Christian Garve's Vertraute Briefe an eine Freundin - 9

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von dem klösterlichen Wesen ziemlich freye Person. Ausser ihr zieht
ein Fräulein Mucius, eine ehemalige Bekannte einer Dame aus unsrer
Gesellschaft, die auch deswegen von der Superiorin die Erlaubniß
erhielt, bey uns zu bleiben, die Augen auf sich. Ungeachtet sie schon
16 Jahre im Kloster ist, so hat sie doch noch alle Züge von Schönheit.
Ein feuriges und schönes Auge, das durch die Kopfbinde ihres Habits
halb verdeckt, und auf eine gewisse Weise schmachtend und zugleich
einnehmend gemacht wird; -- in ihrem Betragen eine gewisse stille und
ruhige Zufriedenheit mit ihrem Zustande, die man bey den glücklichsten
Personen so selten antrifft; eine Stimme, die sehr angenehm und sanft
ist; -- und wenn man sich dieses noch junge Frauenzimmer denkt (deren
Vater ein reicher und vornehmer Mann ist), in einem sehr schlechten
Kleide (ob es sie gleich nicht verstellt), allen Bequemlichkeiten
des Lebens und der Gesellschaft entzogen, zum strengsten Gehorsam
verpflichtet, und oft mit den niedrigsten, beschwerlichsten und
ekelhaftesten Dienstleistungen der Kranken beschäftigt: so muß man
Hochachtung und Mitleid für sie zugleich haben u. s. w.


Zwey und dreyßigster Brief.

Den 9. Januar 1768.
Für Ihre Aufmerksamkeit und Ihre freundschaftliche Sorgfalt, mir
Vergnügen zu machen, und es mir an dem Tage[B] zu machen, wo ich durch
tausend andre angenehme Eindrücke mehr als gewöhnlich vorbereitet
bin es zu genießen; dafür danke ich Ihnen aufs verbindlichste. Meine
Mutter hat Ihren Willen sehr genau befolgt. Ich erfuhr Dienstags
nichts davon, daß Briefe angekommen wären, und ich dachte also gewiß,
Sie wollten Ihren Posttag verlegen, und würden von nun an Donnerstags
schreiben. Diese Vermuthung machte, daß ich selbst nicht schrieb, und
dabey blieb ich also ganz ruhig, bis des Donnerstags Morgens, indem
wir alle beysammen waren, meine Mutter, die sich einen Augenblick
entfernt hatte, mit einer sehr feyerlichen Miene, einem großen
Kuchen in der Hand, auf dem Ihr Brief lag, und einem noch größern
Glückwünschungs-Komplimente, das sie, wie sie sagte, von Ihnen
auszurichten hätte, zurück kam. Die Sache war mir so unerwartet, daß
sie mir Anfangs ein Räthsel zu seyn schien. Ich öffnete endlich Ihren
Brief, die Schwierigkeiten wurden durch meine Mutter gehoben, und meine
erste Ueberraschung endigte sich mit einer stillen und angenehmen
Fröhlichkeit.
So viel war auch nöthig, wenn ich an einem Tage heiter seyn sollte, wo
ich mich von einem heftigen Schnupfen, oder wovon es sonst war, so übel
befand, daß ich eine ernsthafte Krankheit hätte befürchten können. Ich
schob deswegen eine kleine Solennität, die auf diesen Tag bestimmt war,
bis auf den folgenden auf. Gestern also habe ich mir das Vegnügen, ein
Koncert bey mir zu machen, zum zweyten Male erlaubt. Meine Mitspieler
waren noch besser, als das erste Mal. Die Gesellschaft war, außer
meines Onkels Familie, der Hauptmann R*** mit seiner Frau; er ein sehr
geschickter und verständiger Mann, jetzo der Ober-Bau-Inspektor von
B****; sie, eine Sachsin von Geburt, aus Chemnitz, das beste Herz und
die liebreichste, zärtlichste Ehegattin; endlich eine gewisse Fräulein
von W****, ein Frauenzimmer von sehr guter Erziehung und Lebensart,
und von vielem Verstande. Ihr Bruder, bey dem sie lebt, steht in
eben dem Posten, wie mein Onkel, ist ein angenehmer und allenthalben
willkommener Gesellschafter, und verdient um desto mehr Hochachtung,
weil er sich aus einem Stande der Dürftigkeit, in dem er und seine
Schwester, ihres Standes ungeachtet, ihre Jugend zugebracht haben,
durch seine Geschicklichkeit, seinen Fleiß und seine gute Wirthschaft
hat wissen heraus zu ziehen, und sich also die bequeme und artige
Weise, mit der er jetzo lebt, ganz allein schuldig ist. So viel von
unsrer Gesellschaft.
Unter der Musik nahmen sich die Sachen von einem gewissen Schobert,
dem, der in Paris an Champignons gestorben ist, sehr vorzüglich aus.
Ich erinnere mich nicht mehr, ob ich mit Ihnen schon davon geredet
habe; aber gesetzt, das wäre auch geschehen, so kann ich es, zum Dank
für das Vergnügen, was mir des Mannes Arbeit gemacht hat, nicht oft
genug wiederholen, daß es die schönsten Sachen sind, die jemals aufs
Klavier sind gesetzt worden; insbesondre die Duetts, Trios und Koncerte
von ihm. Man kann nichts Neueres und zugleich Schöneres hören. Alle
Ideen des ganzen Stücks sind original, und zuweilen so außerordentlich
frappirend, daß sie den unverständigsten Zuhörer treffen müssen. Sie
erfordern aber viel Uebung. Er selbst (denn wenn eine Nachricht wahr
ist, die hier herum geht, so habe ich den Schobert selbst hier auf
meiner Stube mehr als ein Mal vor langen Zeiten spielen hören, er ist
sogar einen halben Monat, oder so etwas, mein Lehrmeister gewesen),
er selbst also, vorausgesetzt, daß es dieser ist, hat die allergrößte
Flüchtigkeit der Hände, die ich jemals gesehen habe. Er setzt also
seine Stücke so, wie sie für seine eignen Finger am besten sind. Aber
sie thun eine unbeschreibliche Wirkung, wenn sie auch nur mittelmäßig
vorgetragen werden. Seine Stücke sind selten, und ich würde sie ohne
die Gütigkeit eines Freundes niemals zu Gesichte bekommen haben.
So brachten wir also den gestrigen Tag ziemlich vergnügt zu.
Demungeachtet befinde ich mich heute noch nicht ganz wohl. Ich schreibe
deswegen auch nicht so viel, als ich mir vorgenommen hatte. Meine
Mutter wird durch andre Hindernisse in einem ähnlichen Vergnügen
gestört. Ihre Nahrung erfordert um diese Zeit viele Rechnungen, die
sehr beschwerlich sind, und für jede andre Frau beynahe unmöglich
wären. Aber sie verrichtet das alles mit einer Genauigkeit und
Akkuratesse, deren ich gar nicht fähig wäre. Sie wird überdieß von
einem Flusse im Ohre beschwert, und hört deswegen schlecht.
Ich erinnere mich, daß Sie vor langer Zeit einen Plan zur Erziehung
Ihrer Wilhelmine verlangten. -- Zu einem solchen Plane habe ich weder
Geschicklichkeit noch Geduld genug. Aber zerstreute Anmerkungen,
wenn Sie die haben wollen, wenn Sie sich die Mühe geben wollen, sie
so gut zu verbinden, als sie selbst es werden zulassen, wenn Sie mir
versprechen, die Lücken durch ihre eignen Bemerkungen auszufüllen, die
sollen Sie von mir bekommen. Flößen Sie Ihrer Wilhelmine, wenn Sie
können, etwas von Freundschaft gegen einen Menschen ein, den Sie selbst
mit so vieler beehren. Lassen Sie sie wissen, daß ich eher für sie gute
Wünsche gethan habe, als sie selbst etwas wünschen konnte u. s. w.

Fußnote:
[B] Garvens Geburtstag fällt auf den siebenten Januar.


Drey und dreyßigster Brief.

Das ist wirklich eine Feyer meines Geburtstages, auf die ich mir etwas
zu gute thue. Wenn ein Freund an mich denkt, und diese Erinnerung ihm
Vergnügen macht; wenn er mir so viel Einfluß auf sein Herz zugesteht,
daß ich es zuweilen ruhiger, freudiger, mit sich und mit andern
zufriedener machen kann, das ist die größte Befriedigung, die meine
Liebe und meine Eitelkeit verlangt. Sie, liebe Freundin, verstehen
die Kunst, sich zu vergnügen, schon recht gut. Ihre Hoffnungen darauf
werden Ihnen weit seltner fehlschlagen, wenn Sie es, so wie Sie es
gethan haben, ohne viele Vorbereitungen bey sich selbst suchen.
Aber wenn Sie nur die Kunst, sich zu quälen, nicht zuweilen eben so gut
verstünden. O, liebe Freundin, beynahe liegt noch das ganze Jahr mit
allen seinen Tagen und Stunden vor Ihnen. Es scheint nun noch völlig
in Ihrer Gewalt zu seyn, was Sie daraus machen wollen. Aber eilen Sie,
eilen Sie, jede, schon die gegenwärtige Minute für die Glückseligkeit
aufzuwenden. Das Vergnügen und die Tugend sind nicht blos als Wirkung
und Ursache, sondern als zwey verschwisterte Eigenschaften der Seele
mit einander verwandt, die gemeiniglich nicht ohne einander zu finden
sind. -- Die Unzufriedenheit und das Mißvergnügen ist immer unthätig
oder in Verwirrung; das Vergnügen ist zugleich ruhig und wirksam.
Die Aufmerksamkeit der Seele ist dann jedes Mal bey dem Gegenstande
zusammen, den sie vor hat, und ihre Kraft ist also ungetheilt, das,
was sie thut, aufs beste zu thun. Das Vergnügen ist für die Seele,
was die Gesundheit für den Körper ist; es macht sie zu allen ihren
Verrichtungen aufgelegter und geschickter.
Das alles ist nun recht schön und vortrefflich. Aber die Frage ist,
was für eine Art von Diät muß man der Seele vorschreiben, um sie bey
diesem Wohlbefinden zu erhalten? Eine Regel dazu ist uralt, aber sie
ist wahr: man soll mit seinen Wünschen sich in der Natur der Dinge
einschränken, und nichts begehren, was diese nicht zuläßt. Ich weiß
nicht, ob ich Ihnen deutlich genug werde sagen können, was ich denke.
Aber das weiß ich, in meinem Leben und in dem Leben meiner Freunde
sehe ich den größten Theil ihres Verdrusses aus betrogenen Wünschen
und Erwartungen entstehen, die nur deswegen betrogen wurden, weil sie
selbst auf einen Irrthum gegründet waren. Sie z. B. (um meiner Absicht
näher zu kommen) haben bey einem eingezogenen und ruhigen Leben, bey
einem gutgearteten und rechtschaffenen Herzen, bey einem wohlgebildeten
Geiste, und bey dem Genusse der vornehmsten Bequemlichkeiten des
Lebens, wenig andre Ursachen, unzufrieden zu seyn, als die Besorgnisse,
daß Sie von Personen, deren Liebe Sie über alles schätzen, nicht genug
geliebt, nicht genug hochgeachtet werden. Da diese Leidenschaft, in der
That unter den übrigen die edelste, bey Ihnen die stärkste ist, so muß
auch natürlicher Weise aus dieser Quelle die meiste Unzufriedenheit bey
Ihnen entstehen.
Aber wenn Sie doch nun mit mir ruhig untersuchten, welches wohl
zuweilen die Merkmale sind, aus denen Sie diesen Mangel der
Zärtlichkeit schließen. Ohne Zweifel sind es Unterlassungen von
Handlungen, die Sie als die unausbleiblichen Wirkungen einer solchen
Neigung ansehen. -- Aber wie? sind sie dieses auch wirklich? Ist der
Schluß von diesen Aeußerungen auf die Sache selbst unfehlbar, und
können sie umgekehrt nicht ausbleiben, ohne die Gesinnung selbst
zweifelhaft zu machen? Sie werden dieses selbst nicht denken, --
wie würde es Ihnen sonst möglich seyn, wieder ruhig zu werden? Aber
gehen Sie in Ihrer Untersuchung noch einen Schritt weiter. Ist es
der Natur der Dinge und des Menschen nach möglich, daß sich die
stärkste, die eingewurzeltste, die mit dem Wesen der Seele selbst
verwebte Leidenschaft (ich will Ihnen zu gefallen es so nennen) immer
durch einerley Beweise zu erkennen giebt? Um davon nur ein frappantes
Beyspiel anzuführen, ob es gleich nicht vollkommen auf den Fall paßt:
ist es möglich, oder wenn es möglich wäre, würde es anständig seyn,
daß sich die Zuneigung eines Greises auf eben die Art und durch eben
die kleinen Beweise zu erkennen gäbe, wie die Zuneigung eines jungen
Menschen? Hier ist der Unterschied handgreiflich, und die ganze Welt
kommt überein, den einen alten Gecken zu nennen, der selbst rechtmäßige
Neigungen auf eine zu seinem Alter und seinen Umständen unschickliche
Art an den Tag legt. Aber kann es nicht im menschlichen Leben eben
solche andre Unterschiede geben, die nicht eben so in die Augen fallen,
aber doch eben so wirklich sind? -- Und sollte es also nicht eine
Forderung unmöglicher Dinge seyn, wenn man, allen diesen Unterschieden
zuwider, von demselben Menschen unter den verschiedensten Umständen
doch immer einerley Zeichen seiner Liebe verlangte? -- Ich gebe es zu,
daß Ihr lieber Gatte Sie jetzo so liebt, wie damals, da er Bräutigam
war. -- Aber wenn Sie verlangten, daß er Sie davon alle Augenblicke
aufs neue mit aller der Eilfertigkeit und dem Empressement versichern
sollte, als wenn er es Ihnen zum ersten Male sagte; wenn Sie eine
beständige Wiederholung aller der kleinen Zeichen der Zärtlichkeit
forderten, die bey einem Liebhaber oft nur den Mangel an Gelegenheit
zu größern Proben ersetzen: so forderten Sie etwas, was der Natur der
Dinge, und wo nicht dieser, doch gewiß Ihrer Ruhe und der Ruhe Ihres
Mannes zuwider wäre.
Sehen Sie, das ist der Inhalt meiner ehemaligen Theorie, und gewiß
meine Absicht ist Ihre Glückseligkeit. Also verlange ich keine
Abnahme der Liebe, keine Kälte, sondern nur in ihrem Ausdrucke mehr
Ernsthaftigkeit und weniger Spielwerk. -- Wenn die Leidenschaft vor der
Heyrath blos Leidenschaft ist, sagen Sie, so wird sie niemals Gesinnung
werden. Vollkommen richtig! wenn Vorurtheil und sinnliche Lust die Wahl
anstellen. Aber lassen Sie die Leidenschaft des Liebhabers auf alle
Vollkommenheiten des Geistes und Herzens gegründet seyn: so wäre doch
dieß die einzige Sache in der ganzen Natur, wo die erste Bekanntschaft
mit einem gewissen Gut und der fortgesetzte Genuß desselben vollkommen
einerley Wirkungen hätte. -- Wie? wenn Mann und Frau sich nicht
wie Liebhaber und Geliebte gegen einander betragen, wenn sie die
vertrautesten, die zärtlichsten Freunde von einander werden, so sollten
sie sich keine Gefälligkeiten mehr thun können, so sollten sie sich
einander blos nicht beleidigen? Und das wäre doch Freundschaft? -- Ich
verstehe Sie nicht, liebe Freundin. -- Sie sagen, wenn Sie alle diese
Dinge (diese +kleinen+ Zärtlichkeiten, Bemühungen und Opfer) wegnehmen,
so hat die Ehe keinen wesentlichen Reiz mehr. Wie? so sollte die Ehe,
die ehrwürdigste und heiligste Verbindung, ihren Reiz verlieren, wenn
sich die beyden Eheleute nicht alle Augenblicke sagten, daß sie sich
lieben; wenn sie sich nicht die Hände drückten; wenn nicht eins dem
andern nachsähe, so oft es auf zwey Minuten von ihm geht; wenn es ihm
nicht entgegen käme; wenn es ihm nicht auf der Stelle und mit aller
geflissentlichen Aufmerksamkeit jede Liebkosung erwiederte, die ihm von
dem andern gemacht worden?
Ich sehe, da ich dieses noch ein Mal durchlese, nur die vertrauteste
Freundschaft kann die Freymüthigkeit entschuldigen, mit der ich Ihnen
geschrieben habe. Aber ich müßte Sie nicht so sehr lieben, wenn ich Sie
nicht von Vorurtheilen frey zu machen suchte, die sonst das Elend Ihres
Lebens seyn könnten u. s. w.


Vier und dreyßigster Brief.

Den 24. Januar.
Ihr letzter Brief ist schön, und das Gedicht, was Sie mir abgeschrieben
haben, recht vortrefflich. Es ist gewiß eine Ihrer besten Arbeiten von
dieser Art. Ihr Herz ist bey dem Gegenstande gewesen, und das Herz
führt immer den Verstand und das Genie sehr glücklich.
Aber warum gehen Sie nicht nach Halle, wenn Sie schon in Crellwitz
sind? Ich wünschte doch, daß Sie einen Ort, wo ich zwey Jahre sehr
übel zugebracht habe, und wo ich vielleicht noch viele andre, aber
besser, werde zubringen müssen, kennten. Der erste Anblick ist widrig,
das gebe ich zu; aber das ist doch eben so ausgemacht, daß das Auge
die prächtigsten Häuser und die elendesten Leimhütten gleich gut
gewohnt wird, und daß alsdann der Verdruß über die Häßlichkeit, und das
Vergnügen an der Schönheit, beynahe zu einer gleichen Empfindung der
Gleichgültigkeit herunter gestimmt werden. O besetzen Sie die Hütten
mit Freunden, die ich liebe und die ich verehre, und sie werden mir
schöner vorkommen als Palläste. Doch auch diese habe ich in Halle noch
nicht. Unterdessen kenne ich doch Leute, die vielleicht aufgelegt dazu
wären es zu werden.
Auf oder nach Ostern, den Tag weiß ich nicht, komme ich mit Gottes
Hülfe nach Leipzig. Ein Brief von Gellert, voll von Gütigkeit und
Freundschaft, hat mich erst vor fünf Tagen dazu eingeladen. Dieser
Mann ist wahrhaftig mein Freund. -- Ist mir nun ein kleiner Stolz
nicht zu verzeihen? -- Ich bringe hier meinen Winter sehr vergnügt zu.
Am Freytage war ich in dem Hause eines Hrn. v. P***, dessen Fräulein
Tochter, eine sehr gute und sehr angenehme Freundin von meiner Mutter
und von uns allen, ein kleines Koncert machte. Sie spielt sehr gut auf
dem Flügel. Ich spielte einige Sachen von Schobert τῷ πάνυ; lassen Sie
sich Reizen dieses erklären. Wir waren bis um 11 Uhr recht vergnügt. --
Gestern kam wieder eine kleine Wolke. -- Aber kurz ich bin vergnügt,
und bin u. s. w.


Fünf und dreyßigster Brief.

So schmeichelhaft es mir ist, daß Sie meine Ankunft wünschen, und so
angenehm mir also auch die Hoffnung ist, solche Freunde wieder zu
sehen; so muß ich doch sagen, daß mich die Vorstellung des Abschieds
erschreckt. Eine Menge alter, und einige neue Freunde, die ich hier
besitze, machen mir meinen Aufenthalt sehr angenehm, und die Trennung
fürchterlich. Vor allem aber ist es meine Mutter, die mir bange
macht. Ich hinterlasse sie zwar unter einer Menge von Personen, die
sie hochachten; aber doch kaum bey einer einzigen, die ihre vertraute
Freundin wäre; und selbst vor dieser würde doch ihre mütterliche
Zärtlichkeit meiner Gesellschaft noch einen Vorzug geben. Die Umstände
unsers Landes und die häuslichen, die davon abhängen, werden immer
trauriger; und es ist schwer zu bestimmen, wo dieser Fortgang vom
Bösen zum Schlimmern still stehen wird. Meine Mutter empfindet dieses
bey einem ziemlich weitläufigen Hauswesen, das ganz allein von ihrer
Sorgfalt in Ordnung gehalten werden muß, weit mehr, als ein jedes andre
Frauenzimmer. Ueberdieß ist sie oft kränklich, und braucht von einer
andern Seite eine kleine Aufmunterung, wenn die Schwachheit ihres
Körpers und ihre Umstände sie niederschlagen. Ich bedaure also beynahe
zuweilen, daß ich meinen Plan nicht so angelegt habe, daß ich zwischen
dem praktischen und dem akademischen Leben hätte wählen können. Meine
Freunde hier würden für mich viel gethan haben. Nach meiner jetzigen
Aussicht kann ihre Liebe mein Leben nur angenehmer, nicht mein
Fortkommen leichter machen. -- Doch ich will alle diese unangenehmen
Ideen mit freudigern abwechseln lassen.
Ich habe diese Woche ein sehr empfindliches Vergnügen gehabt; das
Vergnügen, ein neues Verdienst kennen zu lernen. An unsern D. Tralles
war aus Lausanne von dem berühmten Tissot eine gewisse Frau von
Wyllamons empfohlen worden, die hier durch, nach Polen, in das Haus
des Fürsten Czartorinsky als Hofdame ging. Der Herr Tralles bat mich
und einige Andre beyde Mal zu sich, als er sie bey sich hatte. Wenig
Frauenzimmer habe ich in meinem Leben gesehen, die mich durch die Größe
ihres Geistes, die Richtigkeit und die Tiefe ihres Raisonnements,
die Genauigkeit und Schönheit des Ausdrucks, und eine gewisse
unbeschreibliche Annehmlichkeit, mit der sie dieß alles begleitete, so
beym ersten Besuche für sich eingenommen hätten. Sie war weder sehr
jung, noch sehr schön, aber die Anmuth selbst. Augen, welche redeten,
und deren Bewegungen alles, was sie sagte, unterstützten; ihre ganze
Aktion war damit übereinstimmend; und ohne die geringste Achtsamkeit
auf sich selbst zu zeigen, that sie doch alle Mal das, was die
strengste Aufmerksamkeit hätte fordern können. Sie redete Französisch
und Englisch gleich gut, das erste in einem Grade von Vortrefflichkeit,
der auch bey Franzosen selten seyn mag; ihre Ausdrücke waren alle
Mal edel, gewählt, beynahe philosophisch richtig, und doch so frey
und so ungezwungen, als es zum Gespräche nothwendig ist. -- Ich habe
wenig Stunden angenehmer zugebracht, als die, welche ich mit ihr in
Gesellschaft war. Sie hatte viel gelesen, und urtheilte darüber nicht
blos richtig, sondern auch fein. -- Jedermann wurde von ihr bezaubert.
Alles das schreibe ich Ihnen, weil ein genossenes Vergnügen seinem
Freunde mittheilen ein zweytes Vergnügen ist u. s. w.


Sechs und dreyßigster Brief.

Den 24. Februar.
Auf der empfindlichsten Seite hätte mein Brief Sie angegriffen?
Wahrhaftig, das war nicht die Absicht seines Schreibers. Selbst nicht
einmal die kleine Bosheit, die doch noch so gut mit der Freundschaft
bestehen kann, eine Art von Eifersucht zu erregen, um sich von neuem
von der Liebe des Andern zu versichern. Meine Absicht war noch weit
einfältiger und mein Bewegungsgrund noch weit unschuldiger. Ich glaubte
nicht, daß ich an der Frau von Wyllamons Vollkommenheiten lobte, die
Ihnen fehlten. Ich dachte blos, Ihnen ein Vergnügen durch die Erzählung
des meinigen zu machen. Sie wissen, die Eindrücke, die das Gute oder
das Böse von Personen oder Sachen auf uns macht, stehen nicht in unsrer
Gewalt. Die, welche die Frau von Wyllamons gemacht hatte, waren alle
für sie günstig. Ich schrieb diese in der Einfalt meines Herzens
nieder, um sie in Ihnen, wenn ich könnte, auf eine schwächere Art zu
erregen (Sie sagen selbst, Eindrücke von der Art sind angenehm). Ich
glaubte dabey um desto weniger Behutsamkeit zu bedürfen, je ähnlicher
diese Empfindungen denjenigen waren, die Ihre erste Bekanntschaft
bey mir erregte. Sie konnten es wahrscheinlicher Weise nicht einmal
wünschen, daß ich die Vorzüge, auf die sich zuerst meine Freundschaft
und meine Hochachtung für sie gründete, bey einer andern verkennen
oder gering schätzen sollte. -- Aber deswegen sind diese Frau und Sie
nicht auf gleichem Fuße mit mir. Die erste ist eine bloße Bekannte, die
ich ihrer Talente wegen hochschätzen muß, deren Herz ich noch nicht
kenne, und von der ich bisher nichts als Vergnügen und Höflichkeiten
erhalten habe. Sie sind meine Freundin, deren Herz ich geprüft habe,
von deren Freundschaft ich gewiß bin, und deren Einsichten mir nicht
blos zu dem flüchtigen Vergnügen eines Abends, sondern zu dem Glücke
meines Lebens gereichen. Ihr heutiger Brief selbst ist voll von den
freundschaftlichen Gesinnungen, die Ihr Herz von andern Herzen so sehr
unterscheiden.
Lassen Sie sich also die neuen Freunde nicht beunruhigen. Sie würden
auch die Ihrigen werden, wenn Sie sie kennten. Wollten Sie wohl
Jemanden zu Ihrem Freunde haben, den die ganze übrige Welt verschmähte?
Und würden Sie sich nicht Ihrer Neigung schämen müssen, wenn der
Gegenstand derselben unfähig wäre, irgend einem Andern eine ähnliche
Neigung einzuflößen? -- Ich kenne den Werth alter Freunde, und ich
empfinde den Vorzug, den eine bestätigte Liebe vor einer blos flüchtig
bezeigten Gefälligkeit haben muß. Alles also, was ich noch ins Künftige
von dem Vergnügen sagen werde, was mir meine hiesigen Freunde machen,
-- sehen Sie es niemals anders, als wie eine Aufforderung an Sie an,
an diesem Vergnügen Theil zu nehmen, und wie ein stillschweigendes
Versprechen, daß ich eben dieses Vergnügen, wenn es noch mit einer
mehr gründlichen, wesentlichen Glückseligkeit verbunden ist, noch weit
stärker empfinden werde.
Meine Mutter -- wissen Sie das? -- ist auch eifersüchtig. Sie wollen
nicht, daß ich mich vor meinem Abschiede fürchten soll? Wie kann ich
das, wenn es nicht blos um meine eigne Glückseligkeit zu thun ist,
sondern auch um meiner Mutter ihre? Sie müßten mich nicht für fähig
halten, ein guter Freund zu seyn, wenn ich ein schlechter Sohn seyn
könnte. Und wäre ich das nicht, wenn ich eine solche Mutter, wie die
meinige, gern verlassen könnte? u. s. w.


Sieben und dreyßigster Brief.

Den 19. März.
Wenn ich jetzt nicht mehr als gewöhnlich beschäftigt wäre, und wenn
ich nicht den Zeitpunkt immer näher kommen sähe, in dem ich Sie wieder
sehen soll: so würde ich mir es selbst nicht vergeben, daß ich Sie
zuweilen auf meine Briefe einen Posttag länger warten lasse, als es
unserm ersten Vertrage gemäß ist. Ich könnte zwar sagen, es wäre Rache.
Aber ich finde nichts davon in meinem Herzen; und wenn Sie mir auch
noch seltnere und noch kürzere Briefe schrieben, so würde mich doch
mein eignes Vergnügen nöthigen, an Sie zu schreiben. Es ist also nicht
Vorsatz, sondern Unvermögen, wenn ich mir dieses Vergnügen zuweilen
versage. Ein Unvermögen, welches (erlauben Sie mir, das zu sagen) ich
bey Ihnen nicht voraus setzen kann, da Sie mir selbst versichern, daß
Ihr Umgang eingeschränkter als jemals ist, und Ihre Geschäfte sich
doch nicht häufen können.
Aber um Ihnen eine Probe von meiner Uneigennützigkeit zu geben: so
muß ich Ihnen gestehen, daß, wenn ich gleich zuweilen dadurch eines
Theils Ihres Andenkens, ja sogar Ihres persönlichen oder schriftlichen
Umganges (nur nicht Ihrer Freundschaft) beraubt seyn sollte; ich Ihnen
doch einen etwas ausgebreitetern Umgang wünschte, und zwar vornehmlich
unter Ihrem eignen Geschlechte. --
„Unter meinem eignen Geschlechte? Wie können Sie mir etwas wünschen,
wovon ich Ihnen so oft gesagt habe, daß ich es nicht zu meiner
Glückseligkeit rechnen würde, wenn ich es hätte?“
Aber wollten Sie mir wohl noch einmal die Ursachen wiederholen, warum
Sie es nicht darunter rechnen?
„Was habe ich nöthig, Ihnen das erst zu sagen? Sollten Sie nicht
wissen, wie leer der Umgang mit den mehresten Frauenzimmern ist; wie
wenig sich mit --“
ihnen anfangen läßt, wollen Sie sagen. Zum Unglück wahr genug!
Aber warum wollen Sie nicht daran arbeiten helfen, daß ihr Umgang
lehrreicher werde, daß sich mehr mit ihnen anfangen lasse? Was würde
aus dem niedrigern Theile unsers Geschlechts, oder des menschlichen
Geschlechts überhaupt werden, wenn sich der edlere Theil demselben
entziehen wollte, und ihm mit seinem Umgange zugleich die Mittel
benähme, ihm ähnlich zu werden?
„Aber ich habe nicht eben den Beruf, und auch nicht das Vermögen, eine
Verbesserin zu seyn. -- Ueberdieß, wozu bedarf ich den Umgang? Ich habe
meinen Gatten, den liebe ich; und die Stunden, die er nicht bey mir
ist, sind gut genug mit der Erwartung von ihm ausgefüllt; wenn noch ein
kleines unbefriedigtes Verlangen in meinem Herzen übrig wäre, so würde
die Freundschaft von zwey oder drey Freunden meines Mannes es doch ganz
ausfüllen. Und endlich --“
Und was endlich?
„Sie wissen, ich liebe meinen Mann über alles -- ich wünsche, daß er
mich über alles liebt --“
Und was denn also --?
„Ich würde es nicht leiden können, wenn eine meiner Freundinnen ihm
eben so gut gefiele, daß ich nicht mehr gewiß genug seyn könnte, daß
seine Frau ihm noch besser gefiele.“
Mich dünkt, Sie würden (wenn Sie mir meine Freymüthigkeit vergeben
wollen) diesen Bewegungsgrund nicht zuletzt angeführt haben, wenn Sie
den stärksten hätten zuerst anführen wollen.
„Gut! lassen Sie es seyn, daß es der stärkste ist. Ja, ich bin
eifersüchtig; und man kann gar nicht lieben, ohne eifersüchtig zu seyn.
-- Ich kann sogar keine Freundschaft für echt halten, die ihren Freund
so ruhig mit Vielen theilen kann. Hüten Sie sich, daß nicht Ihr Rath,
meinen Umgang zu erweitern, mich argwohnen läßt, daß Sie ihn nicht mehr
so eifrig für sich selbst wünschen.“
Das können Sie im Ernste nicht denken; -- noch viel weniger, wenn Sie
meine Gründe hören.
„Und diese Gründe?“
Nur noch einen Augenblick Geduld! Sagen Sie mir, haben Sie nicht
gehört, daß die Natur mit jeder Neigung, die sie uns giebt, oder mit
jedem Vergnügen, das Sie uns genießen läßt, eine andre Absicht habe,
als dieß Vergnügen selbst?
„Ums Himmels willen! so weit müssen Sie ausholen? Sie werden doch
nimmermehr die halbe Metaphysik abschreiben müssen, um mich zu bewegen,
daß ich ein halb Dutzend Karkassen in meiner Stube zusammen bringe.“
Nun gut also, wenn ich Sie nicht mit der Ueberzeugung überraschen kann,
so will ich sehen, ob ich mit offenbarer Gewalt gewinne. -- Sie sind
eine Ehegattin, aber auch zugleich ein Frauenzimmer und eine Mutter.
„Ja, eine Mutter! Und eben deswegen, weil ich diesen süßen, ehrwürdigen
Namen trage, brauche ich weniger als jemals eine Gesellschaft, die mir
blos die Zeit vertreiben soll. Meine Wilhelmine und mein Mann werden
mir bald die Stelle der ganzen Welt ersetzen. Aber ein Frauenzimmer
auch, sagten Sie, wäre ich; was soll das zur Sache?“
Als Frauenzimmer müssen Sie nothwendig die allervertrauteste
Freundschaft, die möglich ist, nur mit einem Frauenzimmer haben können.
„Und die Ursache davon?“
O hätten Sie nur erst diese Ihnen verwandte Seele unter Ihrem eignen
Geschlechte gefunden; kennten Sie nur erst das Frauenzimmer, das würdig
wäre, Ihre Freundin zu seyn: dann würden Sie mir die Frage selbst
beantworten. O wie glücklich würde ich seyn! Ihre Vertraute würde auch
meine Freundin seyn. -- Sie kennen Julie und Claire; Clarissa und Howe.
Sagen Sie mir, wäre es möglich, daß eine von beyden an die Stelle ihrer
Freundin einen Freund gesetzt hätte, ohne daß doch das Wesen ihrer
Freundschaft zerstört worden wäre?
„Wie? also giebts gar keine Freundschaft unter den beyden
Geschlechtern? Also sind Sie nicht mehr mein Freund?“
Nicht so hitzig, liebste Freundin! Ich denke nicht, daß ich unsre
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