C. F. Gellerts Sämmtliche Schriften - 5

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Wars in der Furcht des Herrn, das ich ihn angefangen?
Mit Dank und mit Gebet, mit eifrigem Verlangen,
Als ein Geschöpf von Gott der Tugend mich zu weihn,
Und züchtig, und gerecht, und Gottes Freund zu seyn?
Hab ich in dem Beruf, den Gott mir angewiesen,
Durch Eifer und durch Fleiß ihn, diesen Gott, gepriesen;
Mir und der Welt genützt, und jeden Dienst gethan,
Weil ihn der Herr gebot, nicht weil mich Menschen sahn?
Wie hab ich diesen Tag mein eigen Herz regieret?
Hat mich im Stillen oft ein Blick auf Gott gerühret?
Erfreut ich mich des Herrn, der unser Flehn bemerkt?
Und hab ich im Vertraun auf ihn mein Herz gestärkt?
Dacht ich bey dem Genuß der Güter dieser Erden
An den Allmächtigen, durch den sie sind und werden?
Verehrt ich ihn im Staub? Empfand ich seine Huld?
Trug ich das Glück mit Dank, den Unfall mit Geduld?
Und wie genoß mein Herz des Umgangs süsse Stunden?
Fühlt ich der Freundschaft Glück, sprach ich, was ich empfunden?
War auch mein Ernst noch sanft, mein Schmerz noch unschuldsvoll?
Und hab ich nichts geredt, das ich bereuen soll?
Hab ich die Meinigen durch Sorgfalt mir verpflichtet,
Sie durch mein Beyspiel still zum Guten unterrichtet?
War zu des Mitleids Pflicht mein Herz nicht zu bequem?
Ein Glück, das Andre traf, war dieß mir angenehm?
War mir der Fehltritt leid, so bald ich ihn begangen?
Bestritt ich auch in mir ein unerlaubt Verlangen?
Und wenn in dieser Nacht Gott über mich gebeut,
Bin ich, vor ihm zu stehn, auch willig und bereit?
Gott, der du alles weißt, was könnt ich dir verhelen?
Ich fühle täglich noch die Schwachheit meiner Seelen.
Vergieb durch Christi Blut mir die verletzte Pflicht;
Vergieb, und gehe du nicht mit mir ins Gericht.
Ja, du verzeihest dem, den seine Sünden kränken;
Du liebst Barmherzigkeit, und wirst auch mir sie schenken.
Auch diese Nacht bist du der Wächter über mir;
Leb ich, so leb ich dir, sterb ich, so sterb ich dir!

Gelassenheit.
Was ists, das ich mich quäle?
Harr Seiner, meine Seele,
Harr und sey unverzagt!
Du weist nicht, was dir nützet;
Gott weis es, und Gott schützet,
Er schützet den, der nach ihm fragt.
Er zählte meine Tage,
Mein Glück und meine Plage,
Eh ich die Welt noch sah.
Eh ich mich selbst noch kannte,
Eh ich ihn Vater nannte,
War er mir schon mit Hülfe nah.
Die kleinste meiner Sorgen
Ist dem Gott nicht verborgen,
Der alles sieht und hält;
Und was er mir beschieden,
Das dient zu meinem Frieden,
Wärs auch die größte Last der Welt.
Ich lebe nicht auf Erden,
Um glücklich hier zu werden;
Die Lust der Welt vergeht.
Ich lebe hier, im Segen
Den Grund zum Glück zu legen,
Das ewig, wie mein Geist, besteht.
Was dieses Glück vermehret,
Sey mir von dir gewähret!
Gott, du gewährst es gern.
Was dieses Glück verletzet,
Wenns alle Welt auch schätzet,
Sey, Herr, mein Gott, mir ewig fern!
Sind auch der Krankheit Plagen,
Der Mangel schwer zu tragen,
Noch schwerer Haß und Spott:
So harr ich, und bin stille
Zu Gott; denn nicht mein Wille,
Dein Wille nur, gescheh, o Gott!
Du bist der Müden Stärke,
Und aller deiner Werke
Erbarmst du ewig dich.
Was kann mir widerfahren;
Wenn Gott mich will bewahren;
Und er, mein Gott, bewahret mich.

Die Wachsamkeit.
Nicht, daß ichs schon ergriffen hätte;
Die beste Tugend bleibt noch schwach;
Doch, daß ich meine Seele rette,
Jag ich dem Kleinod eifrig nach.
Denn Tugend ohne Wachsamkeit
Verliert sich bald in Sicherheit.
So lang ich hier im Leibe walle,
Bin ich ein Kind, das strauchelnd geht.
Der sehe zu, daß er nicht falle,
Der, wenn sein Nächster fällt, noch steht.
Auch die bekämpfte böse Lust
Stirbt niemals ganz in unsrer Brust.
Nicht jede Besserung ist Tugend;
Oft ist sie nur das Werk der Zeit.
Die wilde Hitze roher Jugend
Wird mit den Jahren Sittsamkeit;
Und was Natur und Zeit gethan,
Sieht unser Stolz für Tugend an.
Oft ist die Aendrung deiner Seelen
Ein Tausch der Triebe der Natur.
Du fühlst, wie Stolz und Ruhmsucht quälen,
Und dämpfst sie; doch du wechselst nur;
Dein Herz fühlt einen andern Reiz,
Dein Stolz wird Wollust, oder Geiz.
Oft ist es Kunst und Eigenliebe,
Was Andern strenge Tugend scheint.
Der Trieb des Neids, der Schmähsucht Triebe
Erweckten dir so manchen Feind;
Du wirst behutsam, schränkst dich ein,
Fliehst nicht die Schmähsucht, nur den Schein.
Du denkst, weil Dinge dich nicht rühren,
Durch die der Andern Tugend fällt:
So werde nichts dein Herz verführen;
Doch jedes Herz hat seine Welt.
Den, welchen Stand und Gold nicht rührt,
Hat oft ein Blick, ein Wort verführt,
Oft schläft der Trieb in deinem Herzen.
Du scheinst von Rachsucht dir befreyt;
Itzt sollst du eine Schmach verschmerzen,
Und sieh, dein Herz wallt auf und dräut,
Und schilt so lieblos und so hart,
Als es zuerst gescholten ward.
Oft denkt, wenn wir der Stille pflegen,
Das Herz im Stillen tugendhaft.
Kaum lachet uns die Welt entgegen:
So regt sich unsre Leidenschaft.
Wir werden im Geräusche schwach,
Und geben endlich strafbar nach.
Du opferst Gott die leichtern Triebe
Durch einen strengen Lebenslauf;
Doch opferst du, wills seine Liebe,
Ihm auch die liebste Neigung auf?
Dieß ist das Auge, dieß der Fuß,
Die sich der Christ entreissen muß.
Du fliehst, geneigt zu Ruh und Stille,
Die Welt, und liebst die Einsamkeit;
Doch bist du, forderts Gottes Wille,
Auch dieser zu entfliehn bereit?
Dein Herz haßt Habsucht, Neid und Zank?
Fliehts Unmuth auch und Müßiggang?
Du bist gerecht; denn auch bescheiden?
Liebst Mäßigkeit; denn auch Geduld?
Du dienest gern, wenn Andre leiden;
Vergiebst du Feinden auch die Schuld?
Von allen Lastern sollst du rein,
Zu aller Tugend willig seyn.
Sey nicht vermessen! Wach und streite;
Denk nicht, daß du schon gnug gethan.
Dein Herz hat seine schwache Seite,
Die greift der Feind der Wohlfahrt an.
Die Sicherheit droht dir den Fall;
Drum wache stets, wach überall!

Wider den Uebermuth.
Was ist mein Stand, mein Glück, und jede gute Gabe?
Ein unverdientes Gut.
Bewahre mich, o Gott, von dem ich alles habe,
Vor Stolz und Uebermuth.
Wenn ich vielleicht der Welt mehr, als mein Nächster, nütze;
Wer gab mir Kraft dazu?
Und wenn ich mehr Verstand, als er besitzt, besitze;
Wer gab mir ihn, als du?
Wenn mir ein grösser Glück, als ihn erfreut, begegnet;
Bin ich ein beßrer Knecht?
Giebt deine Gütigkeit, die mich vor Andern segnet,
Mir wohl zum Stolz ein Recht?
Wenn ich, geehrt und groß, in Würden mich erblicke;
Gott, wer erhöhte mich?
Ist nicht mein Nächster oft, bey seinem kleinern Glücke,
Viel würdiger, als ich?
Wie könnt ich mich, o Gott! des Guten überheben,
Und meines schwachen Lichts?
Was ich besitz, ist dein. Du sprichst! so bin ich Leben;
Du sprichst! so bin ich Nichts.
Von dir kömmt das Gedeyn, und jede gute Gabe
Von dir, du höchstes Gut!
Bewahre mich, o Gott, von dem ich alles habe!
Vor Stolz und Uebermuth.

Beständige Erinnerung des Todes.
Was sorgst du ängstlich für dein Leben?
Es Gott gelassen übergeben,
Ist wahre Ruh und deine Pflicht.
Du sollst es lieben, weislich nützen,
Es dankbar, als ein Glück, besitzen,
Verlieren, als verlörst dus nicht.
Der Tod soll dich nicht traurig schrecken;
Doch dich zur Weisheit zu erwecken,
Soll er dir stets vor Augen seyn.
Er soll den Wunsch zu leben mindern,
Doch dich in deiner Pflicht nicht hindern,
Vielmehr dir Kraft dazu verleihn.
Ermattest du in deinen Pflichten:
So laß den Tod dich unterrichten,
Wie wenig deiner Tage sind.
Sprich: Sollt ich Gutes wohl verschieben?
Nein, meine Zeit, es auszuüben,
Ist kurz, und sie verfliegt geschwind.
Denk an den Tod, wenn böse Triebe,
Wenn Lust der Welt und ihre Liebe
Dich reizen; und ersticke sie.
Sprich: Kann ich nicht noch heute sterben?
Und könnt ich auch die Welt erwerben,
Begieng ich doch solch Uebel nie.
Denk an den Tod, wenn Ruhm und Ehren,
Wenn deine Schätze sich vermehren,
Daß du sie nicht zu heftig liebst.
Denk an die Eitelkeit der Erden,
Daß, wenn sie dir entrissen werden,
Du dann dich nicht zu sehr betrübst.
Denk an den Tod, bey frohen Tagen.
Kann deine Lust sein Bild vertragen:
So ist sie gut und unschuldsvoll.
Sprich, dein Vergnügen zu versüssen:
Welch Glück werd ich erst dort geniessen,
Wo ich unendlich leben soll!
Denk an den Tod, wenn deinem Leben
Das fehlt, wornach die Reichen streben;
Sprich: Bin ich hier, um reich zu seyn?
Heil mir, wenn ich in Christo sterbe,
Dann ist ein unbeflecktes Erbe,
Dann ist der Himmel Reichthum mein.
Denk an den Tod, wenn Leiden kommen;
Sprich: alle Trübsal eines Frommen
Ist zeitlich, und im Glauben leicht.
Ich leide; doch von allem Bösen
Wird mich der Tod bald, bald erlösen;
Er ists, der mir die Krone reicht.
Denk an den Tod, wenn freche Rotten
Des Glaubens und der Tugend spotten,
Und Laster stolz ihr Haupt erhöhn.
Sprich bey dir selbst: Gott trägt die Frechen;
Doch endlich kömmt er, sich zu rächen,
Und plötzlich werden sie vergehn.
Denk an den Tod zur Zeit der Schrecken,
Wenn Pfeile Gottes in dir stecken;
Du rufst, und er antwortet nicht.
Sprich: Sollte Gott mich ewig hassen?
Er wird mich sterbend nicht verlassen;
Dann zeigt er mir sein Angesicht.
So suche dir in allen Fällen
Den Tod oft, lebhaft, vorzustellen;
So wirst du ihn nicht zitternd scheun;
So wird er dir ein Trost in Klagen,
Ein weiser Freund in guten Tagen,
Ein Schild in der Versuchung seyn.

Osterlied.
Erinnre dich, mein Geist, erfreut
Des hohen Tags der Herrlichkeit;
Halt im Gedächtniß Jesum Christ,
Der von dem Tod erstanden ist!
Fühl alle Dankbarkeit für ihn,
Als ob er heute dir erschien,
Als spräch er: Friede sey mit dir!
So freue dich, mein Geist, in mir!
Schau über dich, und bet ihn an.
Er mißt den Sternen ihre Bahn;
Er lebt und herrscht mit Gott vereint,
Und ist dein König und dein Freund.
Macht, Ruhm und Hoheit immerdar
Dem, der da ist, und der da war!
Sein Name sey gebenedeyt,
Von nun an bis in Ewigkeit;
O Glaube, der das Herz erhöht!
Was ist der Erde Majestät,
Wenn sie mein Geist mit der vergleicht,
Die ich durch Gottes Sohn erreicht?
Vor seinem Thron, in seinem Reich,
Unsterblich, heilig, Engeln gleich,
Und ewig, ewig selig seyn;
Herr, welche Herrlichkeit ist mein!
Mein Herz erliegt froh unter ihr;
Lieb und Verwundrung kämpft in mir,
Und voll von Ehrfurcht, Dank und Pflicht
Fall ich, Gott, auf mein Angesicht.
Du, der du in den Himmeln thronst,
Ich soll da wohnen, wo du wohnst?
Und du erfüllst einst mein Vertraun,
In meinem Fleische dich zu schaun?
Ich soll, wenn du, des Lebens Fürst,
In Wolken göttlich kommen wirst,
Erweckt aus meinem Grabe gehn,
Und rein zu deiner Rechten stehn?
Mit Engeln und mit Seraphim,
Mit Thronen und mit Cherubim,
Mit allen Frommen aller Zeit
Soll ich mich freun in Ewigkeit?
Zu welchem Glück, zu welchem Ruhm
Erhebt uns nicht das Christenthum!
Mit dir gekreuzigt, Gottes Sohn,
Sind wir auch auferstanden schon.
Nie komm es mir aus meinem Sinn,
Was ich, mein Heil, dir schuldig bin;
Damit ich mich, in Liebe treu,
Zu deinem Bilde stets erneu.
Er ists, der alles in uns schafft,
Sein ist das Reich, sein ist die Kraft.
Halt im Gedächtniß Jesum Christ,
Der von dem Tod erstanden ist.

Der Kampf der Tugend.
Oft klagt dein Herz, wie schwer es sey,
Den Weg des Herrn zu wandeln,
Und täglich seinem Worte treu,
Zu denken und zu handeln.
Wahr ists, die Tugend kostet Müh,
Sie ist der Sieg der Lüste;
Doch richte selbst, was wäre sie,
Wenn sie nicht kämpfen müßte?
Die, die sich ihrer Laster freun,
Trifft die kein Schmerz hienieden?
Sie sind die Sklaven eigner Pein,
Und haben keinen Frieden.
Der Fromme, der die Lüste dämpft,
Hat oft auch seine Leiden;
Allein der Schmerz, mit dem er kämpft,
Verwandelt sich in Freuden.
Des Lasters Bahn ist Anfangs zwar
Ein breiter Weg durch Auen;
Allein sein Fortgang wird Gefahr,
Sein Ende Nacht und Grauen.
Der Tugend Pfad ist Anfangs steil,
Läßt nichts als Mühe blicken;
Doch weiter fort führt er zum Heil,
Und endlich zum Entzücken.
Nimm an, Gott hätt es uns vergönnt,
Nach unsers Fleisches Willen,
Wenn Wollust, Neid und Zorn entbrennt,
Die Lüste frey zu stillen;
Nimm an, Gott ließ den Undank zu;
Den Frevel, dich zu kränken;
Den Menschenhaß; was würdest du
Von diesem Gotte denken?
Gott will, wir sollen glücklich seyn,
Drum gab er uns Gesetze.
Sie sind es, die das Herz erfreun,
Sie sind des Lebens Schätze.
Er redt in uns durch den Verstand,
Und spricht durch das Gewissen,
Was wir, Geschöpfe seiner Hand,
Fliehn, oder wählen müssen.
Ihn fürchten, das ist Weisheit nur;
Und Freyheit ists, sie wählen.
Ein Thier folgt Fesseln der Natur,
Ein Mensch dem Licht der Seelen.
Was ist des Geistes Eigenthum?
Was sein Beruf auf Erden?
Die Tugend! Was ihr Lohn, ihr Ruhm?
Gott ewig ähnlich werden!
Lern nur Geschmack am Wort des Herrn
Und seiner Gnade finden,
Und übe dich getreu und gern,
Dein Herz zu überwinden.
Wer Kräfte hat, wird durch Gebrauch
Von Gott noch mehr bekommen;
Wer aber nicht hat, dem wird auch
Das, was er hat, genommen.
Du streitest nicht durch eigne Kraft,
Drum muß es dir gelingen.
Gott ist es, welcher beides schafft,
Das Wollen und Vollbringen.
Wenn gab ein Vater einen Stein
Dem Sohn, der Brodt begehrte?
Bet oft; Gott müßte Gott nicht seyn,
Wenn er dich nicht erhörte.
Dich stärket auf der Tugend Pfad
Das Beyspiel selger Geister:
Ihn zeigte dir, und ihn betrat
Dein Gott und Herr und Meister.
Dich müsse nie des Frechen Spott
Auf diesem Pfade hindern;
Der wahre Ruhm ist Ruhm bey Gott,
Und nicht bey Menschenkindern.
Sey stark, sey männlich allezeit,
Tritt oft an deine Bahre;
Vergleiche mit der Ewigkeit
Den Kampf so kurzer Jahre.
Das Kleinod, das dein Glaube hält,
Wird neuen Muth dir geben;
Und Kräfte der zukünftgen Welt,
Die werden ihn beleben.
Und endlich, Christ, sey unverzagt,
Wenn dirs nicht immer glücket;
Wenn dich, so viel dein Herz auch wagt,
Stets neue Schwachheit drücket.
Gott sieht nicht auf die That allein,
Er sieht auf deinen Willen.
Ein göttliches Verdienst ist dein!
Dieß muß dein Herze stillen.

Die Güte Gottes.
Wie groß ist des Allmächtgen Güte!
Ist der ein Mensch, den sie nicht rührt?
Der mit verhärtetem Gemüthe
Den Dank erstickt, der ihm gebührt?
Nein, seine Liebe zu ermessen,
Sey ewig meine größte Pflicht.
Der Herr hat mein noch nie vergessen;
Vergiß, mein Herz, auch seiner nicht.
Wer hat mich wunderbar bereitet?
Der Gott, der meiner nicht bedarf.
Wer hat mit Langmuth mich geleitet?
Er, dessen Rath ich oft verwarf.
Wer stärkt den Frieden im Gewissen?
Wer giebt dem Geiste neue Kraft?
Wer läßt mich so viel Glück geniessen?
Ist nicht sein Arm der alles schafft?
Schau, o mein Geist! in jenes Leben,
Zu welchem du erschaffen bist;
Wo du, mit Herrlichkeit umgeben,
Gott ewig sehn wirst, wie er ist.
Du hast ein Recht zu diesen Freuden;
Durch Gottes Güte sind sie dein.
Sieh, darum mußte Christus leiden,
Damit du könntest selig seyn.
Und diesen Gott sollt ich nicht ehren?
Und seine Güte nicht verstehn?
Er sollte rufen; ich nicht hören?
Den Weg, den er mir zeigt, nicht gehn?
Sein Will ist mir ins Herz geschrieben;
Sein Wort bestärkt ihn ewiglich.
Gott soll ich über alles lieben,
Und meinen Nächsten gleich als mich.
Dieß ist mein Dank, dieß ist sein Wille.
Ich soll vollkommen seyn, wie er.
So lang ich dieß Gebot erfülle,
Stell ich sein Bildniß in mir her.
Lebt seine Lieb in meiner Seele:
So treibt sie mich zu jeder Pflicht.
Und ob ich schon aus Schwachheit fehle,
Herrscht doch in mir die Sünde nicht.
O Gott! laß deine Güt und Liebe
Mir immerdar vor Augen seyn!
Sie stärk in mir die guten Triebe,
Mein ganzes Leben dir zu weihn.
Sie tröste mich zur Zeit der Schmerzen;
Sie leite mich zur Zeit des Glücks;
Und sie besieg in meinem Herzen
Die Furcht des letzten Augenblicks.

Das natürliche Verderben des Menschen.
Wer bin ich von Natur, wenn ich mein Innres prüfe?
O wie viel Greul läßt mich mein Herze sehn!
Es ist verderbt; darum verbirgt mirs seine Tiefe,
Und weigert sich, die Prüfung auszustehn.
Der Weisheit erster Schritt ist, seine Thorheit kennen;
Und diesen Schritt, wie oft verwehrt mirs ihn!
Voll Eigenlieb und Stolz will sichs nicht strafbar nennen,
Der Reu entgehn, doch nicht den Fehler fliehn.
Wahr ists, ich find in mir noch redendes Gewissen,
In der Vernunft noch Kenntniß meiner Pflicht.
Ich kann mein Auge nie der Tugend ganz verschliessen,
Und oft scheint mir ein Stral von ihrem Licht.
Doch schwaches Licht, das mir den Reiz der Tugend zeiget,
Und vom Verstand nicht bis zum Herzen dringt!
Vergebens lehret er, das Herz bleibt ungebeuget,
Hat sein Gesetz, und folgt ihm unbedingt.
Ein Richter in mir selbst stört oft des Herzens Ruhe;
Er klagt mich an. Ich steh erschrocken still,
Und billige nicht mehr das Böse, das ich thue,
Und thue nicht das Gute, das ich will.
Verstellung, die ich doch an meinem Nächsten hasse,
Erlaub ich mir, und halt es für Gewinn,
Wenn ich im falschen Licht mich Andern sehen lasse,
Und scheinen kann, was ich mir selbst nicht bin.
Ich weis, daß der Besitz der Güter dieser Erden
Der Seele nie das wahre Glück verleiht;
Doch bleiben sie mein Wunsch; und um beglückt zu werden,
Erring ich mir die Last der Eitelkeit.
Ich weis, wie groß es sey, aus Ueberlegung handeln,
Und handle doch aus sinnlichem Gefühl.
Durch falschen Schein getäuscht, eil ich, ihm nachzuwandeln,
Und Leidenschaft und Irrthum steckt mein Ziel.
Ein gegenwärtig Gut versäum ich zu geniessen,
Flieh, was mich sucht, und suche, was mich flieht.
Im Glücke bin ich stolz, verzagt in Kümmernissen,
Und ohne Ruh um Ruhe stets bemüht.
Mein Nächster hat ein Recht auf viele meiner Pflichten;
Doch wird dieß Recht so oft von mir entweiht.
Versagt er mir die Pflicht; so eil ich, hin zu richten;
Und sein Versehn ist Ungerechtigkeit.
Nicht Liebe gegen Gott heißt mich dem Nächsten dienen,
Mehr Eigenlieb und niedrer Eigennutz.
Aus ihnen fließt Betrug, Verstellung; und in ihnen
Findt Neid und Haß, und Stolz und Härte Schutz.
Gott ehren ist mein Ruf. Wenn ich den Ruf betrachte,
Was find ich da für Mängel meiner Pflicht!
Die Wunder der Natur, die Gott zu Lehrern machte,
Stehn vor mir da, und diese hör ich nicht.
Und heißt ihr Anblick mich auf seine Weisheit schliessen,
Auf Güt und Macht: so schließt nur mein Verstand.
Das Herz bleibt ungerührt, betäubt bleibt das Gewissen,
Und Gott, mein Herr und Vater, unbekannt.
Er schenkt mir so viel Guts. Gebrauch ich seine Güte
Zu meinem Glück; und geb ich ihr Gehör?
Nein, durch den Mißbrauch selbst verschließ ich mein Gemüthe
Der Dankbarkeit und Liebe desto mehr.
Oft sagt mir mein Verstand, daß des Allmächtgen Gnade
Das größte Gut, der Trost des Lebens ist,
Und welche Schulden ich auf mein Gewissen lade,
Wenn sie mein Herz für Menschengunst vergißt!
Und doch, o Gott! wie oft geb ich dieß Glück der Seelen,
Dir werth zu seyn, für kindischen Gewinn,
Für einen Ruhm der Welt, für Lüste, die mich quälen,
Für Eitelkeit, und für ein Nichts dahin!
Gott ist der Herr der Welt; auf seine Hülfe bauen,
Ist meine Pflicht. Doch wenn gehorch ich ihr?
Bald bebt mein Herz vor Furcht, und bald ist das Vertrauen,
Das mich beseelt, nur ein Vertraun zu mir.
Dieß ist des Menschen Herz. Wer hat dieß Herz verheeret?
So kam es nicht, o Gott! aus deiner Hand.
Der Mensch durch eigne Schuld hat seine Würd entehret;
Und beides fiel, sein Herz und sein Verstand.
Doch so verderbt wir sind, so schwach, uns selbst zu heilen;
So steuert Gott doch der Verdorbenheit,
Läßt durch sein heilig Wort uns neue Kraft ertheilen,
Licht der Vernunft, dem Herzen Reinigkeit.
Und du willst dieser Kraft, o Mensch! dich widersetzen?
Sie beut sich an, du aber wehrest ihr?
Und willst des größten Glücks dich selber unwerth schätzen?
Erkenne Gott, noch steht dem Heil bey dir!

Der Weg des Frommen.
Wer Gottes Wege geht, nur der hat grossen Frieden,
Er widersteht der bösen Lust;
Er kämpft, und ist des Lohns, den Gott dem Kampf beschieden,
Ist seiner Tugend sich bewußt.
Er merkt auf seinen Gang, geht ihn mit heilgem Muthe,
Wächst an Erkänntniß und an Kraft,
Wird aus der Schwachheit stark, und liebt und schmeckt das Gute,
Das Gott in seiner Seele schafft.
Ihn hat er allezeit vor Augen und im Herzen,
Prüft täglich sich vor seinem Thron,
Bereut der Fehler Zahl, und tilgt der Sünden Schmerzen
Durch Jesum Christum, seinen Sohn.
Getreu in seinem Stand, genießt er Gottes Gaben,
Wehrt seiner Seele Geiz und Neid,
Und ist, wenn Andre gleich viel Weins und Kornes haben,
In Gott bey wenigem erfreut.
Schenkt seine Hand ihm viel: so wird er vielen nützen,
Und, wie sein Gott, gutthätig seyn;
Des Freundes Glück erhöhn, verlaßne Tugend schützen,
Und selbst den Feind in Noth erfreun.
Ihm ist es leichte Last, die Pflichten auszuüben,
Die er dem Nächsten schuldig ist;
Die Liebe gegen Gott heißt ihn die Menschen lieben;
Und durch die Liebe siegt der Christ.
Er kränket nie dein Glück, schützt deinen Ruhm, dein Leben;
Denn er ehrt Gottes Bild in dir.
Er trägt dich mit Geduld, ist willig zum Vergeben;
Denn Gott, denkt er, vergiebt auch mir.
Sein Beyspiel sucht dein Herz im Guten zu bestärken,
Er nimmt an deiner Tugend Theil;
Denn alle sind von Gott gezeugt zu guten Werken,
Und haben Einen Herrn, Ein Heil.
Dieß Heil der Ewigkeit, das hier der Fromme schmecket,
Erhöht sein Glück, stillt seinen Schmerz,
Giebt ihm Geduld und Muth. Kein Tod, der ihn erschrecket!
Im Tode noch freut sich sein Herz.

Paßionslied.
Erforsche mich, erfahr mein Herz,
Und sieh, Herr, wie ichs meyne.
Ich denk an deines Leidens Schmerz,
An deine Lieb, und weine.
Dein Kreuz sey mir gebenedeyt!
Welch Wunder der Barmherzigkeit
Hast du der Welt erwiesen!
Wenn hab ich dieß genug bedacht,
Und dich aus aller meiner Macht
Genug dafür gepriesen?
Rath, Kraft, und Friedefürst und Held!
In Fleisch und Blut gekleidet,
Wirst du das Opfer für die Welt,
Und deine Seele leidet.
Dein Freund, der dich verräth, ist nah.
Des Zornes Gottes Stund ist da,
Und Schrecken strömen über.
Du zagst, und fühlst der Höllen Weh:
»Ists möglich, Vater, o so geh
Der Kelch vor mir vorüber!«
Dein Schweiß wird Blut; du ringst und zagst,
Und fällst zur Erden nieder;
Du, Sohn des Höchsten, kämpfst, und wagst
Die erste Bitte wieder.
Du fühlst, von Gott gestärkt im Streit,
Die Schrecken einer Ewigkeit,
Und Strafen sonder Ende.
Auf dich nimmst du der Menschen Schuld,
Und giebst mit göttlicher Geduld
Dich in der Sünder Hände.
Du trägst der Missethäter Lohn,
Und hattest nie gesündigt;
Du, der Gerechte, Gottes Sohn!
So wars vorher verkündigt.
Der Frechen Schaar begehrt dein Blut,
Du duldest, göttlich groß, die Wut,
Um Seelen zu erretten.
Dein Mörder, Jesus, war auch ich;
Denn Gott warf aller Sünd auf dich,
Damit wir Friede hätten.
Erniedrigt bis zur Knechtsgestalt,
Und doch der Größt im Herzen,
Erträgst du Spott, Schmach und Gewalt,
Voll Krankheit und voll Schmerzen.
Wir sahn dich, der Verheissung Ziel;
Doch da war nichts, das uns gefiel,
Und nicht Gestalt noch Schöne.
Vor dir, Herr, unsre Zuversicht,
Verbarg man selbst das Angesicht;
Dich schmähn des Bundes Söhne.
Ein Opfer nach dem ewgen Rath,
Belegt mit unsern Plagen,
Um deines Volkes Missethat
Gemartert und zerschlagen,
Gehst du den Weg zum Kreuzesstamm,
In Unschuld stumm, gleich als ein Lamm,
Das man zur Schlachtbank führet.
Freywillig, als der Helden Held,
Trägst du, aus Liebe für die Welt,
Den Tod, der uns gebühret.
»Sie haben meine Hände mir,
Die Füsse mir durchgraben,
Und grosse Farren sinds, die hier
Mich, Gott! umringet haben.
Ich heul, und meine Hülf ist fern.
Sie spotten mein: Er klags dem Herrn,
Ob dieser ihn befreyte!
Du legst mich in des Todes Staub.
Ich bin kein Mensch, ein Wurm; ein Raub
Der Wut, ein Spott der Leute.
»Ich ruf und du antwortest nie,
Und mich verlassen alle.
In meinem Durste reichen sie
Mir Eßig dar und Galle.
Wie Wachs zerschmelzt in mir mein Herz.
Sie sehn mit Freuden meinen Schmerz,
Die Arbeit meiner Seelen.
Warum verläßt du deinen Knecht?
Mein Gott! mein Gott! ich leid und möcht
All mein Gebeine zählen.«
Du neigst dein Haupt. Es ist vollbracht.
Du stirbst! die Erd erschüttert.
Die Arbeit hab ich dir gemacht.
Herr, meine Seele zittert.
Was ist der Mensch, den du befreyt?
O wär ich doch ganz Dankbarkeit!
Herr, laß mich Gnade finden.
Und deine Liebe dringe mich,
Daß ich dich wieder lieb, und dich
Nie kreuzige mit Sünden!
Welch Warten einer ewgen Pein
Für die, die dich verachten;
Die, solcher Gnade werth zu seyn,
Nach keinem Glauben trachten!
Für die, die dein Verdienst gestehn,
Und dich durch ihre Laster schmähn,
Als einen Sünderdiener!
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