Dantons Tod - 4

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Ich wußt' es, man hatte mich gewarnt.
Lacroix.
Und du hast nichts gesagt?
Danton.
Zu was? Ein Schlagfluß ist der beste Tod; wolltest du zuvor krank
sein? Und - ich dachte nicht, daß sie es wagen würden. (Zu Hérault:)
Es ist besser, sich in die Erde legen als sich Leichdörner auf ihr
laufen; ich habe sie lieber zum Kissen als zum Schemel.
Hérault.
Wir werden wenigstens nicht mit Schwielen an den Fingern der hübschen
Dame Verwesung die Wangen streicheln.
Camille (zu Danton).
Gib dir nur keine Mühe! du magst die Zunge noch so weit zum Hals
heraushängen, du kannst dir damit doch nicht den Todesschweiß von der
Stirne lecken. - O Lucile! Das ist ein großer Jammer!
(Die Gefangnen drängen sich um die neu Angekommnen.)
Danton (zu Payne).
Was Sie für das Wohl Ihres Landes getan, habe ich für das meinige
versucht. Ich war weniger glücklich, man schickt mich aufs Schafott;
meinetwegen, ich werde nicht stolpern.
Mercier (zu Danton).
Das Blut der Zweiundzwanzig ersäuft dich.
Ein Gefangener (zu Hérault).
Die Macht des Volkes und die Macht der Vernunft sind eins.
Ein andrer (zu Camille).
Nun, Generalprokurator der Laterne, deine Verbesserung der
Straßenbeleuchtung hat in Frankreich nicht heller gemacht.
Ein andrer.
Laßt ihn! Das sind die Lippen, welche das Wort »Erbarmen« gesprochen.
(Er umarmt Camille, mehrere Gefangne folgen seinem Beispiel.)
Philippeau.
Wir sind Priester, die mit Sterbenden gebetet haben; wir sind
angesteckt worden und sterben an der nämlichen Seuche.
Einige Stimmen.
Der Streich, der euch trifft, tötet uns alle.
Camille.
Meine Herren, ich beklage sehr, daß unsere Anstrengungen so fruchtlos
waren; ich gehe aufs Schafott, weil mir die Augen über das Los einiger
Unglücklichen naß geworden.

Zweite Szene
Ein Zimmer
Fouquier-Tinville. Herman.
Fouquier.
Alles bereit?
Herman.
Es wird schwer halten; wäre Danton nicht darunter, so ginge es leicht.
Fouquier.
Er muß vortanzen.
Herman.
Er wird die Geschwornen erschrecken, er ist die Vogelscheuche der
Revolution.
Fouquier.
Die Geschwornen müssen wollen.
Herman.
Ein Mittel wüßt' ich, aber es wird die gesetzliche Form verletzen.
Fouquier.
Nur zu!
Herman.
Wir losen nicht, sondern suchen die Handfesten aus.
Fouquier.
Das muß gehen. - Das wird ein gutes Heckefeuer geben. Es sind ihrer
neunzehn. Sie sind geschickt zusammengewörfelt. Die vier Fälscher,
dann einige Bankiers und Fremde. Es ist ein pikantes Gericht. Das Volk
braucht dergleichen. - Also zuverlässige Leute! Wer zum Beispiel?
Herman.
Leroi. Er ist taub und hört daher nichts von all dem, was die
Angeklagten vorbringen. Danton mag sich den Hals bei ihm rauh
schreien.
Fouquier.
Sehr gut; weiter!
Herman.
Vilatte und Lumière. Der eine sitzt immer in der Trinkstube, und der
andere schläft immer; beide öffnen den Mund nur, um das Wort
»Schuldig« zu sagen. - Girard hat den Grundsatz, es dürfe keiner
entwischen, der einmal vor das Tribunal gestellt sei.
Renaudin...
Fouquier.
Auch der? Er half einmal einigen Pfaffen durch.
Herman.
Sei ruhig! Vor einigen Tagen kommt er zu mir und verlangt, man solle
allen Verurteilten vor der Hinrichtung zur Ader lassen, um sie ein
wenig matt zu machen; ihre meist trotzige Haltung ärgere ihn.
Fouquier.
Ach, sehr gut. Also ich verlasse mich!
Herman.
Laß mich nur machen!

Dritte Szene
Die Conciergerie. Ein Korridor
Lacroix, Danton, Mercier und andre Gefangne auf und ab gehend.
Lacroix (zu einem Gefangnen).
Wie, so viel Unglückliche, und in einem so elenden Zustande?
Der Gefangne.
Haben Ihnen die Guillotinenkarren nie gesagt, daß Paris eine
Schlachtbank sei?
Mercier.
Nicht wahr, Lacroix, die Gleichheit schwingt ihre Sichel über allen
Häuptern, die Lava der Revolution fließt, die Guillotine
republikanisiert! Da klatschen die Galerien, und die Römer reiben sich
die Hände; aber sie hören nicht, daß jedes dieser Worte das Röcheln
eines Opfers ist. Geht einmal euren Phrasen nach bis zu dem Punkt, wo
sie verkörpert werden. - Blickt um euch, das alles habt ihr
gesprochen; es ist eine mimische Übersetzung eurer Worte. Diese
Elenden, ihre Henker und die Guillotine sind eure lebendig gewordnen
Reden. Ihr bautet eure Systeme, wie Bajazet seine Pyramiden, aus
Menschenköpfen.
Danton.
Du hast recht - man arbeitet heutzutag alles in Menschenfleisch. Das
ist der Fluch unserer Zeit. Mein Leib wird jetzt auch verbraucht.
Es ist grade ein Jahr, daß ich das Revolutionstribunal schuf. Ich
bitte Gott und Menschen dafür um Verzeihung; ich wollte neuen
Septembermorden zuvorkommen, ich hoffte die Unschuldigen zu retten,
aber dies langsame Morden mit seinen Formalitäten ist gräßlicher und
ebenso unvermeidlich. Meine Herren, ich hoffte, Sie alle diesen Ort
verlassen zu machen.
Mercier.
Oh, herausgehen werden wir.
Danton.
Ich bin jetzt bei Ihnen; der Himmel weiß, wie das enden soll.

Vierte Szene
Das Revolutionstribunal
Herman (zu Danton).
Ihr Name, Bürger.
Danton.
Die Revolution nennt meinen Namen. Meine Wohnung ist bald im Nichts
und mein Name im Pantheon der Geschichte.
Herman.
Danton, der Konvent beschuldigt Sie, mit Mirabeau, mit Dumouriez, mit
Orléans, mit den Girondisten, den Fremden und der Faktion Ludwigs des
XVII. konspiriert zu haben.
Danton.
Meine Stimme, die ich so oft für die Sache des Volkes ertönen ließ,
wird ohne Mühe die Verleumdung zurückweisen. Die Elenden, welche mich
anklagen, mögen hier erscheinen, und ich werde sie mit Schande
bedecken. Die Ausschüsse mögen sich hierher begeben, ich werde nur vor
ihnen antworten. Ich habe sie als Kläger und als Zeugen nötig. Sie
mögen sich zeigen.
Übrigens, was liegt mir an euch und eurem Urteil? Ich hab es euch
schon gesagt: das Nichts wird bald mein Asyl sein; - das Leben ist mir
zur Last, man mag mir es entreißen, ich sehne mich danach, es
abzuschütteln.
Herman.
Danton, die Kühnheit ist dem Verbrecher, die Ruhe der Unschuld eigen.
Danton.
Privatkühnheit ist ohne Zweifel zu tadeln, aber jene Nationalkühnheit,
die ich so oft gezeigt, mit welcher ich so oft für die Freiheit
gekämpft habe, ist die verdienstvollste aller Tugenden. - Sie ist
meine Kühnheit, sie ist es, der ich mich hier zum Besten der Republik
gegen meine erbärmlichen Ankläger bediene. Kann ich mich fassen, wenn
ich mich auf eine so niedrige Weise verleumdet sehe? - Von einem
Revolutionär wie ich darf man keine kalte Verteidigung erwarten.
Männer meines Schlages sind in Revolutionen unschätzbar, auf ihrer
Stirne schwebt das Genie der Freiheit. (Zeichen von Beifall unter den
Zuhörern.)
Mich klagt man an, mit Mirabeau, mit Dumouriez, mit Orléans
konspiriert, zu den Füßen elender Despoten gekrochen zu haben; mich
fordert man auf, vor der unentrinnbaren, unbeugsamen Gerechtigkeit zu
antworten. - Du elender St. Just wirst der Nachwelt für diese
Lästerung verantwortlich sein!
Herman.
Ich fordere Sie auf, mit Ruhe zu antworten; gedenken Sie Marats, er
trat mit Ehrfurcht vor seine Richter.
Danton.
Sie haben die Hände an mein ganzes Leben gelegt, so mag es sich denn
aufrichten und ihnen entgegentreten; unter dem Gewichte jeder meiner
Handlungen werde ich sie begraben. - Ich bin nicht stolz darauf. Das
Schicksal führt uns den Arm, aber nur gewaltige Naturen sind seine
Organe.
Ich habe auf dem Marsfelde dem Königtume den Krieg erklärt, ich habe
es am 10. August geschlagen, ich habe es am 21. Januar getötet und den
Königen einen Königskopf als Fehdehandschuh hingeworfen. (Wiederholte
Zeichen von Beifall. - Er nimmt die Anklageakte.) Wenn ich einen Blick
auf diese Schandschrift werfe, fühle ich mein ganzes Wesen beben. Wer
sind denn die, welche Danton nötigen mußten, sich an jenem
denkwürdigen Tage (dem 10. August) zu zeigen? Wer sind denn die
privilegierten Wesen, von denen er seine Energie borgte? - Meine
Ankläger mögen erscheinen! Ich bin ganz bei Sinnen, wenn ich es
verlange. Ich werde die platten Schurken entlarven und sie in das
Nichts zurückschleudern, aus dem sie nie hätten hervorkriechen
sollen.
Herman (schellt).
Hören Sie die Klingel nicht?
Danton.
Die Stimme eines Menschen, welcher seine Ehre und sein Leben
verteidigt, muß deine Schelle überschreien.
Ich habe im September die junge Brut der Revolution mit den
zerstückten Leibern der Aristokraten geätzt. Meine Stimme hat aus dem
Golde der Aristokraten und Reichen dem Volke Waffen geschmiedet. Meine
Stimme war der Orkan, welcher die Satelliten des Despotismus unter
Wogen von Bajonetten begrub. (Lauter Beifall.)
Herman.
Danton, Ihre Stimme ist erschöpft, Sie sind zu heftig bewegt. Sie
werden das nächste Mal Ihre Verteidigung beschließen, Sie haben Ruhe
nötig. - Die Sitzung ist aufgehoben.
Danton.
Jetzt kennt Ihr Danton - noch wenige Stunden, und er wird in den Armen
des Ruhmes entschlummern.

Fünfte Szene
Das Luxembourg. Ein Kerker
Dillon. Laflotte. Ein Gefangenwärter.
Dillon.
Kerl, leuchte mir mit deiner Nase nicht so ins Gesicht. Hä, hä, hä!
Laflotte.
Halte den Mund zu, deine Mondsichel hat einen Hof. Hä, hä, hä!
Wärter.
Hä, hä, hä! Glaubt Ihr, Herr, daß Ihr bei ihrem Schein lesen könntet?
(Zeigt auf einen Zettel, den er in der Hand hält.)
Dillon.
Gib her!
Wärter.
Herr, meine Mondsichel hat Ebbe bei mir gemacht.
Laflotte.
Deine Hosen sehen aus, als ob Flut wäre.
Wärter.
Nein, sie zieht Wasser. (Zu Dillon:) Sie hat sich vor Eurer Sonne
verkrochen, Herr; Ihr müßt mir was geben, das sie wieder feurig macht,
wenn Ihr dabei lesen wollt.
Dillon.
Da, Kerl! Pack dich! (Er gibt ihm Geld. Wärter ab. - Dillon liest:)
Danton hat das Tribunal erschreckt, die Geschwornen schwankten, die
Zuhörer murrten. Der Zudrang war außerordentlich. Das Volk drängte
sich um den Justizpalast und stand bis zu den Brücken. Eine Handvoll
Geld, ein Arm endlich - hin! hin! (Er geht auf und ab und schenkt sich
von Zeit zu Zeit aus einer Flasche ein.) Hätt' ich nur den Fuß auf der
Gasse! Ich werde mich nicht so schlachten lassen. Ja, nur den Fuß auf
der Gasse!
Laflotte.
Und auf dem Karren, das ist eins.
Dillon.
Meinst du? Da lägen noch ein paar Schritte dazwischen, lange genug, um
sie mit den Leichen der Dezemvirn zu messen. - Es ist endlich Zeit,
daß die rechtschaffnen Leute das Haupt erheben.
Laflotte (für sich).
Desto besser, um so leichter ist es zu treffen. Nur zu, Alter; noch
einige Gläser, und ich werde flott.
Dillon.
Die Schurken, die Narren, sie werden sich zuletzt noch selbst
guillotinieren. (Er läuft auf und ab.)
Laflotte (beiseite).
Man könnte das Leben ordentlich wieder liebhaben, wie sein Kind, wenn
man sich's selbst gegeben. Das kommt gerade nicht oft vor, daß man so
mit dem Zufall Blutschande treiben und sein eigner Vater werden kann.
Vater und Kind zugleich. Ein behaglicher Ödipus!
Dillon.
Man füttert das Volk nicht mit Leichen; Dantons und Camilles Weiber
mögen Assignaten unter das Volk werfen, das ist besser als Köpfe.
Laflotte (beiseite).
Ich würde mir hintennach die Augen nicht ausreißen; ich könnte sie
nötig haben, um den guten General zu beweinen.
Dillon.
Die Hand an Danton! Wer ist noch sicher? Die Furcht wird sie
vereinigen.
Laflotte (beiseite).
Er ist doch verloren. Was ist's denn, wenn ich auf eine Leiche trete,
um aus dem Grab zu klettern?
Dillon.
Nur den Fuß auf der Gasse! Ich werde Leute genug finden, alte
Soldaten, Girondisten, Exadlige; wir erbrechen die Gefängnisse, wir
müssen uns mit den Gefangnen verständigen.
Laflotte (beiseite).
Nun freilich, es riecht ein wenig nach Schufterei. Was tut's? Ich
hätte Lust, auch das zu versuchen; ich war bisher zu einseitig. Man
bekommt Gewissensbisse, das ist doch eine Abwechslung; es ist nicht so
unangenehm, seinen eignen Gestank zu riechen. - Die Aussicht auf die
Guillotine ist mir langweilig geworden; so lang auf die Sache zu
warten! Ich habe sie im Geist schon zwanzigmal durchprobiert. Es ist
auch gar nichts Pikantes mehr dran; es ist ganz gemein geworden.
Dillon.
Man muß Dantons Frau ein Billett zukommen lassen.
Laflotte (beiseite).
Und dann - ich fürchte den Tod nicht, aber den Schmerz. Es könnte wehe
tun, wer steht mir dafür? Man sagt zwar, es sei nur ein Augenblick;
aber der Schmerz hat ein feineres Zeitmaß, er zerlegt eine Tertie.
Nein! Der Schmerz ist die einzige Sünde, und das Leiden ist das
einzige Laster; ich werde tugendhaft bleiben.
Dillon.
Höre, Laflotte, wo ist der Kerl hingekommen? Ich habe Geld, das muß
gehen. Wir müssen das Eisen schmieden; mein Plan ist fertig.
Laflotte.
Gleich, gleich! Ich kenne den Schließer, ich werde mit ihm sprechen.
Du kannst auf mich zählen, General, wir werden aus dem Loch kommen -
(für sich im Hinausgehn:) um in ein anderes zu gehen: ich in das
weiteste, die Welt, er in das engste, das Grab.

Sechste Szene
Der Wohlfahrtsausschuß
St. Just. Barère. Collot d'Herbois. Billaud-Varennes.
Barère.
Was schreibt Fouquier?
St. Just.
Das zweite Verhör ist vorbei. Die Gefangnen verlangen das Erscheinen
mehrerer Mitglieder des Konvents und des Wohlfahrtsausschusses; sie
appellierten an das Volk, wegen Verweigerung der Zeugen. Die Bewegung
der Gemüter soll unbeschreiblich sein. - Danton parodierte den Jupiter
und schüttelte die Locken.
Collot.
Um so leichter wird ihn Samson daran packen.
Barère.
Wir dürfen uns nicht zeigen, die Fischweiber und die Lumpensammler
könnten uns weniger imposant finden.
Billaud.
Das Volk hat einen Instinkt, sich treten zu lassen, und wäre es nur
mit Blicken; dergleichen insolente Physiognomien gefallen ihm. Solche
Stirnen sind ärger als ein adliges Wappen, der feine Aristokratismus
der Menschenverachtung sitzt auf ihnen. Es sollte sie jeder
einschlagen helfen, den es verdrießt, einen Blick von oben herunter zu
erhalten.
Barère.
Er ist wie der hörnerne Siegfried, das Blut der Septembrisierten hat
ihn unverwundbar gemacht. Was sagt Robespierre?
St. Just.
Er tut, als ob er etwas zu sagen hätte. Die Geschwornen müssen sich
für hinlänglich unterrichtet erklären und die Debatten schließen.
Barère.
Unmöglich, das geht nicht.
St. Just.
Sie müssen weg, um jeden Preis, und sollten wir sie mit den eignen
Händen erwürgen. Wagt! Danton soll uns das Wort nicht umsonst gelehrt
haben. Die Revolution wird über ihre Leichen nicht stolpern; aber
bleibt Danton am Leben, so wird er sie am Gewand fassen, und er hat
etwas in seiner Gestalt, als ob er die Freiheit notzüchtigen könnte.
(St. Just wird hinausgerufen.)
(Ein Schließer tritt ein.)
Schließer.
In St. Pelagie liegen Gefangne am Sterben, sie verlangen einen Arzt.
Billaud.
Das ist unnötig, so viel Mühe weniger für den Scharfrichter.
Schließer.
Es sind schwangere Weiber dabei.
Billaud.
Desto besser, da brauchen ihre Kinder keinen Sarg.
Barère.
Die Schwindsucht eines Aristokraten spart dem Revolutionstribunal eine
Sitzung. Jede Arznei wäre contrerevolutionär.
Collot (nimmt ein Papier).
Eine Bittschrift, ein Weibername!
Barère.
Wohl eine von denen, die gezwungen sein möchten, zwischen einem
Guillotinenbrett und dem Bett eines Jakobiners zu wählen. Die wie
Lukretia nach dem Verlust ihrer Ehre sterben, aber etwas später als
die Römerin: im Kindbett oder am Krebs oder aus Altersschwäche. - Es
mag nicht so unangenehm sein, einen Tarquinius aus der Tugendrepublik
einer Jungfrau zu treiben.
Collot.
Sie ist zu alt. Madame verlangt den Tod, sie weiß sich auszudrücken:
das Gefängnis liege auf ihr wie ein Sargdeckel; sie sitzt erst seit
vier Wochen. Die Antwort ist leicht. (Er schreibt und liest:)
»Bürgerin, es ist noch nicht lange genug, daß du den Tod wünschest.«
(Schließer ab.)
Barère.
Gut gesagt! Aber, Collot, es ist nicht gut, daß die Guillotine zu
lachen anfängt; die Leute haben sonst keine Furcht mehr davor; man muß
sich nicht so familiär machen.
(St. Just kommt zurück.)
St. Just.
Eben erhalte ich eine Denunziation. Man konspiriert in den
Gefängnissen; ein junger Mensch namens Laflotte hat alles entdeckt. Er
saß mit Dillon im nämlichen Zimmer, Dillon hat getrunken und
geplaudert.
Barère.
Er schneidet sich mit seiner Bouteille den Hals ab; das ist schon mehr
vorgekommen.
St. Just.
Dantons und Camilles Weiber sollen Geld unter das Volk werfen, Dillon
soll ausbrechen, man will die Gefangnen befreien, der Konvent soll
gesprengt werden.
Barère.
Das sind Märchen.
St. Just.
Wir werden sie aber mit dem Märchen in Schlaf erzählen. Die Anzeige
habe ich in Händen; dazu die Keckheit der Angeklagten, das Murren des
Volks, die Bestürzung der Geschwornen - ich werde einen Bericht
machen.
Barère.
Ja, geh, St. Just, und spinne deine Perioden, worin jedes Komma ein
Säbelhieb und jeder Punkt ein abgeschlagner Kopf ist!
St. Just.
Der Konvent muß dekretieren, das Tribunal solle ohne Unterbrechung den
Prozeß fortführen und dürfe jeden Angeklagten, welcher die dem
Gerichte schuldige Achtung verletzte oder störende Auftritte
veranlaßte, von den Debatten ausschließen.
Barère.
Du hast einen revolutionären Instinkt; das lautet ganz gemäßigt und
wird doch seine Wirkung tun. Sie können nicht schweigen, Danton muß
schreien.
St. Just.
Ich zähle auf eure Unterstützung. Es gibt Leute im Konvent, die ebenso
krank sind wie Danton und welche die nämliche Kur fürchten. Sie haben
wieder Mut bekommen, sie werden über Verletzung der Formen
schreien...
Barère(ihn unterbrechend)
Ich werde ihnen sagen: Zu Rom wurde der Konsul, welcher die
Verschwörung des Katilina entdeckte und die Verbrecher auf der Stelle
mit dem Tod bestrafte, der verletzten Förmlichkeit angeklagt. Wer
waren seine Ankläger?
Collot (mit Pathos).
Geh, St. Just! Die Lava der Revolution fließt. Die Freiheit wird die
Schwächlinge, welche ihren mächtigen Schoß befruchten wollten, in
ihren Umarmungen ersticken; die Majestät des Volks wird ihnen wie
Jupiter der Semele unter Donner und Blitz erscheinen und sie in Asche
verwandeln. Geh, St. Just, wir werden dir helfen, den Donnerkeil auf
die Häupter der Feiglinge zu schleudern! (St. Just ab.)
Barère.
Hast du das Wort Kur gehört? Sie werden noch aus der Guillotine ein
Spezifikum gegen die Lustseuche machen. Sie kämpfen nicht mit den
Moderierten, sie kämpfen mit dem Laster.
Billaud.
Bis jetzt geht unser Weg zusammen.
Barère.
Robespierre will aus der Revolution einen Hörsaal für Moral machen und
die Guillotine als Katheder gebrauchen.
Billaud.
Oder als Betschemel.
Collot.
Auf dem er aber alsdann nicht stehen, sondern liegen soll.
Barère.
Das wird leicht gehen. Die Welt müßte auf dem Kopf stehen, wenn die
sogenannten Spitzbuben von den sogenannten rechtlichen Leuten gehängt
werden sollten.
Collot(zu Barère).
Wann kommst du wieder nach Clichy?
Barère.
Wenn der Arzt nicht mehr zu mir kommt.
Collot.
Nicht wahr, über dem Ort steht ein Haarstern, unter dessen
versengenden Strahlen dein Rückenmark ganz ausgedörrt
wird?
Billaud.
Nächstens werden die niedlichen Finger der reizenden Demaly es ihm aus
dem Futterale ziehen und es als Zöpfchen über den Rücken
hinunterhängen machen.
Barère (zuckt die Achseln).
Pst! davon darf der Tugendhafte nichts wissen.
Billaud.
Er ist ein impotenter Masoret. (Billaud und Collot ab.)
Barère (allein).
Die Ungeheuer! - »Es ist noch nicht lange genug, daß du den Tod
wünschest!« Diese Worte hätten die Zunge müssen verdorren machen, die
sie gesprochen.
Und ich? - Als die Septembriseurs in die Gefängnisse drangen, faßt ein
Gefangner sein Messer, er drängt sich unter die Mörder, er stößt es in
die Brust eines Priesters, er ist gerettet! Wer kann was dawider
haben? Ob ich mich nun unter die Mörder dränge oder mich in den
Wohlfahrtsausschuß setze, ob ich ein Guillotinen- oder ein
Taschenmesser nehme? Es ist der nämliche Fall, nur mit etwas
verwickelteren Umständen; die Grundverhältnisse sind sich gleich. -
Und durft' er einen morden: durft' er auch zwei, auch drei, auch noch
mehr? wo hört das auf? Da kommen die Gerstenkörner! Machen zwei einen
Haufen, drei, vier, wieviel dann? Komm, mein Gewissen, komm, mein
Hühnchen, komm, bi, bi, bi, da ist Futter!
Doch - war ich auch Gefangner? Verdächtig war ich, das läuft auf eins
hinaus; der Tod war mir gewiß. (Ab.)

Siebente Szene
Die Conciergerie
Lacroix. Danton. Philippeau. Camille.
Lacroix.
Du hast gut geschrien, Danton; hättest du dich etwas früher so um dein
Leben gequält, es wäre jetzt anders. Nicht wahr, wenn der Tod einem so
unverschämt nahe kommt und so aus dem Hals stinkt und immer
zudringlicher wird?
Camille.
Wenn er einen noch notzüchtigte und seinen Raub unter Ringen und Kampf
aus den heißen Gliedern riß! Aber so in allen Formalitäten wie bei der
Hochzeit mit einem alten Weibe, wie die Pakten aufgesetzt, wie die
Zeugen gerufen, wie das Amen gesagt und wie dann die Bettdecke gehoben
wird und es langsam hereinkriecht mit seinen kalten Gliedern!
Danton.
Wär' es ein Kampf, daß die Arme und Zähne einander packten! Aber es
ist mir, als wäre ich in ein Mühlwerk gefallen, und die Glieder würden
mir langsam systematisch von der kalten physischen Gewalt abgedreht.
So mechanisch getötet zu werden!
Camille.
Und dann daliegen allein, kalt, steif in dem feuchten Dunst der
Fäulnis - vielleicht, daß einem der Tod das Leben langsam aus den
Fibern martert - mit Bewußtsein vielleicht sich wegzufaulen!
Philippeau.
Seid ruhig, meine Freunde! Wir sind wie die Herbstzeitlose, welche
erst nach dem Winter Samen trägt. Von Blumen, die versetzt werden,
unterscheiden wir uns nur dadurch, daß wir über dem Versuch ein wenig
stinken. Ist das so arg?
Danton.
Eine erbauliche Aussicht! Von einem Misthaufen auf den andern! Nicht
wahr, die göttliche Klassentheorie? Von Prima nach Sekunda, von
Sekunda nach Tertia und so weiter? Ich habe die Schulbänke satt, ich
habe mir Gesäßschwielen wie ein Affe darauf gesessen.
Philippeau.
Was willst du denn?
Danton.
Ruhe.
Philippeau.
Die ist in Gott.
Danton.
Im Nichts. Versenke dich in was Ruhigers als das Nichts, und wenn die
höchste Ruhe Gott ist, ist nicht das Nichts Gott? Aber ich bin ein
Atheist. Der verfluchte Satz: Etwas kann nicht zu nichts werden! Und
ich bin etwas, das ist der Jammer! - Die Schöpfung hat sich so breit
gemacht, da ist nichts leer, alles voll Gewimmels. Das Nichts hat sich
ermordet, die Schöpfung ist seine Wunde, wir sind seine Blutstropfen,
die Welt ist das Grab, worin es fault. - Das lautet verrückt, es ist
aber doch was Wahres daran.
Camille.
Die Welt ist der Ewige Jude, das Nichts ist der Tod, aber er ist
unmöglich. Oh, nicht sterben können, nicht sterben können! wie es im
Lied heißt.
Danton.
Wir sind alle lebendig begraben und wie Könige in drei- oder
vierfachen Särgen beigesetzt, unter dem Himmel, in unsern Häusern, in
unsern Röcken und Hemden. - Wir kratzen fünfzig Jahre lang am
Sargdeckel. Ja, wer an Vernichtung glauben könnte! dem wäre geholfen.
- Da ist keine Hoffnung im Tod; er ist nur eine einfachere, das Leben
eine verwickeltere, organisiertere Fäulnis, das ist der ganze
Unterschied! - Aber ich bin gerad einmal an diese Art des Faulens
gewöhnt; der Teufel weiß, wie ich mit einer andern zurechtkomme. O
Julie! Wenn ich allein ginge! Wenn sie mich einsam ließe! - Und wenn
ich ganz zerfiele, mich ganz auflöste: ich wäre eine Handvoll
gemarterten Staubes, jedes meiner Atome könnte nur Ruhe finden bei
ihr. - Ich kann nicht sterben, nein, ich kann nicht sterben. Wir sind
noch nicht geschlagen. Wir müssen schreien; sie müssen mir jeden
Lebenstropfen aus den Gliedern reißen.
Lacroix.
Wir müssen auf unsrer Forderung bestehen; unsre Ankläger und die
Ausschüsse müssen vor dem Tribunal erscheinen.

Achte Szene
Ein Zimmer
Fouquier. Amar. Vouland.
Fouquier.
Ich weiß nicht mehr, was ich antworten soll; sie fordern eine
Kommission.
Amar.
Wir haben die Schurken: da hast du, was du verlangst. (Er überreicht
Fouquier ein Papier.)
Vouland.
Das wird sie zufriedenstellen.
Fouquier.
Wahrhaftig, das hatten wir nötig.
Amar.
Nun mache, daß wir und sie die Sache vom Hals bekommen.

Neunte Szene
Das Revolutionstribunal
Danton.
Die Republik ist in Gefahr, und er hat keine Instruktion! Wir
appellieren an das Volk; meine Stimme ist noch stark genug, um den
Dezemvirn die Leichenrede zu halten. - Ich wiederhole es, wir
verlangen eine Kommission; wir haben wichtige Entdeckungen zu machen.
Ich werde mich in die Zitadelle der Vernunft zurückziehen, ich werde
mit der Kanone der Wahrheit hervorbrechen und meine Feinde zermalmen.
(Zeichen des Beifalls.)
(Fouquier, Amar und Vouland treten ein.)
Fouquier.
Ruhe im Namen der Republik, Achtung dem Gesetz! Der Konvent
beschließt:
In Betracht, daß in den Gefängnissen sich Spuren von Meutereien
zeigen, in Betracht, daß Dantons und Camilles Weiber Geld unter das
Volk werfen und daß der General Dillon ausbrechen und sich an die
Spitze der Empörer stellen soll, um die Angeklagten zu befreien, in
Betracht endlich, daß diese selbst unruhige Auftritte herbeizuführen
sich bemüht und das Tribunal zu beleidigen versucht haben, wird das
Tribunal ermächtigt, die Untersuchung ohne Unterbrechung fortzusetzen
und jeden Angeklagten, der die dem Gesetze schuldige Ehrfurcht außer
Augen setzen sollte, von den Debatten auszuschließen.
Danton.
Ich frage die Anwesenden, ob wir dem Tribunal, dem Volke oder dem
Nationalkonvent Hohn gesprochen haben?
Viele Stimmen.
Nein! Nein!
Camille.
Die Elenden, sie wollen meine Lucile morden!
Danton.
Eines Tages wird man die Wahrheit erkennen. Ich sehe großes Unglück
über Frankreich hereinbrechen. Das ist die Diktatur; sie hat ihren
Schleier zerrissen, sie trägt die Stirne hoch, sie schreitet über
unsere Leichen. (Auf Amar und Vouland deutend:) Seht da die feigen
Mörder, seht da die Raben des Wohlfahrtsausschusses!
Ich klage Robespierre, St. Just und ihre Henker des Hochverrats an. -
Sie wollen die Republik im Blut ersticken. Die Gleise der
Guillotinenkarren sind die Heerstraßen, auf welchen die Fremden in das
Herz des Vaterlandes dringen sollen.
Wie lange sollen die Fußstapfen der Freiheit Gräber sein? - Ihr wollt
Brot, und sie werfen euch Köpfe hin! Ihr durstet, und sie machen euch
das Blut von den Stufen der Guillotine lecken! (Heftige Bewegung unter
den Zuhörern, Geschrei des Beifalls.)
Viele Stimmen.
Es lebe Danton, nieder mit den Dezemvirn! (Die Gefangnen werden mit
Gewalt hinausgeführt.)

Zehnte Szene
Platz vor dem Justizpalast
Ein Volkshaufe.
Einige Stimmen.
Nieder mit den Dezemvirn! Es lebe Danton!
Erster Bürger.
Ja, das ist wahr, Köpfe statt Brot, Blut statt Wein!
Einige Weiber.
Die Guillotine ist eine schlechte Mühle und Samson ein schlechter
Bäckerknecht; wir wollen Brot, Brot!
Zweiter Bürger.
Euer Brot, das hat Danton gefressen. Sein Kopf wird euch allen wieder
Brot geben, er hatte recht.
Erster Bürger.
Danton war unter uns am 10. August, Danton war unter uns im September.
Wo waren die Leute, welche ihn angeklagt haben?
Zweiter Bürger.
Und Lafayette war mit euch in Versailles und war doch ein Verräter.
Erster Bürger.
Wer sagt, daß Danton ein Verräter sei?
Zweiter Bürger.
Robespierre.
Erster Bürger.
Und Robespierre ist ein Verräter!
Zweiter Bürger.
Wer sagt das?
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