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Briefe an Ludwig Tieck (1/4) - 23

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   =Hebbel, Friedrich.=
  
   Geb. zu Wesselburen in Dithmarschen am 18. März 1813, gest. in Wien
   am 13. December 1863.
   Was der zweite dieser Briefe an Innigkeit des Gefühls -- bei
   einem so exclusiven und zurückhaltenden Manne wie Hebbel zweifach
   bedeutsam -- kund thut, das kam aus wahrem, aufrichtigsten Herzen.
   Zwei verschiedenere Menschen kann es auf Erden kaum noch geben,
   als Tieck und Hebbel ihrem Seyn, Wesen und Dichten nach gewesen
   sind. Dennoch erkannten sie sich und waren gerecht gegen einander.
   Mit tiefer Rührung pflegte Hebbel von seinem letzten Besuche bei
   Tieck zu erzählen, wo dieser ihm aus dem Krankenbette heraus die
   Hand gereicht, ihn „vor seinem Abscheiden von der Erde“ noch
   einmal begrüßt, und ihm _Lebewohl_ zugerufen hatte: „für
   _dieses_ Leben!“
  
   I.
   _Hamburg_, d. 21ten April 1839.
   _Hochverehrter Herr!_
  Im Julymonat vorigen Jahres war ich so frei, Ihnen von _München_,
  meinem damaligen Aufenthaltsorte, aus ein Manuscript, enthaltend einen
  komischen Roman, eine Erzählung und ein Märchen, zu übersenden. Ich
  bin inzwischen nach Hamburg zurückgekehrt und habe Aussicht, bei einem
  hiesigen Buchhändler meine Arbeit anzubringen, befinde mich aber leider
  nicht im Besitz einer Abschrift. Ich muß Sie daher angelegentlichst
  ersuchen, mir das vorgedachte Manuscript gütigst sogleich remittiren
  und die Mühe, die ich Ihnen aus Anlaß einer sehr bedrängten Lage durch
  die Sendung machte, entschuldigen zu wollen.
  In der Ueberzeugung, daß ich diesmal keine Fehlbitte thue, bin ich
   mit der vollkommensten Hochachtung,
   hochverehrter Herr,
   Adresse:
   Stadtdeich Nr. 43
   bei Herrn _Ziese_.
   Ihr ganz ergebenster
   _Friedrich Hebbel_,
   ~Literat~.
  
   II.
   _Hamburg_, d. 17. Febr. 1840.
   _Hochverehrter Herr!_
  Wenn ich meine hohe Freude über den Empfang Ihres Briefs vom 23.
  Juny v. J. nicht sogleich aussprach, so werden Sie den Grund leicht
  errathen haben. Ich mogte Ihnen mit Versicherungen, die sich von selbst
  verstehen, keinen Ihrer Augenblicke rauben, und je höheren Werth ich
  darauf legte, daß Sie mich auch für die Zukunft zu einem für mich
  so ehrenvollen Vertrauen ermunterten, um so weniger konnte ich mich
  entschließen, Ihnen leere Allgemeinheiten zu schreiben. Nur auf Einen
  Punct, den Sie, widerlicher Erfahrungen gedenkend, in Ihrem Briefe
  anregten, hätte ich Ihnen Etwas zu erwiedern gehabt; ich hätte Ihnen
  aus voller Seele zurufen mögen, daß die Verehrung, die ich Ihnen zolle,
  durch persönliche Rücksichten so wenig verringert, als noch erhöht
  werden kann, und daß ich, einer schnöden Parthei gegenüber, die ihre
  Furcht und ihr Zittern hinter eitler Arroganz zu verstecken sucht,
  ewig meinen Stolz darin setzen, ja, meine Pflicht darin sehen werde,
  einem Mann, der aller Zeit angehört, so viel an mir liegt, den ihm
  gebührenden Tribut darzubringen.
  Jetzt erlaube ich mir, von dem Vertrauen, zu welchem Sie mich
  aufforderten, Gebrauch zu machen. Ich habe ein Trauerspiel geschrieben,
  das ich zur Aufführung zu bringen wünsche, und ich nehme mir die
  Freiheit, Ihnen hiebei ein Exemplar desselben zu übersenden. Ich
  ersuche Sie um freundliche Vermittelung bei der dortigen Bühne, vor
  Allem aber bitte ich Sie um Ihr Urtheil, das mir bei diesem Werk,
  welches mir ganz aus Geist und Herzen floß, und welches ich, bei klarer
  Erkenntniß vieles Tadelswerthen und Mangelhaften in den Einzelheiten,
  dennoch in seiner Totalität nicht für mißlungen halten kann, von
  der höchsten Wichtigkeit ist. Ein einfaches Wort von Ihnen, es sey
  günstig oder nicht, ist mir mehr, als ein Trompetentusch der gesammten
  deutschen Journalistik, den ich leicht hervorrufen könnte, wenn ich
  nur zu Gegendiensten bereit wäre. Eine lyrische Fontaine werden Sie
  nicht finden; ob ich aber nicht auf der entgegengesetzten Seite zu weit
  gegangen und in der dramatischen Concentration hie und da zu starr
  geworden bin, das ist es, was ich von Ihnen zu erfahren wünsche. Ich
  selbst erlaube mir über mein Stück nur die eine Bemerkung, daß es in
  sehr kurzer Zeit entstanden ist.
  Sie werden verzeihen, daß ich mein Trauerspiel, statt es direct bei der
  Direction des Theaters einzureichen, an Sie zu schicken wagte; auch
  werden Sie mir, wie ich hoffe, in Berücksichtigung des Dringlichen
  einer solchen Angelegenheit eine möglichst baldige Antwort zu Theil
  werden lassen.
  Ich bin und verbleibe, hochverehrter Herr,
   mit vollkommenster Hochachtung
   Ihr aufrichtigster Verehrer
   _Friedrich Hebbel_.
   ~_Addr._: Stadtdeich Nr. 43.~
  
  
   =Hegner, Ulrich.=
  
   Geb. 1759 in Winterthur, gest. am 3. Jan. 1840 in Zürich, als
   Regierungs-Mitglied. --
   Dessen 1812 erschienene Erzählung: die Molkenkur hat wohl die
   meiste Verbreitung gefunden. Ueber „Saly“ gingen die Urtheile sehr
   auseinander; Solger z. B. stimmte mit Tieck’s günstiger Meinung
   wenig zusammen.
   Seine „Gesammelten Schriften“ sind in fünf Bänden (1828) ausgegeben
   worden.
  
   I.
  _Winterthur_, 17. August 1831.
  Ihr Brief, mein verehrter Freund, (wer meine Kinder liebt, ist mein
  Freund, und verehrt war mir der Name Tieck schon lange) hat mir große
  Freude gemacht; ich hab ihn erst den 28. Juli erhalten, und seitdem
  einige kleine Reisen unternommen, die mich an der Antwort hinderten.
  Aber was soll ich Ihnen antworten, lieber möchte ich Sie sehen und
  sprechen, da wollten wir uns bald verstehen! Denn wenn ich Ihnen
  jetzt von dem wohlthätigen Eindruck schreibe, den Ihre Schriften,
  besonders Sternbalds Wanderungen, vor Jahren auf mich gemacht haben, so
  sieht das aus, wie ein schuldiges Gegencompliment, weil unsre nähere
  Bekanntschaft erst angeht und wir einander noch persönlich zu fremde
  sind. Und doch ist es wahr, ein köstlicher Fund war mir damals jenes
  Buch, so wie die Phantasien über die Kunst und Phantasus. Die schöne,
  einfache Sprache, echte Empfindung, der zarte originelle Sinn, und
  die menschliche Schätzung des Höheren, die ich darin fand, waren mir
  tröstende Erscheinungen in einer düstern Lage, wo ich mich gerade von
  dem Gegentheil jener schönen Eigenschaften umgeben glaubte. Daher ist
  mir der Handschlag, den Sie mir bieten, höchst willkommen, und an
  mir soll es nicht fehlen, denselben auf das freundschaftlichste zu
  erwiedern.
  Sie verlangen einige Aufschlüsse über die Entstehung von Saly. --
  Bis zu unserer Revolution bekleidete ich eine Stelle, die schon seit
  bald dreyhundert Jahren auf meiner Familie beruhte, und mich mit
  Hohen und Niedern bekannt machte, die Landschreiberey der Grafschaft
  Kyburg. Durch die politische Veränderung hörte dieß sogenannte
  aristokratische Privilegium auf, ich kam von der Stelle weg, und
  nach Zürich in das Appellationsgericht, das damals wie beynahe alle
  andre Behörden größtentheils mit Revolutionsmännern besetzt war. Da
  lernte ich nun alle politischen Partien (ich war von keiner, weil
  beyde extravagirten) und ihr geheimes Treiben ziemlich genau kennen,
  um so viel besser, da ich drey Jahre im Hause und am Tische Lavaters
  lebte, dessen thätiger Geist und Vielwirksamkeit von allen Seiten in
  Anspruch genommen ward. So drängte sich in mir ein klares Bild jener
  merkwürdigen Tage zusammen, und ließ mir keine Ruhe, bis ich es auf’s
  Papier warf, als einen Spiegel jener Menschen und Zeiten, wobey ich
  aber, alle Porträte sorgfältig vermeidend, es in den Roman einkleidete,
  der, wie seine Anlage zeigt, weiter ausgeführt werden sollte. Allein
  als ich bis zum wirklichen Ausbruche der Umwältzung und der neuen
  stürmischen Organisation kam, fiel mir die Feder aus der Hand, weil
  ohne individuelle Bezeichnungen, und dadurch unausbleibliche Störungen
  meiner Ruhe, das Geschichtliche nicht weiter hätte fortgeführt werden
  können. So blieb das Bruchstück mehr als zehen Jahre lang liegen, und
  kam nur in die Hände weniger Freunde, bis es endlich, nachdem die erste
  Molkenkur schon lange erschienen war, den Weg unter die Presse fand.
  In der Schweitz wurde es häufig gelesen, in Pallästen (hätte ich bald
  gesagt, wenn wir welche hätten) wie in Hütten; aber nie wäre mir ein
  Gedanke daran gekommen, (weil es so ganz örtlich und vaterländisch
  ist) daß es auch auswärts theilnehmende Leser fände. Desto besser,
  weil unerwartet -- und eine große Ehre und Freude für mich, daß selbst
  ein Tieck dem Werklein seinen Beyfall gibt. -- Meine Absicht war,
  und spuckt mir noch zuweilen im Kopf herum, den alten christlichen
  Weltweisen in Brem (weggerissen).... aus der aufgestörten Schweitz
  hinweg und mit einigen (abermals weggerissen)... nach Holland ziehen zu
  lassen, und Klara sollte ein Tagebuch darüber führen. Aber wie es geht,
  wenn man eine Arbeit lange beyseits gelegt hat, man fängt unterdessen
  andre an, und kann und mag nicht mehr an die alte gehen.
  So viel von mir. Jetzt wünschte ich aber hinwiederum auch etwas von
  Ihnen zu hören, das heißt, von Ihrem Leben und Treiben. Ich glaubte,
  Sie lebten in Berlin, jetzt sehe ich, daß Sie in Dresden sind; wollen
  Sie mich nicht auch etwas von Ihrer persönlichen Lage wissen lassen?
  Ich lebe hier in einer kleinen Handelsstadt, wo ich (ich weiß nicht,
  soll ich sagen leider oder nicht) gar keinen litterarischen Umgang
  habe, und nichts von vorzüglichen Menschen erfahre, als was ich aus
  Journalen herausbringe. -- Gibt es kein gestochenes Bild von Ihnen,
  damit ich mir auch eine leibliche Vorstellung von Ihnen machen könne?
  Begreift der angekündigte Shakespear seine sämmtlichen Schauspiele
  und eine ganz neue Uebersetzung? Sind die Gedichte schon heraus? --
  Kurz wenn Sie mich mit einem Briefe erfreuen wollen, so thun Sie es
  bald, und lassen mich auch so genannte Kleinigkeiten von Ihnen wissen,
  denn diese sind von Männern, die man schon lange im Großen kennt und
  schätzt, nie unbedeutend.
   Herzlich grüßend
   der Ihrige
   _U. Hegner_.
  Addr.: _V. Hegner zum Frieden_ (denn es giebt hier noch mehrere
  meines Geschlechts -- ohne weitern Titel).
  Hrn. Brekling bitte zu grüßen. Er schreibt mir zuweilen, gibt mir aber
  seine Addresse nie, so daß ich nicht antworten kann.
  
   II.
   _Winterthur_, 17. Febr. 1829.
  Ich habe, Verehrtester, etwas auf dem Herzen, das ich abladen muß.
  Schon Herr Reimer schrieb mir aus Dresden, daß Ihr Aufenthalt allhier
  Sie nicht nach Erwartung befriedigt habe, und Hr. Follen hat mir
  dieß neulich noch des weitern bestätigt. Da es mir nun schmerzlich
  wehe thäte, mein liebevoller Tieck, etwas von Ihrer Achtung zu
  verlieren, so fühle ich mich zu einiger Erklärung meiner _scheinbaren_
  Zurückhaltung gedrungen.
  Von Kindheit an war ich ein sehr einsamer Mensch, wodurch ich mir
  eine anfängliche Verlegenheit unter Fremden zugezogen habe, die ich
  mir nicht mehr abgewöhnen kann. Sie hingegen sind ein in Gesellschaft
  verbreiteter Mann, von leichtem Umgange. Sie sprechen sehr gut; ich
  kann gar nicht sprechen, das macht mein Reden mir selbst langweilig,
  (weggerissen)... andern. Und so geht, ehe ich zum vertraulichen Worte
  komme, gewöhnlich die Zeit verloren.
  Hätte ich Sie nur ein paar Tage allein bey mir, so würden unsre
  ~opposita~, alsdann ~juxta se posita~, statt schroffer sich zu zeigen,
  wahrscheinlich bald in Einklang kommen; denn im Grunde sind wir doch
  Eines Geistes (wenn auch nicht quantitativ), und der Geist ist es, der
  lebendig macht, das Fleisch äußerlicher Angewöhnung ist wenig nütze,
  ist Unkraut, das wenn es auch heute noch stände, schon morgen in den
  Ofen geworfen seyn würde.
  Ich hätte freylich auch gewünscht, länger mich mit Ihnen unterhalten zu
  können, aber da Sie äußerten, daß Sie nach Tische verreisen wollten, so
  mußte ich doch vor Tische gehen; ich besorgte überdies die Frauenzimmer
  zu geniren. Hätten Sie mir nur ein Wort vom Bleiben gesagt, wie gerne
  wär ich geblieben!
  Nehmen Sie diese Herzenserleichterung auf, wie sie gemeint ist, theurer
  Mann, als den Wunsch, nicht in Ihrem freundschaftlichen Andenken
  verloren zu haben, und lassen Sie mir dasselbe ferner gewähren!
   _Ulrich Hegner_.
  
  
   =Heiberg, Johann Ludwig.=
  
   Geb. den 14. Decbr. 1791 in Kopenhagen, wurde 1849 Direktor
   des dortigen K. Theaters. Obwohl seine vorzügliche, anerkannt
   produktive Thätigkeit sich im Lustspiel und dramatischen Märchen
   bewegt, hat er doch auch verschiedene Erzählungen geliefert,
   die in deutscher Uebertragung verbreitet sind. Er ist in seinem
   Vaterlande sehr beliebt, und verdient es gewiß. Aus denjenigen
   seiner Arbeiten, die hier zu Lande bekannt wurden, ließ sich
   aber schwerlich errathen, daß er einer der eifrigsten Anhänger
   Hegel’scher Philosophie sei, was er jedoch wirklich ist, oder
   wenigstens war.
  
  An Herrn Ludwig Tieck in Dresden.
   _Kopenhagen_, den 5ten May 1827.
  Zwar darf ich nicht hoffen, von Ihnen, auch nur dem Namen nach, gekannt
  zu seyn. Leider ist unser Land so klein, und unsre Literatur eben
  deswegen so wenig nach dem Auslande verbreitet, daß selbst derjenige,
  der zehnmal so viel für dieselbe gethan hätte, als ich mich gethan zu
  haben rühmen darf, dennoch eines besonderen literarischen Paßes bedarf,
  um seinen Namen über die Grenze unbehindert paßiren zu lassen. Auch bin
  ich nie in Dresden gewesen. Ich habe mich während drey Jahren in Paris
  aufgehalten, ging aber auf der Hinreise über London, und hatte auf der
  Rückreise durch Deutschland so große Eile, daß ich den kürzesten Weg
  nehmen mußte. Später bin ich während einiger Monate in Berlin gewesen,
  wo ich besonders mit den Herren Professoren Hegel und Gans in genauerer
  Verbindung stand; allein auch damals wurde mein Plan, von dortaus
  Dresden zu besuchen, vereitelt.
  Die Veranlassung aber zu diesem Briefe ist ein Packet Bücher, das ich
  vor einigen Tagen so frei gewesen bin, Ihnen zu schicken. Ich habe
  es an unsere ~Chargé d’ affaires~, den Herrn von Irgens-Berg in
  Dresden adressirt, von dem Sie es binnen kurzer Zeit erhalten werden;
  und auch dieses hat wiederum eine Veranlassung, zu deren kurzen
  Erörterung ich mir Ihre Erlaubniß ausbitte.
  Ich habe seit zwey Jahren einige _Vaudevillen_ für die hiesige
  Bühne geschrieben; ich sage: _geschrieben_, denn ich habe mich
  wohl gehütet, fremde Arbeiten dieser Art auf dänischen Boden roh zu
  verpflanzen, oder, wie man es gewöhnlich nennt, zu _bearbeiten_.
  Meine Absicht war, die Neuerungssucht, die jetzt im Publikum herrscht,
  indem sie ihm für das Alte den Sinn mehr und mehr benimmt, und so
  manches Abgeschmackte herbeigeführt hat, einmal, wo möglich, zu einem
  löblichen Zwecke zu benutzen, d. h. zur Wiedererweckung des unserm
  Volke tief eingewurzelten Sinnes für das Local-Comische, eines Sinnes,
  der aber seit Holbergs Zeiten kaum einige Nahrung erhalten hat. Wie ich
  nun zugleich gesehen hatte, daß eine höchst mittelmäßige Posse, _Die
  Wiener in Berlin_, von Demoiselle Pohlmann und deutschredenden Dänen
  nicht besonders gut ausgeführt, beym hiesigen Publikum Eingang finden
  konnte, so mußte ich mich überzeugen, daß selbst in den schlechtesten
  Stücken dieser Art ein gewisser Melodienzauber herrschen könne, und
  diesen beschloß ich daher zu einer wahrhafteren comischen Wirkung zu
  benutzen. Es schien mir nämlich, daß auch das Vaudeville zu einer
  dramatischen Kunstart herausgebildet werden könne, und daß eine solche
  Ausbildung, beym Stand der hiesigen Bühne, nicht ohne poetisches
  Verdienst sein würde. Meine sonstigen Ansichten dieses Gegenstandes
  habe ich in einer besonderen dramaturgischen Abhandlung, die in dem
  besagten Packete zugleich befindlich ist, weiter aus einander gesetzt.
  Wie gesagt, schrieb ich dann einige local-comische Vaudevillen, die
  aufgeführt und mit einem hier unerhörten Beyfall aufgenommen wurden.
  Jetzt aber entstand unter den Literaten die Frage, ob diese neue
  Richtung ein Schritt vorwärts oder rückwärts zu nennen sey. Es ist
  natürlich, daß ich der ersten Meinung bin; es ist eben so natürlich,
  daß Leute, die Ihre gerechten Aeußerungen gegen die jetzige Rohheit der
  Verfasser, welche, die Dichtarten und die Localitäten verwechselnd,
  dasjenige, das in einer gewissen Kunstsphäre gut ist, in eine andere
  ganz mechanisch überführen und verderben, und welche ferner nur
  auf das Aeußere und Zufällige in der Kunst bedacht sind; -- es ist
  natürlich, sage ich, daß Leute, die Ihren gerechten Eifer gegen diese
  Pfuschereien kennen, ohne ihn recht verstanden zu haben (denn daß Sie
  Müllner, Grillparzer und Houwald tadeln, und H. v. Kleist rühmen, das
  werden diese Leute nie verstehen) -- daß sie, sage ich, sich Ihrer,
  als einer schlecht verstandenen Autorität, bedienen, um die von Ihnen
  ausgesprochene Misbilligung nachgeäffter französischer Witzspiele
  auf meine Arbeiten anzuwenden, die doch in einem ganz anderen Sinne
  entworfen und ausgeführt sind, und wenigstens keine unverdaute
  Aufnahme fremdartiger Substanzen, sondern, wie ich mir schmeichle,
  eine nationale Assimilation sind. Ich darf glauben, daß ich Ihre
  dramaturgischen Schriften mit größerer Einsicht gelesen habe, als die
  meisten unserer Theater-Kritiker, und bin der Meinung, daß Sie meine
  Vaudevillen als recht lobenswerthe Bestrebungen nach einem richtigeren
  Geschmack anerkennen werden. Vielleicht aber, daß ich mich darin geirrt
  habe. Auf jeden Fall wünsche ich recht sehr, Ihr aufrichtiges Urtheil
  darüber zu vernehmen. Ich habe daher mir die Freyheit genommen, Ihnen
  alle diese Kleinigkeiten zu schicken. Sie verstehen die dänische
  Sprache, Sie sind ein berühmter Kenner von Holberg, und Sie sind
  beynahe der Einzige, der in jetziger Zeit für die Sache der wahren
  Kunst gegen Uebertreibungen, Mißverständniße und Thorheiten aller Art
  kräftig redet. Haben Sie daher die Güte, bey Gelegenheit meine kleine
  Bühnenstücke so wie die dramaturgische Abhandlung durchzublättern und
  mir Ihre Meinung darüber, wenn auch nur in aller Kürze, mitzutheilen.
  Sie werden mich dadurch, sogar im Falle eines ungünstigen Urtheils,
  ganz besonders verpflichten.
  In demselben Packete finden Sie auch ein von mir, _auf Verlangen
  der hiesigen Direction_, bearbeitetes fremdes Vaudeville: Die 7
  Mädchen in Uniform. Ich habe es nur deswegen beygelegt, damit Sie sehen
  mögen, daß Ihre kurzen Bemerkungen über diese Kleinigkeit bey meiner
  Bearbeitung nicht ohne Einfluß gewesen sind. Zugleich werden Sie die
  bis jetzt erschienenen Nummern eines von mir seit Neujahr redigirten
  Wochenblattes vorfinden.
  Ich weiß nicht, ob meine deutsch geschriebene Nordische Mythologie nach
  der Edda und Oehlenschläger, die zur letzten Michaelismesse erschien,
  Ihnen zu Gesicht gekommen ist. Ich würde sie beygelegt haben, wenn ich
  nicht gefürchtet hätte, das Packet sey schon zu groß geworden.
  Ihr Freund Oehlenschläger hat ein neues Trauerspiel „Vaeringernd i
  Myklegard“ geschrieben, und beschäftigt sich jetzt mit einer deutschen
  Uebersetzung davon.
  Verzeihen Sie gütigst meine Zudringlichkeit.
  Mit besonderer Hochachtung ganz ergebenst
   _J. L. Heiberg_, ~Dr. phil.~
  
  
   =Hensel, Wilhelm.=
  
   Geb. den 6. Juli 1794 zu Trebbin, Professor an der k. Akademie der
   Künste in Berlin, und Historienmaler. Die geist- und tonreiche
   Schwester Felix Mendelssohns war seine Gattin. Als junger Mann
   trieb er auch Poesie, und mit glücklichem Erfolg. Sein Lustspiel:
   „Ritter Hans“ ward beifällig aufgenommen. Mit dem theuren Freunde
   Wilhelm Müller und Andern im Vereine gab er (1816) Gedichte heraus
   unter dem Titel: Bundesblüthen.
   Für die hervorragendsten der von ihm gemalten Kunstwerke werden
   „Herzog von Braunschweig vor der Schlacht von Quatrebas“ und sein
   „Christus vor Pilatus“ (in der berliner Garnisonkirche) gehalten.
  
   _Berlin_, den 11ten July 1829.
  Dieser Brief ist kein Empfehlungsbrief, höchstens einer mich selbst
  wieder zu empfehlen nach so langer Zeit, und ich habe die freundliche
  Ueberbringerin gebeten, dies besser zu thun. Durch sie hoff’ ich auch
  recht viel zu hören von Ihnen, denn sie weiß was man gern hat, und kann
  es sagen auch. Jeden der aus Dresden kam hab’ ich ausgefragt, hier
  und in Rom, nie aber war mir genug was ich erfuhr. Neulich hatt’ ich
  die angenehme Ueberraschung Frau von L. zu sehen, und gleich waren wir
  bei Ihnen und Ihrem Kreis. Zu meiner Beruhigung hör’ ich, daß es mit
  Ihrer Gesundheit jetzt besser geht, was denn immer ein Vortheil für uns
  Alle ist; wodurch die Theilnahme an Ihrem Wohle allerdings egoistisch
  erscheint. Indessen wissen Sie doch auch wohl wer Sie nicht blos
  Ihrer Werke wegen liebt, und lassen sich auch von mir ferner die alte
  Doppelliebe gefallen. Die treuste Anhänglichkeit hab’ ich Ihnen und
  den verehrten Ihrigen gewiß stets bewahrt; möcht’ ich dagegen hoffen
  dürfen, daß auch in Ihrem Kreise noch mein Andenken lebt!
  Ich gebe den Gedanken nicht auf einmal selbst nachzufragen, wollt’ es
  auch schon auf der Rückreise von Italien thun, mußte dann aber rasch
  meinen Bildern nach. Was sich seitdem in Leben und Kunst mit mir
  zugetragen, wissen Sie in den Hauptpunkten durch gemeinschaftliche
  Freunde bereits. Wollten Sie Näheres hören kann Fräulein Saling
  (Marianne?) meine liebe künftige Cousine, die beste Auskunft geben.
  Diese Worte sind in Eil geschrieben, es ist ein Tag voller Sitzungen
  heut und morgen früh ist der Brief schon Dresden näher als ich. Dresden
  --! wieviel Erinnerungen knüpfen sich an den Namen in mir! Wehmüthige
  auch. Aber doch steht er leuchtend in mir, und ich möchte _Sie_
  wiedersehn!
  Leben Sie wohl und bleiben Sie mir freundlich gesinnt. Ihrem lieben
  Kreise den herzlichsten Gruß! Treu und verehrend
   ganz Ihr
   _Wilhelm Hensel_.
  Ihren Herrn Bruder sah ich vor wenigen Tagen recht wohl.
  
  
   =Hermann, F. R.=
  
   Die zwei Briefe dieses unglücklichen (siehe die Anmerkung in
   Büsching’s Schreiben) und gänzlich vergessenen Mannes sind
   aufgenommen worden, weil er doch der Erste gewesen ist, der die
   seitdem von bedeutenden Dichtern durchgeführte Idee, dramatisirter
   Nibelunger, gefaßt und auf seine Weise in’s Werk gesetzt hat, und
   weil Tieck ihm ermunternd entgegen gekommen ist.
   _Wo_ das Manuskript seiner Dramen -- und _ob_ es noch existirt?
   vermochten wir nicht zu erfahren.
   Gewiß, eine traurige Empfindung, die aufgeregt wird durch den
   Gedanken, daß eine Dichtung, an welche ein Mensch die besten Jahre
   seiner Jugend gesetzt, auf welche er Hoffnungen bauete, welche von
   bedeutenden Männern mit Theilnahme betrachtet ward... so gänzlich
   verschollen ist; daß all’ sein Streben nichtig blieb.
   Nun, es ist wohl Manchem so ergangen; nur, daß nicht Alle
   wahnsinnig darüber wurden.
  
   I.
   _Breslau_, d. 8t. Dez. 1816.
   _Wohlgeborener Herr,
   Hochzuverehrender Herr Doktor!_
  Ich schwebe mit meinem lieben Geisteskinde _Chriemhilde_ nun recht
  zwischen Furcht und Hoffnung, ob Sie die Sünderinn begnadigen oder
  verdammen werden. Wenn ich mich auf die Seite der unbefangenen kälteren
  Beschauung hinneige, und gleichsam von oben herab das Ganze überblicke,
  da treten freilich mehr und mehr Unebenheiten aus dem Gebilde hervor,
  die sich in horizontaler Richtung verbargen und deckten; und so bin
  ich jezt mit Manchem, besonders mit dem Anfange und der Mitte des
  Drama’s nicht recht zufrieden. Sie werden es wohl am besten beurtheilen
  können, inwiefern meinem guten Willen und meiner Anstrengung die
  dazu erforderliche Kraft entsprach. Aber Sie werden auch alle die
  Hindernisse, die mit diesem Stoffe und seiner dramatischen Behandlung
  verbunden sind, als Künstler überschauen; denn nur der Dichter kann den
  Dichter ganz beurtheilen. -- Ich hätte mir es freilich leichter machen
  können, wenn ich den Stoff mit mehr freier Fantasie behandelt, und mich
  in einer freieren Form mit Hinsicht auf seine äußere Gestaltung bewegt
  hätte. Und so ist denn, leider! durch das zu ängstliche Anschmiegen
  an das Epische des Urbildes viel Dramatisches untergegangen. Bei
  Siegfrieds Tod will ich mich aber schon mehr gehen lassen, wie man
  sagt, da sein Stoff sich mehr dem Drama anschmiegt. Obwohl das Lied
  gegen die Katastrophe hin sehr reichhaltig an Werkstoff für lebendige
  Darstellung scheint, so ist es doch eigentlich kein dramatischer,
  und so mußte ich, wie Sie es billigen werden, das Meiste bei Seite
  schieben, oder unter der Szene halten, um nicht ein gräßliches Bild der
  blutigsten Vernichtung aufzustellen.
  Ich habe nun schon mancherlei, oft ganz entgegengesetzte Urtheile über
  meine versuchsähnliche Arbeit vernommen. Graf Brühl meinte, wenn das
  Stück Effect machen sollte, müßte Siegfrieds Tod drinnen vorkommen, wie
  im Lear die Ländertheilung, im Hamlet der Geist wesentlich erforderlich
  sind, um bei dem Publikum das Interesse für Chriemhildens Rache rege
  zu machen; eine Erzählung davon als Exposition reiche nicht hin.
  Siegfrieds Tod hinein zu weben, hatte Schwierigkeiten; 13 Jahre waren
  seit seinem Tode, und 7 Jahre seit Chriemhildens neuer Vermählung
  verflossen; und hätte dann, abgesehen vom chronischen Uebelstande, nicht
  Siegfrieds Tod wieder motivirt, und somit ein ~Quasi-Dualismus~ in
  die Handlung hineingeschoben werden müssen? Daß ich aber Siegfrieds
  Tod besonders bearbeiten will, wußte er doch. -- Prof. Rhode hingegen
  lehnte sich gegen die veralteten Formen der Sprache auf, wobei, wie er
  meint, alle Logik unterging; besonders will ihm die Konstruction des
  Hilfswortes _thun_ nicht behagen. Auch läßt er sich recht hämisch
  über ein Wort aus, was nur ein Schreibfehler war. Ueber Ein Wort!!
  Das nenn’ ich mir einen Theater-Direktor. -- Dem Herrn Schall gefiel
  die äußere Form nicht, er meinte allen Reim und besonders Assonanz
  vertrüge das Drama nicht: Auch ließe sich nie ein Epos als Drama
  bearbeiten; ich meinte wohl, daß den Drama’s erst das Epos vorausging,
  wie bei den Griechen es der Fall ist. -- Und so wurde mir mein Wurf
  zur theatralischen Darstellung vereitelt. Schall hätte es vielleicht
  vermocht, es hier zur Darstellung zu bringen, zumal wenn einiges im
  Dialog verkürzt und so die Handlung mehr zusammen gedrängt worden wäre,
  allein er that nicht nur nichts, sondern eiferte selbst schon gegen die
  Darstellung eines so blutigen Stoffes. -- In Berlin würde man das Stück
  vielleicht gegeben haben, wenn ich Kosacken-Tänze, Soldaten-Aufzüge,
  ein paar Knall-Effekte und etwa noch einen Hund hätte hinein schroten
  können. -- Nun haben es die Kaiserl. Kustoden der Bibliothek zu Wien
  von mir durch Büsching begehrt, da sie es nun auf die _Wiener_
  Bühne zu bringen gedenken. -- Ich glaube nicht, daß es ihnen gelingen
  wird. Nun seh ich noch mit innigem Verlangen Ihrem Endurtheile
  entgegen, das ich mit ungeheuchelter Verehrung aufnehmen werde. Es soll
  mich ausschließlich bei meiner eben angefangenen Arbeit leiten. --
  Ich hatte mir vor und während der Arbeit so manches Schöne geträumt,
  was nachher wie Wasser zerrann. Und wie manch kalter vernichtender
  Ausspruch von 3 Worten über mein ganzes Ringen und Trachten mußte
  mich nicht herzlich verwunden! -- Ich wollte nun ganz von meinem
  Unternehmen abstehen, als mich die freundliche Ermahnung Hagens: „Nur
  frisch und froh an’s Werk, und nicht den Muth verloren“ aus Venedig
  aufmunterte. Nun denn, so will ich’s weiter versuchen, wenn auch Sie es
  billigen.
  Mögen Sie es gütigst entschuldigen, daß ich Sie so viel mit meinem
  Geisteskinde, so schwach und unbeholfen, belästige.
  Zu Ihnen habe ich nun nach Ihrer freundlichen Aufnahme in Zibingen mein
  ganzes Vertrauen gefaßt. Möchten Sie mein Meister seyn wollen! Hier bin
  ich so einsam und abgeschlossen -- und Ihnen möcht’ ich gern von Zeit
  zu Zeit ganz mein Inneres ausschütten, den ich schon so lange innigst
  verehre und liebe
   Ew. Wohlgeboren
   ergebenster
   _Hermann_.
  
   II.
   _Breslau_, d. 9ten März 1817.
   _Wohlgeborener Herr,
   Hochzuverehrender Herr Doctor!_
  
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