Briefe von Goethe an Lavater aus den Jahren 1774 bis 1783 - 3

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schon wieder etliche Schritte weiter vom Original in einen ganz fremden
Charackter hinein.
Halte doch ja das was du für den Herzog und mich auslegst in Ordnung.
Meine Auslagen für dich sind auch aufgeschrieben; Laß uns etwa Johanni
abrechnen, und auch so wieder ein neues Hembd anziehen.
Grüse deine Frau und Kinder, und wenn dein Knabe gelegentlich
schreibseliger wird, so laß mir ihn manchmal etwas von euerer
Haushaltung schreiben, wie's ihm vor die Feder kömmt.
An Bäben gieb Inliegendes, vielleicht erhält sie einen Brief mit der
reitenden Post noch eh'r als du dieses.
G.
Weimar den 1. May 1780.
Haben so viele _Krieger_ im _Kupfer_ in der linken Faust das Schwert,
mag wohl unser Engel den _Stern_ auf der rechten Brust haben.


23.

Du bist immer braver als man denkt, weil du doch immer das Aeußerste
thust -- aber deßwegen noch kein Poet.
Laß mich bald hören daß du wieder wohl bist. Ein Geistlicher auf dem
Harz hat geweisagt daß ihr alle untergehn sollt vom Gotthart bis an den
Mayn.
Der Fürst v. Dessau der dir selbst sagen will, daß er dich liebt und
schäzt, ist auch einer von denen die sich jezo verwundern daß man sich
von dem falschen Propheten die Eingeweide konnte bewegen lassen. Alle
auf die der Kerl gewirkt hat, kommen mir vor wie vernünftige Menschen,
die einmal des Nachts vom Alp beschwert worden sind, und bey Tage sich
davon keine Rechenschafft zu geben wissen.
Vielleicht schick ich dir ehstens ein Portrait von dem Herzog Bernhardt
aus dem hiesigen Hause, um mirs von Lipsen stechen zu lassen. Wenn er
aber, wie du schreibst, balde verreist, so muß ich damit einen andern
Weeg nehmen. Ich scharre nach meiner Art Vorrath zu einer
Lebensgeschichte dieses als Helden und Herrschers wirklich sehr
merckwürdigen Mannes, der in seiner kurzen Laufbahn ein Liebling des
Schicksaals und der Menschen gewesen ist, zusammen und erwarte die Zeit
wo mirs vielleicht glüken wird ein Feuerwerk draus zu machen. Seine
Jahre fallen in den dreissigjährigen Krieg. Sein und seiner Brüder
Familien-Gemälde interessirt mich noch am meisten da ich ihren Urenkeln,
in denen so manche Züge leibhaftig wieder kommen, so nahe bin. Uebrigens
versuche ich allerley Beschwörungen und ^Hocus pocus^ um die Gestalten
gleichzeitiger Helden und Lumpen in Nachahmung der Hexe zu Endor
wenigstens bis an den Gürtel aus dem Grabe steigen zu lassen, und
allenfalls irgend einen König, der an Zeichen und Wunder glaubt, in's
Bockshorn zu jagen.
Das Kupfer nach Juel's[4] Bild ist sehr fatal. Nicht eben an der
Physiognomie, aber mir kommts vor, als wenn ein Geist hätte wollen eines
guten Freundes Gestalt anziehen, und hätte damit nicht zurecht kommen
können, und guckte einen aus bekannten Augen mit einem fremden Blick an,
so daß man zwischen Bekanntschaft und Fremdheit in einer unangenehmen
Bewegung hin und wieder gezogen wird.
[Fußnote 4: Juel war ein dänischer Maler, der sich um diese Zeit in der
Schweiz aufhielt. Der Name ist aber in der Handschrift nicht ganz
deutlich.]
Die apokalyptischen ^Vignetten^ sind sehr kleinlich gegen den grosen
Innhalt und deine grose Manier.
In weniger Zeit wird Herr v. Knebel der bey dem Prinzen Constantin ist,
und nun eine kleine Reise für sich macht, zu dir kommen; du wirst viel
Vergnügen in seinem Umgange haben, und begegne ihm wohl.
G.
Weimar d. 5. Juny 1780.


24.

Mit Verlangen erwart' ich die Fortsezung deiner Briefe über Wasern. Biß
iezt sind nur die zwei ersten angekommen. Es geht mit dieser Sache, wie
mit allen wichtigen Begebenheiten, iedermann spricht davon und urtheilt
drüber und niemand ist davon unterrichtet. Lipsen erwarten wir. Du wirst
wohl thun mir etwas von dem Plane zu schreiben, den du mit ihm hast,
worauf er ausgeht und wohin er geht.
Mochels Urne hab' ich auch gelesen, oder vielmehr etlichemal hin und her
geblättert, denn durchzulesen war ich's nicht im Stande. Dein Lob ist
übertrieben. Wie kannst du sagen: Vortreflich geschrieben? da der
Verfasser weder Freiheit im Begriff noch im Stil hat, es sind Seiten wo
die Perioden so in einander geknüttet sind, dass man sie etliche mal
lesen muß um zu rathen, was er will. Ich will nicht sagen daß es
schlecht geschrieben, aber es ist doch so eng! und an den Hauptpunkten
sind ihm die Gedanken wie weggeschnitten. Die Armseeligkeit sieht, wie
einzelne Felsgen aus einem grossen See, hier aus der weitläuftigen Märte
von Stuben-Experimental-Psychologie heraus, daß man gar wohl schliessen
kann, auf was vor einem Grund und Boden das Gewässer ruht. Kaufmannen
hätte man noch weit treffender schildern können, und was von dir und
seinen übrigen Freunden gesagt ist läßt sich noch sehr halten, ich
wollte allenfalls den Spargel schon tiefer aus der Erde herausgehoben
haben, dieser Ehrenmann ist billig genug, ihn nur so weit er grün ist
und hervorgukt abzuschneiden.
Herder hat wieder einen Preiß in Berlin gewonnen, wie du wohl schon aus
den Zeitungen wissen wirst. Ich hab die Abhandlung noch nicht gelesen.
Es war zu gleicher Zeit in einem andern Fach einer aufgestellt den er
auch hätte gewinnen können wenn er nur gewollt hätte.
Wieland ist gegen dich sehr gut gesinnt. Er hat seine Launen und
bedenkt, sonderlich in Prosa, nicht immer alles was er schreibt. Ich
weis es zwar nicht, aber es ist möglich, daß dir zu Ohren gekommen ist,
er habe in einer und der andern Stelle dich zu necken geschienen, es ist
aber gewiß nichts als höchstens eine Art von humoristischem Leichtsinn,
der sich dieses und ienes ohne Consequenz erlaubt. Ich habe ihn geradezu
selbst drüber gefragt und er hat mich versichert daß er sich keiner als
guter Gesinnungen gegen dich bewußt sey.
Sein Oberon wird, so lang Poesie Poesie, Gold Gold und Crystall Crystall
bleiben wird, als ein Meisterstück poetischer Kunst geliebt und
bewundert werden.
Daß der alte Bodmer, der einen grosen Theil des zurückgelegten 18ten
Jahrhunderts durchgedichtet hat, ohne Dichter zu sein, über eine solche
Erscheinung wie der Schuhu über eine Fakel sich entsezt, will ich wohl
glauben. Der arme Alte, der sich bei seinem ewigen Geschreibe nicht
Einmal durch den Beifall des Publici hat anerkannt gesehen, was doch
weit geringern als ihm passirt ist, muß freilich bei allen solchen
Produktionen einen unüberwindlichen Ekel empfinden. Ob Oberon dir etwas
sein wird glaub ich nicht, davon ist aber auch die Rede nicht. Von
Hirzeln hab' ich den zweiten Theil seines philosophischen Weltweisen
nicht erhalten, sag ihm daß ich darüber betrübt bin, es ist aber eine
Lüge, denn es ist mir scheuslich, was dieser Mensch von sich giebt.[5]
Der Prophet der euch den Untergang drohet heißt _Ziehen_ war Pfarrer zu
Zellerfeldt auf dem Harz. Er ist vor kurzem gestorben. Die Erdbeben die
er vorausgesagt hat sind eingetroffen. Was ich noch von ihm gesehen habe
daraus scheint mir ein tiefes Gefühl, aber eine kurzsinnige, durch
ausgebreitete Belesenheit nicht aufgeheiterte Combinationsart
hervorzuscheinen. Er hängt alles an einander, und citirt die Bibel wie
die Evangelisten das alte Testament.
Grüs deine Frau und Kinder. Ich wünsche dir herzlich wieder ein
bleibendes Geschöpf mehr ins Haus, und ihr Gesundheit und guten Muth zur
Schwangerschafft.
[Fußnote 5: _Hans Caspar Hirzel_ + 1803, bekannt durch seine Schriften:
»Wirthschaft eines philosophischen Bauers (Kleinjogg)« und »Hirzel an
Gleim über Sulzer den Weltweisen.«]
Schicke die Zeichnung der Dörrmaschine. Einandermal laß uns akkordiren
eh wir bestellen. Ich dächte wir könnten das gelernt haben.
Grüs Bäben. Sie mag mir ia die Composition von Kaysern auf meine
Wassertropfen schicken. Laß dir Wasers Nachrichten angelegen seyn, auch
eine Silhouette von ihm. Knebeln gönnst du gewiß was du von Zeit
entübrigen kannst.
Wären wir nur um 100 Stunden näher. Schreibe mir oft daß man sich
lebendig bleibt.
Passe ia auf die Dürers auf.
Die Genci ist angekommen leider ein wenig verschoben, laß künftig die
Packer aufmerksamer seyn. Die Kupfer meist verwischt. Auch an den
Füslis. Wofür ich dir danke. Lebe aber und abermal wohl, und laß uns
einander stärken im Edlen, und erhalten im Licht, denn des lumpigen und
dämmrigen ist gar zu viel in der Welt.
d. 3. Juli 80.
G.
^NB.^ Ich bin Freimaurer geworden! Was sagt ihr dazu?


25.

Mir ist herzlich lieb, daß du uns durch Kn. näher kommst. Gewiß ist, daß
an so einem kleinen Orte, wo eine Anzahl wunderbarer moralischer
Existenzen sich an einander reiben, eine Art von Gährung entstehen
müsse, die einen lieblich säuerlichen Geruch hat, nur gehts uns manchmal
wie einem der den Sauerteig selbst essen sollte. Es ist eine böse Kost.
Aber wenn es in kleiner Portion zu anderem Maal gebracht wird, gar
schmackhaft und heilsam.
Daß du Freude an meiner Iphigenie gehabt hast, ist mir ein
außerordentlich Geschenk. Da wir mit unsern Existenzen so nah stehen,
und mit unsern Gedanken und Imaginationen so weit aus einander gehn, und
wie zwey Schützen, die mit dem Rücken an einander lehnend, nach ganz
verschiedenen Zielen schießen; so erlaub ich mir niemals den Wunsch, daß
meine Sachen dir etwas werden könnten. Ich freue mich deswegen recht
herzlich, daß ich auch mit diesem wieder ans Herz gekommen bin.
Adieu. Die Dürers schick ich gleich wenn die, die du dazu schicken
willst, einrangirt sind. Du hast recht ich treibe die Sachen, als wenn
wir ewig auf Erden leben sollten.
Knebeln inliegendes.
Ich bin neugierig, ob du an der Apokalypse nichts verdorben hast. Mir
ists neulich so gegangen, daß ich habe aus einem Stück ein Duzzend Verse
heraus korrigirt, die ich, da es der Herzog zu sehen kriegte, wieder
restituiren mußte.
Grüse Bäben. Schicke von Wasern bald. Adieu Bester. Der Herzog grüßt.
d. 24. Jul. 80.
G.
Wir werden zwar in unserm Leben keine grosse Phisiognomen werden, doch
thust du wohl, wenn du uns auch etwas mittheilest. Bei Gelegenheit von
Wielands Oberon brauchst du das Wort _Talent_ als wenn es der Gegensatz
von Genie wäre, wo nicht gar, doch wenigstens etwas sehr subordinirtes;
wir sollten aber bedenken, daß das eigentliche Talent nichts sein kann
als die Sprache des Genies. Ich will nicht schikaniren, denn ich weiß
wohl, was du im Durchschnitt damit sagen willst, und zupfe dich nur beym
Ermel. Denn wir sind oft gar zu freigebig mit allgemeinen Worten, und
schneiden, wenn wir ein Buch gelesen haben, das uns von Seite zu Seite
Freude gemacht, und aller Ehren werth vorgekommen ist, endlich gern mit
der Scheere so grade durch, wie durch einen weisen Bogen Papier. Denn
wenn ich ein solches Werk auch bloß als ein Schnitzbildgen ansehe, so
wird doch der feinsten Scheere unmöglich, alle kleinen Formenzüge und
Linien, worinn der Werth liegt, heraus zu sondern. Es ist nachher noch
eins, was man nicht leicht an so einem Werke schäzt, weil es so selten
ist; daß nemlich der Autor nichts hat machen wollen und gemacht hat als
was eben da steht. Für das Gefühl, die Kunst und Feinheit so vieles
wegzulassen gebührt ihm freilich der größte Dank, den ihm aber auch nur
der Künstler und Mitgenosse giebt.
Was deine dickhirnschaaligen Wissenschaftsgenossen in Zürich betrift und
was sie von Menschen die unter einem anderen Himmel gebohren sind,
reden, bitt ich dich, ia nicht zu achten. Die größten Menschen die ich
gekannt habe, und die Himmel und Erde vor ihrem Blick frei hatten, waren
demüthig und wußten, was sie Stufenweis zu schäzen hatten. Solches
Kandidaten und Klostergesindel ziert allein der Hochmuth. Man lasse sie
in der Schellenkappe ihres Eigendünkels sich ein wechselseitiges Conzert
vorrasseln. Unter dem republikanischen Druck und in der Atmosphäre
durchschmauchter Wochenschriften und gelehrter Zeitungen würde ieder
vernünftiger Mensch auf der Stelle toll. Nur die Einbildung,
Beschränkung und Albernheit erhält solche Menschen gesund und behaglich.
G.
Sage Kaysern, daß ich indeß auf 12 Exemplare subscribire. Grüse B.


26.

Weimar den 8. August 1780.
Die Kiste ist wirklich angekommen, und ich finde den Riß sehr schön und
gut. Er ist just nicht wohlfeil, aber der Preis ist so ungeheuer nicht,
wie du ihn machst. Deswegen wirst du künftig hin so gut sein und immer
gleich schreiben, was eine Sache kostet, damit man nicht inzwischen
denke es gelte Haut und Haar. Nun aber bitte ich dich, denn es fehlt
noch die Hauptsache, der Proceß wie es gemacht wird, wie viel Zeit man
braucht, wie viel Leute dabey angestellt sind u. s. w.
Mit grosem Verlangen sehe ich dem Waserischen Ende entgegen, nimm dich
zusammen so bald möglich, und schick mirs.
Unter den neuen Kupfern die du geschickt hast waren vier bis fünf
Albrecht Dürers die du noch nicht besasest, und einige bessere Abdrücke,
ich hab sie schon eingeordnet, und du erhältst sie nächstens. Der
Holzschnitte sind noch zu wenig. Unterdeß habe ich auch von Martin Schön
und Luckas von Leiden sehr gute Sachen die dein gehören, diese sollen
nach und nach auch zierlich zusammengebracht werden, und folgen.
Ferner schicke ich dir mit der fahrenden Post das Manuskript das der
alte Bodmer verlangt hat; der Herzog hat sich dafür bey dem Herzog von
Gotha verbürgt, und es kommt ihm hauptsächlich darauf an daß du eine
Sicherheit zu erhalten suchst, das Buch wenn der Alte stirbt ohne
Umstände aus dem Nachlasse heraus nehmen zu können. Ueberleg es, und
händige es ihm nicht anders als gegen einen Schein aus.
Knebeln ist es im Ursern Thale ganz wohl geworden, ich glaube er blieb
drey Tage drinn.
Mit dem zweyten Portrait des Herzogs ist es wieder ein Unglück; man
verkauft doch sonst die grosen Herrn in den schändlichsten Karikaturen.
Das Unglück bey diesem ist aber, daß es mit Geist in eine ganz fremdes
Wesen übergetragen ist. Die ganze Welt wünscht nichts mehr als ein Bild
vom Herrn, und wenn ich diese iemand anbiete, so ist als wenn sie Brod
verlangten, und ich gäb Ihnen einen Stein.
Schreibe mir was vom Befinden deiner Frau. Adieu Lieber!
G.


27.

Ostheim vor d. Rhön, August 1780.
Erst heute erhalte ich deine Briefe vom 2ten und 9ten dieses Monats, wir
sind in einigen entfernten Aemtern gewesen des Fürstenthums Isenach, und
sahen verschiedene neue, gute und nüzliche Veranstaltungen in der Nähe,
die seit vergangenem Frühjahr im Werck sind.
Das Tagewerck das mir aufgetragen ist, das mir täglich leichter und
schwerer wird, erfordert wachend und träumend meine Gegenwart, diese
Pflicht wird mir täglich theurer, und darinn wünscht ich's den größten
Menschen gleich zu thun, und in nichts _größerm_. Diese Begierde, die
Pyramide meines Daseyns, deren Basis mir angegeben und gegründet ist, so
hoch als möglich in die Luft zu spizzen, überwigt alles andere, und läßt
kaum augenblickliches Vergessen zu. Ich darf mich nicht säumen, ich bin
schon weit in den Jahren vor, und vielleicht bricht mich das Schicksaal
in der Mitte, und der Babylonische Thurm bleibt stumpf unvollendet.
Wenigstens soll man sagen es war kühn entworfen, und wenn ich lebe,
sollen wills Gott die Kräffte bis hinauf reichen.
Auch thut der Talismann einer schönen Liebe womit die St. mein Leben
würzt sehr viel. Sie hat meine Mutter, Schwester, und Geliebten nach und
nach geerbt, und es hat sich ein Band geflochten wie die Bande der Natur
sind.
Adieu Liebster, bleibe mir nah im Geist. Mit den Dürers die langsam
gehen, kommen Blumen und Kräuterbüschel die ich am Weg sammle. Laß sie
nur wenige sehen, und nur keinen prätendirenden Schriftsteller, die
Buben haben mich von ieher _aus_ und _nach_geschrieben, und meine Manier
vor dem Publiko lächerlich und stinckend gemacht.
Schicke mir was dich däucht.
Auf deine Offenbarung wart ich, deine Veränderungen sollen mir
Unterhaltung mit dir und ein Studium ächter Kritik seyn.
Herder fährt fort sich und andern das Leben sauer zu machen.
Der Herzog ist sehr gut und brav. Wenn ich nur noch einigen Raum für ihn
von den Göttern erhalten kann. Die Fesseln an denen uns die Geister
führen, liegen ihm an einigen Gliedern gar zu enge an, da er an andern
die schönste Freiheit hat.
Seitdem ich keine Phisiognomische Prätension mehr mache, wird mein Sinn
sehr scharf und lieblich, ich weiß fast in der ersten Minute wie ich mit
den Leuten dran bin.
Im Phisiognomischen sind mir einige Hauptpunkte deutlich geworden, die
dir wohl längst nichts neues sind, mir aber von Wichtigkeit wegen der
Folgen.
Hab ich dir das Wort
^Individuum est ineffabile^
Woraus ich eine Welt ableite, schon geschrieben?
Wegen des Bodm. Manuscripts ist es gut. Grüße B. und deine Frau.
G.


28.

Bestelle beyliegenden Brief an Knebeln sorgfältig, es ist Geldswerth
drinn. Ich bin dir immer nah und mir ists wohler daß du uns näher und
näher geworden bist.
Brankoni ist so artig gewesen und ist auf ihrem Rückweg über Weimar
gegangen. Ich habe sie anderthalb Tage bewirthet, und herum geführt, u.
s. w. Sie ist liebenswürdig wie immer, und grüßt dich herzlich.
Wie ist die Gesundheit deiner Frau? Leb wohl und schreib mir bald, es
sey was es wolle. Grüs alles. Adieu lieber Mensch!
W. an meinem 31. Geburtstag,
den 25. Aug. 80.
G.


29.

Deine Schrift über Wasern ist nunmehro ganz bey mir angekommen, und ich
danke dir in meinem und in vieler Menschen Namen daß du dir diese Mühe
geben wollen. Es ist ein Meisterstück von Geschichte und ich darf dir
wohl sagen, daß du, als Mensch, Bürger und Schriftsteller mich mehr
dabey interessirt hast, als der Held selbst. Ich meine noch nie soviel
Wahrheit der Handlung, solchen psychologischen und politischen Gang ohne
Abstraktion beysammen gesehen zu haben; und eins von den größten
Kunststücken, das dich aber die Natur und der Ernst bey der Sache
gelehrt hat, ist iene anscheinende Unparteylichkeit, die sogar widrige
Fakta mit der größten Naiveté erzählt, iedem seine Meinung und sein
Urteil frey zu lassen scheint, da sich doch am Ende jeder gezwungen
fühlt, der Meinung des Erzählers zu seyn. Du hast in allem Sinne sehr
wohl gethan in dieser Sache auch ein Wort mit zu reden, es ist ein schön
Monument für die Nachkommenschaft und dein Vaterland hat dafür Dank zu
sagen. Was das große Publikum betrift, so hätte es um dessentwillen
weniger bedurft, alle honnette Leute, die außerordentlich _für_ Wasern
portirt sind, haben gleich _kreuzige!_ geschrien, so bald ich ihnen
versicherte, er habe noch neben her _gestohlen_ und _falsche
Obligationen_ gemacht, auf dieses hat man ihn ohne weiters dem Henker
übergeben und die Herren von Zürich völlig _entschuldiget_ und so thu'
ich deinen Willen indem ich den Besten das Manuscript vorlese, und den
andern einen Auszug erzähle, der nach ihrem Sinne ist. Ueber den
Menschen selbst ist nichts zu sagen. Ich wenigstens habe mit der
Beschreibung davon genug, und ergötze mich am Anschauen desselben wie an
der Beschreibung und Abbildung eines andern Meerwunders ohne ihn
klassifiziren oder drüber pragmatisiren zu wollen. Schlözer spielt eine
scheußliche Figur im Roman, und ich erlaube mir eine herzliche
Schadenfreude, weil doch sein ganzer Briefwechsel die Unternehmung eines
schlechten Menschen ist.
Ich danke dir für den Thomas Morus, er ist ganz vortrefflich gezeichnet.
Wollte Gott Lips hätte bey seinem schönen Talent auch einen solchen Sinn
an der Natur. Meine Iphigenie mag ich nicht gern, wie sie jezo ist,
mehrmals abschreiben lassen, und unter die Leute geben, weil ich
beschäftigt bin, ihr noch mehr Harmonie im Stil zu verschaffen und also
hier und da dran ändere. Sei so gut und sag das denenienigen zur
Entschuldigung, die eine Abschrift davon verlangten. Ich habe es schon
öfters abgeschlagen.
Lebe wohl lieber Mensch und fahre fort mit uns zu leben. Knebel ist
angekommen, und hat dich wieder recht lebhaft zu uns gebracht. Adieu.
Schreib mir auch einmahl wieder einen ausführlichen Brief.
d. 13. Oktbr. 80.
G.
Eben erhalt ich deinen Brief vom 30. 7br. Für die Schöne und dich ist
mir's leid daß ihr euch nicht gesehen habt. Es ist eine schöne Sache ums
sehn. Wollte Gott ich wäre dir die Hälfte näher und könnte alle Jahr
dich einmal acht Tage haben.
Daß du über mich _glauben_ magst ohne zu sehn ist mir sehr lieb. Du
wirst auch wenig sehn. Gewiß auch hast du recht daß der Gedanke im
Menschen das Beste ist von dem Capital, das er doch hat und wie mit
wuchern möchte, um es aufs tausendfältige zu treiben, es entstehe draus
Gewinnst oder Verlust.
Den guten Lands und Hausvater würdest du _näher_, _mehr_ bedauern. Was
da auszustehen ist spricht keine Zunge aus. _Herrschaft_ wird niemand
angebohren, und der sie ererbte, muß sie so bitter gewinnen als der
Eroberer, wenn er sie haben will, und bitterer.
Es versteht dieß kein Mensch der seinen Würkungskreis aus sich
geschaffen und ausgetrieben hat.
Danke für die SilhouettenAuslegung, hier ist wieder eine. Du thust mir
eine Wohlthat, ich schicke dir wenn du mir antwortest manchmal solch ein
Gesicht. Ich hab ohne Bestimmtheit unendlich ähnlich Gefühl zu dem
deinen.


30.

Auch wieder lieber Bruder einige Worte nach dem A. B. C.
a) Die Kupfer die noch hier sind, wäre mir lieb wenn du sie dem Herzog
überliesest, er sammlet iezt und hat schöne Freude und Sinn dran. Für
dich sind unter der ganzen Menge höchstens ein halb Duzzend Lukas von
Leyden schäzbaar. Dagegen will ich dir die Albrecht Dürer was mir in die
Hände kommt ausantworten.
b) Gott seegne dich für deine Freude an meiner Künsteley. Ich kanns
nicht lassen ich muß immer bildeln.
c) Deine Waserische Geschichte gehört eben recht dir, weil sie so aus
Noth dem innersten entrissen ist.
d) Lies doch wo du Zeit findest das Diarium der Revolution in Neapel
durch Masaniello; wenn du es noch nicht kennst. Dir gewiß wie mir
unschäzbar.
e) Das von Herdern kenn ich nicht.
f) Hast du denn selbst eine Iphigenie?
g) Laß mir wo möglich durch Bäben ein näher Wort sagen wie dir ist. L.
Br. laß uns immer näher zusammenrücken. Die Zeit kommt doch bald wo wir
zerstreut werden, in die Elemente zurückkehren aus denen wir genommen
sind.
h) Täglich wächst der Herzog und ist mein bester Trost.
i) Was thust du für _Gera_? Du Treiber.
k) Ich sammle neuerdings zur Mineralogie, will mir dein Bruder Docktor
etwas von seinem Ueberfluß zukommen lassen, so macht mirs viel
Vergnügen. Kannst du mir sonst so was ohne viel Umstände verschaffen, so
thus. Es müßte wohl eingepackt nach Frankfurt an meine Mutter mit einem
_Fuhrmann_ geschickt werden, daß das Porto nicht so hoch käme.
l) Dank für die Worte über die Silhouette. Es ist eine edle Seele und
liebt dich wie man lieben kann. Schick mir doch dein Bild für sie, ich
hab ihr meins geborgt.
m) Grüße Frau und Kinder und alles.
n) Schreib mir immer es sey was es wolle.
o) Gieb meine Sachen der Bäben, die weiß womit hin.
Adieu!
_Goethe_.
d. 3. Nov. 80.


31.

1781.
Du hast deinen Husten wieder? wie gehts --
Ich bin auch zeither kranck, meist ohne es zu sagen, daß niemand frage,
und der Credit aufrecht bleibe. Ich halt es offt mit den Zähnen wenn die
Hände versagen. Sonst geht alles recht gut, die Herzoginn giebt uns
Hoffnung zu einem Prinzen, der Herzog wächst schnell, und ist sich sehr
treu.
Ich lade fast zu viel auf mich, und wieder kan ich nicht anders.
Staatssachen sollte der Mensch der drein versezt ist sich ganz wiedmen,
und ich möchte doch so viel anders auch nicht fallen lassen.
Den 19. Febr.
Soweit war ich als dein Brief kam. Du hast den C. gesehen laß mir doch
durch Bäben wenigstens etwas ausführliches sagen, es ist dächt ich der
Mühe werth.
Die lezten Tage der vorigen Woche habe ich im Dienste der Eitelkeit
zugebracht. Man übertäubt mit Maskeraden und glänzenden Erfindungen offt
eigne und fremde Noth. Ich tracktire diese Sachen als Künstler und so
gehts noch. Reime, bey dieser Gelegenheit gemacht, schickt dir
vielleicht Kayser. Wie du die Feste der Gottseligkeit ausschmückst, so
schmück ich die Aufzüge der Thorheit.
Kayser läßt sich gut an, ich hoffe sein Leben hier soll ihn
geschmeidiger machen. Er hat Gelegenheit in seiner Kunst manches zu
sehen und zu hören.
Uebrigens wollte Gott daß wir nicht so weit auseinander wären! Adieu
lieber Bruder antworte mir bald. Grüse Frau und Kinder und Pfenningern.
Bäben schreib und schick ich nächstens, sie soll mir meine Sachen wieder
schicken, es sind die einzigen Abschriften.
G.


32.

Den 18. März 1781.
Die Stille von Sonntagsfrüh will ich benutzen um mich mit dir mein
Lieber zu unterhalten.
Was du mir in dem Brutus schenktest hast du wohl gewußt. Ich danke dir
tausendmal. In der Mäßigkeit und Mittelmäßigkeit des Lebens tritt eine
solche Erscheinung ungeheuer würkend auf. Wir legens aus, daß es der
Moment sey wo er den Geist sieht. Ist's so gemeynt? Deine Auslage ersez
ich mit Freuden.
Auf die überschickten Gemählde wart ich mit Schmerzen, das Grose ist so
selten. Halten wir die Trümmer der Statuen so wehrt, klauben wir sie aus
dem Greuel der Verwüstung und der Restauration so ängstlich hervor,
warum nicht Gemählde.
Es ist mir leid daß dir in meinem didacktischen Briefe etwas mißfallen
hat. Ich habe die Art wenn eine Sache auseinander zu sezzen ist grade
mit dem Schwerdt drein zu gehn, es offt zu scharf, und nicht immer fein
genug zu nehmen. Zu diesem Fehler bekenn ich mich im allgemeinen, ziehe
auch in diesem Falle das ab, und zweifle nicht an meinem Glauben an
_dich Ganzen_.
Du machst mir wohl da du sagst daß du gesund seyst. Erhalt uns Gott
lange auf dieser schönen Welt, und in Kraft ihr zu dienen und sie zu
nutzen. Mit mir stehts auch gut. Besonders innerlich. In weltlichen
Dingen erwerb ich täglich mehr Gewandtheit, und vom Geiste fallen mir
täglich Schuppen und Nebel daß ich denke er müßte zulezt ganz nackend
dastehn, und doch bleiben ihm noch Hüllen genug.
Die Mannssilhouette will mir verständig, wohl einsehend, fest, fein, und
kältlich scheinen. Sag mir mehr und recktifizire, fern von dir und
deinem Einfluß lern ich täglich zurück.
Calliostro ist immer ein merkwürdiger Mensch. Und doch Stock Narr mit
Kraft, und Lump so nah verwandt. Ich darf nichts drüber fragen. Ich bin
über diesen Fleck unbeweglich. Doch lassen solche Menschen Seiten der
Menschheit sehen, die im gemeinen Gange unbemerkt blieben.
Daß du meiner mit Br. im Guten gedacht hast erfreut mich. Das gewisse
Andenken guter Menschen hat einen grösern Einfluß auf unser Leben,
Charackter und Schicksaal als man sonst den Sternen zuschreibt.
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