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Briefe an Ludwig Tieck (2/4) - 14

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   sind uns vollkommen bekannt worden durch den „Briefwechsel mit
   Schiller,“ 4 Bde. (1847).
   Mögen diese drei Blätter, an Tieck gerichtet, sich auch in den
   Kranz verschlingen, der ein Haupt ziert, welches uns an und für
   sich schon theuer seyn müßte, wäre der von der größten deutschen
   Dichter inniger Freundschaft und Achtung Ausgezeichnete nicht
   zugleich _Theodor Körners_ Vater.
   Befremdend scheint es, daß in dem zweiten Schreiben (von 1814)
   Theodor’s mit keiner Sylbe gedacht ist.
  
   I.
   _Dresden_, am 9. Oct. 1807.
  Über das Aussenbleiben des Manuscripts habe ich von Zeit zu Zeit den
  Bibliothekar Daßdorf beruhigt, weil ich die Ursache vermuthen konnte,
  warum Sie es nicht abschickten. Ihr Herr Schwager kam erst vor Kurzem
  und Daßdorf hat keinen Groll auf Sie. Die Abschrift des Rosengartens
  hat er aber entweder vergessen, oder er hat hier niemand, den er zum
  Abschreiben eines solchen Manuscripts gebrauchen könnte. Aber er bot
  sich an, Ihnen das Original zu schicken, wenn Sie in einer Zeit von
  etwa Vier Wochen es zurückschicken könnten. Sie möchten ihn daher nur
  wissen lassen, wenn Sie gerade sich mit diesem Werke beschäftigen
  wollten. Ich erwarte hierüber Ihre Erklärung.
  Das Manuscript wollte ich gern bald an die Behörde abliefern und hatte
  nur Zeit, die Bilder anzusehn. Als eine piquante Situation gefiel mir
  besonders, wie ein Riese den Kopf eines Mädchens im Rachen hat, während
  er mit einem Ritter -- vermuthlich ihrem Liebhaber ficht. Wird er
  besiegt, so braucht er nur zuzubeißen.
  Ihr Herr Schwager sagte mir, daß er nicht über Ziebingen zurückgehen
  würde; ich konnte ihm also das verlangte Buch nicht mitgeben. Es fragt
  sich, ob ich es Ihnen auf der Post zuschicken soll. Eigentlich hätte
  ich keine Lust dazu, damit Sie einen Antrieb mehr hätten, bald hieher
  zu kommen, wozu Sie uns Hoffnung machten.
  Von Oehlenschlägern weiß ich unmittelbar gar nichts. Aber daß er in
  Paris wenigstens gewesen ist, lese ich in öffentlichen Blättern. Ob
  er noch dort, oder vielleicht jetzt in Italien ist, habe ich nicht
  erfahren können. In Italien wird er schwerlich lange bleiben. Er hatte
  eine Art von Abneigung dafür und schien eine Furcht zu haben, daß ihm
  das Clima nicht bekommen würde. Seinen Aladdin erwarte ich sehnlichst
  und begreife nicht, warum er nicht erscheint.
  Ich habe jetzt den Calderon zu lesen angefangen. Die ~Autos
  Sacramentales~ waren unter meiner Erwartung. Ich fand schöne Verse,
  eine gewisse Pracht in der Ausführung, viel Beachtbares für Musik,
  aber wenig Phantasie. Nach ein Paar Proben gieng ich zu den Comedias
  über, die mich mehr anziehen. Vorjetzt hat mich besonders ein Stück
  interessirt: Das Leben ist ein Traum. Ein kraftvoller junger Mann,
  durch üble Behandlung verwildert, wird durch die grellsten Contraste
  zwischen Thron und Gefängniß dahin gebracht, daß er nicht mehr weiß,
  ob er wacht oder träumt. Dieß wird bey ihm ein daurender Zustand, er
  handelt in diesem Glauben und wird dadurch gemildert. Vielleicht hätte
  diese Idee in der Ausführung noch mehr benutzt werden können. Überhaupt
  finde ich in den Comedias oft eine gewisse Flüchtigkeit der Behandlung,
  aber die Kühnheit der Ideen hat einen großen Reitz. Shakespear scheint
  mehr mit Liebe gedichtet zu haben, und bey Calderon mehr die Kraft zu
  prävaliren. Er trotzt allen Forderungen von Wahrscheinlichkeit und
  schaltet unumschränkt in seiner Welt.
  Der neue Meß-Catalog ist einer der magersten selbst für die
  Michaelismesse. Die Buchhändler scheinen sich fast bloß auf
  Anecdotenkram und politische Kannegießereyen einlaßen zu wollen.
  Bey Herrn von Burgsdorf und seinen unvergeßlichen Nachbarinnen erhalten
  Sie unser Andenken. Die Meinigen empfehlen sich Ihnen bestens.
   _Körner_.
  
   II.
   _Dresden_, am 23. Jan. 1814.
  Die übersendeten Bücher und Musikalien, theuerster Freund, habe ich
  richtig erhalten. Der Farqhuar ist mir sehr lieb, da ich längst mit ihm
  genauer bekannt zu werden wünschte, ob er wohl in seiner zügellosen
  Manier sich eigentlich unter honetten Leuten nicht sehen lassen darf.
  Ich habe aber jetzt sogar Amtshalber eine wahre Sehnsucht nach dem
  Ächtkomischen. Man hat mir eine Aufsicht über das hiesige deutsche
  Theater aufgetragen, und das Geschäft ist nicht undankbar, da ich
  mehr Eifer bey den Schauspielern und mehr Empfänglichkeit bey dem
  jetzigen Publikum wahrnehme, als ich erwartete. Mein Wunsch ist nach
  und nach den „nassen Jammer“ von dem hiesigen Theater zu verdrängen,
  und das Publikum nach und nach an eigentlichen Kunstgenuß zu gewöhnen.
  An Tragödien fehlt es uns nicht, aber gute Lustspiele sind äußerst
  selten. Inmittelst müssen sogenannte Spektakelstücke, Zaubereyen und
  dergleichen mit aushelfen, die mir immer lieber sind, als Ifflands
  platte Moral. Vielleicht finde ich jemand, der einen Farqhuar’schen
  Stoff nach dem Bedürfniß der Zeit behandelt.
  Neulich war im Vorschlage, den Sommernachtstraum einzustudiren, und
  das ganze Feenvolk mit Innbegriff von Oberon und Titania durch Kinder
  zu besetzen. Die Idee ist gewagt, und ich möchte wissen, was Sie darzu
  sagten. Wahr ist’s, daß wir jetzt einige sehr brauchbare Kinder bey dem
  Theater haben.
  Andere Stücke von Shakespear habe ich auch für die Zukunft ~in
  petto~, und gern möchte ich mit Ihnen darüber berathschlagen. Nur
  kann nicht alles auf einmal geleistet werden, da jetzt noch manche
  Schwierigkeiten zu heben sind.
  Der Gräfin Henriette bitte ich mich bestens zu empfehlen. Mit großer
  Freude vernehme ich ihre Wiederherstellung. Von meinen Musikalien steht
  ihr alles zu Diensten, was sie gebrauchen kann.
  Die Meinigen lassen Ihnen viel Freundschaftliches sagen. Leider haben
  wir uns in Berlin seltner gesehen, als ich gewünscht hätte. Bey
  Burgsdorf bitte ich mein Andenken zu erneuern. Leben Sie recht wohl!
   _Körner_.
  
   III.
   _Berlin_, den 28. May 1816.
  Es freut mich, daß ich im Stande gewesen bin Ihren Wunsch, so viel
  den Waston betrifft, zu erfüllen. Dieß Werk war in der Partheyischen
  Bibliothek, und ich konnte es Ihnen daher verschaffen. Von den andren
  Schriften aber, die Sie erwähnen, habe ich keine gefunden. Massingers
  Werke besaß der Hauptmann von Blankenburg in Leipzig, der die Zusätze
  zu Sulzers Theorie geliefert hat, aber ich weiß nicht wohin sie nach
  seinem Tode gekommen sind.
  Im Meß-Catalogus finde ich unter den künftig zu erwartenden Schriften
  ein altdeutsches Theater von Ihnen in sechs Bänden aufgeführt. Sind
  dieß eigne dramatische Arbeiten oder Bearbeitungen fremder ältern
  Produkte? Ich erinnere mich aus einem Gespräche mit Ihnen, daß Sie
  geneigt waren, Stoffe aus der deutschen Geschichte dramatisch zu
  behandeln. Nur hätte ich geglaubt, daß diese Dramen nach und nach
  einzeln erscheinen würden.
  Hier haben kürzlich Wolff und seine Frau aus Weimar Romeo und
  Julie nach Göthens Bearbeitung gegeben. In beyden bemerkt man viel
  Studium und Göthens Schule, der auf das Plastische, die Ruhe und den
  Totaleindruck der Darstellung den vorzüglichen Werth legt. Ein Theil
  des hiesigen Publikums kann sich hieran noch nicht gewöhnen, und die
  ganz Ungebildeten verlangen jüngere Gesichter für diese beyden Rollen.
  Indessen hatten sie unter den Anwesenden die Mehrheit für sich und
  wurden herausgerufen.
  Meine Frau und Schwägerin sind wohl und lassen Ihnen viel
  Freundschaftliches sagen. Bey uns allen ist der Wunsch recht wieder
  rege geworden, einmal wieder von Ihnen etwas aus dem Shakesp. zu hören.
  Leben Sie recht wohl!
   _Körner_.
  
  
  Koester, Hans.
  
   Geb. in Mecklenburg-Schwerin; seit seiner Verheirathung ganz in
   Preußen, zuerst in Breslau, dann auf seinem Landgute, später in
   Berlin, jetzt in Weimar lebend. Die Bühnen beider Städte haben
   mehrere seiner dramatischen Dichtungen zur Aufführung gebracht.
   K.’s poetische Thätigkeit war immer auf große Vorwürfe gerichtet,
   wie schon die Titel der Stücke: Conradin -- Maria Stuart -- Lucia
   Amadei -- Ulrich von Hutten -- Hermann der Cherusker -- der
   große Kurfürst &c. bekunden. In neuerer Zeit scheint er sich der
   Erzählung zuwenden zu wollen, wofür er mit dem in Tieck’scher
   Novellenform gehaltenen Buche: „Lieben und Leiden“ einen schönen
   Beruf entwickelt.
   Von seiner Zuschrift an T., welche durch ihre klare und sichere
   Weltanschauung bei einem Jüngling, wie er damals gewesen, gewiß
   frappiren darf, haben wir uns genöthiget gesehen, beinah die
   Hälfte wegzulassen, weil sich in derselben, mit allerdings
   recht interessanten litterarischen Notizen, Familiennachrichten
   verbanden, zu deren Veröffentlichung wir uns nicht berechtiget
   glaubten.
  
   _Paris_, 7. September 1841.
   _Hochwohlgeborner,
   Hochgeehrtester Herr Hofrath!_
  Sie erlaubten mir bei meinem Abschiede von Baden, Ihnen fernere
  Nachrichten von mir geben zu dürfen; es war mir der frohste Trost,
  den die trübe Stunde überhaupt bieten konnte. Die Abreise des Königs
  nach Schlesien führt Sie gewiß bald nach Dresden zurück; -- so bin
  ich denn vorschneller da, als ich vielleicht sollte; wenn es mich
  nicht mit ganzer Seele zum Schreibtische zöge, gewiß, ich würde Sie
  nicht belästigen! Sie glauben nicht, mit welcher Gewalt gerade mein
  Aufenthalt in Paris die Erinnerung vergangener Zeit in mir zurückruft.
  Das Gewühl, welches mich umgiebt, greift oft so betäubend in meine
  Sinne ein, daß ich fast glauben muß, ich sei erst hier zur Wirklichkeit
  erwacht und habe sonst nur in der Stille meiner Träumereien gelebt.
  So gehe ich fremd dem Lande, fremd den Menschen, umher und suche
  voller Sehnsucht alles auf, was mich auf Augenblicke wenigstens die
  Leere und Unbehaglichkeit der Gegenwart vergessen läßt. -- Ich ging
  ungerne nach Paris und meine Ahnung hat mich nicht betrogen; mein
  hiesiger Aufenthalt ist kaum etwas anderes für mich, als eine lange,
  lange Sprachstunde. Das hiesige Leben entbehrt gewiß nicht großartiger
  Elemente und es liegt wohl nur in meiner jetzigen Stimmung, daß ich
  nicht geschickt bin, sie mit Gerechtigkeit aufzufassen und zu würdigen.
  Wie überall, so auch hier ein ruhloses Ringen und Jagen nach einer
  mehr oder minder wohlhäbigen Existenz; nur scheint es mir hier mehr
  hervorzutreten, als in irgend einem Lande, wo ich bisher war. Die
  Franzosen nennen es „Fortschreiten der Civilisation;“ mir scheint
  der Ausdruck verfehlt. Wenn Civilisation Geld und Genuß im Gelde und
  durch das Geld ist, so schreitet man allerdings in Frankreich fort; --
  giebt es aber eine Civilisation ohne jene Vorzüge der Frömmigkeit, der
  bürgerlichen Tugenden, der Vaterlandsliebe? muß das alleinige Vorwiegen
  des Interesses nicht die Völker in eine Barbarei zurückführen, die wohl
  wilder und gefühlloser sein dürfte, als die mittelalterliche, die man
  so gerne im Munde führt? Wenn man untersucht, wo denn eigentlich die
  Keime der Revolutionen in Frankreich stecken, so kommen wir in neuerer
  Zeit gewiß mehr auf selbstsüchtige, als auf politische Gründe; sie
  finden sich im Ganzen nur in der Klasse, die mit ihrer gegenwärtigen
  Existenz unzufrieden ist; -- von jener Treue der Meinung aber, von
  wahrer Gesinnung, die in der Überzeugung wurzelt und ohne egoistische
  Rücksicht nur für diese strebt, kann ein für allemal nicht die Rede
  sein. Es ist Schade, daß der tüchtige Kern, den das Volk noch immer
  in sich trägt, nicht besser genährt und gepflegt wird; es fehlt den
  Franzosen nicht an einem gewissen Edelmuthe, an einer Aufopferung,
  die zu großen Dingen geschickt macht; Napoleon aber hat diesen
  Nationalvorzügen in der ~gloire~ eine für die Ruhe von ganz Europa
  gefährliche Richtung gegeben und so die Zeit der Selbsterkenntniß
  in eine Ferne gerückt, die allein die harten Lehren der Geschichte
  vermindern können, unter deren Gewichte Frankreich jetzt schon lange
  seufzt.
  Mit der neuern Kunst scheint es hier zu gehen, wie in Italien; man
  dient der Mode, weil man zu keinem selbstständigen Geschmack kommen
  kann. Die letzten Anlagen reihen sich im buntesten Wechsel des Stils
  an einander; der Concordienplatz übertrifft darin selbst noch die
  Münchner Mustercharte. Jetzt ist das Griechische an der Tagesordnung,
  vor einigen Jahren glaubte man gothisch zu bauen. Von wahrer Liebe
  zur Sache, von jener ernsten und innigen Durchführung, die uns bei
  mittelalterlichen Bauten so begeisternd hinreißt, findet man keine
  Spur. Ich war oft beim ersten Anblick von dem Umfang und von der Pracht
  der neuern Anlagen überrascht; wenn man aber anfängt sich in sie
  hineinzudenken, so wird man nur zu bald seine Täuschung gewahr; sie
  gleichen jenen Menschen, die viel und mancherlei gelernt haben, ohne
  etwas zu wissen: -- alles ist leidiger Effect ohne inneres Bewußtsein.
  Der Architect hat Riß und Anschlag gemacht, die Entrepreneurs ihre
  Pflicht nach dem Buchstaben des Contractes erfüllt; -- wie soll uns das
  aber Hingebung abgewinnen, was ohne Hingebung aufgefaßt und ausgeführt
  ist? --
  Ich besuche ziemlich regelmäßig die Theater, besonders das ~theâtre
  français~. Beim Drama kommt mir Ihre Kritik der Georges -- ich
  weiß nicht, ob ich den Namen recht schreibe -- nicht aus dem Sinne.
  Ich glaube kaum, daß Talma der sogenannten classischen Tragödie
  einen sonderlichen Dienst geleistet hat, indem er Puder und Perrücke
  verdrängte; der Zopf ist geblieben, ob er nun vorne oder hinten hängt,
  ist am Ende einerlei; -- man muß den Fleiß und die Schule bewundern,
  das Ganze bleibt am Ende aber doch nur eine Caricature der lieben
  Menschheit. -- Das Lustspiel hingegen hat mich wahrhaft erfreut. Man
  darf freilich in den neuern Producten keine Poesie suchen, die kalte
  Frivolität der Salons aber versteht man in der That vortrefflich
  nachzuahmen. Und wie gut sprechen die Leute! trotz meiner mangelhaften
  Kenntniß der Sprache, entgeht mir wenig; den Franzosen mag es in
  Deutschland nicht so gut werden. -- Dann der Reichthum des Repertoirs
  auf dem ~theâtre français~; -- ich sah während meines Hierseins
  vieles von Corneille, Racine und Voltaire und fast sämmtliche Stücke
  von Molière. Dabei spielte man nicht vor leerem Hause, wie es bei uns
  zu sein pflegt, wenn man die Meisterwerke unserer Dichter aufführt;
  -- um einen Platz im Parterre zu erhalten, muß man queue machen und
  die Ränge sind meistentheils vollständig besetzt. Der Vorwurf der
  Veränderlichkeit, den wir den Franzosen so gerne machen, möchte
  wenigstens in dieser Beziehung auf uns zurückfallen.
  -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- -- --
  Ich empfehle mich viel tausendmal der Gräfin Finkenstein und Ihrer
  Fräulein Tochter. Ich habe Ihnen ohne Umschweife mein ganzes Herz
  ausgeschüttet, verehrter Herr Hofrath; Ihre Güte hat mich verwöhnt und
  man glaubt so gerne Rechte zu haben, wo man sein Herz hat! -- Mit den
  innigsten Wünschen für Ihr Wohlsein, mit warmer Verehrung
   Ew. Hochwohlgeboren
   ganz gehorsamster
   _Hans Koester_.
   Rue St. Pierre Mont-Martre 15.
  
  
   Koreff.
  
   Ein Musenjünger, ein „Serapionsbruder;“ ein Mediciner, Mann der
   positiven Wissenschaft, und nichts desto weniger Magnetiseur;
   einflußreicher Leibarzt des Staatskanzlers Fürsten Hardenberg; nach
   dessen Tode in Paris heimisch geworden, und dort wie zu Hause; ein
   wahrer Allerweltsmann stellt sich zu Tieck’s Festtage mit wenigen
   Zeilen ein, die mailich duften. Worin das von ihnen begleitete
   Geburtstaggeschenk bestanden haben könnte, ließ sich nicht errathen.
  
   _Dresden_, 31. Mai 1822.
   _Mein hochverehrter Freund!_
  Ihr heutiger Morgen war voll Blüthen und reizenden Gestalten. Vergönnen
  Sie es Ihrem Freunde, daß er die heitre Wassergöttin beschwöre, auch
  Ihren Abend und Ihr schon in Schlummer getauchtes Augenlied mit dem
  Zauber der Schönheit zu berühren. So möge dies auch zum Symbol meinem
  Wunsche dienen, daß es keiner Tageszeit im Leben des Musen-Lieblings an
  Blüthen und erquickender Schönheit fehlen dürfe.
   Ihr
   _Koreff_.
  
  
  Kratter, Franz.
  
   Geb. 1758 zu Oberndorf am Lech, Kassierer in Lemberg, -- Sekretair
   in Wien, -- Direktor des Theaters in Lemberg, -- Gutsbesitzer --
   gestorben...?
   Der Augarten, Gedicht. -- Der junge Maler am Hofe. -- Das
   Schleifermädchen aus Schwaben, Romane.
   Über seine dramatischen Arbeiten dürfen wir billig schweigen, da
   der Leser durch den Autor im nachstehenden Briefe genügend davon
   unterrichtet wird. Der Brief hat wirklich um seiner Form willen
   wenig Anspruch auf öffentliche Mittheilung zu machen, und wäre die
   darin enthaltene Bitte an irgend einen andern Menschen gerichtet,
   so wäre gar nichts Besonderes dabei.
   Daß aber Herr Kratter sich mit seinem Ansuchen zu Tieck wendet,
   übersteigt die Grenzen kindlicher Naivetät. _Ludwig Tieck_
   soll ihm einen Verleger für alte, längst von den Brettern
   verschwundene Dramen auftreiben, die gerade von den Kritikern,
   zu denen sich damals T. so heftig gesellte, ohne Erbarmen und
   Schonung perhorrescirt worden sind? Es wäre zum Todlachen -- wär’s
   nicht zugleich wahrhaft rührend! Man erinnere sich nur des A. W.
   Schlegel’schen Sonettes aus der „Triumph- und Ehren-Pforte“ für den
   aus Sibirien zurückkehrenden „Theaterpräsidenten:“
   „&c. Und wie ein Jeder kann, so fei’r’ ihn Jeder:
   _Du kratz’ das Herz mit Höllenfratzen Kratter_,
   Du siede neue Zauberinnen Zschokke,
   Du lass’ die Bestien tanzen Schikaneder!“
   Was ihm wohl Tieck geantwortet haben mag? -- Je nun, wir denken,
   das ist leicht errathen. Gar nichts!
  
   _Lemberg_, den 16ten April 1829.
   _Hochzuverehrender Herr!_
  Einer der vorzüglichsten Verehrer Ihrer litterarischen Verdienste ist
  so frei, aus dem fernen Norden Ihre Güte in Anspruch zu nehmen. Man hat
  mir so viel Rühmliches von der Humanität Ihres Charakters gesagt, daß
  ich kein Bedenken trage, mich mit einer Bitte an Sie zu wenden, deren
  gefällige Gewährung für mich von großer Bedeutung wäre.
  Der Buchhändler Wallishauser in Wien übernahm den Verlag der Ausgabe
  meiner sämmtlichen dramatischen Arbeiten. Allein die Wienerzensur
  verboth von den ersten sechs zum Drucke eingesendeten Schauspielen zwei
  der Interessantesten, und verstümmelte die Übrigen so unbarmherzig,
  daß sie mir diese Ausgabe in den Östreichischen Staaten platterdings
  unmöglich machte. Da diese Schriften durchaus reine Moralität zum
  Zwecke haben, so ist mir die zwecklos übertriebene Strenge dieser
  Zensur unerklärbar.
  Da ich seit vielen Jahren nichts in den Druck gegeben habe, so sind
  alle meine litterarischen Verhältnisse mit dem Auslande nach und nach
  gänzlich erloschen. Ich wage es daher, Sie in meiner Angelegenheit um
  Ihren gütigen Beistand zu bitten. Ihre vielfältigen Verhältnisse würden
  es meiner Meinung nach Ihnen nicht schwer machen, mich in Hinsicht
  des Verlages besagter Schriften mit irgend einer soliden Buchhandlung
  in Verbindung zu bringen. Deuten Sie mir es nicht ungütig, wenn ich
  mich dann unterfange, Ihre Bemühung im Falle eines guten Erfolges
  erkenntlich zu honoriren.
  Verzeichniß der zum Drucke fertigen Schauspiele.
   1. _Der Weise im Unglück._ Sch. in 5 A. von der Zensur
   verbothen. Ob es gleich vor vielen Jahren unter dem Titel: Der
   Vizekanzler auf dem K. K. Hoftheater sehr oft mit grossem Beifall
   gegeben worden ist. Als eine jugendliche Arbeit verwarf ich es
   nun, und gründete auf den sehr anziehenden Stoff ein ganz neues
   Schauspiel unter der obigen Benennung.
   2. _Das Mädchen von Marienburg_, ein fürstliches
   Familiengemählde in 5 A. nach der neuen Verbesserung von der Zensur
   verbothen, nachdem es auf dem K. K. Hoftheater mehr denn hundertmal
   dargestellt worden ist.
   3. _Die Pflegesöhne_, ein Trauerspiel in 5 A. Noch ungedruckt.
   In Jamben. Es war mehrere Jahre hindurch auf dem K. K. Hoftheater
   ein Repertoirstück. Ich glaube nun, daß es durch eine fleissige
   Umarbeitung an Werth gewonnen habe.
   4. _Athenais_, Sch. in 5 A. in Jamben. Als ein Gegenstück zum
   Mädchen von Marienburg von nicht weniger interessantem Stoff. Es
   ist noch ungedruckt.
   5. _Der Blutzins an die Mauren._ Heroisches Sch. in 5 A. in
   Jamben, und noch ungedruckt. Aus den Zeiten, als die christlichen
   Städte in Spanien jährlich eine Anzahl Jungfrauen als Tribut an die
   Sarazenen abliefern mußten.
   6. _Bruder Franz von Paula._ Heroisches Sch. in 5 A. in
   Jamben, und noch ungedruckt. Meines Erachtens der interessanteste
   Stoff von allen meinen Schauspielen.
   7. _Die Sklavin in Surinam._ Sch. in 5 A. Zwar vor mehrern
   Jahren von Eßlinger in Frankfurt verlegt, nun aber gänzlich
   umgearbeitet.
   8. _Das Oktoberfest_, oder das Paradies des Gutsherrn.
   Ländliches Gemählde in 5 A. So eben verfaßt, und vielleicht kein
   unkräftiges Wörtchen zu unserer Zeit. Noch ungedruckt.
   9. _Die Verschwörung wider Peter den Großen._ Tr. in 5 A. Im
   Jahre 1790 von der deutschen gelehrten Gesellschaft in Manheim
   mit dem Preise gekrönt. Demungeachtet fand ich es jetzt nöthig,
   demselben durch Umarbeitung eine neue Gestalt zu geben.
   10. _Der Friede am Pruth_, Sch. in 5 A. Als Fortsetzung des
   Mädchens von Marienburg.
  Die noch ungedruckten und umzuarbeitenden Stücke sind:
   1. _Sebastian der Unächte._ Tr. in 5 A. in Jamben.
   2. _Der Mohrenkönig._ Sch. in 5 A.
   3. _Appius der Dezemvir._ Tr. in 5 A. in Jamben.
   4. _Eginhard und Emma._ Sch. in 5 A.
   5. _Die Kriegskammeraden._ L. in 5 A.
   6. _Der Brautwerber._ L. in 5 A.
  Sie dürften in zwei Jahren zum Drucke fertig werden.
  Ich ließ diese Schriften größten Theils noch ungedruckt liegen, bis ich
  theils zur wesentlichen Verbesserung, theils zur gänzlichen Umarbeitung
  derselben einen von allen Geschäften freien Zeitpunkt gewinnen
  würde. Dieser traf endlich vor zwei Jahren ein, und ich benützte ihn
  mit besonderem Fleiß. Ich glaube daher weder Ihre gütige Verwendung
  zu kompromittiren, noch von einer bescheidenen Kritik etwas Arges
  fürchten zu müssen. In der Beilage sind die zum Drucke fertigen Stücke
  verzeichnet.
  Herr Wallishauser würde sich herbeilassen, von dem Verleger eine
  bedeutende Anzahl Exemplare zu übernehmen, wenn ihm von demselben der
  ausschliessende Absatz in den Österr. Staaten zugesichert würde. Gegen
  auswärts gedruckte Schriften ist die Wienerzensur ziemlich nachsichtig.
  Es wäre daher von ihr nichts Schlimmes in dieser Hinsicht zu besorgen.
  Ich ersuche Sie um eine gefällige Antwort, indem ich mit der
  geziemendsten Hochachtung die Ehre habe zu seyn
   Ihr
   ergebenster
   _Franz Kratter_,
   Gutsbesitzer.
  N. Sch. Haben Sie die Güte, Ihr Schreiben bei Herrn Doktor und
  Professor Maus in der grossen Armeniergasse abgeben zu lassen. --
  Unangenehm ist es mir, daß der Brief nur bis zur Grenze frankirt werden
  konnte.
  
  
  Krause, Karl Christ. Friedr.
  
   Geb. den 6ten Mai 1781 zu Eisenberg im Altenburgischen, gest. in
   München am 27ten Sept. 1832.
   Sein System der Logik (1828) -- Philosophie des Rechtes (1828) --
   Vorlesungen über die Grundwahrheiten der Wissenschaft (1829) --
   haben seinen Ruf in der gelehrten Welt begründet. Er gilt für einen
   „Philosophen von socialistischer Tendenz.“
   Sein Schreiben an Tieck bezieht sich auf mehrere Namen von
   Bedeutung. Die angedeutete Befürchtung, daß Böttiger’s Einfluß
   ihm (als Tiecks Freunde) in Hannover schaden könne, ist ein
   Anachronismus; denn 1823 waren jene kleinen Wunden, einst
   von schelmischen Krallenhieben des Katers gerissen, längst
   vernarbt, und Böttiger verkehrte ganz freundlich mit seinem
   ehemaligen Gegner.
  
   _Göttingen_, am 24ten September 1823.
   _Mein verehrter Freund!_
  Sehr oft habe ich an Sie gedacht, und mich im Geiste mit Ihnen
  beschäftiget, auch während ich auf der Reise, und bei meiner kleinen
  Einrichtung in Göttingen, vielfach zerstreut war, noch mehr aber jetzt,
  da ich anfange, hier heimisch zu sein. Viele unsrer Gespräche wachten
  in mir wieder auf, und ich lebte die angenehmen Stunden, die ich bei
  Ihnen, und in Ihrem schönen Kreise zubrachte, im Geiste wieder.
  Unsere Reise beendeten wir glücklich, obgleich auf der Höhe zwischen
  Nordhausen und Heiligenstadt manche Beschwerde und Gefahr zu bestehen
  war. Meine arme Sophie wurde durch die Anstrengung und durch die
  Beschwerde der Reise krank, und fiel endlich in ein Fieber, woraus sie
  sich erst in diesen Tagen erholt.
  Einige Stunden nach unsrer Ankunft in Göttingen, trat unerwartet unser
  gemeinsamer Freund ~Dr.~ Thorbecke bei mir ein. Wir freuten uns
  Beide des Wiedersehens; er hat sich mir seitdem als Freund erwiesen,
  und ich habe ihn noch mehr lieb, als sonst; wir sehen uns jeden Abend
  abwechselnd bei ihm oder bei mir. Daß Sie und Ihre Werke sehr oft der
  Gegenstand unsrer Gespräche sind, und wie sehr wir uns Beide sehnen,
  bei Ihnen zu sein, brauche ich Ihnen nicht zu versichern.
  Ich bin Ihnen sehr dafür verpflichtet, daß Sie mich Ihrem Freunde
  Ottfr. Müller empfohlen haben, den ich sehr werthschätze und liebe. Die
  Aussicht auf den genaueren Umgang mit ihm, und vielleicht auf seine
  Freundschaft, erheitert mir den Gedanken an die nächste Zukunft.
  Er hatte sich vorgenommen, in den letzten Tagen dieses Monates nach
  Dresden zu reisen, mußte aber diesen Lieblingsplan aufgeben, wegen
  einer Menge Arbeiten, die er nicht aufschieben kann, und in den Ferien
  kaum zu bestreiten denkt, und bedauert daher schmerzlich, es sich
  versagen zu müssen, einige Tage bei Ihnen und Ihrem Familienkreise zu
  verleben.
  Zwei Tage nach meiner Ankunft wurde ich hier durch den Decan, Herrn
  Hofrath Mitscherlich bei der Philosophischen Facultät nostrifizirt, und
  die Anzeige meiner Vorlesungen kam noch in die einzeln auszugebenden
  Abdrükke des deutschen Lectionsverzeichnisses, obgleich die den
  Götting. gel. Anzeigen beigelegten Abdrükke schon abgezogen waren.
  Vielleicht bringe ich durch Ottfr. Müllers, Thorbeckes, und einiger
  anderen Gelehrten Vermittelung meine Vorlesungen über Logik und
  Einleitung in die Philosophie, und über das System der Philosophie zu
  Stande, -- wenn auch nur für Wenige. Kurz vor Anfang der Vorlesungen
  werde ich disputiren. -- Sehr viel ist daran gelegen, daß ich dem
  Herrn Minister von Arnsberg und dem Herrn Staatsrath von Hoppenstädt
  in Hannover empfohlen werde. Ich habe gehört, daß bei Beiden der Herr
  Hofrath Böttiger sehr viel gilt; -- dieß ist vielleicht für mich eine
  sehr schlimme Vorbedeutung. Halten Sie es für gut, wenn ich deßhalb
  mich an Herrn Hofrath Geißler wendete, so unterstützen Sie mich dabei
  mit Ihrem Rathe, und melden mir dessen Adresse.
  Mit großem Vergnügen habe ich Ihre belehrende Vorrede zu der Vorschule
  zum Shakespeare gelesen, und darin manches angedeutet gefunden, was Sie
  die Güte gehabt haben, mir gesprächsweise ausführlicher mitzutheilen.
  Ihre Gedichte, zunächst Ihre Schilderungen auf der Reise in Italien,
  erheitern und erfreun mich bei meinen ernsten Arbeiten, denn Sie waren
  immer und bleiben mir der liebste deutsche Dichter.
  Heute las ich den Vorbericht Tafel’s zu dem ersten Theil der von ihm
  herausgegebenen Werke Swedenborg’s, der auch Ihnen in mancher Hinsicht
  merkwürdig sein wird, besonders wegen der Abschätzung der verschiedenen
  christlichen Kirchen, und wegen des Ganges der Gedanken und der
  Gefühle, wodurch ein so wohlunterrichteter Mann, wie dieser Tafel
  erscheint, dennoch ein Gläubiger an die unmittelbar göttliche Sendung
  und Inspiration Swedenborg’s werden konnte.
  Ich wünschte, daß der Überbringer dieses Briefes, mein Freund, der
  Diaconus M. Wagner, Ihre nähere Bekanntschaft machen dürfte. Er ist
  ein sehr schätzbarer Mann, von reger Empfänglichkeit für alles Wahre,
  Schöne und Gute, wahrhaft fromm, von kirchlichen Vorurtheilen frei, und
  hat sich durch seine Wirksamkeit als Prediger, und als der thätigste
  
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