Christian Garve's Vertraute Briefe an eine Freundin - 3

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Veränderung vorzunehmen; was sind es nicht für neue Beschwerden, die
die Ausführung unsers Vermögens verursachen würde. -- Meine Mutter
hat bey allen Beschwerlichkeiten ihrer Nahrung doch auch den Vortheil
gehabt, daß sich ihr Vermögen besser verinteressirt hat, als durch
bloßes Ausleihen. Lassen Sie nun von einem nicht großen, aber doch
für einen ehrlichen Mann hinlänglichen Vermögen das abgehen, was der
Abzug kostet; setzen sie dazu die Verschiedenheit des Geldes und der
Preise der Dinge in beyden Ländern, und endlich rechnen Sie noch
die Schwierigkeiten, die mit der Errichtung einer neuen Haushaltung
verbunden sind; und Sie werden sehen, daß meine Mutter nicht die Hälfte
der Bequemlichkeiten würde haben können, zu denen sie hier gewohnt
ist. Denn daß meine eigene Einnahme einen beträchtlichen Zuschuß zu
unserer Oekonomie in wenig Jahren machen sollte, dazu sehe ich keine
andere, als sehr unsichere Hoffnungen. Sehen Sie, so partheiisch
ich für einen Entschluß bin, der mit meinen Neigungen so sehr
übereinstimmt, so kann ich es mir doch nicht verhehlen, daß dieses sehr
beträchtliche Schwierigkeiten sind; und was kann ich darauf antworten,
wenn meine Mutter sie mir entgegensetzt? -- Was anders, als daß die
Schwierigkeiten für mich, in B**** zu bleiben, noch größer sind, und
wenn sie sich auch alle auf eine einzige zurück bringen ließen, ich
meyne diese, daß ich zu dem Stande, der für mich der einzige ist, nicht
die geringste Neigung habe?
Sie müssen es diesem Briefe ansehen, daß er unter sehr vielen
Zerstreuungen geschrieben ist. Ich bin gar nicht mit ihm zufrieden.
Denn bey alle den Schwierigkeiten, die ich mache, wollte ich doch
nicht, daß Sie glaubten, ich hätte jetzt mehr Lust hier zu bleiben, als
ehemals. Ich komme mit Gottes Hülfe gewiß auf Michaelis nach Leipzig,
aber ob um beständig dort zu bleiben, das ist in den Händen der
Vorsehung. --
Ich reise morgen mit dem Herrn Oberforstmeister S**** und seiner
Gemahlin nach S***witz, wo mein ehmaliger Lehrer und Hofmeister Pfarrer
ist. Meine Mutter kommt auf den Freytag mit meinem Onkel und seiner
Tochter nach. Dieser geht alsdann mit dem Herrn Oberforstmeister weiter
ins Gebirge nach L***, um da die Brunnenkur zu brauchen. Wir übrigen
bleiben in S***witz, und werden dort in einer vortrefflichen Gegend
vier oder fünf Wochen in dem Hause meines Lehrers zubringen. Dieser
Aufenthalt könnte mir durch nichts in der Welt unangenehm gemacht
werden, als wenn Ihre Briefe nicht mehr so richtig einliefen, oder die
meinigen nicht zu rechter Zeit auf die Post gegeben würden; denn das
Dorf ist sechs Meilen von B****. Ich werde aber alles mögliche thun, um
beydes zu verhüten.
Diese Reise macht heute meinen Brief so kurz, und nöthigt mich, den an
meinen lieben M. Reiz ganz aufzuschieben. Es ist jetzt 12 Uhr in der
Nacht und morgen muß ich um 6 Uhr auf seyn. Leben Sie wohl!


Achter Brief.

Mittwochs des Morgens.
Ich wende noch die Augenblicke, die ich vor dem Antritte meiner Reise
übrig habe, dazu an, an Sie zu denken, und das, was ich gedacht
habe, niederzuschreiben. Ich weiß, daß sich Ihre freundschaftliche
Neubegierde nicht bloß damit beruhigen wird, zu wissen wo ich bin. Sie
werden auch wissen wollen, was ich da mache. --
Wenn ich mich nicht irre, so müssen Sie schon Herrn Ringeltauben, in
dessen Hause ich seyn werde, aus meinen Beschreibungen kennen. Ich
verehre ihn als meinen Lehrer; und ich liebe ihn als meinen Freund und
meinen Bruder. Hochachtung und Dankbarkeit sind gewiß die festesten
Bande, die die Natur hat, zwey nicht ganz unedle Seelen mit einander
zu verbinden. Sein Haus soll sehr bequem, und die Gegend vortrefflich
seyn. Meine Mutter, die das Land über alles, und den Herrn Ringeltauben
als ihren Sohn liebt, wird sich dort wieder erholen, und das wird auf
mich zurück wirken. Endlich werde ich Bücher genug haben, um die leeren
Stunden auszufüllen. Der Herr Oberforstmeister, mit dem ich reise, ist
lange im Kriege mit dem General Wobersnow in Leipzig gewesen. Er ist
ein Mann von sehr vielem Verstande, von einer großen Erfahrung, (da er
lange Zeit mit den Vornehmsten der Armee und einige Zeit auch mit dem
Könige selbst umgegangen ist;) und der Mann einer Frau, die beynahe
meine Gespielin gewesen ist. Der Weg heraus geht an der Oder, in
einer sehr angenehmen Gegend. Ihre Briefe dürfen Sie nicht anders als
bisher addressiren. Ich habe gemessene Ordre gestellt, sie mir gleich
nachzuschicken.
Erwarten Sie also ins künftige Briefe, die voll von ländlicher Unschuld
und Einfalt, aber auch voll von ländlichem Vergnügen sind.


Neunter Brief.

S***witz den -- Juli.
Es giebt gewisse Arten von Vergnügungen, die uns unempfindlich machen,
weil sie uns berauschen. Indem alsdann die gegenwärtige Empfindung die
ganze Seele ausfüllt, und ihre gesammten Fähigkeiten bloß in dem Genuß
erschöpft werden, so werden alle Erinnerungen, alle Reflexionen aus der
Seele verdrängt, und mit ihnen zugleich die feinern Vergnügungen, die
auf dieselben gegründet sind. In diesem Zustande ist die ganze Seele
Maschine, und sie bewegt sich ganz unwillkührlich nach der Richtung des
Stoßes, die ihr ein so heftiger äußerer Antrieb giebt.
Eine andere Art hingegen, die nur die Sinnen in so weit rührt, als es
nöthig ist, durch sie die Einbildungskraft rege zu machen, eröffnet
allen Arten von moralischen Empfindungen den Zugang. Sie macht das
Herz weich, und so zu sagen -- schmachtend. Die Vernunft ist dabey
heiter genug, alle verwandten Ideen herbeyzurufen, jede angenehme
Erinnerung mit der augenblicklichen Empfindung zu verbinden, und unter
die Ergötzungen des Auges und des Ohres die moralischen Vergnügungen
der Freundschaft und der Tugend zu mischen.
Unter diese letztere Gattung gehört diejenige Art von Vergnügen, die
ich jetzt genieße. Sie sind so still und so ruhig, wie die Fluren
des Abends, durch die ich gehe, und eben so heiter und rein, als das
blaue Gewölbe, das mich deckt. Alles das, was ich sehe, und was die
Quelle des Vergnügens ist, ist zugleich ein Stoff zu Betrachtungen,
die vielleicht noch ergötzender sind, als der sinnliche Eindruck
selbst. Wenn ich dann auf einer großen lachenden Wiese, die von alten
ehrwürdigen Eichen rings um eingeschlossen, und von dem schwankenden
Schatten derselben halb überstreut ist, die mildern Einflüsse der
Abendsonne genieße; dann versetze ich in diese Gegend alle meine
Freunde. Ich sammle in Gedanken diesen kleinen aber ehrwürdigen
Haufen von Leuten, die ich liebe und die mich wieder lieben, um mich
herum, alle durch gegenseitige Neigungen an einander gebunden, alle
von einerley Geiste beseelt, zu einerley Empfindungen aufgelegt, und
mit eben denselben Arbeiten des Wohlthuns und der Mildthätigkeit
beschäftigt. Dieses Spiel meiner Einbildungskraft treibe ich so lange
fort, bis ich ganz von den Gegenständen, die um mich sind, entfernt in
andern Welten und noch glücklichern Gegenden herumschwebe. Von diesem
Fluge ermüdet kehre ich wieder zu dem Orte und dem Stande zurück, in
welchem ich bin, und, Dank sey es meinem Geschick! ich habe bey dem
Ende meines Traumes noch nicht alles verloren. Meine Mutter, meine
Cousine, und mein Lehrer und Bruder, die um mich herum sind; Sie,
die erste meiner Freundinnen, und die übrige Reihe meiner männlichen
Freunde, die von mir entfernt, aber durch ihr Andenken, durch ihre
guten Wünsche, und durch ihr Theilnehmen an meinem Wohl, nahe um mich
sind, alle diese theuern Personen, die mir die gütige Vorsicht auf
dem Wege des Lebens aufstoßen ließ, um durch ihre Begleitung das Rauhe
und Unangenehme meiner Reise zu versüßen, alle diese sind wirklich
da, sie lieben mich, sie machen mich durch ihre eigenen Verdienste
hochachtungswürdig, und geben mir durch ihre Achtung den Werth, den ich
mir selbst niemals erwerben würde.
Ich habe ausfindig gemacht, (denn was für Mittel sucht man nicht
auf, wenn man gewisse Sachen nicht verändern kann, um wenigstens uns
eine andere Seite von ihnen zuzukehren?) daß die Abwesenheit in der
Freundschaft zu etwas nützlich ist. Sie ist das Maß ihrer Stärke. Ich
habe neulich im Plutarch gelesen, und wenn es nicht Plutarch gesagt
hätte, so hätten Sie mir es sagen können, daß der Beweis einer recht
heftigen Liebe nicht sowohl die Größe des Vergnügens sey, die einer in
des andern Gegenwart empfindet, als vielmehr die Größe des Schmerzes,
die ihnen die Trennung verursacht. Mich deucht, man kann eben dieses
von der Freundschaft sagen. Das Vergnügen des freundschaftlichen
Umganges ist, ruhig, gemäßigt, und beynahe mehr Heiterkeit als
Freude; das Verlangen aber, wenn man desselben entbehrt, ist heftig,
zuweilen gar stürmisch. Sie können glauben, daß ich diese Erfahrung
bloß von den Empfindungen abstrahire, die mir die Erinnerung an unsere
ehemaligen Vergnügungen erweckt. Ich weiß also zuverlässig, wie sehr
ich Ihr Freund bin, ich weiß, wie sehr Sie meine Freundin sind. Diese
Ueberzeugung ist mir sehr viel werth. Soll ich Ihnen erst sagen, daß
ich Sie nicht allein meyne, wenn ich von Ihnen rede?
Ich habe Ihnen bisher nur meine Empfindungen erzählt. Jetzt sollen Sie
noch etwas von meiner Geschichte wissen. Ich habe Ihre Briefe noch
nicht. -- Ich meyne die, die Sie vergangene Woche geschrieben haben,
und die verwichenen Freytag in B*** angekommen seyn müssen. Sagen Sie
mir, ist es nicht mir recht zum Possen, daß die Post nach B***, die die
Briefe von B**** hierher bringt, gerade eine Stunde eher des Freytags
abgehen muß, als die Ihrigen ankommen? und dann geht keine wieder
eher, als auf den Dienstag. Ich bekomme sie also erst Mittwochs. --
Diese Sache ist gar nicht zu ändern; ich muß also nur aufhören, daran
zu denken.
Meine Reise ist sehr glücklich und bequem gewesen. Der Herr *** ist ein
durch seinen Verstand und Erfahrung angenehmer Gesellschafter. Seine
Frau ist es etwas weniger; und da ein großer Theil ihres Werths in dem
Range und dem Stande ihres Mannes liegt, so schlägt sie denselben auch
ein bißchen zu hoch an. Aber das thut nichts. Gegen mich, als einen
alten Freund und Verwandten, ist sie immer sehr gütig.
Die zwey Tage, die bis zu meiner Mutter Ankunft verflossen,
recognoscirten wir, ich und mein lieber Bruder, die Gegend. Sie
können sie nicht leicht schöner jemals gesehen haben. Wir liegen sehr
nahe an der Oder, an deren Ufer überhaupt die schönsten Gegenden von
Schlesien sind. Dunkle, ehrfurchtsvolle Hayne, angenehme Wiesen, die
fruchtbarsten Felder, alle Theile einer bezaubernden Landgegend
wechseln mit einander ab. An dem einen Orte gehen wir auf einem
erhabenen Damm, (denn deren müssen hier sehr viele der Gewalt des
Stroms im Frühjahr entgegengesetzt werden), von dem man auf beyde
Seiten die Aussicht auf die angrenzenden Wiesen und den dabey gelegenen
Wald hat. Der Damm selbst ist mit Eichen besetzt, die ihre hohen
Wipfel einander zuwehen. An einem andern Orte ist ein weitläuftiger
Thiergarten, von drey Stunden in der Rundung, wo man den angenehmsten
Schatten, die erfrischendste Kühle, und den erfreuenden Anblick von
munteren, freyen und glücklichen Geschöpfen zugleich genießt. An einem
dritten Orte ist ein dicker beynahe unwegsamer Wald, wo selbst die
mittägliche Sonne keinen Zugang findet, und wo die melancholische
Stille nur durch das Rauschen der Aeste, oder das entfernte Girren der
Turteltaube, oder das Geräusch eines sich mitten im Walde durch die
Aeste durcharbeitenden Hirsches unterbrochen wird.
Hier stellen Sie sich also mich, an meiner Seite meine Mutter, meine
Schwester (denn so habe ich meines Onkels Töchter immer betrachtet,
und so habe ich sie geliebt) und meinen Freund vor. Da der Herr ****,
seine Frau, und mein Onkel, in das Bad gegangen sind, so herrschen wir
hier ganz allein. Wir stehen nicht eben sogar früh auf. Wir trinken
gemeinschaftlich unsern Thee. Wir verdienen unsere Mittagsmahlzeit
durch einen recht guten Spaziergang, von dem wir zuweilen unterwegs
unter einer hohen Eiche ausruhen. Die heißen Stunden sind zur Lektüre
und zur Arbeit bestimmt. Der Abend ist ganz zu ländlichen Vergnügungen.
Wir schlafen ruhig und vergnügt, weil keine unsere Ergötzungen etwas
anders als das Verlangen zurück läßt, sie zu wiederholen.
Ich lese meiner Mutter zuweilen auf einer Rasenbank, die eine große
Haselstaude beschattet, aus den Gedichten des +Gisecke+ vor. O diesen
Mann müssen Sie lesen. Er ist der Dichter der Freundschaft und der
ehelichen Liebe. Wer kann also ihn besser richten? und wessen Beyfall
würde ihn mehr belohnen? Er ist nicht immer stark, aber er ist immer
gut. Leben Sie tausend Mal wohl u. s. w.


Zehnter Brief.

S***witz den 27. Juli.
Ob ich gleich befürchten muß, daß meine Briefe Sie nicht in Leipzig
treffen, so kann ich es doch nicht über mich erhalten, keine zu
schreiben. Einen Brief an Sie schreiben, ist wenigstens halb so viel,
als einen von Ihnen bekommen. Ich glaube, ich habe Ihnen das schon
einmal gesagt. Aber das thut nichts. Ich fürchte es nicht, mich in
einer Sache zu wiederholen, die auf einerley Art empfunden auch
nur auf einerley Art ausgedrückt werden kann. Ich habe überhaupt
gemerkt, daß wahre Empfindungen sich zwar richtiger, aber niemals so
mannigfaltig ausdrücken lassen, als diejenigen, welche Geschöpfe der
Einbildungskraft sind. Der schöne Geist und das empfindliche Herz sind
deßwegen nicht immer beysammen, und zu gefallen und zu rühren, sind
zwey sehr verschiedene und oft einander entgegenstehende Sachen.
Sie sind also in Dreßden. Denn ich bin so glücklich gewesen, Ihren
ersten Brief Mittwochs, und den andern unmittelbar darauf Freytags
zu bekommen. Ich weiß nicht, warum mir diese Reise gar nicht recht
war. Sie schienen nicht mir näher zu kommen, sondern sich von mir
zu entfernen. Endlich bin ich auf die Ursache gekommen; wenigstens
das Wahrscheinliche fürs Gewisse zu nehmen. Ich fürchtete, unser
Briefwechsel würde gestört werden. Ueberdieß, glaube ich, weiß
ich Sie gern zu Hause, weil ich mir den Ort, wo Sie sind, und die
Beschäftigungen, die Sie da vornehmen, besser vorzustellen weiß. Das
Bild ist lebhafter, weil es mehr bestimmt ist. In Dreßden können Sie
da und da und da seyn. Aber wo Sie wirklich sind, und was Sie wirklich
machen, das kann ich mir zu keiner einzigen Stunde des Tages mit
Gewißheit denken. Ich befinde mich in einem fremden Ort, wo ich meine
Freundin bey jedem Schritt, den sie sich von mir entfernt, verliere,
und sie kaum mit der größten Mühe des Abends im Gasthofe wieder finde.
Endlich, (denn Sie müssen wissen, ich suche mein Herz zu studiren,
besonders wenn ich irgend eine ungewöhnliche Bewegung darin merke,
und das nicht mehr bloß um meinet, sondern auch um Ihretwillen;)
endlich also überfiel mich die bey einer wirklichen Freundschaft so
natürliche Eifersucht. Ich weiß die eigentliche Absicht Ihrer Reise
nicht. Aber das konnte ich mir doch vorstellen, daß Sie dort neue
Verbindungen errichten würden, oder durch schon gemachte Verbindungen
dazu wären veranlasset worden. Könnten eine Menge von neuen Eindrücken
nicht die alten verdunkeln, wenn sie auch nicht im Stande wären, sie
auszulöschen? Sie werden allenthalben, wo Sie hinkommen, und wo man
noch Geist und Herz genug hat, um es an andern gewahr zu werden,
Freunde finden. Ich müßte sehr verblendet, und mehr eitel als
ehrgeitzig seyn, wenn ich mich überreden sollte, daß mich nicht viele
dieser Freunde an allen Arten von Vorzügen übertreffen sollten. Und
ist es nicht in der Natur, dachte ich, daß man das bessere dem weniger
guten vorzieht?
Dieser Gedanke würde mich niedergeschlagen haben (und doch bin ich
sonst großmüthig genug, mich wie Phocion, oder wer es sonst war, zu
freuen, daß es so viel bessere Menschen giebt als ich) aber jetzt
würde mich dieser Gedanke niedergeschlagen haben, wenn mir nicht noch
ein Vorzug von mir eingefallen wäre, den ich willens bin, dem größten
Theil Ihrer Freunde, oder lieber (denn was soll ich heucheln?) allen
Ihren Freunden streitig zu machen. Ich liebe und schätze Sie so hoch,
-- als es Ihr Bruder thun könnte. Erlauben Sie mir immer, daß ich mir
einen Ehrennamen beylege, zu dem Sie mir selbst das Herz gegeben haben.
Ich liebe Ihren Mann, ich liebe Ihre kleine Wilhelmine, ich liebe Ihre
Freunde; selbst ehe ich sie noch kenne, empfehlen sie sich mir schon
durch diesen Namen mehr als durch alle Lobsprüche. Ich brenne vor
Begierde, an dem Glück und an dem Vergnügen einer solchen würdigen
Familie zu arbeiten; selbst meiner Freundschaft wünschte ich den Segen,
daß sie ein neues Band der ehelichen Liebe zwischen Ihnen beyden wäre,
auf die sich Ihre ganze Glückseligkeit gründet. Ich wünschte mir
einen größern Verstand, um Sie durch meinen Rath zu der glücklichsten
Mutter der vollkommensten Tochter zu machen; und mehr Tugend und mehr
Herrschaft über meine Leidenschaften, um Sie auf eben dem Wege, durch
welchen ich gegangen wäre, zu der Ruhe und der Heiterkeit der Seele
zu führen, die wir uns beyde so sehr wünschen, und die so oft durch
geringe Veranlassungen unterbrochen wird. Ich bin jetzt nahe dabey,
Ihre Frage zu beantworten, und nicht bloß Ihre, sondern auch meine
eigene.
Der heutige Tag, sagte ich manchmal zu mir selbst, ist vollkommen dem
gestrigen ähnlich. Alle Umstände sind dieselben. Nicht ein einziges von
meinen Gütern ist mir genommen. Nicht ein Wunsch ist heute von seiner
Befriedigung weiter zurück gesetzt, als er es gestern war. Und doch
war ich gestern vergnügt, und heute bin ich traurig und mißvergnügt.
Ich habe diese Betrachtung erst vor wenig Tagen wiederholt, wo mein
Zustand des Gemüths dem Ihrigen vollkommen ähnlich war; ob ich Sie
gleich warnen muß zu glauben, daß eine gewisse Munterkeit im Ausdrucke
ein richtiges Maß für den Grad des Vergnügens sey, den ich zu der
Zeit genieße. Man kützelt sich zuweilen um zu lachen, eben indem man
Schmerzen empfindet. Ich bin heute recht vergnügt, aber es würde die
unnatürlichste Sache von der Welt für mich seyn, Lachen zu erregen.
Also zu unsrer Untersuchung zurück! Sie wissen, daß die stärksten
Triebfedern unsrer Seele im Dunkeln liegen. Die Wirkung wird um desto
schwächer, je sichtbarer die Ursache ist. Das Deutliche reducirt sich
immer auf wenige Begriffe, die bald überzählt sind, und deren Summe
niemals etwas so großes ausmachen kann, daß man davor erschrecken
sollte. Alles das kommt uns nur unermeßlich vor, dessen Grenzen
wir nicht kennen. Sehen Sie, eben so entsteht unser Unmuth, wie an
dem heitern Himmel sich ein kleiner schwarzer Punkt erst in eine
kleine Wolke ausbreitet, dann sich immer mit den benachbarten Dünsten
vermischt und endlich den ganzen Horizont ringsum verdüstert. So lassen
Sie also in diese fröhliche Seele, deren ganze Saiten von dem Vergnügen
ausgespannt sind, jeden Eindruck anzunehmen und zu verdoppeln,
lassen Sie in dieselbe ein einziges Wort eines Geliebten fallen,
eines Ehegatten, oder eines Freundes, das dem Grade der erwarteten
Zärtlichkeit nicht entspricht; eine kleine Ungeschicklichkeit, die
wir selbst begehen, und die in uns die Erinnerung unsrer übrigen
Schwachheiten wieder erweckt; eine kleine Schwierigkeit bey der
Ausführung irgend einer unsrer Absichten, selbst die Empfindung einer
kleinen Unordnung im Körper. Auf einmal kommen die Vorstellungen von
alle dem Unangenehmen, was in unserm ganzen Zustande ist, zu Hauf. Das
Vergnügen hatte sie, so wie die Sonne den Nebel, nicht vernichtet,
sondern nur aus einander getrieben. Gegenwärtiges, Vergangenes,
Zukünftiges, alles drängt sich in unsere enge Seele zusammen, und macht
darin ein solches Chaos, und so eine wilde Vermischung, daß aller unser
Verstand, und wenn wir auch der Stoische Weise wären, nicht zureicht,
es aus einander zu setzen. Alle Uebel werden in diesem Augenblicke
unendlich, unaufhörlich, unvermeidlich. Altes verliert sein Maß und
seine Grenze, weil es beständig mit etwas anderm vermischt ist, das wir
davon nicht scheiden können oder wollen. Wenn man einmal so glücklich
ist, so weit zu kommen, sich sein ganzes Unglück nach einander
herzuerzählen; oder wenn man genöthiget wäre, es in diesem Augenblicke
einem andern zu sagen, so würde man sich wundern, wie Sachen, die,
wenn man sie sagt, so wenig betragen, doch, wenn man sie bloß dunkel
fühlt, einen so großen Eindruck machen und so viel Verwüstung anrichten
können. Ergänzen Sie diese Gedanken durch Ihre eigene Erfahrung. --
Aber sagen Sie mir auch dazu, was ich nicht thun kann, wie man es
anstellen muß, um dieser Unruhe -- ich will nicht sagen, ganz los zu
werden, denn das möchte ich nicht einmal; wenn man die Empfindlichkeit
von seinem eigenen Uebel wegnimmt, so verliert man auch die gegen
die Uebel anderer, -- aber sie doch zu mäßigen. Bloß moralische
Vorschriften sind vergebens. Der Verstand geht seinen Weg, und die
Einbildungskraft den ihrigen. Es müssen Uebungen, ordentliche Uebungen
seyn. -- Aber das ist eine Materie, wozu ich Ihren Verstand brauche. --
Ich schriebe gerne mehr, aber Sie möchten alsdann wirklich anfangen,
kürzere Briefe zu wünschen, und dann sehe ich schon zum Voraus,
würde ich trotz aller meiner Philosophie in eben den Unmuth und die
Unzufriedenheit verfallen, die ich beschreibe. Leben Sie wohl u. s. w.


Eilfter Brief.

S***witz den 4. Aug.
Ich wußte wohl, daß ich die Reise nach Dreßden nicht umsonst fürchtete.
Ich habe keine Briefe von Ihnen, und das zu einer Zeit, wo ich sie am
allermeisten nöthig gehabt hätte, um mir Muth und Entschlossenheit
dadurch zu geben. Sie sind also noch nicht aus Dreßden zurück gewesen,
oder Sie waren von der Reise zu müde, oder -- diese unglückliche
Sucht Ursachen zu allem zu finden, macht daß wir jede gewöhnliche
Begebenheit durch unsere Auslegung zur Qual für uns machen. Denn daß
Sie noch meine Freundin sind, daß Sie es noch eben so sehr sind, als
da ich Sie das letzte Mal in Borsdorf Thränen vergießen sah, (ein sehr
kostbares Denkmal Ihrer Freundschaft!) das lasse ich mir selbst meine
melancholische Einbildungskraft in ihren finstersten Stunden nicht
ausreden. Aber warum konnte mein Freund Reitz nicht schreiben, daß Sie
noch nicht gekommen wären? Gewiß, ich würde in ähnlichem Falle diese
Aufmerksamkeit für ihn gehabt haben. --
Mit mir sind unterdessen manche Veränderungen vorgegangen; -- nicht
eben mit meinen Umständen, aber mit meinen Aussichten. Ich stehe seit
einigen Tagen alles Unangenehme der Unentschlossenheit und des Zweifels
aus. -- Gellert hat mir seit drey Posttagen drey Mal geschrieben. --
Sie wissen, daß, als ich noch in Leipzig war, ein Hofmeister für des
Graf F.. ältesten Sohn gesucht wurde. Gellert hielt mich dazu für
tüchtig. Ich selbst hatte Lust. Globig aber hatte dazu schon Jemand
erwählt, der aus Göttingen angekommen war. Dieser wurde vom Grafen
nicht angenommen. Nach ihm wurde M. Kraft, (eben der, dem ich in
meiner Abwesenheit meine Stube eingeräumt hatte) vorgeschlagen und
angenommen. Dieser geht nach Petersburg als Astronom. Gellert war
so aufmerksam, diese Gelegenheit sogleich zu ergreifen, und mich an
Globigen mit aller seiner gütigen Partheylichkeit zu empfehlen. Vor
acht Tagen erhalte ich einen Brief von Gellert, in welchem einer vom
Präsidenten an ihn eingeschlossen ist. Er meldet ihm, daß der von ihm
empfohlene Mensch wäre angenommen worden, oder auf Michaelis angenommen
werden könnte. Der Graf verlangte dabey einen Plan zu dem Unterrichte
seines Sohnes, der 15 Jahr alt, von guten Talenten, und nicht ohne
Wissenschaften seyn soll.
Kaum hatte ich diesen Brief beantwortet, ihm für seine Güte gedankt,
und ihm meinen Entschluß und die Einwilligung meiner Mutter gemeldet,
so kommt von ihm ein zweyter. Ich erwartete nichts Geringeres, als den
Tod des Grafen; denn er ist sehr krank gewesen. Aber es war noch ein
zweyter Vorschlag. Sie kennen die Frau von I., eine K..sche Tochter,
und ihre zwey Söhne, von denen der älteste lahm ist. M. Hahn war bisher
ihr Hofmeister. Dieser kommt nach Hamburg, und die Frau Obersten
sucht einen neuen. Der junge Herr soll bald in die Collegia gehen,
und der jüngste soll bloß der Aufsicht, nicht aber dem Unterricht des
Hofmeisters anvertraut werden. Das Gehalt ist 150 Thaler. Wenn diese
Stelle außer Leipzig läge, so hätte ich sie geradezu ausgeschlagen.
Aber meine Freunde wieder zu sehen, Sie wieder zu sehen, Gellerten --
alle, alle wieder zu sehen, bey Ihnen zu leben, -- das ist mehr als man
braucht, um eine noch seltsamere Frau, als die Frau von J. ist, und
einen noch beschränkteren Eleven, als ich mir ihren Sohn vorstelle,
ertragen zu lernen.
Sagen Sie mir, was hätten Sie mir gerathen, Sie und Ihr lieber Mann,
wenn ich bey Ihnen gewesen wäre? Ich will Ihnen sagen, was ich gethan
habe. Ich habe die Entscheidung Gellerten überlassen; ich habe ihm die
Bewegungsgründe und die Schwierigkeiten auf beyden Seiten vorgestellt.
Wenn alles gleich wäre, so würde ich ohne Streit F..s Haus dem J..schen
vorziehen, von dem ich weder mehr Ansehen, noch mehr Umgang mit der
großen Welt, noch mehr Glück aufs künftige zu erwarten habe. In beyden
Fällen komme ich doch erst nach Leipzig, und sehe Sie wieder. --
Ich schriebe gern noch mehr, aber um mich selbst zu verläugnen, und um
Sie von meinen langen Briefen ausruhen zu lassen, sage ich kein Wort
mehr, als daß ich u. s. w.


Zwölfter Brief.

Ein treuer, freundschaftlicher Rath kommt niemals zu spät, wenn er auch
gleich eine geschehene Wahl nicht mehr ändern kann. Sie wissen, ich
schrieb Gellerten, an eben dem Tage, da ich Ihnen die Nachricht davon
gab. Es würde mir schwer werden, eine Entscheidung, die ich ihm einmal
übergeben habe, wieder zurück zu nehmen. Ich bin in der That vollkommen
Ihrer Meynung, daß es immer gefährlich ist, dem Urtheile eines andern
(und wäre dieser andere auch der weiseste und rechtschaffenste Mann)
eine Entscheidung zu überlassen, bey der er, wenn es möglich wäre,
sich in uns verwandeln müßte, wenn er richtig urtheilen sollte. Dem
ungeachtet glaube ich, daß ich es nach den Umständen, in welchen ich
war, so machen mußte. Diese Erinnerung wird mich trösten, der Ausgang
der Sache mag seyn, welcher er will. Um mich aber auch bey Ihnen zu
rechtfertigen, so sollen Sie diese Umstände wissen.
Sie kennen die Schwierigkeit, (oder wenigstens können Sie sich sie
vorstellen), die es einen Menschen kostet, dessen Glück oder Unglück
nicht ihn allein trifft, sondern sich auf Personen ausbreitet, die
ihm theurer als sein eigen Leben sind, was es diesen Menschen, sage
ich, kostet, einen Entschluß zu fassen, von welchem diese Personen
glauben, daß er für sein künftiges Schicksal so wichtig ist. Wenn
man das Unglück hat, Niemand in der Welt anzugehören und eine mit
dem übrigen menschlichen Geschlecht nicht zusammenhängende Insel
auszumachen, so hat man entweder Muth oder Unbesonnenheit genug,
geschwind zu entscheiden. Neigung, und die auf eine gewisse Seite
gerichtete Einbildungskraft geben der Wahl bald den Ausschlag. Wenn man
aber so wie ich, als Sohn, als Verwandter, als Freund, in Verbindungen
steht, die an unser Wohl das Wohl anderer verknüpfen, so wird ein
Entschluß schon weit schwerer, für dessen Erfolg man so vielen Personen
Rechenschaft zu geben hat.
Setzen Sie nun noch, daß die Sache so sehr ungewiß ist, wie die
meinige, und daß so viel andere, von uns ganz unabhängige Begebenheiten
zusammen kommen, und uns helfen müssen, wenn sie nicht fehl schlagen
soll: wer kann alsdann kühn genug seyn, für den Ausgang zu stehen,
besonders wenn man durch unglückliche Beyspiele geschreckt ist. Man
glaubt in diesen Fällen sehr leicht, daß das, wozu sich eine besondere
Gelegenheit anbietet, mehr als ein Ruf der göttlichen Vorsehung
angesehen werden kann, als das, wozu nichts als unser Entschluß etwas
beygetragen hat. Vielleicht ist dieses zuweilen Vorurtheil. Aber
scheint es uns alsdann nicht Wahrheit, wenn die Unternehmung mißlingt?
Nach Leipzig ohne Ruf und Veranlassung zu gehen, und auf gut Glück
Vorlesungen anzufangen, wie viel Stimmen glauben Sie wohl, daß ich hier
dafür würde gefunden haben? Noch dazu da Leipzig außer unsers Herrn
Ländern liegt, wo, wenn gegen die Regeln der Wahrscheinlichkeit alles
aufs glücklichste fällt, am Ende doch immer die Schwierigkeit übrig
bleibt, die die Versetzung einer ganzen Familie und ihres Vermögens
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