Das Friedensfest - 1

Total number of words is 3970
Total number of unique words is 1396
37.2 of words are in the 2000 most common words
48.0 of words are in the 5000 most common words
53.5 of words are in the 8000 most common words
Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
Das Friedensfest.
[Illustration]


Von =Gerhart Hauptmann= erschienen im gleichen Verlage:

=Vor Sonnenaufgang.=
Soziales Drama.
6. Auflage.

=Einsame Menschen.=
Drama.
3. Auflage.

=Die Weber.=
Schauspiel aus den vierziger Jahren.
6. Auflage.

=College Crampton.=
Comödie.
2. Auflage.

=Der Biberpelz.=
+Eine Diebscomödie.+
2. Auflage.

Jeder Band eleg. geh. Mark 2.--
„ „ eleg. geb. „ 3.--

=Der Apostel.= -- =Bahnwärter Thiel.=
Novellistische Studien.
Geheftet Mark 1,50, gebunden Mark 2,50.

=Hannele.=
+Eine Traumdichtung.+
Reich illustrirt.
Geheftet Mark 5.--, in Prachtband gebunden Mark 7.50.


GERHART HAUPTMANN.
[Illustration]
Das
Friedensfest.
=Eine Familienkatastrophe.=
Bühnendichtung.

Sie finden in keinem Trauerspiele Handlung, als
wo der Liebhaber zu Füßen fällt ⁊c. ...
Es hat ihnen nie beifallen wollen, daß auch
jeder innere Kampf von Leidenschaften, jede
Folge von verschiedenen Gedanken, wo eine die
andere aufhebt, eine Handlung sei; vielleicht
weil sie viel zu mechanisch denken und fühlen,
als daß sie sich irgend einer Thätigkeit dabei
bewußt wären. -- Ernsthaft sie zu widerlegen,
wurde eine unnütze Mühe sein.
+Lessing.+
Abhandlungen über die Fabel.

[Illustration]
=Berlin 1894.=
+S. Fischer, Verlag.+


Den Bühnen gegenüber Manuscript.


=Dem Dichter=
=Theodor Fontane=
ehrfurchtsvoll
zugeeignet.


Handelnde Menschen.

=~Dr. med.~ Fritz Scholz,= 68 Jahre alt. } Soweit möglich,
=Minna Scholz,= dessen Ehefrau, 46 Jahre alt.} muß in
=Auguste,= 29 Jahre alt } } den Masken
=Robert,= 28 Jahre alt } deren Kinder. } eine Familienähnlichkeit
=Wilhelm,= 26 Jahre alt } } zum Ausdruck
} kommen.
=Frau Marie Buchner,= 42 Jahre alt.
=Ida,= ihre Tochter, 20 Jahre alt.
=Friebe,= Hausknecht, 50 Jahre alt.
* * * * *
Die Vorgänge dieser Dichtung spielen sich ab an einem Weihnachtsabend
der 80er Jahre in einem einsamen Landhaus auf dem Schützenhügel bei
Erkner. (Mark Brandenburg).
[Illustration]


Der Schauplatz

_aller drei Vorgänge ist eine hohe, geräumige Halle, weiß getüncht,
mit alterthümlichen Bildern, wie auch mit Geweihen und Thierköpfen
aller Art behangen. Ein Kronleuchter aus Hirschgeweihen in der Mitte
der Balkendecke angebracht, ist mit frischen Lichtern besteckt.
Mitten in der Hinterwand ein nach innen vorspringendes Gehäuse mit
Glasthür durch die man das schwere, geschnitzte Eichenportal des Hauses
erblicken kann. Oben auf dem Gehäuse befindet sich ausgestopft ein
balzender Auerhahn. Seitlich über dem Gehäuse rechts und links je ein
Fenster, befroren und zum Theil mit Schnee verweht._
_Die Wand rechts weist einen offenen, thorartigen Bogen auf, der nach
der Treppe in die oberen Stockwerke führt. Von zwei niedrigen Thüren
derselben Wand führt die eine nach dem Keller, die andere zur Küche.
Die gegenüberliegende Wand hat ebenfalls zwei Thüren, welche beide
in ein und dasselbe Zimmer führen. Zwischen diesen Thüren eine alte
Standuhr, auf deren Dach ein ausgestopfter Kauz hockt. Die Möblirung
des Raumes besteht aus alten, schweren Eichenholztischen und Stühlen.
Parallel mit der Seitenwand, rechts vom Zuschauer eine weiß gedeckte
Tafel. Rechts im Vordergrund ein eisernes Oefchen mit längs der Wand
hingehender Rohrleitung. Alle Thüren sind bunt, die Thürfüllungen mit
primitiven Malereien, Papageien ⁊c. darstellend versehen._


Erster Vorgang.

_Die Halle ist mit grünen Reisern ausgeschmückt. Auf den Steinfliesen
liegt ein Christbaum ohne Fuß. +Friebe+ zimmert auf der obersten
Kellerstufe einen Fuß zurecht. Einander gegenüberstehend zu beiden
Seiten der Tafel beschäftigen sich Frau +Buchner+ und Frau +Scholz+
damit, bunte Wachslichte in den dazu gehörigen Tüllen zu befestigen.
Frau Buchner ist eine gesundaussehende, gut genährte, freundlich
blickende Person, einfach, solid und sehr adrett gekleidet. Schlichte
Haartracht. Ihre Bewegungen sind bestimmt, aber vollständig
ungezwungen. Ihr ganzes Wesen drückt eine ungewöhnliche Herzlichkeit
aus, die durchaus echt, auch wenn die Art, mit der sie sich kund
giebt, zuweilen den Eindruck der Ziererei macht. Ihre Sprache ist
geflissentlich rein, in Momenten des Affects deklamatorisch. Ein Hauch
der Zufriedenheit und des Wohlbehagens scheint von ihr auszugehen.
-- Anders Frau Scholz: Sie ist eine über ihre Jahre hinaus gealterte
Person mit den beginnenden Gebrechen des Greisenalters. Ihre
Körperformen zeigen eine ungesunde Fettansammlung. Ihre Hautfarbe
ist weißlichgrau. Ihre Toilette ist weniger als schlicht. Ihr Haar
ist grau und nicht zusammengerafft; sie trägt eine Brille. Frau
Scholz ist schußrig in ihren Bewegungen, ruhelos, hat eine zumeist
weinerliche oder winsliche Sprechweise und erregt den Eindruck
andauernder Aufgeregtheit. Während Frau Buchner nur für andere zu
existiren scheint, hat Frau Scholz vollauf mit sich selbst zu thun.
-- Auf der Tafel zwei fünfarmige, mit Lichtern besteckte Girandolen.
Weder der Kronleuchter noch die Girandolen sind angesteckt. Brennende
Petroleumlampe._
+Friebe+ _(führt mit dem Beil einen Schlag)_: Da jeht mer ooch keen
Schlag nich fehl.
+Frau Scholz+: -- ffff!!! Ich kann’s doch aber nich hören, Friebe! wie
oft hab’ ich Ihn’n schon ... wie leicht kann Ih’n das Beil abfahren.
Auf Steinen hackt man nich Holz!
+Friebe+: Da jarantir ick for. Wofor wär ick d’nn sonst zehn Jahre
Rejimenter jewesen?
+Frau Buchner+: Regimenter?
+Frau Scholz+: Er war Vorarbeiter in den königlichen Forsten.
+Friebe+: Keen -- _(er schlägt zu)_ -- Schlag da -- ä! _(er schlägt)_
komm ich for uff.
_(Er steigt herauf, betrachtet, was er gemacht hat, bei der Lampe und
befestigt dann den Christbaum, so daß er aufrecht steht. Friebe ist
klein, bereits ein wenig gebeugt, obeinig und hat eine Glatze. Sein
kleines, bewegliches Affengesichtchen ist unrasirt. Kopfhaare und
Bartstoppeln spielen in’s Gelblichgraue. Er ist ein Allerweltsbastler.
Der Rock, welchen er trägt, ein Ding, das von Putzpulver, Oel,
Stiefelwichse, Staub ⁊c. starrt, ist für einen doppelt so großen
Mann berechnet, deshalb die Aermel aufgekrempt, die Rockflügel
weit übereinander gelegt. Er trägt eine braune, verhältnißmäßig
saubre Hausknechtsschürze, unter welcher er von Zeit zu Zeit eine
Schnupftabacksdose hervorzieht, um mit Empfindung zu schnupfen. Der
Baum ist befestigt, Friebe hat ihn auf die Tafel gehoben, steht
davor und betrachtet ihn)._ Een janzet -- schönet -- richtijet --
Tannenbäumken! _(mit wegwerfender Ueberlegenheit zu den Frauen
hinüber)_ ’t is woll jar keens, wat?
+Frau Buchner+: Als ehemaliger Forstmann müssen Sie ja das wohl
unterscheiden können.
+Friebe+: Na jewiß doch, det wär ja noch verrückter! was de nu de
Fichte is ....
+Frau Scholz+ _(unterbricht ihn ungeduldig)_: Wir dürfen uns beileibe
nich aufhalten Friebe. Meine Tochter hat extra gesagt: Daß Du mir
Frieben schickst.
+Friebe+: Na .... i! .... meinswejen doch _(mit einer wegwerfenden
Handbewegung ab durch die Küchenthür.)_
+Frau Buchner+: An dem habt Ihr wohl was?
+Frau Scholz+: I warum nich gar! ’n ganz verdrehter Zwickel.
Wenn nich mei Mann .... na sehen Se, so war mei Mann; diese alte
Schnupftabacknase, die war nu für ihn, die mußt’ er den ganzen Tag um
sich haben, sonst war ihm nich wohl. Ein zu merkwürdiger Mann!
+Auguste+ _(in Hast und Bestürzung von draußen herein. Innen angelangt
schlägt sie die Glasthür heftig in’s Schloß und stemmt sich dagegen,
wie um Jemand den Eintritt zu verwehren.)_
+Frau Scholz+ _(auf’s heftigste erschrocken schnell nach einander)_: O
Gottogottogott!!!
+Frau Buchner+: -- Ja -- was ...?
_(Auguste ist lang aufgeschossen und +auffallend+ mager, ihre
Toilette ist hochmodern und geschmacklos. Pelzjacke, Pelzbarrett,
Muff. Gesicht und Füße sind lang; das Gesicht scharf mit schmalen
Lippen, die fest aufeinander passen und Zügen der Verbitterung. Sie
trägt eine Lorgnette. Mit der Aufgeregtheit der Mutter verbindet sie
ein pathologisch offensives Wesen. Diese Gestalt muß gleichsam eine
Atmosphäre von Unzufriedenheit, Mißbehagen und Trostlosigkeit um sich
verbreiten.)_
+Auguste+: Draußen .... meiner Seele .... es ist Jemand hinter mir
hergekommen.
+Frau Buchner+ _(die Uhr ziehend)_: Wilhelm vielleicht schon -- nein,
+doch+ nicht. Der Zug kann noch nicht da sein, _(zu Auguste)_ warten
Sie doch mal! _(sie greift nach der Thürklinke, um sie zu öffnen)._
+Auguste+: Nich doch, nich doch!
+Frau Buchner+: Sie sind nervööös, liebes Kind, _(sie geht durch die
Glasthür und öffnet das Außenportal. Ein wenig zaghaft)_ Ist Jemand
hier? -- _(resolut)_ Ist Jemand hier? _(Pause, keine Antwort.)_
+Frau Scholz+ _(erbost)_: Großartig wirklich -- Ich dächte ma hätte
gerade genug Aufregung. Man kann ja den Tod davon haben. Was Du och
immer hast.
+Auguste+: Haben! haben! _(batzig)_ was ich nur immer haben soll?!
+Frau Scholz+: Du bist ja recht liebenswürdig zu deiner Mutter!
+Auguste+: Ach, meinswegen! -- soll man sich etwa nicht fürchten, wenn
man .... im Stockfinstern -- mutterseelenallein ....
+Frau Buchner+ _(die Hände von rückwärts um ihre Taille legend,
begütigend)_: Hitzkopf, Hitzkopf! -- wer wird denn immer gleich soo
sein?! -- Kommen Sie _(ist ihr beim Ablegen behülflich)_ so -- sehen
Sie!?
+Auguste+: Ach Frau Buchner, ’s is’ auch wahr!
+Frau Buchner+: Hört mal, Herrschaften! vier lange Tage sind wir nun
schon bei Euch. Ich dächte .... wollt Ihr mich nicht Du nennen? --
ja?! -- schön! also .... _(umarmt und küßt Auguste, desgleichen Frau
Scholz)._
+Frau Scholz+ _(bevor sie die Umarmung entgegennimmt)_: Wart nur wart,
ich habe Wachshände.
+Frau Buchner+ _(zu Auguste, welche an das Oefchen getreten ist, um
sich zu wärmen)_: Gelt, jetzt ist Dir schon gemüthlicher? -- war die
Bescheerung hübsch?
+Auguste+: Na, ich geh jedenfalls nicht mehr hin. Schlechte Luft, eine
Hitze zum Umkommen.
+Frau Buchner+: Hat der Herr Pastor schön gesprochen?
+Auguste+: So viel steht fest: wenn ich arm wäre, ich hätte auf die
Rede des Großmann hin .... wahrhaftig den ganzen Bettel hätte ich ihnen
vor die Füße geschmissen.
+Frau Buchner+: Es ist aber doch ein großer Segen für die armen Leute.
_(Man hört hinter der Scene durch eine helle, schöne Frauenstimme
gesungen:)_
[1] „Wenn im Haag der Lindenbaum
Wieder blüht,
Huscht der alte Frühlingstraum
Durch mein treu Gemüth.“
[1] Herzenstestament. Komponirt von +Max Marschalk+.

_(Ida tritt ein von der Treppe her. Sie ist zwanzig Jahre alt und
trägt ein schlichtes, schwarzes Wollkleid. Sie hat eine schöne, volle
Gestalt, sehr kleinen Kopf und trägt das lange, gelbe Haar bei ihrem
ersten Auftreten offen. In ihrem Wesen liegt etwas Stillvergnügtes,
eine verschleierte Heiterkeit und Glückszuversicht; demgemäß ist der
Ausdruck ihres klugen Gesichts meist heiter, geht aber auch mitunter
plötzlich in einen milden Ernst über oder zeigt spontan tiefes
Versonnensein.)_
+Ida+ _(ein Handtuch um die Schultern gelegt, einige Cartons auf dem
Arm)_: Es kam doch Jemand?
+Frau Scholz+: Auguste hat uns ’n schönen Schreck eingejagt.
+Ida+ _(rückwärts nach der Treppe deutend)_: Da oben ist’s auch recht
ungemüthlich; _(lachend)_ ich hab gemacht, daß ich runter kam.
+Frau Scholz+: Aber Kindel! über Dir wohnt ja jetzt noch Robert.
+Ida+ _(stellt die Cartons auf den Tisch; öffnet sie und entnimmt ihnen
einige Gegenstände)_: Wenn auch! der ganze Stock ist doch immer +leer+.
+Frau Buchner+: Dein Haar müßte doch nun bald trocken sein, höre?
+Ida+ _(den Kopf anmuthig wendend und zurückwerfend)_: Fühl mal!
+Frau Buchner+ _(thut es)_: O bewahre! -- du hätt’st zeitiger baden
sollen, Kind.
+Ida+: Was die alte Mähne doch für Mühe macht, eine ganze halbe Stunde
hab ich am Ofen gehockt. _(sie hat einem der Cartons eine gelbseidne
Börse entnommen, die sie Augusten hinhält.)_ Die Farbe ist nett, wie?
’S is ja nur so ein kleines Späßchen. Hat er schon manchmal Börsen
gehabt?
+Auguste+ _(über ihr Peluchejaquet hinweg, an dem sie herumreinigt,
achselzuckend)_: Weiß nicht _(sie bringt ihre kurzsichtigen Augen
prüfend in nächste Nähe der Börse)_. Bischen sehr locker im Muster
_(sogleich wieder in ihre vorige Arbeit vertieft)_. Der Peluche ist hin.
+Ida+ _(ein Kistchen Cigarren aufbauend)_: Ich freu mich recht! -- daß
Ihr nur nie einen Baum geputzt habt --?
+Auguste+: Wenn man’s recht bedenkt: eigentlich ist das doch auch
nichts für Erwachsene.
+Frau Scholz+: Nie! da hätt ich ihm nur kommen sollen, mei Mann hätt
mich schöne gestenzt. Bei meinen seligen Eltern .... ja wenn ich denke
.... was war das für ein scheeenes Familienleben! Kein Weihnachten
ohne Baum _(gleichsam Gang und Maniren des Vaters copirend)_, wenn der
Vater so am Abend aus dem Bureau kam und die +schööö+nen Lehmannschen
Pfefferkuchen mitbrachte! _(sie bringt Daumen und Zeigefinger, als ob
sie ein Stückchen dieses superben Kuchens damit hielte, in die Nähe
des Mundes)_, ach ja, das sind vergangene Zeiten! +Mei+ Mann, -- der
aß nich mal Mittags mit uns zusammen. Er wohnte oben, wir unten; der
reine Einsiedler. Wollte man was von ihm, dann mußte man sich weeß Gott
hinter Frieben stecken.
+Auguste+ _(am Ofen, wo sie anlegt)_: Ach, red doch nicht immer so!
+Frau Scholz+: Heiz Du lieber nich so unsinnig.
+Auguste+: Ja, soll’s denn nicht warm werden?
+Frau Scholz+: Die ganze Hitze fliegt ja heut zum Schornstein ’naus.
+Auguste+ _(unschlüssig, erbost)_: Ja, soll denn nu nicht angelegt
werden?
+Frau Scholz+: Laß mich zufrieden!
+Auguste+ _(wirft die Kohlenschaufel geräuschvoll in den Kasten)_: Na,
dann nicht! _(wüthend links ab)._
+Ida+: Ach, Gustchen, bleibt da! _(zu Fr. Scholz)_ paß auf, ich werd’
sie schon wieder fidel machen _(ihr nach, ab.)_
+Frau Scholz+ _(resignirt)_: So sind meine Kinder alle! -- nein, so ein
Mädel wirklich! -- und kein Halten. Bald möcht’ se das, bald jen’s.
-- Da fällt’s ihr uffemal ein .... da muß se lernen. Dann steckt se
oben und red wochenlang ke Wort -- dann kommt se sich wieder mal ganz
überflüssig vor. -- Ach Du mein Gott ja, Du bist zu beneiden! So’n
liebes Dingelchen wie +Deine+ Tochter is ....
+Frau Buchner+: Aber +Gustchen+ doch +auch+.
+Frau Scholz+: So allerliebst, wie sie Clavier spielt, und diese
reizende Stimme! wie gern +ich+ so ein paar +Töne+ höre! ....
+Frau Buchner+: Warum spielst Du denn garnicht?
+Frau Scholz+: I! da käm ich scheen an, da wäre mein bischen Ruhe
vollends hin. Auguste ist ja +so+ nervös ....! gerade wie ihr Vater,
den konnte man auch jagen mit dem Clavierspiel.
+Frau Buchner+: Deinen +Wilhelm+ solltest Du jetzt spielen hören; +der+
hat sich vervollkommnet! -- was wäre denn Ida ohne +ihn+? von +ihm hat+
sie ja doch alles gelernt, was sie kann.
+Frau Scholz+: Ach ja, Du sagtest’s ja schon. Talentvoll ist er; davon
is nicht die Rede. Es war ’ne Lust, ihn zu unterrichten.
+Frau Buchner+: Ach und er denkt mit solcher Rührung an die Zeit
zurück, wo sein Muttelchen ihm die Anfangsgründe beibrachte.
+Frau Scholz+: So?! mein Gott ja, schöne Zeiten waren das ja auch. --
... Damals dacht ich: -- ... Alles kommt anders .... -- es regt mich
doch sehr auf.
+Frau Buchner+: Es regt Dich .... was?
+Frau Scholz+: Nu, daß er kommt; wie sieht er denn jetzt eigentlich so
aus?
+Frau Buchner+: Gut -- dick -- gesund -- Du wirst Dich freuen über
Deinen Sohn.
+Frau Scholz+: Ich muß mich wirklich wundern, daß der Junge kommt. Mei
Herz hat mir manchmal richtig weh gethan; und was ich blos für Papier
verschrieben hab’. Nich mal geantwortet hat er seiner alten Mutter.
Wie hast Du ihn nur dazu gebracht? das kann ich nich +begreifen+, das
+kann+ ich nich begreifen.
+Frau Buchner+: Ich? o nein, Ida hat das über ihn vermocht.
+Frau Scholz+: Robert kümmert sich ja auch nicht viel um uns, aber er
kommt doch wenigstens alle Jahr einmal um die Weihnachtszeit ein paar
Tage. Das lobt man sich doch! aber Wilhelm .... sechs volle Jahre ist
er nich hiergewesen: er und mein Mann sechs volle Jahre! Kommt sie denn
mit ihm aus?
+Frau Buchner+: Ida? sehr gut, in jeder Hinsicht.
+Frau Scholz+: Das ist aber doch zu wunderlich Du kannst Dir nämlich
nich denken, +wie+ verschlossen der Junge immer war, ganz wie der
Vater. Keinen Spielkameraden, keinen Schulfreund, kein Nichts hatte er.
+Frau Buchner+: Ja, ja, so war er anfänglich auch uns gegenüber. --
Er wollte durchaus nicht anders als zu den Clavierstunden unser Haus
betreten.
+Frau Scholz+: Na und dann is er doch gekommen?
+Frau Buchner+: Das heißt .... ja. Er sagte; wir sollten ihn nur
vorläufig in Ruhe lassen, und wenn er so weit wäre, dann würde er schon
selbst kommen. Wir waren so vernünftig, ihm seinen Willen zu lassen,
und richtig, nachdem wir ein halbes Jahr gewartet -- eigentlich schon
+nicht mehr+ gewartet -- kam er. Von da ab Tag für Tag. Da ist es denn
nach und nach so ganz anders geworden.
+Frau Scholz+: Ihr müßt hexen können. Die Verlobung +allein+ schon ist
ja ein ganz unbegreifliches Wunder für sich.
+Frau Buchner+: Mit Künstlern muß man umzugehen wissen. Ich hab’s
gelernt, -- mein seliger Mann war auch einer.
+Frau Scholz+: Und -- die -- Geschichte mit -- Vater? -- hat er Euch
auch in -- diese Geschichte eingeweiht?
+Frau Buchner+: N--ein liebe Freundin. -- Siehst Du, das ist der
allereinzigste Punkt, das ist .... In diesem Punkt hat er sich noch
nicht überwinden können. Es läge ja nichts daran, aber Du kannst mir
glauben, er leidet an der Erinnerung furchtbar. Bis auf den heutigen
Tag leidet er. Nicht am wenigsten freilich dadurch, daß er die Sache
geheim hält. Jedenfalls muß er darüber hinweg kommen, auch über diese
Sache.
+Frau Scholz+: I’ Gott bewahre -- nee, nee, nee, Alles was recht is.
Ehre Vater und Mutter: die Hand, die sich gegen den eigenen Vater
erhebt .... aus dem Grabe wachsen solche Hände. Wir haben uns gezankt,
ja doch! wir haben beide Fehler mei Mann und ich; aber das sind +unsre+
Sachen. Kein Mensch hat sich da ’neinzumischen, am wenigsten der eigne
Sohn. -- Und wer hat die Sache ausbaden müssen? natürlich ich. So ’ne
alte Frau die hat ’n breiten Puckel. Mei Mann ging aus dem Hause, noch
am selbigen Tage, und eine halbe Stunde später auch Wilhelm. Da half
kein reden. Erst dachte ich, sie würden wiederkommen, aber wer nicht
kam, das waren sie. Und Wilhelm allein, kein andrer Mensch is Schuld
d’ran, kein andrer Mensch.
+Frau Buchner+: Wilhelm mag eine schwere Schuld haben, davon bin ich
überzeugt, aber sieh mal, wenn man Jahre lang gebüßt hat und -- -- --
+Frau Scholz+: Ne, ne! i Gott! wo denkst Du hin?! darüber kann man nich
so leicht hinweggehen. Das wäre noch schöner! es ist ja sehr schön von
Dir, daß Du Dich des Jungen so angenommen hast, -- es ist ja auch sehr
hübsch, daß er kommt, ja warum denn nicht? Aber im Grunde, was nützt
das alles? so leicht sind die Klüfte nicht auszufüllen. -- Ja, ja, es
sind Klüfte, -- richtige -- tiefe Klüfte zwischen uns Familiengliedern.
+Frau Buchner+: Ich glaube doch, daß wir Menschen mit dem festen,
ehrlichen Willen ....
+Frau Scholz+: Der Wille, der Wille! geh mer nur damit! das kenn ich
besser. Da mag man wollen und wollen und hundertmal wollen, und Alles
bleibt doch beim Alten. Ne, ne! das ist ’n ganz andrer Schlag Deine
Tochter: die is so, und Wilhelm is so, und beide bleiben, wie sie sind.
Viel zu gutte Sorte für Einen von uns, viel, viel zu gutt. -- Gott ja
der Wille der Wille! -- ja ja Alles gutter Wille -- Dein Wille ist sehr
gutt, aber ob Du damit was erreichen wirst --? ich glaube nicht.
+Frau Buchner+: Aber ich hoffe es um so fester.
+Frau Scholz+: Kann ja alles sein. Ich will ja nichts verderben. Im
Grunde freue ich mich ja auch von ganzem Herzen auf den Jungen, nur
regt es mich sehr, sehr auf und paß auf: Du stellst es Dir viel zu
leicht vor.
+Ida+ _(links hereinkommend zu Fr. Scholz, zuthunlich)_:
Schwiegermütterchen, sie vergoldet Nüsse.
+Frau Buchner+: Es wird Zeit Idchen! Du mußt Dich hübsch machen. Er
kann jetzt jeden Augenblick hier sein.
+Ida+ _(erschrocken)_: Soo? schon?
+Frau Scholz+: Ach macht ok keene Geschichten! für den Jungen is sie
viel zu schön.
+Frau Buchner+: Ich hab Dir das Blaue zurechtgelegt _(Ida’n
nachrufend)_ und steck die Broche an, hörst Du! _(Ida ab)_
+Frau Buchner+ _(fortfahrend zu Fr. Scholz)_: Auf Schmuck giebt sie
garnichts.
_(Das Außenportal des Hauses geht.)_
+Frau Scholz+: Wart .... wer? .... _(zu Fr. Buchner)_ thu mer den
Gefallen Du .... ich kann ihn jetzt noch nicht sehen, ich ....
+Frau Buchner+ _(an der Treppenthür hinaufrufend)_: Ida! Dein Wilhelm
kommt.
_(~Dr.~ Scholz tritt ein durch die Glasthür.)_
_~Dr.~ Scholz ist ungewöhnlich groß, breitschultrig, stark
aufgeschwemmt. Gesicht fett, Teint grau und unrein, die Augen
zeitweilig wie erstorben, zuweilen lackartig glänzend, vagirender,
Blick. Er hat einen grauen und struppigen Backenbart. Seine Bewegungen
sind schwerfällig und zitterig. Er spricht unterbrochen von keuchenden
Athemzügen, als ob er Mehl im Munde hätte und stolpert über Silben._
_Er ist ohne Sorgfalt gekleidet: ehemals braune, verschossene
Sammetweste Rock und Beinkleider von indifferenter Färbung. Mütze
mit großem Schild, steingrau, absonderlich in der Form. Rohseidnes
Halstuch. Wäsche zerknittert. Zum Schnäuzen verwendet der Doctor ein
großes, türkisches Taschentuch. Er führt bei seinem Eintritt ein
spanisches Rohr mit Hirschhornkrücke in der Rechten, hat einen großen
Militär-Reisehavelock umgehängt und trägt einen Pelzfußsack über den
linken Arm._
~Dr.~ +Scholz+: ~Servus! servus!~
+Frau Scholz+ _(den Doctor wie eine überirdische Erscheinung
anstarrend)_: Fritz! -- --
~Dr.~ +Scholz+: Ja wie Du sehen kannst.
+Frau Scholz+ _(mit einem Schrei ihren Mann umhalsend)_: Fritz!!!
-- -- --
+Auguste+ _(öffnet die Thür links, fährt zugleich zurück)_: Der Vater!
_(Fr. Buchner mit starrem Ausdruck rückwärts schreitend, ab durch linke
Seitenthür.)_
~Dr.~ +Scholz+: Ich bin’s, wie Du siehst. Vor allem, Du: ist Friebe da?
+Friebe+ _(guckt durch die Küchenthür, erschrickt, kommt vollends
hervor)_: Herr Doctor!! _(er stürzt auf ihn zu, faßt und küßt seine
beide Hände)_ nu bitt’ ick eenen Menschen! Jott soll mir’n Thaler
schenken!
~Dr.~ +Scholz+: Pssst! -- sehen Sie mal nach -- schließen Sie die
Hausthür fest _(Friebe nickt und vollführt den Befehl mit freudigem
Eifer.)_
+Frau Scholz+ _(vor Staunen außer sich)_: Aber sag mer nur Fritz! sag
mer nur .... die Gedanken fliegen mer davon, _(ihn weinend umhalsend)_
ach Fritz! was hast Du mir für Kummer gemacht in der langen Zeit!
~Dr.~ +Scholz+ _(seine Frau sanft zurückdrängend)_: Ach, Du .... mein
Leben ist auch .... wir wollen uns doch lieber nicht von Anfang an mit
Vorwürfen .... Du bist doch immer die alte wehleidige Seele, _(mit
gelinder Bitterkeit)_ übrigens würde ich Dich sicher nicht belästigt
haben, wenn nicht .... _(Friebe nimmt ihm Mantel, Fußsack ⁊c. ab.)_
Es giebt Lebenslagen, liebe Minna .... wenn man wie ich einflußreiche
Gegner hat.
_(Friebe ab durch den Treppenausgang, mit den Sachen des Doctor.)_
+Frau Scholz+ _(gutmüthig schmollend)_: Es hat Dich doch Niemand
geheißen Fritz! Du hatt’st doch hier ’n sichres, warmes Zuhause. So
schön hätt’st Du leben können!
~Dr.~ +Scholz+: Sei nicht böse, aber: daß verstehst Du nicht!
+Frau Scholz+: Na ja; ich bin ja nur ’ne einfache Person, das mag ja
möglich sein, aber Du warst ja wirklich auf Niemand angewiesen, es war
doch garnicht nöthig, daß Du ....
~Dr.~ +Scholz+: Pssst, es war sehr nöthig _(halbwegs geheimnißvoll)_
auf Schuld folgt Sühne, auf Sünde folgt Strafe.
+Frau Scholz+: Na ja -- freilich Fritz -- es hat wirklich auch viel an
Dir mitgelegen _(sie wirft von jetzt ab bis zum Schluß des Gesprächs
fortwährend ängstliche Blicke nach der Hausthür, als befürchte sie
jeden Augenblick die Ankunft Wilhelms)_, wir hätten doch so ruhig --
so zufrieden .... wenn Du nur gewollt hätt’st.
~Dr.~ +Scholz+: +Alles+ hat an mir gelegen, ganz und gar +Alles+.
+Frau Scholz+: Da bist Du nu auch wieder ungerecht.
~Dr.~ +Scholz+: I! ich will ja auch nicht bestreiten: viel Gemeinheit
hat sich verbunden gegen mich; das ist ja bekannt: -- zum Beispiel
denke Dir: in den Hotels -- die Kellner -- keine Nacht konnte ich
durchschlafen, hin und her, hin und her auf den Corridoren und gerade
immer vor +meiner+ Thür.
+Frau Scholz+: Aber sie werden Dich doch am Ende nicht +absichtlich+
gestört haben.
~Dr.~ +Scholz+: Nicht? -- Du, hör mal, das verstehst Du nicht!
+Frau Scholz+: Na es kann ja sein; die Kellner sind ja mitunter
niederträchtig.
~Dr.~ +Scholz+: Niederträchtig! ja wohl, niederträchtig! -- übrigens
wir können ja später darüber reden. Ich habe etwas Kopfschmerz _(faßt
nach dem Hinterkopf)_ da! Auch so eine Infamie! ich weiß ganz gut, wem
ich das zu verdanken habe .... ich will mich nur noch vergewissern, ob
ich sie durch einen gesunden Schlaf vertreibe. Ich bin +sehr+ müde.
+Frau Scholz+: Aber oben ist nicht geheizt! Fritz.
~Dr.~ +Scholz+: Denk Dir mal an, in einer Tour von Wien. Nicht geheizt?
macht nichts: Friebe besorgt das schon. -- Sag mal, wie steht’s mit
Friebe? -- was ich fragen wollte? ist er noch so zuverlässig?
+Frau Scholz+: Friebe is, wie er immer war.
~Dr.~ +Scholz+: Das dacht ich mir doch! -- auf Wiedersehen!
_(nachdem er seiner Frau die Hand gedrückt, wendet er sich mit tief
nachdenklichem Ausdruck und schreitet auf den Treppenausgang zu. Den
Tannenbaum bemerkend, bleibt er stehen und starrt ihn verloren an.)_
Was heißt denn das?
+Frau Scholz+: _(zwischen Furcht, Beschämung und Rührung)_: Wir feiern
Weihnachten!
~Dr.~ +Scholz+: Feiern? -- -- _(nach einer langen Pause, in Erinnerung
verloren)_ das -- ist -- lange -- her! _(sich wendend mit echter
Empfindung redend)_ Du bist +auch+ weiß geworden.
+Frau Scholz+: Ja Fritz, -- wir beide ....
~Dr.~ +Scholz+ _(nickt, wendet sich weg. Ab durch den Treppenausgang)_.
+Frau Buchner+ _(hastig von links)_: Also Dein Mann ist wieder da?!
+Frau Scholz+: Daß is wie so .... wie wenn .... ich weeß nich! Jesus,
was soll ich nur davon denken?
You have read 1 text from German literature.
Next - Das Friedensfest - 2
  • Parts
  • Das Friedensfest - 1
    Total number of words is 3970
    Total number of unique words is 1396
    37.2 of words are in the 2000 most common words
    48.0 of words are in the 5000 most common words
    53.5 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Das Friedensfest - 2
    Total number of words is 4258
    Total number of unique words is 1262
    41.0 of words are in the 2000 most common words
    52.5 of words are in the 5000 most common words
    57.4 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Das Friedensfest - 3
    Total number of words is 4392
    Total number of unique words is 1252
    43.4 of words are in the 2000 most common words
    55.1 of words are in the 5000 most common words
    61.3 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Das Friedensfest - 4
    Total number of words is 4253
    Total number of unique words is 1244
    41.6 of words are in the 2000 most common words
    52.1 of words are in the 5000 most common words
    57.6 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Das Friedensfest - 5
    Total number of words is 3950
    Total number of unique words is 1029
    48.1 of words are in the 2000 most common words
    59.9 of words are in the 5000 most common words
    65.6 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.