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Briefe an Ludwig Tieck (2/4) - 06

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  manchem andern Ihrer oder Andrer Werke, allein es ist doch erfreulich,
  dieses isolirte Wissen nunmehr durch die Praxis bewahrheitet zu
  sehn. Mein Glaube steht fester als je, daß unsre Bühne nicht verarmt
  ist, vielmehr auf der Stelle reich dastehn würde, wenn wir nur uns
  entschließen könnten, die unbenutzten Schätze, welche wir noch haben,
  hinauf zu fördern.
  Die Darstellung war eine gute zu nennen; ich glaube, daß Sie mit
  derselben nicht unzufrieden gewesen seyn würden. Obgleich Vieles in
  den Händen größerer Künstler (denn das Stück verlangt bis in die
  kleinen Rollen hinein eigentlich bedeutende Talente) noch schärfer,
  origineller, markiger ausgefallen wäre, so kann man doch dreist
  behaupten, daß der Sinn und Humor keiner einzigen Szene verloren
  gegangen ist. Selbst bis zu den Handlangern herab war es gelungen,
  den Geist des Ganzen ihnen beizubringen. Und das Stück zeigte sich
  so leicht behandelbar, daß ich mit geringen Vorbereitungen dessen
  mächtig geworden bin. Eine Vorlesung, zwei Lese- und drei Theaterproben
  genügten, den Blaubart in die Szene zu setzen. In besonders guten
  Händen waren Agnes, Simon, Winfried, Rathgeber -- auch der Blaubart
  und der Narr waren nicht schlecht. Mechthilden muß ich ebenfalls noch
  lobend erwähnen. Sublim machte sich die Erzählung des Mährchens, die
  ich tableauartig hatte arrangiren lassen. Im Ganzen ließ ich die Farben
  dreist und keck auftragen, auch was Costum, Maske, Apparat u. s. w.
  betrifft.
  Da wir beide den schändlichen Zustand unsres heutigen Theaterpublicums
  kennen, so werden Sie sich nicht wundern, wenn ich Ihnen sage, daß ich
  mit stiller Resignation ins Theater ging, auf eine völlige Niederlage
  gefaßt, wobei indeßen, wie jener französische König sagte, die Ehre
  nicht verloren gegangen wäre. Nun war aber der Erfolg ein ganz andrer,
  angenehmerer. Von vorn herein herrschte die größte Aufmerksamkeit im
  ganz gefüllten Hause (~NB.~ beim schönsten Maiwetter). Alles
  Lustige, Humoristische wurde belacht, die tiefsinnigen Unterhandlungen
  zwischen Simon und dem Arzt, diesem und dem Blaubart erregten die
  größte Lust, tiefe Stille bei den tragischen Szenen, häufiger Applaus,
  endliches Hervorrufen von Agnes und dem Blaubart -- kurz, alle Zeichen
  eines vollständigen Erfolgs. Ich habe nach diesem Abende die Hoffnung,
  den Blaubart förmlich dem currenten Repertoir einverleiben zu können.
  Das ist sehr wenig und sehr viel, wie man es nimmt.
  Aus dem Zettel ersehen Sie, daß ich Abänderungen und Einrichtungen
  vorgenommen habe. Sie trauen mir den lächerlichen Dünkel nicht zu, Sie
  verbessern zu wollen, allein man muß durchaus, will man bei gewagten
  Sachen noch einige Chancen des Gelingens für sich behalten, sich
  gegenwärtig zu Manchem verstehn.
  So ist es mir ein Erfahrungssatz geworden, daß bei solchen
  Productionen, je weniger Zwischen-Acte sind, desto mehr noch an
  einen Erfolg zu denken ist. Die poetische Stimmung verfliegt bei der
  barbarischen Menge den Augenblick wieder, wenn sie nicht möglichst
  condensirt zusammengehalten wird. Mit der Zusammendrängung der
  Stella in 3 Acte war es mir schon gut gelungen, und nun ist dieselbe
  Operation, wie ich glaube, auch dem Blaubart zu Statten gekommen.
  Ich habe aus Act 1 und 2 den Ersten aus Act 3 und 4 den zweiten Act
  gemacht, und der 5te Act ist der dritte geworden.
  Manches habe ich gekürzt. Dann war es für das Theater durchaus
  nothwendig, die secundaire Handlung (Morloff, Reinhold, Brigitte,
  Leopold) völlig zum Abschluß zu bringen, bevor die tragische
  Katastrophe der Haupthandlung eintrat, weil das Eintreten der zweiten
  Handlung, nachdem die Haupthandlung zum Ende gediehen ist, für
  unser nicht mit einem Male von dem Gelüste nach starken Effecten
  abzubringendes Publikum eine ~longueur~ gewesen wäre, welche
  vielleicht den ganzen Schluß umgeworfen hätte. Ich ließ also schon
  im finstern Wald den alten Morloff seine Tochter wiederfinden, ihr
  vergeben, und diese ganze Gruppe nur zum Schluß mit einigen auf Agnes
  bezüglichen Worten wieder eintreten.
  Die Szenerie Ihres Werks zum Schluß hätte eine bedeutende tragische
  Handlung auf einen engen Raum zwischen Podium und Soffiten ängstlich
  zusammengepreßt, welches, wenigstens auf unsrer kleinen Bühne, die
  ganze Wirkung vernichtet haben würde. Ich nahm also das ganze Theater
  zum Altan, ließ hinten das Podium aufnehmen, Luft und vorragende
  Gebirgsspitzen hinhängen, um die Höhe zu versinnlichen, und Alles von
  unten und hinten auf den Altan kommen.
  Winfried schloß das Ganze mit einer gereimten ~Captatio
  benevolentiae~ an die Zuschauer.
  Wenn es Sie interessirt, will ich das Buch, wornach hier gespielt
  worden ist, übersenden.
  Das Liebste wäre mir nun, wenn _Ihnen_ diese Sache auch einige
  Freude machte. Ist dieß der Fall, so würde ich Sie bitten, Ihre
  Abneigung gegen das Schreiben zu überwinden, und mir einige Zeilen
  zu senden, die ich meinen Schauspielern mittheilen könnte. Das Wort
  des Dichters würde sie außerordentlich erfreun, und es ist wohl
  gewissermaßen jetzt nöthig, wenn diese verkommenen Menschen einmal sich
  zum Ungewöhnlichen aufraffen, das Edlere in ihnen auf jede Weise zu
  bestärken.
  Mit herzlicher Gesinnung
   der Ihrige.
   _Immermann_.
  N. S. Eine im Gebäude verirrte Katze erschien munter hin- und
  herspringend in mehreren Szenen auf der Bühne, als wollte sie an der
  Handlung Theil nehmen. Wenn man Ihrer Neigung zu dieser Thierart
  sich erinnert, so hat das Ereigniß wirklich etwas Mystisches. Dieser
  ungestiefelte Kater störte übrigens nicht, da er nur in lustigen Szenen
  kam und von Winfried sogleich zu einigen Lazzi verbraucht wurde.
  Mehrere Zuschauer haben wirklich geglaubt, die Katze gehöre zum Stück.
  
   X.
   =Ludwig Tieck an Immermann.=
   _Dresden_, d. 10ten Mai 1835.
   _Mein theurer, geehrter Freund!_
  Wie unendlich tief bin ich nun schon in Ihre Schuld gerathen und wie
  viel glühende Kohlen haben Sie auf mein Haupt gesammelt. Statt zu
  klagen und Ihre Verzeihung zu erbitten, will ich, so gut ich kann,
  nach der Ordnung die Punkte berühren, auf welche ich Ihnen Antwort
  schuldig geblieben bin. Sie erhalten dieses Blatt durch einen wackern,
  von mir sehr hochgeschätzten Schauspieler, Herrn P., der sich auch
  Ihrer Bekanntschaft erfreut. Ich glaube, dieser Mann hat, seitdem Sie
  ihn gesehn haben, noch bedeutende Fortschritte gemacht; er hat hier
  mit vielem Glück die beiden Cromwells von Raupach und dessen Friedrich
  II. und seinen Sohn (er Friedrich) gegeben. Das Publikum hier
  bezeigt ihm so, wie ich, die Hochachtung, die er verdient.
  Wie habe ich auf Sie vorigen Sommer in Baaden gewartet! da Sie mir
  Ihre Ankunft eigentlich mit Gewißheit versprochen hatten! Ich weiß
  nicht einmal mit Gewißheit, ob Sie bis Frankfurt gekommen sind, und den
  Brief erhalten haben, den ich Ihnen dorthin schrieb. Es wäre so schön
  gewesen, wenn wir uns dort im grünen Lande in dieser so aufthauenden
  Sonnenhitze gesprochen hätten. Es lebt sich anders dort, als in einer
  Stadt, und Spatziergänge, Natur, alles hätte uns wohl noch näher
  gebracht. Nachher ängstete ich mich, Sie möchten doch noch nach meiner
  Abreise hingekommen sein, denn die Krankheit meiner Frau zwang mich,
  viel früher abzureisen, als ich sonst wohl gethan hätte. Diese fand
  ich hier sehr bedenklich und im Winter fast sterbend. Die Wassersucht
  macht stets wiederkehrende Operationen nöthig, und die zweite, die
  noch im Herbst erfolgte, brachte sie dem Tode ganz nahe. Seitdem hat
  sie sich, obgleich diese Operationen wiederholt werden, auf eine fast
  wunderbare Art gebessert: ihre Kräfte, die schon ganz geschwunden
  waren, stellen sich wieder her, und sie ist jetzt eine bessere
  Fußgängerin als ich, so daß sie wenigstens, wenn auch immer leidend,
  noch auf einige Lebensjahre rechnen kann.
  Den Dank für die 4 Bände Ihrer gesammelten Werke bin ich Ihnen auch
  noch schuldig, herzlich gebe ich ihn, wenn auch spät. Mein Freund,
  immer wieder habe ich Ihren Alexis gelesen, und oft auch Hoch und
  Niedrig, Vornehm und Gering, Dumm und Klug vorgelesen, und er hat immer
  allen Menschen und allen Temperamenten auf wunderbare Weise gefallen,
  die meisten hingerissen und erschüttert. Das Werk bleibt mir immer neu
  und wird mir mit jeder wiederholten Lesung lieber. Mir däucht, das ist
  die beste Kritik, sowie der ächte Prüfstein. Diese politische Weisheit
  in Anlage und Durchführung, diese feine, edle Ironie, die von diesem
  Standpunkte aus so wehmüthige Blicke mit Recht auf alles menschliche
  Treiben wirft, diese Doppelheit der Charaktere, alles begeistert mich,
  und ich gestehe Ihnen wieder, daß diese beiden Stücke mir unter Ihren
  dramatischen Arbeiten die liebsten sind. Mit großer Freude habe ich
  es nun erlebt, daß diese großartigen Gemälde unter Ihren Augen und
  nach Ihrer Anordnung sind dargestellt worden. Herr Weymar, der hier
  mit ganz ungewöhnlichem Glück Gastrollen gespielt hat, hat mir alles
  recht weitläufig erzählen müssen. Ich hoffe, von Ihrer Bühne aus
  betreten diese kräftigen Tableaux auch die übrigen Theater. Hier und
  auch vielleicht anderswo ist eine zu gereizte Zartheit für Rußland eine
  Hemmung und peinliche Rücksicht: ich hoffe, aber kein Hinderniß.
  Wie oft habe ich Ihr bezauberndes Tulifäntchen wieder in größern und
  kleinern Gesellschaften vorlesen müssen! Diese neckische Schalkheit
  und bunt beflügelte, leichte Poesie scheint sonst außer Ihrem weit
  verbreiteten Reiche zu liegen. Von Russen zu Elfen ist ein weiter
  Sprung! Nur das Tüpfchen auf dem I. wünschte ich fort und etwas anderes
  an die Stelle; sonst dünken mich alle die Änderungen Verbesserungen;
  hier haben Sie verschmäht, etwas anderes einzuführen. Ich kann Ihnen
  nicht ausdrücken, welchen Widerwillen es mir erregte, daß der Heine Sie
  so lobt und preiset! Die Schriften dieses Zigeuners kenne ich erst, d.
  h. seine späteren, seit vorigem Sommer. So bin ich immer hinter meinem
  Jahrhundert zurück.
  Was Sie mir über Macbeth schreiben, hat mich interessirt und
  gefreut. Wie viel hat Ihre Energie und Einsicht schon in kurzer Zeit
  geleistet. Im Wesentlichen bin ich gewiß mit Ihrer Einrichtung der
  Bühne einverstanden. Was könnte geschehen, wenn man allenthalben
  den guten Willen hätte, und die Herrn Comödianten trotz des ewigen
  Kunstgeschwätzes ihre eigne kleine Person nicht weit höher als
  Shakespear und Göthe schätzten; von Garrick und Schröder kann bei
  diesen verwöhnten Eitelkeiten schon gar keine Rede sein. Nur daß Sie
  bei dem schwachen Text von Schiller haben Hülfe suchen müssen, thut
  mir leid. Wenn Sie einmal Zeit haben und vergleichen, werden Sie
  finden, daß dort (ganz nach Eschenburg gearbeitet) der Sinn in den
  größten Momenten und bedeutendsten Stellen ein ganz anderer ist; Sie
  werden finden, daß ich auch von den Engländern in der Erklärung großer
  Poesie-Worte abweiche. Auch haben wir uns bemüht, die Verse selbst
  sprachfähig zu machen: sie klingen, wo es sein muß, rund und voll.
   * * * * *
  Nach so manchen Anmahnungen und Geschenken von Ihrer Seite erhalte
  ich nun auch noch zu meiner Beschämung die Nachricht von dem
  glücklich durchgebrachten _Blaubart_. (Nicht durchgebracht im
  sprichwörtlichen: durch die Gurgel gejagt.) Mich rührt es, daß Sie
  Ihren Fleiß auch dieser meiner Jugend-Produktion zugewendet haben. Nur
  Ihrem Enthusiasmus, welcher wohl die Spielenden auch entzündet hat,
  konnte es gelingen.
  Vor vielen Jahren wollten Wolff und Devrient in Berlin auch schon den
  Versuch mit diesem Mährchen machen: Wolff, glaube ich, hatte sich den
  Simon zugedacht und Devrient sich den Narren und den Arzt, Lemm sollte
  den _Blaubart_ spielen. Die Rollen waren schon ausgetheilt und
  die Leseprobe gehalten, als irgend etwas die Sache hemmte und die Lust
  zum Wagstück wieder dämpfte. Um so mehr Ehre mir, und Dank Ihnen, daß
  Sie es nach so vielen Jahren möglich gemacht haben. Ich bin ganz mit
  Ihnen einverstanden, daß man so vieldeutige poetische Produkte, die,
  wie die Forellen, nur im stets erschütterten Wasser am Leben bleiben,
  mit so wenigen Unterbrechungen als möglich geben muß. Aus dieser
  Ursach habe ich auch hier den Kaufmann von Venedig nur in _drei_
  Acten geben lassen. Ich kann Ihre Änderungen mit dem Mährchen und alle
  Einrichtungen nur billigen. Der Kater hat meinen ganzen Beifall. Er
  ist klug, daß er die Stiefel nicht anzog, und sich doch, da er diese
  bereitwillige Gutmüthigkeit von Direktion, Schauspielern und Publikum
  sah, so früh meldete, um anzudeuten, wie er wünsche, daß man auch ihm
  sein Recht widerfahren lassen möge: denn auf einer solchen Bühne mag
  auch wohl diese parodirende lustige Katze scherzend hinüber laufen;
  ich glaube nicht, daß ihre Späße schon veraltet sind, und als ich sie
  damals niederschrieb, hatte ich recht eigentlich das wirkliche Theater
  im Sinn. Nur muß die Anordnung, das Praktikable, das spielende Publikum
  &c. auch spashaft und parodirend genommen und eingerichtet werden. Wie
  denn dies wahrscheinlich auch bei Aristofanes geschah, und nicht mit
  steifem Ernst.
  Und so sage ich auch allen den Damen und Herren, die Ihren Wunsch und
  meine Phantasieen mit so großer Anstrengung verwirklicht haben, meinen
  herzlichen Dank. Denn daß es eine große Anstrengung ist, sich einmal
  so ganz vom Hergebrachten entfernen zu müssen, weiß ich. Hier reicht
  beim Phantastischen und Seltsam-Humoristischen, bei dieser Mischung
  von Ernst und Scherz das Angelernte und der gute Wille nicht aus; der
  Schauspieler muß die Linien und Zirkel überspringen können, in welchen
  er sich sonst mit Beifall bewegte, und diesen selbst mit Großmuth und
  Aufopferung auf’s Spiel setzen, um ein Ungewisses, Zweifelhaftes zu
  gewinnen. Sehr vergegenwärtigen konnte ich mir die Art und Weise, so
  ziemlich das ganze Spiel der Dlle. Lauber (jetzt Madam W.), da ich
  hier in Dresden ihr schönes Talent, ihre persönliche Liebenswürdigkeit
  und ihren gebildeten Verstand habe kennen lernen. Ich hoffe, sie
  erinnert sich meiner ebenfalls noch und auch, wie sehr ich damals ihre
  Vorzüge anerkannt und auch laut ausgesprochen habe. Auch den Blaubart
  (Herrn Reußner) kann ich mir ziemlich deutlich vorstellen, da ich
  das Vergnügen hatte ihn im vorigen Jahr oft in Baaden zu sehn. Das
  Tückisch-Freundliche, Auffahrende und Seltsam-Burleske der Hauptperson
  wird ihm gewiß in vorzüglichem Grade gelungen sein. Ich kann mich
  nicht erinnern, ob ich schon sonst einer der Damen oder einem Ihrer
  Schauspieler auf meinen Wanderungen durch die Theater begegnet bin.
  Sehr wäre ich begierig gewesen, zu sehn, wie der alte Hans und sein
  Caspar ihre sonderbaren Scenen durchgeführt haben: daß es dem Publikum
  nicht zu lang geworden ist, beweiset, daß sie gut gespielt haben.
  Sie sagen mir, mein Freund, daß Mechthilde ihr Mährchen vortrefflich
  erzählt habe; das hat mich sehr gefreut, denn diese fremde Erzählung,
  während welcher die Handlung eine bedeutende Weile stille steht, habe
  ich immer gerade für die allergrößte Schwierigkeit in der Aufführung
  gehalten. Sehr begierig wäre ich auch, eine Anschauung zu erhalten,
  wie der Narr und der Rathgeber ihre sonderbare und sehr schwierige
  Aufgabe gelöst haben. Auch Heymon und Conrad Wallenrod, obgleich nur
  Introduction, wollen, sowie der Arzt, mit Kunst und eigenthümlichem
  Humor gespielt sein. Bei einem so kapriciösen Gedicht kommt auch
  das Tempo sehr in Betracht, was hervorgehoben und gleichsam in den
  Vordergrund des Gemäldes tritt, stark gefärbt, accentuirt, oder was
  in den Mittel- oder gar den Hintergrund gestellt und abgeschwächt,
  verblasen, fast verschwiegen wird. Ist dies ebenfalls gelungen, wie ich
  glauben muß, so hat diese Gesellschaft bei Ihnen in Düsseldorf wohl
  Ursache, das Haupt einigermaßen empor zu heben, denn ich weiß nicht, ob
  dies eben allenthalben gelingt. Das war eben einer der größten Fehler
  des ehemaligen Theaters in Weimar, daß im Wallenstein, Maria Stuart u.
  s. w., _alles_ auf _einer_ Linie stand: ohne jene dramatische
  Perspective, die errathen läßt, beruhigt, zerstreut, um die größten
  nothwendigsten Effecte unendlich kräftiger und greller herauszustoßen.
  Etwas, worauf schon manche neue Dichter zu wenig achten, wo der
  Vorhang, welcher fällt, die Pause des Zwischenactes eine zu große Rolle
  spielt, und die Gedichte selbst jene zerstreuenden Ruhepunkte zu wenig
  haben, die ich hier und da im Blaubart habe anbringen wollen.
   * * * * *
  Geliebter Freund! theilen Sie einiges aus diesem Blatt oder das ganze
  Blatt ihren Schauspielern, die sich so redlich bemüht haben, mit,
  und vielleicht habe ich dadurch zum Theil Ihrem Wunsch genügt. Aber
  glauben Sie mir, die allgemein Anerkannten dieser Profession, die
  Bewunderten sind heut zu Tage die unerträglichsten, an welchen Hopfen
  und Malz verloren ist. Sagen Sie einem dieser: er sei mehr als Garrick,
  Schröder, Talma, Baron, Fleck &c. -- er dankt mit Kopfnicken und meint,
  das verstehe sich von selbst; ersuchen Sie denselben, er möge das Knie
  weniger krümmen, oder den Federhut in die linke, statt in die rechte
  Hand nehmen, so ist er Ihr unversöhnlicher Feind. Die minder großen
  nehmen noch Lehre an.
   * * * * *
  Nun noch eine Bitte.
  Unser hiesiger sehr braver Schauspieler und Regisseur Dittmarsch
  wünscht, daß seine junge Tochter etwas lerne, was sie kann, wenn sie
  unter verständiger Aufsicht und ächter Kritik viel spielt. Da hat er
  sein Auge auf Sie, theuerster Freund, geworfen, und ersucht mich,
  Ihnen dies muntre, gutgeartete Kind zu empfehlen. Sie hat hier, nicht
  ohne Beifall, naive Bauernmädchen z. B. _Rosine_ in _Jurist
  und Bauer_ gespielt und noch mehr muntre Rollen. Das Neckische,
  Possierliche, Gutmüthige, Heitre und ganz Natürliche des Lustspieles
  scheint ihr Talent; aber sie kommt hier zu nichts, weil die Concurrenz
  bei unsrer Bühne zu groß ist. Viele Rollen dieser Art hat die Devrient
  hier, und will sie nicht abgeben, weil sie darin noch immer gefällt;
  nun ist die Bauer engagirt, eine Virtuosin in diesem Genre: die Berg,
  die Herold sind noch hier, noch einige aufkeimende, alles will spielen,
  viele haben ältere Ansprüche und da ist das arme liebe Kind fast ohne
  Beschäftigung. Ich, und der Vater mit mir, glaubten, daß unter Ihrer
  Leitung das Mädchen wohl etwas Vorzügliches leisten könnte, wenn sie
  nur recht viel beschäftigt würde. Können Sie sie irgend brauchen, so
  schlagen Sie meine Bitte und Empfehlung nicht ab: die Geldforderung
  würde auf keinen Fall bedeutend sein. Herr P. wird Ihnen das Nähere
  sagen.
  Herr Dittmarsch, der Vater, hat nicht das Talent, die Tugend und das
  Laster der meisten Regisseure, daß er seiner Tochter, wie er oft beim
  Intendanten könnte, Rollen erschliche oder erbäte; er ist zu ehrlich
  und verlangt, man soll ihm entgegenkommen. Da er so schweigsam ist,
  geschieht dies zu wenig, und wir nehmen Sie also in Anspruch, geehrter
  Freund!
  Wie viel hätte ich noch zu sagen; ich muß endigen. Kommen Sie, setzen
  Sie die Ausgabe Ihrer Werke fort, bewahren Sie mir Ihre Liebe, so wie
  ich bin und bleibe
   Ihr
   wahrer aufrichtiger Freund
   _L. Tieck_.
  
   XI.
   _Düsseldorf_, 13. April 1836.
  Ich weiß nicht, mein hochverehrter Freund, wie ich mein langes
  Schweigen auf Ihre werthe Mittheilung, die ich im vorigen Frühjahre von
  Ihnen empfing, rechtfertigen soll, wenn Sie nicht die Entschuldigung
  wollen gelten lassen, daß ich das ganze Jahr hindurch in angestrengter
  literarischer Arbeit steckte, außerdem aber noch von dem Theaterwesen
  oder vielmehr -- unwesen occupirt war. Dieses allein kann, wie Sie aus
  Erfahrung wissen, einen sonst mittheilsamen Menschen um alle Lust und
  Fähigkeit zu reden oder zu schreiben bringen.
  Zuvörderst danke ich Ihnen auf das verbindlichste für den Rückschub
  des Deserteurs I...., woran Ihre Güte und Gefälligkeit gewiß Antheil
  hat. Vorigen Sonntag ist er, Kummer im Herzen und den Trotz Cains
  auf der Stirn, hier wieder einpassirt. Dieser Mensch kam hieher und
  konnte nichts spielen als den Barbierer Schelle; unablässige Mühe,
  die ich mir mit ihm gab, brachte es endlich dahin, daß er in Calderon
  und Shakespeare producirt werden konnte, und noch zuletzt einen recht
  hübschen Mercutio lieferte, und als ich ihn soweit hatte, lief er
  zum Danke dafür weg. Ihnen hat er, wie er mir vorrenommirte, viel von
  meiner Strenge und Härte gesagt. Streng und hart nennen sie Einen, wenn
  man darauf hält, daß sie wie Menschen reden, stehn und gehn sollen,
  und daß sie den Dichter nicht zu Fetzen zerreißen. Dieses Geschlecht
  will aber immer auf dem Seile tanzen, ehe es noch zu ebner Erde sich
  grade halten kann. Die Elemente der Kunst sind vergessen, das ist das
  Haupt- und Grundübel; die Schüler meinen, bei dem beginnen zu können,
  womit der Meister aufhört. -- Wie oft summen mir Ihre warnenden
  Worte, die Sie mir vor zwei Jahren geschrieben, in den Ohren! So
  viel auch in Romanen, Novellen und Dramaturgieen über Schauspieler
  beigebracht worden ist, so hat doch Niemand das eigenthümliche Larven-
  und Maskenartige dieser Zunft darzustellen gewußt. Goethe kommt der
  Sache einigermaßen nahe, wenn er sagt, daß Serlo, je versteckter und
  künstlicher er im Leben geworden, desto mehr Natur und Wahrheit auf den
  Brettern gewonnen habe.
  Hiebei lege ich Ihnen denn eine Arbeit vieler Jahre, die Epigonen,
  vor. Sie entsprang aus einem kleinen Keime, wuchs aber mir selbst zum
  Erstaunen unter den Händen und lebte gewißermaßen mein Leben mit. Früh
  fühlte ich mich mit der Zeit und Welt in einem großen Widerspruche, oft
  überkam mich eine große Angst über die Doppelnatur unsrer Zustände,
  die Zweideutigkeit aller gegenwärtigen Verhältniße, in diesem Werke
  legte ich denn Alles nieder, was ich mir selbst zur Lösung des Räthsels
  vorsagte. Dieß ist die Genesis desselben, die freilich Viele den
  leichten Geschichten nicht ansehn werden. Ein Urtheil habe ich nicht
  darüber; möge mir es so gut werden, daß ich zu seiner Zeit einmal von
  Ihnen vernehme, wie es auf Sie gewirkt hat. Blicke ich in das Publikum,
  so kann ich nur zweifeln und zagen. Die Rahels und Bettinen und
  absterbenden Stieglitze sind nebst einigen _Jungens_ Deutschland,
  Atheismus und aufgewärmtem Baron Holbach wohl die einzige mundende Kost
  der Gegenwart.
  Ihre Novelle habe ich im vorigen Herbste mit großem Antheil gelesen.
  Ich fand, daß sie mehr in den Gesetzen der Gattung sich bewegte, als
  manche andre Ihrer letzten Dichtungen dieser Art. Der Witz und die
  Lehre, überhaupt die Idee des Ganzen steckt ganz in der Handlung
  und in den Situationen, und das ist mir nun einmal ~cardo rei~
  bei der Novelle. In dieser Beziehung haben Sie wirklich etwas
  Außerordentliches darin geleistet, auch finde ich bei der Anlage, die
  sie ihr gaben, durchaus nichts Hartes und Grelles in den Verknüpfungen
  und Katastrophen. Aber freilich -- sagt Zettel -- einen Löwen -- Gott
  behüt’ uns -- unter Damen zu bringen, ist eine gräuliche Geschichte! --
  Wie ist es denn mit den Cevennen? Haben wir nun wirklich Aussicht dazu?
  Im verwichnen Winter habe ich hier Calderons Richter von Zalamea in
  die Szene gehn lassen. Ich erinnere mich, bei Malsburg gelesen zu
  haben, daß Sie das Stück -- welches auch wirklich etwas ganz Besondres,
  eine Art Spanischer Iffland ist -- vorzüglich intereßirt, und so wird
  Ihnen diese Nachricht auch nicht ohne Intereße seyn. Meine Bearbeitung
  theilte das Stück in 4 Acte, mancher Luxus war hinweggeschnitten, auch
  fehlte der närrische Junker und sein Diener, welche zu ihrem Nachtheil
  an Don Quixote und Sancho erinnern, und heut zu Tage wohl nicht mehr
  populair gemacht werden können. So eingerichtet, kräftig und präcis
  gegeben, that es seine volle Wirkung; das atroce Verbrechen des letzten
  Acts choquirte auch weniger, als ich selbst gedacht hatte, weil das
  Verletzende vor der Tragik und Delicatesse der Behandlung verschwand.
  -- Auch Terenzens Brüder wurden einmal hier wieder auferweckt. An
  solchen und ähnlichen Abenden kann man denn sich einbilden, man
  verzettle seine Zeit nicht unverantwortlich mit der Bühne, was Einem
  sonst nur zu oft in den Sinn kommt.
  Ich wünsche nun nichts sehnlicher, als daß mir Muth und Stimmung kommen
  möge, den Blaubart noch in dieser Saison wieder anzufassen. Die gehören
  freilich zu solchem Unternehmen. Wenn er gegeben wird, erhalten Sie von
  mir Nachricht.
  Herr v. Uechtritz, mit dem ich mich nach einigen Mißverständnissen,
  welche uns eine Zeit lang von einander hielten, wieder sehr gut und
  freundlich zusammengefunden habe, ist mit den Vorbereitungen zu einer
  großen Novelle beschäftigt. Sie soll die ersten Zeiten der Reformation
  und deren Wirkungen in Italien darstellen, und er ist zu der Arbeit
  wohl durch Rankes Buch angeregt worden. Er wird Sie im Herbst besuchen.
  Wie gern nähme ich denselben Weg, doch werde ich wohl hier hausen
  bleiben müssen.
  Ihrem ganzen Hause mich angelegentlichst empfehlend, bin ich mit
  unwandelbarer Gesinnung
   der Ihrige
   _Immermann_.
  
   XII.
   _Düsseldorf_, d. 8. August 1836.
  Der anliegenden Einladung der Gräfin Ahlefeldt für Sie, mein theurer
  Gönner und Freund, und Gräfin Finkenstein, bei ihr zu wohnen, kann
  ich meinerseits nur den Wunsch hinzufügen, daß Sie das freundlich
  gemeinte Erbieten annehmen mögen. Ich freue mich sehr auf Ihr Hierseyn,
  und um so mehr, wenn mir in der Stille und Ruhe eines Privathauses
  die Gelegenheit wird, recht ungestört mit Ihnen mich auszusprechen.
  Schlagen Sie also gütig ein.
  Wenn es Ihnen möglich ist, so wäre es sehr gut, Sie kämen etwas
  früher, als Sie sich vielleicht ursprünglich vorgesetzt haben, und
  träfen spätestens am 20. d. M. hier ein. Die Gemälde-Ausstellung wird
  kaum bis zum 24. oder 25. dauern, mehrere Künstler verlaßen den Ort
  gegen Ende August, um ihre Herbstreisen zu machen, auch Uechtritz und
  Schnaase wollen fort, der Eine nach Berlin, der Andre nach München.
  So wäre es leicht möglich, daß Sie das leere Nest fänden, wenn Sie
  erst in den letzten Tagen des August hier einträfen. Überhaupt müssen
  die Ressourcen unsres kleinen Orts beisammen seyn, wenn Sie sich hier
  unterhalten sollen. Kommen Sie aber bis zum 20ten, so kann Alles recht
  hübsch werden. Sie haben wohl die Güte, mir vorher noch einmal zu
  schreiben, und den Tag Ihrer Ankunft zu bestimmen?
  Den jungen Tischlermeister habe ich gelesen, und mich sehr daran
  erfreut. Man fühlt, daß darin ein Stück Ihrer glücklichsten Jugend
  aufbehalten ist, es ist Manches so frisch, wie in den Mährchen des
  Phantasus. Zugleich ist die Idee, daß der Mensch, um zur Reife der
  Männlichkeit und der häuslichen Verhältniße zu gelangen, erst noch
  manche vorbehaltne Jugendsünde und Jugend-Thorheit nachgenießen muß,
  sehr schön und wahr durchgeführt. Als ich das erste Fragment von Ihnen
  in Dresden vorlesen hörte, meinte ich, der Baron werde dem jungen
  Meister in seinem Hause bei der Frau allerhand Leid verursachen, oder
  zu verursachen suchen, und war einigermaßen überrascht, als der zweite
  Theil hiervon nichts besagte. Außerordentlich glücklich und fein ist
  die ganze Führung des Theater-Abenteuers. Ja, dieß ist wirklich die
  Geschichte aller Theater in Deutschland, oder des deutschen Theaters
  überhaupt. Erst mißverstandne Versuche vor Puppen und Perücken,
  dann ein glücklicher Moment, wo Zufall, Begeistrung, Laune und
  Empfänglichkeit einander die Hände reichen, und gleich darauf der jähe
  Fall in einen wüsten Spektakel von Crethi und Plethi. Unsre hiesige
  Bühne steht auch schon hart an der Grenze dieses letzten Stadii,
  der Einfluß des Pöbels auf das deutsche Theater ist einmal nicht
  abzuwehren, und ich werde binnen Kurzem nur eben noch für meine Person
  im Stande seyn, mich von der Sache abzuthun, bevor Hinz und Kunz ihr
  liebliches Wesen treiben auf den Brettern, die wenigstens mir meine
  Welt nicht bedeuten, wie sie sind.
  Was Sie mir über die Epigonen sagen, hat mich sehr erfreut, da es mir
  beweist, daß die Production doch einen spezifischen Eindruck auf Sie
  gemacht hat, der bei jeder Arbeit immer das Hauptsächlichste ist.
  Daß gerade über eine solche, wie die Epigonen sind, die Meinungen
  besonders Anfangs differiren, liegt in der Natur der Sache, und so muß
  ich Ihnen gestehn, daß mir selbst _die_ Eigenschaften, welche Sie
  
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