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Das Stuttgarter Hutzelmännlein - 3
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Inwährend diesem argen Lärm nun hörte man die Fürstin in ihrem
Ohnmachtschlaf so innig lachen, wie sie damals im Traum getan, wo sie
den Abt sah springen. Der Koch vernahm es noch von weitem, und ob er's
schon auf sich zog und mit Grund, erkannte er doch gern daraus, daß es
nicht weiter Not mehr habe mit der Frau.
Bald kam mit guter Zeitung auch die Jutte heim, die Kleider, den Rock
und das Leibchen im Arm, welche die schöne Lau zum letztenmal heut' am
Leibe gehabt. Von ihren Kammerjungfern, die sie am Topf in Beisein des
Mädchens empfingen, erfuhr sie gleich zu ihrem großen Trost, der König
sei noch nicht gekommen, doch mög' es nicht mehr lang' anstehn; die
große Wasserstraße sei schon angefüllt. Dies nämlich war ein breiter,
hoher Felsenweg, tief unterhalb den menschlichen Wohnstätten, schön grad
und eben mitten durch den Berg gezogen, zwo Meilen lang von da bis an
die Donau, wo des alten Nixen Schwester ihren Fürstensitz hatte.
Derselben waren viele Flüsse, Bäche, Quellen dieses Gaues dienstbar; die
schwellten, wenn das Aufgebot an sie erging, besagte Straße in gar
kurzer Zeit so hoch mit ihren Wassern, daß sie mit allem Seegetier,
Meerrossen und Wagen füglich befahren werden mochte, welches bei
festlicher Gelegenheit zuweilen als ein schönes Schaugepräng mit vielen
Fackeln und Musik von Hörnern und Pauken geschah.
Die Zofen eilten jetzo sehr mit ihrer Herrin in das Putzgemach, um sie
zu salben, zöpfen und köstlich anzuziehen, das sie auch gern zuließ und
selbst mithalf; denn sie in ihrem Innern fühlte, es sei nun jegliches
erfüllt zusamt dem Fünften, so der alte Nix und sie nicht wissen durfte.
Drei Stunden wohl, nachdem der Wächter Mitternacht gerufen (es schlief
im Nonnenhof schon alles), erscholl die Kellerglocke zweimal mächtig,
zum Zeichen, daß es Eile habe, und hurtig waren auch die Frauen und die
Töchter auf dem Platz.
Die Lau begrüßte sie wie sonst vom Brunnen aus, nur war ihr Gesicht von
der Freude verschönt, und ihre Augen glänzten, wie man es nie an ihr
gesehen. Sie sprach: »Wißt, daß mein Ehgemahl um Mitternacht gekommen
ist! Die Schwieger hat es ihm voraus verkündigt ohnelängst, daß sich in
dieser Nacht mein gutes Glück vollenden soll, darauf er ohne Säumen
auszog mit Geleit der Fürsten, seinem Ohm und meinem Bruder Synd und
vielen Herren. Am Morgen reisen wir. Der König ist mir hold und gnädig,
als hieß' ich von heute an erst sein Gespons. Sie werden gleich vom Mahl
aufstehn, sobald sie den Umtrunk gehalten. Ich schlich auf meine Kammer
und hierher, noch meine Gastfreunde zu grüßen und zu herzen. Ich sage
Dank, Frau Ahne, liebe Jutta, Euch Söhnerin und Jüngste dir. Grüßet die
Männer und die Mägde! In jedem dritten Jahr wird euch Botschaft von mir;
auch mag es wohl geschehn, daß ich noch bälder komme selber: da bring'
ich mit auf diesen meinen Armen ein lebend Merkmal, daß die Lau bei euch
gelacht. Das wollen euch die Meinen allezeit gedenken, wie ich selbst.
Für jetzo, wisset, liebe Wirtin! ist mein Sinn, einen Segen zu stiften
in dieses Haus für viele seiner Gäste. Oft habe ich vernommen, wie Ihr
den armen wandernden Gesellen Guts getan mit freier Zehrung und
Herberg'. Damit Ihr solchen fortan mögt noch eine weitere Handreichung
tun, so werdet Ihr zu diesem Ende finden beim Brunnen hier einen
steinernen Krug voll guter Silbergroschen: davon teilt ihnen nach
Gutdünken mit! und will ich das Gefäß, bevor der letzte Pfennig
ausgegeben, wieder füllen. Zudem will ich noch stiften auf alle hundert
Jahr fünf Glückstage (denn dies ist meine holde Zahl) mit
unterschiedlichen Geschenken also, daß wer von reisenden Gesellen der
erste über Eure Schwelle tritt am Tag, der mir das erste Lachen brachte,
der soll empfangen aus Eurer oder Eurer Kinder Hand von fünferlei
Stücken das Haupt. Ein jeder, so den Preis gewinnt, gelobe, nicht Ort
noch Zeit dieser Bescherung zu verraten. Ihr findet aber solche Gaben
jedesmal hier nächst dem Brunnen. Die Stiftung, wisset! mache ich für
alle Zeit, solang' ein Glied von Eurem Stamme auf der Wirtschaft ist.«
Nach diesen Worten nahm sie nochmals Abschied und küßte ein jedes. Die
beiden Frauen und die Mädchen weinten sehr. Sie steckte Jutten einen
Fingerreif mit grünem Schmelzwerk an und sprach dabei: »Ade, Jutta! Wir
haben zusammen besondere Holdschaft gehabt, die müsse fernerhin
bestehen!« -- Nun tauchte sie hinunter, winkte und verschwand.
In einer Nische hinter dem Brunnen fand sich richtig der Krug samt den
verheißenen Angebinden. Es war in der Mauer ein Loch mit eisernem
Türlein versehen, von dem man nie gewußt, wohin es führe; das stand
jetzt aufgeschlagen, und war daraus ersichtlich, daß die Sachen durch
dienstbare Hand auf diesem Weg seien hergebracht worden, deshalb auch
alles wohl trocken verblieb. Es lag dabei ein Würfelbecher aus
Drachenhaut, mit goldenen Buckeln beschlagen, ein Dolch mit kostbar
eingelegtem Griff, ein elfenbeinen Weberschifflein, ein schönes Tuch von
fremder Weberei und mehr dergleichen. Aparte aber lag ein Kochlöffel aus
Rosenholz mit langem Stiel, von oben herab fein gemalt und vergoldet,
den war die Wirtin angewiesen dem lustigen Koch zum Andenken zu geben.
Auch keins der andern war vergessen.
Frau Betha hielt bis an ihr Lebensende die Ordnung der guten Lau heilig,
und ihre Nachkommen nicht minder. Daß jene sich nachmals mit ihrem Kind
im Nonnenhof zum Besuch eingefunden, davon zwar steht nichts in dem
alten Buch, das diese Geschichten berichtet, doch mag ich es wohl
glauben.
* * * * *
Es waren seit der Fürstin Abschied nah bei hundert Jahr vergangen, als
unser Seppe, der Schuster, im Dörflein Suppingen vom Wagen stieg, dem
Bäuerlein noch vielmals dankte und sich von ihm den Weg Blaubeuren zu
nachweisen ließ. Bis Mittag, sagte der Mann, könne er gar wohl dort
sein.
Das hätte sich auch nicht gefehlt, bald aber fing sein Hühneraug' ihn
wieder zu buksieren an. Er mußte alle fünfzig Schritt hinsitzen, und
wenn er einmal saß, trat er das Rad so fleißig, als wenn er auf
Bestellung zu arbeiten hätte. Endlich zum letztenmal riß er sich auf und
hinkte vollends die Steig hinab.
Sie läuteten im Kloster drei, da er ins Städtlein kam.
Während er nun auf die Herberge zuging, lief eben Jörg Seysolff, der
Wirt und Bräumeister, über den Hof und sprach zu seinem Weib, die auf
der Hausbank saß und ihren Salat zum Abendessen putzte: »Schau, Emerenz,
da kommt auch schon der dritt'!« -- »Ei, weiß Gott!« sagte sie, »und ist
ein Unterländer.« -- »Ach mein, knappt der daher! dem sei es 'gunnt.«
Der Seppe sah hoch auf, als ihn die Leute so mit sonderlicher
Freundlichkeit begrüßten. Sie gingen alle beide gleich mit ihm hinauf.
Er ließ sich eine Halbe geben, ein Sauerkraut mit Schweinefleisch
aufwärmen.
Der Wirt, wie er vernahm, daß er von Stuttgart käme, frug ihn nach dem
und jenem: ob sie auch Hagelwetter drunten hätten, was jetzt die Gerste
gelte, bis wann des Grafen Jüngste Hochzeit habe, von deren Schönheit
man überall höre. Der Seppe diente ihm auf alles ordentlich, dagegen er
sich übers Essen manches von hiesigen Geschichten, besonders von dem
Wasserweib, erzählen ließ. Auch zeigte ihm der Wirt das alte Konterfei
von ihr im Hausgang an der Stiege sowie das herrliche Kunstwerk, den
Bauren-Schwaiger, an welchem er sich nicht satt sehen und hören konnte.
»Der den gemacht hat,« sagt' er, »den laßt mir einmal einen Dreher
heißen!« -- »Ja,« meinte Jörg, »die Arbeit ist auch nicht an einem Tag
gemacht.« -- »Will's glauben!« sagte der Seppe und seufzte, denn er
gedachte an seine Dreherei.
Nachdem er nun gegessen und getrunken, frug er nach seiner Schuldigkeit.
»Zween Batzen!« war die Antwort. Die legte der Seppe auf den Tisch.
»Bekämt Ihr sechzehn Kreuzer 'naus,« sagte der Wirt, zählte sie hin und
steckte die zween Batzen ein, wie wenn es sich so in der ganzen Welt von
selbst verstünde. Es war jedoch ein alter Brauch von der Frau Betha
Zeiten her, den Reisenden auf solche Weise ihren Zehrpfennig zu reichen.
Der Schuster lächelte, als wollt' er fragen: »Wie ist das gemeint?« --
»Laßt's gut sein, lieber Gesell!« sprach Jörg Seysolff. »Kommt mit zu
meinem Ehni! der sagt Euch schon mehr.«
Er führte ihn durch einen langen Gang an eine stille Tür, die tat er vor
ihm auf. Da saß in einer säuberlichen Stube ein gar schöner Greis von
achtzig Jahr in einem Sorgenstuhl beim Fenster. Die Sonne fiel eben ein
wenig zwischen den Vorhänglein durch auf einen kleinen Tisch, so vor ihm
stand, schneeweiß gedeckt, darauf nichts weiter denn ein blauer Topf mit
Wasser und noch etwas in einem Tuche war. Der Alte aber war der kleine
Hans, Frau Bethas Herzblatt gewesen. Er redete den Schuster in Gegenwart
des Wirtes also an:
Hab' Gott zum Gruß auf dieser Schwell'!
Obwohl das Glück dein Reis'gesell,
Ob solches mit dir in der Wiegen
Von Mutterleib aus kam zu liegen,
Ob du es in dem Gürtel hegest,
Ob du es in den Sohlen trägest.
Hierauf behändigte der Greis dem Seppe das Tüchlein und sprach: »Du
magst es einmal, wenn du Meister bist und gründest deinen eignen Herd,
deiner Liebsten verehren, am Heiratstag, dazu dir aller Segen werde.«
Was aber war im Tuch? Eine silberne Haube; man konnte nichts Schöneres
sehen. Der Seppe wäre deckenhoch gesprungen, wenn sich's geschickt
hätte.
Nun sagte ihm der Alte, wem er das Angebind verdanke; dann ließ er ihn
Verschwiegenheit geloben, zu dessen sichtlicher Bekräftigung er einen
Finger in dem Topf netzen und auf den Mund legen mußte. Auch gab er dem
Gesellen noch eine christliche Vermahnung, empfing den Dank desselben,
und ganz am End' empfahl er ihm, wenn er ein Klötzlein Blei von ungefähr
wo finde hier herum, so möge er solches daher in den Nonnenhof bringen.
In seines Herzens Freude fast hätte er's versprochen: da fiel ihm zum
Glück noch der Pechschwitzer ein; deswegen er sagte: »Ich will sehn.«
Jetzt machte er sich auf die Bahn und lenkte seine Schritte zuvörderst
hinter das Kloster, wo ihm der Quell gleich in die Augen strahlte. So
viel man ihm davon gerühmt, doch hätte er sich solche Wunderpracht in
seinem Sinn nicht eingebildet, und meinte er bei sich, es sei nicht
anders denn als wenn zum wenigsten ein Stücker sechs Blaufärber samt
einem vollen Kessel eben erst darin ersoffen wären.
Wie er sich recht daran ersättigt und im Andenken an das Wasserweib
etliche Vaterunser aus gutem Herzen für ihr Heil gebetet hatte (denn er
der Meinung war, sie sitze schon bei hundert Jahr samt andern armen
Heidenseelen auf der hellen Wiese, da sie in Wahrheit jung und schön wie
ehedem noch bei den Ihren lebte), vergaß er auch das Klötzlein nicht,
nach welchem so viel Fragens war. Er hatte von dem Doktor Veylland und
dem Lot schon als ein kleiner Bube den Urgroßvater hören erzählen. Der
Bauer wußte nichts davon; den Wirt im Nonnenhof befrug er aber nicht,
weil ihm erst jetzt einkam, es sei mit dem Blei wohl gar dasselbe Lot
gemeint. Nun sah er hinter manchen Busch und Baum und weiterhin an
seiner Straße hier und dort in einen Graben, fand aber nichts
dergleichen und ließ sich endlich deshalb keine grauen Haare wachsen.
Der Schmerzen seines Fußwerks ganz und gar vergessen und nichts als
Glücksgedanken und Habergeisen in dem Kopf, hinkt' er so immerfort das
Blautal hinunter. Bisweilen, wenn es ihm sein Linker zu arg machte,
hockt' er auf einen Stein, packte die silberne Haube heraus und legte
sie vor sich aufs Knie, an seinen zukünftigen Schatz dabei denkend. Es
war nur gut, daß ihm nicht wissend, was schon zween andere Gesellen, ein
Feilenhauer und ein Nagelschmied, nur eine halbe Stunde, eh' er kam, aus
dem Nonnenhof davongetragen: er hätte seine Haube nur noch mit halben
Freuden angesehen. Die beiden Bursche waren auf der Steig hinter der
Stadt an dem Schuster vorübergekommen und hatten ihn gegrüßt, doch weil
er eben saß und in Gedanken mit dem Rad im besten Werken war, so sah er
gar nicht auf und brummte nur so für sich hin: »Schön guten Morgen!« --
obzwar die Sonne ihm von Abend auf den Buckel schien. »Ja, Morgen nach
dem Bad!« sagte der eine, und lachten sich beide die Haut voll darüber.
Mit sinkender Nacht kam er wohl- oder übelbehalten nach Ulm.
Es war gerade Markt und hie und da Musik und Tanz. Er trat in eins der
nächsten Wirtshäuser, wo ihrer sechs Gesellen beim Wein an einem Tisch
beisammen saßen und einen Rundgesang anstimmten. Mann für Mann sang
einzeln sein Gesetz, darauf mit Macht der Chor einfiel und sie alle die
Gläser anstießen. Der Leser mag wohl so viel Verse vernehmen, als sie
eben jetzt sangen; das Lied im ganzen ist viermal so lang.
_Erster Gesell_: Seid ihr beisammen all'?
Ihr Freund', auf allen Fall
Zeigt eure Professionen an,
Daß wir nach Sitten stoßen an
Mit großem Freudenschall!
_Chor_: Zeigt eure Professionen an,
Daß wir nach Sitten stoßen an!
_Zweiter_: Eine Wiege vor die Freud',
Eine Bahre vor das Leid:
Meinem Hobel ist das alles gleich,
Der denkt: Ich mach' den Meister reich,
Spän' gibt es allezeit.
_Chor_: Seinem Hobel ist usw.
_Dritter_: Meine Arbeit ist wohl fein,
Von Gold und Edelstein!
Allein das kriegt man bald gar satt,
Zumal man es nicht eigen hat:
Gebt mir so güldnen Wein!
_Chor_: Ich glaub's ihm schon, das wird man satt usw.
_Vierter_: Wen freut ein kecker Mut,
Nicht dau'rt sein junges Blut,
Ich schaff' ihm Wehre mannigfalt,
Zu Scherz und Ernst, wid'r Feindsgewalt;
Mein Zeug ist allweg gut.
_Chor_: Und gilt es wider Feindsgewalt,
Ein Spieß und Schwert uns auch gefallt.
_Fünfter_: Der Schneider sitzt am Glas:
Vom Wirt nehm' ich die Maß.
Zu Hause schaff' ich gar nicht viel,
Meine Stich' mach' ich beim Kartenspiel,
Da weiß ich doch, für was.
_Chor_: Ei, Bruder Leipziger, bessr' Er sich!
Denn, sieht Er, das ist liederlich.
_Sechster_: Meine Kunst, das glaubt gewiß!
Schreibt sich vom Paradies.
Von Mägdlein bin ich wertgeschätzt,
Ich hab' ja, was ihr Herz ergötzt:
Veiel und Röslein süß.
_Chor_: Von Mägdlein ist er usw.
Jetzt kam die Reihe an den Schuster, und da derselbe sein Gesetzlein so
aus froher Kehle sang, ward es dem Seppe um den Brustfleck weh, daß er
sein gutes Handwerk lassen sollte. Dabei vermerkte er, wie ihn sein
rechter Schuh zweimal ganz weidlich vor Vergnügen zwickte, so zwar, wie
wenn er sagen wollte: Hörst du, Narr?
_Erster_: Gebt meinem Stand die Ehr'!
Den Schuster braucht man sehr.
Zwar führ' ich nicht den besten Gout,
Allein wer macht euch Hochzeitschuh,
Wenn ich kein Schuster wär'?
_Chor_: Zwar führt er nicht usw.
Dem Seppe quoll bereits das Wasser in den Augen; er sprach bei sich mit
ingrimmigen Schmerzen: Du bist kein Schuster und bist auch kein Dreher,
du bist der wirtembergisch Niemez! Und schwur in seiner Seele, hinfort
zu bleiben, was er war.
_Zweiter_: Und wer kein Pietist
Und auch kein Hundsfott ist,
Der mag sich wohl beim Wein erfreun.
Mein letzter Schluck soll ehrlich sein!
So meint's ein guter Christ.
_Chor_: Stoßt an, Kameraden, stimmet ein:
Mein letzter Schluck soll ehrlich sein!
Hier stand der Seppe auf, trat hin zu den Kompanen und grüßte mit
bescheidener Ansprache. Da machten sie ihm Platz an ihrem Tisch, tranken
ihm zu und hörten, was für ein Landsmann er sei, welches Gewerbs, wohin
er wollte. »Warum bleibt Ihr nicht hier?« sagte Vinzenz, der Schuster:
»In Ulm ist es schön, und Arbeit findet Ihr dermal genug.« -- Er ließ
sich nicht schwer überreden, und schon den andern Tag stand er bei einer
jungen Witwe ein, von welcher ihm der Herbergvater sagte.
Als er das erstemal in deren Haus einging, empfing er eine Warnung: sein
Rechter wollte nicht über die Schwelle; doch achtete er weiter nicht
darauf.
Die Witwe war eine schöne Person, und wie der Seppe schon nicht leicht
mehr eine ansah, daß ihm nicht einfiel, was der Pechschwitzer sagte:
»Vielleicht begegnet dir dein Glück einmal auf Füßen,« so prüfte er auch
jetzt, obwohl mit schüchternen Blicken, die stattliche Frau. Sie sah
sehr blaß, nicht gar vergnügt und sparte ihre Worte gegen jedermann. Ihr
Tun in allen Dingen war aber sanft und klug, so daß sie einen jungen
Mann wohl locken konnte.
Es mag zuvor schon manchem so mit ihr gegangen sein, beim Seppe blieb es
auch nicht aus, und desto minder, da ihm nach den ersten Wochen deuchte,
er gelte vor den andern etwas bei der Meisterin. Geschah es, daß sie
ihrer einen nötig hatte zu einer kleinen Hilfe außerhalb der Werkstatt,
dann rief sie immer zehnmal gegen eines ihn vom Stuhl hinweg, und wenn
er Samstags für die Küche Holz klein sägte, sie aber backte eben
Zwiebelkuchen, da trug sie ihm gewiß ein Stück, warm von dem Ofen weg,
zum voraus in den Schopf hinaus; das schmeckte zu solchem Geschäft aus
der Faust ganz außer Maßen.
Von dort an aber gebärdeten sich des Hutzelmanns lederne Söhne sehr
übel; insonderheit auf der Gesellenkammer war oft die halbe Nacht in
Seppes Kasten, wo sie standen, ein Gepolter und Gerutsch, als hätten sie
die ärgsten Händel miteinander, und die Gesellen schimpften und fluchten
nicht wenig deshalb. »Es ist der Marder,« sagten sie. »Er hat den alten
Schlupf zwischen den Dielen wieder gefunden; wird nicht viel fehlen, hat
er Junge; wir brechen morgen auf und bescheren ins Kindbett.« -- Der
Seppe schwieg dazu; am andern Morgen aber holt' er in der Stille einen
schweren platten Stein aus einem Bühnenwinkel vor, den stellte er
bedachtsam mit dem Rand auf sie, quer über den Reihen. »So,« sprach er,
»jetzt, ihr Ketzer, ihr schwernötige, jetzt bocket, gampet und
durnieret, wenn ihr könnt!« -- Da molestierten sie hinfort auch niemand
mehr.
* * * * *
Nun, lieber Leser, ist es Zeit, daß du erfahrest, wie es derweil
ergangen mit dem andern Paar, das der Gesell an jenem Morgen auf der
Brücke ließ, als er aus Stuttgart wanderte.
Nicht tausend Schritt war er hinweg, kam eine Bäuerin von Häslach her
und sah die Schuh. Die hat der Böse hingestellt mir zur Versuchung!
dachte sie, bekreuzte sich und lief ihrer Wege. Spazierte drauf -- denn
es war Feiertag -- ein Seifensieder aus der Stadt gemächlich, nach
seinem Weinberg auszuschauen. Derselbe aber war ein Frommer. Wie er die
herrenlose Ware sieht, denkt er: Wie geht das zu? Die wären meiner Frau
wie angemessen! Ich will mich nicht vergreifen, das sei fern: nur wenn
ich wiederkomme und sie stehn noch da, mag mir's ein Zeichen sein, daß
sie der liebe Gott mir schenkt für meine Christel. Damit das Pärlein
aber nicht etwan von der Sonnenhitze leide, nahm es der kluge Mann und
stellte es unter die Brücke in Schatten, wo es nicht leicht ein Mensch
entdecken mochte.
Bald darauf kommt aus dem Tor ein sauberes Bürgermädchen, Vrone
Kiderlen, einer Witfrau Tochter; trug ein Grättlein am Arm und wollte
Himbeeren lesen im Bupsinger Wald (der hatte seinen Namen von einer
Ortschaft auf dem Berg, von welcher heutzutag die Spur nicht mehr
vorhanden ist, doch heißt der Wald daher noch jetzo der Bopser). Indem
sie nun über das Brücklein geht, patscht etwas unten, und so ein paarmal
nacheinander. Was mag das sein? denkt sie und steigt hinunter an den
Bach. »Heilige Mutter! nagelneue Schuh!« ruft sie und schaut sich um, ob
sie nicht jemand sehe, der sie vexieren wollte oder ihr den schönen Fund
tun ließ, weil eben heut' ihr Wiegentag war. Sie nahm das Paar, zog es
zur Probe einmal an und freute sich, wie gut es ihr paßte, und wie gar
leicht sich darin gehen ließ. Bald aber kam ihr ein Bedenken an, und
schon hat sie den einen wieder abgestreift; der andere hingegen wollte
ihr nicht mehr vom Fuß. Sie drückte, zog und preßte, daß ihr der Schweiß
ausbrach, half nichts -- und war sie doch so leicht hineingekommen!
Je mehr sie diesem Ding nachdachte, desto verwunderlicher kam's ihr vor.
So eine verständige Dirne sie war, am Ende glaubte sie gewiß, die Schuhe
seien ihr von ihrer Namensheiligen Veronika auf diesen Tag beschert, und
dankte alsbald der Patronin aus ehrlichem Herzen. Dann zog sie ohne
weiteres auch den andern wieder an, schob ihre alten in den Deckelkorb
und stieg getrost den Berg hinauf.
Im Wald traf sie ein altes Weib bereits im Himbeerlesen an. Diese
gesellte sich zu ihr, obwohl sie einander nicht kannten. Während aber
nun beide so hin und her suchten, geschah's, daß sich der Vrone an den
linken Fuß eine kostbare Perlenschnur hing, die da im Moos verloren lag.
Das Mädchen merkt' es nicht und trat beim nächsten Schritt von ungefähr
sich mit dem andern Schuh die Schnur vom linken los; das sah das Weib
von hinten, hob heimlich das Geschmeide auf und barg's in ihrem Rock.
Die Schnur war aber keine andere denn jene von der schönen Lau und war
an die Tochter des jetzigen Grafen, die schöne Irmengard, von dessen
Frau Ahne vererbt.
Als endlich die zwei nacheinander heimgingen, verkündigte just in den
Straßen des Grafen Ausrufer, daß gestern im Bupsinger Forst unfern dem
Lusthaus ein Nuster mit Perlen verloren gegangen, und wer es wieder
schaffe, dem sollten fünfzehn Goldgulden Finderlohn werden. Da freute
sich das Weib, zog eilig ihre besten Kleider daheim an, kam in das
Schloß und ward sogleich vor die junge Gräfin gelassen. »Ach Frau, ach
liebe Frau!« rief diese ihr schon in der Tür entgegen, »Ihr habt wohl
mein Nuster gefunden? Gebt her, ich will es Euch lohnen!«
Nun zog das Weib ein Schächtelein hervor, und wie das Fräulein es
aufmachte, lagen sechs oder sieben zierliche Mausschwänze darin, nach
Art eines Halsbands künstlich geschlungen. Das Fräulein tat einen Schrei
und fiel vor Entsetzen in Ohnmacht. Das Weib, in Todesängsten, lief
davon, ward aber von der Wache auf den Gängen festgenommen und in Haft
zu peinlichem Verhör gebracht. Darin bekannte sie nichts weiter, als daß
sie da und da den Perlenschmuck vom Boden aufgehoben und ihn, so schön,
wie er gewesen, daheim in die Schachtel getan, der guten und ehrlichen
Meinung, das gnädige Fräulein damit zu erfreuen. Im Wald sei aber eine
Dirn an sie geraten, die müss' es mit dem Bösen haben; von dieser sei
der Streich. -- Weil nun der Graf nicht wollte, daß man bei so bewandten
Sachen viel Aufhebens mache, da mit Gewalt hier nichts zu richten sei,
ließ man das Weib mit Frieden. Zum Glück kam nichts von ihren Reden an
die Vrone: sie wäre ihres guten Leumunds wegen drob verzweifelt.
Auch anderweits erlebte sie in ihren Wunderschuhen viel Unheil, obwohl
der Segen nicht ganz mangelte. Als zum Exempel ging sie Sonntag
nachmittag gern über einen Wiesplatz hinter ihrem Haus, eine Gespielin
zu besuchen, da stieß sie sich ein wie das anderemal an so ein kleines
verwünschtes Ding von einem Stotzen, wie sie pflegen auf Bleichen im
Wasen zu stecken, fiel hin, so lang sie war, hub aber sicher einen Fund
vom Boden auf: nicht allemal ein Stücklein altes Heidengold, einen
silbernen Knopf oder Wirtel, dergleichen oft der Maulwurf aus der Erde
stößt, doch war ihr ein ehrliches Gänsei, noch warm vom Legen, gewiß.
Besonders ging es ihr beim Tanz: da sah man sie zuweilen so konträre,
wiewohl kunstreiche Sprünge tun, daß alles aus der Richte kam und sie
sich schämen mußte. Als ein gutes und fröhliches Blut zwar zog sie
sich's nicht mehr als billig zu Gemüt und lachte immer selbst am ersten
über sich; nur hieß es hinterdrein: »Schad' um die hübsche Dirne, sie
wird mit einem Mal ein ganzer Dapp!« Die eigne Mutter schüttelte den
Kopf bedenklich, und eines Tages sagte sie, als ginge ihr ein Licht wie
eine Fackel auf, zur Tochter: »Ich wette, die vertrackten Schuh allein
sind schuld! Der Alfanz hat mir gleich nur halb gefallen; wer weiß, was
für ein Rauner sie hingestellt hat!« -- Das Mädchen hatte selber schon
an so etwas gedacht, jedoch verstand sie sich nicht leicht dazu, sie
gänzlich abzuschaffen; sie waren eben gar zu gut und dauerhaft. Indes
ging sie noch jenen Tag zum Meister Bläse, sich ein Paar neue zu
bestellen. Es war derselbige, bei welchem es der Seppe nicht aushalten
mögen. Die Vrone sah auf dessen Stühlchen ungern einen andern sitzen;
sie hatte ihn gekannt und gar wohl leiden können.
Wie nun der alte Bläse ihr das Maß am Fuß nahm, stachen ihm die fremden
Schuhe alsbald in die Augen. Er nahm den einen so in seine feiste Hand,
betrachtete ihn stillschweigend lang' und sagte: »Da hat Sie was
Apartes. Darf man fragen, wo die gemacht sind?« -- Das Mädchen, welches
bis daher von ihrem Fund noch weiter niemand hatte sagen wollen, gab
scherzweis zur Antwort: »Ich hab' sie aus dem Bach gezogen.« -- Die fünf
Gesellen lachten, der Alte aber brummte vor sich hin: »Das könnt' erst
noch wahr sein!«
Am Abend in der Feierstunde sprach er zu seinem Weib und seiner Tochter
Sara: »Ich will euch etwas offenbaren. Die Kiderlen hat ein Paar
Glücksschuh am Fuß; ich kenne das Wahrzeichen.« -- »Ei,« meinte die
Tochter aus Neid, »sie haben ihr noch keinen Haufen Geld und auch noch
keinen Mann gebracht.« -- »Es kann noch kommen,« versetzte der Alte. --
»Wohl,« sagte die Mutter, »wenn man sie ihr nur abführen könnt'! Ich
wollte so etwas der Sare gönnen.« -- Da beschlossen sie dann
miteinander, der Vater solle ein Paar Schuh wie diese machen und die
Sare sie heimlich verwechseln.
Der Mann begab sich gleich den andern Morgen an die Arbeit. So häkelig
sie war, dennoch, die feinen, wundersam gezackten Nähte, die rote
Fütterung mit einem abgetragenen Stück Leder, alles zumal geriet so
wohl, daß er selbst sein Vergnügen dran hatte. Die böse List ins Werk zu
setzen, ersannen sie bald auch Mittel und Wege.
Dicht bei der Stadt, wo man herauskommt bei dem Tor, welches nachmals,
von dortiger Schießstatt her, das Büchsentor hieß, sah man zu jener Zeit
noch einen schönen, ansehnlichen Weiher, ähnlich dem Feuersee, der eine
gute Strecke weiter oben dermalen noch besteht. Am Ufer war ein Balken-
und Brettergerüst mit Tischen und Bänken hinein in das Wasser gebaut, wo
die Frauen und Dirnen der Stadt ihre Wäsche rein zu machen pflegten.
Hier stunden sie manchmal zu vierzig oder fünfzig, seiften und rieben um
die Wette und hatten ein Gescherz und Geschnatter, daß es eine Lust war,
alle mit bloßen Armen und Füßen. Nun paßten des Schusters wohl auf, bis
die Vrone das nächstemal wusch; denn Bläses Haus lag hart am See, und
stieß das Wasser unten an die Mauer. Auf einen Mittwoch Morgen, da eben
schönes warmes Wetter war, kam denn die junge Kiderlen mit einer Zaine:
geschwind sprang auch die Sare mit der ihren und traf es glücklich,
neben sie an einen Tisch zu kommen. Da stellten beide ihre Schuh, wie es
der Brauch war, unter die Bank. Die Vrone hatte seit acht Tagen heute
das erstemal ihr Glückspaar wieder angelegt, mit Fleiß: denn weil sie
richtig dieser ganzen Zeit das Melkfaß nimmer umgestoßen, das Spinnrad
nimmer ausgetreten noch sonst einen bösen Tritt getan, so wollte sie,
des Dinges ganz gewiß zu sein, jetzo die Gegenprobe machen. Die falsche
Diebin war mit den paar Laken, so sie mitgenommen, in einer Kürze
fertig, schlug sie zusammen, bückte sich, stak in einem Umsehn in des
Pechschwitzers Schuhen, schob ihres Vaters Wechselbälge dafür hin und:
»Bhüt' Gott, Vronele! mach' au bald ein End!« -- mit diesen Worten lief
sie fort, frohlockend ihrer wohlvollbrachten Hinterlist. Und als die
andre nach drei Stunden, um die Essenszeit, vergnügt auch heimging unter
den letzten, nahm sie der Täuscherei nicht im geringsten wahr.
Der Pechschwitzer aber, der wußte den Handel haarklein und dachte jetzt
darauf, wie er dem Bläse gleich die nächste Nacht den Teufel im Glas
zeigen wolle.
Ohnmachtschlaf so innig lachen, wie sie damals im Traum getan, wo sie
den Abt sah springen. Der Koch vernahm es noch von weitem, und ob er's
schon auf sich zog und mit Grund, erkannte er doch gern daraus, daß es
nicht weiter Not mehr habe mit der Frau.
Bald kam mit guter Zeitung auch die Jutte heim, die Kleider, den Rock
und das Leibchen im Arm, welche die schöne Lau zum letztenmal heut' am
Leibe gehabt. Von ihren Kammerjungfern, die sie am Topf in Beisein des
Mädchens empfingen, erfuhr sie gleich zu ihrem großen Trost, der König
sei noch nicht gekommen, doch mög' es nicht mehr lang' anstehn; die
große Wasserstraße sei schon angefüllt. Dies nämlich war ein breiter,
hoher Felsenweg, tief unterhalb den menschlichen Wohnstätten, schön grad
und eben mitten durch den Berg gezogen, zwo Meilen lang von da bis an
die Donau, wo des alten Nixen Schwester ihren Fürstensitz hatte.
Derselben waren viele Flüsse, Bäche, Quellen dieses Gaues dienstbar; die
schwellten, wenn das Aufgebot an sie erging, besagte Straße in gar
kurzer Zeit so hoch mit ihren Wassern, daß sie mit allem Seegetier,
Meerrossen und Wagen füglich befahren werden mochte, welches bei
festlicher Gelegenheit zuweilen als ein schönes Schaugepräng mit vielen
Fackeln und Musik von Hörnern und Pauken geschah.
Die Zofen eilten jetzo sehr mit ihrer Herrin in das Putzgemach, um sie
zu salben, zöpfen und köstlich anzuziehen, das sie auch gern zuließ und
selbst mithalf; denn sie in ihrem Innern fühlte, es sei nun jegliches
erfüllt zusamt dem Fünften, so der alte Nix und sie nicht wissen durfte.
Drei Stunden wohl, nachdem der Wächter Mitternacht gerufen (es schlief
im Nonnenhof schon alles), erscholl die Kellerglocke zweimal mächtig,
zum Zeichen, daß es Eile habe, und hurtig waren auch die Frauen und die
Töchter auf dem Platz.
Die Lau begrüßte sie wie sonst vom Brunnen aus, nur war ihr Gesicht von
der Freude verschönt, und ihre Augen glänzten, wie man es nie an ihr
gesehen. Sie sprach: »Wißt, daß mein Ehgemahl um Mitternacht gekommen
ist! Die Schwieger hat es ihm voraus verkündigt ohnelängst, daß sich in
dieser Nacht mein gutes Glück vollenden soll, darauf er ohne Säumen
auszog mit Geleit der Fürsten, seinem Ohm und meinem Bruder Synd und
vielen Herren. Am Morgen reisen wir. Der König ist mir hold und gnädig,
als hieß' ich von heute an erst sein Gespons. Sie werden gleich vom Mahl
aufstehn, sobald sie den Umtrunk gehalten. Ich schlich auf meine Kammer
und hierher, noch meine Gastfreunde zu grüßen und zu herzen. Ich sage
Dank, Frau Ahne, liebe Jutta, Euch Söhnerin und Jüngste dir. Grüßet die
Männer und die Mägde! In jedem dritten Jahr wird euch Botschaft von mir;
auch mag es wohl geschehn, daß ich noch bälder komme selber: da bring'
ich mit auf diesen meinen Armen ein lebend Merkmal, daß die Lau bei euch
gelacht. Das wollen euch die Meinen allezeit gedenken, wie ich selbst.
Für jetzo, wisset, liebe Wirtin! ist mein Sinn, einen Segen zu stiften
in dieses Haus für viele seiner Gäste. Oft habe ich vernommen, wie Ihr
den armen wandernden Gesellen Guts getan mit freier Zehrung und
Herberg'. Damit Ihr solchen fortan mögt noch eine weitere Handreichung
tun, so werdet Ihr zu diesem Ende finden beim Brunnen hier einen
steinernen Krug voll guter Silbergroschen: davon teilt ihnen nach
Gutdünken mit! und will ich das Gefäß, bevor der letzte Pfennig
ausgegeben, wieder füllen. Zudem will ich noch stiften auf alle hundert
Jahr fünf Glückstage (denn dies ist meine holde Zahl) mit
unterschiedlichen Geschenken also, daß wer von reisenden Gesellen der
erste über Eure Schwelle tritt am Tag, der mir das erste Lachen brachte,
der soll empfangen aus Eurer oder Eurer Kinder Hand von fünferlei
Stücken das Haupt. Ein jeder, so den Preis gewinnt, gelobe, nicht Ort
noch Zeit dieser Bescherung zu verraten. Ihr findet aber solche Gaben
jedesmal hier nächst dem Brunnen. Die Stiftung, wisset! mache ich für
alle Zeit, solang' ein Glied von Eurem Stamme auf der Wirtschaft ist.«
Nach diesen Worten nahm sie nochmals Abschied und küßte ein jedes. Die
beiden Frauen und die Mädchen weinten sehr. Sie steckte Jutten einen
Fingerreif mit grünem Schmelzwerk an und sprach dabei: »Ade, Jutta! Wir
haben zusammen besondere Holdschaft gehabt, die müsse fernerhin
bestehen!« -- Nun tauchte sie hinunter, winkte und verschwand.
In einer Nische hinter dem Brunnen fand sich richtig der Krug samt den
verheißenen Angebinden. Es war in der Mauer ein Loch mit eisernem
Türlein versehen, von dem man nie gewußt, wohin es führe; das stand
jetzt aufgeschlagen, und war daraus ersichtlich, daß die Sachen durch
dienstbare Hand auf diesem Weg seien hergebracht worden, deshalb auch
alles wohl trocken verblieb. Es lag dabei ein Würfelbecher aus
Drachenhaut, mit goldenen Buckeln beschlagen, ein Dolch mit kostbar
eingelegtem Griff, ein elfenbeinen Weberschifflein, ein schönes Tuch von
fremder Weberei und mehr dergleichen. Aparte aber lag ein Kochlöffel aus
Rosenholz mit langem Stiel, von oben herab fein gemalt und vergoldet,
den war die Wirtin angewiesen dem lustigen Koch zum Andenken zu geben.
Auch keins der andern war vergessen.
Frau Betha hielt bis an ihr Lebensende die Ordnung der guten Lau heilig,
und ihre Nachkommen nicht minder. Daß jene sich nachmals mit ihrem Kind
im Nonnenhof zum Besuch eingefunden, davon zwar steht nichts in dem
alten Buch, das diese Geschichten berichtet, doch mag ich es wohl
glauben.
* * * * *
Es waren seit der Fürstin Abschied nah bei hundert Jahr vergangen, als
unser Seppe, der Schuster, im Dörflein Suppingen vom Wagen stieg, dem
Bäuerlein noch vielmals dankte und sich von ihm den Weg Blaubeuren zu
nachweisen ließ. Bis Mittag, sagte der Mann, könne er gar wohl dort
sein.
Das hätte sich auch nicht gefehlt, bald aber fing sein Hühneraug' ihn
wieder zu buksieren an. Er mußte alle fünfzig Schritt hinsitzen, und
wenn er einmal saß, trat er das Rad so fleißig, als wenn er auf
Bestellung zu arbeiten hätte. Endlich zum letztenmal riß er sich auf und
hinkte vollends die Steig hinab.
Sie läuteten im Kloster drei, da er ins Städtlein kam.
Während er nun auf die Herberge zuging, lief eben Jörg Seysolff, der
Wirt und Bräumeister, über den Hof und sprach zu seinem Weib, die auf
der Hausbank saß und ihren Salat zum Abendessen putzte: »Schau, Emerenz,
da kommt auch schon der dritt'!« -- »Ei, weiß Gott!« sagte sie, »und ist
ein Unterländer.« -- »Ach mein, knappt der daher! dem sei es 'gunnt.«
Der Seppe sah hoch auf, als ihn die Leute so mit sonderlicher
Freundlichkeit begrüßten. Sie gingen alle beide gleich mit ihm hinauf.
Er ließ sich eine Halbe geben, ein Sauerkraut mit Schweinefleisch
aufwärmen.
Der Wirt, wie er vernahm, daß er von Stuttgart käme, frug ihn nach dem
und jenem: ob sie auch Hagelwetter drunten hätten, was jetzt die Gerste
gelte, bis wann des Grafen Jüngste Hochzeit habe, von deren Schönheit
man überall höre. Der Seppe diente ihm auf alles ordentlich, dagegen er
sich übers Essen manches von hiesigen Geschichten, besonders von dem
Wasserweib, erzählen ließ. Auch zeigte ihm der Wirt das alte Konterfei
von ihr im Hausgang an der Stiege sowie das herrliche Kunstwerk, den
Bauren-Schwaiger, an welchem er sich nicht satt sehen und hören konnte.
»Der den gemacht hat,« sagt' er, »den laßt mir einmal einen Dreher
heißen!« -- »Ja,« meinte Jörg, »die Arbeit ist auch nicht an einem Tag
gemacht.« -- »Will's glauben!« sagte der Seppe und seufzte, denn er
gedachte an seine Dreherei.
Nachdem er nun gegessen und getrunken, frug er nach seiner Schuldigkeit.
»Zween Batzen!« war die Antwort. Die legte der Seppe auf den Tisch.
»Bekämt Ihr sechzehn Kreuzer 'naus,« sagte der Wirt, zählte sie hin und
steckte die zween Batzen ein, wie wenn es sich so in der ganzen Welt von
selbst verstünde. Es war jedoch ein alter Brauch von der Frau Betha
Zeiten her, den Reisenden auf solche Weise ihren Zehrpfennig zu reichen.
Der Schuster lächelte, als wollt' er fragen: »Wie ist das gemeint?« --
»Laßt's gut sein, lieber Gesell!« sprach Jörg Seysolff. »Kommt mit zu
meinem Ehni! der sagt Euch schon mehr.«
Er führte ihn durch einen langen Gang an eine stille Tür, die tat er vor
ihm auf. Da saß in einer säuberlichen Stube ein gar schöner Greis von
achtzig Jahr in einem Sorgenstuhl beim Fenster. Die Sonne fiel eben ein
wenig zwischen den Vorhänglein durch auf einen kleinen Tisch, so vor ihm
stand, schneeweiß gedeckt, darauf nichts weiter denn ein blauer Topf mit
Wasser und noch etwas in einem Tuche war. Der Alte aber war der kleine
Hans, Frau Bethas Herzblatt gewesen. Er redete den Schuster in Gegenwart
des Wirtes also an:
Hab' Gott zum Gruß auf dieser Schwell'!
Obwohl das Glück dein Reis'gesell,
Ob solches mit dir in der Wiegen
Von Mutterleib aus kam zu liegen,
Ob du es in dem Gürtel hegest,
Ob du es in den Sohlen trägest.
Hierauf behändigte der Greis dem Seppe das Tüchlein und sprach: »Du
magst es einmal, wenn du Meister bist und gründest deinen eignen Herd,
deiner Liebsten verehren, am Heiratstag, dazu dir aller Segen werde.«
Was aber war im Tuch? Eine silberne Haube; man konnte nichts Schöneres
sehen. Der Seppe wäre deckenhoch gesprungen, wenn sich's geschickt
hätte.
Nun sagte ihm der Alte, wem er das Angebind verdanke; dann ließ er ihn
Verschwiegenheit geloben, zu dessen sichtlicher Bekräftigung er einen
Finger in dem Topf netzen und auf den Mund legen mußte. Auch gab er dem
Gesellen noch eine christliche Vermahnung, empfing den Dank desselben,
und ganz am End' empfahl er ihm, wenn er ein Klötzlein Blei von ungefähr
wo finde hier herum, so möge er solches daher in den Nonnenhof bringen.
In seines Herzens Freude fast hätte er's versprochen: da fiel ihm zum
Glück noch der Pechschwitzer ein; deswegen er sagte: »Ich will sehn.«
Jetzt machte er sich auf die Bahn und lenkte seine Schritte zuvörderst
hinter das Kloster, wo ihm der Quell gleich in die Augen strahlte. So
viel man ihm davon gerühmt, doch hätte er sich solche Wunderpracht in
seinem Sinn nicht eingebildet, und meinte er bei sich, es sei nicht
anders denn als wenn zum wenigsten ein Stücker sechs Blaufärber samt
einem vollen Kessel eben erst darin ersoffen wären.
Wie er sich recht daran ersättigt und im Andenken an das Wasserweib
etliche Vaterunser aus gutem Herzen für ihr Heil gebetet hatte (denn er
der Meinung war, sie sitze schon bei hundert Jahr samt andern armen
Heidenseelen auf der hellen Wiese, da sie in Wahrheit jung und schön wie
ehedem noch bei den Ihren lebte), vergaß er auch das Klötzlein nicht,
nach welchem so viel Fragens war. Er hatte von dem Doktor Veylland und
dem Lot schon als ein kleiner Bube den Urgroßvater hören erzählen. Der
Bauer wußte nichts davon; den Wirt im Nonnenhof befrug er aber nicht,
weil ihm erst jetzt einkam, es sei mit dem Blei wohl gar dasselbe Lot
gemeint. Nun sah er hinter manchen Busch und Baum und weiterhin an
seiner Straße hier und dort in einen Graben, fand aber nichts
dergleichen und ließ sich endlich deshalb keine grauen Haare wachsen.
Der Schmerzen seines Fußwerks ganz und gar vergessen und nichts als
Glücksgedanken und Habergeisen in dem Kopf, hinkt' er so immerfort das
Blautal hinunter. Bisweilen, wenn es ihm sein Linker zu arg machte,
hockt' er auf einen Stein, packte die silberne Haube heraus und legte
sie vor sich aufs Knie, an seinen zukünftigen Schatz dabei denkend. Es
war nur gut, daß ihm nicht wissend, was schon zween andere Gesellen, ein
Feilenhauer und ein Nagelschmied, nur eine halbe Stunde, eh' er kam, aus
dem Nonnenhof davongetragen: er hätte seine Haube nur noch mit halben
Freuden angesehen. Die beiden Bursche waren auf der Steig hinter der
Stadt an dem Schuster vorübergekommen und hatten ihn gegrüßt, doch weil
er eben saß und in Gedanken mit dem Rad im besten Werken war, so sah er
gar nicht auf und brummte nur so für sich hin: »Schön guten Morgen!« --
obzwar die Sonne ihm von Abend auf den Buckel schien. »Ja, Morgen nach
dem Bad!« sagte der eine, und lachten sich beide die Haut voll darüber.
Mit sinkender Nacht kam er wohl- oder übelbehalten nach Ulm.
Es war gerade Markt und hie und da Musik und Tanz. Er trat in eins der
nächsten Wirtshäuser, wo ihrer sechs Gesellen beim Wein an einem Tisch
beisammen saßen und einen Rundgesang anstimmten. Mann für Mann sang
einzeln sein Gesetz, darauf mit Macht der Chor einfiel und sie alle die
Gläser anstießen. Der Leser mag wohl so viel Verse vernehmen, als sie
eben jetzt sangen; das Lied im ganzen ist viermal so lang.
_Erster Gesell_: Seid ihr beisammen all'?
Ihr Freund', auf allen Fall
Zeigt eure Professionen an,
Daß wir nach Sitten stoßen an
Mit großem Freudenschall!
_Chor_: Zeigt eure Professionen an,
Daß wir nach Sitten stoßen an!
_Zweiter_: Eine Wiege vor die Freud',
Eine Bahre vor das Leid:
Meinem Hobel ist das alles gleich,
Der denkt: Ich mach' den Meister reich,
Spän' gibt es allezeit.
_Chor_: Seinem Hobel ist usw.
_Dritter_: Meine Arbeit ist wohl fein,
Von Gold und Edelstein!
Allein das kriegt man bald gar satt,
Zumal man es nicht eigen hat:
Gebt mir so güldnen Wein!
_Chor_: Ich glaub's ihm schon, das wird man satt usw.
_Vierter_: Wen freut ein kecker Mut,
Nicht dau'rt sein junges Blut,
Ich schaff' ihm Wehre mannigfalt,
Zu Scherz und Ernst, wid'r Feindsgewalt;
Mein Zeug ist allweg gut.
_Chor_: Und gilt es wider Feindsgewalt,
Ein Spieß und Schwert uns auch gefallt.
_Fünfter_: Der Schneider sitzt am Glas:
Vom Wirt nehm' ich die Maß.
Zu Hause schaff' ich gar nicht viel,
Meine Stich' mach' ich beim Kartenspiel,
Da weiß ich doch, für was.
_Chor_: Ei, Bruder Leipziger, bessr' Er sich!
Denn, sieht Er, das ist liederlich.
_Sechster_: Meine Kunst, das glaubt gewiß!
Schreibt sich vom Paradies.
Von Mägdlein bin ich wertgeschätzt,
Ich hab' ja, was ihr Herz ergötzt:
Veiel und Röslein süß.
_Chor_: Von Mägdlein ist er usw.
Jetzt kam die Reihe an den Schuster, und da derselbe sein Gesetzlein so
aus froher Kehle sang, ward es dem Seppe um den Brustfleck weh, daß er
sein gutes Handwerk lassen sollte. Dabei vermerkte er, wie ihn sein
rechter Schuh zweimal ganz weidlich vor Vergnügen zwickte, so zwar, wie
wenn er sagen wollte: Hörst du, Narr?
_Erster_: Gebt meinem Stand die Ehr'!
Den Schuster braucht man sehr.
Zwar führ' ich nicht den besten Gout,
Allein wer macht euch Hochzeitschuh,
Wenn ich kein Schuster wär'?
_Chor_: Zwar führt er nicht usw.
Dem Seppe quoll bereits das Wasser in den Augen; er sprach bei sich mit
ingrimmigen Schmerzen: Du bist kein Schuster und bist auch kein Dreher,
du bist der wirtembergisch Niemez! Und schwur in seiner Seele, hinfort
zu bleiben, was er war.
_Zweiter_: Und wer kein Pietist
Und auch kein Hundsfott ist,
Der mag sich wohl beim Wein erfreun.
Mein letzter Schluck soll ehrlich sein!
So meint's ein guter Christ.
_Chor_: Stoßt an, Kameraden, stimmet ein:
Mein letzter Schluck soll ehrlich sein!
Hier stand der Seppe auf, trat hin zu den Kompanen und grüßte mit
bescheidener Ansprache. Da machten sie ihm Platz an ihrem Tisch, tranken
ihm zu und hörten, was für ein Landsmann er sei, welches Gewerbs, wohin
er wollte. »Warum bleibt Ihr nicht hier?« sagte Vinzenz, der Schuster:
»In Ulm ist es schön, und Arbeit findet Ihr dermal genug.« -- Er ließ
sich nicht schwer überreden, und schon den andern Tag stand er bei einer
jungen Witwe ein, von welcher ihm der Herbergvater sagte.
Als er das erstemal in deren Haus einging, empfing er eine Warnung: sein
Rechter wollte nicht über die Schwelle; doch achtete er weiter nicht
darauf.
Die Witwe war eine schöne Person, und wie der Seppe schon nicht leicht
mehr eine ansah, daß ihm nicht einfiel, was der Pechschwitzer sagte:
»Vielleicht begegnet dir dein Glück einmal auf Füßen,« so prüfte er auch
jetzt, obwohl mit schüchternen Blicken, die stattliche Frau. Sie sah
sehr blaß, nicht gar vergnügt und sparte ihre Worte gegen jedermann. Ihr
Tun in allen Dingen war aber sanft und klug, so daß sie einen jungen
Mann wohl locken konnte.
Es mag zuvor schon manchem so mit ihr gegangen sein, beim Seppe blieb es
auch nicht aus, und desto minder, da ihm nach den ersten Wochen deuchte,
er gelte vor den andern etwas bei der Meisterin. Geschah es, daß sie
ihrer einen nötig hatte zu einer kleinen Hilfe außerhalb der Werkstatt,
dann rief sie immer zehnmal gegen eines ihn vom Stuhl hinweg, und wenn
er Samstags für die Küche Holz klein sägte, sie aber backte eben
Zwiebelkuchen, da trug sie ihm gewiß ein Stück, warm von dem Ofen weg,
zum voraus in den Schopf hinaus; das schmeckte zu solchem Geschäft aus
der Faust ganz außer Maßen.
Von dort an aber gebärdeten sich des Hutzelmanns lederne Söhne sehr
übel; insonderheit auf der Gesellenkammer war oft die halbe Nacht in
Seppes Kasten, wo sie standen, ein Gepolter und Gerutsch, als hätten sie
die ärgsten Händel miteinander, und die Gesellen schimpften und fluchten
nicht wenig deshalb. »Es ist der Marder,« sagten sie. »Er hat den alten
Schlupf zwischen den Dielen wieder gefunden; wird nicht viel fehlen, hat
er Junge; wir brechen morgen auf und bescheren ins Kindbett.« -- Der
Seppe schwieg dazu; am andern Morgen aber holt' er in der Stille einen
schweren platten Stein aus einem Bühnenwinkel vor, den stellte er
bedachtsam mit dem Rand auf sie, quer über den Reihen. »So,« sprach er,
»jetzt, ihr Ketzer, ihr schwernötige, jetzt bocket, gampet und
durnieret, wenn ihr könnt!« -- Da molestierten sie hinfort auch niemand
mehr.
* * * * *
Nun, lieber Leser, ist es Zeit, daß du erfahrest, wie es derweil
ergangen mit dem andern Paar, das der Gesell an jenem Morgen auf der
Brücke ließ, als er aus Stuttgart wanderte.
Nicht tausend Schritt war er hinweg, kam eine Bäuerin von Häslach her
und sah die Schuh. Die hat der Böse hingestellt mir zur Versuchung!
dachte sie, bekreuzte sich und lief ihrer Wege. Spazierte drauf -- denn
es war Feiertag -- ein Seifensieder aus der Stadt gemächlich, nach
seinem Weinberg auszuschauen. Derselbe aber war ein Frommer. Wie er die
herrenlose Ware sieht, denkt er: Wie geht das zu? Die wären meiner Frau
wie angemessen! Ich will mich nicht vergreifen, das sei fern: nur wenn
ich wiederkomme und sie stehn noch da, mag mir's ein Zeichen sein, daß
sie der liebe Gott mir schenkt für meine Christel. Damit das Pärlein
aber nicht etwan von der Sonnenhitze leide, nahm es der kluge Mann und
stellte es unter die Brücke in Schatten, wo es nicht leicht ein Mensch
entdecken mochte.
Bald darauf kommt aus dem Tor ein sauberes Bürgermädchen, Vrone
Kiderlen, einer Witfrau Tochter; trug ein Grättlein am Arm und wollte
Himbeeren lesen im Bupsinger Wald (der hatte seinen Namen von einer
Ortschaft auf dem Berg, von welcher heutzutag die Spur nicht mehr
vorhanden ist, doch heißt der Wald daher noch jetzo der Bopser). Indem
sie nun über das Brücklein geht, patscht etwas unten, und so ein paarmal
nacheinander. Was mag das sein? denkt sie und steigt hinunter an den
Bach. »Heilige Mutter! nagelneue Schuh!« ruft sie und schaut sich um, ob
sie nicht jemand sehe, der sie vexieren wollte oder ihr den schönen Fund
tun ließ, weil eben heut' ihr Wiegentag war. Sie nahm das Paar, zog es
zur Probe einmal an und freute sich, wie gut es ihr paßte, und wie gar
leicht sich darin gehen ließ. Bald aber kam ihr ein Bedenken an, und
schon hat sie den einen wieder abgestreift; der andere hingegen wollte
ihr nicht mehr vom Fuß. Sie drückte, zog und preßte, daß ihr der Schweiß
ausbrach, half nichts -- und war sie doch so leicht hineingekommen!
Je mehr sie diesem Ding nachdachte, desto verwunderlicher kam's ihr vor.
So eine verständige Dirne sie war, am Ende glaubte sie gewiß, die Schuhe
seien ihr von ihrer Namensheiligen Veronika auf diesen Tag beschert, und
dankte alsbald der Patronin aus ehrlichem Herzen. Dann zog sie ohne
weiteres auch den andern wieder an, schob ihre alten in den Deckelkorb
und stieg getrost den Berg hinauf.
Im Wald traf sie ein altes Weib bereits im Himbeerlesen an. Diese
gesellte sich zu ihr, obwohl sie einander nicht kannten. Während aber
nun beide so hin und her suchten, geschah's, daß sich der Vrone an den
linken Fuß eine kostbare Perlenschnur hing, die da im Moos verloren lag.
Das Mädchen merkt' es nicht und trat beim nächsten Schritt von ungefähr
sich mit dem andern Schuh die Schnur vom linken los; das sah das Weib
von hinten, hob heimlich das Geschmeide auf und barg's in ihrem Rock.
Die Schnur war aber keine andere denn jene von der schönen Lau und war
an die Tochter des jetzigen Grafen, die schöne Irmengard, von dessen
Frau Ahne vererbt.
Als endlich die zwei nacheinander heimgingen, verkündigte just in den
Straßen des Grafen Ausrufer, daß gestern im Bupsinger Forst unfern dem
Lusthaus ein Nuster mit Perlen verloren gegangen, und wer es wieder
schaffe, dem sollten fünfzehn Goldgulden Finderlohn werden. Da freute
sich das Weib, zog eilig ihre besten Kleider daheim an, kam in das
Schloß und ward sogleich vor die junge Gräfin gelassen. »Ach Frau, ach
liebe Frau!« rief diese ihr schon in der Tür entgegen, »Ihr habt wohl
mein Nuster gefunden? Gebt her, ich will es Euch lohnen!«
Nun zog das Weib ein Schächtelein hervor, und wie das Fräulein es
aufmachte, lagen sechs oder sieben zierliche Mausschwänze darin, nach
Art eines Halsbands künstlich geschlungen. Das Fräulein tat einen Schrei
und fiel vor Entsetzen in Ohnmacht. Das Weib, in Todesängsten, lief
davon, ward aber von der Wache auf den Gängen festgenommen und in Haft
zu peinlichem Verhör gebracht. Darin bekannte sie nichts weiter, als daß
sie da und da den Perlenschmuck vom Boden aufgehoben und ihn, so schön,
wie er gewesen, daheim in die Schachtel getan, der guten und ehrlichen
Meinung, das gnädige Fräulein damit zu erfreuen. Im Wald sei aber eine
Dirn an sie geraten, die müss' es mit dem Bösen haben; von dieser sei
der Streich. -- Weil nun der Graf nicht wollte, daß man bei so bewandten
Sachen viel Aufhebens mache, da mit Gewalt hier nichts zu richten sei,
ließ man das Weib mit Frieden. Zum Glück kam nichts von ihren Reden an
die Vrone: sie wäre ihres guten Leumunds wegen drob verzweifelt.
Auch anderweits erlebte sie in ihren Wunderschuhen viel Unheil, obwohl
der Segen nicht ganz mangelte. Als zum Exempel ging sie Sonntag
nachmittag gern über einen Wiesplatz hinter ihrem Haus, eine Gespielin
zu besuchen, da stieß sie sich ein wie das anderemal an so ein kleines
verwünschtes Ding von einem Stotzen, wie sie pflegen auf Bleichen im
Wasen zu stecken, fiel hin, so lang sie war, hub aber sicher einen Fund
vom Boden auf: nicht allemal ein Stücklein altes Heidengold, einen
silbernen Knopf oder Wirtel, dergleichen oft der Maulwurf aus der Erde
stößt, doch war ihr ein ehrliches Gänsei, noch warm vom Legen, gewiß.
Besonders ging es ihr beim Tanz: da sah man sie zuweilen so konträre,
wiewohl kunstreiche Sprünge tun, daß alles aus der Richte kam und sie
sich schämen mußte. Als ein gutes und fröhliches Blut zwar zog sie
sich's nicht mehr als billig zu Gemüt und lachte immer selbst am ersten
über sich; nur hieß es hinterdrein: »Schad' um die hübsche Dirne, sie
wird mit einem Mal ein ganzer Dapp!« Die eigne Mutter schüttelte den
Kopf bedenklich, und eines Tages sagte sie, als ginge ihr ein Licht wie
eine Fackel auf, zur Tochter: »Ich wette, die vertrackten Schuh allein
sind schuld! Der Alfanz hat mir gleich nur halb gefallen; wer weiß, was
für ein Rauner sie hingestellt hat!« -- Das Mädchen hatte selber schon
an so etwas gedacht, jedoch verstand sie sich nicht leicht dazu, sie
gänzlich abzuschaffen; sie waren eben gar zu gut und dauerhaft. Indes
ging sie noch jenen Tag zum Meister Bläse, sich ein Paar neue zu
bestellen. Es war derselbige, bei welchem es der Seppe nicht aushalten
mögen. Die Vrone sah auf dessen Stühlchen ungern einen andern sitzen;
sie hatte ihn gekannt und gar wohl leiden können.
Wie nun der alte Bläse ihr das Maß am Fuß nahm, stachen ihm die fremden
Schuhe alsbald in die Augen. Er nahm den einen so in seine feiste Hand,
betrachtete ihn stillschweigend lang' und sagte: »Da hat Sie was
Apartes. Darf man fragen, wo die gemacht sind?« -- Das Mädchen, welches
bis daher von ihrem Fund noch weiter niemand hatte sagen wollen, gab
scherzweis zur Antwort: »Ich hab' sie aus dem Bach gezogen.« -- Die fünf
Gesellen lachten, der Alte aber brummte vor sich hin: »Das könnt' erst
noch wahr sein!«
Am Abend in der Feierstunde sprach er zu seinem Weib und seiner Tochter
Sara: »Ich will euch etwas offenbaren. Die Kiderlen hat ein Paar
Glücksschuh am Fuß; ich kenne das Wahrzeichen.« -- »Ei,« meinte die
Tochter aus Neid, »sie haben ihr noch keinen Haufen Geld und auch noch
keinen Mann gebracht.« -- »Es kann noch kommen,« versetzte der Alte. --
»Wohl,« sagte die Mutter, »wenn man sie ihr nur abführen könnt'! Ich
wollte so etwas der Sare gönnen.« -- Da beschlossen sie dann
miteinander, der Vater solle ein Paar Schuh wie diese machen und die
Sare sie heimlich verwechseln.
Der Mann begab sich gleich den andern Morgen an die Arbeit. So häkelig
sie war, dennoch, die feinen, wundersam gezackten Nähte, die rote
Fütterung mit einem abgetragenen Stück Leder, alles zumal geriet so
wohl, daß er selbst sein Vergnügen dran hatte. Die böse List ins Werk zu
setzen, ersannen sie bald auch Mittel und Wege.
Dicht bei der Stadt, wo man herauskommt bei dem Tor, welches nachmals,
von dortiger Schießstatt her, das Büchsentor hieß, sah man zu jener Zeit
noch einen schönen, ansehnlichen Weiher, ähnlich dem Feuersee, der eine
gute Strecke weiter oben dermalen noch besteht. Am Ufer war ein Balken-
und Brettergerüst mit Tischen und Bänken hinein in das Wasser gebaut, wo
die Frauen und Dirnen der Stadt ihre Wäsche rein zu machen pflegten.
Hier stunden sie manchmal zu vierzig oder fünfzig, seiften und rieben um
die Wette und hatten ein Gescherz und Geschnatter, daß es eine Lust war,
alle mit bloßen Armen und Füßen. Nun paßten des Schusters wohl auf, bis
die Vrone das nächstemal wusch; denn Bläses Haus lag hart am See, und
stieß das Wasser unten an die Mauer. Auf einen Mittwoch Morgen, da eben
schönes warmes Wetter war, kam denn die junge Kiderlen mit einer Zaine:
geschwind sprang auch die Sare mit der ihren und traf es glücklich,
neben sie an einen Tisch zu kommen. Da stellten beide ihre Schuh, wie es
der Brauch war, unter die Bank. Die Vrone hatte seit acht Tagen heute
das erstemal ihr Glückspaar wieder angelegt, mit Fleiß: denn weil sie
richtig dieser ganzen Zeit das Melkfaß nimmer umgestoßen, das Spinnrad
nimmer ausgetreten noch sonst einen bösen Tritt getan, so wollte sie,
des Dinges ganz gewiß zu sein, jetzo die Gegenprobe machen. Die falsche
Diebin war mit den paar Laken, so sie mitgenommen, in einer Kürze
fertig, schlug sie zusammen, bückte sich, stak in einem Umsehn in des
Pechschwitzers Schuhen, schob ihres Vaters Wechselbälge dafür hin und:
»Bhüt' Gott, Vronele! mach' au bald ein End!« -- mit diesen Worten lief
sie fort, frohlockend ihrer wohlvollbrachten Hinterlist. Und als die
andre nach drei Stunden, um die Essenszeit, vergnügt auch heimging unter
den letzten, nahm sie der Täuscherei nicht im geringsten wahr.
Der Pechschwitzer aber, der wußte den Handel haarklein und dachte jetzt
darauf, wie er dem Bläse gleich die nächste Nacht den Teufel im Glas
zeigen wolle.
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