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Briefe an Ludwig Tieck (2/4) - 05

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  so hat jener einfache und eigentliche Geist desselben, der das
  Menschengeschlecht aus den Fesseln des äußern Naturgesetzes befreite,
  nur die ersten, apostolischen Zeiten beherrscht, sehr bald nahm dieses
  Gesetz, diese Gewalt der Mannigfaltigkeit, diese Herrschaft des
  Irdischen, oder wie man es sonst nennen will, wieder Besitz von den
  Gemüthern der Menschen, und die folgenden Jahrhunderte stellen nur den
  Kampf der beiden, wenigstens auf Erden unvereinbaren Dinge in Volk
  und Individuo dar. Die Kirche sucht sie durch einen schönen Traum zu
  versöhnen, die Reformation giebt dafür einen andern Traum, als könne
  man zu jener Schlichtheit und Einfalt des Urchristenthums zurückkehren.
  Er dauert aber nicht lange, bald tritt die Doppeltheit und der nie zu
  schlichtende Zwiespalt immer größer und gewaltiger auf, treibt auf
  dieser Seite zu neuen Heiden, die denn doch nichts wären ohne das
  Christenthum, auf jener Seite zu Christen, welche ohne die Ausstattung
  durch Natur und Alterthum auch zusammenschrumpfen würden, und erscheint
  endlich in seiner Spitze da, wo nun selbst die heißeste Andacht, die
  tiefste, unmittelbarste Sehnsucht nach dem Göttlichen, so von ihrer
  eignen irdischen Fülle durchdrungen, verdichtet und verkörpert wird,
  daß die Gnade von diesem Drange sich abwendet, und das Heilige vor dem
  Gebete erschrickt. Ich kann, um mich deutlich zu machen, hier Spinoza
  nennen, obgleich das Beispiel nicht ganz paßt, da seine Natur noch
  einen Schritt weiter gegangen ist.
  Vor jenem modernen, unbeschreiblichen, in seinem Reichthume unseligen
  Geiste hatte auch ich in mir manchen Schauder verspürt, und Merlin
  wurde mir der eminente Repräsentant desselben. Hier war von keiner
  psychologischen Unwissenheit, von keinem Unglück durch Sünde, nicht
  von Schuld und Buße die Rede, nein, das Elend an sich, die Andacht
  ohne Gott, der Untergang der vollkommnen Dinge, eben weil sie die
  vollkommnen sind -- dieses Alles hatte mich ergriffen. Was soll also,
  kann man fragen, diese Unterwerfung unter Gott ohne Zweck, dieser
  Schluß, der nichts schließt und nichts löst, und von dem Drucke der
  vorangegangenen Katastrophe das Gemüth nicht zu befreien vermag?
  Wirklich sollte das Ende erst ganz anders seyn. Der ganze Merlin war
  in seiner ersten Anlage viel bunter, figurenvoller, psychologischer.
  Im Nachspiele sollten aus dem Hades herauf die Gesänge der Schatten
  der Tafelrunde erschallen, deren Inhalt eine Art wehmüthigen Glückes
  war, Merlin selbst sollte als Geisterstimme das Ganze epilogisiren,
  sich zum weltlichen Heiland erklären, und aussprechen, daß weil
  nun einmal alle Freude und aller Schmerz der Erde in _einem_
  Individuo durchgefühlt worden sei, der Fluch sich erschöpft habe, und
  jeder Künstler in der Grotte des Dulders Trost finden könne. -- Ohne
  darüber zu reflectiren, wurde ich aber genöthigt, das Gedicht in der
  einfacheren, mehr symbolisirenden Form zu schreiben, und den Schluß so
  populair und beschränkt zu fassen, wie beides nun vorliegt.
  Vielleicht war etwas, was eine Darstellung des obersten und letzten
  Widerspruchs seyn soll, nur durch den Widerspruch, durch die
  Inconsequenz dichterisch abzuschließen, ein vollerer, metaphysischerer
  Klang hätte vielleicht das Ganze in die Dogmatik und Philosophie
  getrieben. Die Kräfte des Himmels und der Hölle haben sich bewegt,
  das Übermenschliche hervorzubringen, eine Figur, die die beiden Pole
  zusammenknüpft, und es kommt doch in letzter Instanz nur zu einem
  Beschränkten, Anthropologischen. Mich dünkt, der Künstler mußte sich
  auf diese Sphäre resigniren.
  Ich wünschte, ich hätte Ihnen das Alles mündlich sagen können, ich
  schreibe nicht gern über meine Motive, man bekommt da immer etwas
  Prätiöses.
  Auf Ihre Novelle freue ich mich sehr, Ihre Arbeiten, die im Herbste
  zu erscheinen pflegen, sind mir immer ein schöner Segen dieser Zeit,
  die mir die liebste im Jahre ist. Noch ist die Urania nicht hier.
  -- Im letzterschienenen Bande des Shakespeare hat mich der Timon
  mächtig gefesselt, ich kannte dieses außerordentliche Werk noch gar
  nicht. Ich muß ihn noch mehrmals lesen, bevor ich sagen kann, daß ich
  ihn bewältiget habe. Auf seine eigne Weise hat S. hier wieder das
  Hauptmotiv: den schwärmerischen Sinn Timons für Männerfreundschaft,
  leicht hingehaucht, es eigentlich nur errathen laßen. Er verfährt oft
  so. Die Übersetzung paßt in ihrer schweren Art sehr für den Stoff, nur
  hätte ich hier, wie in manchen Stücken der Sammlung eine veränderte
  Wortstellung gewünscht. Es ist oft nicht möglich, die richtigen
  Redeaccente scharf herauszuheben, wie die Worte jetzt stehn -- was bei
  dem mündlichen Vortrage sich sehr merklich macht.
  Uechtritzens Chaldäer haben mich ebenfalls ungemein beschäftigt. Nur
  soll mich wundern, wie er mit der motivirenden psychologischen Form
  den Stoff durchführen wird, der sich nach meinem Gefühle mehr zu einer
  lyrisch Aeschyleischen Auffassung qualifizirt hätte. Auf die gedruckte
  Rosamunde bin ich auch sehr neugierig. Ich habe vielleicht gegen diese
  Dichtung Unrecht, und sehe sie nun mit andern Augen an, da sie mir
  ferner und fremder geworden ist.
  Die sogenannte romantische Schule der Franzosen macht freilich seltsame
  Sprünge. Sobald diese Art sich auszubreiten begann, hatte ich gleich
  die Ahnung, daß wir an unsern Verächtern nunmehr durch Ausbrüche ihres
  kalten Wahnsinns vollständig gerächt werden würden. Da ich von dort
  nie Poesie erwarte, so amüsiren mich die artigen Sachen doch, weil
  immer ein gewißes Geschick, eine Art von hasenfüßiger Zierlichkeit
  darin sichtbar ist. Louis XI. von ~de la Vigne~ z. B. ist
  allerliebst gemacht.
  Eine curiose Neuigkeit, die Sie vielleicht noch nicht kennen, las
  ich vor wenigen Tagen: die mehreren Wehmüller und Hungarischen
  National-Gesichter von Cl. Brentano. -- Das Burleske finde ich hübsch
  darin, das Ernsthafte ist wie immer abscheulich.
  Sie erkundigen sich nach meinen Arbeiten. Ich habe im Sommer eine
  vollständige Revision meiner ältern und neuern kleinen Gedichte
  vorgenommen, manches Neue gemacht, und eine gereinigte Sammlung
  zusammengestellt. Jetzt liegt der _Hofer_ vor mir, den ich
  umarbeiten will. Das Kleinliche und Sentimentale soll hinaus, und das
  Ganze wird auf ein einfaches, großes, historisches Motiv gebaut werden.
  Außerdem beschäftigen mich drei neue Aufgaben -- die _Epigonen_,
  ein Roman, von dem ich Ihnen aber keine Andeutung geben kann, weil
  diese zu weitläuftig werden würde; das mythische Gedicht: der
  _Schwanenritter_, dessen Eingangsstanzen ich im vorigen Herbste
  Ihnen abschrieb und dann: der _Tristan_, dessen Plan und
  Eintheilung auch bereits fertig ist. -- Diese drei Stoffe sind ein
  wahres Unglück für mich, denn weil sie mich auf gleiche Weise anziehn,
  so fühle ich mich oft in ihrer Mitte völlig paralysirt.
  Machen Sie nur Ihre Zusage wahr, im künftigen Jahre hierher zu kommen.
  Ich würde mich außerordentlich freuen, wenn ich Sie hier begrüßen
  dürfte. Man kann Ihnen freilich hier nichts Fertiges zeigen, aber es
  regt sich doch Manches, was in gutem Wetter und Sonnenschein vielleicht
  einmal fertig wird. Schadow, der Sie sehr verehrt, wollte Sie im
  October auf der Heimreise von Berlin besuchen, und freute sich sehr
  darauf, Sie zu mahlen.
  Interessant würde es mir seyn, die Übersetzung des Alexis kennen zu
  lernen. Vielleicht macht mir der Herr, der sich damit beschäftigt,
  einmal wohl eine Mittheilung.
  Mit inniger Hochachtung und Verehrung
   Ihr
   ganz ergebenster
   _Immermann_.
  
   V.
   _Frankfurt_ a/M., 5. September 1833.
  Nur wenige Worte kann ich in der Unruhe der Reise dem Buche beifügen,
  welches ich Ihnen, mein Hochverehrter, als meinen Vorgänger zuschicke.
  Ich werde nämlich auf der Reise, die ich morgen von hier über
  Stuttgart, München, Tyrol und Wien weiter fortsetze, auch durch Dresden
  kommen, wo ich Sie etwa am 9ten oder 10ten k. M. gesund und wohl zu
  treffen hoffe.
  Das Buch fand ich hier fertig und wünschte es Ihnen doch gleich
  mitzutheilen. Sagen mag ich über diese Composition nichts weiter; sie
  commentire sich selbst. Nur Eins: daß in den Stellen über Sie, das
  innigste Gefühl für Sie gesprochen hat.
  In der für mich beglückenden Aussicht des Wiedersehns
   Ihr
   aufrichtigster
   _Immermann_.
  
   VI.
   _Düsseldorf_, d. 4. Mai 1834.
  Sie werden mich für sehr undankbar gehalten haben, theurer Meister,
  weil ich Ihnen bis jetzt nicht geschrieben, Ihnen nicht meinen Dank
  sagte für die große Güte, deren ich mich abermals im verwichnen Herbst
  von Ihnen zu erfreuen hatte. Zum Theil bin ich unschuldig -- ich durfte
  nach meiner Rückkehr erwarten, daß sich hier etwas begeben würde, was
  ich Ihnen gern mittheilen wollte und harrte darauf Tage, Wochen, Monate
  lang. Eine Zeit lang bin ich auch krank gewesen und zwar ziemlich
  ernstlich.
  In Berlin lernte ich zwar Ihren Freund Steffens kennen, sah ihn
  aber für meinen Wunsch zu wenig, wie das in der großen Stadt, wo
  Jeder nur in seinem Kreise sich bewegt, bei kurzem Aufenthalte zu
  geschehen pflegt. Das jetzige Treiben dort hat mir wenig gefallen,
  ich glaube auch kaum, daß es Ihnen behagen würde. Es fehlt durchaus
  an einem großen durchgreifenden Interesse, sei es für Gegenstände des
  öffentlichen Lebens, sei es für Kunst und Wissenschaft. Was man jetzt
  dort Liebe zur bildenden Kunst nennt, ist auch so weit nicht her,
  wenigstens klagten grade die ersten Künstler, die mir über diesen Punkt
  ihr Vertrauen schenkten, über Mangel an erwärmenden Begegnungen in
  dieser Sphäre. Hier, wie in den übrigen ist nichts sichtbar als eine
  gewiße unruhige Lebendigkeit, eine Beschäftigung mit den Dingen ohne
  Glauben und Enthusiasmus. Was die sogenannten Dichter und Literatoren
  betrifft, so sind sie unter aller Kritik; diese Leute halten von sich
  und von Andern nichts; damit ist ihr Wesen hinreichend bezeichnet.
  Der Sinn für Poesie und ein gewißer freierer Literaturgeist könnte sich
  der Natur der Sache nach nur durch ein bedeutendes Theater, welches
  sich wunderbare, neue, tiefsinnige Aufgaben stellte, wieder erwecken
  lassen. Und da ist nun, wie ich glaube, auf zwei Menschenalter hin,
  methodisch verwüstet worden. Die Berliner Bühne hat keine Fehler mehr,
  sie ist negativ geworden, sie stagnirt. Ich habe Manches gesehen, was
  ganz gut gespielt ward, aber Alles war Routine, Dienst, Reglement,
  und nirgends konnte ich den Funken eines Talents, welches sich auf
  eigenthümliche Weise Luft machen wollte, erblicken. Einiges, wie
  _Wallenstein_ und _Kaufmann von Venedig_ war so schlecht und
  geistlos, daß ich mich schämen würde, es hier so mit meinen Anfängern
  zu produciren. Im Kaufmann gab Rott den Shylock, von dem er ja wohl
  damals bei Ihnen sagte, er spiele ihn ganz hoch und ernst, noch mehr
  als zerkniffnen Schacherjuden, als weiland Devrient.
  Dieser Zustand der Dinge ist um so beklagenwerther, als eigentlich die
  ganze Stadt ein Bedürfniß nach einem guten Theater hat, ohne welches
  sie ja auch weniger als eine andre existiren kann. Die Häuser sind voll
  und man nimmt auf Berlinische Weise Theil, selbst an der gegenwärtigen
  Mittelmässigkeit. Es ließe sich also wohl hoffen, daß wenn die Anstalt
  die Sache aus dem Gesichtspunkte der gegenwärtigen deutschen Cultur
  griffe, für eine Reihe von Jahren wieder etwas Beßeres dort entstehen
  könnte.
  Mein hiesiges Theaterproject, dessen Realisirung ich Ihnen eben gern
  melden wollte, und leider noch nicht melden kann, beruht grade darauf,
  die Literatur und Poesie wieder mit der Bühne in Verbindung zu setzen.
  Es ist dieß nicht unmöglich, wenn man die Sache leise anfaßt, und nicht
  zuviel auf einmal von den Leuten verlangt. Hin und wieder muß man sich
  auch accommodiren können; wenn man aber das thut, so weiß ich durch
  selbstgemachte Erfahrungen, daß die Menschen nicht so unempfänglich
  für Feineres und Tieferes sind, als sie gemacht werden. So werde ich
  z. B. wenn mein Theater zu Stande kommt, gleich im ersten Winter Ihren
  Blaubart bringen und bin über den Erfolg ganz ruhig. Ich werde mich
  aber nach der Lehre des Katers richten, gar nicht thun, als ob dieß
  etwas Besondres wäre, es mit dem übrigen Repertoir sacht herandringen
  lassen, und die neue Speise soll genossen seyn, ehe man noch gewußt
  hat, daß sie zubereitet worden ist.
  Bis mir die Wirkung im Ganzen vertraut wird, fahre ich fort, hier
  im Einzelnen thätig zu seyn. Ich habe nach meinen Ideen _Egmont_,
  _Nathan_, _Braut von Messina_ und _Andreas Hofer_ in die Szene
  gesetzt, wobei mir Seydelmann aus Stuttgart sehr hülfreich war,
  der eine Zeitlang hier gastirte. Ich habe Sie nie von ihm sprechen
  hören; wenn Sie ihn nicht kennen, so thut es mir leid. Mir ist er
  eine neue und wahrhaft künstlerische Erscheinung gewesen, die durch
  harmonisches Zusammenwirken von Verstand und Phantasie, Präcision und
  weise Beschränkung immer etwas höchst Wohlthuendes hat. Sein Carlos
  in Clavigo ist nach meinem Gefühle ein Meisterstück, wie man nur
  eins auf der Szene sehn kann. Groß und sonderbar, abweichend von der
  gewöhnlichen Darstellungsweise, faßt er den Mephistopheles, und in
  leichten komischen oder historischen Masken ist er unübertrefflich.
  Da Ihnen zu meiner großen Freude Hofer in seiner gegenwärtigen Gestalt
  gefällt, so wird es Sie vielleicht interessiren, wenn ich Ihnen
  sage, daß das Stück sich auf der Bühne gut ausnimmt, und hier eine
  vollständige Wirkung hervorgebracht hat. Was am meisten eindrang,
  war: die Mystification des Herzogs von Danzig im I. Act. Die
  heroischen Szenen von Hofer im II. Act. Die diplomatische Szene
  -- Die Szene zwischen dem Vicekönig und Hofer. Der Schluß des 4ten Acts
  und der ganze 5te.
  Obgleich dieser Erfolg in einer kleinen Stadt für mich keinen weitern
  Vortheil haben kann, so hat er mich doch sehr gestärkt und beruhigt.
  Ich kann nicht bergen, daß ich schon seit Jahren und namentlich seit
  dem Erscheinen des Alexis einen großen Mißmuth über die völlige
  Geringschätzung, womit mich die sogenannte reale Bühne bei Seite liegen
  läßt, empfinde. Hieran reihten sich peinigende Zweifel über meinen
  Beruf. Ich habe aber nun an der Aufführung des Hofer gesehen, daß es
  wenigstens meine Schuld nicht ist, wenn meine Sachen nicht gegeben
  werden.
  Wie oft dachte ich der guten Stunden, die ich im Herbst mit Ihnen
  zubringen durfte und wünschte mir sehnlichst die Wiederkehr auch nur
  einer derselben! Sind Sie denn jetzt auch recht gesund? Werden Sie
  in diesem Jahre ins Bad gehn, und wohin? Ich könnte, wenn ich es bei
  Zeiten erführe, vielleicht auch dorthin auf einige Tage kommen, denn
  Sie hier in Düsseldorf zu sehn, ist doch wohl nur eine vergebliche
  Hoffnung. Ihr: „Tod des Dichters“ hat überall, wo ich darüber mit
  Jemand sprechen konnte, einen schönen Eindruck hervorgebracht. Mit dem
  gestiefelten Kater gelang es mir, hier eine Gesellschaft von achtzig
  Personen, vor der ich wieder wie früher, im Winter einige dramatische
  Gedichte vortrug, in ein unauslöschliches anderthalbstündiges Gelächter
  zu setzen.
  Ich bitte Sie, wenn Sie über Ihre Reise entschieden sind, mir ein Paar
  Zeilen zu schreiben, oder Fräulein Dorotheen zum Bruch ihres Gelübdes,
  nie etwas Schriftliches an einen Mann zu erlassen, zu vermögen. Ich
  sehe Sie dann, wenn es mir irgend möglich ist.
  Die Handschrift des neuen Hofer habe ich nicht geschickt, weil er bald
  gedruckt in den 4 ersten Bänden meiner Schriften erscheint, die ich
  Ihnen gleich nach deren Erscheinung überreichen werde. Ich wußte doch
  vorher, daß er dort nicht aufgeführt werden würde.
  Gegenwärtig bin ich emsig an meinem Romane: die Epigonen, und hoffe
  noch im Sommer diese Arbeit zu vollenden. Ich bin seit 11 Jahren damit
  beschäftigt; ist er also fertig, so wird mir eine große Last abgenommen
  seyn. -- Haben Sie die Güte, Ihrem ganzen Hause, wozu ich auch
  Frau Solger zähle, mich auf das angelegentlichste zu empfehlen. Mit
  aufrichtigster Gesinnung
   Ihr
   treu ergebner
   _Immermann_.
  
   VII.
   _Düsseldorf_, d. 7. Nov. 1834.
  Vor etwa zehn Tagen ließ ich die ersten vier Bände meiner Schriften
  an Sie, theurer Meister, abgehn, und dachte mit dem nächsten Posttage
  an Sie zu schreiben. Das Gedränge, worin ich jetzt stecke, hat aber
  diese Zeilen bis heute verzögert. Unterdessen sind jene Bände bei
  Ihnen angelangt, und werden hoffentlich von Ihnen mit gewohnter
  Freundlichkeit empfangen worden seyn. Es ist viel Neues darin, noch
  Mehreres, was früher schon vorhanden, jetzt eine neue Form gewonnen
  hat. So ist namentlich Tulifäntchen in der jetzigen Gestalt knapper und
  präciser gehalten.
  Ich betrachtete es als ein wahres Unglück, daß wir uns im Sommer
  verfehlten. Welchen angenehmen Tag hätten wir zusammen haben können!
  Wir sind wenige Meilen an einander durchgefahren, Sie über Heidelberg,
  ich über Mannheim; leicht wäre es mir gewesen, jene Tour zu nehmen, und
  mit Ihnen einen Tag in Heidelberg zu seyn. Vielleicht, daß das künftige
  Jahr mir in dieser Hinsicht mehr Glück bescheert.
  Hoffentlich steht es in Ihrem Hause jetzt wieder wohl, oder besser
  doch, als damals, wo Sie mir schrieben. -- Ihrer heitern Laune in
  der Vogelscheuche habe ich mich sehr erfreut; in diesem Mährchen
  ist eine unendliche Fülle des graziösesten Scherzes (trotz des
  verhängnißvollen Hans -- im Himmel und auf Erden) und der lieblichsten
  Naturanschauungen. Nur fürchte ich, werden es Ihnen unterschiedliche
  distinguirte Charaktere in Literatur und Kunst, beim Militair und
  Civil übel gedenken, daß Sie ihren Stammbaum von gebranntem Leder so
  schonungslos enthüllt haben. Hegel und seine ganze Schule war, wie ich
  glaube, ähnlicherweise aus den Erbsenfeldern gelaufen.
  Meine Tage werden jetzt ganz von dem Geschäfte für die Bühne absorbirt;
  ich kann weder etwas schreiben, noch lesen. Hätte ich auf eine
  augenblickliche Vergeltung der sauersten Mühen gerechnet, so müßte mir
  meine Lage sehr peinlich vorkommen, da ich aber dieses Geschäft mit
  völliger Resignation anfing, so tröstet mich nur der stille Gedanke,
  daß, wie übel der Anschein der Dinge auch immer seyn möge, Fleiß und
  Liebe nie ganz umsonst aufgewendet wird. Ich eröffnete die Bühne vor
  etwa 14 Tagen mit einem Vorspiele von mir, und dem Prinzen von Homburg,
  der vortrefflich gegeben wurde. Namentlich wird man, das darf ich kühn
  sagen, die Paroleszene, die Schlacht und den 5ten Act nicht leicht
  beßer sehn können. Hätte ich Sie doch unter meine Zuschauer zaubern
  können!
  Von bedeutenden Aufgaben, die seit der Zeit gelöst worden sind, kann
  ich Ihnen ferner Macbeth nennen. Ich wollte ihn erst nach Ihrer
  Übersetzung geben, aber als ich erwog, daß für diesen Vers unsren
  Schauspielern zur Zeit noch die Zunge, und unsrem Publico das Ohr
  gebricht, so entschied ich mich doch für Schiller, legte aber die
  Hexenszenen aus Ihrer Übersetzung ein. Die Hexen wurden nicht als
  Furien, sondern als häßliche ekelhafte alte Weiber gespielt, wo mir
  denn wenigstens die Genugthuung wurde, daß während jene Gestalten in
  der Regel Lachen erregen, dießmal ein rohes Sonntagspublicum dem alten
  Weiber-Gekreische so still zuhörte, als säße es in der Kirche.
  Den ersten Act schloß ich, zum Theil durch die Beschränkung meiner
  kleinen Bühne gezwungen, mit der 4ten Szene, so daß nun der ganze
  Aufzug ein kurzes stürmisches Schlacht-, Zauber- und Gewitterbild war.
  Der zweite Act begann mit der Brieflesenden Lady, und in diesem hatte
  ich von Shakespeares, mir durch Sie erst klar gemachten Intentionen
  soviel gerettet, als möglich war. Die Szene blieb unverändert, und
  stellte einen engen gothischen Hof des Schlosses Inverneß mit einem
  Balcon und verschiednen Ein- und Ausgängen vor. Der Act begann gegen
  Abend, dauerte die Nacht hindurch und schloß am Morgen. Freier Himmel,
  der Mond hinter schwarzen Wolken, Sturm und Regen spielten mit.
  Das Arrangement war so:
  [Illustration]
  ~a. a. a.~ Hauptgebäude des Schlosses mit einem seitwärts
  hervorspringenden Vorbau.
  ~b.~ Pforte, durch welche die Lady Brief lesend, und am Morgen
  nach dem Morde auftritt.
  ~c.~ Eine Treppe mit einem Balcon an dem Seiten-Vorsprunge des
  Hauptgebäudes. In diesem Seitenvorsprunge wurde der Speisesaal, das
  Schlafzimmer Duncans und der Prinzen angenommen. Duncan führte die Lady
  über diese Treppe durch die Thür ~d~ ab. Die Lords gingen durch
  die untre Thür ~b~ und kamen aus derselben.
  ~e.~ Seitenpforte zu äußern Schloßgebäuden, worin die Schlafzimmer
  der Lords angenommen wurden. Sie gingen also am Abend von ~b~ nach
  ~e~ und stürzten am Morgen aus ~e~.
  ~f.~ Seitenpforte zu der Pförtner-Wohnung und
  Wirthschaftsgebäuden, woher am Abend die Speisen getragen wurden.
  ~g. g.~ Hintergebäude, Zugbrücken, Thürme, Gebüsch.
  Durch diese Anordnung bekamen nun die Szenen, welche sonst trotz
  des in ihnen waltenden Übermaaßes von Poesie kalt vorübergehn, ein
  außerordentliches Leben. Die winklichte Mondbeschienene Architectur
  hatte schon etwas Geheimes, Grauenvolles, und nun das Gehn und Kommen
  von verschiednen Seiten, aus 4 Thüren, das Hinauf- und Hinuntersteigen!
  Wahrhaft sublim machte sich der Moment, wo die Lady unten an der
  Balcontreppe lauschend gekauert, flüstert, und Macbeth eben auf den
  Balcon mit den Paar entsetzten Worten hinaus- und gleich wieder
  zurückstürzt. Sehr schön baute sich auch bei dieser Einrichtung das
  Tableau des Morgens. Von allen Seiten kamen Gruppen zu Stande, und den
  Gipfel bildeten die beiden Prinzen, die oben auf dem Balcon blieben.
  Reußler, den Sie in Baden kennen gelernt haben, spielte den Macbeth.
  Roh, verworren, halbverrückt von Stolz und Zaubersprüchen, nach meinem
  Gefühle nicht unwürdig des großen Werks, freilich nicht in dem Sinne
  unsres Publicums, welches hier, wie aller Orten verlangt, daß der Held,
  wenn er auch seinem König die Kehle abschneidet, von Liebenswürdigkeit
  glänzen soll. Herrlich wurde Macduff gegeben, nie habe ich die Reden
  des 2ten Acts mit so grandiosem Pathos vortragen hören; ich wurde
  an Aeschylus erinnert. Schenck heißt der Schauspieler, der ihn gab.
  -- Die Nachtwandelszene ließ ich ohne allen Accent, und scharfes
  Einschneiden der Rede, was sonst üblich ist, sondern nur so leise
  tonlos hinflüsternd sprechen.
  Zunächst habe ich von großen Sachen: Hamlet, Stella, Minna v. Barnhelm,
  Schule der Alten, vor mir. Von ganz ungangbaren Werken, deren
  Darstellung ich in diesem Winter versuchen will, nenne ich Ihnen den
  Blaubart, König Johann, Richter von Zalamea, Coriolan, Alexis. Mein
  Repertoir ist wunderbar componirt, ich suche mir durch Auftischung des
  Gewöhnlichen Raum und Vergunst für meine Lieblinge zu gewinnen.
  Die Gesellschaft ist gut zusammengesetzt. Mehrere hübsche, frische
  Talente, kein einziges exorbitantes Genie, kein einziger Dummkopf. Noch
  zeigen sie Lust an dem Neuen, was ich mit ihnen, und durch sie versuche.
  Aber alles dieses kann, wie man die Hand umdreht, sich ändern. Ich bin
  daher auch jetzt bei gutem Fahrwasser und Winde schon auf Schiffbruch
  gefaßt.
  Mögen diese Zeilen Sie gesund und heiter treffen! Ihrem ganzen Hause
  mich bestens empfehlend, bin ich unverändert
   Ihr
   treu ergebener
   _Immermann_.
  
   VIII.
   Den 23ten April 1835.
  Wie ich Ihnen vor einigen Tagen schrieb, benutze ich gegenwärtig die
  Gelegenheit Ihnen noch einiges Nähere über die Aufführung des Alexis
  durch Hrn. Weymar mitzutheilen, den ich Ihnen zu gütiger Aufnahme
  bestens empfehle. Er selbst hat sich in der Rolle des Alexis recht gut
  aus der Sache gezogen, und das Einzelne, was ich noch hin und wieder
  in der Auffassung vermißte, würde wohl auch kein anderer Darsteller
  in dieser schwierigen und verwickelten Rolle gleich bey der ersten
  Aufführung besser als er geleistet haben.
  Die beiden Theile wurden, wie die beyliegenden Zettel besagen, an zwei
  Abenden hinter einander gegeben. Es war eine gewaltige Arbeit, diese 10
  Acte in wenigen Wochen in die Scene zu setzen. Die Hauptschwierigkeit,
  welche sich bey dem Geschäfte zuerst aufthat, war, daß fast alle
  Rollen sich als Charakter-Rollen zeigten, und eigentlich keine in der
  hergebrachten Bühnenweise zu spielen war; eine fernere Schwierigkeit
  lag in dem Laconismus der Expositionen und historischen Töne, so daß
  die Schauspieler nun wieder gezwungen waren, von ihrer Gewohnheit
  abzuweichen und diese Dinge mit einer Präcision vorzutragen, welche sie
  allein für die Zuschauer deutlich machen konnte. Dies waren die wahren
  Schwierigkeiten, alle übrigen, welche Direction und Intendanzen aus dem
  Scenischen hervor gesucht haben, ließen sich bey dem ernsten Angriff
  der Sache nicht entdecken.
  Indessen sind auch jene zu überwinden gewesen. Die Darstellung des
  ersten Theils hatte noch hin und wieder etwas Unsicheres, Unfertiges,
  Überladenes, die Aufgabe war für die Vorstellenden noch zu neu, doch
  ging alles im Ganzen mit Geist, Kraft und Energie vorwärts. Die meiste
  dramatische Wirkung entwickelte sich in den Bojaren-Scenen des ersten
  Aufzugs, in den Scenen des Alexis im zweiten Aufzug, in der für
  undarstellbar ausgegebenen Schiffsscene, in den Bauer-Scenen des 4ten
  Aufzugs, und in der Schlußscene zwischen Vater und Sohn. Wie ich die
  Schiffsscene arrangirt, wird Ihnen Hr. Weymar noch näher sagen.
  Im zweiten Theile war nun alles zu Hause, und diese Vorstellung
  rollte mit einer Kraft und Gewalt ab, wie man gewiß selten ein
  dramatisches Werk produzirt sieht; ich kann sagen, daß ein Jeder darin
  mit Begeisterung spielte, man mußte diese Vorstellung eine vollendete
  nennen. Die todte Form, an welcher der lebendige Czar zerbricht, gewann
  durch charakteristische Darstellung des Tolstoi selbst ein furchtbares
  Leben.
  Die Erscheinung des Gerichts hatte ich so imposant als möglich gemacht,
  auch hierüber wird Ihnen Hr. Weymar näheres sagen.
  Was mir sehr zu statten kam war, daß der Schauspieler, welcher den Czar
  spielte, ganz in meine Absichten eingegangen war, und wirklich etwas
  Großes leistete. Der Effect auf die Zuschauer war denn so, daß der
  erste Theil wie ein Prolog wirkte, sie in Spannung und Aufmerksamkeit
  erhielt; der zweite Theil aber sie fortriß. In diesem Theile wechselten
  nur die untrüglichen Zeichen der vollendeten Wirkung ab, nemlich
  Todtenstille und lebhafter Applaus.
  Da ich Ihren Antheil an diesen Sachen kenne, so bin ich so weitläuftig
  gewesen und fürchte nicht, Sie damit ermüdet zu haben.
  Manche trübe Zweifel, welche die Vernachlässigung meiner Arbeiten
  seitens der sogenannten realen Bühne in mir hervorgebracht hatte, sind
  durch die Aufführung des Alexis und durch die des Hofer im vorigen
  Jahre niedergeschlagen worden. Ich weiß nun, daß diese Stücke dem
  deutschen Theater angehören, und über Kurz oder Lang über dasselbe
  ihren Gang nehmen müssen, wie sehr man sich auch dagegen sperren mag.
  (?)
  Jetzt bin ich am Blaubart und habe heute die erste Leseprobe davon
  gehalten, bei welcher Hr. Weymar auch noch zugegen war.
  Ich leide an einem Augenübel und muß mich deshalb fremder gütiger Hand
  bedienen, um mich mit Ihnen unterhalten zu können. Das Verdrieslichste
  bey diesem Umstand ist mir, daß sich dadurch die Aufführung des
  Blaubarts vielleicht verzögert.
  Ihr Freund Löbell ist hier und hat sich vorgenommen, letztere
  abzuwarten.
  Mit treuer Gesinnung der Ihrige.
   _Immermann_.
  
   IX.
   _Düsseldorf_, 4. May 1835.
  Ich übersende Ihnen, mein Hochverehrter, den Zettel der gestrigen
  Aufführung des Blaubart, welche ein sehr erfreuliches Resultat gegeben
  hat.
  Das Erfreulichste war mir, daß das Stück sich wirklich, wie ich
  beständig geglaubt hatte, als völlig dramatisch-theatralisch bewährt
  hat. Die sonderbaren maskenartigen Figuren der ersten Scenen
  beschäftigen und fesseln und bringen bei dem überhaupt für Poesie
  Empfänglichen sogleich die gehörige Stimmung hervor. Nach und nach
  tritt der Ernst heran, die Spannung steigert sich gelinde, und wächst
  bis gegen das Ende zum tragischen Affect, auf welchem Gipfel sich das
  Werk wieder durch Scherz gelinde beruhigt. Kurz, es sind in diesem
  freien Gebilde der Phantasie zugleich alle Requisite des materiellen
  Theaters vorhanden. Das wußte ich freilich längst von diesem, wie von
  
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