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Briefe an Ludwig Tieck (1/4) - 04

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  mit der Hoffnung, daß es mir, dem Bewohner der ~ultima Thule~ noch
  möglich seyn wird Dresden zu besuchen, wo sich jetzt so Vieles meinem
  Herzen Theures aufhält. Auf diesen Fall erlauben Sie Herr Hofrath daß
  ich mich zu einer Vorlesung bei Ihnen anmelde, wo es mich zugleich
  freuen wird, Ihnen mündlich sagen zu können, mit welcher Verehrung und
  Hochachtung ich bin
   _Ihr_
   ergebenster _C. Baudissin._
  
  
   =Bauer, Caroline.=
  
   Diese Schauspielerin, welche auf der Bühne -- wie im Leben
   die ersten Rollen sehr wohl zu behaupten verstand, und dann
   plötzlich, unter noch immer räthselhaften Verhältnissen von beiden
   Schauplätzen verschwand, ohne daß es Einem ihrer ehemaligen
   Verehrer gelungen wäre, etwas bestimmtes über ihre späteren
   Schicksale zu erforschen, war bei Tieck sehr beliebt und geachtet.
   Sie wußte ihn zu behandeln, gab sich in seinem Hause nur als
   lernende Hörerin, und deutete seine Schwächen zu ihrem Vortheile
   aus. Er schwor darauf, daß sie auf ihn schwöre -- und wer er
   besser wußte, hütete sich wohl ihn zu enttäuschen. Da nahm er denn
   leicht äußerliche Anmuth und Glätte für innerliches, künstlerisches
   Walten. Sie war eine geschickte, elegante Darstellerin. Mehr nicht.
   Sie galt lange, und an vielen Orten, wo sie triumphirte, für
   eine große Schauspielerin. Aber niemals wären auf sie die Worte
   anzuwenden gewesen: „Hast Du mir Thränen in’s Auge gelockt und Lust
   in die Seele!“
  
   _Bremen,_ den 24. Mai.
   _Hochverehrter Freund!_
  Beinahe vom Ende der Welt -- sende ich Ihnen die _herzlichsten
  Glückwünsche zu Ihrem Geburtstage_! meine Mutter schließt denselben
  die innigsten mit an, und beide hoffen wir Sie gesund und heiter
  wiederzusehen.
  Während Sie theurer Freund, das schöne Frühjahr in aller Ruhe genießen,
  habe ich sehr unruhige, aber auch angenehme Tage verlebt. --
  Hamburg hat mir sehr gefallen, das Haus fand ich gar nicht zu groß, das
  Publikum sehr freundlich -- aber die Gesellschaft schlechter wie eine
  herumziehende Truppe. Die Enghaus ist fort, Schmidt, Lenz zu stumpf,
  Hr. Baison ist der einzig helle Punkt, die _Perle_ der Gesellschaft!
  Das ist viel gesagt. Wenn Schröder die Vorstellung der ~Donna Diana~
  gesehen! Denken Sie Geehrter Freund, daß ~Perin~ nicht im Standte
  war _ein_ Lächeln dem Publikum zu entlocken -- _Niemand_ erhielt ein
  Zeichen des Beifalls, 4 mal versuchte ich Leben in diese Maße zu
  bringen. Dann sagte ich der Direction aufrichtig: mit solcher Umgebung
  könnte ich nicht weiter spielen. Die Stumme von ~Portici~ gieng sehr
  brillant da brauchte ich nur die Münk zur Unterstützung.
  Hier geht unter Rottmayers Leitung alles beßer, und ich athmete
  leichter als ich in der „~Stuart~“ auftrat. -- Schwärmerei nach der
  Mode macht sich gut, wenn alles so wie hier rasch in einander greift.
  Rottmayer ist ein vorzüglicher Künstler, und gebildeter Mann, gewiß
  werden Sie ihn, mein Geehrter Herr Hofrath recht lieb gewinnen. Er
  empfiehlt sich _ganz ergebenst_, wenn er zu Gastrollen kommt möchte er
  den Klingsberg in „der unglücklichen Ehe durch Delicatesse“ spielen, da
  würden wir dies schöne Stück geben können, doch ich komme in’s Plaudern
  und raube Ihre Zeit, also mündlich hole ich nach, ich habe viel, viel
  zu erzählen! --
  Nur noch die schönsten Empfehlungen! an Frau Gräfin! so wie Ihren
  lieben Fräulein Töchtern viel Herzliches! --
  Auf frohes Wiedersehen! Verehrter Freund!
   Hochachtungsvoll und bestens ergebene
   _Caroline Bauer_.
  
  
   =Bauernfeld, Eduard von.=
  
   Geb. zu Wien 1804, dort angestellt in einem kaiserl. Amte.
   Lustspieldichter von großem Rufe, dessen „Bürgerlich und
   Romantisch“ -- „Bekenntnisse“ -- „Tagebuch“ -- „Großjährig“ -- und
   viele andere, mit verdientem Glücke über alle deutschen Bühnen
   gingen und zum Theil noch lebendig sind. Auf ernsterem Gebiete
   zeichnete ihn „Ein deutscher Krieger“ aus. Sein Dialog ist eben so
   reich an guten Gedanken wie an sinnvollen und feinen Wendungen.
   Gesammelt sind seine dramatischen Arbeiten in den „Lustspielen“
   (1833) -- und dem „Theater“ (1836-37). Er hat Mehreres aus dem
   Englischen übersetzt, und zwar meisterhaft. Z. B. den Coriolanus,
   der in einer Gesammt-Edition Shakespeares (Wien, bei Sollinger)
   steht, welche leider, wie es damals üblich, viel Nachdruck, unter
   A., den ganzen Schlegelschen Shakespeare enthält.
   Die zwei hier mitgetheilten Briefe betreffen seinen „Fortunat,“
   einen Versuch hochromantischer Gattung im Drama, der sehr viel
   Schönheiten bietet und der wohl verdient hätte, von anderen
   deutschen Bühnen, außerhalb Oesterreich, wieder aufgenommen zu
   werden. -- Aber wem fällt so etwas ein? Wir haben ja Ueberfluß an
   poetischen Neuigkeiten.
  
   I.
   Wien d. 29. Septemb. 1834.
   _Hochverehrter Herr!_
  Das beiliegende Schauspiel „Fortunat“ wage ich Ihnen, hochverehrter
  Herr, zur Einsicht vorzulegen, eh’ ich es noch einem Theater zur
  Aufführung übergebe. Ich gestehe, daß mich dieser Stoff seit Jahren
  beschäftigt, und daß ich mir eigentlichst Mühe gab, dasjenige, was mir
  daran poetisch erschien, in dramatischer, wo möglich in theatralischer
  Form wieder zu geben. Natürlich konnt’ ich zu diesen Zwecken nur einige
  Umrisse der ursprünglichen Fabel beibehalten, und war gewisser Maßen
  gezwungen, die dramatische Handlung erst zu erfinden. Bei solchem
  Verfahren würde ich mich glücklich preisen, wenn es mir nicht mißlungen
  ist, den Sinn und Geist der Fabel auch in dieser veränderten Form
  nicht verwischt zu haben. Der erste Akt meines Schauspiels bildet
  eine Art Vorspiel: Fortunat als Jüngling im elterlichen Hause; dieser
  Theil unterscheidet sich in Ton und Darstellungsweise wesentlich von
  den übrigen Akten, worin die Abentheuer behandelt sind, die sich mehr
  dem Heroischen nähern. Der Schluß soll mit dem Anfang wieder zusammen
  greifen. Um das Theater-Publikum, welches leider ein allzu großer Feind
  des Phantastischen ist, auf das Wunderliche des Inhalts vorzubereiten,
  hab’ ich noch einen Prolog beschlossen, welchen Fortuna halten soll. --
  Ich kann es mir nicht bergen, daß meine bisherigen theatralischen
  Arbeiten mir bei Ihnen, hochverehrter Herr, keinesweges das Zutrauen
  erwecken werden, daß ich einem Stoff, wie der vorliegende, gewachsen
  sei; allein auch bei jenen, mehr im französischen Sinne geschriebenen
  Lustspielen leitete mich eine Absicht, welche Sie vielleicht nicht ganz
  mißbilligen werden, wenn Sie mir in der Folge etwa gestatten, mich
  hierüber näher zu erklären.
  Indem ich Ihrem Urtheil über die vorliegende Arbeit mit Verlangen
  entgegen sehe, unterzeichne ich mich mit Hochachtung
   Hochverehrter Herr
   Ihren
   ganz ergebensten
   _Eduard v. Bauernfeld_,
   (J. P. Sollingers Buchhandlung in der
   obern Bäckerstraße.)
  
   II.
   Wien d. 28. März 1835.
   _Verehrter Herr!_
  Ihre aufmunternden Zeilen über Fortunat kamen eben wenige Tage an
  vor der Aufführung dieses Stücks in einem hiesigen Vorstadttheater.
  Das Stück -- fiel durch. Das Publikum schien das Volksmährchen gar
  nicht zu kennen, wunderte sich über den Sekel u. s. w. Zudem hatten
  Saphir mit seinen Anhängern und andere Uebelgesinnte Parthei gebildet;
  überdieß besitzen die beiden _Holtei’s_, welche z. 1. M. als engagirte
  Mitglieder spielten (Vasko und Rosamunde), keine Freunde unter den
  Schreibern der hiesigen Journale, welche, wie fast überall, in den
  schlechtesten Händen sind. Am zweiten Abend ging die Sache besser,
  u. Holtei’s wurden gerufen. Uebrigens wurde mir bei dieser Sache
  klar, daß das Stück auch auf unserm Hoftheater nicht gefallen hätte,
  und zwar nicht nur wegen seiner dramatischen Gebrechen, sondern
  hauptsächlich deßhalb, weil das Wiener-Publikum für das Freiere und
  Phantastische durchaus keinen Sinn mitbringt. So wurde ein Meisterwerk
  unserer Literatur „der Prinz v. Homburg“, mit welchem ich meinen
  Versuch natürlicher Weise nicht von Ferne zu vergleichen wage, auf den
  Hoftheater förmlich ausgelacht. -- Sollten Sie, hochverehrter Herr,
  trotz jenes Erfolges dennoch die Aufführung des Fortunat beabsichtigen
  (welcher auch vom Berliner Hoftheater angenommen wurde), so werde ich
  so frei seyn, Ihnen in der Folge einige Abänderungen und Abkürzungen
  vorzuschlagen, welche sich bei der zweiten Darstellung als zweckmäßig
  erwiesen. --
  Für den übrigen Inhalt Ihres Briefes, welche eine weit bessere Meinung
  für mich ausspricht, als ich bisher im Stande war zu verdienen,
  danke ich mit aufrichtigem Herzen. Schon in meinen frühesten
  Jünglingsjahren hatten, nebst Göthe und Shakespeare, Ihre Werke den
  größten Einfluß auf mich ausgeübt. Ich schrieb wohl über ein Dutzend
  Stücke beiläufig in den Manieren aller dieser Meister, worin sich
  vielleicht ~disjecta membra poëtae~ entdecken lassen; aber das
  Ganze blieb stets ungenügend. In der Folge fühlte ich ein brennendes
  Bedürfniß, das Theater kennen zu lernen. So kamen denn jene leichten
  Lustspiele zum Vorschein, bei denen, ich weiß es wohl, häufig das
  Poetische einer gewissen Technik aufgeopfert wurde, die sich aber der
  Theater-Schriftsteller durchaus erwerben muß. Dabei erschien mir die
  natürliche Auffassung moderner Zustände auch in das Feld der Poesie
  zu gehören, u. im bisherigen Deutschen Lustspiel noch wenig bebaut.
  -- Schlimm ist’s, daß nun gerade der Versuch, wo ich der Poesie näher
  zu kommen dachte, verunglücken soll. Das soll mich jedoch nicht
  abhalten, dasjenige, was ich im Gefühl und im Gedanken einmal als das
  Richtige erkannt habe, mit Bedacht fortzubilden. Ist meine Kraft zu
  gering, dann hilft freilich die gute Absicht zu Nichts. Steht mir nur
  der Zeitgeschmack und die Gemeinheit entgegen, dann hoffe ich noch
  durchzudringen.
  Verzeihen Sie, verehrter Herr, daß ich Sie mit einem so weitläufigen
  Schreiben belästige; aber ich fühlte ein wahres Bedürfniß, Ihnen den
  Gang meiner poetischen Bildung einiger Maßen darzulegen, da ich Ihnen,
  ohne Sie persönlich zu kennen, so Vieles verdanke.
  Sollten Sie mir einige billigende Worte entweder selbst schreiben oder
  durch Rettich mittheilen wollen, so werden Sie dadurch sehr beglücken
   Ihren
   dankbaren Verehrer
   _Bauernfeld_.
   (J. P. Sollingers Buchhandlung
   in der obern Bäckerstraße.)
  
  
   =Beskow, Bernh. v.=
  
   Geb. am 19. April 1796 zu Stockholm, Hofmarschall, längere Zeit
   hindurch Theater-Intendant. Seine bedeutendsten dramatischen Werke
   sind: Erich XIV. -- Hildegard -- Torkel Knutson -- Gustav Adolph
   in Deutschland. -- Seine erste Dichtung war (1819) Carl XII.
   Die von ihm vorgefundenen hier mitgetheilten Briefe werden jedweden
   unbefangenen Leser für den ausgezeichneten Menschen einnehmen. Der
   erste, in welchem er das lange, durch Trennung und Zeit verstummte
   Verhältniß zwischen sich und Tieck wieder belebend auffrischt,
   erscheint uns wie ein wichtiges Dokument. So feurig, so wahr,
   so überzeugend hat vielleicht noch kein Deutscher für deutsches
   Verdienst gesprochen, als dieser schwedische Hofmarschall. Was
   er bei Gelegenheit britischer Commentatoren des Shakespeare über
   die unschätzbare Eigenschaft des Deutschen sagt, fremden Werth in
   seiner ganzen Bedeutung anerkennend zu durchdringen, sollte in Erz
   gegraben werden. Welch’ ein Geist in diesem Manne, welche Seele,
   welches Herz! Nun, Tieck muß es tief empfunden haben. Schon nach
   Verlauf einiger Monate, wie das zweite Schreiben beweiset, begrüßen
   sie sich mit dem brüderlichen _Du!_ -- Damit ist Tieck in reiferen
   Jahren nicht freigebig gewesen.
  
   I.
   Stockholm den 28. Februar 1835.
  Sie haben mich ein par mal durch Nordische Reisende so freundlich
  grüssen lassen, daß ich mir den Genuß nicht länger versagen kann, Ihnen
  selbst meinen Dank abzustatten, nicht bloß für diese Gütige Erinnerung
  „aus den Tagen, die nicht mehr sind,“ sondern noch für so manche
  Wohlthaten, die ich Ihnen, dem herrlichen, vertraulichen Dichter, seit
  so vielen, einsamen Jahren noch schuldig bin.
  Sie müssen nehmlich wissen, mein edler vortreflicher Freund! daß
  ich _nach_ unsrer Trennung noch viel vertrauter _mit Ihnen gelebt_,
  gedacht, geschwärmt und das innere schöne Leben genossen habe, als
  einst bei der persönlichen Gegenwart, in dem geistreichen, von unserm
  guten Burgsdorf gebildeten Gesellschaftskreise.
  Bei unsrer ersten Bekanntschaft war _mein_ Geist noch etwas zu
  _klassisch_ gestimmt, um sich in _Ihren_ selbständigen freien
  Dichtungen überall heimisch zu fühlen. Ich hatte mich in früher Jugend
  so tief verirrt im Dickicht trübseliger Schwärmerei, und mich so
  mühselig zum Licht emporgearbeitet, daß ich noch lange eine Art von
  Scheu behielt, selbst vor jeder _dichterischen_ Dämmerung, wo solche
  mir etwa mehr _Abend-_ als _Morgenröthe_ zu verkündigen schien. Dagegen
  hatte mir vom Anfange an Ihr geflügelter _Genius_ grosse Ehrfurcht
  eingeflößt, und noch anziehender fand ich den _Menschen_ in Ihnen. Es
  freut mich noch, daß ich Ihren Werth so zeitig gefühlt hatte; denn als
  ich einer sehr geistreichen Freundin aus jener Zeit Ihren _Abdallah
  u. Lowell_ geliehen hatte, und sie, etwas kunstrichterisch, anmerkte:
  „es schiene ihr immer etwas anmassend, wenn ein „_junger Mensch_“ mit
  Werken anfinge, welche die ganze _Reife_ eines Göthe forderten, um
  eigenthümlichen Werth zu haben,“ so hatte ich schon den Mut, ihr zu
  antworten: „Wenn ich mich nicht sehr irre, so werden _Sie_ noch einmal
  die Werke _dieses_ jungen Menschen neben die _Göthischen_ in Ihrer
  Büchersamlung aufstellen.“
  Seit dieser Zeit nun schmeichle ich mir einer Ihrer _besten Leser_
  gewesen zu sein, was überhaupt meine Stärke ausmacht; denn mein
  _eigenes_ Schreiben, oder Dichten, hat meinem Geist eigentlich nur zur
  _Bewegung_ gedient, wodurch die Gesundheit eines tüchtigen _Lesers_
  gehörig befördert wird. Auch besitze ich, Gottlob, Sinn und Gemüt
  genug, um bei reich-begabten Schriftstellern alles mitzuentdecken, was
  sie nicht selten bloß dem _Weissen_ zwischen den Zeilen anvertraut
  haben. Der sel. Schleiermacher bat mich einmal, seine „Kritik
  der Sittenlehre“ für eine gelehrte Zeitung zu beurtheilen. Ich
  entschuldigte mich aber damit, daß ich das Buch wahrscheinlich nicht
  hinlänglich verstanden hätte; denn an mehrern Stellen folgerte ich
  aus dem innern Zusammenhang seiner Begriffsentwickelungen etwas viel
  Bedenklichers, als was er selbst zu lehren schien. Darauf antwortete
  er mir scherzend: „Eben deswegen, weil ich Dich als einen so guten
  und gründlichen _Leser_ kenne, wollte ich daß _Du_ gewisse Dinge zur
  Sprache bringen solltest, die ich meine Gründe hatte, hier nicht näher
  zu erörtern. Die von Dir gerügte Zweideutigkeit ist unverkennbar für
  den Selbstdenker, aber _absichtlich_; und Du kannst überzeugt sein, daß
  unsre alltäglichen Bücherrichter sich nicht dabei aufhalten werden.“ --
  Eben so fromm und aufmerksam glaube ich nun die meisten _Ihrer_
  Schriften, gelesen und wieder gelesen zu haben. Nicht _alle_, denn
  vieles von den neuern ist mir unbekannt geblieben in diesem Nordischen
  Winkel, vorzüglich von dem, was hie u. da in Zeitschriften abgedruckt
  worden. Um so sehnsuchtsvoller erwarte ich nun die Sammlung Ihrer
  _sämmtlichen Werke_, die ich schon bei meinem Berliner Buchhändler
  bestellt habe. Einen _innerlich_ und _äusserlich_ so reichen, durch
  seine _Eigenthümlichkeit_ ehrfurchtgebietenden Dichter, wie Tiek,
  betrachte ich nehmlich gerne wie den _Strasburger Münster_. Wer
  möchte hier _einzeln_ abgebrochene Zierrathen u. Figuren bewundern?
  -- Wer den Eindruck dieser andächtigen Begeisterung nicht in sich
  aufzunehmen vermag; wer sich dem Genuß des _Ganzen_ nicht unbedingt
  hingiebt, -- der mag ja lieber freundliche Gartenhäuser beschauen,
  oder zierliche Nachbildungen alterthümlicher Tempel anstaunen! --
  Es mag immer bloß ein eigenthümliches Gefühl sein, _Schmeichelei_
  ist es wenigstens _nicht_, wenn ich freimütig bekenne, daß mir _Ihr_
  Dichtergenius so gar _mehr_ „~_of a piece_~“ scheint, wie Göthes, dem
  übrigens wohl niemand eine vielseitigere Bewunderung zollt, als ich.
  Aber daß Ihre Muse, seitdem ich inniger mit ihr vertraut worden, die
  _gemütlichste_ Lebensgefährtin gewesen, die mein späteres Leben überall
  begleitet, überall _frisch u. jugendlich_ erhalten hat, -- _das_ ist
  eben der eigentliche Gegenstand dieses _Danksagungs-Schreibens_;
  denn bloß als ein _solches_ müssen Sie diese unbedeutenden Blätter
  betrachten. Ist doch die Samlung Ihrer kleinen Gedichte schon seit
  Jahren mein _Gesangbuch_ gewesen -- _hier_ vorzüglich, wo ich von allen
  meinen ehemaligen _Glaubensgenossen_ so entfernt, und so vereinsamt
  zurückblicke nach dem gelobten Lande meiner genußreichen Jugend. Mag
  es sein, daß _deutsches Blut_, von väterlicher und mütterlicher Seite,
  noch immer in meinen Adern siedet, das kein Nordwind zu kühlen vermag,
  -- _Deutschland_ ist u. bleibt auf ewig das wahre Vaterland meines
  _Geistes_ u. meines _Herzens_, und diese lebendige Anhänglichkeit an
  das „_Land der Eichen_“ ist mir nicht _angebildet_ worden durch meine
  dortige Erziehung, sondern diese hat jene nur früher u. vollständiger
  in mir _entwickelt_. Auch ist jenes _Gefühl_ nicht etwa durch spätes
  Entbehren in diesem Augenblick unruhiger geweckt worden. Schon vor
  einigen und 20 Jahren durchglühte mich diese Vorliebe so kräftig, daß
  Göthe mich einmal im Scherze: „einen ~Allemand enragé~“ nannte, u. mich
  rieth nach England zu reisen, wo man mich mit dem Gruß empfangen würde:
  „~_No German nonsense swells my British heart._~“ (ein Vers aus einer
  damals eben erschienen Satire: ~Pursuits of Literature~.)
  Wohl habe ich seitdem einen bedeutenden Theil meines zersplitterten
  Lebens in Frankreich u. England zugebracht; aber mich dort nur um so
  lebhafter überzeugt, daß der Reichthum des _geistigen Lebens_ sich in
  diesen beiden Ländern mit dem _Deutschen_ keinesweges messen kann. Und
  doch gehör’ _ich_ zu denjenigen, die sich auch in der Fremde leicht
  ansiedeln. Ueberall suchte ich dort mir Sprache, Sitten u. Ansichten
  der Einwohner so freisinnig, wie möglich anzueignen, weil man nur
  dadurch Nutzen u. Freude hat von seinen Reisen und seinen vielseitigen
  Beobachtungen. Aber auch _das_ ist ja ein seltener Vorzug des Deutschen
  Genius, daß er das Vortreffliche des _Fremdartigen_ oft treuer u.
  reiner in sich aufnimmt, als die Eingebornen selbst. Daß _Sie_ den
  Shakespeare unstreitig richtiger fassen u. erklären, als alle die
  kunstrichterischen John Bulls, deren ich, während meines Aufenthalts
  in London, so _viele_ zusammenbrachte, daß solche jetzt 27! dicke
  Oktavbände füllen. -- Aber _mir_ wenigstens hat das _Einseitige_ jener
  feingeschliffenen Ausbildung der _Nichtdeutschen_, den _Reichthum_ der
  einheimischen nur um so lieber und theurer gemacht. --
  „Mit dem ~rost-beef~ u. dem Porter vertrage ich mich schon ganz
  einheimisch; den _Kohlendampf liebe_ ich sogar, -- schrieb ich aus
  London an eine Freundin in Berlin, -- die _Aussenwelt_ genügt hier
  vollkommen, aber mein _inneres Leben_ schnappt überall vergebens nach
  _Deutscher Luft_, u. mein _Geist_ vermißt sehnsuchtsvoll _Deutsche
  Freiheit_!“ -- Von _Frankreich_ lassen Sie uns nicht sprechen. Die
  Pariser _Kinderschuhe_ hatten _wir_ doch wohl schon ausgetreten, lange
  ehe _Ludwig Filipps_ „freisinnige“ Unterthanen anfingen, dramatische
  Stiefel und lange Beinkleider nach deutschem Schnitt nothdürftig
  zusammen zu pfuschern; und ihren Victor Hugo zu einem Shakespeare
  aufzustutzen. Uebrigens lieb’ ich die _Franzosen_ sehr, so lange sie
  _Kunst und Leben leicht und scherzhaft_ nehmen. Nur der großartige
  Ernst scheint ihrer Natur nicht angeboren, weswegen auch ihre
  Staatsumwälzung so jämmerlich mißglückte.
  Freilich sagte mir _Chenier_ einmal mit großer Selbstgefälligkeit: „Ich
  habe wirklich Schillers Don Carlos _durchgeblättert_; man muß auch das
  _Mißlungene_ nicht verachten. Das Unglück Deutscher Dichter ist, daß
  sie nun einmal _ohne Geschmack geboren_ sind, und von eigentlicher
  _Kunst_ u. _Gemütsschilderungen_ nicht einmal von unsern _großen
  Meistern_ etwas =gelernt haben=. Ich _gedenke nun_ =selbst=, _einen
  Filipp II._ zu _schreiben_!“ --
  Dagegen habe ich wohl manchmal auch von den Bessern der _Unsrigen_
  hören müssen: „die _deutsche_ Art u. Kunst sei allerdings reich, tief
  u. vielseitig, dafür scheine sie aber auch immer nur ein _unendliches
  Bruchstück_ bleiben zu wollen.“ Dies liesse sich wohl auch in einem
  gewissen Sinne behaupten; erinnert mich aber an ein sinniges Wort der
  sel. Varnhagen, als jemand in ihrer kleinen Gesellschaft sagte, „es ist
  doch Schade, daß der _Faust_ nur ein _Bruchstück_ wäre.“ -- „_Schade_?!
  rief sie aus. Als wäre das nicht gerade das größte Verdienst dieses
  unendlichen Gedichts! Gerade dadurch ist es ja eine so treue
  Darstellung der ganzen Menschheit; denn was ist _sie_, das Leben u. die
  Welt _für uns_ anders, als ein ewig anziehendes, ewig unvollendetes
  Bruchstück? Göthe _darf_ das Gedicht nicht fortsetzen, oder gar
  vollenden, wenn sein Gemählde noch dem _Urbilde_ gleich bleiben
  soll; denn all unser Denken, Träumen u. Ahnen; alle unsre geistige
  u. sinnliche Liebe, alles was wir von Gott, oder dem Teufel uns
  einbilden; -- Genuß, Sehnsucht, Verzweiflung, Tugend und Verbrechen --
  _alles_ enthält schon dieses überreiche Bruchstück eines _unendlichen
  Kunstwerks_.“
  Und nach dieser Ansicht zweifle ich sehr, ob meine Freundin den _2ten
  Theil_ des Faust für eine Vollendung des ursprünglichen Gedichts hätte
  gelten lassen. --
  _Ich_ würde also auch mit denen nicht streiten, die etwa alle _Ihre_
  Dichtungen zusammengenommen, als ein solches _unendliches Bruchstück_
  des großen Weltgedichtes betrachten möchten. Bleibt das _Vollendete_
  des Lebens nicht in jeder Rücksicht bloß ein Gegenstand der Ahnung und
  der Sehnsucht?
   „Warum Schmachten?
   Warum Sehnen?
   Alle Thränen
   ach! sie trachten
   weit nach Ferne,
   wo sie wähnen
   schönre Sterne!“ --
  Was gäbe ich nicht darum, mein edler Freund, wenn ich jetzt nur
  einige Stündchen mit Ihnen verplaudern könnte, vorzüglich auch über
  _Göthe_, den so _sinnlich-klaren_, u. doch in mancher Rücksicht so
  unerforschlichen _Proteus_. Wie viele _Fragezeichen_ habe ich nicht
  überall an den Rand gezeichnet, worauf Sie mir vielleicht antworten
  könnten, auch wo diese Antworten Ihnen nicht erleichtert würden durch
  übereinstimmende Gesinnung, sondern bloß durch scharfsinnigeres
  Ahnungsvermögen eines so nahverwandten Genius. Wie tief bedauere
  ich, daß ich die Zeit unsers Beisammenseins nicht mehr benuzte; denn
  verloren war bei mir nie etwas, noch so früh empfangenes, sondern
  wucherte gewöhnlich das ganze Leben hindurch, wenn es auch spät erst
  zur Frucht reifte. ~O! mihi praeteritos referat si _Jupiter_ annos!~“
  Und doch war jene Zeit ein herrlicher, unvergeßlicher Frühling!
  Einer mit dem ich damals das geistige Leben am vertraulichsten
  durcharbeitete, war _Friedrich Schlegel_, den ich immer den _Dichter_
  nannte, während sein Bruder mir bloß _der Dichtende_ hieß. Als
  Tiefdenker mir unendlich überlegen, fand er doch bald so viel
  Empfänglichkeit in mir, daß er behauptete noch niemand gefunden zu
  haben, mit dem er sich so allseitig hätte mittheilen können, ohne in
  Streit zu gerathen, auch wo wir noch so entgegengesetzte Grundsätze
  verriethen.
  Nach seinem Uebertritt zur römischen Kirche, schrieb mir
  Schleiermacher: „Kanst Du mir diesen Schritt unsers Freundes wohl näher
  erklären? Ich frage _Dich_, weil er mir selbst gesagt, er hätte mit
  Keinem so ernst u. so offenmütig, wie mit Dir, das _Christenthum_, nach
  allen dessen Richtungen durchgeforscht. Ich kann mir _seine_ =innern=
  Gründe unmöglich denken; u. _weltliche_ mag ich bei einem _solchen
  Manne_ durchaus nicht annehmen.“
  Allein ich hatte damals _Schl._ in mehreren Jahren nicht
  gesprochen; wohl aber haben seine spätern Schriften mich mit
  =seinem= _Katholizismus_ versöhnt. Es scheint nehmlich, daß,
  wenigstens gleichzeitig mit diesem Uebergang, auch eine wirkliche
  _Sinnesänderung_ bei ihm vorgegangen; denn wie _mild_, _billig_
  und wahrhaft _christlich_ finden wir ihn, selbst in seinen spätern
  =Streit=_schriften_, wenn wir solche mit den frühern vergleichen.
  _Jacobi_ machte dieselbe =Bemerkung,= u. schrieb mir einmal: „Hätten
  Sie wohl je geglaubt, daß Fr. Schlegel u. ich einander bei Gegenständen
  der Vernunftforschung so freundlich und _christbrüderlich_ begegnen
  würden?“ -- Eine große Hinneigung zur _Neuplatonischen_ Auffassung
  des Christenthums hatte ich früh in ihm entdeckt, welche mir nun
  durchaus nicht zusagte. Dagegen versicherte ich ihm, man könne dem
  Christenthum nicht inniger zugethan sein, wie ich, wenn man nur
  nicht forderte, daß ich ein _strengerer Christ_ sein solte, als --
  _Christus_ selbst. Ich hätte nehmlich überall gefunden, selbst bei
  meinen _Hernhutern_, wiewohl da seltener, daß die eifrigsten Christen
  sich in 2 ganz bestimmte Klassen abtheilen ließen. Die einen wären
  die _Gelehrten_, oder _Historischen_, denen das sich nach u. nach
  entwickelte _Lehrgebäude_ des Glaubens wichtig u. heilig sei -- die
  Rechtgläubigen jeder Kirche, -- die andern hingegen empfänden bloß
  ein tiefes Bedürfniß, sich die _Gesinnungen_, die ganze _Denk- u.
  Empfindungsweise_ des Erlösers kindlich anzueignen. Ihnen ist das
  wichtigere, „den Willen desjenigen zu thun, der _Ihn_ gesandt hat,
  u._ dadurch inne_ zu _werden_, ob seine Lehre von Gott sei.“ -- Alle
  Spizfindigkeiten der Kirchengelehrten scheinen ihnen unwesentlich. Die
  _Dreieinigkeit_ macht ihnen keinen Kummer, u. selbst von _Christus_
  mögen Sie wohl sagen wie Haller von seiner Geliebten:
   „Ich strebe nicht Dich zu _vergöttern_,
   _die Menschheit_ ziert _Dich allzusehr_.“ --
  Zu dieser 2ten Klasse nun bekenne ich mich mit aller Innbrunst des
  Herzens, u. aller Freiheit der Seele. -- Dabei leugne ich keinesweges,
  daß nicht beide Eigenschaften sehr glücklich vereinigt werden können;
  nur _allgemein_ kann dies nicht angenommen werden; u. ohne diese
  _christliche Gesinnung_, scheint mir die gelehrte _Rechtgläubigkeit_
  von sehr geringem Werth. -- Daher hat auch A. W. Schlegel mich u.
  die Frau von Staël schrecklich ermüdet durch seine streitsüchtigen
  Anempfehlungen eines solchen gelehrten _Katholizismus_. --
  Hier aber müssen Sie mir erlauben, eine ähnliche Bemerkung zu machen
  über die verschiedenartigen Schüler u. Anbeter der _Muse_, zumahl dies
  Sie selbst etwas näher angeht. Ich theile nehmlich diese ebenfalls in
  2 sehr bestimmte Klassen. Die _wirklichen_ Dichter, die Selbstschöpfer
  im Reiche des Genius, die Beherrscher der Einbildungskraft und
  der Seelenvermögen; -- dann aber die „_poetischen Menschen_“, die
  zwar für allen Reichthum der Dichtung die regsamste Empfänglichkeit
  besitzen, die aber keine _Kraft_ von der Natur empfingen, selbst
  _hervorzubringen_ was sie im Geist so lebhaft anschauen. Sie verwandeln
  gewissermassen ihr ganzes Leben, die sie umgebende Wirklichkeit, ihr
  Denken u. ihr Gefühl zu einem _Gedicht_; aber _stummgeboren_ vermögen
  sie was ihr inneres bewegt, nicht auszuhauchen in Gesang u. Rede.
  Daß selbst die _Halbgötter_ der ersten Klasse nicht immer diese
  _innerliche Poesie_ der zweiten in einem gleich hohen Grade besitzen,
  glaube ich nur zu oft wahrgenommen zu haben, und jene _Stummgeborenen_,
  zu denen ich, Leider selbst gehöre, müssen sich nur damit trösten,
  daß gerade diese nie zur Flamme auflodernde Glut ihr inneres Leben
  gewöhnlich länger warm und jugendlich erhält.
  Freilich ist es eine herrliche Erscheinung der Menschheit, wenn ein
  hoher Genius diese oft gesonderten Eigenschaften in sich vereinigt,
  und dies, liebster Tieck! ist nach meiner Ueberzeugung, _Ihr
  glückliches_ Loos. Sie sind doch unstreitig ein _großer Dichter_,
  aber welcher Kenner entdeckt nicht zugleich in dem kleinsten Ihrer
  Lieder den echt-_poetischen Menschen_, der so freundlich anzieht, u.
  Zutrauen einflößt, während man den ersten bewundert? Sie sehen, ich
  
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