in gar
  kurzer Zeit so hoch mit ihren Wassern, daß sie mit allem Seegetier,
  Meerrossen und Wagen füglich befahren werden mochte, welches bei
  festlicher Gelegenheit zuweilen als ein schönes Schaugepräng mit vielen
  Fackeln und Musik von Hörnern und Pauken geschah.
  Die Zofen eilten jetzo sehr mit ihrer Herrin in das Putzgemach, um sie
  zu salben, zöpfen und köstlich anzuziehen, das sie auch gern zuließ und
  selbst mithalf; denn sie in ihrem Innern fühlte, es sei nun jegliches
  erfüllt zusamt dem Fünften, so der alte Nix und sie nicht wissen durfte.
  Drei Stunden wohl, nachdem der Wächter Mitternacht gerufen (es schlief
  im Nonnenhof schon alles), erscholl die Kellerglocke zweimal mächtig,
  zum Zeichen, daß es Eile habe, und hurtig waren auch die Frauen und die
  Töchter auf dem Platz.
  Die Lau begrüßte sie wie sonst vom Brunnen aus, nur war ihr Gesicht von
  der Freude verschönt, und ihre Augen glänzten, wie man es nie an ihr
  gesehen. Sie sprach: »Wißt, daß mein Ehgemahl um Mitternacht gekommen
  ist! Die Schwieger hat es ihm voraus verkündigt ohnelängst, daß sich in
  dieser Nacht mein gutes Glück vollenden soll, darauf er ohne Säumen
  auszog mit Geleit der Fürsten, seinem Ohm und meinem Bruder Synd und
  vielen Herren. Am Morgen reisen wir. Der König ist mir hold und gnädig,
  als hieß' ich von heute an erst sein Gespons. Sie werden gleich vom Mahl
  aufstehn, sobald sie den Umtrunk gehalten. Ich schlich auf meine Kammer
  und hierher, noch meine Gastfreunde zu grüßen und zu herzen. Ich sage
  Dank, Frau Ahne, liebe Jutta, Euch Söhnerin und Jüngste dir. Grüßet die
  Männer und die Mägde! In jedem dritten Jahr wird euch Botschaft von mir;
  auch mag es wohl geschehn, daß ich noch bälder komme selber: da bring'
  ich mit auf diesen meinen Armen ein lebend Merkmal, daß die Lau bei euch
  gelacht. Das wollen euch die Meinen allezeit gedenken, wie ich selbst.
  Für jetzo, wisset, liebe Wirtin! ist mein Sinn, einen Segen zu stiften
  in dieses Haus für viele seiner Gäste. Oft habe ich vernommen, wie Ihr
  den armen wandernden Gesellen Guts getan mit freier Zehrung und
  Herberg'. Damit Ihr solchen fortan mögt noch eine weitere Handreichung
  tun, so werdet Ihr zu diesem Ende finden beim Brunnen hier einen
  steinernen Krug voll guter Silbergroschen: davon teilt ihnen nach
  Gutdünken mit! und will ich das Gefäß, bevor der letzte Pfennig
  ausgegeben, wieder füllen. Zudem will ich noch stiften auf alle hundert
  Jahr fünf Glückstage (denn dies ist meine holde Zahl) mit
  unterschiedlichen Geschenken also, daß wer von reisenden Gesellen der
  erste über Eure Schwelle tritt am Tag, der mir das erste Lachen brachte,
  der soll empfangen aus Eurer oder Eurer Kinder Hand von fünferlei
  Stücken das Haupt. Ein jeder, so den Preis gewinnt, gelobe, nicht Ort
  noch Zeit dieser Bescherung zu verraten. Ihr findet aber solche Gaben
  jedesmal hier nächst dem Brunnen. Die Stiftung, wisset! mache ich für
  alle Zeit, solang' ein Glied von Eurem Stamme auf der Wirtschaft ist.«
  Nach diesen Worten nahm sie nochmals Abschied und küßte ein jedes. Die
  beiden Frauen und die Mädchen weinten sehr. Sie steckte Jutten einen
  Fingerreif mit grünem Schmelzwerk an und sprach dabei: »Ade, Jutta! Wir
  haben zusammen besondere Holdschaft gehabt, die müsse fernerhin
  bestehen!« -- Nun tauchte sie hinunter, winkte und verschwand.
  In einer Nische hinter dem Brunnen fand sich richtig der Krug samt den
  verheißenen Angebinden. Es war in der Mauer ein Loch mit eisernem
  Türlein versehen, von dem man nie gewußt, wohin es führe; das stand
  jetzt aufgeschlagen, und war daraus ersichtlich, daß die Sachen durch
  dienstbare Hand auf diesem Weg seien hergebracht worden, deshalb auch
  alles wohl trocken verblieb. Es lag dabei ein Würfelbecher aus
  Drachenhaut, mit goldenen Buckeln beschlagen, ein Dolch mit kostbar
  eingelegtem Griff, ein elfenbeinen Weberschifflein, ein schönes Tuch von
  fremder Weberei und mehr dergleichen. Aparte aber lag ein Kochlöffel aus
  Rosenholz mit langem Stiel, von oben herab fein gemalt und vergoldet,
  den war die Wirtin angewiesen dem lustigen Koch zum Andenken zu geben.
  Auch keins der andern war vergessen.
  Frau Betha hielt bis an ihr Lebensende die Ordnung der guten Lau heilig,
  und ihre Nachkommen nicht minder. Daß jene sich nachmals mit ihrem Kind
  im Nonnenhof zum Besuch eingefunden, davon zwar steht nichts in dem
  alten Buch, das diese Geschichten berichtet, doch mag ich es wohl
  glauben.
   * * * * *
  Es waren seit der Fürstin Abschied nah bei hundert Jahr vergangen, als
  unser Seppe, der Schuster, im Dörflein Suppingen vom Wagen stieg, dem
  Bäuerlein noch vielmals dankte und sich von ihm den Weg Blaubeuren zu
  nachweisen ließ. Bis Mittag, sagte der Mann, könne er gar wohl dort
  sein.
  Das hätte sich auch nicht gefehlt, bald aber fing sein Hühneraug' ihn
  wieder zu buksieren an. Er mußte alle fünfzig Schritt hinsitzen, und
  wenn er einmal saß, trat er das Rad so fleißig, als wenn er auf
  Bestellung zu arbeiten hätte. Endlich zum letztenmal riß er sich auf und
  hinkte vollends die Steig hinab.
  Sie läuteten im Kloster drei, da er ins Städtlein kam.
  Während er nun auf die Herberge zuging, lief eben Jörg Seysolff, der
  Wirt und Bräumeister, über den Hof und sprach zu seinem Weib, die auf
  der Hausbank saß und ihren Salat zum Abendessen putzte: »Schau, Emerenz,
  da kommt auch schon der dritt'!« -- »Ei, weiß Gott!« sagte sie, »und ist
  ein Unterländer.« -- »Ach mein, knappt der daher! dem sei es 'gunnt.«
  Der Seppe sah hoch auf, als ihn die Leute so mit sonderlicher
  Freundlichkeit begrüßten. Sie gingen alle beide gleich mit ihm hinauf.
  Er ließ sich eine Halbe geben, ein Sauerkraut mit Schweinefleisch
  aufwärmen.
  Der Wirt, wie er vernahm, daß er von Stuttgart käme, frug ihn nach dem
  und jenem: ob sie auch Hagelwetter drunten hätten, was jetzt die Gerste
  gelte, bis wann des Grafen Jüngste Hochzeit habe, von deren Schönheit
  man überall höre. Der Seppe diente ihm auf alles ordentlich, dagegen er
  sich übers Essen manches von hiesigen Geschichten, besonders von dem
  Wasserweib, erzählen ließ. Auch zeigte ihm der Wirt das alte Konterfei
  von ihr im Hausgang an der Stiege sowie das herrliche Kunstwerk, den
  Bauren-Schwaiger, an welchem er sich nicht satt sehen und hören konnte.
  »Der den gemacht hat,« sagt' er, »den laßt mir einmal einen Dreher
  heißen!« -- »Ja,« meinte Jörg, »die Arbeit ist auch nicht an einem Tag
  gemacht.« -- »Will's glauben!« sagte der Seppe und seufzte, denn er
  gedachte an seine Dreherei.
  Nachdem er nun gegessen und getrunken, frug er nach seiner Schuldigkeit.
  »Zween Batzen!« war die Antwort. Die legte der Seppe auf den Tisch.
  »Bekämt Ihr sechzehn Kreuzer 'naus,« sagte der Wirt, zählte sie hin und
  steckte die zween Batzen ein, wie wenn es sich so in der ganzen Welt von
  selbst verstünde. Es war jedoch ein alter Brauch von der Frau Betha
  Zeiten her, den Reisenden auf solche Weise ihren Zehrpfennig zu reichen.
  Der Schuster lächelte, als wollt' er fragen: »Wie ist das gemeint?« --
  »Laßt's gut sein, lieber Gesell!« sprach Jörg Seysolff. »Kommt mit zu
  meinem Ehni! der sagt Euch schon mehr.«
  Er führte ihn durch einen langen Gang an eine stille Tür, die tat er vor
  ihm auf. Da saß in einer säuberlichen Stube ein gar schöner Greis von
  achtzig Jahr in einem Sorgenstuhl beim Fenster. Die Sonne fiel eben ein
  wenig zwischen den Vorhänglein durch auf einen kleinen Tisch, so vor ihm
  stand, schneeweiß gedeckt, darauf nichts weiter denn ein blauer Topf mit
  Wasser und noch etwas in einem Tuche war. Der Alte aber war der kleine
  Hans, Frau Bethas Herzblatt gewesen. Er redete den Schuster in Gegenwart
  des Wirtes also an:
   Hab' Gott zum Gruß auf dieser Schwell'!
   Obwohl das Glück dein Reis'gesell,
   Ob solches mit dir in der Wiegen
   Von Mutterleib aus kam zu liegen,
   Ob du es in dem Gürtel hegest,
   Ob du es in den Sohlen trägest.
  Hierauf behändigte der Greis dem Seppe das Tüchlein und sprach: »Du
  magst es einmal, wenn du Meister bist und gründest deinen eignen Herd,
  deiner Liebsten verehren, am Heiratstag, dazu dir aller Segen werde.«
  Was aber war im Tuch? Eine silberne Haube; man konnte nichts Schöneres
  sehen. Der Seppe wäre deckenhoch gesprungen, wenn sich's geschickt
  hätte.
  Nun sagte ihm der Alte, wem er das Angebind verdanke; dann ließ er ihn
  Verschwiegenheit geloben, zu dessen sichtlicher Bekräftigung er einen
  Finger in dem Topf netzen und auf den Mund legen mußte. Auch gab er dem
  Gesellen noch eine christliche Vermahnung, empfing den Dank desselben,
  und ganz am End' empfahl er ihm, wenn er ein Klötzlein Blei von ungefähr
  wo finde hier herum, so möge er solches daher in den Nonnenhof bringen.
  In seines Herzens Freude fast hätte er's versprochen: da fiel ihm zum
  Glück noch der Pechschwitzer ein; deswegen er sagte: »Ich will sehn.«
  Jetzt machte er sich auf die Bahn und lenkte seine Schritte zuvörderst
  hinter das Kloster, wo ihm der Quell gleich in die Augen strahlte. So
  viel man ihm davon gerühmt, doch hätte er sich solche Wunderpracht in
  seinem Sinn nicht eingebildet, und meinte er bei sich, es sei nicht
  anders denn als wenn zum wenigsten ein Stücker sechs Blaufärber samt
  einem vollen Kessel eben erst darin ersoffen wären.
  Wie er sich recht daran ersättigt und im Andenken an das Wasserweib
  etliche Vaterunser aus gutem Herzen für ihr Heil gebetet hatte (denn er
  der Meinung war, sie sitze schon bei hundert Jahr samt andern armen
  Heidenseelen auf der hellen Wiese, da sie in Wahrheit jung und schön wie
  ehedem noch bei den Ihren lebte), vergaß er auch das Klötzlein nicht,
  nach welchem so viel Fragens war. Er hatte von dem Doktor Veylland und
  dem Lot schon als ein kleiner Bube den Urgroßvater hören erzählen. Der
  Bauer wußte nichts davon; den Wirt im Nonnenhof befrug er aber nicht,
  weil ihm erst jetzt einkam, es sei mit dem Blei wohl gar dasselbe Lot
  gemeint. Nun sah er hinter manchen Busch und Baum und weiterhin an
  seiner Straße hier und dort in einen Graben, fand aber nichts
  dergleichen und ließ sich endlich deshalb keine grauen Haare wachsen.
  Der Schmerzen seines Fußwerks ganz und gar vergessen und nichts als
  Glücksgedanken und Habergeisen in dem Kopf, hinkt' er so immerfort das
  Blautal hinunter. Bisweilen, wenn es ihm sein Linker zu arg machte,
  hockt' er auf einen Stein, packte die silberne Haube heraus und legte
  sie vor sich aufs Knie, an seinen zukünftigen Schatz dabei denkend. Es
  war nur gut, daß ihm nicht wissend, was schon zween andere Gesellen, ein
  Feilenhauer und ein Nagelschmied, nur eine halbe Stunde, eh' er kam, aus
  dem Nonnenhof davongetragen: er hätte seine Haube nur noch mit halben
  Freuden angesehen. Die beiden Bursche waren auf der Steig hinter der
  Stadt an dem Schuster vorübergekommen und hatten ihn gegrüßt, doch weil
  er eben saß und in Gedanken mit dem Rad im besten Werken war, so sah er
  gar nicht auf und brummte nur so für sich hin: »Schön guten Morgen!« --
  obzwar die Sonne ihm von Abend auf den Buckel schien. »Ja, Morgen nach
  dem Bad!« sagte der eine, und lachten sich beide die Haut voll darüber.
  Mit sinkender Nacht kam er wohl- oder übelbehalten nach Ulm.
  Es war gerade Markt und hie und da Musik und Tanz. Er trat in eins der
  nächsten Wirtshäuser, wo ihrer sechs Gesellen beim Wein an einem Tisch
  beisammen saßen und einen Rundgesang anstimmten. Mann für Mann sang
  einzeln sein Gesetz, darauf mit Macht der Chor einfiel und sie alle die
  Gläser anstießen. Der Leser mag wohl so viel Verse vernehmen, als sie
  eben jetzt sangen; das Lied im ganzen ist viermal so lang.
   _Erster Gesell_: Seid ihr beisammen all'?
   Ihr Freund', auf allen Fall
   Zeigt eure Professionen an,
   Daß wir nach Sitten stoßen an
   Mit großem Freudenschall!
   _Chor_: Zeigt eure Professionen an,
   Daß wir nach Sitten stoßen an!
   _Zweiter_: Eine Wiege vor die Freud',
   Eine Bahre vor das Leid:
   Meinem Hobel ist das alles gleich,
   Der denkt: Ich mach' den Meister reich,
   Spän' gibt es allezeit.
   _Chor_: Seinem Hobel ist usw.
   _Dritter_: Meine Arbeit ist wohl fein,
   Von Gold und Edelstein!
   Allein das kriegt man bald gar satt,
   Zumal man es nicht eigen hat:
   Gebt mir so güldnen Wein!
   _Chor_: Ich glaub's ihm schon, das wird man satt usw.
   _Vierter_: Wen freut ein kecker Mut,
   Nicht dau'rt sein junges Blut,
   Ich schaff' ihm Wehre mannigfalt,
   Zu Scherz und Ernst, wid'r Feindsgewalt;
   Mein Zeug ist allweg gut.
   _Chor_: Und gilt es wider Feindsgewalt,
   Ein Spieß und Schwert uns auch gefallt.
   _Fünfter_: Der Schneider sitzt am Glas:
   Vom Wirt nehm' ich die Maß.
   Zu Hause schaff' ich gar nicht viel,
   Meine Stich' mach' ich beim Kartenspiel,
   Da weiß ich doch, für was.
   _Chor_: Ei, Bruder Leipziger, bessr' Er sich!
   Denn, sieht Er, das ist liederlich.
   _Sechster_: Meine Kunst, das glaubt gewiß!
   Schreibt sich vom Paradies.
   Von Mägdlein bin ich wertgeschätzt,
   Ich hab' ja, was ihr Herz ergötzt:
   Veiel und Röslein süß.
   _Chor_: Von Mägdlein ist er usw.
  Jetzt kam die Reihe an den Schuster, und da derselbe sein Gesetzlein so
  aus froher Kehle sang, ward es dem Seppe um den Brustfleck weh, daß er
  sein gutes Handwerk lassen sollte. Dabei vermerkte er, wie ihn sein
  rechter Schuh zweimal ganz weidlich vor Vergnügen zwickte, so zwar, wie
  wenn er sagen wollte: Hörst du, Narr?
   _Erster_: Gebt meinem Stand die Ehr'!
   Den Schuster braucht man sehr.
   Zwar führ' ich nicht den besten Gout,
   Allein wer macht euch Hochzeitschuh,
   Wenn ich kein Schuster wär'?
   _Chor_: Zwar führt er nicht usw.
  Dem Seppe quoll bereits das Wasser in den Augen; er sprach bei sich mit
  ingrimmigen Schmerzen: Du bist kein Schuster und bist auch kein Dreher,
  du bist der wirtembergisch Niemez! Und schwur in seiner Seele, hinfort
  zu bleiben, was er war.
   _Zweiter_: Und wer kein Pietist
   Und auch kein Hundsfott ist,
   Der mag sich wohl beim Wein erfreun.
   Mein letzter Schluck soll ehrlich sein!
   So meint's ein guter Christ.
   _Chor_: Stoßt an, Kameraden, stimmet ein:
   Mein letzter Schluck soll ehrlich sein!
  Hier stand der Seppe auf, trat hin zu den Kompanen und grüßte mit
  bescheidener Ansprache. Da machten sie ihm Platz an ihrem Tisch, tranken
  ihm zu und hörten, was für ein Landsmann er sei, welches Gewerbs, wohin
  er wollte. »Warum bleibt Ihr nicht hier?« sagte Vinzenz, der Schuster:
  »In Ulm ist es schön, und Arbeit findet Ihr dermal genug.« -- Er ließ
  sich nicht schwer überreden, und schon den andern Tag stand er bei einer
  jungen Witwe ein, von welcher ihm der Herbergvater sagte.
  Als er das erstemal in deren Haus einging, empfing er eine Warnung: sein
  Rechter wollte nicht über die Schwelle; doch achtete er weiter nicht
  darauf.
  Die Witwe war eine schöne Person, und wie der Seppe schon nicht leicht
  mehr eine ansah, daß ihm nicht einfiel, was der Pechschwitzer sagte:
  »Vielleicht begegnet dir dein Glück einmal auf Füßen,« so prüfte er auch
  jetzt, obwohl mit schüchternen Blicken, die stattliche Frau. Sie sah
  sehr blaß, nicht gar vergnügt und sparte ihre Worte gegen jedermann. Ihr
  Tun in allen Dingen war aber sanft und klug, so daß sie einen jungen
  Mann wohl locken konnte.
  Es mag zuvor schon manchem so mit ihr gegangen sein, beim Seppe blieb es
  auch nicht aus, und desto minder, da ihm nach den ersten Wochen deuchte,
  er gelte vor den andern etwas bei der Meisterin. Geschah es, daß sie
  ihrer einen nötig hatte zu einer kleinen Hilfe außerhalb der Werkstatt,
  dann rief sie immer zehnmal gegen eines ihn vom Stuhl hinweg, und wenn
  er Samstags für die Küche Holz klein sägte, sie aber backte eben
  Zwiebelkuchen, da trug sie ihm gewiß ein Stück, warm von dem Ofen weg,
  zum voraus in den Schopf hinaus; das schmeckte zu solchem Geschäft aus
  der Faust ganz außer Maßen.
  Von dort an aber gebärdeten sich des Hutzelmanns lederne Söhne sehr
  übel; insonderheit auf der Gesellenkammer war oft die halbe Nacht in
  Seppes Kasten, wo sie standen, ein Gepolter und Gerutsch, als hätten sie
  die ärgsten Händel miteinander, und die Gesellen schimpften und fluchten
  nicht wenig deshalb. »Es ist der Marder,« sagten sie. »Er hat den alten
  Schlupf zwischen den Dielen wieder gefunden; wird nicht viel fehlen, hat
  er Junge; wir brechen morgen auf und bescheren ins Kindbett.« -- Der
  Seppe schwieg dazu; am andern Morgen aber holt' er in der Stille einen
  schweren platten Stein aus einem Bühnenwinkel vor, den stellte er
  bedachtsam mit dem Rand auf sie, quer über den Reihen. »So,« sprach er,
  »jetzt, ihr Ketzer, ihr schwernötige, jetzt bocket, gampet und
  durnieret, wenn ihr könnt!« -- Da molestierten sie hinfort auch niemand
  mehr.
   * * * * *
  Nun, lieber Leser, ist es Zeit, daß du erfahrest, wie es derweil
  ergangen mit dem andern Paar, das der Gesell an jenem Morgen auf der
  Brücke ließ, als er aus Stuttgart wanderte.
  Nicht tausend Schritt war er hinweg, kam eine Bäuerin von Häslach her
  und sah die Schuh. Die hat der Böse hingestellt mir zur Versuchung!
  dachte sie, bekreuzte sich und lief ihrer Wege. Spazierte drauf -- denn
  es war Feiertag -- ein Seifensieder aus der Stadt gemächlich, nach
  seinem Weinberg auszuschauen. Derselbe aber war ein Frommer. Wie er die
  herrenlose Ware sieht, denkt er: Wie geht das zu? Die wären meiner Frau
  wie angemessen! Ich will mich nicht vergreifen, das sei fern: nur wenn
  ich wiederkomme und sie stehn noch da, mag mir's ein Zeichen sein, daß
  sie der liebe Gott mir schenkt für meine Christel. Damit das Pärlein
  aber nicht etwan von der Sonnenhitze leide, nahm es der kluge Mann und
  stellte es unter die Brücke in Schatten, wo es nicht leicht ein Mensch
  entdecken mochte.
  Bald darauf kommt aus dem Tor ein sauberes Bürgermädchen, Vrone
  Kiderlen, einer Witfrau Tochter; trug ein Grättlein am Arm und wollte
  Himbeeren lesen im Bupsinger Wald (der hatte seinen Namen von einer
  Ortschaft auf dem Berg, von welcher heutzutag die Spur nicht mehr
  vorhanden ist, doch heißt der Wald daher noch jetzo der Bopser). Indem
  sie nun über das Brücklein geht, patscht etwas unten, und so ein paarmal
  nacheinander. Was mag das sein? denkt sie und steigt hinunter an den
  Bach. »Heilige Mutter! nagelneue Schuh!« ruft sie und schaut sich um, ob
  sie nicht jemand sehe, der sie vexieren wollte oder ihr den schönen Fund
  tun ließ, weil eben heut' ihr Wiegentag war. Sie nahm das Paar, zog es
  zur Probe einmal an und freute sich, wie gut es ihr paßte, und wie gar
  leicht sich darin gehen ließ. Bald aber kam ihr ein Bedenken an, und
  schon hat sie den einen wieder abgestreift; der andere hingegen wollte
  ihr nicht mehr vom Fuß. Sie drückte, zog und preßte, daß ihr der Schweiß
  ausbrach, half nichts -- und war sie doch so leicht hineingekommen!
  Je mehr sie diesem Ding nachdachte, desto verwunderlicher kam's ihr vor.
  So eine verständige Dirne sie war, am Ende glaubte sie gewiß, die Schuhe
  seien ihr von ihrer Namensheiligen Veronika auf diesen Tag beschert, und
  dankte alsbald der Patronin aus ehrlichem Herzen. Dann zog sie ohne
  weiteres auch den andern wieder an, schob ihre alten in den Deckelkorb
  und stieg getrost den Berg hinauf.
  Im Wald traf sie ein altes Weib bereits im Himbeerlesen an. Diese
  gesellte sich zu ihr, obwohl sie einander nicht kannten. Während aber
  nun beide so hin und her suchten, geschah's, daß sich der Vrone an den
  linken Fuß eine kostbare Perlenschnur hing, die da im Moos verloren lag.
  Das Mädchen merkt' es nicht und trat beim nächsten Schritt von ungefähr
  sich mit dem andern Schuh die Schnur vom linken los; das sah das Weib
  von hinten, hob heimlich das Geschmeide auf und barg's in ihrem Rock.
  Die Schnur war aber keine andere denn jene von der schönen Lau und war
  an die Tochter des jetzigen Grafen, die schöne Irmengard, von dessen
  Frau Ahne vererbt.
  Als endlich die zwei nacheinander heimgingen, verkündigte just in den
  Straßen des Grafen Ausrufer, daß gestern im Bupsinger Forst unfern dem
  Lusthaus ein Nuster mit Perlen verloren gegangen, und wer es wieder
  schaffe, dem sollten fünfzehn Goldgulden Finderlohn werden. Da freute
  sich das Weib, zog eilig ihre besten Kleider daheim an, kam in das
  Schloß und ward sogleich vor die junge Gräfin gelassen. »Ach Frau, ach
  liebe Frau!« rief diese ihr schon in der Tür entgegen, »Ihr habt wohl
  mein Nuster gefunden? Gebt her, ich will es Euch lohnen!«
  Nun zog das Weib ein Schächtelein hervor, und wie das Fräulein es
  aufmachte, lagen sechs oder sieben zierliche Mausschwänze darin, nach
  Art eines Halsbands künstlich geschlungen. Das Fräulein tat einen Schrei
  und fiel vor Entsetzen in Ohnmacht. Das Weib, in Todesängsten, lief
  davon, ward aber von der Wache auf den Gängen festgenommen und in Haft
  zu peinlichem Verhör gebracht. Darin bekannte sie nichts weiter, als daß
  sie da und da den Perlenschmuck vom Boden aufgehoben und ihn, so schön,
  wie er gewesen, daheim in die Schachtel getan, der guten und ehrlichen
  Meinung, das gnädige Fräulein damit zu erfreuen. Im Wald sei aber eine
  Dirn an sie geraten, die müss' es mit dem Bösen haben; von dieser sei
  der Streich. -- Weil nun der Graf nicht wollte, daß man bei so bewandten
  Sachen viel Aufhebens mache, da mit Gewalt hier nichts zu richten sei,
  ließ man das Weib mit Frieden. Zum Glück kam nichts von ihren Reden an
  die Vrone: sie wäre ihres guten Leumunds wegen drob verzweifelt.
  Auch anderweits erlebte sie in ihren Wunderschuhen viel Unheil, obwohl
  der Segen nicht ganz mangelte. Als zum Exempel ging sie Sonntag
  nachmittag gern über einen Wiesplatz hinter ihrem Haus, eine Gespielin
  zu besuchen, da stieß sie sich ein wie das anderemal an so ein kleines
  verwünschtes Ding von einem Stotzen, wie sie pflegen auf Bleichen im
  Wasen zu stecken, fiel hin, so lang sie war, hub aber sicher einen Fund
  vom Boden auf: nicht allemal ein Stücklein altes Heidengold, einen
  silbernen Knopf oder Wirtel, dergleichen oft der Maulwurf aus der Erde
  stößt, doch war ihr ein ehrliches Gänsei, noch warm vom Legen, gewiß.
  Besonders ging es ihr beim Tanz: da sah man sie zuweilen so konträre,
  wiewohl kunstreiche Sprünge tun, daß alles aus der Richte kam und sie
  sich schämen mußte. Als ein gutes und fröhliches Blut zwar zog sie
  sich's nicht mehr als billig zu Gemüt und lachte immer selbst am ersten
  über sich; nur hieß es hinterdrein: »Schad' um die hübsche Dirne, sie
  wird mit einem Mal ein ganzer Dapp!« Die eigne Mutter schüttelte den
  Kopf bedenklich, und eines Tages sagte sie, als ginge ihr ein Licht wie
  eine Fackel auf, zur Tochter: »Ich wette, die vertrackten Schuh allein
  sind schuld! Der Alfanz hat mir gleich nur halb gefallen; wer weiß, was
  für ein Rauner sie hingestellt hat!« -- Das Mädchen hatte selber schon
  an so etwas gedacht, jedoch verstand sie sich nicht leicht dazu, sie
  gänzlich abzuschaffen; sie waren eben gar zu gut und dauerhaft. Indes
  ging sie noch jenen Tag zum Meister Bläse, sich ein Paar neue zu
  bestellen. Es war derselbige, bei welchem es der Seppe nicht aushalten
  mögen. Die Vrone sah auf dessen Stühlchen ungern einen andern sitzen;
  sie hatte ihn gekannt und gar wohl leiden können.
  Wie nun der alte Bläse ihr das Maß am Fuß nahm, stachen ihm die fremden
  Schuhe alsbald in die Augen. Er nahm den einen so in seine feiste Hand,
  betrachtete ihn stillschweigend lang' und sagte: »Da hat Sie was
  Apartes. Darf man fragen, wo die gemacht sind?« -- Das Mädchen, welches
  bis daher von ihrem Fund noch weiter niemand hatte sagen wollen, gab
  scherzweis zur Antwort: »Ich hab' sie aus dem Bach gezogen.« -- Die fünf
  Gesellen lachten, der Alte aber brummte vor sich hin: »Das könnt' erst
  noch wahr sein!«
  Am Abend in der Feierstunde sprach er zu seinem Weib und seiner Tochter
  Sara: »Ich will euch etwas offenbaren. Die Kiderlen hat ein Paar
  Glücksschuh am Fuß; ich kenne das Wahrzeichen.« -- »Ei,« meinte die
  Tochter aus Neid, »sie haben ihr noch keinen Haufen Geld und auch noch
  keinen Mann gebracht.« -- »Es kann noch kommen,« versetzte der Alte. --
  »Wohl,« sagte die Mutter, »wenn man sie ihr nur abführen könnt'! Ich
  wollte so etwas der Sare gönnen.« -- Da beschlossen sie dann
  miteinander, der Vater solle ein Paar Schuh wie diese machen und die
  Sare sie heimlich verwechseln.
  Der Mann begab sich gleich den andern Morgen an die Arbeit. So häkelig
  sie war, dennoch, die feinen, wundersam gezackten Nähte, die rote
  Fütterung mit einem abgetragenen Stück Leder, alles zumal geriet so
  wohl, daß er selbst sein Vergnügen dran hatte. Die böse List ins Werk zu
  setzen, ersannen sie bald auch Mittel und Wege.
  Dicht bei der Stadt, wo man herauskommt bei dem Tor, welches nachmals,
  von dortiger Schießstatt her, das Büchsentor hieß, sah man zu jener Zeit
  noch einen schönen, ansehnlichen Weiher, ähnlich dem Feuersee, der eine
  gute Strecke weiter oben dermalen noch besteht. Am Ufer war ein Balken-
  und Brettergerüst mit Tischen und Bänken hinein in das Wasser gebaut, wo
  die Frauen und Dirnen der Stadt ihre Wäsche rein zu machen pflegten.
  Hier stunden sie manchmal zu vierzig oder fünfzig, seiften und rieben um
  die Wette und hatten ein Gescherz und Geschnatter, daß es eine Lust war,
  alle mit bloßen Armen und Füßen. Nun paßten des Schusters wohl auf, bis
  die Vrone das nächstemal wusch; denn Bläses Haus lag hart am See, und
  stieß das Wasser unten an die Mauer. Auf einen Mittwoch Morgen, da eben
  schönes warmes Wetter war, kam denn die junge Kiderlen mit einer Zaine:
  geschwind sprang auch die Sare mit der ihren und traf es glücklich,
  neben sie an einen Tisch zu kommen. Da stellten beide ihre Schuh, wie es
  der Brauch war, unter die Bank. Die Vrone hatte seit acht Tagen heute
  das erstemal ihr Glückspaar wieder angelegt, mit Fleiß: denn weil sie
  richtig dieser ganzen Zeit das Melkfaß nimmer umgestoßen, das Spinnrad
  nimmer ausgetreten noch sonst einen bösen Tritt getan, so wollte sie,
  des Dinges ganz gewiß zu sein, jetzo die Gegenprobe machen. Die falsche
  Diebin war mit den paar Laken, so sie mitgenommen, in einer Kürze
  fertig, schlug sie zusammen, bückte sich, stak in einem Umsehn in des
  Pechschwitzers Schuhen, schob ihres Vaters Wechselbälge dafür hin und:
  »Bhüt' Gott, Vronele! mach' au bald ein End!« -- mit diesen Worten lief
  sie fort, frohlockend ihrer wohlvollbrachten Hinterlist. Und als die
  andre nach drei Stunden, um die Essenszeit, vergnügt auch heimging unter
  den letzten, nahm sie der Täuscherei nicht im geringsten wahr.
  Der Pechschwitzer aber, der wußte den Handel haarklein und dachte jetzt
  darauf, wie er dem Bläse gleich die nächste Nacht den Teufel im Glas
  zeigen wolle.
  
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