Buch von der Deutschen Poeterey - 1

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Buch
von der deutschen Poeterei
von
Martin Opitz
Abdruck der ersten Ausgabe (1624)
Vierter Druck
Halle a. S.
Verlag von Max Niemeyer
1913

Neudrucke deutscher Litteraturwerke des XVI. u. XVII. Jahrhunderts.
No. 1.


Einleitung.

Seit dem Erscheinen dieser Ausgabe (1876. 1882) ist das Buch von der
deutschen Poeterei Gegenstand eindringender Forschung geworden, durch
welche seine Stellung in der Geschichte der Poetik, sowie die
Beziehungen zu den Quellen Opitzens hinlänglich klargestellt worden
sind. Abgeschlossen wurden diese Untersuchungen durch die mit Einleitung
und eingehendem Commentar versehene Ausgabe: 'Martin Opitzens
Aristarchus sive de contemptu linguae Teutonicae und Buch von der
Deutschen Poeterey, herausgegeben von Dr. Georg ~Witkowski~.' Leipzig
1888.
Die wichtigeren Einzelabhandlungen sind: O. Fritsch, Martin Opitzens
Buch von der d. P. Ein kritischer Versuch (Diss.), Halle 1884; -- K.
Borinski, Die Kunstlehre der Renaissance in Opitz' Buch von der d. P.
(Diss.), München 1883, und danach in desselben 'Die Poetik der
Renaissance und die Anfänge der litterarischen Kritik in Deutschland',
Berlin 1886, S. 63 ff.; -- W. Berghoeffer, Martin Opitz Buch von der d.
P. (Göttinger Diss.), Frankfurt a/M. 1888; [-- R. Beckherrn, M. Opitz,
P. Ronsard und D. Heinsius (Diss.) Königsberg 1888; -- G. Wenderoth, Die
poetischen Theorien der französischen Plejade in Martin Opitz' deutscher
Poeterei: Euphorion 13, 445-468.]
* * * * *
Das Buch von der deutschen Poeterei erschien in Breslau 1624. Die
Ausgabe ist in 4^o und besteht aus 38 ungezählten Blättern (= 9½ Bogen)
mit den Signaturen =A=-=K=, angehängt sind dann noch zwei Blätter »=An
den Leser=« mit Signatur =L=.
Diese Ausgabe ($A$) liegt unserem Abdrucke zu Grunde. Derselbe ist für
diesen Druck, unter Berücksichtigung der Ausgabe von Witkowski, von
neuem mit dem Originale (Ex. der Stadtbibliothek in Leipzig) sorgfältig
verglichen worden. Abgewichen ist von der Originalausgabe nur insofern,
als ihre Druckfehler verbessert sind. Diese zerfallen in 3 Klassen:
1) Druckfehler, die von Opitz selbst in dem Anhange »=An den Leser=«
(S. 59) als solche aufgeführt werden. Es folgt hier das Verzeichniss
derselben nach Seite und Zeile unseres Abdrucks: 7 7 inimicæ vene. 9 27
Ην' ποτέ σοι χρὁνος οῦτος έν. 10 7 =heutiges tagen=. 11 33 ἰδιόρητα.
12 11 =Marcilius=. 15 2 μὲν̀. 15 30 d, escorte. 19 1 =habe=] =hate=.
23 21 =kürtze=] =kurtze=. 27 37 τωὴ, ὴ ψυχὴ. 29 6 =nechst=] =echst=.
29 11 L irrite. 32 7 ciel] liel. 32 21 =auff einandere=. 32 31
=abstehlen=] =abstehen=; -- =möge=] =mögen=. 37 20 =stehen=] =sehen=.
38 24 θάλααστα. 38 25 θάλ ασταν. 38 29 distichion. 38 30 =Ancareonten=.
41 8 =nach=] =noch=. 41 20 =lateinischen ~vnd~= hexametros. 41 37 communs
=~der~ gemeinen=. 43 39 =abschnitt=] =abschrit=. 44 35 =himmelront=.
44 40 =Iu summa=. 53 23 STRO. I. 56 4 ἐνκρίνεσθαι. -- Ausserdem gibt
Opitz noch zu 15 29 =genawe= an, welches aber schon im Texte ebenso
richtig dasteht.
2) Ferner sind folgende gröbere Druckfehler verbessert, die zum Teil in
allen, zum Teil auch nur in einzelnen der älteren Ausgaben beseitigt sind:
26 34 =satt=] =saat= (doch vgl. Anz. f. dtsch. alt. 14, 287). 27 17
=reime=] =reine=. 28 29 =denn=] =den=. 29 38 =Haupt-brecher-Löwen-zwinger=.
33 2 =erempel=. 36 28 =ö=] ὂ. 40 2 =doppeltlaudender=. 40 10 =der
andere=] =~das~ a.= 42 12 =abschritt= (43 39 derselbe Fehler von Opitz
verbessert). 46 14 C'ouurir. 48 19 =nicht=] =nchit=. 48 23
=vneigeflochtenen=. 49 22 =Capittl=. 51 44 =Meisterück=. 56 29 =des
Frawenz=. 57 30 statt =besitzen= das 2. mal =besetzen=. -- Nicht
besonders erwähnt sind umgekehrte =n= oder =u=, wie 18 3 =vou= u. a.
3) Endlich sind nach Witkowski's Vorgange noch folgende Fehler
verbessert: 9 7 =Volckern=. 9 27 τοι] σοι. 15 40 Pro longeant. 18 30
=saeit= (=sueit= Goldast statt =sneit=). 28 26 Αρηος. 34 28 =mir=]
=nur=. 36 29 =vnnd mitlere=. 37 21 Punkt nach =es=. 38 22 H. 38 23
αυτὴν. 49 3 Sous] Solus.[1]
[1] Unrichtig ändert Witkowski 46 18 =beseite= (mhd. #besîte#) in
=beiseite=. -- Den von Witkowski S. 80 bemerkten Druckfehlern unserer
ersten Ausgabe sind noch einige hinzuzufügen, die zum Teil auch von
Witkowski übernommen sind: ausser geringfügigen (12 31 =großes=. 13 14
=Geistes, welchen=. 40 18 =auff=. 43 15 =auf=. 59 5 =erinnern=) der
störendere 45 25 =~des~ Himmels kertzen=.
Die Abkürzungen sind aufgelöst. Häufiger ist nur =ē= für =en= (32 mal),
=vṅ= für =vnd= (12 m.), =ṅ= für =nn= (10 m.); ausserdem =ṅ= für =mm=
(4 m.) und einmal =ē= für =em=.
* * * * *
Die auf $A$ folgenden Ausgaben waren ebenfalls Einzeldrucke; erst 1690
wurde das Werk in die Gesammtausgabe aufgenommen. Die Titel der
einzelnen Ausgaben findet man verzeichnet bei Hoffmann von Fallersleben,
Martin Opitz von Boberfeld (Leipzig 1858) und in Witkowski's Ausgabe
S. 77-80, dessen Chiffern ich annehme. Sie erschienen: $B$ Frankfurt und
Breslau 1634. $C$ Wittenberg 1634. $E$ Wittenberg 1635 (zum Drittenmahl
auffgeleget). $G$ Wittenberg 1638 (zum Vierdtenmahl auffgeleget). $H$
Wittenberg 1641 (zum Fünfften mahl auffgeleget). $I$ Frankfurt a/M.
1645. Die erste Ausgabe, in welcher sich Hanman's Anmerkungen befinden
(-- Jetzo aber von Enoch Hannman an vnterschiedlichen Orthen vermehrt
vnd mit schönen Anmerckungen verbessert. Nunmehr zum sechstenmahl
correct getruckt.). Über Hanmanns Anmerkungen s. Borinski, Poetik der
Renaissance s. 285 ff., Witkowski s. 68 ff. -- $K$ Wittenberg 1647
(Nunmehr zum Sechsten mahl auffgeleget). Ohne Hanmanns Anmerkungen. $L$
Frankfurt a/M. o. J. (ca. 1650). Mit den Anmerkungen; »zum siebenden mal
correct gedruckt«. $M$ Frankfurt a/M. 1658 dsgl., »zum achten mal
correct gedruckt«. $N$ Breslau, Fellgibel o. J. Diese Ausgabe gehört in
den 1. Teil der 1690 erschienenen Gesamtausgabe von Opitzens Werken, hat
aber besonderen Titel und Paginierung und kommt auch separat vor. -- Die
genannten Ausgaben sind sämmtlich 8^o (resp. 12^o); eine zweite
Quartausgabe vom Jahre 1626 führt Grässe im Trésor des livres an und
Goedeke im Grundriss^1. Die Angabe scheint aber auf Irrtum zu beruhen.
Ueber eine 2. Ausgabe Wittenberg 1634 und eine Danziger 1635 [vielmehr
1634, s. u.], welche nicht nachweisbar sind, s. Witkowski $D$ u. $F$.
Endlich wurde die Poeterei aufgenommen in die beiden in der Mitte des
18. Jahrhunderts veranstalteten Opitzausgaben: $O$ von Bodmer, Zürich
1745 (nur der 1. Teil erschienen, darin die Poeterei S. 1-70); $P$ von
Triller, Frankfurt a/M. 1746 (Vier Bände, die Poeterei eröffnet den 1.
Band).
Auf allen Ausgaben nach der ersten lautet der Titel »Prosodia Germanica,
=Oder Buch von der deutschen Poeterey &c.=« Man wird kaum annehmen
dürfen, dass der Zusatz »Prosodia Germanica« von Opitz selbst herrühre,
da Opitz sicher nach der Ausgabe von 1624 bei keiner folgenden beteiligt
gewesen ist. Dieselben zeigen nicht nur keine Veränderungen, sondern
sind sogar derart aus der ersten Ausgabe, und dann wieder eine aus der
andern, abgedruckt, dass das von Opitz selbst dort gegebene
Druckfehlerverzeichniss ~nicht~ berücksichtigt worden ist, wie überhaupt
das ganze Nachwort »=An den Leser=« (S. 59. 60) in allen Ausgaben von
$B$ ab fehlt, so dass sich dieselben unsinnigen Druckfehler teils durch
alle folgenden Ausgaben hindurchziehen, teils in einzelnen derselben
verbessert werden, aber zuweilen durch Conjectur anders als Opitz
vorgeschrieben. Z. B. sind die Fehler =Marcilius= statt =Manilius=
12 11, liel st. ciel 32 7, =der= st. =oder= 41 37 bis 1690 in allen
Ausgaben, erst Triller und Bodmer bessern richtig. 32 31 steht 1624
=abstehen=, Opitz corrigiert =abstehlen=, die folgenden Ausgaben machen
aus =abstehen= das nahe liegende =absehen=, und diese Lesart ist auch
noch in $OP$ vorhanden. Ebenso ist in derselben Zeile 32 31 das =mögen=
statt =möge= in allen späteren Ausgaben conserviert; u. a. m.
Es geht daraus hervor, dass für den Text der Poeterei allein die Ausgabe
$A$ von 1624 in Betracht kommt.
~Heidelberg~ [Dritter Druck 1902]. $Wilhelm Braune.$
* * * * *
Auch dieser ~vierte~ Druck ist mit der Originalausgabe verglichen
worden. Für Nachträge zur Einleitung bin ich G. Witkowski zu Dank
verbunden; insbesondere hat er den alten Druck $F$ in der Buchhandlung
von Gustav Fock (aus dem Nachlasse Reinhold Bechsteins) aufgefunden und
mir den Titel der Ausgabe, deren Verbleib ihm nicht bekannt ist,
freundlichst mitgeteilt:
$F$ Prosodia Germanica .... =Martin Opitzen= [wie in $C$] =Dantzig,
Gedruckt durch Andream Hünefeldt, Im Jahr, 1634=. [12o =A=-=E= 11b].
~Heidelberg~ 1913. $W. B.$


_MARTINI
OPITII_
Buch von der Deutschen
Poeterey.
In welchem alle jhre eigen-
schafft vnd zuegehör gründt-
lich erzehlet, vnd mit exem-
peln außgeführet wird.

Gedruckt in der Fürstlichen
Stadt Brieg, bey Augustino
Gründern.
In Verlegung David Müllers Buch-
händlers in Breßlaw. 1624.


_Horatius ad Pisones:_
_Descriptas servare vices, operumque colores,
Cur ego, si nequeo, ignoroque, Poëta salutor?
Cur nescire, pudens pravè, quam discere malo?_


[A 2a] Denen Ehrenvesten, Wolweisen, Wolbenambten vnd Wolgelehrten
HErren Bürgermeistern vnd Rathsverwandten der Stadt Buntzlaw, seinen
günstigen Herren vnd beförderern.

EHrenveste, Wolweise, Wolbenambte vnd Wolgelehrte insonders günstige
HErren,
Was bißanhero von einem vnnd dem andern, auch vornemen Leuten, zum
offteren an mich ist begehret worden, das ich nemlich von vnserer
Deutschen Poeterey, derselben art vnd zuegehör, etwas richtiges
auffsetzen möchte, habe ich vorwichene tage zue wercke gebracht. Zwar
erstlich, solchem ehrlichen begehren wie billich zue verhengen: nachmals
aber, die jenigen vor derer augen diese vorneme wissenschafft ein grewel
ist zue wiederlegen, vnd die, so sie als ein leichte ding vor handen zue
nemen vnbedacht sich vnterstehen, ab zue halten, die gelehrten aber vnd
von natur hierzue geartete gemüter auff zue wecken, mir, der ich dißfals
bey weitem nicht genung bin, die hand zue bitten, vnd den weg so ich
allbereit vmb etwas eröffnet vollendts zu bähnen. Weitleufftiger vnd
eigentlicher zue schrei-[A 2b]ben hat mich nicht allein die enge der
zeit, sondern auch sonsten allerley vngelegenheit verhindert, die mir
von denen zuegefüget wird, welche, wann es bey jhnen stünde, wünschen
wolten, das auch das gedächtniß der Poeterey vnnd aller gutten Künste
vertilget vnd außgerottet würde. Ob mich nun wol dergleichen vnbilliche
Wiederwertigkeit, die ich ohne meinen verdienst tragen muß, offtermals
kaum nicht zwinget wie Nero zue sagen; _Vellem nescire literas_: jedoch
habe ich, in erwegung derer Vrsachen die mir etwas beßers rahten, vnd
das die Zahl vieler grossen Männer die mir huldt sein die wenigen
abgünstigen weit hinwieget, zwar ietzund in diesem geringen wesen den
willen mit meinem schlechten studieren etwas zue fruchten erweisen
wollen: vnnd wil auch nachmals besten fleißes mich bemühen, an größeren
vnd mehr wichtigen sachen (denn ich gar wol weiß, das es mit der
Poeterey alleine nicht außgerichtet sey, vnd weder offentlichen noch
Privatämptern mit versen könne vorgestanden werden) durch beystandt
Göttlicher hülffe alle mein heil zue versuchen. Indeßen, Großgünstige
HErren, wollen sie, zum pfande meiner künfftigen vorsorge wie mein
geliebtes Vaterlandt vnnd sie meiner je mehr vnd mehr ruhm vnd ehre
haben mögen, dieses buch auff, vnd annemen, vnd beynebenst geneiget
erwegen das ich auch darumb jhnen solches billich vor andern
zueschreiben sollen, damit ich nicht, wann ich [A 3a] sie in diesen vnd
andern meinen schrifften lenger mit stilleschweigen vbergienge, von
denen die meinen künfftigen vorsatz nicht wissen für vndanckbar möge
gescholten werden. Welchen lasters ich nicht alleine anderwerts frey vnd
ledig bin, sondern auch dißfals kühnlich sagen darff, das ich solche
große liebe zue meinem Vaterlande trage, dergleichen zwar von allen
erfordert, aber bey wenigen erfunden wird. Ich muß nur bekennen, das ich
nicht vnlengst auß weit abgelegenen orten, da es mir an ehre, föderung,
freundschafft vnd alle dem was ich bedürffend nicht gemangelt hette,
mich mehrentheils darumb zuerücke gemacht, vnnd meinen zuestandt in
vngewißheit gesetzet, das ich das verlangen, daheime vnd bey den
meinigen die zeit zue verschliessen, nicht lenger ertragen können.
Welches ich sonsten kaum so rundt herauß sagen wolte, auß furchte, das
es mir von andern für eine zärtligkeit vnd weichmuth möchte außgeleget
werden, wenn mir nicht wißend, das Vlyßes so sehr auff sein Ithaca zue
geeilet, als Agamemnon auff sein _Mycène_, vnd der grosse mann hertzlich
gewünschet, auch nur ein räuchlein so darauß auffgienge von fernen zue
schawen. Der Vater der Musen Alfonsus in Sicilien, als jhm einer
erzehlete wie Rom so gewaltig, Venedig so groß, Florentz so reich,
Meilandt so Volckreich were, gab er jhm dieses gar gerne zue, aber, hub
er darneben an, ich wil niergendts lieber sein als zue _Carioncilla_:
[A 3b] welches ein flecken war, darinnen der löbliche vnnd tugendhaffte
König gebohren vnd auffgewachsen. Kan mir also niemand zue rechte vbel
deuten, das ich mein Buntzlaw, ohne ruhm zue sagen, die erzieherinn
vieler stattlichen berühmbten leute, welche ich bey anderer gelegenheit
schon wil zue erzehlen wissen, als ein Kind seine Mutter ehre, vnd
bestes vermögens hand zue wercke lege, wie nicht alleine ich durch das
Vaterland, sondern auch das Vaterland durch mich bekandter werde.
Nebenst dieser gemeinen vrsache hiesiger meiner zueschreibung habe ich
nicht weniger in acht zue nemen, die grosse gunst vnd freundschafft, mit
welcher ein ietweder von den Herren mir bey aller vorgehenden
gelegenheit zum offtersten begegnet: ja das sie auch mir entweder mit
Blutfreundschafft oder verwandtniß bey gethan sind, oder, worunter ich
Herren Sänfftleben verstehe, mich zue alle dem was ich weiß vnnd kan,
wie wenig es auch ist angewiesen vnd geleitet haben. Werden also die
HErren, in betrachtung obgemeldeter vrsachen, in guttem verstehen, das
ich Jhren namen hiesigen geringfügigen buche, das doch hoffentlich an
seinem orte wird ersprößlich sein, vorsetzen, vnd dadurch, weil anietzo
nichts anders in meinem vermögen gewesen, nur etzlicher maßen mein
danckbares gemüte vnd gutten vorsatz [A 4a] erweisen wollen. Befehle sie
hiermit in den schutz des Höchsten, mich aber in jhre beharliche gunst
vnd liebe; der ich gleichfalls jederzeit bin
E. E. W.
Dienstwilligster
Martin Opitz.


[A 4b] _AD
DN. MARTINUM OPITIUM
Poësin Germanicam ædentem,
Parodia ex Carm. II. Lib. II. Horat._
_#Nullus argento color est, etc.#_
_INgenI nullus decor est, ineptis
Illitæ chartis inimice venæ
#Martie Opiti#, nisi patriæ aptos
Vernet in usus.
Vivet extento venerandus ævo
#Heinsius# plectri genitor Batavi:
Illum aget prorâ metuente sisti
Gloria ad Indos.
Altius scandes patriâ canendo
Barbyto, qvàm si Latium peritæ
Atticæ jungas, Syriæque Peithus
Noveris artem.
Carminis multos cacoêthes urit,
Nec scit expelli; nisi mille vulgo
Finxerit versus peregrina jactans
Gutture verba.
Conditam Almanis numeris Poësin
Exteræ distans, solio polorum
Inseret Phœbus populumque vernis
Instruet uti
Vocibus, laudem, & sine nube nomen
Deferens illi, viridemque laurum,
Teutonæ ingenteis repolit loqvelæ
Qvisqvis acervos._
_Augustinus Iskra Siles:_


[B 1a] _MARTINI OPITII_
Buch von der Deutschen Poeterey.


Das I. Capitel.
Vorrede.

WIewol ich mir von der Deutschen Poeterey, auff ersuchung vornemer
Leute, vnd dann zue beßerer fortpflantzung vnserer sprachen, etwas auff
zue setzen vorgenommen; bin ich doch solcher gedancken keines weges, das
ich vermeine, man könne iemanden durch gewisse regeln vnd gesetze zu
einem Poeten machen. Es ist auch die Poeterey eher getrieben worden, als
man je von derselben art, ampte vnd zuegehör, geschrieben: vnd haben die
Gelehrten, was sie in den Poeten (welcher schrifften auß einem
Göttlichen antriebe vnd von natur herkommen, wie Plato hin vnd wieder
hiervon redet) auffgemercket, nachmals durch richtige verfassungen
zuesammen geschlossen, vnd aus vieler tugenden eine kunst gemacht. Bey
den Griechen hat es Aristoteles vornemlich gethan; bey den Lateinern
Horatius; vnd zue unserer Voreltern zeiten Vida vnnd Scaliger so
außführlich, das weiter etwas darbey zue thun vergebens ist. Derentwegen
ich nur etwas, so ich in gemeine von aller Poeterey zue erinnern von
nöthen zue sein erachte, hiervor setzen wil, nachmals das was vnsere
deutsche Sprache vornemlich angehet, etwas vmbstendtlicher für augen
stellen.


Das II. Capitel.
Worzue die Poeterey, vnd wann sie erfunden worden.

DIe Poeterey ist anfanges nichts anders gewesen als eine verborgene
Theologie, vnd vnterricht von Göttlichen sachen. Dann weil die erste vnd
rawe [B 1b] Welt gröber vnd vngeschlachter war, als das sie hette die
lehren von weißheit vnd himmlischen dingen recht fassen vnd verstehen
können, so haben weise Männer, was sie zue erbawung der Gottesfurcht,
gutter sitten vnd wandels erfunden, in reime vnd fabeln, welche
sonderlich der gemeine pöfel zue hören geneiget ist, verstecken vnd
verbergen mussen. Denn das man jederzeit bey allen Völckern vor gewiß
geglaubet habe, es sey ein einiger vnd ewiger GOtt, von dem alle dinge
erschaffen worden vnd erhalten werden, haben andere, die ich hier nicht
mag außschreiben, genungsam erwiesen. Weil aber GOtt ein vnbegreiffliches
wesen vnnd vber menschliche vernunfft ist, haben sie vorgegeben, die
schönen Cörper vber vns, Sonne, Monde vnd Sternen, item allerley gutte
Geister des Himmels wehren Gottes Söhne vnnd Mitgesellen, welche wir
Menschen vieler grossen wolthaten halber billich ehren solten. Solches
inhalts werden vieleichte die Bücher des Zoroasters, den Man für einen
der eltesten Lehrer der göttlichen vnd menschlichen wissenschafft helt,
gewesen sein, welcher, wie Hermippus bey dem Plinius im ersten Capitel
des 30. Buches bezeuget, zwantzig mal hundert tausendt Verß von der
Philosophie hinterlassen hat. Item was Linus, wie Diogenes Laertius
erwehnet, von erschaffung der Welt, dem lauffe der Sonnen vnd des
Mondens, vnd von erzeugung der Früchte vorgegeben hat. Dessen werckes
anfang soll gewesen sein:
Ἦν ποτέ τοι χρόνος οὗτος ἐν ᾧ ἅμα πάντ' ἐπεφύκει
Es war die zeit da erstlich in gemein
Hier alle ding' erschaffen worden sein.
Neben diesem haben Eumolpus, Museus, Orpheus, Homerus, Hesiodus vnnd
andere, als die ersten Väter der Weißheit, wie sie Plato nennet, vnd
aller gutten ordnung, die bäw-[B 2a]rischen vnd fast viehischen Menschen
zue einem höfflichern vnd bessern leben angewiesen. Dann inn dem sie so
viel herrliche Sprüche erzehleten, vnd die worte in gewisse reimen vnd
maß verbunden, so das sie weder zue weit außschritten, noch zue wenig in
sich hatten, sondern wie eine gleiche Wage im reden hielten, vnd viel
sachen vorbrachten, welche einen schein sonderlicher propheceiungen vnd
geheimnisse von sich gaben, vermeineten die einfältigen leute, es müste
etwas göttliches in jhnen stecken, vnd liessen sich durch die
anmutigkeit der schönen getichte zue aller tugend vnnd guttem wandel
anführen. Hat also Strabo vrsache, den Eratosthenes lügen zue heissen,
welcher, wie viel vnwissende leute heutiges tages auch thun, gemeinet,
es begehre kein Poete durch vnterrichtung, sondern alle bloß durch
ergetzung sich angeneme zue machen. +Hergegen+, spricht er Strabo im
ersten Buche, +haben die alten gesagt, die Poeterey sey die erste
Philosophie, eine erzieherinn des lebens von jugend auff, welche die art
der sitten der bewegungen des gemütes vnd alles thuns vnd lassens lehre.
Ja die vnsrigen+ (er verstehet die Stoischen) +haben darvor gehalten,
das ein weiser alleine ein Poete sey. Vnd dieser vrsachen wegen werden
in den Griechischen städten die Knaben zueföderst in der Poesie
vnterwiesen: nicht nur vmb der blossen erlüstigung willen, sondern damit
sie die sittsamkeit erlernen.+ Ingleichem stimmet auch Strabo mit dem
Lactantius vnd andern in diesem ein, es seyen die Poeten viel älter als
die Philosophen, vnd für weise leute gehalten worden, ehe man von dem
namen der Weißheit gewust hat: vnnd hetten nachmals Cadmus, Pherecydes,
vnd Hecatéus der Poeten lehre zwar sonsten behalten, aber die abmessung
der wörter vnd [B 2b] Verse auffgelöset: biß die folgenden nach vnd nach
etwas darvon enzogen, vnd die rednerische weise, gleichsam als von einem
hohen Stande, in die gemeine art vnd forme herab geführet haben. Solches
können wir auch aus dem abnehmen, das je älter ein Scribent ist, je
näher er den Poeten zue kommen scheinet. Wie denn Casaubonus saget, das
so offte er des Herodotus seine Historien lese, es jhn bedüncke, als
wehre es Homerus selber.


Das III. Capitel.
Von etlichen sachen die den Poeten vorgeworffen werden; vnd derselben
entschuldigung.

AVß oberzehlten sachen ist zue sehen, wie gar vnverstendig die jenigen
handeln, welche aus der Poeterey nicht weiß ich was für ein geringes
wesen machen, vnd wo nicht gar verwerffen, doch nicht sonderlich
achten; auch wol vorgeben, man wisse einen Poeten in offentlichen
ämptern wenig oder nichts zue gebrauchen; weil er sich in dieser
angenemen thorheit vnd ruhigen wollust so verteuffe, das er die andern
künste vnd wissenschafften, von welchen man rechten nutz vnd ehren
schöpffen kan, gemeiniglich hindan setze. Ja wenn sie einen gar
verächtlich halten wollen, so nennen sie jhn einen Poeten: wie dann
_Erasmo Roterodamo_ von groben leuten geschahe. Welcher aber zur antwort
gab: Er schätzte sich dessen lobes viel zue vnwürdig; denn auch nur ein
mittelmässiger Poete höher zue halten sey als zehen _Philosophastri_.
Sie wissen ferner viel von jhren lügen, ärgerlichen schrifften vnd leben
zue sagen, vnd vermeinen, es sey keiner ein gutter Poete, er musse dann
zu gleich ein böser Mensch sein. Welches allerseits vngegründetes
vrtheil ich kaum einer antwort würdig achte; vnnd jhnen alleine für das
erste zue bedencken gebe, wer Solon, Pythagoras, Socrates, Cicero vnd
andere gewesen, die sich doch [B 3a] des Poetennamens nie geschämet
haben. Ich köndte auch sonsten viel vortreffliche leute erzehlen, die
auff diese kunst (wo ich sie eine kunst nennen soll) jhren höchsten
fleiß gewendet haben, vnd dennoch dem gemeinen nutze mit vnsterblichem
lobe vorgegangen sind. So ist auch ferner nichts närrischer, als wann
sie meinen, die Poeterey bestehe bloß in jhr selber; die doch alle
andere künste vnd wissenschafften in sich helt. Apuleius nennet den
Homerus einen viel wissenden vnnd aller dinge erfahrenen Menschen;
Tertullianus von der Seele: einen Vater der freyen künste. Plato,
welcher im Tragedien schreiben so weit kommen, das er auch andern kampff
anbitten dörffen, hat vermischet, wie Proclus von jhm saget, τὴν τε
Πυθαγόρειον καὶ Σωκρατικὴν ἰδιότητα, die Pythagorische vnnd Socratische
eigenschafft, hat die Geometrie vom Theodorus Cyreneus, die
wissenschafft des Gestirnes von den Egyptischen Priestern erlernet, vnd
ist aller dinge kündig gewesen. So hat man vnsere Musen zue mahlen
pflegen, als sie mitt zuesammen gehenckten händen in einem reyen
tantzten, jhnen auch den namen Μοῦσαι, gleichsam als ὁμοῦσαι, gegeben,
das gemeine bandt vnd verwandschafft aller künste hierdurch an zue
deuten. Wann auch die verse nur blosse worte sindt, (wiewol das so wenig
möglich ist, als das der Cörper ohne die Seele bestehen könne) was ist
es denn das Eratosthenes ein getichte von beschreibung der Welt, so
Hermus geheissen, das Parmenides vnnd Empedocles von natur der dinge,
das Seruilius vnd Heliodorus, derer Galenus erwehnet, von der ärtzney
geschrieben haben? Oder, wer kan leugnen, das nicht Virgilius ein gutter
Ackersman, Lucretius ein vornemer naturkündiger, Manilius ein Astronomus,
Lucanus ein Historienschreiber, Oppianus ein Jägermeister, vnd einer vnd
der andere der Philosophie obristen sein, da sie doch nichts als Poeten
sein. Es sey denn das wir glauben wollen, Theocritus habe Schaffe
getrieben, vnd Hesiodus sey hin-[B 3b]ter dem Pfluge gegangen. Doch muß
ich gleichwol bekennen, das auch an verachtung der Poeterey die jenigen
nicht wenig schuldt tragen, welche ohn allen danck Poeten sein wollen,
vnd noch eines theils zum vberfluß, ebener massen wie Julius Cesar seine
kahle glitze, sie jhre vnwissenheit vnter dem Lorbeerkrantze verdecken.
Gewißlich wenn ich nachdencke, was von der zeit an, seit die Griechische
vnd Römische sprachen wieder sind hervor gesucht worden, vor hauffen
Poeten sind herauß kommen, muß ich mich verwundern, wie sonderlich wir
Deutschen so lange gedult können tragen, vnd das edele Papir mit jhren
vngereimten reimen beflecken. Die worte vnd Syllaben in gewisse gesetze
zue dringen, vnd verse zue schreiben, ist das allerwenigste was in einem
Poeten zue suchen ist. Er muß ἐυφαντασιωτός, von sinnreichen einfällen
vnd erfindungen sein, muß ein grosses vnverzagtes gemüte haben, muß hohe
sachen bey sich erdencken können, soll anders seine rede eine art
kriegen, vnd von der erden empor steigen. Ferner so schaden auch dem
gueten nahmen der Poeten nicht wenig die jenigen, welche mit jhrem
vngestümen ersuchen auff alles was sie thun vnd vorhaben verse fodern.
Es wird kein buch, keine hochzeit, kein begräbnüß ohn vns gemacht; vnd
gleichsam als niemand köndte alleine sterben, gehen vnsere gedichte
zuegleich mit jhnen vnter. Mann wil vns auff allen Schüsseln vnd kannen
haben, wir stehen an wänden vnd steinen, vnd wann einer ein Hauß ich
weiß nicht wie an sich gebracht hat, so sollen wir es mit vnsern Versen
wieder redlich machen. Dieser begehret ein Lied auff eines andern Weib,
jenem hat von des nachbaren Magdt getrewmet, einen andern hat die
vermeinte Bulschafft ein mal freundtlich angelacht, oder, wie dieser
Leute gebrauch ist, viel mehr außgelacht; ja deß närrischen ansuchens ist
kein ende. Mussen wir also entweder durch abschlagen jhre feindschafft
erwarten, oder durch willfahren den würden der Poesie einen mercklichen
abbruch thun. [B 4a] Denn ein Poete kan nicht schreiben wenn er wil,
sondern wenn er kan, vnd jhn die regung des Geistes welchen Ovidius vnnd
andere vom Himmel her zue kommen vermeinen, treibet. Diese vnbesonnene
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