Buddenbrooks: Verfall einer Familie - 25
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Tischen hinauf, an denen, wenn auch in weiteren Abständen, schon mehrere
Familien mit Kindern Platz genommen hatten.
Herr Dieckmann, der Wirt, in gelbgesticktem Käppchen und Hemdärmeln,
trat persönlich an den Schlag, um den Herrschaften beim Aussteigen
behilflich zu sein, und während Longuet beiseite fuhr, um auszuspannen,
sagte die Konsulin: »Wir machen nun also zunächst einen Spaziergang,
guter Mann, und möchten dann, nach einer Stunde oder anderthalb, ein
Frühstück haben. Bitte, lassen Sie uns drüben servieren ... aber nicht
zu hoch; auf dem zweiten Absatz dünkt mich ...«
»Strengen Sie sich an, Dieckmann«, fügte der Konsul hinzu. »Wir haben
einen verwöhnten Gast ...«
Herr Permaneder protestierte. »I ka Spur! A Bier und a Kaas ...«
Allein das verstand Herr Dieckmann nicht, sondern er begann mit großer
Geläufigkeit: »Allens, was da is, Herr Kunsel ... Krebse, Krabben,
diverse Wurst, diverse Käse, geräucherten Aal, geräucherten Lachs,
geräucherten Stör ...«
»Schön, Dieckmann, Sie werden das schon machen. Und dann geben Sie uns
-- sechs Gläser Milch und ein Seidel Bier, wenn ich nicht irre, Herr
Permaneder, wie?...«
»Einmal Bier, sechsmal Milch ... Süße Milch, Buttermilch, dicke Milch,
Sattenmilch, Herr Kunsel ...«
»Halb und halb, Dieckmann; süße Milch und Buttermilch. In einer Stunde
also.«
Und sie gingen über den Platz.
»Zunächst liegt es uns nun ob, die Quelle zu besuchen, Herr Permaneder«,
sagte Thomas. »Die Quelle: das heißt die Quelle der Au, und die Au ist
das kleine Flüßchen, daran Schwartau liegt und daran im grauen
Mittelalter ursprünglich unsere Stadt gelegen war, bis sie niederbrannte
-- sie wird wohl nicht sehr durabel gewesen sein, wissen Sie -- und an
der Trave wieder aufgebaut wurde. Übrigens knüpfen sich schmerzliche
Erinnerungen an den Namen des Flüßchens. Als Jungen fanden wir es
witzig, uns einander in den Arm zu kneifen und zu fragen: Wie heißt der
Fluß bei Schwartau? Worauf man natürlich, weil's wehtat, wider Willen
den Namen rief ... Da!« unterbrach er sich plötzlich, zehn Schritte von
dem Anstieg entfernt; »wir sind überholt worden. Möllendorpfs und
Hagenströms.«
In der Tat, dort oben auf der dritten Etage der waldigen Terrasse saßen
die hauptsächlichsten Mitglieder dieser beiden vorteilhaft liierten
Familien an zwei zusammengerückten Tischen und speisten unter angeregten
Gesprächen. Der alte Senator Möllendorpf präsidierte, ein blasser Herr
mit weißen, dünnen, spitzen Kotelettes; er war zuckerkrank. Seine
Gattin, geborene Langhals, hantierte mit ihrer langgestielten Lorgnette,
und nach wie vor umstand das graue Haar unordentlich ihren Kopf. Ihr
Sohn war da, August, ein blonder junger Mann von wohlsituiertem Äußeren
und Gatte Julchens, der geborenen Hagenström, welche, klein, lebhaft,
mit großen, blanken, schwarzen Augen und beinahe ebenso großen
Brillanten an den Ohrläppchen, zwischen ihren Brüdern Hermann und Moritz
saß. Konsul Hermann Hagenström begann sehr stark zu werden, denn er
lebte vortrefflich und man sagte sich, daß er gleich morgens mit
Gänseleberpastete beginne. Er trug einen rötlich blonden kurzgehaltenen
Vollbart, und seine Nase -- die Nase seiner Mutter -- lag auffallend
platt auf der Oberlippe. Doktor Moritz, mit flacher Brust und gelblichem
Teint, zeigte in lebhaftem Gespräch seine spitzigen, lückenhaften Zähne.
Beide Brüder hatten ihre Damen bei sich, denn auch der Rechtsgelehrte
war seit mehreren Jahren verheiratet, und zwar mit einem Fräulein
Puttfarken aus Hamburg, einer Dame mit butterfarbenem Haar und übermäßig
leidenschaftslosen, augenscheinlich anglisierenden, aber außerordentlich
schönen und regelmäßigen Gesichtszügen, denn Doktor Hagenström hätte es
mit seinem Rufe als Schöngeist nicht vereinbaren können, ein häßliches
Mädchen zu ehelichen. Schließlich waren noch die kleine Tochter von
Hermann Hagenström und der kleine Sohn von Moritz Hagenström zugegen,
zwei weißgekleidete Kinder, die schon jetzt sogut wie miteinander
verlobt waren, denn das Huneus-Hagenströmsche Vermögen sollte nicht
verzettelt werden. -- Alle aßen Rührei mit Schinken.
Man grüßte sich erst, als Buddenbrooks in geringer Entfernung an der
Gesellschaft vorüberstiegen. Die Konsulin neigte ein wenig zerstreut und
gleichsam verwundert den Kopf, Thomas lüftete den Hut, indem er die
Lippen bewegte, als sagte er irgend etwas Verbindliches und Kühles, und
Gerda verbeugte sich fremd und formell. Herr Permaneder aber, angeregt
durch das Steigen, schwenkte unbefangen seinen grünen Hut und rief mit
lauter und fröhlicher Stimme: »Wünsch' recht an guat'n Morg'n!« --
Worauf die Senatorin Möllendorpf ihr Lorgnon zur Hand nahm ... Tony
ihrerseits zog ein wenig die Schultern empor, legte den Kopf zurück,
suchte trotzdem das Kinn auf die Brust zu drücken und grüßte gleichsam
von einer unabsehbaren Höhe herab, wobei sie genau über Julchen
Möllendorpfs breitrandigen und eleganten Hut hinwegblickte ... In dieser
Minute setzte sich ihr Entschluß endgültig und unerschütterlich in ihr
fest ...
»Gott sei Lob und tausend Dank, Tom, daß wir erst in einer Stunde
frühstücken! Ich möchte mir von diesem Julchen nicht gern auf den Bissen
sehen lassen, weißt du ... Hast du beachtet, wie sie grüßte? Beinahe gar
nicht. Dabei war meiner unmaßgeblichen Ansicht nach ihr Hut ganz unmäßig
geschmacklos ...«
»Na, was den Hut betrifft ... Und mit dem Grüßen warst du wohl auch
nicht viel entgegenkommender, meine Liebe. Übrigens ärgere dich nicht;
das macht Falten.«
Ȁrgern, Tom? Ach nein! Wenn diese Leute meinen, sie seien die ersten an
der Spritze, so ist das zum Lachen und weiter nichts. Was ist für ein
Unterschied zwischen diesem Julchen und mir, wenn ich fragen darf? Daß
sie keinen Filou, sondern bloß einen `Duschack´ zum Manne bekommen hat,
wie Ida sagen würde, und wenn sie einmal in meiner Lage wäre im Leben,
so würde es sich ja erweisen, ob sie einen zweiten finden würde ...«
»Was besagt, daß du deinerseits einen finden wirst?«
»Einen Duschack, Thomas?«
»Sehr viel besser als ein Filou.«
»Es braucht weder das eine noch das andere zu sein. Aber darüber spricht
man nicht.«
»Richtig. Wir bleiben auch zurück. Herr Permaneder steigt mit Elan ...«
Der schattige Waldweg wurde eben, und es dauerte gar nicht lange, bis
sie die »Quelle« erreicht hatten, einen hübschen, romantischen Punkt mit
einer hölzernen Brücke über einem kleinen Abgrund, zerklüfteten Abhängen
und überhängenden Bäumen, deren Wurzeln bloßlagen. Sie schöpften mit
einem silbernen, zusammenschiebbaren Becher, den die Konsulin
mitgebracht hatte, aus dem kleinen, steinernen Bassin gleich unterhalb
der Austrittsstelle und erquickten sich mit dem frischen, eisenhaltigen
Wasser, wobei Herr Permaneder einen kleinen Anfall von Galanterie hatte,
indem er darauf bestand, daß Frau Grünlich ihm den Trunk kredenzte. Er
war voll Dankbarkeit, wiederholte mehrmals: »A, des is fei nett!« und
plauderte umsichtig und aufmerksam sowohl mit der Konsulin und Thomas
als mit Gerda und Tony und sogar mit der kleinen Erika ... Selbst Gerda,
die bislang unter fliegender Hitze gelitten und in einer Art von
stummer und starrer Nervosität einhergegangen war, begann nun
aufzuleben, und als man nach einem beschleunigten Rückwege wieder vor
dem Wirtshause anlangte und sich auf der zweiten Stufe der Waldterrasse
an einem überreichlich besetzten Tische niederließ, war sie es, die es
in liebenswürdigen Wendungen bedauerte, daß Herrn Permaneders Abreise so
nahe bevorstehe: jetzt, wo man einander ein wenig kennengelernt, wo es
zum Beispiel ganz leicht zu beobachten sei, daß auf beiden Seiten immer
seltener Miß- und Nichtverständnisse des Dialektes wegen unterliefen ...
Sie könne die Behauptung vertreten, daß ihre Freundin und Schwägerin
Tony zwei- oder dreimal mit Virtuosität »Pfüaht Gott!« gesagt habe ...
Herr Permaneder unterließ es, auf das Wort »Abreise« irgendeine
bestätigende Antwort zu geben, sondern widmete sich vorderhand den
Leckerbissen, von denen die Tafel strotzte, und die er jenseits der
Donau nicht alle Tage bekam.
Sie verzehrten die guten Sachen mit Muße, wobei die kleine Erika sich
beinahe am meisten über die Servietten aus Seidenpapier freute, die ihr
unvergleichlich schöner schienen als die großen leinenen zu Hause, und
von denen sie mit Erlaubnis des Kellners sogar einige zum Andenken in
die Tasche steckte; und dann saß, während Herr Permaneder mehrere
tiefschwarze Zigarren zum Biere und der Konsul seine Zigaretten rauchte,
die Familie mit ihrem Gaste noch längere Zeit beisammen und plauderte;
-- bemerkenswert aber war, daß niemand mehr der Abreise des Herrn
Permaneder gedachte und daß überhaupt die Zukunft völlig unberührt
gelassen ward. Vielmehr tauschte man Erinnerungen aus, besprach die
politischen Ereignisse der letzten Jahre, und Herr Permaneder
berichtete, nachdem er über einige achtundvierziger Anekdoten, die die
Konsulin ihrem verstorbenen Gatten nacherzählte, sich vor Lachen
geschüttelt hatte, von der Revolution in München und von Lola Montez,
für welche Frau Grünlich sich unbändig interessierte. Dann aber, als
allgemach die erste Stunde nach Mittag vorüber war, als Erika, ganz
erhitzt und bepackt mit Gänseblumen, Wiesenschaumkraut und Gräsern, von
einem Streifzug mit Ida zurückkehrte und die Pfeffernüsse in Erinnerung
brachte, die noch einzukaufen seien, brach man zu einem Gang in den Ort
hinunter auf ... nicht bevor die Konsulin, deren Gäste heut alle waren,
mit einem gar nicht kleinen Goldstück die Rechnung beglichen hatte.
Vorm Gasthaus ward Order gegeben, daß in einer Stunde der Wagen
bereitstehen solle, denn man wollte in der Stadt vor Tisch noch ein
wenig ruhen können; und dann wanderten sie langsam, denn die Sonne
brannte auf den Staub, den niedrigen Häusern des Fleckens zu.
Gleich nach der Au-Brücke ordnete sich ungezwungen und von selbst die
Reihenfolge, die dann während des Weges innegehalten ward: Voran nämlich
war Mamsell Jungmann, vermöge ihrer langen Schritte, neben der
unermüdlich springenden und nach Kohlweißlingen jagenden Erika, dann
folgten miteinander die Konsulin, Thomas und Gerda und zuletzt, in
einigem Abstande sogar, Frau Grünlich mit Herrn Permaneder. Vorn war es
laut, denn das kleine Mädchen jubelte, und Ida stimmte mit ihrem
eigentümlich tiefen, gutmütigen Wiehern ein. In der Mitte schwiegen alle
drei, denn Gerda war wegen des Staubes aufs neue in eine nervöse
Verzagtheit verfallen, und die alte Konsulin sowohl wie ihr Sohn waren
in Gedanken. Auch hinten war es still ... aber nur scheinbar, denn Tony
und der Gast aus Bayern unterhielten sich gedämpft und intim. -- Wovon
sprachen sie? Von Herrn Grünlich ...
Herr Permaneder hatte die treffende Bemerkung gemacht, daß Erika »fei«
ein gar zu liebes und hübsches Kind sei, daß sie aber trotzdem der Frau
Mama fast gar nicht ähnlich sehe; worauf Tony geantwortet hatte: »Sie
ist ganz der Vater, und man kann sagen: nicht zu ihrem Schaden, denn
äußerlich war Grünlich ein Gentleman -- alles, was wahr ist! So hatte er
goldfarbene Favoris; völlig originell; ich habe nie wieder dergleichen
gesehen ...«
Und dann erkundigte er sich, obgleich Tony ihm schon bei Niederpaurs in
München die Geschichte ihrer Ehe ziemlich genau erzählt hatte, noch
einmal genau nach allem und erfragte eingehend und mit einem ängstlich
teilnehmenden Blinzeln alle Einzelheiten bei dem Bankerott ...
»Er war ein böser Mensch, Herr Permaneder, sonst hätte Vater mich ihm
nicht wieder weggenommen, das können Sie mir glauben. Nicht alle
Menschen haben auf Erden immer ein gutes Herz, das hat das Leben mich
gelehrt, wissen Sie, so jung wie ich für eine Person, die seit zehn
Jahren Witwe oder etwas Ähnliches ist, noch bin. Er war böse, und
Kesselmeyer, sein Bankier, der obendrein so albern war wie ein junger
Hund, war noch böser. Aber das soll nicht heißen, daß ich mich selbst
für einen Engel halte und aller Schuld bar erachte ... mißverstehen Sie
mich nicht! Grünlich vernachlässigte mich, und wenn er einmal bei mir
saß, so las er die Zeitung, und er hinterging mich und ließ mich
beständig in Eimsbüttel sitzen, weil ich in der Stadt von dem Morast
hätte erfahren können, darin er steckte ... Aber ich bin auch nur eine
schwache Frau und habe meine Fehler und bin ganz sicher nicht immer
richtig zu Werke gegangen. Zum Beispiel gab ich meinem Mann durch
Leichtsinn und Verschwendungssucht und neue Schlafröcke Grund zu Sorge
und Klage ... Aber eins darf ich hinzufügen: ich habe eine
Entschuldigung, und die besteht darin, daß ich ein Kind war, als ich
heiratete, eine Gans war ich, ein dummes Ding. Glauben Sie zum Beispiel,
daß ich ganz kurze Zeit vor meiner Verlobung auch nur gewußt hätte, daß
vier Jahre früher die Bundesgesetze über die Universitäten und die
Presse erneuert worden seien? Schöne Gesetze übrigens!... Ach, ja, es
ist wahrhaftig so sehr traurig, daß man nur einmal lebt, Herr
Permaneder, daß man das Leben nicht noch einmal anfangen kann; man würde
so manches geschickter anfassen ...«
Sie schwieg und blickte gespannt auf den Weg nieder; sie hatte ihm,
nicht ohne Geschick, einen Anhaltspunkt gegeben, denn die Erwägung lag
gar nicht fern, daß ein ganz neues Leben zu beginnen zwar unmöglich, der
Wiederbeginn einer neuen, besseren Ehe aber doch nicht ausgeschlossen
sei. Allein Herr Permaneder ließ die Gelegenheit vorübergehen und
beschränkte sich darauf, mit heftigen Worten auf Herrn Grünlich zu
schelten, wobei die Fliege über seinem kleinen, runden Kinn sich
sträubte ...
»Der fade Kerl, der z'widre! Den wann i dahier hätt', den Hund, den
ausg'schamten, der wann net a Watschen dawischen tät' ...«
»Pfui, Herr Permaneder! Nein, damit müssen Sie aufhören. Wir sollen
vergeben und vergessen, und die Rache ist mein, spricht der Herr ...
fragen Sie nur Mutter. Bewahre ... ich weiß nicht, wo Grünlich sich
aufhält, und wie es ihm ergangen ist im Leben; aber ich wünsche ihm
alles Gute, wenn er es auch vielleicht nicht verdient hat ...«
Sie waren im Ort und standen vor dem kleinen Häuschen, in dem der
Bäckerladen sich befand. Beinahe, ohne es zu wissen, waren sie
stehengeblieben, und ohne sich Rechenschaft davon zu geben, hatten sie
mit ernsten und abwesenden Augen Erika, Ida, die Konsulin, Thomas und
Gerda gebückt durch die lächerlich niedrige Ladentür verschwinden sehen:
so vertieft waren sie in ihr Gespräch, obgleich sie bis jetzt nichts als
überflüssige und alberne Dinge geredet hatten.
Neben ihnen war ein Zaun, und daran lief ein langes, schmales Beet
entlang, auf dem ein paar Reseden wuchsen und dessen lockere, schwarze
Erde Frau Grünlich, geneigten und etwas erhitzten Hauptes, ungeheuer
eifrig mit der Spitze ihres Sonnenschirms pflügte. Herr Permaneder,
dessen grünes Hütchen mit dem Gemsbart in die Stirn geglitten war, stand
dicht bei ihr und beteiligte sich hie und da vermittels seines
Spazierstockes an dem Umgraben des Beetes. Auch er ließ den Kopf hängen;
aber seine kleinen, hellblauen, verquollenen Augen, die ganz blank
geworden und sogar ein wenig gerötet waren, blickten von unten herauf
mit einem Gemisch von Ergebenheit, Betrübtheit und Spannung zu ihr
empor, und mit ebendemselben Ausdruck überhing der ausgefranste
Schnauzbart seinen Mund ...
»Und da haben's jetzt wohl«, sagte er, »a damische Furcht vor der Eh'
und wollen's nimmer noch amal versuchen, gelten's nei, Frau
Grünlich ...?«
Wie ungeschickt! dachte sie. Das muß ich ja bestätigen?... Sie
antwortete: »Ja, lieber Herr Permaneder, ich bekenne Ihnen offen, daß es
mir schwer fallen würde, noch einmal jemandem mein Jawort fürs Leben zu
erteilen, denn ich bin belehrt worden, wissen Sie, was für ein furchtbar
ernster Entschluß das ist ... und dazu bedürfte es der festen
Überzeugung, daß es sich um einen wirklich braven, einen edlen, einen
herzensguten Mann handelt ...«
Hierauf erlaubte er sich die Frage, ob sie ihn für einen solchen Mann
halte, worauf sie antwortete: »Ja, Herr Permaneder, dafür halte ich
Sie.«
Und dann folgten noch ganz wenige leise und kurze Worte, in denen das
Verlöbnis enthalten war, und für Herrn Permaneder die Erlaubnis, sich zu
Hause an die Konsulin und Thomas zu wenden ...
Als die übrigen Mitglieder der Gesellschaft, bepackt mit mehreren großen
Düten voll Pfeffernüssen, wieder im Freien erschienen, ließ der Konsul
seine Augen diskret über die Köpfe der beiden hinwegschweifen, denn sie
waren in starker Verlegenheit: Herr Permaneder ohne Versuch, das zu
verbergen, Tony unter der Maske einer fast majestätischen Würde.
Man beeilte sich, den Wagen zu gewinnen, denn der Himmel hatte sich
bedeckt und Tropfen fielen.
* * * * *
Wie Tony angenommen, hatte ihr Bruder bald nach Herrn Permaneders
Erscheinen genaue Erkundigungen über seine Lebensstellung eingezogen,
die als Resultat ergeben hatten, daß X. Noppe & Comp. eine etwas
beschränkte aber durchaus solide Firma sei, die im gemeinsamen Wirken
mit der Aktienbrauerei, der Herr Niederpaur als Direktor vorstand, einen
hübschen Gewinn erzielte, und daß, im Verein mit Tonys 17000
Kuranttalern, Herrn Permaneders Anteil für ein gutbürgerliches
Zusammenleben ohne Luxus ausreichen würde. Die Konsulin war unterrichtet
darüber, und in einem ausführlichen Gespräche zwischen ihr, Herrn
Permaneder, Antonie und Thomas, welches gleich am Abend des
Verlobungstages im Landschaftszimmer stattfand, wurden ohne Hindernis
alle Fragen geregelt: auch in betreff der kleinen Erika, welche auf
Tonys Wunsch und mit dem gerührten Einverständnis ihres Verlobten
ebenfalls nach München übersiedeln sollte.
Zwei Tage später reiste der Hopfenhändler ab -- »weil der Noppe sonst
schimpfen tät'« --, aber schon im Monat Juli traf Frau Grünlich
wiederum in seiner Vaterstadt mit ihm zusammen: gemeinsam mit Tom und
Gerda, die sie für vier oder fünf Wochen nach Bad Kreuth begleitete,
während die Konsulin mit Erika und der Jungmann an der Ostsee verblieb.
Übrigens hatten die beiden Paare in München bereits Gelegenheit, das
Haus zu besichtigen, das Herr Permaneder in der Kaufinger Straße -- ganz
in der Nähe also der Niederpaurs -- anzukaufen im Begriffe war, und
dessen größten Teil er zu vermieten gedachte; ein ganz merkwürdiges,
altes Haus, mit einer schmalen Treppe, die gleich hinter der Haustür
schnurgerade und ohne Absatz und Biegung wie eine Himmelsleiter in den
ersten Stock hinanführte, woselbst man erst nach beiden Seiten über den
Korridor zurückschreitend zu den nach vorn gelegenen Zimmern
gelangte ...
Mitte August kehrte Tony nach Hause zurück, um sich während der nächsten
Wochen der Sorge für ihre Aussteuer zu widmen. Vieles zwar war noch aus
der Zeit ihrer ersten Ehe vorhanden, aber es mußte durch Neuankäufe
ergänzt werden, und eines Tages langte aus Hamburg, woher manches
bezogen ward, sogar ein Schlafrock an ... nicht mit Sammet freilich,
sondern diesmal nur mit Tuchschleifen garniert.
Zu vorgeschrittener Herbstzeit traf Herr Permaneder wieder in der
Mengstraße ein; man wollte die Sache nicht länger verzögern ...
Was die Hochzeitsfeierlichkeiten anging, so verliefen sie genau, wie
Tony es erwartet und nicht anders gewünscht hatte: Es wurde nicht viel
Aufhebens davon gemacht. »Lassen wir den Pomp«, sagte der Konsul; »du
bist wieder verheiratet, und es ist ganz einfach, als hättest du niemals
aufgehört, es zu sein.« Nur wenige Verlobungskarten waren versandt
worden -- daß aber Julchen Möllendorpf, geborene Hagenström, eine
erhalten hatte, dafür hatte Madame Grünlich gesorgt --, von einer
Hochzeitsreise ward abgesehen, weil Herr Permaneder »so a Hetz'«
verabscheute und Tony, vor kurzem vom Sommeraufenthalt zurückgekehrt,
schon die Reise nach München zu weit fand, und die Trauung, die diesmal
nicht die Säulenhalle, sondern die Marienkirche zum Schauplatze hatte,
fand in engem Familienkreise statt. Tony trug mit Würde die
Orangeblüten statt der Myrten, und Hauptpastor Kölling predigte mit
etwas schwächerer Stimme als ehemals, aber noch immer in starken
Ausdrücken über =Mäßigkeit=.
Christian kam von Hamburg, sehr elegant gekleidet und ein wenig
angegriffen, aber lustig aussehend, erzählte, daß sein Geschäft mit
Burmeester »tip-top« sei, erklärte, daß Klothilde und er sich wohl erst
»da oben« verheiraten würden -- »das heißt: Jeder für sich!...« und kam
viel zu spät zur Kirche, weil er dem Klub einen Besuch abgestattet
hatte. Onkel Justus war sehr gerührt und zeigte sich so kulant wie
stets, indem er den Neuvermählten einen außerordentlich schönen,
schwersilbernen Tafelaufsatz verehrte ... Er und seine Frau hungerten zu
Hause beinahe, denn die schwache Mutter bezahlte dem längst enterbten
und verstoßenen Jakob, der sich, wie verlautete, augenblicklich in Paris
aufhielt, nach wie vor von ihrem Wirtschaftsgelde die Schulden. -- Die
Damen Buddenbrook aus der Breitenstraße bemerkten: »Nun, hoffentlich
hält es diesmal.« Wobei das Unangenehme der allgemeine Zweifel war, ob
sie dies wirklich hofften ... Sesemi Weichbrodt jedoch erhob sich auf
die Zehenspitzen, küßte ihren Zögling, die nunmehrige Frau Permaneder,
mit leicht knallendem Geräusch auf die Stirn und sagte mit ihren
herzlichsten Vokalen: »Sei glöcklich, du =gutes= Kend!«
Siebentes Kapitel
Gleich morgens um acht Uhr, sobald er das Bett verlassen hatte, über die
Wendeltreppe hinter der kleinen Pforte ins Souterrain hinabgestiegen
war, ein Bad genommen und seinen Schlafrock wieder angelegt hatte,
begann Konsul Buddenbrook sich mit öffentlichen Dingen zu beschäftigen.
Dann nämlich erschien, mit seinen roten Händen und seinem intelligenten
Gesicht, mit einem Topfe warmen Wassers, den er sich aus der Küche
geholt, und den übrigen Utensilien, Herr Wenzel, Barbier und Mitglied
der Bürgerschaft, in der Badestube, und während der Konsul sich,
zurückgebeugten Hauptes, in einem großen Lehnstuhle niederließ und Herr
Wenzel Schaum zu schlagen begann, entspann sich fast immer ein
Gespräch, das, mit Nachtruhe und Witterung beginnend, alsbald zu
Ereignissen in der großen Welt überging, sich hierauf mit intim
städtischen Angelegenheiten beschäftigte und mit ganz eng geschäftlichen
und familiären Gegenständen zu schließen pflegte ... Dies alles zog die
Prozedur sehr in die Länge, denn immer, wenn der Konsul sprach, mußte
Herr Wenzel das Messer von seinem Gesicht entfernen.
»Wohl geruht, Herr Konsul?«
»Danke, Wenzel. Gutes Wetter heute?«
»Frost und ein bißchen Schneenebel, Herr Konsul. Vor der Jacobikirche
haben die Jungens schon wieder 'ne Schleisterbahn, zehn Meter lang, daß
ich beinah' hingeschlagen wär', als ich vom Bürgermeister kam. Hol' sie
der Düwel ...«
»Schon Zeitungen gesehen?«
»Die Anzeigen und die Hamburger Nachrichten, ja. Nichts als Orsinibomben
... Schauderhaft. Auf dem Weg in die Oper ... Eine nette Gesellschaft da
drüben ...«
»Na, es hat nichts zu bedeuten, denke ich. Mit dem Volke hat das nichts
zu tun, und der Effekt ist nun bloß, daß die Polizei und der Druck auf
die Presse und all das verdoppelt wird. Er ist auf seiner Hut ... Ja, es
ist eine ewige Unruhe, das muß wahr sein, denn er ist immer auf
Unternehmungen angewiesen, um sich zu halten. Aber meinen Respekt hat er
-- ganz einerlei. Mit =den= Traditionen kann man wenigstens kein Dujack
sein, wie Mamsell Jungmann sagt, und das mit der Bäckereikasse und den
billigen Brotpreisen zum Beispiel hat mir wahrhaftig imponiert. Er tut
ohne Zweifel eine Menge fürs Volk ...«
»Ja, das sagte Herr Kistenmaker vorhin auch schon.«
»Stephan? Wir sprachen gestern darüber.«
»Und mit Friedrich Wilhelm von Preußen, das steht schlimm, Herr Konsul,
das wird nichts mehr. Man sagt schon, daß der Prinz endgültig Regent
werden soll ...«
»Oh, darauf muß man gespannt sein. Er hat sich schon jetzt als ein
liberaler Kopf gezeigt, dieser Wilhelm, und steht sicher der
Konstitution nicht mit dem geheimen Ekel seines Bruders gegenüber ... Es
ist doch am Ende nur der Gram, der ihn aufreibt, den armen Mann ... Was
Neues aus Kopenhagen?«
»Gar nichts, Herr Konsul. Sie wollen nicht. Da hat der Bund gut
erklären, daß die Gesamtverfassung für Holstein und Lauenburg
rechtswidrig ist ... Sie sind da oben ganz einfach nicht dafür zu haben,
sie aufzuheben ...«
»Ja, es ist ganz unerhört, Wenzel. Sie fordern den Bundestag ja zur
Exekution heraus, und wenn er ein bißchen alerter wäre ... Ach ja, diese
Dänen! Ich erinnere mich lebhaft, wie ich mich schon als ganz kleiner
Junge beständig über einen Gesangvers ärgerte, der anfing: `Gib mir, gib
allen denen, die sich von Herzen sehnen ...´ wobei ich `denen´ im Geiste
immer mit `ä´ schrieb und nicht begriff, daß der Herrgott auch den Dänen
irgend etwas geben sollte ...«
»Sehen Sie sich mit der spröden Stelle vor, Wenzel, Sie lachen ... Nun,
und jetzt wieder mit unserer direkten Hamburger Eisenbahn! Das hat schon
diplomatische Kämpfe gekostet und wird noch welche kosten, bis sie in
Kopenhagen die Konzession geben ...«
»Ja, Herr Konsul, und das Dumme ist, daß die Altona-Kieler
Eisenbahngesellschaft und genau besehen ganz Holstein dagegen ist; das
sagte Bürgermeister Doktor Överdieck vorhin auch schon. Sie haben eine
verfluchte Angst für den Aufschwung von Kiel ...«
»Versteht sich, Wenzel. Solche neue Verbindung zwischen Ost- und Nordsee
... Und Sie sollen sehn, die Altona-Kieler wird nicht aufhören, zu
intriguieren. Sie sind imstande, eine Konkurrenzbahn zu bauen:
Ostholsteinisch, Neumünster-Neustadt, ja, das ist nicht ausgeschlossen.
Aber wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen, und direkte Fahrt nach
Hamburg müssen wir haben.«
»Herr Konsul nehmen sich der Sache warm an.«
»Tja ... soweit das in meinen Kräften steht, und soweit mein bißchen
Einfluß reicht ... Ich interessiere mich für unsere Eisenbahnpolitik,
und das ist Tradition bei uns, denn mein Vater hat schon seit 51 dem
Vorstand der Büchener Bahn angehört, und daran liegt es denn auch wohl,
daß ich mit meinen zweiunddreißig Jahren hineingewählt bin; meine
Verdienste sind ja noch nicht beträchtlich ...«
»Oh, Herr Konsul; nach Herrn Konsuls Rede damals in der
Bürgerschaft ...«
»Ja, damit habe ich wohl etwas Eindruck gemacht, und der gute Wille ist
jedenfalls vorhanden. Ich kann nur dankbar sein, wissen Sie, daß mein
Vater, Großvater und Urgroßvater mir die Wege geebnet haben, und daß
viel von dem Vertrauen und dem Ansehen, das sie sich in der Stadt
erworben haben, ohne weiteres auf mich übertragen wird, denn sonst
könnte ich mich gar nicht so regen ... Was hat zum Beispiel nach 48 und
zu Anfang dieses Jahrzehnts mein Vater nicht alles für die Reformation
unseres Postwesens getan! Denken Sie mal, Wenzel, wie er in der
Bürgerschaft gemahnt hat, die Hamburger Diligencen mit der Post zu
vereinigen, und wie er _anno_ 50 beim Senate, der damals ganz
unverantwortlich langsam war, mit immer neuen Anträgen zum Anschluß an
den deutsch-österreichischen Postverein getrieben hat ... Wenn wir jetzt
einen niedrigen Portosatz für Briefe haben und die Kreuzbandsendungen
und die Freimarken und Briefkasten und die telegraphischen Verbindungen
mit Berlin und Travemünde, er ist nicht der Letzte, dem wir dafür zu
danken haben, und wenn er und ein paar andere Leute den Senat nicht
immer wieder gedrängt hätten, so wären wir wohl ewig hinter der
dänischen und der Thurn- und Taxischen Post zurückgeblieben. Nun, und
wenn ich jetzt in solchen Sachen meine Meinung sage, so hört man
darauf ...«
»Das weiß Gott, Herr Konsul, da sagen Herr Konsul ein wahres Wort. Und
was die Hamburger Bahn betrifft: Das ist keine drei Tage her, daß
Bürgermeister Doktor Överdieck zu mir gesagt hat: `Wenn wir erst so weit
sind, daß wir in Hamburg ein geeignetes Terrain für den Bahnhof ankaufen
können, dann schicken wir Konsul Buddenbrook mit; Konsul Buddenbrook ist
bei solchen Verhandlungen besser zu gebrauchen als mancher Jurist´ ...
Das waren seine Worte ...«
»Na, das ist mir sehr schmeichelhaft, Wenzel. Aber geben Sie da überm
Kinn noch ein bißchen Schaum; das muß da noch sauberer werden.«
»Ja, kurz und gut, wir müssen uns regen! Nichts gegen Överdieck, aber er
ist eben bei Jahren, und wenn ich Bürgermeister wäre, so ginge alles ein
Familien mit Kindern Platz genommen hatten.
Herr Dieckmann, der Wirt, in gelbgesticktem Käppchen und Hemdärmeln,
trat persönlich an den Schlag, um den Herrschaften beim Aussteigen
behilflich zu sein, und während Longuet beiseite fuhr, um auszuspannen,
sagte die Konsulin: »Wir machen nun also zunächst einen Spaziergang,
guter Mann, und möchten dann, nach einer Stunde oder anderthalb, ein
Frühstück haben. Bitte, lassen Sie uns drüben servieren ... aber nicht
zu hoch; auf dem zweiten Absatz dünkt mich ...«
»Strengen Sie sich an, Dieckmann«, fügte der Konsul hinzu. »Wir haben
einen verwöhnten Gast ...«
Herr Permaneder protestierte. »I ka Spur! A Bier und a Kaas ...«
Allein das verstand Herr Dieckmann nicht, sondern er begann mit großer
Geläufigkeit: »Allens, was da is, Herr Kunsel ... Krebse, Krabben,
diverse Wurst, diverse Käse, geräucherten Aal, geräucherten Lachs,
geräucherten Stör ...«
»Schön, Dieckmann, Sie werden das schon machen. Und dann geben Sie uns
-- sechs Gläser Milch und ein Seidel Bier, wenn ich nicht irre, Herr
Permaneder, wie?...«
»Einmal Bier, sechsmal Milch ... Süße Milch, Buttermilch, dicke Milch,
Sattenmilch, Herr Kunsel ...«
»Halb und halb, Dieckmann; süße Milch und Buttermilch. In einer Stunde
also.«
Und sie gingen über den Platz.
»Zunächst liegt es uns nun ob, die Quelle zu besuchen, Herr Permaneder«,
sagte Thomas. »Die Quelle: das heißt die Quelle der Au, und die Au ist
das kleine Flüßchen, daran Schwartau liegt und daran im grauen
Mittelalter ursprünglich unsere Stadt gelegen war, bis sie niederbrannte
-- sie wird wohl nicht sehr durabel gewesen sein, wissen Sie -- und an
der Trave wieder aufgebaut wurde. Übrigens knüpfen sich schmerzliche
Erinnerungen an den Namen des Flüßchens. Als Jungen fanden wir es
witzig, uns einander in den Arm zu kneifen und zu fragen: Wie heißt der
Fluß bei Schwartau? Worauf man natürlich, weil's wehtat, wider Willen
den Namen rief ... Da!« unterbrach er sich plötzlich, zehn Schritte von
dem Anstieg entfernt; »wir sind überholt worden. Möllendorpfs und
Hagenströms.«
In der Tat, dort oben auf der dritten Etage der waldigen Terrasse saßen
die hauptsächlichsten Mitglieder dieser beiden vorteilhaft liierten
Familien an zwei zusammengerückten Tischen und speisten unter angeregten
Gesprächen. Der alte Senator Möllendorpf präsidierte, ein blasser Herr
mit weißen, dünnen, spitzen Kotelettes; er war zuckerkrank. Seine
Gattin, geborene Langhals, hantierte mit ihrer langgestielten Lorgnette,
und nach wie vor umstand das graue Haar unordentlich ihren Kopf. Ihr
Sohn war da, August, ein blonder junger Mann von wohlsituiertem Äußeren
und Gatte Julchens, der geborenen Hagenström, welche, klein, lebhaft,
mit großen, blanken, schwarzen Augen und beinahe ebenso großen
Brillanten an den Ohrläppchen, zwischen ihren Brüdern Hermann und Moritz
saß. Konsul Hermann Hagenström begann sehr stark zu werden, denn er
lebte vortrefflich und man sagte sich, daß er gleich morgens mit
Gänseleberpastete beginne. Er trug einen rötlich blonden kurzgehaltenen
Vollbart, und seine Nase -- die Nase seiner Mutter -- lag auffallend
platt auf der Oberlippe. Doktor Moritz, mit flacher Brust und gelblichem
Teint, zeigte in lebhaftem Gespräch seine spitzigen, lückenhaften Zähne.
Beide Brüder hatten ihre Damen bei sich, denn auch der Rechtsgelehrte
war seit mehreren Jahren verheiratet, und zwar mit einem Fräulein
Puttfarken aus Hamburg, einer Dame mit butterfarbenem Haar und übermäßig
leidenschaftslosen, augenscheinlich anglisierenden, aber außerordentlich
schönen und regelmäßigen Gesichtszügen, denn Doktor Hagenström hätte es
mit seinem Rufe als Schöngeist nicht vereinbaren können, ein häßliches
Mädchen zu ehelichen. Schließlich waren noch die kleine Tochter von
Hermann Hagenström und der kleine Sohn von Moritz Hagenström zugegen,
zwei weißgekleidete Kinder, die schon jetzt sogut wie miteinander
verlobt waren, denn das Huneus-Hagenströmsche Vermögen sollte nicht
verzettelt werden. -- Alle aßen Rührei mit Schinken.
Man grüßte sich erst, als Buddenbrooks in geringer Entfernung an der
Gesellschaft vorüberstiegen. Die Konsulin neigte ein wenig zerstreut und
gleichsam verwundert den Kopf, Thomas lüftete den Hut, indem er die
Lippen bewegte, als sagte er irgend etwas Verbindliches und Kühles, und
Gerda verbeugte sich fremd und formell. Herr Permaneder aber, angeregt
durch das Steigen, schwenkte unbefangen seinen grünen Hut und rief mit
lauter und fröhlicher Stimme: »Wünsch' recht an guat'n Morg'n!« --
Worauf die Senatorin Möllendorpf ihr Lorgnon zur Hand nahm ... Tony
ihrerseits zog ein wenig die Schultern empor, legte den Kopf zurück,
suchte trotzdem das Kinn auf die Brust zu drücken und grüßte gleichsam
von einer unabsehbaren Höhe herab, wobei sie genau über Julchen
Möllendorpfs breitrandigen und eleganten Hut hinwegblickte ... In dieser
Minute setzte sich ihr Entschluß endgültig und unerschütterlich in ihr
fest ...
»Gott sei Lob und tausend Dank, Tom, daß wir erst in einer Stunde
frühstücken! Ich möchte mir von diesem Julchen nicht gern auf den Bissen
sehen lassen, weißt du ... Hast du beachtet, wie sie grüßte? Beinahe gar
nicht. Dabei war meiner unmaßgeblichen Ansicht nach ihr Hut ganz unmäßig
geschmacklos ...«
»Na, was den Hut betrifft ... Und mit dem Grüßen warst du wohl auch
nicht viel entgegenkommender, meine Liebe. Übrigens ärgere dich nicht;
das macht Falten.«
Ȁrgern, Tom? Ach nein! Wenn diese Leute meinen, sie seien die ersten an
der Spritze, so ist das zum Lachen und weiter nichts. Was ist für ein
Unterschied zwischen diesem Julchen und mir, wenn ich fragen darf? Daß
sie keinen Filou, sondern bloß einen `Duschack´ zum Manne bekommen hat,
wie Ida sagen würde, und wenn sie einmal in meiner Lage wäre im Leben,
so würde es sich ja erweisen, ob sie einen zweiten finden würde ...«
»Was besagt, daß du deinerseits einen finden wirst?«
»Einen Duschack, Thomas?«
»Sehr viel besser als ein Filou.«
»Es braucht weder das eine noch das andere zu sein. Aber darüber spricht
man nicht.«
»Richtig. Wir bleiben auch zurück. Herr Permaneder steigt mit Elan ...«
Der schattige Waldweg wurde eben, und es dauerte gar nicht lange, bis
sie die »Quelle« erreicht hatten, einen hübschen, romantischen Punkt mit
einer hölzernen Brücke über einem kleinen Abgrund, zerklüfteten Abhängen
und überhängenden Bäumen, deren Wurzeln bloßlagen. Sie schöpften mit
einem silbernen, zusammenschiebbaren Becher, den die Konsulin
mitgebracht hatte, aus dem kleinen, steinernen Bassin gleich unterhalb
der Austrittsstelle und erquickten sich mit dem frischen, eisenhaltigen
Wasser, wobei Herr Permaneder einen kleinen Anfall von Galanterie hatte,
indem er darauf bestand, daß Frau Grünlich ihm den Trunk kredenzte. Er
war voll Dankbarkeit, wiederholte mehrmals: »A, des is fei nett!« und
plauderte umsichtig und aufmerksam sowohl mit der Konsulin und Thomas
als mit Gerda und Tony und sogar mit der kleinen Erika ... Selbst Gerda,
die bislang unter fliegender Hitze gelitten und in einer Art von
stummer und starrer Nervosität einhergegangen war, begann nun
aufzuleben, und als man nach einem beschleunigten Rückwege wieder vor
dem Wirtshause anlangte und sich auf der zweiten Stufe der Waldterrasse
an einem überreichlich besetzten Tische niederließ, war sie es, die es
in liebenswürdigen Wendungen bedauerte, daß Herrn Permaneders Abreise so
nahe bevorstehe: jetzt, wo man einander ein wenig kennengelernt, wo es
zum Beispiel ganz leicht zu beobachten sei, daß auf beiden Seiten immer
seltener Miß- und Nichtverständnisse des Dialektes wegen unterliefen ...
Sie könne die Behauptung vertreten, daß ihre Freundin und Schwägerin
Tony zwei- oder dreimal mit Virtuosität »Pfüaht Gott!« gesagt habe ...
Herr Permaneder unterließ es, auf das Wort »Abreise« irgendeine
bestätigende Antwort zu geben, sondern widmete sich vorderhand den
Leckerbissen, von denen die Tafel strotzte, und die er jenseits der
Donau nicht alle Tage bekam.
Sie verzehrten die guten Sachen mit Muße, wobei die kleine Erika sich
beinahe am meisten über die Servietten aus Seidenpapier freute, die ihr
unvergleichlich schöner schienen als die großen leinenen zu Hause, und
von denen sie mit Erlaubnis des Kellners sogar einige zum Andenken in
die Tasche steckte; und dann saß, während Herr Permaneder mehrere
tiefschwarze Zigarren zum Biere und der Konsul seine Zigaretten rauchte,
die Familie mit ihrem Gaste noch längere Zeit beisammen und plauderte;
-- bemerkenswert aber war, daß niemand mehr der Abreise des Herrn
Permaneder gedachte und daß überhaupt die Zukunft völlig unberührt
gelassen ward. Vielmehr tauschte man Erinnerungen aus, besprach die
politischen Ereignisse der letzten Jahre, und Herr Permaneder
berichtete, nachdem er über einige achtundvierziger Anekdoten, die die
Konsulin ihrem verstorbenen Gatten nacherzählte, sich vor Lachen
geschüttelt hatte, von der Revolution in München und von Lola Montez,
für welche Frau Grünlich sich unbändig interessierte. Dann aber, als
allgemach die erste Stunde nach Mittag vorüber war, als Erika, ganz
erhitzt und bepackt mit Gänseblumen, Wiesenschaumkraut und Gräsern, von
einem Streifzug mit Ida zurückkehrte und die Pfeffernüsse in Erinnerung
brachte, die noch einzukaufen seien, brach man zu einem Gang in den Ort
hinunter auf ... nicht bevor die Konsulin, deren Gäste heut alle waren,
mit einem gar nicht kleinen Goldstück die Rechnung beglichen hatte.
Vorm Gasthaus ward Order gegeben, daß in einer Stunde der Wagen
bereitstehen solle, denn man wollte in der Stadt vor Tisch noch ein
wenig ruhen können; und dann wanderten sie langsam, denn die Sonne
brannte auf den Staub, den niedrigen Häusern des Fleckens zu.
Gleich nach der Au-Brücke ordnete sich ungezwungen und von selbst die
Reihenfolge, die dann während des Weges innegehalten ward: Voran nämlich
war Mamsell Jungmann, vermöge ihrer langen Schritte, neben der
unermüdlich springenden und nach Kohlweißlingen jagenden Erika, dann
folgten miteinander die Konsulin, Thomas und Gerda und zuletzt, in
einigem Abstande sogar, Frau Grünlich mit Herrn Permaneder. Vorn war es
laut, denn das kleine Mädchen jubelte, und Ida stimmte mit ihrem
eigentümlich tiefen, gutmütigen Wiehern ein. In der Mitte schwiegen alle
drei, denn Gerda war wegen des Staubes aufs neue in eine nervöse
Verzagtheit verfallen, und die alte Konsulin sowohl wie ihr Sohn waren
in Gedanken. Auch hinten war es still ... aber nur scheinbar, denn Tony
und der Gast aus Bayern unterhielten sich gedämpft und intim. -- Wovon
sprachen sie? Von Herrn Grünlich ...
Herr Permaneder hatte die treffende Bemerkung gemacht, daß Erika »fei«
ein gar zu liebes und hübsches Kind sei, daß sie aber trotzdem der Frau
Mama fast gar nicht ähnlich sehe; worauf Tony geantwortet hatte: »Sie
ist ganz der Vater, und man kann sagen: nicht zu ihrem Schaden, denn
äußerlich war Grünlich ein Gentleman -- alles, was wahr ist! So hatte er
goldfarbene Favoris; völlig originell; ich habe nie wieder dergleichen
gesehen ...«
Und dann erkundigte er sich, obgleich Tony ihm schon bei Niederpaurs in
München die Geschichte ihrer Ehe ziemlich genau erzählt hatte, noch
einmal genau nach allem und erfragte eingehend und mit einem ängstlich
teilnehmenden Blinzeln alle Einzelheiten bei dem Bankerott ...
»Er war ein böser Mensch, Herr Permaneder, sonst hätte Vater mich ihm
nicht wieder weggenommen, das können Sie mir glauben. Nicht alle
Menschen haben auf Erden immer ein gutes Herz, das hat das Leben mich
gelehrt, wissen Sie, so jung wie ich für eine Person, die seit zehn
Jahren Witwe oder etwas Ähnliches ist, noch bin. Er war böse, und
Kesselmeyer, sein Bankier, der obendrein so albern war wie ein junger
Hund, war noch böser. Aber das soll nicht heißen, daß ich mich selbst
für einen Engel halte und aller Schuld bar erachte ... mißverstehen Sie
mich nicht! Grünlich vernachlässigte mich, und wenn er einmal bei mir
saß, so las er die Zeitung, und er hinterging mich und ließ mich
beständig in Eimsbüttel sitzen, weil ich in der Stadt von dem Morast
hätte erfahren können, darin er steckte ... Aber ich bin auch nur eine
schwache Frau und habe meine Fehler und bin ganz sicher nicht immer
richtig zu Werke gegangen. Zum Beispiel gab ich meinem Mann durch
Leichtsinn und Verschwendungssucht und neue Schlafröcke Grund zu Sorge
und Klage ... Aber eins darf ich hinzufügen: ich habe eine
Entschuldigung, und die besteht darin, daß ich ein Kind war, als ich
heiratete, eine Gans war ich, ein dummes Ding. Glauben Sie zum Beispiel,
daß ich ganz kurze Zeit vor meiner Verlobung auch nur gewußt hätte, daß
vier Jahre früher die Bundesgesetze über die Universitäten und die
Presse erneuert worden seien? Schöne Gesetze übrigens!... Ach, ja, es
ist wahrhaftig so sehr traurig, daß man nur einmal lebt, Herr
Permaneder, daß man das Leben nicht noch einmal anfangen kann; man würde
so manches geschickter anfassen ...«
Sie schwieg und blickte gespannt auf den Weg nieder; sie hatte ihm,
nicht ohne Geschick, einen Anhaltspunkt gegeben, denn die Erwägung lag
gar nicht fern, daß ein ganz neues Leben zu beginnen zwar unmöglich, der
Wiederbeginn einer neuen, besseren Ehe aber doch nicht ausgeschlossen
sei. Allein Herr Permaneder ließ die Gelegenheit vorübergehen und
beschränkte sich darauf, mit heftigen Worten auf Herrn Grünlich zu
schelten, wobei die Fliege über seinem kleinen, runden Kinn sich
sträubte ...
»Der fade Kerl, der z'widre! Den wann i dahier hätt', den Hund, den
ausg'schamten, der wann net a Watschen dawischen tät' ...«
»Pfui, Herr Permaneder! Nein, damit müssen Sie aufhören. Wir sollen
vergeben und vergessen, und die Rache ist mein, spricht der Herr ...
fragen Sie nur Mutter. Bewahre ... ich weiß nicht, wo Grünlich sich
aufhält, und wie es ihm ergangen ist im Leben; aber ich wünsche ihm
alles Gute, wenn er es auch vielleicht nicht verdient hat ...«
Sie waren im Ort und standen vor dem kleinen Häuschen, in dem der
Bäckerladen sich befand. Beinahe, ohne es zu wissen, waren sie
stehengeblieben, und ohne sich Rechenschaft davon zu geben, hatten sie
mit ernsten und abwesenden Augen Erika, Ida, die Konsulin, Thomas und
Gerda gebückt durch die lächerlich niedrige Ladentür verschwinden sehen:
so vertieft waren sie in ihr Gespräch, obgleich sie bis jetzt nichts als
überflüssige und alberne Dinge geredet hatten.
Neben ihnen war ein Zaun, und daran lief ein langes, schmales Beet
entlang, auf dem ein paar Reseden wuchsen und dessen lockere, schwarze
Erde Frau Grünlich, geneigten und etwas erhitzten Hauptes, ungeheuer
eifrig mit der Spitze ihres Sonnenschirms pflügte. Herr Permaneder,
dessen grünes Hütchen mit dem Gemsbart in die Stirn geglitten war, stand
dicht bei ihr und beteiligte sich hie und da vermittels seines
Spazierstockes an dem Umgraben des Beetes. Auch er ließ den Kopf hängen;
aber seine kleinen, hellblauen, verquollenen Augen, die ganz blank
geworden und sogar ein wenig gerötet waren, blickten von unten herauf
mit einem Gemisch von Ergebenheit, Betrübtheit und Spannung zu ihr
empor, und mit ebendemselben Ausdruck überhing der ausgefranste
Schnauzbart seinen Mund ...
»Und da haben's jetzt wohl«, sagte er, »a damische Furcht vor der Eh'
und wollen's nimmer noch amal versuchen, gelten's nei, Frau
Grünlich ...?«
Wie ungeschickt! dachte sie. Das muß ich ja bestätigen?... Sie
antwortete: »Ja, lieber Herr Permaneder, ich bekenne Ihnen offen, daß es
mir schwer fallen würde, noch einmal jemandem mein Jawort fürs Leben zu
erteilen, denn ich bin belehrt worden, wissen Sie, was für ein furchtbar
ernster Entschluß das ist ... und dazu bedürfte es der festen
Überzeugung, daß es sich um einen wirklich braven, einen edlen, einen
herzensguten Mann handelt ...«
Hierauf erlaubte er sich die Frage, ob sie ihn für einen solchen Mann
halte, worauf sie antwortete: »Ja, Herr Permaneder, dafür halte ich
Sie.«
Und dann folgten noch ganz wenige leise und kurze Worte, in denen das
Verlöbnis enthalten war, und für Herrn Permaneder die Erlaubnis, sich zu
Hause an die Konsulin und Thomas zu wenden ...
Als die übrigen Mitglieder der Gesellschaft, bepackt mit mehreren großen
Düten voll Pfeffernüssen, wieder im Freien erschienen, ließ der Konsul
seine Augen diskret über die Köpfe der beiden hinwegschweifen, denn sie
waren in starker Verlegenheit: Herr Permaneder ohne Versuch, das zu
verbergen, Tony unter der Maske einer fast majestätischen Würde.
Man beeilte sich, den Wagen zu gewinnen, denn der Himmel hatte sich
bedeckt und Tropfen fielen.
* * * * *
Wie Tony angenommen, hatte ihr Bruder bald nach Herrn Permaneders
Erscheinen genaue Erkundigungen über seine Lebensstellung eingezogen,
die als Resultat ergeben hatten, daß X. Noppe & Comp. eine etwas
beschränkte aber durchaus solide Firma sei, die im gemeinsamen Wirken
mit der Aktienbrauerei, der Herr Niederpaur als Direktor vorstand, einen
hübschen Gewinn erzielte, und daß, im Verein mit Tonys 17000
Kuranttalern, Herrn Permaneders Anteil für ein gutbürgerliches
Zusammenleben ohne Luxus ausreichen würde. Die Konsulin war unterrichtet
darüber, und in einem ausführlichen Gespräche zwischen ihr, Herrn
Permaneder, Antonie und Thomas, welches gleich am Abend des
Verlobungstages im Landschaftszimmer stattfand, wurden ohne Hindernis
alle Fragen geregelt: auch in betreff der kleinen Erika, welche auf
Tonys Wunsch und mit dem gerührten Einverständnis ihres Verlobten
ebenfalls nach München übersiedeln sollte.
Zwei Tage später reiste der Hopfenhändler ab -- »weil der Noppe sonst
schimpfen tät'« --, aber schon im Monat Juli traf Frau Grünlich
wiederum in seiner Vaterstadt mit ihm zusammen: gemeinsam mit Tom und
Gerda, die sie für vier oder fünf Wochen nach Bad Kreuth begleitete,
während die Konsulin mit Erika und der Jungmann an der Ostsee verblieb.
Übrigens hatten die beiden Paare in München bereits Gelegenheit, das
Haus zu besichtigen, das Herr Permaneder in der Kaufinger Straße -- ganz
in der Nähe also der Niederpaurs -- anzukaufen im Begriffe war, und
dessen größten Teil er zu vermieten gedachte; ein ganz merkwürdiges,
altes Haus, mit einer schmalen Treppe, die gleich hinter der Haustür
schnurgerade und ohne Absatz und Biegung wie eine Himmelsleiter in den
ersten Stock hinanführte, woselbst man erst nach beiden Seiten über den
Korridor zurückschreitend zu den nach vorn gelegenen Zimmern
gelangte ...
Mitte August kehrte Tony nach Hause zurück, um sich während der nächsten
Wochen der Sorge für ihre Aussteuer zu widmen. Vieles zwar war noch aus
der Zeit ihrer ersten Ehe vorhanden, aber es mußte durch Neuankäufe
ergänzt werden, und eines Tages langte aus Hamburg, woher manches
bezogen ward, sogar ein Schlafrock an ... nicht mit Sammet freilich,
sondern diesmal nur mit Tuchschleifen garniert.
Zu vorgeschrittener Herbstzeit traf Herr Permaneder wieder in der
Mengstraße ein; man wollte die Sache nicht länger verzögern ...
Was die Hochzeitsfeierlichkeiten anging, so verliefen sie genau, wie
Tony es erwartet und nicht anders gewünscht hatte: Es wurde nicht viel
Aufhebens davon gemacht. »Lassen wir den Pomp«, sagte der Konsul; »du
bist wieder verheiratet, und es ist ganz einfach, als hättest du niemals
aufgehört, es zu sein.« Nur wenige Verlobungskarten waren versandt
worden -- daß aber Julchen Möllendorpf, geborene Hagenström, eine
erhalten hatte, dafür hatte Madame Grünlich gesorgt --, von einer
Hochzeitsreise ward abgesehen, weil Herr Permaneder »so a Hetz'«
verabscheute und Tony, vor kurzem vom Sommeraufenthalt zurückgekehrt,
schon die Reise nach München zu weit fand, und die Trauung, die diesmal
nicht die Säulenhalle, sondern die Marienkirche zum Schauplatze hatte,
fand in engem Familienkreise statt. Tony trug mit Würde die
Orangeblüten statt der Myrten, und Hauptpastor Kölling predigte mit
etwas schwächerer Stimme als ehemals, aber noch immer in starken
Ausdrücken über =Mäßigkeit=.
Christian kam von Hamburg, sehr elegant gekleidet und ein wenig
angegriffen, aber lustig aussehend, erzählte, daß sein Geschäft mit
Burmeester »tip-top« sei, erklärte, daß Klothilde und er sich wohl erst
»da oben« verheiraten würden -- »das heißt: Jeder für sich!...« und kam
viel zu spät zur Kirche, weil er dem Klub einen Besuch abgestattet
hatte. Onkel Justus war sehr gerührt und zeigte sich so kulant wie
stets, indem er den Neuvermählten einen außerordentlich schönen,
schwersilbernen Tafelaufsatz verehrte ... Er und seine Frau hungerten zu
Hause beinahe, denn die schwache Mutter bezahlte dem längst enterbten
und verstoßenen Jakob, der sich, wie verlautete, augenblicklich in Paris
aufhielt, nach wie vor von ihrem Wirtschaftsgelde die Schulden. -- Die
Damen Buddenbrook aus der Breitenstraße bemerkten: »Nun, hoffentlich
hält es diesmal.« Wobei das Unangenehme der allgemeine Zweifel war, ob
sie dies wirklich hofften ... Sesemi Weichbrodt jedoch erhob sich auf
die Zehenspitzen, küßte ihren Zögling, die nunmehrige Frau Permaneder,
mit leicht knallendem Geräusch auf die Stirn und sagte mit ihren
herzlichsten Vokalen: »Sei glöcklich, du =gutes= Kend!«
Siebentes Kapitel
Gleich morgens um acht Uhr, sobald er das Bett verlassen hatte, über die
Wendeltreppe hinter der kleinen Pforte ins Souterrain hinabgestiegen
war, ein Bad genommen und seinen Schlafrock wieder angelegt hatte,
begann Konsul Buddenbrook sich mit öffentlichen Dingen zu beschäftigen.
Dann nämlich erschien, mit seinen roten Händen und seinem intelligenten
Gesicht, mit einem Topfe warmen Wassers, den er sich aus der Küche
geholt, und den übrigen Utensilien, Herr Wenzel, Barbier und Mitglied
der Bürgerschaft, in der Badestube, und während der Konsul sich,
zurückgebeugten Hauptes, in einem großen Lehnstuhle niederließ und Herr
Wenzel Schaum zu schlagen begann, entspann sich fast immer ein
Gespräch, das, mit Nachtruhe und Witterung beginnend, alsbald zu
Ereignissen in der großen Welt überging, sich hierauf mit intim
städtischen Angelegenheiten beschäftigte und mit ganz eng geschäftlichen
und familiären Gegenständen zu schließen pflegte ... Dies alles zog die
Prozedur sehr in die Länge, denn immer, wenn der Konsul sprach, mußte
Herr Wenzel das Messer von seinem Gesicht entfernen.
»Wohl geruht, Herr Konsul?«
»Danke, Wenzel. Gutes Wetter heute?«
»Frost und ein bißchen Schneenebel, Herr Konsul. Vor der Jacobikirche
haben die Jungens schon wieder 'ne Schleisterbahn, zehn Meter lang, daß
ich beinah' hingeschlagen wär', als ich vom Bürgermeister kam. Hol' sie
der Düwel ...«
»Schon Zeitungen gesehen?«
»Die Anzeigen und die Hamburger Nachrichten, ja. Nichts als Orsinibomben
... Schauderhaft. Auf dem Weg in die Oper ... Eine nette Gesellschaft da
drüben ...«
»Na, es hat nichts zu bedeuten, denke ich. Mit dem Volke hat das nichts
zu tun, und der Effekt ist nun bloß, daß die Polizei und der Druck auf
die Presse und all das verdoppelt wird. Er ist auf seiner Hut ... Ja, es
ist eine ewige Unruhe, das muß wahr sein, denn er ist immer auf
Unternehmungen angewiesen, um sich zu halten. Aber meinen Respekt hat er
-- ganz einerlei. Mit =den= Traditionen kann man wenigstens kein Dujack
sein, wie Mamsell Jungmann sagt, und das mit der Bäckereikasse und den
billigen Brotpreisen zum Beispiel hat mir wahrhaftig imponiert. Er tut
ohne Zweifel eine Menge fürs Volk ...«
»Ja, das sagte Herr Kistenmaker vorhin auch schon.«
»Stephan? Wir sprachen gestern darüber.«
»Und mit Friedrich Wilhelm von Preußen, das steht schlimm, Herr Konsul,
das wird nichts mehr. Man sagt schon, daß der Prinz endgültig Regent
werden soll ...«
»Oh, darauf muß man gespannt sein. Er hat sich schon jetzt als ein
liberaler Kopf gezeigt, dieser Wilhelm, und steht sicher der
Konstitution nicht mit dem geheimen Ekel seines Bruders gegenüber ... Es
ist doch am Ende nur der Gram, der ihn aufreibt, den armen Mann ... Was
Neues aus Kopenhagen?«
»Gar nichts, Herr Konsul. Sie wollen nicht. Da hat der Bund gut
erklären, daß die Gesamtverfassung für Holstein und Lauenburg
rechtswidrig ist ... Sie sind da oben ganz einfach nicht dafür zu haben,
sie aufzuheben ...«
»Ja, es ist ganz unerhört, Wenzel. Sie fordern den Bundestag ja zur
Exekution heraus, und wenn er ein bißchen alerter wäre ... Ach ja, diese
Dänen! Ich erinnere mich lebhaft, wie ich mich schon als ganz kleiner
Junge beständig über einen Gesangvers ärgerte, der anfing: `Gib mir, gib
allen denen, die sich von Herzen sehnen ...´ wobei ich `denen´ im Geiste
immer mit `ä´ schrieb und nicht begriff, daß der Herrgott auch den Dänen
irgend etwas geben sollte ...«
»Sehen Sie sich mit der spröden Stelle vor, Wenzel, Sie lachen ... Nun,
und jetzt wieder mit unserer direkten Hamburger Eisenbahn! Das hat schon
diplomatische Kämpfe gekostet und wird noch welche kosten, bis sie in
Kopenhagen die Konzession geben ...«
»Ja, Herr Konsul, und das Dumme ist, daß die Altona-Kieler
Eisenbahngesellschaft und genau besehen ganz Holstein dagegen ist; das
sagte Bürgermeister Doktor Överdieck vorhin auch schon. Sie haben eine
verfluchte Angst für den Aufschwung von Kiel ...«
»Versteht sich, Wenzel. Solche neue Verbindung zwischen Ost- und Nordsee
... Und Sie sollen sehn, die Altona-Kieler wird nicht aufhören, zu
intriguieren. Sie sind imstande, eine Konkurrenzbahn zu bauen:
Ostholsteinisch, Neumünster-Neustadt, ja, das ist nicht ausgeschlossen.
Aber wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen, und direkte Fahrt nach
Hamburg müssen wir haben.«
»Herr Konsul nehmen sich der Sache warm an.«
»Tja ... soweit das in meinen Kräften steht, und soweit mein bißchen
Einfluß reicht ... Ich interessiere mich für unsere Eisenbahnpolitik,
und das ist Tradition bei uns, denn mein Vater hat schon seit 51 dem
Vorstand der Büchener Bahn angehört, und daran liegt es denn auch wohl,
daß ich mit meinen zweiunddreißig Jahren hineingewählt bin; meine
Verdienste sind ja noch nicht beträchtlich ...«
»Oh, Herr Konsul; nach Herrn Konsuls Rede damals in der
Bürgerschaft ...«
»Ja, damit habe ich wohl etwas Eindruck gemacht, und der gute Wille ist
jedenfalls vorhanden. Ich kann nur dankbar sein, wissen Sie, daß mein
Vater, Großvater und Urgroßvater mir die Wege geebnet haben, und daß
viel von dem Vertrauen und dem Ansehen, das sie sich in der Stadt
erworben haben, ohne weiteres auf mich übertragen wird, denn sonst
könnte ich mich gar nicht so regen ... Was hat zum Beispiel nach 48 und
zu Anfang dieses Jahrzehnts mein Vater nicht alles für die Reformation
unseres Postwesens getan! Denken Sie mal, Wenzel, wie er in der
Bürgerschaft gemahnt hat, die Hamburger Diligencen mit der Post zu
vereinigen, und wie er _anno_ 50 beim Senate, der damals ganz
unverantwortlich langsam war, mit immer neuen Anträgen zum Anschluß an
den deutsch-österreichischen Postverein getrieben hat ... Wenn wir jetzt
einen niedrigen Portosatz für Briefe haben und die Kreuzbandsendungen
und die Freimarken und Briefkasten und die telegraphischen Verbindungen
mit Berlin und Travemünde, er ist nicht der Letzte, dem wir dafür zu
danken haben, und wenn er und ein paar andere Leute den Senat nicht
immer wieder gedrängt hätten, so wären wir wohl ewig hinter der
dänischen und der Thurn- und Taxischen Post zurückgeblieben. Nun, und
wenn ich jetzt in solchen Sachen meine Meinung sage, so hört man
darauf ...«
»Das weiß Gott, Herr Konsul, da sagen Herr Konsul ein wahres Wort. Und
was die Hamburger Bahn betrifft: Das ist keine drei Tage her, daß
Bürgermeister Doktor Överdieck zu mir gesagt hat: `Wenn wir erst so weit
sind, daß wir in Hamburg ein geeignetes Terrain für den Bahnhof ankaufen
können, dann schicken wir Konsul Buddenbrook mit; Konsul Buddenbrook ist
bei solchen Verhandlungen besser zu gebrauchen als mancher Jurist´ ...
Das waren seine Worte ...«
»Na, das ist mir sehr schmeichelhaft, Wenzel. Aber geben Sie da überm
Kinn noch ein bißchen Schaum; das muß da noch sauberer werden.«
»Ja, kurz und gut, wir müssen uns regen! Nichts gegen Överdieck, aber er
ist eben bei Jahren, und wenn ich Bürgermeister wäre, so ginge alles ein
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