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Briefe an Ludwig Tieck (2/4) - 04

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  Gehen Sie mit Ihrer beßeren Seele zu Rathe. Sehen Sie zu, ob Sie es für
  Sich verantworten könnten, den Schulberg auf sich und Ihre Freunde zu
  deuten.
  Ich werde es für mich nie verantworten noch veranlaßen.
   _Iffland_.
  
  
  Immermann, Karl.
  
   Geb. am 24. April 1796 zu Magdeburg, gest. am 25. August 1840 als
   Landesgerichtsrath in Düsseldorf.
   Im Laufe von zwanzig Jahren hat dieser gewaltige Geist zur
   Ehre und Freude deutscher Poesie unermüdlich geschaffen, seine
   eigensten Wege eingeschlagen, und manches hohe Ziel erreicht.
   Die Prinzen von Syrakus (1821) -- Das Thal von Ronceval -- Edwin
   -- Petrarca (1822) -- König Periander (1823) -- Das Auge der
   Liebe (1824) - Cardenio und Celinde (1826) -- Das Trauerspiel in
   Tyrol (1827) -- Ein Morgenscherz -- Die schelmische Gräfin --
   Kaiser Friedrich II. (1828) -- Alexis (1832) - Merlin --
   Die Opfer des Schweigens -- Die Verkleidungen -- Die Schule der
   Frommen - Gedichte (1830) -- Tulifäntchen -- Die Epigonen (1836) --
   Münchhausen (1838) -- u. s. w. verkünden vielfache Erfolge in den
   Gebieten der Tragödie, des Drama’s, der Posse, des Epos, der Mythe,
   des Romanes, der Lyrik!
   Seine Briefe an Tieck sind, jeder einzeln und für sich, so wie
   alle sechszehn insgesammt, gleichsam fortlaufende Belege für
   den heiteren Ernst seines Lebens und Strebens. Deshalb haben
   wir alle _unverändert_ aufgenommen; auch diejenigen worin
   er Verdammungsurtheile ausspricht, in welche viele seiner
   aufrichtigsten Verehrer schwerlich so unbedingt einstimmen möchten.
   Dafür war er denn eben der Immermann, und einem solchen verzeiht
   man wohl auch sein mitunter allzu sicheres Selbstgefühl. Wir
   haben nur wenige Zeilen unterdrückt, die noch lebende Personen
   möglicherweise hätten verletzen können. Auch diejenigen (drei?)
   Schriftstücke sind mitgetheilt worden, welche früher schon in
   dem von G. zu Puttlitz herausgegebenen Büchlein: „Immermann’s
   Theaterbriefe,“ mit Tiecks Zustimmung, erschienen waren.
   Ein Brief, den Tieck ihm geschrieben, nach der Düsseldorffer
   Aufführung des „Blaubart“ wurde hier eingeschoben; die Kopie
   desselben, von Tieck’s Hand korrigirt, fand sich offenbar dazu
   bestimmt, unter mehreren ähnlichen Abschriften.
  
   I.
   _Düßeldorf_, 18. Julius 1831.
   _Wohlgeborner
   Hochverehrter Herr Hofrath!_
  Ich erlaube mir, Euer Wohlgeboren beifolgend ganz ergebenst ein
  dramatisches Gedicht mitzutheilen, von dem ich wohl wünschte, daß es
  vor dem Erscheinen im Druck dargestellt werden möchte. Insofern Sie
  glauben, daß es für die Bühne sich eigne, würde ich daher diesen Wunsch
  auch in Beziehung auf die dortige hiemit ausgesprochen haben. Nach dem,
  was mir durch öffentliche Nachrichten über Ew. Wohlgeboren Verhältniß
  zum Dresdner Theater bekannt ist, hoffe ich durch die unmittelbare
  Überreichung meiner Arbeit an Sie, mich nicht zu weit von der Ordnung
  des Geschäfts entfernt zu haben; jedenfalls wird man wohl den Verstoß
  entschuldigen, wenn ich hierin irrte. Es war natürlich, daß ich mein
  Gedicht am liebsten in die Hände des Dichters legen mochte.
  Lassen Sie mich indessen, mein Hochverehrter Herr! diesen Worten
  sogleich hinzufügen, daß mich ein Gefühl der Ehrfurcht vor Ihrer höchst
  würdigen Stellung in der Literatur der Gegenwart mehr angetrieben hat,
  Ihnen mein Werk vorzulegen, als ein leidenschaftliches Verlangen,
  dasselbe auf den Brettern zu sehn. Die Erfahrungen der letzten 15 Jahre
  müssen uns soweit belehrt haben, daß wir uns, selbst im glücklichsten
  Falle eines sogenannten Erfolges, einer ungetrübten Freude kaum
  überlassen dürfen, die doch nur gerechtfertigt wäre, wenn die scenische
  Wirkung uns den dramatischen Werth des Dargestellten noch verbürgen
  könnte.
  Mein Wunsch bezieht sich ohnehin eigentlich nur auf die ersten beiden
  Theile. Obgleich ich auch den dritten dramatisch zu bilden, wenigstens
  beabsichtigt habe, so würden doch die Schauspieler, wie sie nun einmal
  jetzt sind, schon in der feierlichen Form und in den künstlichern
  Maaßen desselben unübersteigliche Schwierigkeiten finden. Mir ergab
  sich die Form aus der Natur des Stoffs.
  Wenn in den ersten Theilen der Gegenstand mehr von der Seite der
  Abnormität gegriffen wurde, so war es die Sache des letzten, diese
  Anomalien unter die allgemeinen Gesetze des Daseins auch sichtlich
  zu ordnen, und das früherhin vorherrschende Charakteristische in die
  Schönheit aufzulösen. Die innere Öconomie sowohl, als die äußere
  Gestaltung mußte sich daher in gewissem Sinne der Antike annähern, in
  welcher diese Art der Behandlung hervorsticht. Von der Geschichte
  bin ich verschiedentlich abgewichen. Die sogenannte Verschwörung
  von Susdal, welche den ersten Theil bildet, gedieh nicht zu der
  abgeschloßenen Gestalt, wie sie bei mir bekommt; bei der Katastrophe
  des Alexis traten die Gegensätze wenigstens sichtbar nicht so schroff
  und seltsam auf, wie in meinem zweiten Stücke, und die Fabel des
  dritten Theils liegt, den Treubruch der Katharina und die Verzweiflung
  der letzten Lebenstage Peters abgerechnet, ganz im Gebiete des nur
  Mythischmöglichen.
  Sie haben sich zuweilen gegen die Willkühr bei der Behandlung der
  Geschichte erklärt, auch der verewigte Solger äußerte sich, wenn ich
  nicht irre, gelegentlich auf dieselbe Weise. Ich muß gestehn, daß ich
  dem Dichter gern die höchste Freiheit bei der Behandlung des historisch
  Gegebenen bewahren möchte. Zeigt sich freilich in seinem Werke statt
  der lebenskräftigen Idee, ein hohles verblasenes Wesen, oder ist in
  Erzeugnissen höherer Art doch hie und da eine Schwäche fühlbar, dann
  muß es erlaubt sein, aus dem Gedichte hinaus in die Geschichte zu
  blicken, und die Befangenheit zu rügen, der vielleicht die größten und
  gründlichsten Motive nicht erkennbar würden. Immer aber wird, wie ich
  glaube, der Tadel von der Poesie auszugehn haben. Und so habe ich Sie
  auch nur verstanden, da Ihr Urtheil, wo es auf das Historische Bezug
  nahm, in der That immer sich an die Auffindung dichterischer Mängel
  knüpfte.
  Macht man aber aus dem, was nur im einzelnen Falle Geltung hat, ein
  allgemeines Prinzip, tritt man, wie es jetzt wohl zu geschehen pflegt,
  von außen mit dem historischen Maaßstabe an das poetische Werk hinan,
  so scheinen noch die ersten Erfordernisse einer ästhetischen Erkenntniß
  zu fehlen. Wozu es der Poesie noch bedürfe, wenn die Geschichte schon
  Alles enthält, läßt sich nicht wohl absehen.
  Der Stoff, welchen der Historiker darzureichen meint, möchte auch
  wohl für den Dichter erst dann zu existiren beginnen, wenn ihn die
  Phantasie nach ihren ganz eigenthümlichen Gesetzen bereits ergriffen,
  verknüpft und umgestaltet hat. In diesem neuen vornehmen Kleide zeigt
  sich dann nur wieder der alte antikünstlerische Geist der gemeinen
  Naturbetrachtung, der im 18. Jahrhundert sich als psychologische
  Anforderung, Verlangen nach Wahrscheinlichkeit u. s. w. gebärdete.
  Was meinen Stoff betrifft, so wurde ich in meinem Innern davon nur
  berührt und erschüttert, insofern er mir das Schauspiel eines großen
  und ungeheuren Irrthums darbot.
  Vielleicht hat nie ein Mensch tiefer das Unendliche, welches im
  Menschen liegt, gefühlt, als Peter der Große, und vielleicht war nie
  Einer durch die Schranken seines Wesens und durch eine feindliche
  Umgebung unglückseliger gefesselt. Aus Slaven, denen von jeher das
  geistig Zeugende fehlte, will er ein weltbestimmendes Volk machen; er
  bleibt selbst ein Slave, dem die Aufgabe auf Nachahmung und Aneignung
  hinausläuft -- die Muster aber muß er aus seiner Zeit nehmen, der
  schlechtesten, die es geben konnte, weil sie allen organischen
  Zusammenhang in Kirche, Staat und Lebensgestaltung verloren hatte.
  So schafft das gewaltigste Wirken ein äußres Gehäuse von Macht und
  Größe, dem die Seele fehlt, und welches den Schöpfer selbst am Abend
  seines Lebens mit Widerwillen und Grausen erfüllt.
  In diesen Gefühlen und Anschauungen ging mir der Gegenstand auf, und
  danach hat sich freilich alles Einzelne bei mir umgebildet. In den
  _Bojaren_ zeigte sich mir der Held, unwiderstehlich siegreich, so
  lange er es mit dem Elemente und der auch schon in sich zerfallenen
  Alt-Russischen Magnatenwelt zu thun hat, Kraft gegen Kraft zerstörend
  geht; wo es aber, wie im _Gericht von St. Petersburg_, einen
  lebendigen, sittlichen Act galt, da sank er mir immer tiefer in die
  lächerlich-fürchterlichen Widersprüche seines eigenen Machwerks. Der
  Sohn wird geopfert um etwas, dessen Nichtigkeit der Vater selbst zu
  ahnen beginnt, und die schlechteste Gestalt gängelt diesen am Faden
  eines armseligen dürren Begriffs, den er denn aber doch nicht entbehren
  kann, will er bleiben, was er ist. Die Harmonie dieser Dissonanzen fand
  ich endlich in dem völligen Zerfallen dessen, was zu einem Scheindasein
  zusammengefügt worden war, wie es der dritte Theil hinstellt.
  Ich muß sehr um Verzeihung bitten, daß ich, ohne das Glück Ihrer nähern
  Bekanntschaft[4] zu genießen, gewagt habe, so weitläuftig zu sein.
  Indessen entsprang aus dem Muthe, Ihnen das Gedicht zu senden, auch
  nothwendig der, über den Gegenstand zu reden, der mich eine lange Zeit
  hindurch gefesselt hat. Ich hoffe, Sie werden mir die Ausführlichkeit
  meiner Bemerkungen vergeben, welche freilich gegen das Conventionelle
  streitet. Vor Allem wünsche ich, daß Sie in dem Gesagten keine eitle
  Meinung über meine Arbeit erblicken mögen. Daß ich mich lange und
  ernsthaft damit beschäftigt habe, weiß ich; wie aber das Resultat zu
  stehn gekommen ist, darüber bin ich ganz im Dunkeln. Ich benutze diese
  Gelegenheit, um Ihnen meinen aufrichtigsten Dank für den Genuß zu
  sagen, den mir der zweite Theil Ihres Dichterlebens gewährt hat. In
  den beiden Shakespeare-Novellen ist mir das geheimnißvolle Schaffen
  Ihrer wunderthätigen Phantasie am klarsten geworden, und ich kann den
  Eindruck, den sie auf mich gemacht haben, nicht anders bezeichnen,
  als indem ich sage, daß wenn es nicht so zugegangen ist, es doch
  nothwendig so hätte zugehen müssen. Mögen die Zeitereignisse und die
  dortigen Verwickelungen Ihnen Heiterkeit und Freiheit lassen, uns
  ferner zu erfreuen und zu belehren.
  Ich werde vermuthlich im October Dresden auf einer Reise berühren, wo
  es mir dann eine höchst angenehme Pflicht sein wird, persönlich meine
  Verehrung zu bezeugen.
  Mit der ausgezeichnetsten Hochachtung
   Ew. Wohlgeboren
   ganz ergebenster
   _Immermann_.
  N. S. Der beigelegte Scherz wurde vor einigen Jahren geschrieben. In
  unsrer _großen_ Zeit konnte Däumchen wohl auch einmal ritterlich
  und heldenhaft auftreten.
  
   II.
   _Düßeldorff_, den 28. Novbr. 1831.
  Halten Sie es nicht für Undank für genoßne Güte, wenn ich Ihnen, mein
  Hochverehrter, erst jetzt schreibe. Theils zögerte sich meine Rückreise
  hin, theils habe ich hier erst eine totale Unlust zu aller Äußrung und
  Mittheilung überwinden müssen. Ein Zustand, in den man wohl versinkt,
  wenn der Wechsel der Eindrücke mit einem stillren Lebensgange wieder zu
  vertauschen ist.
  Leider habe ich Weimar nicht berühren dürfen, wollte ich mich nicht
  drei Wochen lang für die Sicherheit des westlichen Deutschlands
  auf der Heßischen Bergveste Arnstein zum Gesundheitspolizeilichen
  Opfer darbringen. Ich hätte Göthe sehr gern gesehn, mich dünkt, daß
  sein Wesen grade in diesem sonderbaren Momente eine eigenthümliche
  Anschauung gewähren mußte. Auf der andern Seite tröstet mich wieder die
  Betrachtung, daß ein persönliches Zusammentreffen mir wahrscheinlich
  denn doch die Figur meines Klingsor verrückt haben würde. Ich bestärke
  mich in der Stille immer mehr in meiner Ansicht über ihn, die Sie eine
  ketzerische nennen müßen. Indeßen würde ich, wäre mir ein längeres
  Zusammenseyn mit Ihnen gegönnt gewesen, meine Irrthümer wenigstens
  haben darlegen können. Mir ist der ganze Göthe, mit Einschluß seiner
  Fehler, auch in seinen größten und frühesten Werken schon vorhanden,
  und die nachherigen Schwächen und Verkehrtheiten ergreifen vielmehr
  das homogene italiänische und malerische Element, als daß sie durch
  dasselbe hervorgerufen würden. Überhaupt, was sind Einflüsse? Man
  könnte, wenn man mit Worten spielen wollte, sagen, es seyen eher
  Ausflüße unsrer selbst. Es mag wie Anmaaßung klingen, aber ich kann
  mir nicht helfen; mir scheint es zuweilen, als ob das Gebiet der
  eigentlichen Poesie im höchsten Sinne erst da beginne, wo Göthe -- mit
  wenigen Ausnahmen -- aufhört. Gewiß ist es wenigstens, daß von einer so
  eignen, aparten Behandlungsweise, wo das Individuum sich immer seine
  Rechte gegen den Stoff, und gegen die Gesetze der Gattung reservirt,
  bei Homer, Sophokles, Cervantes, Shakespeare keine Spur ist.
  Meine nächste Zeit nach dem Dresdener Aufenthalte stand zu diesem in
  einem herben Kontraste. In Magdeburg, wo die Krankheit so gewaltsam
  auftrat, verlebte ich ängstliche Tage; das halb physische, halb
  imaginaire Übel, welches den Dunstkreis um die eigentliche Seuche
  bildet, ergriff auch mich, und zwang mich zu einer Art von Flucht.
  Ich hatte ein förmliches Prinz-Homburgs-Fieber zu überstehn, und
  ich will nur wünschen, daß ich für fernere Fälle der Noth mich nun
  zurechtgefunden haben mag, wie der zitternde Held.
  Hier fand ich Uechtritz fleißig an einer neuen Arbeit, um welche er den
  Spartacus wieder zurückgelegt hat. Sie soll: Die Chaldäer in Jerusalem,
  heißen, und die Katastrophe des Volks unter Zedekia behandeln. Was
  ihr in meinen Augen den eigentlich poetischen Kern giebt, sind die
  Messias-Ideen, die verhängnißvoll unter dem Volke umhergehn, sich
  besonders im Könige und einer falschen Prophetin, die den König
  liebt, und dieses Gefühl für religiöse Begeisterung nimmt, ausprägen
  und die Katastrophe herbeiführen helfen. Ich kenne noch nichts von dem
  Gedichte, was mir aber U. vom Plane mittheilte, läßt mich etwas sehr
  Gutes und Eigenthümliches hoffen. Vielleicht sind diese orientalischen
  Stoffe, in ihrer mehr symbolischen und typischen Natur seinem Talente
  am angemessensten. -- Noch von etwas Andrem kann ich Ihnen erzählen,
  was aus unsrem Örtchen hier hervorgehn, und Sie, wie ich meine,
  erfreuen wird. Ich sprach zu Ihnen dort, wie ich denke, schon von einem
  philosophischen Freunde, den wir hier besitzen. Er arbeitet gegenwärtig
  an einem Werke über Architektur und bildende Kunst, dessen Keim in
  Reise-Erinnerungen aus Holland und Belgien lag, welches sich aber
  über das ganze Gebiet jener Künste in metaphysischer und historischer
  Hinsicht verbreiten wird. Er hat mir jetzt einige Fragmente der Arbeit
  mitgetheilt, die auf mich den schönsten Eindruck gemacht haben. Hier
  ist einmal wieder etwas Andres, als das leere Geschwätz, oder die
  todte Abstraction, die uns seit Jahren auf diesem Felde ermüdet hat.
  Alles wird aus der Natur der Sache deducirt, und der Weg, den er geht,
  die einzelnen Kunsterscheinungen in ihrer historischen Nothwendigkeit
  nachzuweisen, scheint mir der einzig richtige und fruchtbare zu seyn.
  Sein Name ist Schnaase, er steht auch an unsrem Justiz-Hofe, an dem
  sich durch einen sonderbaren Zufall drei Leute zusammen gefunden haben,
  die so wenig, als ihnen nur möglich ist, an Recht und Gerechtigkeit
  denken.
  Möchten doch meine Worte etwas über Sie vermögen, daß Sie zweierlei
  vollendeten, den jungen Tischlermeister und den Aufsatz über die
  Alt-Englische Bühne! -- Je mehr ich in der Stille nachher über den
  Tischlermeister gedacht habe, desto eindringlicher ist mir das Feine
  und Schöne dieser Composition geworden. Es wird, ohne Frage, eins Ihrer
  besten Werke. Die milde abendsonnenhelle Beleuchtung des Sternbald
  ist auch darin, an Originalität und Gehalt steht es aber, nach meinem
  Gefühle, weit über diesem. Ich bin überaus gespannt auf den Punkt, der
  durch das ganze Werk indicirt ist, den ich aber hier nicht nennen will,
  weil Ihnen mein Wort gegen die Fülle der poetischen Anschauung, nur
  mager und ungenügend vorkommen könnte.
  Wenn Sie uns nun durch Ihren liebenswürdigen Handwerker einen Gefallen
  thun, so ist dagegen der theoretische Aufsatz eine Art Gewißenspflicht.
  Es sind viele Indizien vorhanden, daß das theatralische Unwesen sich
  einmal wieder auf einige Zeit legen wird. Raupach stellt wirklich
  ein Pessimum dar, nach menschlichem Begriff läßt sich nicht tiefer
  kommen, das Korn ist in der Mühle vollkommen durchgeschroten, und
  dieser jüngste Meister verkauft, um aufzuräumen, noch die Kleyen in
  den Säcken. Selbst die Berliner Comödianten fangen an, sich in seinen
  Rollen zu langweilen, was doch viel sagen will. Nun aber kommt in
  unsrem Deutschland die Praxis immer nach der Theorie, und nur erst,
  wenn den Leuten einmal demonstrirt worden ist, wie schon unser Gerüst
  dazu führt, das Elende und Schwache zur Evidenz zu bringen, wird man
  anfangen, sich zu besinnen.
  Von mir selbst kann ich Ihnen noch nichts berichten. Ich habe mir jeden
  Tag vorgenommen an den Merlin die Hand zu legen, und sie immer in einer
  Art von Verzweiflung sinken lassen. Ich leide nicht an dem Zweifel, an
  der Dunkelheit, was ich noch zu machen habe; im Gegentheil steht mir
  dieß zu deutlich vor der Seele, und dieß eben entmuthigt mich. Ich habe
  ein Gefühl, wie der Gemsenjäger, der sich zwischen Klippen verstiegen
  hat; er sieht den Pfad ganz bestimmt vor sich, aber die Füße eines
  Menschen sind nicht gemacht, ihn zu wandeln. Nie habe ich eine solche
  Kluft zwischen dem Gegenstande und meinen Organen empfunden. Ob unter
  diesen Auspicien noch irgend etwas Poetisches zu Stande kommen kann,
  oder ob ich nicht im glücklichsten Falle nur ein transcendentales
  Ungeheuer erzeugen werde, muß die Zeit lehren. Es wäre ein Unglück für
  mich, wenn ich daran scheiterte, denn ich habe bei diesem Wagniß einen
  bedeutenden Theil meiner Lebenskraft eingesetzt.
  Von Ihren Verwandten habe ich nur die Schwägerin zu sehn bekommen. Herr
  Möller war nicht zu Hause. Wie ich aus den mir gethanen Äußerungen
  abnehmen konnte, scheint es doch mit dem jungen Institute so ziemlich
  zu gehn. Nur hindert auch hier die Cholerafurcht manche Eltern, ihre
  Kinder aus dem Hause zu geben. Aufrichtig gesagt, ich bin wegen der
  Zukunft bange. Diese Pestscheu wird mit ihrem heimlichen, nagenden
  Einfluße noch den letzten Rest der Regsamkeit und des Muthes, der in
  den Menschen geblieben war, aufzehren. Ein sonderbarer Zufall ist es,
  daß in jeder Epidemie zu Berlin der Philosoph sterben muß; Fichte am
  Typhus, Hegel an der Cholera. Ist es wahr, was man sagt, daß eine
  Indigestion die Sache veranlaßt hat, so liegt in dem Ereigniße eine
  Ironie, die kein gemachter Ernst hinwegtilgen kann. Da dem Preußischen
  Staate nunmehr der Begriff fehlt, so möchte man ihm rathen, es einmal
  zur Abwechslung mit der schlichten Natur zu versuchen.
  Die Tage in Dresden sind mir eine sehr theure Erinnerung. Ich habe
  Ihr Bild ganz rein und gut mit mir genommen, und bedaure nur, daß ich
  Sie für mein Bedürfniß viel zu wenig gesehn und gesprochen habe. So
  manches, was sich nur in einer gewißen Folge verhandeln läßt, klang
  bloß an; Andres, worüber ich Ihre Meinung so gern vernommen hätte, ist
  kaum berührt worden. Zuweilen gehn doch auch vernünftige Wünsche in
  Erfüllung, und so hoffe ich, daß ich mich dießmal früher, als in andern
  zehn Jahren, Ihnen wieder nahen werde.
  Ihr Tadel, der gegen den Schluß des zweiten Theils des Alexis geht, ist
  ganz richtig, der Fehler steckt aber, wie ich glaube, im fünften Acte
  überhaupt. Dieser muß nach einem nothwendigen Gesetze (was Shakespeare
  überall befolgt hat) kürzer seyn, als die früheren; er soll nur die
  schlagenden Resultate deßen enthalten, was bis dahin mit einer gewißen
  Ausführlichkeit vorzubereiten, wohl erlaubt ist. -- Mein 5. Act ist
  grade der längste, es ist viel zu viel hineingepackt worden, und so
  kommt es, daß die Sachen sich gegen das Ende stopfen und einander
  hemmen. Leider ist dieß ein Fehler, der durch die ganze Öconomie des
  Stücks herbeigeführt wird, den ich also nicht mehr abzuändern vermag.
  Ich würde, wenn es irgend zu machen wäre (was freilich sehr schwer
  ist, da zu der Gerichtsszene die ganze Tiefe des Theaters genommen
  werden muß) für eine Aufführung vorschlagen, den vierten Act erst
  mit dem letzten Monologe der Katharina zu schließen. Poetischer und
  dramatischer wäre diese Abtheilung auf jeden Fall.
  Möchten Sie diese Zeilen recht frisch und froh treffen! Wegen der
  Altspanischen Sachen habe ich in Cöln und Belgien Verbindungen
  angeknüpft, ich wünsche, daß meine Commißionaire etwas Ihnen
  Erfreuliches finden mögen. Alte Romanzeros und Schauspiele würden
  Ihnen, denke ich, am angenehmsten seyn.
  Ich bitte, den Damen mich angelegentlichst zu empfehlen, und ihnen
  meinen Dank für die mir erwiesene Huld und Güte zu bringen. Sehr
  glücklich würde es mich machen, wenn ich von Zeit zu Zeit etwas
  von Ihnen vernähme, doch darf ich wohl nicht darauf hoffen, da
  Briefschreiben Ihnen unangenehm ist.
  Mit aufrichtiger Gesinnung
   Ihr
   treu ergebner
   _Immermann_.
  Haben Sie die Morgenländischen Dichtungen von Oehlenschläger gelesen?
  Der erste Theil der Fischerstochter und Vieles in den Drillingen von
  Damascus hat mir so wohl gefallen, wie der Aladdin. Er ist in den
  Orientalischen breiten, lockern und bunten Stoffen recht in seiner
  Sphäre, und hätte nie nach dem Tiefen und Bedeutsamen sich abmühn
  sollen.
  
   III.
   _Düsseldorf_, 27. Januar 32.
  Ich habe neulich in der Zerstreuung vergeßen, Ihnen, mein
  Hochverehrter, den Baierischen Noah, den Sie mir so gütig mitgaben,
  zurückzusenden, und bin erst jetzt durch den Anblick des Buchs an meine
  Pflicht erinnert worden. Mit dem aufrichtigsten Dank hole ich das
  Versäumte nach, und bitte Sie, meinen Fehler entschuldigen zu wollen.
  Ich habe unterdeßen Ihren Hexen-Sabbath gelesen, und bin davon auf eine
  ungemeine Weise getroffen worden. Die Kraft der Dichtung ist sehr groß,
  und der Eindruck steigert sich vom Leichten, Heiteren, Anmuthigen bis
  in das ganz Erschütternde. Mir scheint dann immer die höchste Gewalt
  der Poesie hervorzutreten, wenn sie das beschränkt Historische auffaßt,
  dieß auch in seiner Begränzung läßt, und es dennoch zur vollkommnen
  Gestalt zu bringen weiß. Im Hexensabbath sind nichts als einmal so und
  nicht anders dagewesene Flandrisch-Burgundische Figuren, die Zeit ist
  in ihrem singulairen Kostüm ganz fest gehalten, nirgends wird darauf
  hingearbeitet, das sogenannte allgemeine Menschliche hervorzuheben,
  und dennoch ist Alles allgemein verständlich, und wirkt vollkommen
  dichterisch.
  Wie mich individuell die Sache berühren mußte, werden Sie fühlen.
  In der That sind wir auf eine sonderbare Weise in einem Punkte
  zusammengetroffen. Mir war Satan, Luzifer, Beelzebub, oder wie man
  sonst das Wesen nennen will, welches uns auf jedem Schritt und Tritt
  fühlbar wird, nie das Ungeheuer mit Klauen und Schweif, oder der
  listige Kammerdiener, der seinem Herrn die Dirne schafft. Es ging
  mir vielmehr mit Nothwendigkeit aus Gottes Wesen hervor, und um die
  Ketzerey mit einem Worte auszusprechen: Der Teufel war mir der in der
  Mannigfaltigkeit geoffenbarte Gott, der durch diesen Act sich selbst
  in seiner Einheit verloren hatte. Weil aber dieser Zustand ~eodem
  momento~, wo er geboren war, sich in Gott wieder aufheben mußte, so
  war mit der Manifestation als Satan, zugleich die als Logos verbunden,
  oder vielmehr beide fielen zusammen. Die Function des letztern war
  mir nun, das Vielfache, Vergängliche, in den Abgrund des Einen und
  Unvergänglichen hinunterzustürzen; Gott pulsirte für mich in jedem
  Augenblicke nach beiden Richtungen durch das Weltall. Hierdurch war
  mir Sünde und Tod, der Satz des Widerspruchs und das Werk der Erlösung
  erst verständlich. Ich wurde mit den Geheimlehren der Kirche bekannt,
  Spinoza kam hinzu, und so rann aus Fremdem und Eignem der Demiurgos
  zusammen, der im Merlin auftritt.
  Sie stehn nun freilich gegen mich im großen Vortheil. Dergleichen
  problematische und eigentlich unaussprechliche Sachen halten sich in
  den Grillen eines Labitt mehr innerhalb der Grenzen der Poesie, als
  wenn sie, wie sie bei mir mußten, schwer, trüb und ernsthaft sich
  hinstellen. Ich fürchte, daß dieser Ernst meine Arbeit zu einer ganz
  undichterischen gemacht hat.
  In den ersten Tagen des Jahrs habe ich den Merlin zu Ende gebracht. Ich
  hätte das gröste Verlangen, Ihnen denselben mitzutheilen, es fehlt mir
  aber ein Schreiber, der eine correcte und schöne Copie liefern kann,
  und ich möchte Sie nicht durch ein häßliches Manuscript von vornherein
  zurückschrecken. Es ist daher wohl besser, daß ich Ihnen erst das
  gedruckte Buch sende. Ich werde es bald publiciren, da ich fühle, daß
  ich daran nichts ändern kann, und daß es durch Feilen nur abgeschwächt
  werden würde.
  Nehmen Sie nur nicht übel, daß ich Ihnen allerhand unerbetne
  Mittheilungen mache, die sich auf dem Papier vielleicht sonderbar
  ausnehmen. Sie haben aber einen solchen Eindruck auf mich gemacht, daß
  ich mich immer noch Ihrem lieben belebten Antlitz gegenüber sehe, wenn
  ich auch nur den todten Briefbogen vor mir habe.
  Indem ich bitte, den Damen mich bestens zu empfehlen, verharre ich in
  treuer Gesinnung
   aufrichtig ergebenst
   _Immermann_.
  
   IV.
   _Düsseldorf_, d. 8. October 1832.
  Ich sage Ihnen, mein hochverehrter Herr und Freund, den aufrichtigsten
  Dank für Ihren theilnehmenden Brief, den ich zu meiner großen Freude
  und Erquickung vorfand, als ich von einer Reise in die Ahr- und
  Lahngegend und durch Hessen zurückkehrte. Mit meiner Gesundheit hat
  es allerdings im letzten Jahre nicht besonders gestanden, ich litt an
  Nervenzufällen, über die ich sonst, wenn ich davon reden hörte, nur als
  über schwächliche Einbildungen lachte, und war in aller Thätigkeit und
  Lebensfreude sehr gehemmt. Jetzt aber ist es besser; die Reisebewegung
  hat noch das Ihrige gethan, und ich hoffe, daß der Dämon wieder von mir
  gewichen ist.
  Eine wahre Stärkung ist mir gewesen, was Sie über meine Sachen sagen.
  Ich muß Ihnen nur gestehn, daß mich in den letzten Zeiten bei der
  allgemeinen Dumpfheit und Kälte, und bei dem Hohne ungezogner Buben,
  den ich bei jeder Gelegenheit zu erdulden hatte, oft ein Verzagen
  überschleichen wollte, daß ich mehr als je das Bedürfniß fühlte, mich
  in fremdem Urtheile wiederzufinden. -- Ihre Worte über den Merlin sind
  ganz meinem Sinne und Wunsche gemäß; ich könnte Ihnen über Manches, was
  dunkel erscheinen mag, auch nichts weiter sagen, als daß es mir so in
  einer Anschauung vorgeschwebt hat, und ihm kein bestimmter Satz, oder
  eine besondre Wahrheit zum Grunde liegt. Die allgemeine Anregung, von
  welcher Sie reden, ist also grade die Stimmung, aus welcher wenigstens
  bei mir die Arbeit hervorgegangen ist, und die ich gern überall bei
  Andern wieder sehen möchte. Ein ins Spezielle gehendes Deuten würde
  meine Absicht nicht treffen.
  Ich will Ihnen nun die beiden Fragen, die Sie mir stellen, so gut ich
  kann, beantworten. Der Unbekannte in der Zueignung ist mein hiesiger
  Freund Schnaase, deßen ich ja wohl schon gegen Sie Erwähnung gethan
  habe, und von dem Sie vermuthlich jetzt durch Uechtritzens Vermittlung
  den Aufsatz „über Genremalerei“ gelesen haben werden. Das Entstehen
  unsres näheren Verhältnißes fiel grade in die für mich sonderbare und
  unvergeßliche Zeit, wo der Merlin in mir zu werden begann. Er war der
  Erste, der von der Idee erfuhr, und nahm auf eine Weise Theil daran,
  ohne welche ich sie vielleicht nicht auszuführen vermocht hätte. Ich
  hoffe, dieser schöne, vielseitige und tiefe Geist wird Ihnen nicht
  lange mehr unbekannt bleiben.
  Bei der zweiten Frage muß ich etwas weiter ausholen. Sie fragen: ob
  die letzten Worte Merlins auch die wahre eigentliche Meinung des
  Autors sagen. -- Anfangs verstand ich Sie nicht, nachher habe ich mir
  die Sache aber so ausgelegt, daß Sie damit auf einen Zwiespalt in dem
  Gedichte haben hinweisen, und eine Erwartung, die durch das Ende nicht
  erfüllt wird, haben andeuten wollen. Habe ich Sie recht gefaßt, so
  trifft Ihre Einwendung allerdings den wichtigsten Punkt, und ich muß
  Ihnen in gewisser Beziehung Recht geben.
  Wie mir die Entfaltung der Welt durch das Christenthum vorkommt,
  
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