🕙 15-minute read

Briefe an Ludwig Tieck (2/4) - 24

Total number of words is 1976
Total number of unique words is 948
40.9 of words are in the 2000 most common words
52.1 of words are in the 5000 most common words
58.3 of words are in the 8000 most common words
Each bar represents the percentage of words per 1000 most common words.
  Vers ~inc.~ sollte man ausführen als Geschichte des jetzigen
  Erwachens der Poesie; auch der Schlußvers ist deutungsreich, wenn
  vorher nehmlich die Volksnamen in Schulen-Namen verwandelt wären, und
  darunter auch _Nikolaiten_ vorkämen.) -- Nochmahls (denn ich
  bin vom Wege abgekommen) unsre Reimspiele gehen nicht tief, woher
  auch größtentheils Reim auf Reim folgt, ohne künstliche Verschlingung
  und große Partieen im Korrespondiren und Zusammenstimmen der Verse.
  Die italiänische Stanze ist mir das Bild eines schönes Hausstandes.
  Ein Paar Wörtlein darüber stehn im Briefe an Fichte. Nur mit den
  Schlußterzetts der Sonette kann ich mich nicht immer vertragen. In den
  beiden Anfangs-Quartetts ist ein so erfreuliches Grüßen und Küssen der
  Reime, ein so inniges Umarmen der Verse, daraus kömmt mir der Abschied
  so kalt, frostig und höflich vor. Ich will einmahl Sonettförmig
  ausdrücken, was ich meyne.
   Ein Sonett
   über das Sonett.
   Willkommen, ruf’ ich, immer noch: willkommen,
   Ob ich Dich schon mit meinem Arm umschlinge,
   Mit meinem Herzen an das Deine dringe:
   Bey jedem Blick bist Du mir erst gekommen!
   Ich habe Dich noch nicht in Arm genommen;
   Verlange nicht, daß ich mich bald bezwinge,
   Und frage nicht nach einem fremden Dinge!
   Willkommen, ruf’ ich, immer noch: willkommen!
   „Erlauben Sie, ich bin im Reise-Kleide,
   Das Sopha leidet und die blanke Diele,
   Der Weg hieher hat einen feuchten Sand!“
   „Verzeihen Sie, auch mir fehlt Festgeschmeide.
   Nachläß’ger Anzug läßigt Fein-Gefühle;
   Doch vor der Hand -- zum Kuß hier meine Hand!“ --
  Ich weiß es, wehe mir, wenn Sie nach Lesung dieses wunderlichen Stücks,
  im fortgestzten Prinzen Zerbino meiner gedenken. Aber ich rede hier
  nicht mit dem Verfasser des Zerbino, sondern mit dem freundlichen
  Mann, der mich über meine Meynung im Vertraun gefragt hat. Wenn
  die Schlußreime _so_ stehn, wie oben; so _sieht_ mir ein
  Sonett _aus_, wie ein schön gewirktes Band, das aber am Ende
  locker geworden, und die Fäden auseinander gegeben hat; -- oder so
  _klingt_ mir ein Sonett wie ein schönes Glockengeläute mit dem
  Apendix einzelner Nachschläge, wenn der Klöpel nicht gleich angehalten
  wird. Freylich, soll eben eine Empfindung ausgedrückt werden, deren
  Gedankentext auf eine ähnliche Art verdämmert, oder soll auch das laute
  Gefühl allmählig in ein Verstummen des stillen und innigern Beschauns
  übergehn; so hab’ ich nichts gegen das Lyrische dieser Form. Sonst
  aber scheint sie mir besser zu einem komischen Kontraste zu dienen.
  Sollt’ es nicht eine verständige Umkehrung dieser Form geben, die einen
  sehr großen und bedeutenden lyrischen Karakter hätte? -- Sie hören,
  ich spreche kein vollständiges Wort. Ich zweifle, ich frage. Fragende
  Zweifel bitten um belehrende Antwort.
  Nun aber ganz ernsthaft über Ihren Scherz und Ernst. Wozu Sie mich mit
  Gewalt machen wollen, das bin ich lange, der verehrende Freund Ihres
  Geistes und Herzens. Und wenn Sie mir, falls ich zu einem wörtlichen
  Bunde nicht geneigt wäre, mit einem zweiten Zerbino drohen, so sind
  das Strafgesetze auf die Unterlassung eines Dinges, das man gern thut.
  Aber daß Sie gleich nach dieser Androhung alles Vorhergesagte dadurch
  zum Scherz machen, daß Sie fortfahren: „Aber ernsthaft, u. s. w.“ das
  thut mir leid, denn nun besorg’ ich, nicht bloß Ihre Drohung, sondern
  auch Ihre Forderung, auf die ich einen so hohen Werth setze, solle als
  Scherz genommen werden. -- --??
  Ihr Antrag wegen des Hymnus ehrt mich, und die gütige Offenheit Ihres
  Urtheils über die Einleitungen und den Schluß erfreuet mich: Mein
  voriger Zweifel ist gelöst, denn Ihrem Freundschafts-Antrage ist
  dadurch zugleich eine erste Freundschafts-Probe angeschlossen. Sie
  haben ganz recht, beide Anhänge (denn sowohl Anfang als Ende sind
  angehängt worden) gehören nicht zum Gesang der Vermählung. Aus dem
  Brief an Fichte werden Sie indeß erfahren haben, daß leider jener
  Hymnus sowohl, als eine damit verbundne Romanze der Entbindung, nebst
  einigen Erläuterungen über Idee und Organisation, zum Druck gesandt
  sind. Den Abdruck der Gedichte, der bereits vollendet seyn muß, erwart’
  ich mit jedem Posttage. Die Erläuterungen werden später folgen, obwohl
  sie auch schon unter der Presse seyn müssen. Die erste Einleitung
  ist jedoch beynahe ganz gestrichen. -- Sobald ich ein vollständiges
  Exemplar habe, werd’ ich so frey seyn es Ihnen vorzulegen, und erst
  wenn Sie die Güte gehabt haben, mir über die weitere Ausführung meiner
  Absicht Ihre Meinung mitzutheilen, werd’ ich fortfahren. Der jetzt
  gemachte besondre Abdruck der ersten beiden Stücke wird vielleicht in
  Jahr und Tag abgesetzt, wenn auch größern Theils an die Lüsternheit,
  die sich betrogen finden wird. Bey der Vollendung des Ganzen, was ich
  im Sinne habe, kann ich also Ihr offnes Urtheil noch benutzen. Meines
  herzlichsten Danks seyn Sie gewiß! -- Eine Anzeige dieser Blättchen
  wünscht’ ich wohl im Athenäum. Vielleicht haben Sie Gelegenheit dies zu
  bewirken.
  Mit welchem Sinn wir Ihre heilige Genoveva feyern, werden Sie theils
  im Briefe an Fichte, theils in dem an Schütz angedeutet finden. Nur
  ein Paar Köpfe wollen die Varietät der äußern Formen darin unnatürlich
  finden. Ich habe diesen aber zu bedenken gegeben, daß die Wahrheit und
  Natur in dieser Mannigfaltigkeit nach dem, was dem Ausdruck zum Grunde
  liegt und was er will, nicht nach dem Ausdruck an sich beurtheilt
  werden muß. Die Poesie will den Menschen lebendig aussprechen, sie will
  den Gesang unsers Innern als Gesang hören lassen, ihn nicht bloß in
  Noten zum philosophischen Lesen aufschreiben. Wo es nun Reime, Sonette,
  Stanzen u. s. w. in unserm Innern giebt, da kehrt sie sich an keine so
  genannte Gleichheit des Styls, sondern giebt selbst Reime, Sonette,
  Stanzen. Noch immer bleiben wir auch bey dieser Freiheit im Ausdruck
  befangen; aber wer mehr befangen bleiben will, als nothwendig ist, der
  hat keine Ahnung von dem, was Poesie ist, und wornach sie trachtet.
  Mit einem Wort: die Wahrheit und Natur aller Poesie ist nicht, daß
  der Mensch im Leben sich so ausspricht, aber wohl, daß er sich so
  aussprechen _möchte_, daß er innerlich darnach ringt, seine
  Seele also darzustellen. -- Die Kraft und Regung des innern geistigen
  Lebens macht dem Menschen die Brust beklommen, es will hinausdringen
  und sich im Materiällen verkünden. Da stellen sich nun die Künste um
  ihn, und bieten ihm freundlich, Ton und Wort und Farbe und Masse, als
  Instrumente des Verkündens dar. So, verehrter Freund, seh’ ich die
  höhern Künste an.
  Vieles möcht’ ich noch schreiben, besonders darüber, daß, nach Ihnen,
  der Karakter romantischer Poesie im großen modernen Reim liege; aber
  dies bleibe einer helleren Stunde vorbehalten.
  Lassen Sie uns Freunde seyn! Geben Sie meiner dargebotenen Hand die
  ihrige; ich glaube inne zu werden, was Sie inne werden, und darum
  lassen Sie es hingehn, wenn auch mein Ausdruck dem ihren nicht immer
  zusagen sollte. Ein Paar Zeilen, daß Sie diesen Brief erhalten haben,
  werden mich erfreun.
   Ganz der Ihrige.
   _Mnioch_.
  N. S. Unter meinen Freunden empfiehlt sich namentlich ein Leut. v.
  Loewenstern. Mit einer kräftigern und jüngern Sehnsucht als Moses,
  als er vom Berge in die Thäler des gelobten Landes sah, schaut dieser
  feurige _Jüngling_ von 29 Jahren in das gelobte Land der Poesie
  und Mahlerey, wie Sie es uns darstellen. Er zeichnet mit kräftiger
  Hand, hat aber nicht Lust zum Ausmahlen, dafür mahlt er desto mehr in
  seinen poetischen Versuchen. In wenig Jahren hat er eine Kompagnie und
  er ist blutarm; dennoch will er Urlaub nehmen, und Ein Jahr auf der
  Akademie studiren. Wie glücklich-unglücklich Ihre Schriften diesen Mann
  gemacht haben, kann ich nicht beschreiben. _Göthe_ und _Sie_
  betet er an. -- Nächstens werden Sie etwas von ihm lesen. Wär’ ich doch
  noch so jung und kräftig wie dieser! -- Aber 36 Jahre sind gerade 7
  mehr, als 29. --
  
  
  Mörike, Eduard.
  
   Geb. den 8. Sept. 1804 zu Ludwigsburg, seit 1834 Pfarrer in
   Clever-Sulzbach bei Weinsberg.
   Maler Nolten, Roman (1838). -- Iris, Novellen und Märchen (1839).
   -- Idylle vom Bodensee (1846). -- Das Stuttgarter Hutzelmännlein,
   Märchen (1853). -- Mozart auf der Reise nach Prag, Novelle (1856).
   -- Die sanfte, liebewarme Empfindung dieses Dichters klingt mild
   und innig aus den wenigen Zeilen, welche sich von ihm in Tieck’s
   Nachlasse vorfanden.
  
   _Ochsenrang_ bei _Kirchheim_ unter Teck
   im Königr. Wirtemberg,
   d. 20. Febr. 1833.
   _Hochverehrter Herr!_
  Eine poetische Arbeit direkte und ohne alle äußere Veranlassung Ihnen
  vorzulegen, habe ich inzwischen billig Anstand genommen; und selbst da
  nun verlauten will, daß Dieselben aus Gelegenheit eines Gesprächs mit
  einem meiner wirtembergischen Freunde Sich dieser Lektüre im Voraus
  nicht ganz abgeneigt erwiesen hätten, gebe ich der Versuchung, mich
  Ihnen darzustellen, nicht ohne Zaudern nach.
  Denke ich aber, mit welcher unbedingten Hingebung und immer neuen
  Bewunderung ich mich seit so viel Jahren an Ihren Werken erfreut, an
  Ihrem Genius mich aufgerichtet habe, wie ich mich überall zuerst an
  die Reisenden drängte, welche zu Dresden und bei Tieck gewesen waren,
  so finde ich mich nun aufs wunderbarste durch die Vorstellung gerührt,
  daß Sie, doch wenigstens so lange jene Blätter Sie festhalten können,
  Sich noch mit meinem Wesen berühren sollen! Schon dieß Bewußtseyn, kann
  ich wohl sagen, ist an uns für sich selbst hinreichend, mich glücklich
  zu machen. Dürft ich aber vollends hoffen, daß es für Sie keine
  unangenehme, ja vielleicht für mich eine fruchtbare Berührung werden
  könnte, so wäre meine Freude desto größer, je geringer in Wahrheit die
  Ansprüche waren, womit ich das Buch überhaupt in die Welt hinausgab.
  Mit größter Verehrung verharrend
   Euer Wohlgeboren
   gehorsamster
   _Eduard Mörike_,
   Pfarr-Vikar.
  
  
   ~Druck von Robert Rischkowsky in Breslau.~
  
  
  Fußnoten:
  [Fußnote 1: In Bezug auf diese Bitte erwähnen wir eine Stelle im
  _Kosmos_, Bd. II. erste Aufl., ~pag. 62~: „Als sich die
  Comödie der Spanier bis zu einer hohen Vollendung ausgearbeitet hatte“
  -- sagt der tiefste Forscher aller dramatischen Litteratur, mein edler
  Freund Ludwig Tieck -- „finden wir oft beim Calderon und bei seinen
  Zeitgenossen, in romanzen- und canzonen-artigen Sylbenmaßen, blendend
  schöne Schilderungen vom Meere, von Gebirgen, Gärten und waldigen
  Thälern: doch fast immer mit allegorischen Beziehungen, und mit einem
  künstlichen Glanz übergossen, der uns nicht sowohl die freie Luft
  der Natur, die Wahrheit des Gebirges, die Schatten der Thäler fühlen
  läßt, als daß in harmonischen, wohlklingenden Versen eine geistvolle
  Beschreibung gegeben wird, die mit kleinen Nüancen immer wiederkehrt.“
  -- --
  In dem Schauspiel: das Leben ein Traum (~la vida es sueño~) läßt
  Calderon den Prinzen Sigismund (Act. I., Sc. II.) das Unglück seiner
  Gefangenschaft in anmuthigen Gegensätzen mit der Freiheit der ganzen
  organischen Natur beklagen. Es werden geschildert die Sitten der
  Vögel, „die im weiten Himmelsraume sich in raschen Flügen regen,“ die
  Fische, „welche kaum aus Laich und Schlamm entsprossen, schon das weite
  Meer suchen, dessen Unendlichkeit ihnen bei ihren kecken Zügen nicht
  zu genügen scheint.“ Selbst dem Bache, „der im Ringelgange zwischen
  Blüthen hingleitet, gewährt die Flur einen freien Pfad.“ Und ich, ruft
  Sigismund verzweiflungsvoll aus, der mehr Leben hat, soll bei freierem
  Geiste mich in mindre Freiheit fügen!]
  [Fußnote 2: Der Titel des von H. hier citirten Romans ist aus seiner
  Handschrift um so weniger zu entziffern, als es ein Familienname zu
  sein scheint. Es _kann_ Bambibre heißen sollen?
  Über Enrique Gil verdanken wir der Gefälligkeit des Herrn ~Dr~.
  Max Karow, Cust. an der k. Univ.-Bibliothek in Breslau, nachstehende
  Notiz:
  „„E. Gil ist Verfasser der Dichtungen „~La gota de rocio~“ --
  „~La niebla~“ -- „~A Polonia~“ -- und war Hauptmitarbeiter
  des Journals „~El labirinto~,“ in welchem er höchst anmuthig seine
  Reise durch die ~Sierra de Leon~ beschrieb.““]
  [Fußnote 3: Diese „Gradheit“ ist es, die statt guter Früchte
  Zwietrachts-Äpfel getragen. Gehässige Insinuationen sogenannter Freunde
  haben das ihrige dazu gethan. Auch Tieck’s begeistert’ster Verehrer
  muß Iffland’s Urtheil über die Undarstellbarkeit jenes Operntextes
  billigen.]
  [Fußnote 4: Dieser Passus ist unverständlich, da wir zwölf oder elf
  Jahre früher Zeugen gewesen sind von der herzlichen und zuvorkommenden
  Aufnahme, welche der ganz jugendliche Immermann bei Tieck in Dresden
  gefunden.]
  [Fußnote 5: Mit Freude läßt sich aus dieser klugen und befriedigenden
  Vertheidigung entnehmen, daß Tieck, bei all’ seiner Werthschätzung
  Immermanns, und gerechtfertigten Vorliebe für den jüngeren Freund, die
  Anhänglichkeit für den älteren treu bewahrt, und dessen Parthei redlich
  ergriffen hat.]
  [Fußnote 6: Dorothea’s Tod.]
  [Fußnote 7: Beauregard Pandin (?).]
  [Fußnote 8: Siehe den unter ~N.~ befindlichen Brief nebst
  Beilage.]
  [Fußnote 9: Tieck las, nach Dresden zurückgekommen, am 2. März 1842
  die Elektra wenigstens, aus dem noch nicht abgedruckten Manuskripte,
  in seinem Abendzirkel vor. In früheren Jahren hatte er die Antigone
  (1835) und des Euripides Iphigenia auf Tauris (1837) von Minckwitz
  vorgetragen.]
You have read 1 text from German literature.