Briefe von Goethe an Lavater aus den Jahren 1774 bis 1783 - 1

Total number of words is 3969
Total number of unique words is 1492
38.7 of words are in the 2000 most common words
49.7 of words are in the 5000 most common words
55.3 of words are in the 8000 most common words
Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
Briefe
von
Goethe
an
Lavater.

Aus den Jahren 1774 bis 1783.
Herausgegeben
von
Heinrich Hirzel.
Nebst einem Anhange und zwei Facsimile.
Leipzig,
Weidmann'sche Buchhandlung.
1833.


Vorwort.

Die nachfolgenden Briefe von Goethe an Lavater wurden dem Herausgeber
von Freunden in Zürich, welche nicht genannt seyn wollten, zur
öffentlichen Mittheilung anvertraut. Ebendenselben verdankte er die
chronologische Anordnung der Briefe, denen häufig das Datum, wenigstens
die Jahrszahl fehlt. Nur ihrer umsichtigen und unverdrossenen Bemühung
konnte es gelingen, durch Nachsuchen und Vergleichen mit Papieren, die
außer ihnen niemanden zugänglich waren, diesem Uebelstand großen Theils
abzuhelfen.
Wie die Briefe hier gedruckt vorliegen, so sind sie geschrieben. Selbst
Orthographie und Interpunction sind fast unverändert beibehalten worden.
Nur sehr wenige, auf reine Familien-Angelegenheiten sich beziehende
Stellen, deren Mittheilung nicht das geringste Interesse für das größere
Publikum haben konnte, mußten aus Rücksichten für Lebende zurück
gehalten werden.
Uebrigens ist der Brief, mit welchem die Sammlung schließt, zwar der
letzte der vorhandenen, aber keinesweges der letzte, den Lavater von
Goethe empfangen hatte. Gleicherweise mögen den zwei ersten Briefen noch
mehrere vorangegangen seyn. Aber auch diese haben sich bis jetzt nicht
auffinden lassen.
Die Verlagshandlung wird für den beigefügten Anhang keiner
Entschuldigung bedürfen. Ohne Zweifel gehört der erste Brief zu den
ältesten handschriftlichen Denkmalen von Goethe. Später, während die
Physiognomik gedruckt wurde, stand Goethe mit Reich fortwährend in
Briefwechsel. Bloß zum Zeugniß dieser lebendigen Theilnahme an der
Physiognomik sind aus der ansehnlichen Zahl einige Briefe hier
abgedruckt worden.
Ueber alles Dieses und noch viel Anderes, worüber die Freunde Goethe's
und Lavaters nach Lesung dieses Büchleins Aufschluß verlangen möchten,
gedachte der Herausgeber in seinem Vorwort zu berichten. Aber der Tod
überraschte ihn während des Druckes der Briefe. Er starb in Zürich im
Februar dieses Jahres, im 66sten Jahr seines Alters, schmerzlich beweint
und vermißt von Allen, denen das Glück seines Umgangs zu Theil ward. Er
war der Verfasser der in 3 Auflagen erschienenen »Eugenia's Briefe«.
Die Herausgabe dieser Goethe'schen Briefe hat seine letzten Stunden
beschäftigt, und gewiß werden die Freunde Goethe's dieselbe als ein
Verdienst um die deutsche Literatur betrachten.
Die Verlagshandlung.
Briefe
Goethe's
an
Lavater.


1.

An Lavatern.[1]
Bruder, was neckst du mich wegen meines ^Amusements^. Ich wollt ich hätt
eine höhere Idee von mir und meiner Bestimmung, so wollt ich weder meine
Handlungen ^Amusements^ nennen, noch mich statt zu handeln amüsiren.
Doch du hast deinen Zweck erreicht.
An Pfenninger.
Danke dir lieber Bruder für deine Wärme um deines Bruders Seeligkeit.
Glaube mir es wird die Zeit kommen da wir uns verstehen werden. Lieber
Du redest mit mir als einem Unglaubigen, der begreifen will, der
bewiesen haben will, der nicht erfahren hat. Und von all dem ist gerade
das Gegentheil in meinem Herzen. Du wirst viel Erläuterung finden in dem
Msbt. das ich Euch bald schicke. Bin ich nicht resignirter im Begreifen
und Beweisen als ihr? Hab ich nicht eben das erfahren als ihr? -- Ich
bin vielleicht ein Tohr dass ich euch nicht den Gefallen thue mich mit
euern Worten auszudrücken, und daß ich nicht einmahl durch eine reine
Experimental Psychologie meines Innersten, euch darlege daß ich ein
Mensch bin und daher nichts anders sentiren kann als andre Menschen, daß
das alles was unter uns Widerspruch scheint nur Wortstreit ist der
daraus entsteht weil ich die Sachen unter andern Combinationen sentire
und drum ihre Relativität ausdrückend, sie anders benennen muß. Welches
aller Controversien Quelle ewig war und bleiben wird.
[Fußnote 1: Diese Zeilen fallen, gleichwie der nächstfolgende, an
Lavaters Seelenfreund, den Diakon Pfenninger gerichtete Brief, obschon
ohne Datum, in die Zeit _vor_ Lavaters Abreise nach Frankfurt. Diese
fand Statt am 12. Juni 1774. Man sehe Goethes Werke 26r. Bd. S. 266, von
den Worten an: »Unser erstes Begegnen war herzlich, u. s. w.«
A. d. H. ]
Und daß du mich immer mit Zeugnissen packen willst! Wozu die? Brauch ich
Zeugniß daß ich bin? Zeugniß daß ich fühle? -- Nur so schäz, lieb, bet
ich die Zeugnisse an, die mir darlegen, wie tausende oder einer vor mir
eben das gefühlt haben, das mich kräftiget und stärket.
Und so ist das Wort der Menschen mir Wort Gottes es mögens Pfaffen oder
Huren gesammelt und zum Canon gerollt oder als Fragmente hingestreut
haben. Und mit inniger Seele fall ich dem Bruder um den Hals. Moses!
Prophet! Evangelist! Apostel, Spinoza oder Machiavell. Darf aber auch zu
iedem sagen, lieber Freund geht dirs doch wie mir! Im einzelnen sentirst
du kräfftig und herrlich, das Ganze ging in euern Kopf so wenig als in
meinen.


2.

An Lavatern.
Dein Schwager bringt dir nichts. Doch will ich verschaffen daß ein Mspt.
dir zugeschickt werde. Denn bis zum Druck währts eine Weile. Du wirst
grosen Teil nehmen an den Leiden des lieben Jungen den ich darstelle.
Wir gingen neben einander, an die sechs Jahre ohne uns zu nähern. Und
nun hab ich seiner Geschichte meine Empfindungen geliehen und so machts
ein wunderbares Ganze.
Da schick ich dir ein Profil. Der Kerl (sagt man) war Steuermann, hat in
der Sklaverey zu Tunis viel ausgestanden, und zieht nun in der Welt
herum Mitleiden zu erregen. Ich hab ihn nach dem Leben gezeichnet. Das
ist nur indeß flüchtige Copie davon, das Original drückt besser den
Eigensinn im Leiden, und das niedergedrückte einer starken Menschheit
aus. Du sollsts auch haben.
Die Stirn Höhe ist übertrieben. Oder vielmehr sas er zu Zeiten mehr als
Profil, da wölbte es sich so stark. Adieu Bruder ich bin nicht laß, so
lang ich auf der Erde bin erobre ich wenigstens gewiß meinen Schritt
Lands täglich! Steiner hat gefunden daß mein Portrait das du hast nicht
ich sey. Er ist ein gar lieber Mann.
Am 26. Apr. 1774.


3.

Zimmermann ist fort, und ich bin bis zehn Uhr im Bette liegen blieben um
einen Catharr auszubrüten, mehr aber um die Empfindung häuslicher
Innigkeit wieder in mir zu beleben, die das gottlose Geschwärme der Tage
her ganz zerflittert hatte. Vater und Mutter sind vors Bett gekommen, es
ward vertraulich diskurirt, ich hab meinen Thee getrunken und so ists
besser. Ich hab wieder ein Wohngefühl in meinen vier Wänden, wie lange
es währt.
Z. und ich waren trefflich zusammen -- du stellst dirs vor. Und hätte
dir vieles zu sagen. Sein Betragen gegen dich bleibt besser
unentschuldigt, es ist besser daß einem so was unerklärlich bleibt --
ich habe ihn sehr darüber gepeinigt, ob er gleich mit einer ^Captat.
benev.^ die Geschichte anfieng. Seine Tochter ist so in sich, nicht
verriegelt, nur zurückgetreten ist sie, und hat die Thüre leis
angelehnt. Es würde sie ein leise lispelnder Liebhaber eher als ein
pochender Vater öffnen. Es that ihm sehr weh dich so geängstet zu haben,
und du Guter es wird dir nicht das Leztemal so gegangen seyn.
^C'est le Sort d'un Amour extreme^
^De faire toujours des Ingrats.^
Mir wird ie länger ie mehr das Treiben der Welt und der Herzen
unerklärlich. Einzelne Züge die sich überall gleichen, und doch nie
daran zu denken daß der große menschliche Kopf ein Ganzes der Menschen
Wirthschafft übersehen werde.
Hab gestern ein Bisgen über die vier Wahnsinnigen und Brutus geklimpert.
Bruder wie schwer ists das todte Kupfer zu beleben, wo der Charackter
durch mißverstandene Striche nur durchschimmert, und man immer schwankt
warum das _was_ bedeutet und doch _nichts_ bedeutet. Beym Leben wie
anders!
Es giebt der Zerstreuungen die Menge. Der Herzog von Weimar ist hier,
wird nun bald Louisen davon tragen. Könntest mir nicht einen
Storchschnabel senden. Grüs Bäben, sie soll mir doch etwas über sich und
dich schreiben!
Ich bin seit 14. Tagen ganz im Schauen der grosen Welt!
Juny 1775.
G.


4.

Lieber Bruder, Louisens Portrait das ich für dich in Händen habe, sollst
ehestens erhalten. Ich hab ihr geschrieben. Das Gedicht an sie, ist das
Beste was du je gemacht hast.
Gott segne deinen Buben, dein Weib und alles. Mein Vater macht ihr eine
Galanterie in die Wochen, nehmts freundlich auf.
Schick mir doch auch ehestens was für die Physiogn. Ich sizze in
Ofenbach, wo freilich Lilli ist. Ich hab sie von dir gegrüst. Ich
schicke dir ehestens ihre Silhouette weiblich. Mach ihr etwas in Versen
das sie im Guten stärcke und erhalte. Du kannst Guts thun, und du
willst.
Den 14. August.
Gestern waren wir ausgeritten. Lilli, Dorwille und ich. Du hättest den
Engel im Reitkleide zu Pferde sehen sollen! In Oberrad wartete die
übrige Gesellschaft auf uns, und ein Gewitter trieb die alte Fürstinn
von Waldeck mit ihren Töchtern der Herzogin von Curland, und der
Fürstinn von U. in unser Haus und Saal. Da sie mich erkannten, wurde
gleich viel nach dir gefragt, und die alte Fürstinn hat mit solcher
Wahrheit und Wärme von dir geredt daß mirs wohl wurde. Sie sagte, wenn
ihm heute nicht die Ohren klingeln, so halte ich nicht viel auf seine
Ahnungskrafft, an uns liegt die Schuld nicht. Sie läßt dich herzlich
grüßen.
Lilli grüst dich auch! --
Und mir wird Gott gnädig seyn. B., ich bin eine Zeit her wieder fromm,
habe meine Lust an dem Herrn, und sing ihm Psalmen von denen du ehestens
eine Schwingung erhalten sollst.
Ade.
Ich bin _sehr aufgespannt_, fast zu sagen
_über_
doch wollt ich du wärest mit mir, denn da ist wohl seyn in meiner
Nachbaarschafft.
Schreibe doch du auf was du wolltest daß ich für dich sähe, wenn ich
nach Italien gieng.
im July 1775.
G.


5.

1775.
Freitag den 21. Dez. Nach einem herrlichen Wintertag, den ich meist in
freyer Luft Morgens mit dem Herzog, Nachmittag mit Wielanden zugebracht
habe, ziemlich müd und ausgelüfftet von der Eisfahrt, siz ich bey W. und
will sehen was ich an dich zusammen stopple über die mir geschickten
Cap. der Phis: -- kurz genug und wills Gott bündig und treffend, das ist
alles. Denn Ausspinnens ist jezt nicht Zeit, der ich in verbreiteter
Wirthschafft, und Zerstreuung von Morgens zu Nacht umgetrieben werde.
Wieland hat mir seine Gefühle gegeben, und so wird alles gut werden. Ich
geh auch wohl nach Leipzig, hast du nun da was so schreibe bey Zeiten
und laß michs ausrichten.
Weiter braucht der Herzog einen Generalsuperintendenten. Er fragte mich
drum, ich nannt ihm Herdern. Der wie du vielleicht weißt noch nicht
_ganz gewiß_ nach Göttingen geht. Der Herzog trug mir auf dich zu
fragen: wen du vorschlügst? sag mir also ein Wort hierüber, und wen du
sonst in Ermangelung Herders vorschlagen könntest.
Ich bin hier wie unter den Meinigen, und der Herzog wird mir täglich
werther, und wir einander täglich verbundener.
Grüs mir alles! Von Paßavant hab ich liebe Briefe. Auch von Zimmermann,
der mir deinen guten Muth meldet.
Morgen geh ich über Jena nach Waldeck, wilde Gegenden und einfache
Menschen aufzusuchen. Addio. Mir geht alles nach Herzenswunsch, auch Dir
geh es so.
G.
Bäben kann sich auch wieder einmal erheben mir zu schreiben. Grüs dein
Weib. Sey mir nicht gar zu Lakonisch.


6.

Wie du missest soll dir wieder gemessen werden, sey wegen der Phis.
ausser Sorgen. Ich bin noch in Türingen, immer höchstens anderthalb
Tagreisen von Leipzig. Will schon machen und leiten. Wieland erkennt
dich. Ich bin dein. Thomasele mir nicht. Ich lerne täglich mehr steuern
auf der Woge der Menschheit. Bin tief in der See.
Erfurt d. letzten des Jahrs 75.
G.


7.

Lieber Br. sey nur ruhig um mich, und ermatte dich nicht Müdling ohne
Noth, ich hab all deine Phisiognomik. Aber der 2 Theil wird zuviel
stärker, wie ich's iezt überlege, und will drum mit Reichen reden daß
das auch gut werde.[2] Verlaß dich -- Ich bin nun ganz eingeschifft auf
der Woge der Welt -- voll entschlossen: zu entdecken, gewinnen,
streiten, scheitern, oder mich mit aller Ladung in die Luft zu sprengen.
Aber laß mich von dir hören! es ist nicht genug daß du mich liebst. Ob
das gleich alles ist, auch durch ^Amanuenses^ ist schon gut.
d. 6. März 76. Weimar.
G.
[Fußnote 2: Siehe den Anhang.]


8.

Weil ihr lieb wart und habt mir gleich geschrieben, so auch von mir hier
eine Ejakulation die ihr freundlich mögt aufnehmen.
Lieber Bruder daß du nicht willst Ständigkeit kriegen, nicht kannst
kriegen, ängstigt mich manchmal wenn ich ^peccata mundi^ im Stillen
trage. Ich bin nun seit einem Jahr in ganz decidirten moralisch
politischen Augenblickes-Verhältnissen und mein Herz das mir so treu und
du -- Nun es soll so seyn -- über C... und L... sey ruhig, wo die Götter
nicht ihr Possenspiel mit den Menschen treiben, sollen sie doch noch
eins der glücklichsten Paare werden wie sie eines der besten sind,
nichts menschliches steht dazwischen, nur des unbegreifflichen
Schicksaals verehrliche Gerichte. Wenn ich dir erscheinen und dir
erzählen könnte was unschreibbar ist, du würdest auf dein Angesicht
fallen und anbeten den der da ist, da war und seyn wird. Aber glaub an
mich, der ich an den Ewigen glaube. Grüß alles und Kaysern. Lenz ist
unter uns wie ein krankes Kind, und Klinger wie ein Splitter im Fleisch,
er schwürt, und wird sich herausschwüren leider.
d. 16. Sept. 76.
G.
Schick mir zeitig etwas zum dritten Theil. Gern sollst du haben was ich
geben kann, in der unendlich beweglichen Welt in der ich lebe tausend
Beobachtungen! und in einem guten Augenblick schöpf ich dir die Butter
ab! -- &c. -- Valleney auch nicht! -- Genug was ich kann! -- --
Allwills Briefe sind von Frch. Jakobi -- nicht von mir. --
Taglang Nachtlang stand mein Schiff befrachtet.
Günstger Winde harrend sas mit treuen Freunden
Mir Geduld und guten Muth erzechend
Ich im Hafen.
Und sie wurden mit mir ungeduldig:
Gerne gönnen wir die schnellste Reise
Gern die hohe Fahrt dir. Güter-Fülle
wartet drüben in den Welten deiner,
Wird rükkehrendem in unsern Armen
Lieb und Preis dir.
Und am frühen Morgen wards Getümmel
und dem Schlaf entiauchzt uns der Matrose;
Alles wimmelt alles lebet webet,
Mit dem ersten Seegenshauch zu schiffen.
Und die Segel blühen in dem Hauche.
Und die Sonne lokt mit Feuerliebe.
Ziehn die Segel, ziehn die hohen Wolken.
Jauchzen an dem Ufer alle Freunde
Hofnungslieder nach im Freudetaumel,
Reisefreude wähnend wie des Einschiffmorgens
Wie der ersten hohen Sternennächte.
Aber Gottgesandte Wechselwinde treiben
Seitwärts ihn der vorgestekten Fahrt ab,
Und er scheint sich ihnen hinzugeben,
Strebet leise sie zu überlisten
Treu dem Zwek auch auf dem schiefen Weege.
Aber aus der dumpfen grauen Ferne
Kündet leisewandelnd sich der Sturm an,
Drükt die Vögel nieder aufs Gewäßer
Drükt der Menschen schwellend Herze nieder.
Und er kommt. Vor seinem starren Wüthen
Streicht der Schiffer weis die Segel nieder.
Mit dem angsterfüllten Balle spielen
Wind und Wellen.
Und an ienem Ufer drüben stehen
Freund und Lieben, beben auf dem Festen:
Ach warum ist er nicht hier geblieben!
Ach der Sturm! Verschlagen weg vom Glüke!
Soll der Gute so zu Grunde gehen!
Ach er sollte! Ach er könnte! Götter!
Doch er stehet mannlich an dem Steuer.
Mit dem Schiffe spielen Wind und Wellen;
Wind und Wellen nicht mit seinem Herzen.
Herrschend blikt er in die grimme Tiefe
Und vertrauet landend oder scheiternd
Seinen Göttern.
Den 11. Sept. 76.
G.


9.

Deinen Abraham erwart ich freundlich. Weiß zwar kein Wort wie _ich_ ihn
hätte dramatisiren dörfen, doch will ich deiner Poesey gern förderlich
und dienstlich seyn.
Ueber die Platten hab ich nur so was hingeworfen, damit der Band fertig
werde. Wenn du mich nur anbläsest, denn ich sage dir, was du von mir
begehrest, dazu sieh _bald_.
Gestern tief in dem Getreibe der Meßgeleits-Zeremonien, fiel mir
Ariostens Wort vom Pöbel ein: _Werth des Todes vor der Geburt._
Hättest du mir Neuton geschickt -- der wäre gesät und geerndtet worden.
Du mußt mich kennen lernen wenn du mich brauchen willst, du bist zwar
dadrinnen sonst ein feiner Schelm, aber ich will dichs noch weiter
lehren.
Pestaluz hat mir seine Ankunft melden lassen.
* * * * *
Deinen Abraham hab ich nun. Deinet will ihn drucken, und ich will thun
dran wie mirs um's Herz ist, bin ich doch nicht weder in Abrahams Fall
noch Isaacks -- das Stück wird gute weite Wirkung thun. Will auch einen
Würzruch drein dämpfen hier und da meines Fäßleins, denk ich.
Pestaluz war sehr gut. Ich sagt ihm gleich ich wünschte du kenntest
deine Landsleute besser und sie dich besser -- -- Er redete ganz _für_
dich -- ohne _aber_. Gott geb aus einem feinen Herzen.
1776.
G.


10.

Ich habe zwey Pakete von dir erhalten, dazwischen eine Lücke war; sieh
nach. In meinem iezigen Leben weichen alle entfernten Freunde in Nebel,
es mag so lang währen als es will, so hab ich doch ein Musterstückgen
des bunten Treibens der Welt recht herzlich mitgenossen. Verdruß,
Hoffnung, Liebe, Arbeit, Noth, Abentheuer, Langeweile, Haß,
Albernheiten, Thorheit, Freude, Erwartetes und Unversehnes, Flaches und
Tiefes, wie die Würffel fallen, mit Festen, Tänzen, Schellen, Seide und
Flitter ausstaffirt; es ist eine treffliche Wirthschaft. Und bey dem
allem l. Br., Gott sey Dank, in mir und in meinen wahren Endzwecken ganz
glücklich. Ich habe keine Wünsche als die ich wirklich mit schönem
Wanderschritt mir entgegen kommen sehe.
Es ist dein Schicksal daß ich an dir diese Freude nicht erleben soll.
Leb wohl, grüs alles.
Vor Weimar im Garten
d. 8. Jan. 77.
G.


Lied
des Phisiognomischen Zeichners.

O daß die innre Schöpfungskrafft
Durch meinen Sinn erschölle!
Daß eine Bildung voller Safft
Aus meinen Fingern quölle!
Ich zittre nur, ich stottre nur,
Ich kann es doch nicht lassen;
Ich fühl, ich kenne dich, Natur,
Und so muß ich dich fassen.
* * * * *
Wenn ich bedenk wie manches Jahr
Sich schon mein Sinn erschliesset,
Wie er, wo dürre Haide war,
Jezt Freudenquell geniesset;
Da ahnd ich ganz Natur nach dir,
Dich frey und lieb zu fühlen,
Ein lustger Springbrunn wirst du mir
Aus tausend Röhren spielen;
Wirst alle deine Kräfte mir
In meinem Sinn erheitern,
Und dieses enge Daseyn hier
Zur Ewigkeit erweitern.
G.


11.

Da hast du von dem herrlichen Lindau einige Blätter. Zimmerm. schreibt
mir er sey todt, ich glaube kein Wort davon. Deine Phis. geht immer
richtig durch meine Hände, ich kann nichts dafür thun als hie und da
ausstreichen. Bey Raphael hab ich einen grosen Schnitt gemacht und mir
selbst von einem Tag zum andern versprochen den Riß wieder auszufüllen,
es ging aber nicht.
Ich lebe ganz glücklich in anhaltendem Reiben und Treiben des Lebens,
und bin stiller in mir, als ie, schreibe niemanden, höre von niemanden,
mich kümmert außer meinem Kreis nun gar nichts.
Kaufm. ist wieder da, ich hab ihn nur einen Blick gesehn, er sitzt bey
Lyndern auf dem Gute.
Linnaeus Petern erwart ich mit dem Frühjahr, ich will sehn obs glückt
was ich mit ihm vorhabe. Herder ist wohl und vergnügt.
Leb wohl, grüs dein Weibele, Buben und Kaysern.
W. d. 19. Febr. 77.
G.
Nachts in meinem Garten, in einem warmen Stübgen, da mir draußen über
Schnee und hellen Mondenschein, Waldhörner übers Thal herüber blasen.


12.

Da schicke ich dir Briefe von Peter Baumgartner die du weiter spediren
sollst. Mich machts lachen, daß er zum Anfang einen Spiesruthen lauffen,
und einen ausprügeln sieht, das er, wie er sagt, nicht wieder sehen mag.
Der Junge ist nun mein, und wenn ichs recht kann, so soll er, wenn ich
die Augen zuthue, oder ihn verlasse, oder er mich, von niemandem
abhängen, weil er von allem abzuhängen fühlen muß. Adio man sagt immer
was Dummes wenn man was allgemeines, oder was künftig zu thuendes sagt.
Schreib mir auch ein Wort von Lindaus Vermächtniß für den Buben, ich
denke wir werden kein Kraut damit fett machen.
Schreib mir auch ein Wort von dir. Sag Kayser daß ich ihm das Verlangte
schicken werde. Adio.
Weimar d. 14. August
1777.


13.

Der Jacobis Portrait sind angelangt, ich schick sie dir aber nicht, sie
sind abscheulich. Friz grüßt dich sehnlich, und wird dir von hier aus
schreiben.
Der Herzog hat mir sechs Schädel kommen lassen, habe herrliche
Bemerkungen gemacht, die Ew. Hochwürden zu Diensten stehn, wenn
dieselben sie nicht ohne mich fanden.
Cassir doch, ich bitte dich, die Familientafel von uns, sie ist doch
scheuslich. Du prostituirst dich und uns. Meinen Vater laß ausschneiden,
und brauch ihn als Vignette, der ist gut. Ich bitte dich inständig drum.
Mit meinem Kopf mach auch was du _wit_, nur meine Mutter soll nicht so
dastehn. Hast du noch einige Abdrücke, schick mir sie mit denen um die
ich auf beyliegendem Zettel bitte -- es ist nur der Vater
herauszuschneiden.
Hier Linien von _Fettmilchs_ Kopf. Das Kurz- und starrsinnige drückt
sich auf dem schlechten Kupfer, wovon es genommen ist, noch stärker, hat
auch zugleich etwas Thierisch-niedriges, das der Umriß nicht hat. Was
hältst du von der Idee? wär in Silhouetten herrlich auszuführen. Du
kennst Hogarths Schönheitslinie von der Verzerrung bis zum Leblosen. Der
reine Punkt der Schönheitslinie ist die Linie der _Liebe_, Stärke und
Schwäche stehn ihr zu beyden Seiten. _Liebe_ ist der Punkt wo sie sich
vereinigen. Gieb mir Beyträge dazu, und wir wollen ein herziges
Kapitelgen machen, vielleicht kein ganz unreiner Faden aus dem grosen
Gewebe ausgezogen.
Ich schicke dir hier eine Bouteille Himbeerensafft. Grüs mir Herr
Schmoll.
Der Friede Gottes, der sich täglich mehr an mir offenbaret, walte auch
über dich und die deinigen, und daß dein Glaube unüberwindlich werde.
Sieh hier wieder daß er mich überwindet. Ich hab deinen Brief, und sende
dir sogleich was über Homer. Adieu! Ich will dir einige Sachen zeichnen
und schicken.
1778.


14.

An Herrn Caspar Lavater nach
Zürich.
Thun d. 8. Oktbr. 79.
So nah bin ich bey dir l. Br. wie dir der Ruf schon wird gemeldet haben.
Wir sind im Begriff auf die Gletscher so weit es die Jahrszeit erlaubt
zu gehen. Dann solls noch durch einen Umweg zu dir.
Schreibe mir doch mit umlaufender Post nach Bern in den Falken ein Wort
ob etwa in Bern Lausanne Genf Luzern Zug &c. einige Menschen sind, die
du kennst und die zu kennen mir auch Freude machte, ich will sie
besuchen und von dir grüsen und dir ihre Grüse bringen.
Ja lieber Bruder dich wieder zu sehen, ist einer meiner beständigsten
Wünsche diese vier Jahre her und wird nun auch bald erfüllt.
Ich habe dir viel zu sagen, und viel von dir zu hören, wir wollen
wechselsweis Rechnung von unserm Haushalten ablegen, einander seegnen,
und für die Zukunft stärken, wieder ganz nah zusammenrudern und uns
freuen daß wir noch in einer Luft athemholen. Von dem was ich mitbringe
unterhalt ich dich nicht im Voraus.
Mein Gott dem ich immer treu geblieben bin hat mich reichlich geseegnet
im Geheimen, denn mein Schicksal ist den Menschen ganz verborgen, sie
können nichts davon sehen noch hören. Was sich davon offenbaren läßt,
freu ich mich in dein Herz zu legen. Adieu Bruder. Bisher sind wir
glücklich gereist, bete auch daß uns die himmlischen Wolken günstig
bleiben, und wir an allen Gefahren vorüber gehn.
G.
Sonntag d. 10ten denk ich sollst du diesen Brief haben und Dienstag den
12 könnte nach der Postrechnung ein Brief von dir wieder in Bern seyn.
Auf alle Fälle schreibe so bald du kannst.


15.

Lieber Bruder, deine Leute hier hab ich meist gesehen, Kirchbergern noch
heut Abend spät anderthalb Stunden auf seinem Landhaus gesprochen. Es
ist ein Mann mit dem sich gut reden läßt und ich habe die Zapfen meiner
Gefäse, wie er angeklopft hat, gar freundlich ausgezogen, und mir auch
dagegen von dem seinigen reichen lassen. Auf alles was er gefragt hat,
hab ich ihm in meiner Art geantwortet, und durch Gleichnisse und
Anschlagen wurden wir bald bekannt. Auch hab ich ihm hie und da mehr
gesagt, als er gefragt hat, denn es hängt alles gar hübsch bey ihm
zusammen und er hat für sein Alter und daß er viel für sich durchdacht
hat, eine schöne Gelenksamkeit der Gedanken.
Nun wirds weiter gehn. Verschiedene Packete sollen an dich geschickt
werden, hebe mir sie auf. Wir gehen auf Lausanne und Genv. Bey Neuburg
sind wir schon gewesen und thut mir leid die G*** nicht zu sehen, ich
schick ihr deinen Brief. Wenn du mir was noch zu sagen hast, so schicks
an Toblern den ich gewiß aufsuche. Von Genf hörst du weiter von mir.
Was der treue Cameralische Okulist mit dem Br. Herzog will, versteh ich
außer dem Zusammenhang nicht. Wenn's so ist wie ich vermuthe, mag er's
immer noch ein Paar Jahrhunderte aufschieben, und es soll auch dann
wills Gott nicht passen. Es ist nur seit man den Kazzen weisgemacht hat,
You have read 1 text from German literature.
Next - Briefe von Goethe an Lavater aus den Jahren 1774 bis 1783 - 2
  • Parts
  • Briefe von Goethe an Lavater aus den Jahren 1774 bis 1783 - 1
    Total number of words is 3969
    Total number of unique words is 1492
    38.7 of words are in the 2000 most common words
    49.7 of words are in the 5000 most common words
    55.3 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Briefe von Goethe an Lavater aus den Jahren 1774 bis 1783 - 2
    Total number of words is 4345
    Total number of unique words is 1566
    38.5 of words are in the 2000 most common words
    50.5 of words are in the 5000 most common words
    56.2 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Briefe von Goethe an Lavater aus den Jahren 1774 bis 1783 - 3
    Total number of words is 4253
    Total number of unique words is 1508
    41.0 of words are in the 2000 most common words
    53.9 of words are in the 5000 most common words
    58.7 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Briefe von Goethe an Lavater aus den Jahren 1774 bis 1783 - 4
    Total number of words is 4165
    Total number of unique words is 1457
    41.4 of words are in the 2000 most common words
    52.9 of words are in the 5000 most common words
    58.5 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  • Briefe von Goethe an Lavater aus den Jahren 1774 bis 1783 - 5
    Total number of words is 872
    Total number of unique words is 471
    46.1 of words are in the 2000 most common words
    55.9 of words are in the 5000 most common words
    59.4 of words are in the 8000 most common words
    Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.