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Briefe an Ludwig Tieck (2/4) - 04
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Gehen Sie mit Ihrer beßeren Seele zu Rathe. Sehen Sie zu, ob Sie es für
Sich verantworten könnten, den Schulberg auf sich und Ihre Freunde zu
deuten.
Ich werde es für mich nie verantworten noch veranlaßen.
_Iffland_.
Immermann, Karl.
Geb. am 24. April 1796 zu Magdeburg, gest. am 25. August 1840 als
Landesgerichtsrath in Düsseldorf.
Im Laufe von zwanzig Jahren hat dieser gewaltige Geist zur
Ehre und Freude deutscher Poesie unermüdlich geschaffen, seine
eigensten Wege eingeschlagen, und manches hohe Ziel erreicht.
Die Prinzen von Syrakus (1821) -- Das Thal von Ronceval -- Edwin
-- Petrarca (1822) -- König Periander (1823) -- Das Auge der
Liebe (1824) - Cardenio und Celinde (1826) -- Das Trauerspiel in
Tyrol (1827) -- Ein Morgenscherz -- Die schelmische Gräfin --
Kaiser Friedrich II. (1828) -- Alexis (1832) - Merlin --
Die Opfer des Schweigens -- Die Verkleidungen -- Die Schule der
Frommen - Gedichte (1830) -- Tulifäntchen -- Die Epigonen (1836) --
Münchhausen (1838) -- u. s. w. verkünden vielfache Erfolge in den
Gebieten der Tragödie, des Drama’s, der Posse, des Epos, der Mythe,
des Romanes, der Lyrik!
Seine Briefe an Tieck sind, jeder einzeln und für sich, so wie
alle sechszehn insgesammt, gleichsam fortlaufende Belege für
den heiteren Ernst seines Lebens und Strebens. Deshalb haben
wir alle _unverändert_ aufgenommen; auch diejenigen worin
er Verdammungsurtheile ausspricht, in welche viele seiner
aufrichtigsten Verehrer schwerlich so unbedingt einstimmen möchten.
Dafür war er denn eben der Immermann, und einem solchen verzeiht
man wohl auch sein mitunter allzu sicheres Selbstgefühl. Wir
haben nur wenige Zeilen unterdrückt, die noch lebende Personen
möglicherweise hätten verletzen können. Auch diejenigen (drei?)
Schriftstücke sind mitgetheilt worden, welche früher schon in
dem von G. zu Puttlitz herausgegebenen Büchlein: „Immermann’s
Theaterbriefe,“ mit Tiecks Zustimmung, erschienen waren.
Ein Brief, den Tieck ihm geschrieben, nach der Düsseldorffer
Aufführung des „Blaubart“ wurde hier eingeschoben; die Kopie
desselben, von Tieck’s Hand korrigirt, fand sich offenbar dazu
bestimmt, unter mehreren ähnlichen Abschriften.
I.
_Düßeldorf_, 18. Julius 1831.
_Wohlgeborner
Hochverehrter Herr Hofrath!_
Ich erlaube mir, Euer Wohlgeboren beifolgend ganz ergebenst ein
dramatisches Gedicht mitzutheilen, von dem ich wohl wünschte, daß es
vor dem Erscheinen im Druck dargestellt werden möchte. Insofern Sie
glauben, daß es für die Bühne sich eigne, würde ich daher diesen Wunsch
auch in Beziehung auf die dortige hiemit ausgesprochen haben. Nach dem,
was mir durch öffentliche Nachrichten über Ew. Wohlgeboren Verhältniß
zum Dresdner Theater bekannt ist, hoffe ich durch die unmittelbare
Überreichung meiner Arbeit an Sie, mich nicht zu weit von der Ordnung
des Geschäfts entfernt zu haben; jedenfalls wird man wohl den Verstoß
entschuldigen, wenn ich hierin irrte. Es war natürlich, daß ich mein
Gedicht am liebsten in die Hände des Dichters legen mochte.
Lassen Sie mich indessen, mein Hochverehrter Herr! diesen Worten
sogleich hinzufügen, daß mich ein Gefühl der Ehrfurcht vor Ihrer höchst
würdigen Stellung in der Literatur der Gegenwart mehr angetrieben hat,
Ihnen mein Werk vorzulegen, als ein leidenschaftliches Verlangen,
dasselbe auf den Brettern zu sehn. Die Erfahrungen der letzten 15 Jahre
müssen uns soweit belehrt haben, daß wir uns, selbst im glücklichsten
Falle eines sogenannten Erfolges, einer ungetrübten Freude kaum
überlassen dürfen, die doch nur gerechtfertigt wäre, wenn die scenische
Wirkung uns den dramatischen Werth des Dargestellten noch verbürgen
könnte.
Mein Wunsch bezieht sich ohnehin eigentlich nur auf die ersten beiden
Theile. Obgleich ich auch den dritten dramatisch zu bilden, wenigstens
beabsichtigt habe, so würden doch die Schauspieler, wie sie nun einmal
jetzt sind, schon in der feierlichen Form und in den künstlichern
Maaßen desselben unübersteigliche Schwierigkeiten finden. Mir ergab
sich die Form aus der Natur des Stoffs.
Wenn in den ersten Theilen der Gegenstand mehr von der Seite der
Abnormität gegriffen wurde, so war es die Sache des letzten, diese
Anomalien unter die allgemeinen Gesetze des Daseins auch sichtlich
zu ordnen, und das früherhin vorherrschende Charakteristische in die
Schönheit aufzulösen. Die innere Öconomie sowohl, als die äußere
Gestaltung mußte sich daher in gewissem Sinne der Antike annähern, in
welcher diese Art der Behandlung hervorsticht. Von der Geschichte
bin ich verschiedentlich abgewichen. Die sogenannte Verschwörung
von Susdal, welche den ersten Theil bildet, gedieh nicht zu der
abgeschloßenen Gestalt, wie sie bei mir bekommt; bei der Katastrophe
des Alexis traten die Gegensätze wenigstens sichtbar nicht so schroff
und seltsam auf, wie in meinem zweiten Stücke, und die Fabel des
dritten Theils liegt, den Treubruch der Katharina und die Verzweiflung
der letzten Lebenstage Peters abgerechnet, ganz im Gebiete des nur
Mythischmöglichen.
Sie haben sich zuweilen gegen die Willkühr bei der Behandlung der
Geschichte erklärt, auch der verewigte Solger äußerte sich, wenn ich
nicht irre, gelegentlich auf dieselbe Weise. Ich muß gestehn, daß ich
dem Dichter gern die höchste Freiheit bei der Behandlung des historisch
Gegebenen bewahren möchte. Zeigt sich freilich in seinem Werke statt
der lebenskräftigen Idee, ein hohles verblasenes Wesen, oder ist in
Erzeugnissen höherer Art doch hie und da eine Schwäche fühlbar, dann
muß es erlaubt sein, aus dem Gedichte hinaus in die Geschichte zu
blicken, und die Befangenheit zu rügen, der vielleicht die größten und
gründlichsten Motive nicht erkennbar würden. Immer aber wird, wie ich
glaube, der Tadel von der Poesie auszugehn haben. Und so habe ich Sie
auch nur verstanden, da Ihr Urtheil, wo es auf das Historische Bezug
nahm, in der That immer sich an die Auffindung dichterischer Mängel
knüpfte.
Macht man aber aus dem, was nur im einzelnen Falle Geltung hat, ein
allgemeines Prinzip, tritt man, wie es jetzt wohl zu geschehen pflegt,
von außen mit dem historischen Maaßstabe an das poetische Werk hinan,
so scheinen noch die ersten Erfordernisse einer ästhetischen Erkenntniß
zu fehlen. Wozu es der Poesie noch bedürfe, wenn die Geschichte schon
Alles enthält, läßt sich nicht wohl absehen.
Der Stoff, welchen der Historiker darzureichen meint, möchte auch
wohl für den Dichter erst dann zu existiren beginnen, wenn ihn die
Phantasie nach ihren ganz eigenthümlichen Gesetzen bereits ergriffen,
verknüpft und umgestaltet hat. In diesem neuen vornehmen Kleide zeigt
sich dann nur wieder der alte antikünstlerische Geist der gemeinen
Naturbetrachtung, der im 18. Jahrhundert sich als psychologische
Anforderung, Verlangen nach Wahrscheinlichkeit u. s. w. gebärdete.
Was meinen Stoff betrifft, so wurde ich in meinem Innern davon nur
berührt und erschüttert, insofern er mir das Schauspiel eines großen
und ungeheuren Irrthums darbot.
Vielleicht hat nie ein Mensch tiefer das Unendliche, welches im
Menschen liegt, gefühlt, als Peter der Große, und vielleicht war nie
Einer durch die Schranken seines Wesens und durch eine feindliche
Umgebung unglückseliger gefesselt. Aus Slaven, denen von jeher das
geistig Zeugende fehlte, will er ein weltbestimmendes Volk machen; er
bleibt selbst ein Slave, dem die Aufgabe auf Nachahmung und Aneignung
hinausläuft -- die Muster aber muß er aus seiner Zeit nehmen, der
schlechtesten, die es geben konnte, weil sie allen organischen
Zusammenhang in Kirche, Staat und Lebensgestaltung verloren hatte.
So schafft das gewaltigste Wirken ein äußres Gehäuse von Macht und
Größe, dem die Seele fehlt, und welches den Schöpfer selbst am Abend
seines Lebens mit Widerwillen und Grausen erfüllt.
In diesen Gefühlen und Anschauungen ging mir der Gegenstand auf, und
danach hat sich freilich alles Einzelne bei mir umgebildet. In den
_Bojaren_ zeigte sich mir der Held, unwiderstehlich siegreich, so
lange er es mit dem Elemente und der auch schon in sich zerfallenen
Alt-Russischen Magnatenwelt zu thun hat, Kraft gegen Kraft zerstörend
geht; wo es aber, wie im _Gericht von St. Petersburg_, einen
lebendigen, sittlichen Act galt, da sank er mir immer tiefer in die
lächerlich-fürchterlichen Widersprüche seines eigenen Machwerks. Der
Sohn wird geopfert um etwas, dessen Nichtigkeit der Vater selbst zu
ahnen beginnt, und die schlechteste Gestalt gängelt diesen am Faden
eines armseligen dürren Begriffs, den er denn aber doch nicht entbehren
kann, will er bleiben, was er ist. Die Harmonie dieser Dissonanzen fand
ich endlich in dem völligen Zerfallen dessen, was zu einem Scheindasein
zusammengefügt worden war, wie es der dritte Theil hinstellt.
Ich muß sehr um Verzeihung bitten, daß ich, ohne das Glück Ihrer nähern
Bekanntschaft[4] zu genießen, gewagt habe, so weitläuftig zu sein.
Indessen entsprang aus dem Muthe, Ihnen das Gedicht zu senden, auch
nothwendig der, über den Gegenstand zu reden, der mich eine lange Zeit
hindurch gefesselt hat. Ich hoffe, Sie werden mir die Ausführlichkeit
meiner Bemerkungen vergeben, welche freilich gegen das Conventionelle
streitet. Vor Allem wünsche ich, daß Sie in dem Gesagten keine eitle
Meinung über meine Arbeit erblicken mögen. Daß ich mich lange und
ernsthaft damit beschäftigt habe, weiß ich; wie aber das Resultat zu
stehn gekommen ist, darüber bin ich ganz im Dunkeln. Ich benutze diese
Gelegenheit, um Ihnen meinen aufrichtigsten Dank für den Genuß zu
sagen, den mir der zweite Theil Ihres Dichterlebens gewährt hat. In
den beiden Shakespeare-Novellen ist mir das geheimnißvolle Schaffen
Ihrer wunderthätigen Phantasie am klarsten geworden, und ich kann den
Eindruck, den sie auf mich gemacht haben, nicht anders bezeichnen,
als indem ich sage, daß wenn es nicht so zugegangen ist, es doch
nothwendig so hätte zugehen müssen. Mögen die Zeitereignisse und die
dortigen Verwickelungen Ihnen Heiterkeit und Freiheit lassen, uns
ferner zu erfreuen und zu belehren.
Ich werde vermuthlich im October Dresden auf einer Reise berühren, wo
es mir dann eine höchst angenehme Pflicht sein wird, persönlich meine
Verehrung zu bezeugen.
Mit der ausgezeichnetsten Hochachtung
Ew. Wohlgeboren
ganz ergebenster
_Immermann_.
N. S. Der beigelegte Scherz wurde vor einigen Jahren geschrieben. In
unsrer _großen_ Zeit konnte Däumchen wohl auch einmal ritterlich
und heldenhaft auftreten.
II.
_Düßeldorff_, den 28. Novbr. 1831.
Halten Sie es nicht für Undank für genoßne Güte, wenn ich Ihnen, mein
Hochverehrter, erst jetzt schreibe. Theils zögerte sich meine Rückreise
hin, theils habe ich hier erst eine totale Unlust zu aller Äußrung und
Mittheilung überwinden müssen. Ein Zustand, in den man wohl versinkt,
wenn der Wechsel der Eindrücke mit einem stillren Lebensgange wieder zu
vertauschen ist.
Leider habe ich Weimar nicht berühren dürfen, wollte ich mich nicht
drei Wochen lang für die Sicherheit des westlichen Deutschlands
auf der Heßischen Bergveste Arnstein zum Gesundheitspolizeilichen
Opfer darbringen. Ich hätte Göthe sehr gern gesehn, mich dünkt, daß
sein Wesen grade in diesem sonderbaren Momente eine eigenthümliche
Anschauung gewähren mußte. Auf der andern Seite tröstet mich wieder die
Betrachtung, daß ein persönliches Zusammentreffen mir wahrscheinlich
denn doch die Figur meines Klingsor verrückt haben würde. Ich bestärke
mich in der Stille immer mehr in meiner Ansicht über ihn, die Sie eine
ketzerische nennen müßen. Indeßen würde ich, wäre mir ein längeres
Zusammenseyn mit Ihnen gegönnt gewesen, meine Irrthümer wenigstens
haben darlegen können. Mir ist der ganze Göthe, mit Einschluß seiner
Fehler, auch in seinen größten und frühesten Werken schon vorhanden,
und die nachherigen Schwächen und Verkehrtheiten ergreifen vielmehr
das homogene italiänische und malerische Element, als daß sie durch
dasselbe hervorgerufen würden. Überhaupt, was sind Einflüsse? Man
könnte, wenn man mit Worten spielen wollte, sagen, es seyen eher
Ausflüße unsrer selbst. Es mag wie Anmaaßung klingen, aber ich kann
mir nicht helfen; mir scheint es zuweilen, als ob das Gebiet der
eigentlichen Poesie im höchsten Sinne erst da beginne, wo Göthe -- mit
wenigen Ausnahmen -- aufhört. Gewiß ist es wenigstens, daß von einer so
eignen, aparten Behandlungsweise, wo das Individuum sich immer seine
Rechte gegen den Stoff, und gegen die Gesetze der Gattung reservirt,
bei Homer, Sophokles, Cervantes, Shakespeare keine Spur ist.
Meine nächste Zeit nach dem Dresdener Aufenthalte stand zu diesem in
einem herben Kontraste. In Magdeburg, wo die Krankheit so gewaltsam
auftrat, verlebte ich ängstliche Tage; das halb physische, halb
imaginaire Übel, welches den Dunstkreis um die eigentliche Seuche
bildet, ergriff auch mich, und zwang mich zu einer Art von Flucht.
Ich hatte ein förmliches Prinz-Homburgs-Fieber zu überstehn, und
ich will nur wünschen, daß ich für fernere Fälle der Noth mich nun
zurechtgefunden haben mag, wie der zitternde Held.
Hier fand ich Uechtritz fleißig an einer neuen Arbeit, um welche er den
Spartacus wieder zurückgelegt hat. Sie soll: Die Chaldäer in Jerusalem,
heißen, und die Katastrophe des Volks unter Zedekia behandeln. Was
ihr in meinen Augen den eigentlich poetischen Kern giebt, sind die
Messias-Ideen, die verhängnißvoll unter dem Volke umhergehn, sich
besonders im Könige und einer falschen Prophetin, die den König
liebt, und dieses Gefühl für religiöse Begeisterung nimmt, ausprägen
und die Katastrophe herbeiführen helfen. Ich kenne noch nichts von dem
Gedichte, was mir aber U. vom Plane mittheilte, läßt mich etwas sehr
Gutes und Eigenthümliches hoffen. Vielleicht sind diese orientalischen
Stoffe, in ihrer mehr symbolischen und typischen Natur seinem Talente
am angemessensten. -- Noch von etwas Andrem kann ich Ihnen erzählen,
was aus unsrem Örtchen hier hervorgehn, und Sie, wie ich meine,
erfreuen wird. Ich sprach zu Ihnen dort, wie ich denke, schon von einem
philosophischen Freunde, den wir hier besitzen. Er arbeitet gegenwärtig
an einem Werke über Architektur und bildende Kunst, dessen Keim in
Reise-Erinnerungen aus Holland und Belgien lag, welches sich aber
über das ganze Gebiet jener Künste in metaphysischer und historischer
Hinsicht verbreiten wird. Er hat mir jetzt einige Fragmente der Arbeit
mitgetheilt, die auf mich den schönsten Eindruck gemacht haben. Hier
ist einmal wieder etwas Andres, als das leere Geschwätz, oder die
todte Abstraction, die uns seit Jahren auf diesem Felde ermüdet hat.
Alles wird aus der Natur der Sache deducirt, und der Weg, den er geht,
die einzelnen Kunsterscheinungen in ihrer historischen Nothwendigkeit
nachzuweisen, scheint mir der einzig richtige und fruchtbare zu seyn.
Sein Name ist Schnaase, er steht auch an unsrem Justiz-Hofe, an dem
sich durch einen sonderbaren Zufall drei Leute zusammen gefunden haben,
die so wenig, als ihnen nur möglich ist, an Recht und Gerechtigkeit
denken.
Möchten doch meine Worte etwas über Sie vermögen, daß Sie zweierlei
vollendeten, den jungen Tischlermeister und den Aufsatz über die
Alt-Englische Bühne! -- Je mehr ich in der Stille nachher über den
Tischlermeister gedacht habe, desto eindringlicher ist mir das Feine
und Schöne dieser Composition geworden. Es wird, ohne Frage, eins Ihrer
besten Werke. Die milde abendsonnenhelle Beleuchtung des Sternbald
ist auch darin, an Originalität und Gehalt steht es aber, nach meinem
Gefühle, weit über diesem. Ich bin überaus gespannt auf den Punkt, der
durch das ganze Werk indicirt ist, den ich aber hier nicht nennen will,
weil Ihnen mein Wort gegen die Fülle der poetischen Anschauung, nur
mager und ungenügend vorkommen könnte.
Wenn Sie uns nun durch Ihren liebenswürdigen Handwerker einen Gefallen
thun, so ist dagegen der theoretische Aufsatz eine Art Gewißenspflicht.
Es sind viele Indizien vorhanden, daß das theatralische Unwesen sich
einmal wieder auf einige Zeit legen wird. Raupach stellt wirklich
ein Pessimum dar, nach menschlichem Begriff läßt sich nicht tiefer
kommen, das Korn ist in der Mühle vollkommen durchgeschroten, und
dieser jüngste Meister verkauft, um aufzuräumen, noch die Kleyen in
den Säcken. Selbst die Berliner Comödianten fangen an, sich in seinen
Rollen zu langweilen, was doch viel sagen will. Nun aber kommt in
unsrem Deutschland die Praxis immer nach der Theorie, und nur erst,
wenn den Leuten einmal demonstrirt worden ist, wie schon unser Gerüst
dazu führt, das Elende und Schwache zur Evidenz zu bringen, wird man
anfangen, sich zu besinnen.
Von mir selbst kann ich Ihnen noch nichts berichten. Ich habe mir jeden
Tag vorgenommen an den Merlin die Hand zu legen, und sie immer in einer
Art von Verzweiflung sinken lassen. Ich leide nicht an dem Zweifel, an
der Dunkelheit, was ich noch zu machen habe; im Gegentheil steht mir
dieß zu deutlich vor der Seele, und dieß eben entmuthigt mich. Ich habe
ein Gefühl, wie der Gemsenjäger, der sich zwischen Klippen verstiegen
hat; er sieht den Pfad ganz bestimmt vor sich, aber die Füße eines
Menschen sind nicht gemacht, ihn zu wandeln. Nie habe ich eine solche
Kluft zwischen dem Gegenstande und meinen Organen empfunden. Ob unter
diesen Auspicien noch irgend etwas Poetisches zu Stande kommen kann,
oder ob ich nicht im glücklichsten Falle nur ein transcendentales
Ungeheuer erzeugen werde, muß die Zeit lehren. Es wäre ein Unglück für
mich, wenn ich daran scheiterte, denn ich habe bei diesem Wagniß einen
bedeutenden Theil meiner Lebenskraft eingesetzt.
Von Ihren Verwandten habe ich nur die Schwägerin zu sehn bekommen. Herr
Möller war nicht zu Hause. Wie ich aus den mir gethanen Äußerungen
abnehmen konnte, scheint es doch mit dem jungen Institute so ziemlich
zu gehn. Nur hindert auch hier die Cholerafurcht manche Eltern, ihre
Kinder aus dem Hause zu geben. Aufrichtig gesagt, ich bin wegen der
Zukunft bange. Diese Pestscheu wird mit ihrem heimlichen, nagenden
Einfluße noch den letzten Rest der Regsamkeit und des Muthes, der in
den Menschen geblieben war, aufzehren. Ein sonderbarer Zufall ist es,
daß in jeder Epidemie zu Berlin der Philosoph sterben muß; Fichte am
Typhus, Hegel an der Cholera. Ist es wahr, was man sagt, daß eine
Indigestion die Sache veranlaßt hat, so liegt in dem Ereigniße eine
Ironie, die kein gemachter Ernst hinwegtilgen kann. Da dem Preußischen
Staate nunmehr der Begriff fehlt, so möchte man ihm rathen, es einmal
zur Abwechslung mit der schlichten Natur zu versuchen.
Die Tage in Dresden sind mir eine sehr theure Erinnerung. Ich habe
Ihr Bild ganz rein und gut mit mir genommen, und bedaure nur, daß ich
Sie für mein Bedürfniß viel zu wenig gesehn und gesprochen habe. So
manches, was sich nur in einer gewißen Folge verhandeln läßt, klang
bloß an; Andres, worüber ich Ihre Meinung so gern vernommen hätte, ist
kaum berührt worden. Zuweilen gehn doch auch vernünftige Wünsche in
Erfüllung, und so hoffe ich, daß ich mich dießmal früher, als in andern
zehn Jahren, Ihnen wieder nahen werde.
Ihr Tadel, der gegen den Schluß des zweiten Theils des Alexis geht, ist
ganz richtig, der Fehler steckt aber, wie ich glaube, im fünften Acte
überhaupt. Dieser muß nach einem nothwendigen Gesetze (was Shakespeare
überall befolgt hat) kürzer seyn, als die früheren; er soll nur die
schlagenden Resultate deßen enthalten, was bis dahin mit einer gewißen
Ausführlichkeit vorzubereiten, wohl erlaubt ist. -- Mein 5. Act ist
grade der längste, es ist viel zu viel hineingepackt worden, und so
kommt es, daß die Sachen sich gegen das Ende stopfen und einander
hemmen. Leider ist dieß ein Fehler, der durch die ganze Öconomie des
Stücks herbeigeführt wird, den ich also nicht mehr abzuändern vermag.
Ich würde, wenn es irgend zu machen wäre (was freilich sehr schwer
ist, da zu der Gerichtsszene die ganze Tiefe des Theaters genommen
werden muß) für eine Aufführung vorschlagen, den vierten Act erst
mit dem letzten Monologe der Katharina zu schließen. Poetischer und
dramatischer wäre diese Abtheilung auf jeden Fall.
Möchten Sie diese Zeilen recht frisch und froh treffen! Wegen der
Altspanischen Sachen habe ich in Cöln und Belgien Verbindungen
angeknüpft, ich wünsche, daß meine Commißionaire etwas Ihnen
Erfreuliches finden mögen. Alte Romanzeros und Schauspiele würden
Ihnen, denke ich, am angenehmsten seyn.
Ich bitte, den Damen mich angelegentlichst zu empfehlen, und ihnen
meinen Dank für die mir erwiesene Huld und Güte zu bringen. Sehr
glücklich würde es mich machen, wenn ich von Zeit zu Zeit etwas
von Ihnen vernähme, doch darf ich wohl nicht darauf hoffen, da
Briefschreiben Ihnen unangenehm ist.
Mit aufrichtiger Gesinnung
Ihr
treu ergebner
_Immermann_.
Haben Sie die Morgenländischen Dichtungen von Oehlenschläger gelesen?
Der erste Theil der Fischerstochter und Vieles in den Drillingen von
Damascus hat mir so wohl gefallen, wie der Aladdin. Er ist in den
Orientalischen breiten, lockern und bunten Stoffen recht in seiner
Sphäre, und hätte nie nach dem Tiefen und Bedeutsamen sich abmühn
sollen.
III.
_Düsseldorf_, 27. Januar 32.
Ich habe neulich in der Zerstreuung vergeßen, Ihnen, mein
Hochverehrter, den Baierischen Noah, den Sie mir so gütig mitgaben,
zurückzusenden, und bin erst jetzt durch den Anblick des Buchs an meine
Pflicht erinnert worden. Mit dem aufrichtigsten Dank hole ich das
Versäumte nach, und bitte Sie, meinen Fehler entschuldigen zu wollen.
Ich habe unterdeßen Ihren Hexen-Sabbath gelesen, und bin davon auf eine
ungemeine Weise getroffen worden. Die Kraft der Dichtung ist sehr groß,
und der Eindruck steigert sich vom Leichten, Heiteren, Anmuthigen bis
in das ganz Erschütternde. Mir scheint dann immer die höchste Gewalt
der Poesie hervorzutreten, wenn sie das beschränkt Historische auffaßt,
dieß auch in seiner Begränzung läßt, und es dennoch zur vollkommnen
Gestalt zu bringen weiß. Im Hexensabbath sind nichts als einmal so und
nicht anders dagewesene Flandrisch-Burgundische Figuren, die Zeit ist
in ihrem singulairen Kostüm ganz fest gehalten, nirgends wird darauf
hingearbeitet, das sogenannte allgemeine Menschliche hervorzuheben,
und dennoch ist Alles allgemein verständlich, und wirkt vollkommen
dichterisch.
Wie mich individuell die Sache berühren mußte, werden Sie fühlen.
In der That sind wir auf eine sonderbare Weise in einem Punkte
zusammengetroffen. Mir war Satan, Luzifer, Beelzebub, oder wie man
sonst das Wesen nennen will, welches uns auf jedem Schritt und Tritt
fühlbar wird, nie das Ungeheuer mit Klauen und Schweif, oder der
listige Kammerdiener, der seinem Herrn die Dirne schafft. Es ging
mir vielmehr mit Nothwendigkeit aus Gottes Wesen hervor, und um die
Ketzerey mit einem Worte auszusprechen: Der Teufel war mir der in der
Mannigfaltigkeit geoffenbarte Gott, der durch diesen Act sich selbst
in seiner Einheit verloren hatte. Weil aber dieser Zustand ~eodem
momento~, wo er geboren war, sich in Gott wieder aufheben mußte, so
war mit der Manifestation als Satan, zugleich die als Logos verbunden,
oder vielmehr beide fielen zusammen. Die Function des letztern war
mir nun, das Vielfache, Vergängliche, in den Abgrund des Einen und
Unvergänglichen hinunterzustürzen; Gott pulsirte für mich in jedem
Augenblicke nach beiden Richtungen durch das Weltall. Hierdurch war
mir Sünde und Tod, der Satz des Widerspruchs und das Werk der Erlösung
erst verständlich. Ich wurde mit den Geheimlehren der Kirche bekannt,
Spinoza kam hinzu, und so rann aus Fremdem und Eignem der Demiurgos
zusammen, der im Merlin auftritt.
Sie stehn nun freilich gegen mich im großen Vortheil. Dergleichen
problematische und eigentlich unaussprechliche Sachen halten sich in
den Grillen eines Labitt mehr innerhalb der Grenzen der Poesie, als
wenn sie, wie sie bei mir mußten, schwer, trüb und ernsthaft sich
hinstellen. Ich fürchte, daß dieser Ernst meine Arbeit zu einer ganz
undichterischen gemacht hat.
In den ersten Tagen des Jahrs habe ich den Merlin zu Ende gebracht. Ich
hätte das gröste Verlangen, Ihnen denselben mitzutheilen, es fehlt mir
aber ein Schreiber, der eine correcte und schöne Copie liefern kann,
und ich möchte Sie nicht durch ein häßliches Manuscript von vornherein
zurückschrecken. Es ist daher wohl besser, daß ich Ihnen erst das
gedruckte Buch sende. Ich werde es bald publiciren, da ich fühle, daß
ich daran nichts ändern kann, und daß es durch Feilen nur abgeschwächt
werden würde.
Nehmen Sie nur nicht übel, daß ich Ihnen allerhand unerbetne
Mittheilungen mache, die sich auf dem Papier vielleicht sonderbar
ausnehmen. Sie haben aber einen solchen Eindruck auf mich gemacht, daß
ich mich immer noch Ihrem lieben belebten Antlitz gegenüber sehe, wenn
ich auch nur den todten Briefbogen vor mir habe.
Indem ich bitte, den Damen mich bestens zu empfehlen, verharre ich in
treuer Gesinnung
aufrichtig ergebenst
_Immermann_.
IV.
_Düsseldorf_, d. 8. October 1832.
Ich sage Ihnen, mein hochverehrter Herr und Freund, den aufrichtigsten
Dank für Ihren theilnehmenden Brief, den ich zu meiner großen Freude
und Erquickung vorfand, als ich von einer Reise in die Ahr- und
Lahngegend und durch Hessen zurückkehrte. Mit meiner Gesundheit hat
es allerdings im letzten Jahre nicht besonders gestanden, ich litt an
Nervenzufällen, über die ich sonst, wenn ich davon reden hörte, nur als
über schwächliche Einbildungen lachte, und war in aller Thätigkeit und
Lebensfreude sehr gehemmt. Jetzt aber ist es besser; die Reisebewegung
hat noch das Ihrige gethan, und ich hoffe, daß der Dämon wieder von mir
gewichen ist.
Eine wahre Stärkung ist mir gewesen, was Sie über meine Sachen sagen.
Ich muß Ihnen nur gestehn, daß mich in den letzten Zeiten bei der
allgemeinen Dumpfheit und Kälte, und bei dem Hohne ungezogner Buben,
den ich bei jeder Gelegenheit zu erdulden hatte, oft ein Verzagen
überschleichen wollte, daß ich mehr als je das Bedürfniß fühlte, mich
in fremdem Urtheile wiederzufinden. -- Ihre Worte über den Merlin sind
ganz meinem Sinne und Wunsche gemäß; ich könnte Ihnen über Manches, was
dunkel erscheinen mag, auch nichts weiter sagen, als daß es mir so in
einer Anschauung vorgeschwebt hat, und ihm kein bestimmter Satz, oder
eine besondre Wahrheit zum Grunde liegt. Die allgemeine Anregung, von
welcher Sie reden, ist also grade die Stimmung, aus welcher wenigstens
bei mir die Arbeit hervorgegangen ist, und die ich gern überall bei
Andern wieder sehen möchte. Ein ins Spezielle gehendes Deuten würde
meine Absicht nicht treffen.
Ich will Ihnen nun die beiden Fragen, die Sie mir stellen, so gut ich
kann, beantworten. Der Unbekannte in der Zueignung ist mein hiesiger
Freund Schnaase, deßen ich ja wohl schon gegen Sie Erwähnung gethan
habe, und von dem Sie vermuthlich jetzt durch Uechtritzens Vermittlung
den Aufsatz „über Genremalerei“ gelesen haben werden. Das Entstehen
unsres näheren Verhältnißes fiel grade in die für mich sonderbare und
unvergeßliche Zeit, wo der Merlin in mir zu werden begann. Er war der
Erste, der von der Idee erfuhr, und nahm auf eine Weise Theil daran,
ohne welche ich sie vielleicht nicht auszuführen vermocht hätte. Ich
hoffe, dieser schöne, vielseitige und tiefe Geist wird Ihnen nicht
lange mehr unbekannt bleiben.
Bei der zweiten Frage muß ich etwas weiter ausholen. Sie fragen: ob
die letzten Worte Merlins auch die wahre eigentliche Meinung des
Autors sagen. -- Anfangs verstand ich Sie nicht, nachher habe ich mir
die Sache aber so ausgelegt, daß Sie damit auf einen Zwiespalt in dem
Gedichte haben hinweisen, und eine Erwartung, die durch das Ende nicht
erfüllt wird, haben andeuten wollen. Habe ich Sie recht gefaßt, so
trifft Ihre Einwendung allerdings den wichtigsten Punkt, und ich muß
Ihnen in gewisser Beziehung Recht geben.
Wie mir die Entfaltung der Welt durch das Christenthum vorkommt,
Sich verantworten könnten, den Schulberg auf sich und Ihre Freunde zu
deuten.
Ich werde es für mich nie verantworten noch veranlaßen.
_Iffland_.
Immermann, Karl.
Geb. am 24. April 1796 zu Magdeburg, gest. am 25. August 1840 als
Landesgerichtsrath in Düsseldorf.
Im Laufe von zwanzig Jahren hat dieser gewaltige Geist zur
Ehre und Freude deutscher Poesie unermüdlich geschaffen, seine
eigensten Wege eingeschlagen, und manches hohe Ziel erreicht.
Die Prinzen von Syrakus (1821) -- Das Thal von Ronceval -- Edwin
-- Petrarca (1822) -- König Periander (1823) -- Das Auge der
Liebe (1824) - Cardenio und Celinde (1826) -- Das Trauerspiel in
Tyrol (1827) -- Ein Morgenscherz -- Die schelmische Gräfin --
Kaiser Friedrich II. (1828) -- Alexis (1832) - Merlin --
Die Opfer des Schweigens -- Die Verkleidungen -- Die Schule der
Frommen - Gedichte (1830) -- Tulifäntchen -- Die Epigonen (1836) --
Münchhausen (1838) -- u. s. w. verkünden vielfache Erfolge in den
Gebieten der Tragödie, des Drama’s, der Posse, des Epos, der Mythe,
des Romanes, der Lyrik!
Seine Briefe an Tieck sind, jeder einzeln und für sich, so wie
alle sechszehn insgesammt, gleichsam fortlaufende Belege für
den heiteren Ernst seines Lebens und Strebens. Deshalb haben
wir alle _unverändert_ aufgenommen; auch diejenigen worin
er Verdammungsurtheile ausspricht, in welche viele seiner
aufrichtigsten Verehrer schwerlich so unbedingt einstimmen möchten.
Dafür war er denn eben der Immermann, und einem solchen verzeiht
man wohl auch sein mitunter allzu sicheres Selbstgefühl. Wir
haben nur wenige Zeilen unterdrückt, die noch lebende Personen
möglicherweise hätten verletzen können. Auch diejenigen (drei?)
Schriftstücke sind mitgetheilt worden, welche früher schon in
dem von G. zu Puttlitz herausgegebenen Büchlein: „Immermann’s
Theaterbriefe,“ mit Tiecks Zustimmung, erschienen waren.
Ein Brief, den Tieck ihm geschrieben, nach der Düsseldorffer
Aufführung des „Blaubart“ wurde hier eingeschoben; die Kopie
desselben, von Tieck’s Hand korrigirt, fand sich offenbar dazu
bestimmt, unter mehreren ähnlichen Abschriften.
I.
_Düßeldorf_, 18. Julius 1831.
_Wohlgeborner
Hochverehrter Herr Hofrath!_
Ich erlaube mir, Euer Wohlgeboren beifolgend ganz ergebenst ein
dramatisches Gedicht mitzutheilen, von dem ich wohl wünschte, daß es
vor dem Erscheinen im Druck dargestellt werden möchte. Insofern Sie
glauben, daß es für die Bühne sich eigne, würde ich daher diesen Wunsch
auch in Beziehung auf die dortige hiemit ausgesprochen haben. Nach dem,
was mir durch öffentliche Nachrichten über Ew. Wohlgeboren Verhältniß
zum Dresdner Theater bekannt ist, hoffe ich durch die unmittelbare
Überreichung meiner Arbeit an Sie, mich nicht zu weit von der Ordnung
des Geschäfts entfernt zu haben; jedenfalls wird man wohl den Verstoß
entschuldigen, wenn ich hierin irrte. Es war natürlich, daß ich mein
Gedicht am liebsten in die Hände des Dichters legen mochte.
Lassen Sie mich indessen, mein Hochverehrter Herr! diesen Worten
sogleich hinzufügen, daß mich ein Gefühl der Ehrfurcht vor Ihrer höchst
würdigen Stellung in der Literatur der Gegenwart mehr angetrieben hat,
Ihnen mein Werk vorzulegen, als ein leidenschaftliches Verlangen,
dasselbe auf den Brettern zu sehn. Die Erfahrungen der letzten 15 Jahre
müssen uns soweit belehrt haben, daß wir uns, selbst im glücklichsten
Falle eines sogenannten Erfolges, einer ungetrübten Freude kaum
überlassen dürfen, die doch nur gerechtfertigt wäre, wenn die scenische
Wirkung uns den dramatischen Werth des Dargestellten noch verbürgen
könnte.
Mein Wunsch bezieht sich ohnehin eigentlich nur auf die ersten beiden
Theile. Obgleich ich auch den dritten dramatisch zu bilden, wenigstens
beabsichtigt habe, so würden doch die Schauspieler, wie sie nun einmal
jetzt sind, schon in der feierlichen Form und in den künstlichern
Maaßen desselben unübersteigliche Schwierigkeiten finden. Mir ergab
sich die Form aus der Natur des Stoffs.
Wenn in den ersten Theilen der Gegenstand mehr von der Seite der
Abnormität gegriffen wurde, so war es die Sache des letzten, diese
Anomalien unter die allgemeinen Gesetze des Daseins auch sichtlich
zu ordnen, und das früherhin vorherrschende Charakteristische in die
Schönheit aufzulösen. Die innere Öconomie sowohl, als die äußere
Gestaltung mußte sich daher in gewissem Sinne der Antike annähern, in
welcher diese Art der Behandlung hervorsticht. Von der Geschichte
bin ich verschiedentlich abgewichen. Die sogenannte Verschwörung
von Susdal, welche den ersten Theil bildet, gedieh nicht zu der
abgeschloßenen Gestalt, wie sie bei mir bekommt; bei der Katastrophe
des Alexis traten die Gegensätze wenigstens sichtbar nicht so schroff
und seltsam auf, wie in meinem zweiten Stücke, und die Fabel des
dritten Theils liegt, den Treubruch der Katharina und die Verzweiflung
der letzten Lebenstage Peters abgerechnet, ganz im Gebiete des nur
Mythischmöglichen.
Sie haben sich zuweilen gegen die Willkühr bei der Behandlung der
Geschichte erklärt, auch der verewigte Solger äußerte sich, wenn ich
nicht irre, gelegentlich auf dieselbe Weise. Ich muß gestehn, daß ich
dem Dichter gern die höchste Freiheit bei der Behandlung des historisch
Gegebenen bewahren möchte. Zeigt sich freilich in seinem Werke statt
der lebenskräftigen Idee, ein hohles verblasenes Wesen, oder ist in
Erzeugnissen höherer Art doch hie und da eine Schwäche fühlbar, dann
muß es erlaubt sein, aus dem Gedichte hinaus in die Geschichte zu
blicken, und die Befangenheit zu rügen, der vielleicht die größten und
gründlichsten Motive nicht erkennbar würden. Immer aber wird, wie ich
glaube, der Tadel von der Poesie auszugehn haben. Und so habe ich Sie
auch nur verstanden, da Ihr Urtheil, wo es auf das Historische Bezug
nahm, in der That immer sich an die Auffindung dichterischer Mängel
knüpfte.
Macht man aber aus dem, was nur im einzelnen Falle Geltung hat, ein
allgemeines Prinzip, tritt man, wie es jetzt wohl zu geschehen pflegt,
von außen mit dem historischen Maaßstabe an das poetische Werk hinan,
so scheinen noch die ersten Erfordernisse einer ästhetischen Erkenntniß
zu fehlen. Wozu es der Poesie noch bedürfe, wenn die Geschichte schon
Alles enthält, läßt sich nicht wohl absehen.
Der Stoff, welchen der Historiker darzureichen meint, möchte auch
wohl für den Dichter erst dann zu existiren beginnen, wenn ihn die
Phantasie nach ihren ganz eigenthümlichen Gesetzen bereits ergriffen,
verknüpft und umgestaltet hat. In diesem neuen vornehmen Kleide zeigt
sich dann nur wieder der alte antikünstlerische Geist der gemeinen
Naturbetrachtung, der im 18. Jahrhundert sich als psychologische
Anforderung, Verlangen nach Wahrscheinlichkeit u. s. w. gebärdete.
Was meinen Stoff betrifft, so wurde ich in meinem Innern davon nur
berührt und erschüttert, insofern er mir das Schauspiel eines großen
und ungeheuren Irrthums darbot.
Vielleicht hat nie ein Mensch tiefer das Unendliche, welches im
Menschen liegt, gefühlt, als Peter der Große, und vielleicht war nie
Einer durch die Schranken seines Wesens und durch eine feindliche
Umgebung unglückseliger gefesselt. Aus Slaven, denen von jeher das
geistig Zeugende fehlte, will er ein weltbestimmendes Volk machen; er
bleibt selbst ein Slave, dem die Aufgabe auf Nachahmung und Aneignung
hinausläuft -- die Muster aber muß er aus seiner Zeit nehmen, der
schlechtesten, die es geben konnte, weil sie allen organischen
Zusammenhang in Kirche, Staat und Lebensgestaltung verloren hatte.
So schafft das gewaltigste Wirken ein äußres Gehäuse von Macht und
Größe, dem die Seele fehlt, und welches den Schöpfer selbst am Abend
seines Lebens mit Widerwillen und Grausen erfüllt.
In diesen Gefühlen und Anschauungen ging mir der Gegenstand auf, und
danach hat sich freilich alles Einzelne bei mir umgebildet. In den
_Bojaren_ zeigte sich mir der Held, unwiderstehlich siegreich, so
lange er es mit dem Elemente und der auch schon in sich zerfallenen
Alt-Russischen Magnatenwelt zu thun hat, Kraft gegen Kraft zerstörend
geht; wo es aber, wie im _Gericht von St. Petersburg_, einen
lebendigen, sittlichen Act galt, da sank er mir immer tiefer in die
lächerlich-fürchterlichen Widersprüche seines eigenen Machwerks. Der
Sohn wird geopfert um etwas, dessen Nichtigkeit der Vater selbst zu
ahnen beginnt, und die schlechteste Gestalt gängelt diesen am Faden
eines armseligen dürren Begriffs, den er denn aber doch nicht entbehren
kann, will er bleiben, was er ist. Die Harmonie dieser Dissonanzen fand
ich endlich in dem völligen Zerfallen dessen, was zu einem Scheindasein
zusammengefügt worden war, wie es der dritte Theil hinstellt.
Ich muß sehr um Verzeihung bitten, daß ich, ohne das Glück Ihrer nähern
Bekanntschaft[4] zu genießen, gewagt habe, so weitläuftig zu sein.
Indessen entsprang aus dem Muthe, Ihnen das Gedicht zu senden, auch
nothwendig der, über den Gegenstand zu reden, der mich eine lange Zeit
hindurch gefesselt hat. Ich hoffe, Sie werden mir die Ausführlichkeit
meiner Bemerkungen vergeben, welche freilich gegen das Conventionelle
streitet. Vor Allem wünsche ich, daß Sie in dem Gesagten keine eitle
Meinung über meine Arbeit erblicken mögen. Daß ich mich lange und
ernsthaft damit beschäftigt habe, weiß ich; wie aber das Resultat zu
stehn gekommen ist, darüber bin ich ganz im Dunkeln. Ich benutze diese
Gelegenheit, um Ihnen meinen aufrichtigsten Dank für den Genuß zu
sagen, den mir der zweite Theil Ihres Dichterlebens gewährt hat. In
den beiden Shakespeare-Novellen ist mir das geheimnißvolle Schaffen
Ihrer wunderthätigen Phantasie am klarsten geworden, und ich kann den
Eindruck, den sie auf mich gemacht haben, nicht anders bezeichnen,
als indem ich sage, daß wenn es nicht so zugegangen ist, es doch
nothwendig so hätte zugehen müssen. Mögen die Zeitereignisse und die
dortigen Verwickelungen Ihnen Heiterkeit und Freiheit lassen, uns
ferner zu erfreuen und zu belehren.
Ich werde vermuthlich im October Dresden auf einer Reise berühren, wo
es mir dann eine höchst angenehme Pflicht sein wird, persönlich meine
Verehrung zu bezeugen.
Mit der ausgezeichnetsten Hochachtung
Ew. Wohlgeboren
ganz ergebenster
_Immermann_.
N. S. Der beigelegte Scherz wurde vor einigen Jahren geschrieben. In
unsrer _großen_ Zeit konnte Däumchen wohl auch einmal ritterlich
und heldenhaft auftreten.
II.
_Düßeldorff_, den 28. Novbr. 1831.
Halten Sie es nicht für Undank für genoßne Güte, wenn ich Ihnen, mein
Hochverehrter, erst jetzt schreibe. Theils zögerte sich meine Rückreise
hin, theils habe ich hier erst eine totale Unlust zu aller Äußrung und
Mittheilung überwinden müssen. Ein Zustand, in den man wohl versinkt,
wenn der Wechsel der Eindrücke mit einem stillren Lebensgange wieder zu
vertauschen ist.
Leider habe ich Weimar nicht berühren dürfen, wollte ich mich nicht
drei Wochen lang für die Sicherheit des westlichen Deutschlands
auf der Heßischen Bergveste Arnstein zum Gesundheitspolizeilichen
Opfer darbringen. Ich hätte Göthe sehr gern gesehn, mich dünkt, daß
sein Wesen grade in diesem sonderbaren Momente eine eigenthümliche
Anschauung gewähren mußte. Auf der andern Seite tröstet mich wieder die
Betrachtung, daß ein persönliches Zusammentreffen mir wahrscheinlich
denn doch die Figur meines Klingsor verrückt haben würde. Ich bestärke
mich in der Stille immer mehr in meiner Ansicht über ihn, die Sie eine
ketzerische nennen müßen. Indeßen würde ich, wäre mir ein längeres
Zusammenseyn mit Ihnen gegönnt gewesen, meine Irrthümer wenigstens
haben darlegen können. Mir ist der ganze Göthe, mit Einschluß seiner
Fehler, auch in seinen größten und frühesten Werken schon vorhanden,
und die nachherigen Schwächen und Verkehrtheiten ergreifen vielmehr
das homogene italiänische und malerische Element, als daß sie durch
dasselbe hervorgerufen würden. Überhaupt, was sind Einflüsse? Man
könnte, wenn man mit Worten spielen wollte, sagen, es seyen eher
Ausflüße unsrer selbst. Es mag wie Anmaaßung klingen, aber ich kann
mir nicht helfen; mir scheint es zuweilen, als ob das Gebiet der
eigentlichen Poesie im höchsten Sinne erst da beginne, wo Göthe -- mit
wenigen Ausnahmen -- aufhört. Gewiß ist es wenigstens, daß von einer so
eignen, aparten Behandlungsweise, wo das Individuum sich immer seine
Rechte gegen den Stoff, und gegen die Gesetze der Gattung reservirt,
bei Homer, Sophokles, Cervantes, Shakespeare keine Spur ist.
Meine nächste Zeit nach dem Dresdener Aufenthalte stand zu diesem in
einem herben Kontraste. In Magdeburg, wo die Krankheit so gewaltsam
auftrat, verlebte ich ängstliche Tage; das halb physische, halb
imaginaire Übel, welches den Dunstkreis um die eigentliche Seuche
bildet, ergriff auch mich, und zwang mich zu einer Art von Flucht.
Ich hatte ein förmliches Prinz-Homburgs-Fieber zu überstehn, und
ich will nur wünschen, daß ich für fernere Fälle der Noth mich nun
zurechtgefunden haben mag, wie der zitternde Held.
Hier fand ich Uechtritz fleißig an einer neuen Arbeit, um welche er den
Spartacus wieder zurückgelegt hat. Sie soll: Die Chaldäer in Jerusalem,
heißen, und die Katastrophe des Volks unter Zedekia behandeln. Was
ihr in meinen Augen den eigentlich poetischen Kern giebt, sind die
Messias-Ideen, die verhängnißvoll unter dem Volke umhergehn, sich
besonders im Könige und einer falschen Prophetin, die den König
liebt, und dieses Gefühl für religiöse Begeisterung nimmt, ausprägen
und die Katastrophe herbeiführen helfen. Ich kenne noch nichts von dem
Gedichte, was mir aber U. vom Plane mittheilte, läßt mich etwas sehr
Gutes und Eigenthümliches hoffen. Vielleicht sind diese orientalischen
Stoffe, in ihrer mehr symbolischen und typischen Natur seinem Talente
am angemessensten. -- Noch von etwas Andrem kann ich Ihnen erzählen,
was aus unsrem Örtchen hier hervorgehn, und Sie, wie ich meine,
erfreuen wird. Ich sprach zu Ihnen dort, wie ich denke, schon von einem
philosophischen Freunde, den wir hier besitzen. Er arbeitet gegenwärtig
an einem Werke über Architektur und bildende Kunst, dessen Keim in
Reise-Erinnerungen aus Holland und Belgien lag, welches sich aber
über das ganze Gebiet jener Künste in metaphysischer und historischer
Hinsicht verbreiten wird. Er hat mir jetzt einige Fragmente der Arbeit
mitgetheilt, die auf mich den schönsten Eindruck gemacht haben. Hier
ist einmal wieder etwas Andres, als das leere Geschwätz, oder die
todte Abstraction, die uns seit Jahren auf diesem Felde ermüdet hat.
Alles wird aus der Natur der Sache deducirt, und der Weg, den er geht,
die einzelnen Kunsterscheinungen in ihrer historischen Nothwendigkeit
nachzuweisen, scheint mir der einzig richtige und fruchtbare zu seyn.
Sein Name ist Schnaase, er steht auch an unsrem Justiz-Hofe, an dem
sich durch einen sonderbaren Zufall drei Leute zusammen gefunden haben,
die so wenig, als ihnen nur möglich ist, an Recht und Gerechtigkeit
denken.
Möchten doch meine Worte etwas über Sie vermögen, daß Sie zweierlei
vollendeten, den jungen Tischlermeister und den Aufsatz über die
Alt-Englische Bühne! -- Je mehr ich in der Stille nachher über den
Tischlermeister gedacht habe, desto eindringlicher ist mir das Feine
und Schöne dieser Composition geworden. Es wird, ohne Frage, eins Ihrer
besten Werke. Die milde abendsonnenhelle Beleuchtung des Sternbald
ist auch darin, an Originalität und Gehalt steht es aber, nach meinem
Gefühle, weit über diesem. Ich bin überaus gespannt auf den Punkt, der
durch das ganze Werk indicirt ist, den ich aber hier nicht nennen will,
weil Ihnen mein Wort gegen die Fülle der poetischen Anschauung, nur
mager und ungenügend vorkommen könnte.
Wenn Sie uns nun durch Ihren liebenswürdigen Handwerker einen Gefallen
thun, so ist dagegen der theoretische Aufsatz eine Art Gewißenspflicht.
Es sind viele Indizien vorhanden, daß das theatralische Unwesen sich
einmal wieder auf einige Zeit legen wird. Raupach stellt wirklich
ein Pessimum dar, nach menschlichem Begriff läßt sich nicht tiefer
kommen, das Korn ist in der Mühle vollkommen durchgeschroten, und
dieser jüngste Meister verkauft, um aufzuräumen, noch die Kleyen in
den Säcken. Selbst die Berliner Comödianten fangen an, sich in seinen
Rollen zu langweilen, was doch viel sagen will. Nun aber kommt in
unsrem Deutschland die Praxis immer nach der Theorie, und nur erst,
wenn den Leuten einmal demonstrirt worden ist, wie schon unser Gerüst
dazu führt, das Elende und Schwache zur Evidenz zu bringen, wird man
anfangen, sich zu besinnen.
Von mir selbst kann ich Ihnen noch nichts berichten. Ich habe mir jeden
Tag vorgenommen an den Merlin die Hand zu legen, und sie immer in einer
Art von Verzweiflung sinken lassen. Ich leide nicht an dem Zweifel, an
der Dunkelheit, was ich noch zu machen habe; im Gegentheil steht mir
dieß zu deutlich vor der Seele, und dieß eben entmuthigt mich. Ich habe
ein Gefühl, wie der Gemsenjäger, der sich zwischen Klippen verstiegen
hat; er sieht den Pfad ganz bestimmt vor sich, aber die Füße eines
Menschen sind nicht gemacht, ihn zu wandeln. Nie habe ich eine solche
Kluft zwischen dem Gegenstande und meinen Organen empfunden. Ob unter
diesen Auspicien noch irgend etwas Poetisches zu Stande kommen kann,
oder ob ich nicht im glücklichsten Falle nur ein transcendentales
Ungeheuer erzeugen werde, muß die Zeit lehren. Es wäre ein Unglück für
mich, wenn ich daran scheiterte, denn ich habe bei diesem Wagniß einen
bedeutenden Theil meiner Lebenskraft eingesetzt.
Von Ihren Verwandten habe ich nur die Schwägerin zu sehn bekommen. Herr
Möller war nicht zu Hause. Wie ich aus den mir gethanen Äußerungen
abnehmen konnte, scheint es doch mit dem jungen Institute so ziemlich
zu gehn. Nur hindert auch hier die Cholerafurcht manche Eltern, ihre
Kinder aus dem Hause zu geben. Aufrichtig gesagt, ich bin wegen der
Zukunft bange. Diese Pestscheu wird mit ihrem heimlichen, nagenden
Einfluße noch den letzten Rest der Regsamkeit und des Muthes, der in
den Menschen geblieben war, aufzehren. Ein sonderbarer Zufall ist es,
daß in jeder Epidemie zu Berlin der Philosoph sterben muß; Fichte am
Typhus, Hegel an der Cholera. Ist es wahr, was man sagt, daß eine
Indigestion die Sache veranlaßt hat, so liegt in dem Ereigniße eine
Ironie, die kein gemachter Ernst hinwegtilgen kann. Da dem Preußischen
Staate nunmehr der Begriff fehlt, so möchte man ihm rathen, es einmal
zur Abwechslung mit der schlichten Natur zu versuchen.
Die Tage in Dresden sind mir eine sehr theure Erinnerung. Ich habe
Ihr Bild ganz rein und gut mit mir genommen, und bedaure nur, daß ich
Sie für mein Bedürfniß viel zu wenig gesehn und gesprochen habe. So
manches, was sich nur in einer gewißen Folge verhandeln läßt, klang
bloß an; Andres, worüber ich Ihre Meinung so gern vernommen hätte, ist
kaum berührt worden. Zuweilen gehn doch auch vernünftige Wünsche in
Erfüllung, und so hoffe ich, daß ich mich dießmal früher, als in andern
zehn Jahren, Ihnen wieder nahen werde.
Ihr Tadel, der gegen den Schluß des zweiten Theils des Alexis geht, ist
ganz richtig, der Fehler steckt aber, wie ich glaube, im fünften Acte
überhaupt. Dieser muß nach einem nothwendigen Gesetze (was Shakespeare
überall befolgt hat) kürzer seyn, als die früheren; er soll nur die
schlagenden Resultate deßen enthalten, was bis dahin mit einer gewißen
Ausführlichkeit vorzubereiten, wohl erlaubt ist. -- Mein 5. Act ist
grade der längste, es ist viel zu viel hineingepackt worden, und so
kommt es, daß die Sachen sich gegen das Ende stopfen und einander
hemmen. Leider ist dieß ein Fehler, der durch die ganze Öconomie des
Stücks herbeigeführt wird, den ich also nicht mehr abzuändern vermag.
Ich würde, wenn es irgend zu machen wäre (was freilich sehr schwer
ist, da zu der Gerichtsszene die ganze Tiefe des Theaters genommen
werden muß) für eine Aufführung vorschlagen, den vierten Act erst
mit dem letzten Monologe der Katharina zu schließen. Poetischer und
dramatischer wäre diese Abtheilung auf jeden Fall.
Möchten Sie diese Zeilen recht frisch und froh treffen! Wegen der
Altspanischen Sachen habe ich in Cöln und Belgien Verbindungen
angeknüpft, ich wünsche, daß meine Commißionaire etwas Ihnen
Erfreuliches finden mögen. Alte Romanzeros und Schauspiele würden
Ihnen, denke ich, am angenehmsten seyn.
Ich bitte, den Damen mich angelegentlichst zu empfehlen, und ihnen
meinen Dank für die mir erwiesene Huld und Güte zu bringen. Sehr
glücklich würde es mich machen, wenn ich von Zeit zu Zeit etwas
von Ihnen vernähme, doch darf ich wohl nicht darauf hoffen, da
Briefschreiben Ihnen unangenehm ist.
Mit aufrichtiger Gesinnung
Ihr
treu ergebner
_Immermann_.
Haben Sie die Morgenländischen Dichtungen von Oehlenschläger gelesen?
Der erste Theil der Fischerstochter und Vieles in den Drillingen von
Damascus hat mir so wohl gefallen, wie der Aladdin. Er ist in den
Orientalischen breiten, lockern und bunten Stoffen recht in seiner
Sphäre, und hätte nie nach dem Tiefen und Bedeutsamen sich abmühn
sollen.
III.
_Düsseldorf_, 27. Januar 32.
Ich habe neulich in der Zerstreuung vergeßen, Ihnen, mein
Hochverehrter, den Baierischen Noah, den Sie mir so gütig mitgaben,
zurückzusenden, und bin erst jetzt durch den Anblick des Buchs an meine
Pflicht erinnert worden. Mit dem aufrichtigsten Dank hole ich das
Versäumte nach, und bitte Sie, meinen Fehler entschuldigen zu wollen.
Ich habe unterdeßen Ihren Hexen-Sabbath gelesen, und bin davon auf eine
ungemeine Weise getroffen worden. Die Kraft der Dichtung ist sehr groß,
und der Eindruck steigert sich vom Leichten, Heiteren, Anmuthigen bis
in das ganz Erschütternde. Mir scheint dann immer die höchste Gewalt
der Poesie hervorzutreten, wenn sie das beschränkt Historische auffaßt,
dieß auch in seiner Begränzung läßt, und es dennoch zur vollkommnen
Gestalt zu bringen weiß. Im Hexensabbath sind nichts als einmal so und
nicht anders dagewesene Flandrisch-Burgundische Figuren, die Zeit ist
in ihrem singulairen Kostüm ganz fest gehalten, nirgends wird darauf
hingearbeitet, das sogenannte allgemeine Menschliche hervorzuheben,
und dennoch ist Alles allgemein verständlich, und wirkt vollkommen
dichterisch.
Wie mich individuell die Sache berühren mußte, werden Sie fühlen.
In der That sind wir auf eine sonderbare Weise in einem Punkte
zusammengetroffen. Mir war Satan, Luzifer, Beelzebub, oder wie man
sonst das Wesen nennen will, welches uns auf jedem Schritt und Tritt
fühlbar wird, nie das Ungeheuer mit Klauen und Schweif, oder der
listige Kammerdiener, der seinem Herrn die Dirne schafft. Es ging
mir vielmehr mit Nothwendigkeit aus Gottes Wesen hervor, und um die
Ketzerey mit einem Worte auszusprechen: Der Teufel war mir der in der
Mannigfaltigkeit geoffenbarte Gott, der durch diesen Act sich selbst
in seiner Einheit verloren hatte. Weil aber dieser Zustand ~eodem
momento~, wo er geboren war, sich in Gott wieder aufheben mußte, so
war mit der Manifestation als Satan, zugleich die als Logos verbunden,
oder vielmehr beide fielen zusammen. Die Function des letztern war
mir nun, das Vielfache, Vergängliche, in den Abgrund des Einen und
Unvergänglichen hinunterzustürzen; Gott pulsirte für mich in jedem
Augenblicke nach beiden Richtungen durch das Weltall. Hierdurch war
mir Sünde und Tod, der Satz des Widerspruchs und das Werk der Erlösung
erst verständlich. Ich wurde mit den Geheimlehren der Kirche bekannt,
Spinoza kam hinzu, und so rann aus Fremdem und Eignem der Demiurgos
zusammen, der im Merlin auftritt.
Sie stehn nun freilich gegen mich im großen Vortheil. Dergleichen
problematische und eigentlich unaussprechliche Sachen halten sich in
den Grillen eines Labitt mehr innerhalb der Grenzen der Poesie, als
wenn sie, wie sie bei mir mußten, schwer, trüb und ernsthaft sich
hinstellen. Ich fürchte, daß dieser Ernst meine Arbeit zu einer ganz
undichterischen gemacht hat.
In den ersten Tagen des Jahrs habe ich den Merlin zu Ende gebracht. Ich
hätte das gröste Verlangen, Ihnen denselben mitzutheilen, es fehlt mir
aber ein Schreiber, der eine correcte und schöne Copie liefern kann,
und ich möchte Sie nicht durch ein häßliches Manuscript von vornherein
zurückschrecken. Es ist daher wohl besser, daß ich Ihnen erst das
gedruckte Buch sende. Ich werde es bald publiciren, da ich fühle, daß
ich daran nichts ändern kann, und daß es durch Feilen nur abgeschwächt
werden würde.
Nehmen Sie nur nicht übel, daß ich Ihnen allerhand unerbetne
Mittheilungen mache, die sich auf dem Papier vielleicht sonderbar
ausnehmen. Sie haben aber einen solchen Eindruck auf mich gemacht, daß
ich mich immer noch Ihrem lieben belebten Antlitz gegenüber sehe, wenn
ich auch nur den todten Briefbogen vor mir habe.
Indem ich bitte, den Damen mich bestens zu empfehlen, verharre ich in
treuer Gesinnung
aufrichtig ergebenst
_Immermann_.
IV.
_Düsseldorf_, d. 8. October 1832.
Ich sage Ihnen, mein hochverehrter Herr und Freund, den aufrichtigsten
Dank für Ihren theilnehmenden Brief, den ich zu meiner großen Freude
und Erquickung vorfand, als ich von einer Reise in die Ahr- und
Lahngegend und durch Hessen zurückkehrte. Mit meiner Gesundheit hat
es allerdings im letzten Jahre nicht besonders gestanden, ich litt an
Nervenzufällen, über die ich sonst, wenn ich davon reden hörte, nur als
über schwächliche Einbildungen lachte, und war in aller Thätigkeit und
Lebensfreude sehr gehemmt. Jetzt aber ist es besser; die Reisebewegung
hat noch das Ihrige gethan, und ich hoffe, daß der Dämon wieder von mir
gewichen ist.
Eine wahre Stärkung ist mir gewesen, was Sie über meine Sachen sagen.
Ich muß Ihnen nur gestehn, daß mich in den letzten Zeiten bei der
allgemeinen Dumpfheit und Kälte, und bei dem Hohne ungezogner Buben,
den ich bei jeder Gelegenheit zu erdulden hatte, oft ein Verzagen
überschleichen wollte, daß ich mehr als je das Bedürfniß fühlte, mich
in fremdem Urtheile wiederzufinden. -- Ihre Worte über den Merlin sind
ganz meinem Sinne und Wunsche gemäß; ich könnte Ihnen über Manches, was
dunkel erscheinen mag, auch nichts weiter sagen, als daß es mir so in
einer Anschauung vorgeschwebt hat, und ihm kein bestimmter Satz, oder
eine besondre Wahrheit zum Grunde liegt. Die allgemeine Anregung, von
welcher Sie reden, ist also grade die Stimmung, aus welcher wenigstens
bei mir die Arbeit hervorgegangen ist, und die ich gern überall bei
Andern wieder sehen möchte. Ein ins Spezielle gehendes Deuten würde
meine Absicht nicht treffen.
Ich will Ihnen nun die beiden Fragen, die Sie mir stellen, so gut ich
kann, beantworten. Der Unbekannte in der Zueignung ist mein hiesiger
Freund Schnaase, deßen ich ja wohl schon gegen Sie Erwähnung gethan
habe, und von dem Sie vermuthlich jetzt durch Uechtritzens Vermittlung
den Aufsatz „über Genremalerei“ gelesen haben werden. Das Entstehen
unsres näheren Verhältnißes fiel grade in die für mich sonderbare und
unvergeßliche Zeit, wo der Merlin in mir zu werden begann. Er war der
Erste, der von der Idee erfuhr, und nahm auf eine Weise Theil daran,
ohne welche ich sie vielleicht nicht auszuführen vermocht hätte. Ich
hoffe, dieser schöne, vielseitige und tiefe Geist wird Ihnen nicht
lange mehr unbekannt bleiben.
Bei der zweiten Frage muß ich etwas weiter ausholen. Sie fragen: ob
die letzten Worte Merlins auch die wahre eigentliche Meinung des
Autors sagen. -- Anfangs verstand ich Sie nicht, nachher habe ich mir
die Sache aber so ausgelegt, daß Sie damit auf einen Zwiespalt in dem
Gedichte haben hinweisen, und eine Erwartung, die durch das Ende nicht
erfüllt wird, haben andeuten wollen. Habe ich Sie recht gefaßt, so
trifft Ihre Einwendung allerdings den wichtigsten Punkt, und ich muß
Ihnen in gewisser Beziehung Recht geben.
Wie mir die Entfaltung der Welt durch das Christenthum vorkommt,
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