Briefe von Goethe an Lavater aus den Jahren 1774 bis 1783 - 4

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Ueber Peter im Baumgarten ein besonderes Blätgen das du an Tscharner
schicken kannst.
Hast du des alten Königs Schrift über die D. Litteratur gelesen und was
sagst du dazu? Lessings Tod hat mich sehr zurückgesezt, ich hatte viel
Freude an ihm, und viel Hoffnung auf ihn.
Nun weis ich bald nichts mehr.
Kayser ist recht gut hier, er hört und sieht viel Musick und Menschen.
Ich habe Absichten mit ihm, davon mehr wenn sie reifer sind.
Grüs Bäben! Ihr bin ich lange einen Brief schuldig. Leb wohl. Grüs Frau
und Kinder und sage mir etwas von ihnen.
Nun fang ich wieder an zu leben da um mich herum alle Knospen sich zu
regen anfangen. Adieu. Nochmals Dank für den Brutus.
G.


33.

Zum Morgengruß erhalt ich deinen Brief vom 31. März.
In dem Buche ^des Erreurs et de la vérité^ das ich angefangen habe,
welche Wahrheit! und welcher Irrthum! Die tiefsten Geheimnisse der
wahrsten Menschheit mit Strohseilen des Wahns und der Beschränktheit
zusamen gehängt.
In der Silhouette hätt ich so viel _innerliches_ nicht gesucht, mehr
_sinnliches_.
Wenn ich vom alten König höre ist mirs als wenn mich _der Prediger_ auf
einen hohen Berg führte, und mich dort einen Trauerblick auf die
Menschen und ihre Herrlichkeit thun hiese. Dem Kayser gönne ich allen
Seegen. Gieb acht! gieb acht! sein Kopf steht gut. Irr ich nicht sehr,
so fehlts am Herzen, das zum grosen Menschen, zur That wie zur Kraft,
unentbehrlich ist, und durch Vernunft nicht zu ersezzen ist.
Die nächsten Wochen des Frühlings sind mir sehr geseegnet, ieden Morgen
empfängt mich eine neue Blume und Knospe. Die stille, reine, immer
wiederkehrende Leidenlose Vegetation tröstet mich oft über der Menschen
Noth, ihre moralischen noch mehr phisischen Uebel.
Hast du bey deiner Reise durch Colmar auf einen jungen Grafen
Wartensleben geachtet, seine Mutter schrieb dir einmal über ihn? Sag mir
etwas was du dich von ihm erinnerst.
Die Gemählde erwart ich also stündlich von Leipzig und freue mich sehr
darauf. Grüß Frau und Kinder.
den 9. Apr. 81.
G.


34.

Wenn ich ein Quartblat von dir sehe, ergözze ich mich iederzeit, Dank
für deine beyden Briefe.
Ueber die Gemählde möcht ich wohl gegenwärtig mit dir sprechen wie über
vieles! Warum sind wir so ferne.
Daß dir meine Büste lieb war macht mir grose Freude um meinet und des
Künstlers willen. Der Herzog schickt sie dir, wie auch den crayonirten
Kopf -- sag ihm etwas über Beydes.
Ja lieber Bruder du könntest mich schon von manchem fliegenden Fieber
des Grimms reinigen, was könnte nicht die _Liebe des Alls_ wenn es
lieben kann wie _wir_ lieben. In mir reinigt sichs unendlich, und doch
gesteh ich gerne, Gott und Satan, Höll' und Himmel, die du so schön
bezeichnest, in mir Einem. Oder vielmehr, mein lieber, mögt ich das
Element woraus des Menschen Seele gebildet ist, und worin sie lebt, ein
_Feegfeuer_ nennen, worinn alle höllischen und himmlischen Kräfte
durcheinander gehn und würcken.
Ueber Woldemars Kreuzerhöhungsgeschichte kann ich dir nichts sagen, das
_Facktum_ ist wahr. Eigentlich ists eine verlegene und verjährte
Geschichte, eine Albernheit, die du am besten ignorirst. Wenn ich Papier
und Zeit verderben möchte, so könnt ich dir wohl das nähere sagen, es
ist aber nicht der Mühe werth. Sehn wir uns wieder und es fällt dir ein,
so frage. Da du mich kennst, solltest du dir's in _Ahndung_ erklären
können. Der leichtsinnig trunkne Grimm, die muthwillige Herbigkeit, die
das _halb gute_ verfolgen, und besonders gegen den Geruch von
_Prätension_ wüthen, sind dir in mir zu wohl bekannt. Und die nicht
schonenden launigen Momente voriger Zeiten weist du auch.
Viel von diesem allem wird verschlungen in thätiger Liebe. Vielleicht
von den ^Erreurs de la vérité^ ein andermal mehr. Möchtest du mir auch
von deinem innern etwas entdecken!
Tobler ist gar lieb, ich kann offen gegen ihn seyn. Knebel hat ihm
Quartier gegeben. Es wird dir auch wohl thun durch ihn von uns zu hören.
Er erinnert mich in Momenten recht lebhafft an dich. Besonders wenn er
munter und scherzhaft wird.
Ists wahr, was ich in den Zeitungen lese, daß der Abbt Raynal den drey
ersten Eidgenossen auf der Imgrütlins Wiese ein Monument will aufrichten
lassen? Der 30. Fus hohe Obelisk wird sich armselig ausnehmen zwischen
der ungeheuren Natur. Was sich der Mensch doch mit seiner Nadelspizze
von Marmor einbildet, ich hoffe es soll nicht zu Stande kommen. Ihr
Monument ist eure Constitution.
Adieu liebster der Menschen. Spreche manchmal einen Seegen auf meine
Büste, daß ich auch das geniese. Schreibe mir viel, und stihl dir eine
Viertelstunde für mich. Ich heise Legion, du thust vielen wohl wenn du
mir wohl thust.
den 7. May 1781.
G.


35.

Ehe ich auf einige Zeit von hier weggehe, muß ich dir noch einmahl
schreiben. Zuförderst danke ich dir, du Menschlichster, für deine
gedruckten Briefe. Es ist natürlich daß sie das Beste von allen deinen
Schrifften seyn müssen. Wie du vorausgesehen hast, nehmen dir viele, und
auch gute Menschen, diesen Schritt übel, doch du weist am besten was du
thun kannst, und fühlst wohl daß dir erlaubt ist was keinem. Das
Menschliche und dein Betragen gegen Menschen darinnen ist höchst
liebenswürdig, und mich macht es recht glücklich, daß ich keine Zeile
anders lese als du sie geschrieben hast, daß ich den inneren
Zusammenhang der manichfaltigen Aeuserungen erkenne. Denn für den
eigentlichen Menschenverstand, was man gewöhnlich so nennet, und worauf
eine gewisse Gattung von Köpfen die andere modelt, ist und bleibt auch
hierinn wie in allen deinen Sachen, manches unverständlich. Selbst
deinen Christus hab ich noch niemals so gern als in diesen Briefen
angesehen und bewundert. Dein 122. Brief über dich selbst ist
vortrefflich, und du verfehlst deines Endzweckes nicht, dich durch diese
Aeuserungen deinen Freunden und Liebsten immer näher zu bringen, vor
ihnen immer wahrer und ganzer zu erscheinen.
Deine Poesien, davon mir Reich ein Ex. verehrt hat, sind auch mir als
Aufschluß deines Innersten, und als Bild deines äusern Lebens sehr
willkommen. Mit gutem Vorbedacht hast du sie deinen Freunden gewidmet,
denn sie schließen sich so an deine Individualität an, daß niemand der
dich nicht liebt, und nicht kennt, eigentlich was damit zu machen weiß.
Unser Bildhauer hat eine vortreffliche Büste von Herder gemacht, davon
dir auch ein Abguß zugeschickt werden soll. Du wirst, auch ohne ihn zu
kennen, an ihrer wahren Unwahrheit wieder deine grose Freude haben.
Was die geheimen Künste des Caliostro betrifft, bin ich sehr mistrauisch
gegen alte Geschichten. Glaube mir, unsere moralische und politische
Welt ist mit unterirdischen Gängen, Kellern und Cloacken miniret wie
eine grose Stadt zu seyn pflegt, an deren Zusammenhang, und ihrer
Bewohnenden Verhältnisse wohl niemand denckt und sinnt, nur wird es dem,
der davon einige Kundschafft hat, viel begreiflicher, wenn da einmal der
Erdboden einstürzt, dort einmal ein Rauch aufgeht aus einer Schlucht,
und hier wunderbare Stimmen gehört werden.
Ich habe der Schultheß den Anfang eines neuen Dramas geschickt, lies es
auch wenn du Zeit findest, und zeigt mir es sonst niemand. Tobler wird
dir geschrieben haben seitdem er von uns weg ist, wir haben ihn gar lieb
gewonnen, und es ist ihm bey uns so wohl gewesen, als unter seinen
Umständen möglich war.
Grüse deine Frau, und gedenckt meiner am braunen Tische. Grüse auch
Pfenninger und die Orells.
Schließlich bitte ich dich fortzufahren, mir mit deinem Geiste und
deiner Art wohl zu thun und nüzlich zu seyn, und mir, wenn du etwas
über, vor, oder wider mich weist, es nicht zu verheelen, sondern wie
bisher, und wo möglich noch mehr, eine gute und lebendige Wirckung unter
uns zu erhalten.
Weimar den 22. Juny
1784.
G.


36.

Arbeiten und Zerstreuungen haben mich abgehalten dir früher für deinen
Brief zu danken.
Ich bin geneigter als iemand noch eine Welt außer der sichtbaren zu
glauben und ich habe Dichtungs- und Lebenskraft genug, sogar mein
eigenes beschränktes Selbst zu einem Schwedenborgischen Geisteruniversum
erweitert zu fühlen. Alsdann mag ich aber gern, daß das alberne und
eckelhafte menschlicher Exkremente durch eine feine Gährung abgesondert
und der reinlichste Zustand in den wir versezt werden können, empfunden
werde.
Das mir überschickte Portrait gefällt mir ausnehmend wohl, und zeigt von
einem männlichen Mahler. Es ist wohlgesehen und wohl angelegt, Schade
daß er nicht Zeit gehabt hat es weiter auszuführen. Der Charackter
scheint mir sprechend und die Stellung gut gemahlt zu seyn. Nur hat es
mich wundern müßen, daß einige unbefangene Personen, und besonders ein
Kind, das sehr wohl organisirt, und in allen seinen Urtheilen über
sinnliche Dinge höchst zuverläßig ist, es nicht erkannt haben. Ich
machte darüber meine Betrachtungen, besonders da der Knabe auf einige
verwandte Gesichter rieth, und ich glaube es liegt vorzüglich in der
Farbe und in der mehreren Männlichkeit und Stärke der Züge die das
Original freilich nicht hat. Genug es gefällt mir so wohl, daß ich es
für mich behalten werde und danke dir also auf das Beste dafür.
Knebel ist hier weg und wird sich diesen Winter bey den Seinigen
aufhalten. Er ist die Ursache daß Tobler so lange gezögert hat. Dieser
wird nun bey dir angelangt seyn und dir mehr von uns erzählen können und
mögen als in vielen Briefen ichs nicht thun könnte, und dürfte. Ich
wünsche daß es ihm bey euch wohl gehen möge, welches, da er durch den
Genuß der weitern Welt ziemlich verwöhnt seyn mag, vielleicht im Anfange
schwerer halten wird.
Mit dem nächsten Postwagen geht an B. der vollendete zweyte Ackt meines
Taßo ab. Ich wünsche daß er auch für dich geschrieben seyn möge.
Die Unruhe in der ich lebe läßt mich nicht über dergleichen
vergnüglichen Arbeiten bleiben, und so sehe ich auch noch nicht den Raum
vor mir die übrigen Ackte zu enden. Es geht mir übrigens wie es den
Verschwendern geht, die in dem Augenblicke, wenn über Mangel an
Einnahme, überspannte Schulden und Ausgaben geklagt wird, gleichsam von
einem Geiste des Widerspruches außer sich gesezt, sich in neue
Verbindungen von Unkosten zu stürzen pflegen.
Auf deinen Pilatus bin ich sehr begierig, schicke wenn du kannst und
willst ein Stück davon.
Die Frau von der Lühe habe ich in Gotha gesehen. Sie findet sich nach
ihrer Art daselbst wohl. _Er_ ist eine sehr gute Art Menschen,
verständig und gewißenhafft. Man legt ihm keine Hinderniße bey seiner
Erziehung in den Weg, und der Herzog beträgt sich auf das Beste gegen
ihn.
Auf unserer Zeichnungsakademie habe ich mir diesen Winter vorgenommen
mit den Lehrern und Schülern den Knochenbau des menschlichen Körpers
durchzugehen, sowohl um ihnen als mir zu nuzen, sie auf das merckwürdige
dieser einzigen Gestalt zu führen und sie dadurch auf die erste Stufe zu
stellen, das bedeutende in der Nachahmung sichtlicher Dinge zu erkennen
und zu suchen. Zugleich behandle ich die Knochen als einen Text, woran
sich alles Leben und alles menschliche anhängen läßt, habe dabey den
Vortheil zweimal die Woche öffentlich zu reden, und mich über Dinge die
mir werth sind mit aufmerksamen Menschen zu unterhalten. Ein Vergnügen
welchem man in unserm gewöhnlichen Welt-, Geschäfts- und Hofleben
gänzlich entsagen muß. Diejenigen Theile die abgehandelt werden,
zeichnet alsdenn ein ieder und macht sie sich zu eigen. Dabey habe ich
mir vorgenommen das Wort Phisiognomik und Phisiognomie gar nicht zu
brauchen, vielmehr die Ueberzeugung davon durch die ganze Reihe des
Vortrages einem jeden einleuchten zu laßen.
Vielleicht kann dir etwas von dem was ich bey näherer Betrachtung der
thierischen Oekonomie bemerke, zu deinen Arbeiten in der Folge einen
nüzlichen Beytrag geben.
Weimar den 14. Nov. 1781.
G.


37.

Du hattest l. Bruder eine Abschrifft meiner _Iphigeni_ für den General
Koch verlangt, ich schlug es ab, weil ich sie noch einmal durchgehn
wollte, dieß ist, zwar leider nach meinen Umständen nur flüchtig
geschehen.
Gegen Weynachten kann eine Abschrifft fertig seyn. Willst du sie nun an
den General schicken? oder soll ich es thun?
Im lezten Fall schreibe mir wo er sich aufhält, seinen Tittel, ob er die
Exzellenz hat &c. daß man mit einem solchen Fremden in ^Curialibus^
nicht anstose. Lebe wohl, schreibe mir bald und liebe mich. Mit meinem
Leben rückt es starck vor, und ich fange nun bald an zu begreifen warum
wir, sobald wir uns hienieden einzurichten angefangen haben, wieder
weiters müssen. Tausendmal Adieu.
d. 26. Nov. 81.
G.


38.

Deinen Brief erhalte ich so eben, und da ich daraus sehe, daß deine
französische Phisiognomick bald fertig werden wird, bewegt mich dies,
dir gleich wieder zu schreiben. Habe die Güte mir zwölf von den ersten
Exemplaren zuschicken zu lassen, ich getraue mir diese, vielleicht noch
mehrere abzusezzen. Nur wünsche ich freilich sie gleich zu Anfang zu
haben wenn das Buch herauskommt und Sensation macht.
Tobler wird dich näher zu uns bringen als viele Briefe nicht thun
würden. Man ist niemals im Stande, dem Freunde das von sich zu
schreiben, was ihme am intereßantesten wäre, weil man eigentlich selbst
nicht weiß, was an einem intereßant ist.
Grüße Toblern und Pfennigern recht herzlich.
Den Taßo werdet ihr nun haben.
Von Knebels Hegire hat wohl Tobler gesprochen.
Lebe wohl, schreibe und schicke bald.
Weimar den 3. Dez. 1781.
G.


39.

Der Fürst Dessau, der uns heute sehr angenehm überraschte, hat sich wie
ich hoffte sehr gut mit dir gefunden, ich gönne dir, daß du diesen
merkwürdigen Sterblichen auch hast kennen lernen. Da die Nachricht kam
du seyst in Frankfurt sagte die Herzoginn er kommt gewiß, der H. er wird
wohl kommen, und ich sagte ich glaub es nicht. Leider war meine
Divination die richtigste. Schön, sehr schön wäre es gewesen. Nun es
konnte wohl nicht seyn.
Du verwendest und verthust manchen Augenblick, gönne mir auch über
Menschen und Sachen, die du auf dieser Reise gesehen hast, ein Wort, ich
verdiens und brauch es. Ich muß wieder eine Anmuthung von dir haben wie
mir der Fürst heute gegeben hat.
Da ich zwar kein Widerkrist, kein Unkrist, aber doch ein dezidirter
Nichtkrist bin, so haben mir dein Pilatus und so weiter widrige
Eindrücke gemacht, weil du dich gar zu ungebärdig gegen den alten Gott
und seine Kinder stellst. Deinen Pilatus habe ich sogar zu parodiren
angefangen, ich habe dich aber zu lieb um mich länger als eine Stunde
damit amüsiren zu können.
Darum laß mich deine Menschenstimme hören, damit wir von der Seite
verbunden bleiben, da es von der andern nicht geht.
Von mir hab ich nichts zu sagen als daß ich mich meinem Beruf aufopfere,
indem ich nichts suche, als wenn es das Ziel meiner Begriffe wäre.
Damit du einen Faden habest, so bitt ich dich um Worte über
Prinz Ferdinand.
Erbprinz von Hanau.
Marckgraf v. Baden.
Marckgräfinn.
Edelsheim.
Fürst v. Dessau vor allen.
Seinen Sohn.
Waltersee.
Pfeffel.
Lersé.
Caliostro.
Brankoni.
Bode.
Frau von Diede.
Etwa iemand neues &c.
Treibe Tischbein daß er mir balde näher antwortet. Der Herzog von Gotha
ist ungeduldig zu wissen wie und wann er nach Italien gehn will.
Segne ihn noch recht ein auf Treue und Wahrheit, Reinheit und
Reinlichkeit.
Ich möchte gerne das Portrait das er von dir gemacht hat, behalten.
Lebe wohl und gedenke meiner in Liebe.
W. d. 29. Jul. 82
G.


40.

Lieber Bruder. Knebel liebt dich so zärtlich als man kan, und nimmt weit
nähern Antheil an den zartgesponnenen Saiten deines Wesens als mir
selbst, bey meiner rohern Natur nicht gegeben ist. Er hat mir zuerst
nach seiner Rückkunft mit sehr treffender Wahrheit verschiedene Dinge an
dir, mit denen ich nicht recht stimmen kan, so schön zurecht gelegt, daß
ich seit der Zeit inniger mit dir bin als iemals -- und seine
theilnehmende Seele hat mir zu Beobachtung vieler Schattirungen in dir
geholfen; der ich mir selbst überlassen gewisse Strahlenbrechungen zu
starck und andere zuwenig sehe.
Wenn dir recht ist was ich dir hier sende, so fahr ich fort; ich muß
meinen Ton halten, unsre beyde zu vermischen geht nicht, aber so nach
einander mags seine Würkung thun. Gott erhalte dich.
Ich bin dein immer bewegter, im höchsten und niedrigsten, in Weisheit
und Thorheit umgetriebener
den 23. Aug. 82.
G.


41.

Weimar den 4. Oktober 1782.
Vor das viele Gute was du zeither an uns gethan hast, habe ich dir noch
nicht danken können, und auch iezo habe ich nicht so viel Sammlung um
dir etwas dagegen von dem meinigen zu geben, denn daß man immer von dir
empfängt bist du gewohnt.
Die kurze Schilderung der Personen die du auf deiner Reise im Fluge
berührtest, hat mir viele alte Bekanndtschaften neu und mich auf
unbekante aufmerksam gemacht. Was du von dem Fürsten von Dessau sagst
bestätigt mein Verhältniß zu diesem würdigen Manne noch mehr. Zwar sind
wir bisher einander noch nichts geworden, und ich bin alle Tage auch
gegen gute und trefliche Menschen weniger andringend, genug wenn man
weiß daß eine schöne und große Natur irgendwo existirt, und daß man sie,
wie es so tausendfältig geschieht, nicht verkennt.
Der erste Theil deiner Bekenntniße, wie ich sie nennen will, hat mir
großes Vergnügen gemacht. Es ist immer sehr intereßant dergleichen zu
lesen, ob ich gleich wieder dabey die Bemerkung gemacht habe, daß wenn
ich so sagen darf, der Leser eine eigene psychologische
Rechnungsoperation zu machen hat um aus solchen Datis ein wahres Facit
heraus zu ziehen. Ich kann meine Idee iezo nicht auseinander legen, nur
so viel davon: Das was der Mensch an sich bemerkt und fühlt, scheint mir
der geringste Theil seines Daseyns. Es fällt ihm mehr auf was ihm fehlt,
als das was er besizt, er bemerkt mehr was ihn ängstiget, als das was
ihn ergözt und seine Seele erweitert; denn in allen angenehmen und guten
Zuständen verliert die Seele das Bewußtseyn ihrer selbst, wie der Körper
auch und wird nur durch unangenehme Empfindungen wieder an sich
erinnert; und so wird meistentheils, der über sich selbst und seinen
vergangenen Zustand schreibt, das enge und schmerzliche aufzeichnen,
dadurch denn eine Person, wenn ich so sagen darf, zusammenschrumpft.
Hierzu muß erst wieder das, was wir von seinen Handlungen gesehen, was
wir von seinen Schriften gelesen haben chymisch hinzugethan werden und
alsdann entsteht erst wieder ein Bild des Menschen, wie er etwa mag seyn
oder gewesen seyn. Dieß von vielen tausend Betrachtungen Eine.
Daß du mir in deinem Briefe noch einmahl den innern Zusammenhang deiner
Religion vorlegen wolltest, war mir sehr willkommen, wir werden ia nun
wohl bald einmal einander über diesen Punkt kennen und in Ruhe laßen.
Großen Dank verdient die Natur, daß sie in die Existenz eines ieden
lebenden Wesens auch so viel Heilungskraft gelegt hat, daß es sich, wenn
es an dem einen oder dem andern Ende zerrissen wird, selbst wieder
zusammenfliken kann; und was sind die tausendfältigen Religionen anders
als tausendfache Aeußerungen dieser Heilungskraft. Mein Pflaster schlägt
bey dir nicht an, deins nicht bey mir, in unsers Vaters Apotheke sind
viel Recepte. So habe ich auf deinen Brief nicht zu antworten, nichts zu
widerlegen, aber dagegen zu stellen habe ich vieles. Wir sollten einmahl
unsere Glaubensbekenntniße in zwey Colummen neben einander sezen und
darauf einen Friedens- und Toleranzbund errichten.
An Tischbeinen habe ich heute geschrieben und ihn an dich gewiesen. Du
wirst meinen Brief wohl verstehen, aber er nicht ganz; ich kann ihm
weder gewähren noch verschaffen, was er gerne mögte, denn der Herzog von
Gotha siehts anders an und hat seine festgesezten Begriffe über die
Sache, auf die ich weiter nicht wirken kann. Rede ihm ia zu, daß er sich
besonders gegen Reifensteinen leidlich beträgt, denn dieser Mann hat
Einfluß auf die Großen. Freylich mag dem guten Tischbein, der Gott sey
Dank in weltlichen Dingen noch nicht geübt ist, so ein Verhältniß ganz
und gar fatal und unerträglich scheinen; indeß ist immer besser er weiß
so etwas voraus, und richtet sich einigermaßen darnach, als daß er in
seinem Wesen hingeht und wir in einem Jahr den Lärmen haben. Es wird
ohnedies nicht ganz ohne alles abgehen; du weißt es am besten lieber
Bruder, daß wo Menschen zusammen zu schaffen haben, es mehr oder weniger
Friktion giebt. Je älter man wird desto gewißer sieht man das wie und wo
voraus und kann sie doch weder bey sich selbst noch andern immer, so
gerne man wollte verhüten. Besonders treib ihn daß er fortkommt, denn
der Herzog ist schon über das Zaudern und über meine Vorstellungen, die
ich nicht gespart habe, verdrießlich. Wenn wir unter einander etwas
haben, so können wir herüber hinüber markten, ein großer Herr will
gehorcht seyn. Sie sind nicht alle wie der Herzog von Weimar, der ieden
gerne auf seine Weise das Gute thun läßt und doch daran Theil nimmt.
Adieu Bruder! Ohne Berührung sagst du ist keine Religion; ohne Berührung
ist keine Freundschaft. Lebe herzlich wohl alter Christe und grüße
Bäben.
G.
Sag mir doch gelegentlich ein Wort über das Portrait Karls des fünften
von Albrecht Dürer, das du bey Merck gesehen hast, wir haben es
gegenwärtig hier. Es ist ganz herrlich, ich mögte auch dich drüber
hören.


42.

Frau von Langefeld mit ihren beyden Töchtern und Hr. v. Beulwiz aus
Rudolstadt werden dir l. Bruder Kraft dieses empfohlen, und das Maas des
Guten was du ihnen geben willst und kannst, deinem Gefühle und den
Umständen überlassen in denen sie dich antreffen werden.
Weimar d. 7. Apr. 83.
G.


43.

Ohne Datum.
Sonntag Nachts. Ich will wenigstens wieder einmal einen Brief an dich
anfangen, daß wir uns nur einmal wieder berühren. Eine herrliche
Mondennacht! ich bin über die Wiese nach meinem Garten eben
herausgegangen, habe mich in Nachtdämmer gelezt und denke an dich. --
Lieber Br. daß du just so geplagt seyn mußt zur Zeit da ich so glücklich
bin, da mir das Schicksal einen ganz reinen Moment bereitet, daß ich
nicht müßig sey, eine würkende Entfaltung für die Zukunft. Gute Nacht.
Montag d. 26. heut ist deine Büste von Frankfurt angekommen glücklich,
hat mir viel Freude gemacht. Hier hast du einen Schatten vom Herzog. --
Ich fühl' erst iezo wie weit wir aus einander kommen sind, ich kann dir
nichts schreiben. Resultate und Abstraktionen mag ich nicht, Geschichten
und Einzelnheiten kann ich nicht.
Freytag d. 30. Ich will dir nur das grade schicken. Denn mehr kann ich
doch jezt nicht sagen. Grüs Bäben, Dank der Herzlichen für ihren Brief.
Hier ein paar Zeilen meines Gefühls auf dem Türinger Walde geschrieben
d. 3. Aug. Morgends unter dem Zeichnen.
Dem Schicksaal.
Was weis ich was mir hier gefällt
In dieser engen kleinen Welt
Mit leisem Zauberband mich hält!
Mein Carl und ich vergessen hier
Wie seltsam uns ein tiefes Schicksal leitet
Und, ach ich fühls, im Stillen werden wir
Zu neuen Scenen vorbereitet.
Du hast uns lieb du gabst uns das Gefühl:
Daß ohne dich wir nur vergebens sinnen,
Durch Ungeduld und glaubenleer Gewühl
Voreilig dir niemals was abgewinnen.
Du hast für uns das rechte Maas getroffen
In reine Dumpfheit uns gehüllt,
Daß wir, von Lebenskraft erfüllt,
In holder Gegenwart der lieben Zukunft hoffen.
Ade, grüs Kaysern, dank ihm für die Musik. Denkt denn dein Wibele noch
an mich und hat sie mich noch lieb. Der Gr. Wartensleben hab ich
gerathen ihren Sohn nach Dessau zu thun. Hier ihre Silhouette.
Schreib mir doch!
G.
Was sagst du zu dieser durchs Verkleinern und Ausschneiden noch
unendlich verrenkten Weiblichkeit?
_Anhang_
einiger Briefe
von
_Goethe_
an den Buchhändler
_Reich_.
Franckf. am 20. Febr. 70.
Theuerster Herr Reich,
Es giebt gemischte Empfindungen, die Mendelsohn so richtig zeichnen, und
Wieland so süsse mahlen kann, und von denen wir andre schweigen müssen.
Davon war es eine die mich überfiel, als ich Ihren lieben Brief, mit dem
angenehmsten Geschencke erhielt.
Nichts war mir neu. Denn dass Wieland so ein Autor ist, dass Sie so ein
Verleger und so gütig gegen mich sind, das weiss ich seitdem ich Sie und
Wielanden kenne; allein in dem Grade! unter diesen Umständen! war mir
alles neu. Meine Danckbarkeit werden Sie leicht nach dem Werth Ihrer
Freundschafft, nach der Fürtrefflichkeit des Buchs, und nach dem
Vergnügen messen können, das man in dieser Franckfurter Hungersnoth des
guten Geschmacks, sehr lebhafft fühlen muss, wenn man ein neues Buch
geschwind in die Hände kriegt. Und auch darum lasse ich meine
Erkenntlichkeit gerne schweigen; denn wahrhaftig Sie müssten sehr müde
werden Dancksagungen anzuhören, wenn Ihre besondere Gütigkeit, nicht
gleich iedem den Sie verbinden, ein ehrfurchtsvolles Stillschweigen
auflegte.
Oesers Erfindungen haben mir eine neue Gelegenheit gegeben, mich zu
seegnen, dass ich ihn zum Lehrer gehabt habe. Fertigkeit oder Erfahrung
vermag kein Meister seinem Schüler mitzutheilen, und eine Uebung von
wenigen Jahren, thut in den bildenden Künsten, nur was mittelmässiges;
auch war unsre Hand, nur sein Nebenaugenmerck; er drang in unsre Seelen,
und man musste keine haben um ihn nicht zu nutzen.
Sein Unterricht wird auf mein ganzes Leben Folgen haben. Er lehrte mich,
das Ideal der Schönheit sey Einfalt und Stille, und daraus folgt, dass
kein Jüngling Meister werden könne. Es ist ein Glück wenn man sich von
dieser Wahrheit nicht erst durch eine traurige Erfahrung zu überzeugen
braucht. Empfehlen Sie mich meinem lieben Oeser.
Nach ihm und Schäckespearen, ist Wieland noch der einzige, den ich für
meinen ächten Lehrer erkennen kann, andre hatten mir gezeigt dass ich
fehlte, diese zeigten mir wie ichs besser machen sollte.
Meine Gedancken über den Diogenes werden Sie wohl nicht verlangen.
Empfinden und schweigen ist alles was man bei dieser Gelegenheit thun
kann; denn so gar loben soll man einen grosen Mann nicht, wenn man nicht
so gros ist wie er. Aber geärgert habe ich mich schon auf Wielands
Rechnung, und ich glaube mit Recht. Wieland hat das Unglück offt nicht
verstanden zu werden, vielleicht ist manchmal die Schuld sein, doch
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