Christian Garve's Vertraute Briefe an eine Freundin - 10

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Freundschaft herunter setze, wenn ich sage, daß es noch eine höhere
giebt, -- aber keine höhere, wenn die Wahl wieder auf eine Mannsperson
fällt. -- Wenn ich aber einem Frauenzimmer den Vorrang gebe, so denke
ich, ich bin blos großmüthig, nicht kaltsinnig.
„Gut! Eine Freundin ließ ich mir gefallen, eine ganz vertraute
Freundin, wenn ich sie hätte. Aber wozu der Umgang mit Vielen?“
Um diese Eine darunter zu finden. Muß man nicht erst wählen können, ehe
man sich entschließt?
„Und dann -- als Mutter, sagten Sie auch, müßte ich mit Frauenzimmern
Umgang haben. -- Eine beständige Zerstreuung ist wohl also ein gutes
Mittel, seine mütterliche Pflicht zu erfüllen?“
Nein, die größte Hinderniß, glaube ich. Aber nicht aller Umgang ist
eine Zerstreuung, die schädlich wäre.
„Aber sagen Sie mir doch den Nutzen, den mein Kind davon haben könnte.“
Ich muß Ihnen gestehen, ich bilde mir ein, zur Erziehung eines jungen
Frauenzimmers ist der Umgang mit Personen ihres Alters und ihres
Geschlechts nicht blos nützlich, sondern nothwendig. -- Es wird sonst
nicht Frauenzimmer genug; es verliert etwas von dem Charakter, und
also auch von den Annehmlichkeiten seines Geschlechts; es nähert sich
dem unsrigen, ohne doch dadurch mehr zu gefallen. Wie kann aber eine
Mutter ihrer Tochter eine Gesellschaft von ihrem Alter und Geschlecht
verschaffen, wenn sie selbst keine hat?
„Meine Tochter soll in meiner Gesellschaft lieber seyn, als in der
Gesellschaft der ganzen übrigen Welt. Mein Umgang muß ihr, wenn ich
anders es verstehe, eine Mutter zu seyn, den sehr leicht ersetzen, den
ich ihr nicht werde schaffen können. Und ich hoffe, mein und meiner
Freunde Unterricht wird sie alles das lehren, was Sie sie aus dem
Umgange wollten lernen lassen.“
O liebste Freundin, wer wollte wohl daran zweifeln, daß Sie nicht
die beste Mutter seyn würden, der Sie kennt? Ich wollte auch Ihrer
Tochter keinen andern Lehrer zugestehen, als Sie. Aber um seine Sitten
zu bilden; um den Menschen mit einer gewissen Dreistigkeit unter die
Augen sehen zu können; um von allen seinen guten Eigenschaften in
der Welt Gebrauch machen zu können, deren man sich in seinem Kabinet
bewußt ist: dazu gehört, daß man die Menschen bey Zeiten kennen lerne;
daß man viele Muster vor sich habe; daß man weiß, was für ein Grad
von Vollkommenheit in der Welt gemeiniglich angetroffen und gefordert
werde; und daß man -- soll ich es sagen? -- das Zutrauen auf sich
selbst durch die öftern Beweise von den Schwachheiten Andrer vermehre.
„Also sehe ich wohl, meine Wilhelmine wird eine Herumläuferin werden
müssen, wenn sie Ihnen gefallen soll.“
Nicht so ganz und gar. Sie verstehen mich besser, liebste Freundin, als
Sie mir es gestehen wollen. -- Müßte ich nicht entweder Sie hochachten,
oder sehr eigennützig seyn, wenn ich nicht einer Person, der ich
Verdienste zuschreibe, so vielen Einfluß auf Andre, eine so große
Sphäre ihrer Wirksamkeit, als möglich ist, wünschen sollte?
Da haben Sie eine kleine Probe von einem der Gedanken-Gespräche, mit
denen ich meine Entfernung von Ihnen zu vergessen suche. Wenn es Ihnen
nicht ganz mißfällt, so will ich mich öfter unterstehen, Ihnen die
Unterredungen zu erzählen, die ich ohne Ihr Wissen und Willen mit Ihnen
gehalten habe.
Gellerts Bild habe ich durch Hubern sechs Mal bekommen, und unter meine
guten Freunde ausgetheilt. Danken Sie dem Herrn Bause dafür, wenn Sie
ihn sehen. Er wird unser zweyter Wille werden. Und nun möchte ich doch
wissen, ob Herr M. Reiz noch unter den Lebendigen ist. Ich glaube,
daß ich meine Freunde öfterer aus meinem Grabe, wenn ich gestorben
wäre, besuchen würde, als er aus seinem Kabinet es thut. -- Lesen Sie
doch: +Vergleichung des Zustandes und der Kräfte der Menschen mit dem
Zustande und den Kräften der Thiere+ u. s. w.


Acht und dreyßigster Brief.

Ich bin in der That über das Ausbleiben Ihrer Briefe ein wenig unruhig
gewesen. Das kann Ihnen M. Reiz aus dem Briefe sagen, den ich an ihn
beygelegt habe. In einer solchen Verfassung war es wirklich grausam, --
doch Ihr Brief selbst ist so voll von Freundschaft und Güte, daß ich
nicht mehr daran denken kann, wie sauer ich mir ihn verdient habe.
Gellert hat den Ausspruch gethan. Ich weiß, Sie werden es selbst
billigen, daß ich ihm diese Entscheidung übertragen, oder daß er so
entschieden hat, sobald Sie sich in meine Verfassung setzen. Stellen
Sie sich einen Menschen vor, der nach zwey verschiedenen Gegenden
zugleich getrieben wird. Vor sich sieht er ein Ziel, welches er gern
erreichen möchte, und nach welchem zu laufen er von alten Athleten,
die seine Stärke oder Geschwindigkeit besser als er selbst zu kennen
glauben, aufgemuntert wird. Schon ist seine Seele, schon sind seine
Muskeln in einer Bewegung, die er noch seinen Füßen nicht hat geben
können; er steht zitternd und unruhig, und erwartet das Zeichen des
Aufbruchs. An beyden Seiten der Schranken sieht er Freunde, die ihm
zurufen, ihn aufmuntern, und ihm auf alle Fälle ihre Glückwünsche oder
ihr Mitleid versprechen. Auf der entgegengesetzten Seite sieht man
Mutter, Onkel, alle natürlichen Freunde des jungen Kämpfers, mit einem
ganzen Kreise von erworbenen Freunden, die sich immer weiter und weiter
von der Laufbahn entfernen, und ihm zurufen, zu ihnen zu kommen, und
noch für immer, oder für eine Weile, mit ihnen zu gehen. Der junge
Mensch ist unentschlossen, verwirrt, ängstlich. Unterdessen geht
die Zeit immer fort. Der Augenblick, wo das Zeichen zum Lauf gegeben
werden soll, nähert sich; seine Freunde entfernen sich immer weiter
und vermehren ihre Zurufungen. Was kann natürlicher Weise der junge
Mensch thun? Nachdem er eine Zeit lang beydes zu vereinigen gesucht,
bald sich nach dem Ziele ausgestreckt, bald seine Freunde zurück zu
halten gesucht hat; und durch entgegengesetzte Bewegungen, die einander
wechselsweise aufheben, in eine Art von Unthätigkeit und Leblosigkeit
gekommen ist; wird er nicht alsdann einen alten Kämpfer, besonders
den, der ihn zuerst ermuntert hat, sich in die Schranken zu stellen,
fragen, wie lange noch Zeit zum Aufbruche sey, und wie weit er noch die
Seinigen begleiten könne? -- Und werden die gütigen Freunde, die ihn an
den Schranken erwarten, wohl unwillig seyn, wenn er diesem Ausspruche
folgt, und sich aus einer solchen Verlegenheit reißt?
Meine Allegorie ist viel zu lang, denn sie hat mir zwey Drittheile
von dem Platze genommen, den ich noch zu ganz andern Sachen bestimmt
hatte. -- Wenn ich nicht jetzo über meiner Disputation arbeitete, so
würde mich nichts hindern, den zweiten und den dritten Bogen zu nehmen.
Aber jetzo muß ich wirklich ein Wirthschafter mit meiner Zeit seyn.
In drey Wochen, so viel ich jetzo voraus sehe, denke ich abzureisen.
Erfreuen Sie mich unterdessen oft mit Ihren Briefen, und machen Sie
mir, oder bestätigen Sie mir vielmehr die Hoffnung, daß ich Sie nicht
nur so freundschaftlich, so zärtlich, wie Sie immer gewesen sind,
sondern auch gesund, munter und fröhlich antreffen werde u. s. w.
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