Briefe aus der Schweiz - 3

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des Wallis von Berg zu Berg lag bequem anzusehen unter uns; die Rhone
kam, mit ihren mannichfaltigen Krümmen und Buschwerken, bei Dörfern,
Wiesen und angebauten Hügeln vorbeigeflossen; in der Entfernung sah
man die Burg von Sion und die verschiedenen Hügel die sich dahinter zu
erheben anfingen; die letzte Gegend ward wie mit einem
Amphitheaterbogen durch eine Reihe von Schneegebirgen geschlossen, die
wie das übrige Ganze von der hohen steinig der Weg war, den wir zu
reiten hatten, so erfreulich fanden wir die noch ziemlich grünen
Reblauben die ihn bedeckten. Die Einwohner, denen jedes Fleckchen
Erdreich kostbar ist, pflanzen ihre Weinstöcke gleich an ihre Mauern
die ihre Güter von dem Wege scheiden; sie wachsen zu außerordentlicher
Dicke und werden vermittelst Pfählen und Latten über den Weg gezogen,
so daß er fast eine aneinanderhängende Laube bildet. In dem untern
Theil war meistens Wiesewachs, doch fanden wir auch, da wir uns Sion
näherten, einigen Feldbau. Gegen diese Stadt zu wird die Gegend durch
wechselnde Hügel außerordentlich mannichfaltig, und man wünschte eine
längere Zeit des Aufenthalts genießen zu können. Doch unterbricht die
Häßlichkeit der Städte und der Menschen die angenehmen Empfindungen,
welche die Landschaft erregt, gar sehr. Die scheußlichen Kröpfe haben
mich ganz und gar üblen Humors gemacht. Unsern Pferden dürfen wir
wohl heute nichts mehr zumuthen, und denken deßwegen zu Fuße nach
Seyters zu gehen. Hier in Sion ist das Wirthshaus abscheulich, und
die Stadt hat ein widriges schwarzes Ansehn.


Seyters, den 8. Nov. Nachts.
Da wir bei einbrechendem Abend erst von Sion weggegangen, sind wir bei
Nacht unter einem hellen Sternhimmel hier angekommen. Wir haben
einige schöne Aussichten darüber verloren, merk' ich wohl. Besonders
wünschten wir das Schloß Tourbillion, das bei Sion liegt, erstiegen zu
haben; es muß von da aus eine ganz ungemein schöne Aussicht sein. Ein
Bote, den wir mitnahmen, brachte uns glücklich durch einige böse
Flecke, wo das Wasser ausgetreten war. Bald erreichten wir die Höhe
und hatten die Rhone immer rechts unter uns. Mit verschiedenen
astronomischen Gesprächen verkürzten wir den Weg, und sind bei guten
Leuten, die ihr Bestes thun werden uns zu bewirthen, eingekehret.
Wenn man zurück denkt, kommt einem so ein durchlebter Tag, wegen der
mancherlei Gegenstände, fast wie eine Woche vor. Es fängt mir an
recht leid zu thun, daß ich nicht Zeit und Geschick habe, die
merkwürdigsten Gegenden auch nur linienweise zu zeichnen; es ist immer
besser als alle Beschreibungen für einen Abwesenden.


Seyters, den 9ten.
Noch ehe wir aufbrechen, kann ich Ihnen einen guten Morgen bieten.
Der Graf wird mit mir links in's Gebirg nach dem Leukerbad zu gehen,
der Freund indessen die Pferde hier erwarten und uns morgen in Leuk
wieder antreffen.


Leukerbad, den 9ten, am Fuß des Gemmiberges.
In einem kleinen bretternen Haus, wo wir von sehr braven Leuten gar
freundlich aufgenommen worden, sitzen wir in einer schmalen und
niedrigen Stube, und ich will sehen, wie viel von unserer heutigen
sehr interessanten Tour durch Worte mitzutheilen ist. Von Seyters
stiegen wir heute früh drei Stunden lang einen Berg herauf, nachdem
wir vorherSteinen und Kies Felder, Wiesen und Gärten, die denn nach
und nach kümmerlich, wenn es allenfalls noch möglich ist, von den
Leuten wieder hergestellt und nach ein paar Generationen vielleicht
wieder verschüttet werden. Wir hatten einen grauen Tag mit
abwechselnden Sonnenblicken. Es ist nicht zu beschreiben, wie
mannichfaltig auch hier das Wallis wieder wird; mit jedem Augenblick
biegt und verändert sich die Landschaft. Es scheint alles sehr nah
beisammen zu liegen, und man ist doch durch große Schluchten und Berge
getrennt. Wir hatten bisher noch meist das offene Wallisthal rechts
neben uns gehabt, als sich auf einmal ein schöner Anblick in's Gebirg
vor uns aufthat.
Ich muß, um anschaulicher zu machen was ich beschreiben will, etwas
von der geographischen Lage der Gegend, wo wir uns befinden, sagen.
Wir waren nun schon drei Stunden aufwärts in das ungeheure Gebirg
gestiegen, das Wallis von Bern trennet. Es ist eben der Stock von
Bergen, der in Einemfort vom Genfersee bis auf den Gotthard läuft, und
auf dem sich in dem Berner Gebiet die großen Eis- und Schnee-Massen
eingenistet haben. Hier sind oben und unten relative Worte des
Augenblicks. Ich sage, unter mir auf einer Fläche liegt ein Dorf, und
eben diese Fläche liegt vielleicht wieder an einem Abgrund, der viel
höher ist als mein Verhältniß zu ihr. Wir sahen, als wir um eine Ecke
herumkamen und bei einem Heiligenstock ausruhten, unter uns am Ende
einer schönen grünen Matte, die an einem ungeheuren Felsschlund
herging, das Dorf Inden mit {ed.-???}.
Mitte von der Landschaft liegen. Über der Schlucht drüben gingen
wieder Matten und Tannenwälder aufwärts, gleich hinter dem Dorfe stieg
eine große Kluft von Felsen in die Höhe, die Berge von der linken
Seite schlossen sich bis zu uns an, die von der rechten setzten auch
ihre Rücken weiter fort, so daß das Dörfchen mit seiner weißen Kirche
gleichsam wie im Brennpunct von so viel zusammenlaufenden Felsen und
Klüften dastand. Der Weg nach Inden ist in die steile Felswand
gehauen, die dieses Amphitheater von der linken Seite, im Hingehen
gerechnet, einschließt. Es ist dieses kein gefährlicher aber doch
sehr fürchterlich aussehender Weg. Er geht auf den Lagen einer
schroffen Felswand hinunter, an der rechten Seite mit einer geringen
Planke von dem Abgrunde gesondert.
Ein Kerl, der mit einem Maulesel neben uns hinab stieg, faßte sein
Thier, wenn es an gefährliche Stellen kam, bei'm Schweife, um ihm
einige Hülfe zu geben, wenn es gar zu steil vor sich hinunter in den
Felsen hinein mußte. Endlich kamen wir in Inden an, und da unser Bote
wohl bekannt war, so fiel es uns leicht, von einer willigen Frau ein
gut Glas rothen Wein und Brot zu erhalten, da sie eigentlich in dieser
Gegend keine Wirthshäuser haben. Nun ging es die hohe Schlucht hinter
Inden hinauf, wo wir denn bald den so schrecklich beschriebenen
Gemmiberg vor uns sahen, und das Leukerbad an seinem Fuß, zwischen
andern hohen, unwegsamen und mit Schnee bedeckten Gebirgen, gleichsam
wie in einer hohlen Hand liegen fanden. Es war gegen Drei als wir
ankamen; unser Führer schaffte uns bald Quartier. Es ist zwar kein
Gasthof hier, aber alle Leute sind so ziemlich, wegen der vielen
Badegäste, die hieher kommen, eingerichtet. Unsere Wirthin liegt seit
gestern in den Wochen, und ihr Mann macht mit einer alten Mutter und
der Magd ganz artig die Ehre des Hauses. Wir bestellten etwas zu
essen und ließen uns die warmen Quellen zeigen, die an verschiedenen
Orten sehr stark aus der Erde hervorkommen und reinlich eingefaßt sind.
Außer dem Dorfe, gegen das Gebirg zu, sollen noch einige stärkere
sein. Es hat dieses Wasser nicht den mindesten schwefelichten Geruch,
setzt wo es quillt und wo es durchfließt nicht den mindesten Oker noch
sonst irgend etwas Mineralisches oder Irdisches an, sondern läßt wie
ein anderes reines Wasser keine Spur zurück. Es ist, wenn es aus der
Erde kommt, sehr heiß und wegen seiner guten Kräfte berühmt. Wir
hatten noch Zeit zu einem Spaziergang gegen den Fuß des Gemmi, der uns
ganz nah zu liegen schien. Ich muß hier wieder bemerken, was schon so
oft vorgekommen, daß wenn man mit Gebirgen umschlossen ist, einem alle
Gegenstände so außerordentlich nahe scheinen. Wir hatten eine starke
Stunde über herunter gestürzte Felsstücke und dazwischen geschwemmten
Kies hinauf zu steigen, bis wir uns an dem Fuß des ungeheuren
Gemmibergs, wo der Weg an steilen Klippen aufwärts gehet, befanden.
Es ist dieß der Übergang in's Berner Gebiet, wo alle Kranken sich
müssen in Sänften herunter tragen lassen. Hieß' uns die Jahrszeit
nicht eilen, so würde wahrscheinlicher Weise morgen ein Versuch
gemacht werden, diesen so merkwürdigen Berg zu besteigen: so aber
werden wir uns mit der bloßen Ansicht für dießmal begnügen müssen.
Wie wir zurückgingen, sahen wir dem Gebräude der Wolken zu, das in der
jetzigen Jahrszeit in diesen Gegenden äußerst interessant ist. Über
das schöne Wetter haben wir bisher ganz vergessen, daß wir im November
leben; es ist auch, wie man uns im Bernschen voraussagte, hier der
Herbst sehr gefällig. Die frühen Abende und Schnee verkündende Wolken
erinnern uns aber doch manchmal, daß wir tief in der Jahrszeit sind.
Das wunderbare Wehen, das sie heute Abend verführten, war
außerordentlich schön. Als wir vom Fuß des Gemmiberges zurückkamen,
sahen wir, aus der Schlucht von Inden herauf, leichte Nebelwolken sich
mit großer Schnelligkeit bewegen. Sie wechselten bald rückwärts bald
vorwärts, und kamen endlich aufsteigend dem Leukerbad so nah, daß wir
wohl sahen, wir mußten unsere Schritte verdoppeln, um bei
hereinbrechender Nacht nicht in Wolken eingewickelt zu werden. Wir
kamen auch glücklich zu Hause an, und während ich dieses hinschreibe,
legen sich wirklich die Wolken ganz ernstlich in einen kleinen artigen
Schnee aus einander. Es ist dieser der erste, den wir haben, und,
wenn wir auf unsere gestrige warme Reise von Martinach nach Sion, auf
die noch ziemlich belaubten Rebengeländer zurückdenken, eine sehr
schnelle Abwechslung. Ich bin in die Thüre getreten, ich habe dem
Wesen der Wolken eine Weile zugesehen, das über alle Beschreibung
schön ist.
Eigentlich ist es noch nicht Nacht, aber sie verhüllen abwechselnd den
Himmel und machen dunkel. Aus den tiefen Felsschluchten steigen sie
herauf, bis sie an die höchsten Gipfel der Berge reichen; von diesen
angezogen scheinen sie sich zu verdicken und von der Kälte gepackt in
Gestalt des Schnees niederzufallen. Es ist eine unaussprechliche
Einsamkeit hier oben, in so großer Höhe doch noch wie in einem Brunnen
zu sein, wo man nur vorwärts durch die Abgründe einen Fußpfad hinaus
vermuthet. Die Wolken, die sich hier in diesem Sacke stoßen, die
ungeheuren Felsen bald zudecken und in eine undurchdringliche öde
Dämmerung verschlingen, bald Theile davon wieder als Gespenster sehen
lassen, geben dem Zustand ein trauriges Leben. Man ist voller Ahnung
bei diesen Wirkungen der Natur. Die Wolken, eine dem Menschen von
Jugend auf so merkwürdige Lufterscheinung, ist man in dem platten
Lande doch nur als etwas Fremdes, Überirdisches anzusehen gewohnt.
Man betrachtet sie nur als Gäste, als Streichvögel, die, unter einem
andern Himmel geboren, von dieser oder jener Gegend bei uns
augenblicklich vorbeigezogen kommen; als prächtige Teppiche, womit die
Götter ihre Herrlichkeit vor unsern Augen verschließen. Hier aber ist
man von ihnen selbst wie sie sich erzeugen eingehüllt, und die ewige
innerliche Kraft der Natur fühlt man sich ahnungsvoll durch jede Nerve
bewegen. Auf die Nebel, die bei uns eben diese Wirkungen
hervorbringen, gibt man weniger Acht; auch weil sie uns weniger vor's
Auge gedrängt sind, ist ihre Wirthschaft schwerer zu beobachten. Bei
allen diesen Gegenständen wünscht man nur länger sich verweilen und an
solchen Orten mehrere Tage zubringen zu können; ja ist man ein
Liebhaber von dergleichen Betrachtungen, so wird der Wunsch immer
lebhafter, wenn man bedenkt, daß jede Jahrszeit, Tagszeit und
Witterung neue Erscheinungen, die man gar nicht erwartet,
hervorbringen muß. Und wie in jedem Menschen, auch selbst dem
gemeinen, sonderbare Spuren übrig bleiben, wenn er bei großen
ungewöhnlichen Handlungen etwa einmal gegenwärtig gewesen ist; wie er
sich von diesem einen Flecke gleichsam größer fühlt, unermüdlich eben
dasselbe erzählend wiederholt, und so, auf jene Weise, einen Schatz
für sein ganzes Leben gewonnen hat: so ist es auch dem Menschen, der
solche große Gegenstände der Natur gesehen und mit ihnen vertraut
geworden ist. Er hat, wenn er diese Eindrücke zu bewahren, sie mit
andern Empfindungen und Gedanken, die in ihm entstehen, zu verbinden
weiß, gewiß einen Vorrath von Gewürz, womit er den unschmackhaften
Theil des Lebens verbessern und seinem ganzen Wesen einen
durchziehenden guten Geschmack geben kann.
Ich bemerke, daß ich in meinem Schreiben der Menschen wenig erwähne;
sie sind auch unter diesen großen Gegenständen der Natur, besonders im
Vorbeigehen, minder merkwürdig. Ich zweifle nicht, daß man bei
längerm Aufenthalt gar interessante und gute Leute finden würde. Eins
glaub' ich überall zu bemerken: je weiter man von der Landstraße und
dem größern Gewerbe der Menschen abkömmt, je mehr in den Gebirgen die
Menschen beschränkt, abgeschnitten und auf die allerersten Bedürfnisse
des Lebens zurückgewiesen sind, je mehr sie sich von einem einfachen,
langsamen, unveränderlichen Erwerbe nähren; desto besser, willfähriger,
freundlicher, uneigennütziger, gastfreier bei ihrer Armuth hab' ich
sie gefunden.


Leukerbad, den 10. Nov.
Wir machen uns bei Licht zurechte, um mit Tages Anbruch wieder
hinunter zu gehen. Diese Nacht habe ich ziemlich unruhig zugebracht.
Ich lag kaum im Bette, so kam mir vor als wenn ich über und über mit
einer Nesselsucht befallen wäre; doch merkte ich bald, daß es ein
großes Heer hüpfender Insecten war, die den neuen Ankömmling
blutdürstig überfielen. Diese Thiere erzeugen sich in den hölzernen
Häusern in großer Menge. Die Nacht ward mir sehr lang und ich war
zufrieden, als man uns den Morgen Licht brachte.


Leuk, gegen 10 Uhr.
Wir haben nicht viel Zeit, doch will ich, eh' wir hier weggehen, die
merkwürdige Trennung unserer Gesellschaft melden, die hier vorgegangen
ist, und was sie veranlaßt hat. Wir gingen mit Tages Anbruch heute
von Leukerbad aus, und hatten im frischen Schnee einen schlüpfrigen
Weg über die Matten zu machen. Wir kamen bald nach Inden, wo wir dann
den steilen Weg, den wir gestern herunter kamen, zur Rechten über uns
ließen, und auf der Matte nach der Schlucht, die uns nunmehr links lag,
hinabstiegen. Es ist diese wild und mit Bäumen verwachsen, doch geht
ein ganz leidlicher Weg hinunter. Durch diese Felsklüfte hat das
Wasser, das vom Leukerbad kommt, seine Abflüsse in's Wallisthal. Wir
sahen in der Höhe an der Seite des Felsens, den wir gestern herunter
gekommen waren, eine Wasserleitung gar künstlich eingehauen, wodurch
ein Bach erst daran her, dann durch eine Höhle, aus dem Gebirge in das
benachbarte Dorf geleitet wird. Wir mußten nunmehr wieder einen Hügel
hinauf und sahen dann bald das offene Wallis und die garstige Stadt
Leuk unter uns liegen. Es sind diese Städtchen meist an die Berge
angeflickt, die Dächer mit groben geriss'nen Schindeln unzierlich
gedeckt, die durch die Jahrszeit ganz schwarz gefault und vermoos't
sind. Wie man auch nur hinein tritt, so ekelt's einem, denn es ist
überall unsauber; Mangel und ängstlicher Erwerb dieser privilegirten
und freien Bewohner kommt überall zum Vorschein. Wir fanden den
Freund, der die schlimme Nachricht brachte, daß es nunmehr mit den
Pferden sehr beschwerlich weiter zu gehen anfinge. Die Ställe werden
kleiner und enger, weil sie nur auf Maulesel und Saumrosse
eingerichtet sind; der Haber fängt auch an sehr selten zu werden, ja
man sagt, daß weiter hin in's Gebirg gar keiner mehr anzutreffen sei.
Ein Beschluß war bald gefaßt: der Freund sollte mit den Pferden das
Wallis wieder hinunter über Bex, Vevey, Lausanne, Freiburg und Bern
auf Luzern gehen, der Graf und ich wollten unsern Weg das Wallis
hinauf fortsetzen, versuchen, wo wir auf den Gotthard hinauf dringen
könnten, alsdann durch den Canton Uri über den Vier-Waldstädtersee
gleichfalls in Luzern eintreffen. Man findet in dieser Gegend überall
Maulthiere, die auf solchen Wegen immer besser sind als Pferde, und zu
Fuße zu gehen ist am Ende doch immer das Angenehmste. Wir haben
unsere Sachen getrennet. Der Freund ist fort, unser Mantelsack wird
auf ein Maulthier das wir gemiethet haben gepackt, und so wollen wir
aufbrechen und unsern Weg zu Fuße nach Brieg nehmen. Am Himmel sieht
es bunt aus, doch ich denke, das gute Glück, das uns bisher begleitet
und uns so weit gelockt hat, soll uns auf dem Platze nicht verlassen,
wo wir es am nöthigsten brauchen.


Brieg, den 10. Abends.
Von unserm heutigen Weg kann ich wenig erzählen, ausgenommen, wenn Sie
mit einer weitläuftigen Wettergeschichte sich wollen unterhalten
lassen. Wir gingen in Gesellschaft eines schwäbischen Metzgerknechtes,
der sich hierher verloren, in Leuk Condition gefunden hatte und eine
Art von Hanswurst machte, unser Gepäck auf ein Maulthier geladen, das
sein Herr vor sich hertrieb, gegen Eilf von Leuk ab. Hinter uns, so
weit wir in's Wallisthal hineinsehen konnten, lag es mit dicken
Schnee-Wolken bedeckt, die das Land herauf gezogen kamen. Es war
wirklich ein trüber Anblick und ich befürchtete in der Stille, daß, ob
es gleich so hell vor uns aufwärts war als wie im Lande Gosen, uns
doch die Wolken bald einholen, und wir vielleicht im Grunde des Wallis
an beiden Seiten von Bergen eingeschlossen, von Wolken zugedeckt und
die Sorge, die sich meistentheils des einen Ohrs bemeistert.
Auf der andern Seite sprach der gute Muth mit weit zuverlässigerer
Stimme, verwies mir meinen Unglauben, hielt mir das Vergangene vor und
machte mich auch auf die gegenwärtigen Lufterscheinungen aufmerksam.
Wir gingen dem schönen Wetter immer entgegen; die Rhone hinauf war
alles heiter, und so stark der Abendwind das Gewölk hinter uns her
trieb, so konnte es uns doch niemals erreichen. Die Ursache war diese:
In das Wallisthal gehen, wie ich schon so oft gesagt, sehr viele
Schluchten des benachbarten Gebirges aus und ergießen sich wie kleine
Bäche in den großen Strom, wie denn auch alle ihre Gewässer in der
Rhone zusammen laufen. Aus jeder solcher Öffnung streicht ein Zugwind,
der sich in den innern Thälern und Krümmungen erzeugt. Wie nun der
Hauptzug der Wolken das Thal herauf an so eine Schlucht kommt, so läßt
die Zugluft die Wolken nicht vorbei, sondern kämpft mit ihnen und dem
Winde der sie trägt, hält sie auf und macht ihnen wohl Stunden lang
den Weg streitig. Diesem Kampf sahen wir oft zu, und wenn wir
glaubten, von ihnen überzogen zu werden, so fanden sie wieder ein
solches Hinderniß, und wenn wir eine Stunde gegangen waren, konnten
sie noch kaum vom Fleck. Gegen Abend ward der Himmel außerordentlich
schön. Als wir uns Brieg näherten, trafen die Wolken fast zu gleicher
Zeit mit uns ein; doch mußten sie, weil die Sonne untergegangen war
und ihnen nunmehr ein packender Morgenwind entgegen kam, stille stehen,
und machten von einem Berge zum andern einen großen halben Mond über
das Thal. Sie waren von der kalten Luft zur Consistenz gebracht und
hatten, da wo sich ihr Saum gegen den blauen Himmel zeichnete, schöne
leichte und muntere Formen. Man sah daß sie Schnee enthielten, doch
scheint uns die frische Luft zu verheißen, daß diese Nacht nicht viel
fallen soll. Wir haben ein ganz artiges Wirthshaus und, was uns zu
großem Vergnügen dient, in einer geräumigen Stube ein Kamin
angetroffen; wir sitzen am Feuer und machen Rathschläge wegen unserer
weiteren Reise. Hier in Brieg geht die gewöhnliche Straße über den
Simplon nach Italien; wenn wir also unsern Gedanken, über die Furka
auf den Gotthard zu gehen, aufgeben wollten, so gingen wir mit
gemietheten Pferden und Maulthieren auf Domo d'ossola, Margozzo,
führen den Lago maggiore hinaufwärts, dann auf Bellinzona und so
weiter den Gotthard hinauf, über Airolo zu den Kapuzinern.
Dieser Weg ist den ganzen Winter über gebahnt und mit Pferden bequem
zu machen, doch scheint er unserer Vorstellung, da er in unserm Plane
nicht war und uns fünf Tage später als unsern Freund nach Luzern
führen würde, nicht reizend. Wir wünschen vielmehr das Wallis bis an
sein oberes Ende zu sehen, dahin wir morgen Abend kommen werden; und
wenn das Glück gut ist, so sitzen wir übermorgen um diese Zeit in
Realp in dem Ursner Thal, welches auf dem Gotthard nahe bei dessen
höchstem Gipfel ist. Sollten wir nicht über die Furka kommen, so
bleibt uns immer der Weg hierher unverschlossen, und wir werden
alsdann das aus Noth ergreifen, was wir aus Wahl nicht gerne thun.
Sie können sich vorstellen, daß ich hier schon wieder die Leute
examiniret habe, ob sie glauben, daß die Passage über die Furka offen
ist; denn das ist der Gedanke mit dem ich aufstehe, schlafen gehe, mit
dem ich den ganzen Tag über beschäftigt bin. Bisher war es einem
Marsch zu vergleichen, den man gegen einen Feind richtet, und nun
ist's, als wenn man sich dem Flecke nähert, wo er sich verschanzt hat
und man sich mit ihm herumschlagen muß. Außer unserm Maulthier sind
zwei Pferde auf morgen früh bestellt.


Münster, den 11. Abends 6 Uhr.
Wieder einen glücklichen und angenehmen Tag zurückgelegt! Heute früh
als wir von Brieg bei guter Tagszeit ausritten, sagte uns der Wirth
noch auf den Weg: Wenn der Berg, so nennen sie hier die Furka, gar zu
grimmig wäre, so möchten wir wieder zurückkehren und einen andern Weg
suchen. Mit unsern zwei Pferden und einem Maulesel kamen wir nun bald
über angenehme Matten, wo das Thal so eng wird, daß es kaum einige
Büchsenschüsse breit ist. Es hat daselbst eine schöne Weide, worauf
große Bäume stehen, und Felsstücke, die sich von benachbarten Bergen
abgelös't haben, zerstreut liegen. Das Thal wird immer enger, man
wird genöthiget an den Bergen seitwärts hinauf zu steigen, und hat
nunmehr die Rhone in einer schroffen Schlucht immer rechts unter sich.
In der Höhe aber breitet sich das Land wieder recht schön aus, auf
mannichfaltig gebogenen Hügeln sind schöne nahrhafte Matten, liegen
hübsche Örter, die mit ihren dunkelbraunen hölzernen Häusern gar
wunderlich unter dem Schnee hervor gucken. Wir gingen viel zu Fuß und
thaten's uns einander wechselseitig zu Gefallen. Denn ob man gleich
auf den Pferden sicher ist, so sieht es doch immer gefährlich aus,
wenn ein anderer, auf so schmalen Pfaden, von so einem schwachen
Thiere getragen, an einem schroffen Abgrund, vor einem herreitet.
Weil nun kein Vieh auf der Weide sein kann, indem die Menschen alle in
den Häusern stecken, so sieht eine solche Gegend sehr einsam aus, und
der Gedanke, daß man immer enger und enger zwischen ungeheuren
Gebirgen eingeschlossen wird, gibt der Imagination graue und
unangenehme Bilder, die einen, der nicht recht fest im Sattel säße,
gar leicht herab werfen könnten. Der Mensch ist niemals ganz Herr von
sich selbst. Da er die Zukunft nicht weiß, da ihm sogar der nächste
Augenblick verborgen ist; so hat er oft, wenn er etwas Ungemeines
vornimmt, mit unwillkürlichen Empfindungen, Ahnungen, traumartigen
Vorstellungen zu kämpfen, über die man kurz hinter drein wohl lachen
kann, die aber oft in dem Augenblicke der Entscheidung höchst
beschwerlich sind. In unserm Mittagsquartier begegnete uns was
Angenehmes. Wir traten bei einer Frau ein, in deren Hause es ganz
rechtlich aussah. Ihre Stube war nach hiesiger Landesart ausgetäfelt,
die Betten mit Schnitzwerk gezieret, die Schränke, Tische und was
sonst von kleinen Repositorien an den Wänden und in den Ecken
befestigt war, hatte artige Zierrathen von Drechsler- und Schnitzwerk.
An den Porträts, die in der Stube hingen, konnte man bald sehen, daß
mehrere aus dieser Familie sich dem geistlichen Stand gewidmet hatten.
Wir bemerkten auch eine Sammlung wohl eingebundener Bücher über der
Thür, die wir für eine Stiftung eines dieser Herren hielten. Wir
nahmen die Legenden der Heiligen herunter und lasen drin, während das
Essen für uns zubereitet wurde. Die Wirthin fragte uns einmal als sie
in die Stube trat, ob wir auch die Geschichte des heil. Alexis
gelesen hätten? Wir sagten Nein, nahmen aber weiter keine Notiz davon
und jeder las in seinem Capitel fort. Als wir uns zu Tische gesetzt
hatten, stellte sie sich zu uns und fing wieder von dem heil. Alexis
an zu reden. Wir fragten, ob es ihr Patron oder der Patron ihres
Hauses sei, welches sie verneinte, dabei aber versicherte, daß dieser
heilige Mann so viel aus Liebe zu Gott ausgestanden habe, daß ihr
seine Geschichte erbärmlicher vorkomme, als viele der übrigen.
Da sie sah, daß wir gar nicht unterrichtet waren, fing sie an uns zu
erzählen: Es sei der heil. Alexis der Sohn vornehmer, reicher und
gottesfürchtiger Eltern in Rom gewesen, sei ihnen, die den Armen
außerordentlich viel Gutes gethan, in Ausübung guter Werke mit
Vergnügen gefolgt; doch habe ihm dieses noch nicht genug gethan,
sondern er habe sich in der Stille Gott ganz und gar geweiht, und
Christo eine ewige Keuschheit angelobet. Als ihn in der Folge seine
Eltern an eine schöne und treffliche Jungfrau verheirathen wollen,
habe er zwar sich ihrem Willen nicht widersetzt, die Trauung sei
vollzogen worden; er habe sich aber, anstatt sich zu der Braut in die
Kammer zu begeben, auf ein Schiff das er bereit gefunden gesetzt, und
sei damit nach Asien übergefahren. Er habe daselbst die Gestalt eines
schlechten Bettlers angezogen und sei dergestalt unkenntlich geworden,
daß ihn auch die Knechte seines Vaters, die man ihm nachgeschickt,
nicht erkannt hätten. Er habe sich daselbst an der Thüre der
Hauptkirche gewöhnlich aufgehalten, dem Gottesdienst beigewohnt und
sich von geringem Almosen der Gläubigen genährt. Nach drei oder vier
Jahren seien verschiedene Wunder geschehen, die ein besonderes
Wohlgefallen Gottes angezeigt. Der Bischof habe in der Kirche eine
Stimme gehört, daß er den frömmsten Mann, dessen Gebet vor Gott am
angenehmsten sei, in die Kirche rufen und an seiner Seite den Dienst
verrichten sollte. Da dieser hierauf nicht gewußt wer gemeint sei,
habe ihm die Stimme den Bettler angezeigt, den er denn auch zu großem
Erstaunen des Volks hereingeholt. Der heil. Alexis, betroffen daß
die Aufmerksamkeit der Leute auf ihn rege geworden, habe sich in der
Stille davon und auf ein Schiff gemacht, willens weiter sich in die
Fremde zu begeben. Durch Sturm aber und andere Umstände sei er
genöthiget worden, in Italien zu landen. Der heil. Mann habe hierin
einen Wink Gottes gesehen und sich gefreut eine Gelegenheit zu finden,
wo er die Selbstverläugnung im höchsten Grade zeigen konnte. Er sei
daher geradezu auf seine Vaterstadt losgegangen, habe sich als ein
armer Bettler vor seiner Eltern Hausthür gestellt, diese, ihn auch
dafür haltend, haben ihn nach ihrer frommen Wohlthätigkeit gut
aufgenommen, und einem Bedienten aufgetragen, ihn mit Quartier im
Schloß und den nöthigen Speisen zu versehen. Dieser Bediente,
verdrießlich über die Mühe und unwillig über seiner Herrschaft
Wohlthätigkeit, habe diesen anscheinenden Bettler in ein schlechtes
Loch unter der Treppe gewiesen, und ihm daselbst geringes und
sparsames Essen gleich einem Hunde vorgeworfen. Der heil. Mann,
anstatt sich dadurch irre machen zu lassen, habe darüber erst Gott
recht in seinem Herzen gelobt, und nicht allein dieses, was er so
leicht ändern können, mit gelassenem Gemüthe getragen, sondern auch
die andauernde Betrübniß der Eltern und seiner Gemahlin über die
Abwesenheit ihres so geliebten Alexis mit unglaublicher und
übermenschlicher Standhaftigkeit ausgehalten. Denn seine
vielgeliebten Eltern und seine schöne Gemahlin hat er des Tags wohl
hundertmal seinen Namen ausrufen hören, sich nach ihm sehnen und über
seine Abwesenheit ein kummervolles Leben verzehren sehen. An dieser
Stelle konnte sich die Frau der Thränen nicht mehr enthalten und ihre
beiden Mädchen, die sich während der Erzählung an ihren Rock gehängt,
sahen unverwandt an der Mutter hinauf. Ich weiß mir keinen
erbärmlichern Zustand vorzustellen, sagte sie, und keine größere
Marter, als was dieser heilige Mann bei den Seinigen und aus freiem
Willen ausgestanden hat. Aber Gott hat ihm seine Beständigkeit auf's
herrlichste vergolten, und bei seinem Tode die größten Zeichen der
Gnade vor den Augen der Gläubigen gegeben. Denn als dieser heilige
Mann, nachdem er einige Jahre in diesem Zustande gelebt, täglich mit
größter Innbrunst dem Gottesdienste beigewohnet, so ist er endlich
krank geworden ohne daß jemand sonderlich auf ihn Acht gegeben.
Als darnach an einem Morgen der Papst, in Gegenwart des Kaisers und
des ganzen Adels, selbst hohes Amt gehalten, haben auf einmal die
Glocken der ganzen Stadt Rom wie zu einem vornehmen Todtengeläute zu
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